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Ich werde tun, was du sagst“
von Dirk Gießelmann
Der Meister erzählte seinen Schülern eine Geschichte: „Vor vielen Jahrhunderten, in dunkler Zeit, wurde ein Kloster in der Provinz Yunnan von einer Handvoll Abge-
sandter der Armee des Kaisers Wu belagert.
Der delegierte Hauptmann befahl einem seiner Soldaten: »Nimm alle Bewohner des Klosters gefangen! Sperre den Vorsteher des Klosters in eine Kammer, lasse ihn sich entkleiden, sich stehend mit dem Gesicht zur Wand aufstellen und dann sorge dafür, dass er sich nicht rührt.« Der Soldat gab zur Antwort: »Ich werde tun, was du sagst«. Daraufhin trieb er mit seinen Kameraden die Bewohner des Klosters zusammen, sperrte den Abt dem Geheiß des Hauptmanns folgend in eine Kammer und rief: »Zieh dich aus, dreh dich um, stell dich mit dem Gesicht zur Wand und wage es nicht, dich zu bewegen!«. Der Mönch sprach: »Ich werde tun, was du sagst« und leistete den Worten des Soldaten widerstandslos Folge.
Wochen und Monate verstrichen, die Bewohner des Klosters blieben von den Soldaten unterdrückt, der Abt stand – tagein, tagaus – nackt in seinem Zimmer, wurde notdürftig mit Wasser und Reis versorgt und hatte sich nur in der Nacht zum Schlafen auf sein Bett zu legen.
Dann geschah es, dass eine Gruppe Rebellen vor den Truppen des Kaisers Schutz suchend in die Provinz flüchtete. Am belagerten Kloster angekommen, wurden die Widerständler schnell der Lage Herr, überwältigten die Soldaten und befreiten alle Mönche aus ihrer Gefangenschaft. Der Rebellenführer ließ den Vorsteher des Klosters zu sich bitten und sprach: »Ehrenwerter Herr, Ihr wurdet gedemütigt und gequält. Freut Euch, denn ich sage: Morgen früh werden wir die kaiserlichen Soldaten exekutieren, ihnen die Köpfe abschlagen und diese als Zeichen unseres Sieges, als eine unmissverständliche Botschaft an den Hof des Kaisers bringen lassen. Habt ihr dem etwas hinzuzufügen?«
Der Mönch wandte sich nickend ab, ging hinaus ins Freie und bat den Anführer, zu folgen. An einem Brunnen kurz hinter dem Haupteingang des Klosters angekommen, hob der Abt einen sehr weit geschnittenen Ärmel seines Gewandes an, tauchte dessen Spitze ins Wasser und sprach: »Seht her, lieber Freund! Es ist nur die Spitze meines Ärmels, die sich im Wasser befindet, jedoch kriecht das Wasser – bedingt durch den Sog der trockenen Fasern – zunehmend in den Stoff. Je länger ich warte, desto mehr Wasser wird in meinem Gewand zu finden sein.« Der Mönch blickte zum Rebellen und der Anführer nickte.
Der Mönch fuhr fort: »Was bedeutet das? Nun, ich sage dir, das Unrecht und die Grausamkeiten der Welt, in der wir leben, bahnen sich früher oder später ihren Weg ins menschliche Gemüt. Und so ist Achtsamkeit geboten, damit wir vom Übel der Welt nicht überwältigt werden. So wie der Stoff meines Gewandes trocken bleibt, wenn ich ihn von Wasser fernhalte, so bleibt der Geist friedlich und ruhig, wenn ich ihn vor Grausamkeit bewahre. Sage mir, wie könnte ich mit den von dir verkündeten Todesurteilen zufrieden sein? Dies käme einem Sprung in den Brunnen gleich. Unbestreitbar finden schmerzhafte und leidvolle Erfahrungen für jedes Lebewesen statt – demnach bedeutet unserer Auffassung nach erst die Aufhebung von der Verbindung mit dem Schmerz,
Der Text stammt aus dem Buch von Dirk Gießelmann „De Ghe und der Meister – Pilosophie des liebenden Herzens“
ganz und gar in Harmonie zu sein. Doch sage ich dir: Trocken und Nass, Recht und Unrecht, Freude und Leid – alle Gegensätze bedingen einander. Unserer erhabenen Lehre nach ist das Eine, das Vollkommene, das Absolute die einzige und wahre Natur all dessen, was ist. Dies ist unser wirkliches Wesen; dadurch ist alles geeint.
Ein friedlicher, ungestörter, wacher und erkennender Geist ist sich selbst als solcher präsent – unberührt und frei.
Wir halten uns fern von Aufruhr und Tumult, denn wir wissen: Was kommt, wird gehen. Das ist ein irdisches Gesetz. Die Menschheit wende sich jedoch mit Bedacht dem Unveränderlichen zu. Möge sie erkennen, dass die äußeren Angelegenheiten ihren Grund im Inneren, im sogenannten ‚Geistigen‘, im Geist als solchen haben. ‚Unrecht‘ wird durch die Vorstellung von ‚Recht‘, und ‚schlecht‘ wird durch die Idee von ‚gut‘ bestimmt. Das Eine jedoch, in dem alles kommt, um zu gehen, verbleibt ungerührt und ewig als Es selbst. Das ist die Erkenntnis, in der der allgegenwärtige Geist bedingungslosen Frieden findet. Demzufolge wird sich ein Mensch als den Bruder seines Bruders wissen.«
Der Anführer der Rebellen lauschte gebannt und leicht verwundert den Worten des Klostervorstehers, ohne genau zu verstehen, was der Mönch meinte.
Der Abt fuhr fort: »Lieber Freund, nun bitte ich dich: Verschone das Leben der Soldaten. Wir werden ihnen anbieten, dass sie hier bei uns im Kloster bleiben, oder ihr sendet sie zurück zu ihren Familien. Durch die Beständigkeit der Liebe werden sie, jeder zu seiner Zeit, dazu bereit sein, ihr Leben dem Erkennen der Einheit zu widmen.«
Der Rebell sprach: »Ich werde tun, was du sagst.« Dirk Gießelmann hat seinen Lebensmittelpunkt im YogaSeminarhaus und -Ausbildungszentrum in Bad Meinberg. Dirk möchte andere gerne an seinen Erfahrungen und an seinem Wissen teilhaben lassen. Offenheit, Freundlichkeit und eine liebevolle Akzeptanz liegen ihm dabei sehr am Herzen.
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