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Einer Brauerei ist das deutsche Reinheitsgebot zu wenig Seite

Prost, ihr Pioniere!

Regional vernetzt, bundesweit erfolgreich – auch in Krisenzeiten bewährt sich die Strategie einer bayerischen Ökobrauerei. Was können andere Unternehmer von ihr lernen?

VON DIETMAR H. LAMPARTER

J

Johannes Ehrnsperger ist überzeugt, dass Fairness und Nachhaltigkeit einen Preis haben sollten. Auch dann, wenn es um ein Produkt geht, das es in Deutschland in zahllosen Ausprägungen gibt: Bier. Aber deswegen mit Rabatten um Marktanteile kämpfen? Nein. An den Zutaten sparen, um Kosten zu senken? Niemals. Auf die Lieferanten Druck ausüben, um die Konditionen zu verbessern? Im Gegenteil! Die Kunden sollen ruhig mehr bezahlen, für Ehrnspergers Halbliterflasche leicht das Doppelte dessen, was mancher Wettbewerber verlangt. »Wir sind schon deshalb teurer, weil wir unseren Biolandwirten Preise zahlen wollen, von denen sie leben und mit denen sie der nächsten Generation einen gesunden Hof übergeben können«, sagt Ehrnsperger.

Johannes Ehrnsperger ist Chef der erfolgsreichsten Biobier-Brauerei der Republik: Neumarkter Lammsbräu, Sitz in Neumarkt in der Oberpfalz, gegründet 1628, seit 1800 in Besitz der Ehrnspergers. Und, eigentlich, Teil einer Branche, der es gerade richtig schlecht geht. Die Lage der Brauer im Land sei »dramatisch«, sagt Holger Eichele, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen BrauerBundes in Berlin und damit Deutschlands führender Bier-Lobbyist. Lammsbräu ist eine von 1500 Brauereien im Lande, darunter Großkonzerne und viele kleine Gasthausbrauereien. Nach einem Einbruch im ersten Corona-Jahr ist der inländische Bierabsatz 2021 um weitere 3,4 Prozent gesunken. Und jetzt komme noch »eine nie gesehene Preisexplosion bei Rohstoffen, Energie und Logistik hinzu«, sagt Eichele. Der »Doppelschlag Corona und Ukraine-Krieg« bringe auch traditionsreiche Familienunternehmen der Bierbranche in Existenznot, die Kapitalreserven würden aufgezehrt. Eicheles bittere Erkenntnis in diesem Frühjahr: »Die Brauer stehen mit dem Rücken zur Wand.«

Nur Johannes Ehrnsperger spürt davon wenig. Im Gegenteil: »Die Corona-Krise und der Ukraine-Krieg haben uns gezeigt, wie anfällig die Globalisierung ist und wie viel resilienter und widerstandsfähiger kleine lokale Strukturen sind«, sagt der 32-Jährige. »Darauf bauen wir seit 40 Jahren.«

Die Ehrnspergers mögen ein Sonderfall sein, weil sie schon auf Nachhaltigkeit gesetzt haben, als darüber noch kaum geredet wurde. Aber sie sind eine Unternehmerfamilie, von der andere lernen können, selbst wenn sie keine Pioniere sind. All jene eben, die vor der Herausforderung stehen, sich mit ihren Nischenprodukten dauerhaft von der Massenware der Großindustrie abzuheben. Denn was in Neumarkt einst mit der Suche nach der bestmöglichen Qualität für Braugerste begann, hat sich zu einem engen Verbund mit den regionalen Rohstofflieferanten entwickelt. Sie alle eint das Prinzip des nachhaltigen ökologischen Wirtschaftens.

Nebenbei ist das Unternehmen ein Beispiel dafür, dass eine solche Strategie auch generationenübergreifend funktionieren kann. Denn neben Johannes Ehrnsperger – weiße Sneaker, per Du mit den Mitarbeitern von der Empfangsdame bis zum Lageristen – gibt es da den Senior: Franz Ehrnsperger, 76, graues Haar, gerne mit Janker, eher Typ Patriarch. Trotzdem habe jetzt nicht mehr der Vater das Sagen, betont der Junior, heute alleiniger Eigentümer von Lammsbräu. Er führe den Betrieb aber teamorientiert, sein Vater sei jetzt »Sparringspartner und Ratgeber«. Der Senior nickt nur.

Mag der Führungsstil unterschiedlich sein, bei der ökologischen Grundüberzeugung und dem Engagement für Umwelt- und Klimaschutz passt kein Bierdeckel zwischen die Generationen. Johannes nennt den Franz einen »Visionär«, der war es ja, der die Grundlagen des Erfolges gelegt hat, als er 1984 das erste Biobier in Deutschland braute. Er war damals unzufrieden mit der mit Kunstdünger hochgezüchteten Gerste, dem wichtigsten Rohstoff für das Braumalz. Also probierte er es mit Biogetreide. Heraus kam »das bessere Bier«, wie er sagt.

Der Branche war Biobier seinerzeit suspekt, der Ökopionier wurde belächelt. Ja: sogar bekämpft. Schließlich gilt in ganz Deutschland das Reinheitsgebot, wonach ins Bier nur Wasser, Hopfen und Malz gehören. »Wozu braucht man dann noch Biobier?«, hätten die Kollegen ihn gefragt, erinnert sich der Senior beim Rundgang durch

die Mälzerei, das Sudhaus und die Lagerkeller, vorbei an neuen glänzenden Edelstahltanks und Abfüllanlagen.

Zugegeben: Lammsbräu ist mit 32 Millionen Euro Umsatz im Jahr 2021 zwar immer noch klein im Vergleich zu heimischen Großbrauern wie Radeberger, Bitburger oder Krombacher, die ihre Produkte bundesweit anbieten, aber mit Abstand Marktführer bei den Biobier-Marken. In den letzten zehn Jahren habe sich der Getränkeabsatz verdoppelt, berichtet der Junior. Nicht schlecht in einem Land, in dem zwar der Absatz alkoholfreien Biers langsam steigt, der ProKopf-Verbrauch von klassischem, alkoholhaltigem Bier seit Mitte der Achtzigerjahre aber drastisch gesunken ist – von rund 150 Litern auf zuletzt knapp 84 Liter. Das ist, unglaublich, nur noch knapp die Hälfte.

Sogar Corona haben die Oberpfälzer getrotzt: Der Umsatz der Brauerei stieg 2021 im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 um gut elf Prozent, der Absatz von 257 auf mehr als 270 Hektoliter. 23 Biersorten braut Lammsbräu, mit und ohne Alkohol, Helles, Dunkles, Pils, Weißbier und sogar glutenfreie Spezialitäten, wobei es inzwischen mehr Getränke ohne Alkohol absetzt als mit. Dazu gehören seit 2009 Mineralwasser und Limonaden. In diesen Zeiten trägt auch die Diversifikation das Unternehmen, wobei die Produkte eines verbindet: »Alles zu hundert Prozent bio«, verspricht Johannes Ehrnsperger.

Bringt man das Konzept der Ehrnspergers auf eine allgemeine Erkenntnis, so lautet sie: Mittelständler müssen mit ihren Produkten einen Mehrwert gegenüber der Massenware der Industrie bieten. Und diesen Vorsprung muss man ausbauen, um ihn zu erhalten: »Wir dürfen uns auf dem Pionierstatus nicht ausruhen ...«, sagt Franz Ehrnsperger, und sein Sohn führt den Gedanken etwas pathetisch weiter: »... es geht darum, immer besser zu werden mit Blick auf den Einklang von Genuss und Nachhaltigkeit.«

Dabei ist noch etwas wichtig: Transparenz. Nur wer offenlegt, was er tut, kann die umweltbewusste Kundschaft überzeugen. Lammsbräu berichtet deswegen seit 1992 jährlich im Detail über seine Ökobilanz (siehe Kasten Seite 32).

Eine weitere Besonderheit des Unternehmenskonzepts zeigt sich in der Lieferkette. Schon in den 1980er-Jahren setzte Franz Ehrnsperger auf das Regionalprinzip: Alle Rohstofflieferanten sollten aus der Region kommen, um den Warenfluss transparent zu halten. »Vom Acker bis zum Glas« wollen sie Verantwortung übernehmen. Dafür über-

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Tonnen CO²-Äquivalente emittierte Lammsbräu 2020. Etwa eine Hälfte stammt von der Brauerei samt Fuhrpark, die andere Hälfte entstand entlang der Lieferkette

Franz Ehrnsperger, 76, hat seinem Sohn Johannes, 32, die Brauerei übergeben

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Tonnen betriebseigene Emissionen kompensierte Lammsbräu über zertifizierte Klimaschutzprojekte

zeugte Ehrnsperger Bauern in der Region, ihre Höfe auf Ökolandbau umzustellen. Er initiierte eine Erzeugergemeinschaft für ökologische Braurohstoffe, kurz EZÖB. Mühselig war es trotzdem, die Landwirte vom Verzicht auf Kunstdünger und Pestizide zu überzeugen. Erst 1995 bekam die Brauerei genügend Biogetreide und Biohopfen aus der Region, um komplett auf Biobier umzustellen. Aus anfangs zwei Ökobauern sind mittlerweile 182 geworden. Noch so eine Erkenntnis: Als Unternehmer hat man Einfluss auf die Unternehmen in der eigenen Lieferkette, wenn man Geduld mitbringt und das persönliche Gespräch sucht.

Heute erhalten die Lieferanten von Gerste, Weizen, Dinkel und Hopfen allesamt die gleichen Fünf-Jahres-Verträge, in denen Liefermengen und Preise fixiert werden. Laut den Ehrnspergers liegt der Preis, den sie den Bauern für ihre Ware zahlen, bis zu 20 Prozent über dem üblichen Marktpreis für Bioware, und schon der war – zumindest bis zur jüngsten Preisexplosion – rund dreimal so hoch wie der für konventionelle Ware. Deswegen erleben die Bio-Pioniere auch keine gestörten Lieferketten bei Braurohstoffen – anders als das Gros der deutschen Brauereien, die von konventionellen Mälzereien versorgt werden. Die müssen seit Beginn des Ukraine-Kriegs für ihr oft kurzfristig gekauftes konventionelles Braugetreide schlagartig das Dreifache bezahlen. Bleibt die Frage, was die Bauern dazu sagen, wenn sie zwar selbst mehr für Diesel und Strom ausgeben müssen, aber in FünfJahres-Verträgen mit Lammsbräu stecken. Sind sie in eine Falle getappt, von der nur die Brauerei profitiert?

Auftritt Karl Stephan, 52, Biobauer aus einem Dorf in der Nähe und Vorsitzender der EZÖB. Seinen kräftigen Händen ist anzusehen, dass er selbst anpackt. Er bestätigt, dass dieses nachhaltige Wirtschaften – Johannes Ehrnsperger nennt es »enkeltauglich« – funktioniert. »Unsere FünfJahres-Verträge rentieren sich für beide Seiten«, sagt er. Schließlich garantieren sie stabile Preise oberhalb des Marktniveaus und ermöglichen Planungssicherheit. Und weil Biobauern wie er ohne Kunstdünger und Pestizide auskommen, trifft sie auch der Preissprung bei diesen Produkten nicht.

Stephan hatte schon auf Bio umgestellt, bevor er 1998 anfing, Lammsbräu zu beliefern. Als er mit dem Ökolandbau anfing, musste er »in der Wirtschaft« beim Bier noch regelmäßig fragen lassen, weshalb er keinen Kunstdünger einsetze, erzählt er. »Dös hat sich draht«, sagt er auf Oberpfälzisch – die Lage hat sich geändert. Der Milchbauer baut inzwischen auf 80 Hektar Getreide an, fünfmal mehr als zu Beginn, als er nur Futter für

seine Kühe anbaute. Heute müssten sich die konventionellen Bauern oft die Frage gefallen lassen, warum sie noch Felder spritzen würden. Die gesellschaftliche Akzeptanz für grüne Ideen wachse stetig, sagt Stephan, »immer mehr Landwirte denken um«.

Die Ehrnspergers haben diesen Trend mit geprägt – und sie profitieren von ihm. Die expandierenden Biomärkte lassen sich heute die ganze Palette an Ökolebensmitteln in einem Lkw anliefern. Über die Logistik der Bio-Fachgroßhändler konnte sich die Marke Lammsbräu »im Huckepack« nach und nach bundesweit ausdehnen. Und natürlich gibt es Lammsbräu grundsätzlich nur in Mehrweg-Glasflaschen, egal ob das Bier im Regensburger Bioladen oder im Hamburger Edeka-Supermarkt im Regal steht. Da man zu rund 85 Prozent an den Handel liefere, habe man den Ausfall im Geschäft mit den Gasthäusern während der Lockdowns mehr als kompensieren können, sagt Johannes Ehrnsperger. Durch die CoronaKrise hätten die Menschen zudem Zeit gehabt, über ihr Konsumverhalten nachzudenken, analysiert der Brauer und Betriebswirt.

Natürlich, und das muss einmal deutlich gesagt werden, hat die Strategie auch einen Preis. Die Kunden zahlen mehr fürs Bier –und trotzdem muss Lammsbräu Kompromisse bei der Marge machen; wäre man nicht so radikal ökologisch, könnte man womöglich mehr verdienen.

Aber die Ehrnspergers haben sich bewusst dagegen entschieden: Lammsbräu sei zwar ein gewinnorientiertes Unternehmen, sagt der Junior, aber nicht auf Gewinnmaximierung bedacht. Ein Beitrag zum Gemeinwohl, vor allem durch die Förderung der ökologischen Landwirtschaft, gehöre zu den zentralen Firmenzielen. Wie viel Lammsbräu genau verdient, das möchte der Brauereichef – trotz aller Transparenz – allerdings nicht verraten. Nur so viel: Es kommt genug dabei rum, dass man gerade einen zweistelligen Millionenbetrag in energiesparende Technik und Logistik investieren konnte.

In all den Jahren mussten die Ehrnspergers ihre Bio-Strategie immer wieder auch vor Gericht verteidigen. 1987 wehrte der Senior den von den Brauereiverbänden unterstützten Versuch ab, die Bezeichnung »Biobier« als unlautere Werbung verbieten zu lassen. 2012, als Lammsbräu begonnen hatte, aus dem eigenen Brunnen direkt unter dem Brauereigebäude gefördertes Wasser in der Region als Biomineralwasser zu vermarkten, verteidigten sie dieses Prädikat zum Ärger der etablierten Konkurrenz sogar erfolgreich vor dem Bundesgerichtshof.

Die Klimaziele

Was Lammsbräu selbst tut 1992 legte Lammsbräu den ersten »Öko-Controlling-Bericht« vor, seit 2017 dokumentiert die Brauerei zudem alle drei Jahre nach den strengen Standards der Global Reporting Initiative den Einsatz für die Nachhaltigkeit. Laut dem jüngsten GRI-Bericht konnte Lammsbräu seit 2012 pro produziertem Hektoliter 24 Prozent der anfallenden Emissionen einsparen.

Wie Lammsbräu anderen hilft Lammsbräu arbeitet seit 2021 bei einem Projekt von zehn Firmen unterschiedlicher Branchen mit, das Experten der Uni Kassel und der Verband Klimaschutz-Unternehmen angestoßen haben. Hierbei werden »maßgeschneiderte Fahrpläne zur Klimaneutralität« entwickelt. Herauskommen sollen auch »Leitlinien, die Betrieben anderer Größen und Branchen helfen können«.

Zuletzt haben sich die Ökounternehmer in Sachen Biomineralwasser mit zwei Weltkonzernen angelegt. »Eine mutige Entscheidung meines Sohnes«, lobt der Senior. Johannes Ehrnsperger hat gegen den Lebensmittelriesen Danone und das zum weltweit führenden Prüf- und Zertifizierungskonzern SGS gehörende Institut Fresenius geklagt. Letzteres hatte das Danone-Mineralwasser Volvic mit dem Prädikat »Mineralwasser in Bio-Qualität« geadelt. Die Oberpfälzer monierten, dass das Wasser aus den Vogesen nicht dem entspreche, was der Verbraucher von Biolebensmitteln erwarte. In zweiter Instanz hatten sie vor dem OLG Frankfurt Erfolg. Danone darf das Bio-Zertifikat nicht mehr auf die Volvic-Etiketten drucken. Berufung wurde nicht zugelassen, doch die Konzerne fechten das an. Aktuell warten die Ehrnspergers auf die Entscheidung.

Und dann ist da noch eine Achillesferse. Die Wärme, die Lammsbräu für die Braukessel und die Flaschenspülanlage braucht, werde noch mit Erdgas erzeugt, räumt Johannes Ehrnsperger ein. Man plane deshalb, die komplette Dachfläche der Braustätte, 3500 Quadratmeter, mit Solarpanels zu bedecken. Schließlich habe man sich als erstes mittelständisches Unternehmen der Lebensmittelbranche in Deutschland zur Einhaltung des Klimaziels von 1,5 Grad verpflichtet. Bis 2030 müsse man die CO₂-Emissionen noch um gut 40 Prozent senken. Und es reicht den Ehrnspergers nicht, ihr eigenes Unternehmen klimafreundlicher zu machen. Lammsbräu beteiligt sich an der mittelständischen Initiative »Klimaschutz-Unternehmen« (siehe Kasten).

Johannes Ehrnsperger hat nämlich große Ziele: Die Landwirtschaft soll irgendwann zu 100 Prozent auf ökologischen Anbau umgestellt werden. Deswegen will er zukünftig auch honorieren, wenn Biobauern mehr für den Schutz von Boden und Wasser tun, als sie es nach den Regeln des Ökolandbaus tun müssten. Dann gebe es irgendwann auch zu 100 Prozent Biobier in Deutschland, sagt der Unternehmer. Ein weiter Weg: Aktuell liegt der Marktanteil des Biobiers in Deutschland noch unter einem Prozent.

Hinter der Geschichte

Unser Autor besuchte den Braumeister Franz Ehrnsperger erstmals 1990, damals hatte eine Expertenrunde die Brauerei gerade zu einem ökologischen Vorzeigunternehmen gekürt, aber es fehlte noch an Ökobauern in der Region, bei denen er Getreide kaufen konnte. Und Ehrnsperger trennte sich damals von einem Braumeister, weil der sich nicht mit den Biomethoden anfreunden konnte. Heute seien die ein Grund, warum Menschen bei Lammsbräu arbeiten wollten, sagt der Unternehmer.

Nichtsist nachhaltigerals Europa

Im Interview erklärt Günther Lindenlaub, Vorstand Unternehmenskunden und Märkte der Crowdfunding-Plattform Invesdor,welchegroße Rolleder „alte Kontinent“ in der modernenGeldanlage spielt.

Herr Lindenlaub, wie wichtig ist Nachhaltigkeit im Bereich Crowdfunding?

Lindenlaub: Nachhaltigkeit ist für die Kunden vonInvesdor ein entscheidendes Kriterium für ihreInvestments. Und da es unsereMission als Anlegeplattform ist, Menschen dazu zu befähigen, die Zukunft aktiv zu gestalten mit einer Geldanlage in genau diejenigen Unternehmen, an die sie glauben, ist Nachhaltigkeit für uns ein wichtiges Thema. Ganz nebenbei sind wir auch selbst davon überzeugt, dass Nachhaltigkeit und Rentabilität sich mehr denn je bedingen.

Welche Rolle spielt Ihr Fokus auf den Mittelstand?

Lindenlaub: In Europa ist der Mittelstand das Rückgrat der Wirtschaft, das Innovation treibt und die meisten Arbeitsplätze schafft. Mittelständische Unternehmen haben allerdings kaum Zugang zum Kapitalmarkt, wie etwainden USA. Das hemmt ihre Dynamik. Private Investoren können diese Dynamik rasch freisetzen –dafür benötigt es aber einen effizienten, technisch und regulatorisch leistungsfähigen Vermittler.Und das ist Invesdor.

Invesdor sieht sich als europäisches Unternehmen. Warum eigentlich?

Lindenlaub: Invesdor ist der Zusammenschluss vonerfolgreichen Plattformen aus Deutschland, Österreich und Finnland zu einem Anbieter –was liegtdanäher alssichals Europäer zu verstehen? Wir halten das Thema Europa aber noch aus einem anderen Grund hoch, der eher kultureller Natur ist. So weisen Europäer unter vielen Aspekten Gemeinsamkeiten auf:Die Sprachen ähneln sich odersind weit verbreitet, zudem liegen die Wertebegriffewie dasjeweilige Verständnis vonWirtschaftund Demokratie sehr nahe beieinander.Das führtuns zu der Überzeugung, dass ein gewisser europäischer Home Bias vorliegt.

Mit Home Bias wirddie Neigungvon Investoren bezeichnet, sich vorzugsweise am Heimatmarkt zu engagieren …

Lindenlaub: Genau, und diese Vorliebe ist ja auch durchaus nachvollziehbar: Einen Markt, dessen Sprache ich spreche, dessen Gepflogenheiten mir geläufigsind und dessen wichtigste Player ich kenne, kann ich besser einschätzen als einen Markt, der mir gänzlich fremd ist. Und ein eigenes Urteil ist ein entscheidender Faktorfür ein eigenverantwortliches Investieren. Also für genau das, wasuns bei Invesdor am Herzen liegt. Dass sich die wirtschaftlichen Stärken einzelner Märkte unter einem gemeinsamen Wertedach ausspielen lassen, ist einfach ein riesiger Vorteil.

Wie äußert sich das?

Lindenlaub: Dass die Stärkung vonEuropa und europäischen Werten mehr als nur eine politische Idee ist, zeigen die vergangenen Monate: Der Angriffskrieg Russlands hat den westlichen Ländern das große Risikogeopolitischer Unwägbarkeiten und die Fragilität internationaler Handelsbeziehungen vorAugen geführt. Die Verfügbarkeit vonRohstoffen wie Gas und Öl schien bis dato sicher –jetzt zeigt sich Europas Verwundbarkeit. Einen positiven Effekt hat dieser „Schock“ jedoch. Er zwingt europäische Politiker und Unternehmen dazu, längst überfällige Schritte zu tun. Zumal die Abhängigkeit vonÖlund Gas nicht die einzige Herausforderung ist. Über Jahrzehnte haben westliche Unternehmen den Bezug vonRohstoffen und die Fertigung ihrer Produkte –und damit auch Arbeitsplätze–nachAsien verlagert, um Kosten zu sparen. Das muss jetzt radikal und rasch überdacht werden, vorallem da sich die zukünftige Rolle mancher Player wieetwaChina noch gar nicht einschätzen lässt. Die Notwendigkeit eines starken und unabhängigen Europas ist deutlicher dennje. Wenn das gelingt, ist nichts nachhaltiger als Europa.

Welche Schritte sind nötig, um diese Unabhängigkeit zu erreichen?

Lindenlaub: Ein wichtiger Aspekt ist die Stärkung europäischer Wertschöpfungs- und Lieferketten. Die Einführung des Lieferkettengesetzes könnte in dem Zuge sicherlich einen Wendepunkt markieren: Das Gesetz verpflichtet Unternehmen auch bei ausländischen Geschäftspartnern zu kontrollieren, ob elementareMenschenrechte geschützt werden. Die Produktion im nichteuropäischen Raum wirdteurer und ist somit, zumindest in dieser Hinsicht, kein Vorteil mehr.Apropos: Bei Invesdor unterstützen wir Unternehmen, die die Zukunft Europas nachhaltig positiv beeinflussen möchten, indem wir ihnen einen Zugang zu unserer Community und damit zu interessierten Investoren, Markenbotschafter oder sogarKunden verschaffen. Aufder anderen Seite hat die Community die Chance mit ihren Investments einen schnellen und konkreten Beitrag zu leisten, Europas Wirtschaft nachhaltig zu stärken.

Günther Lindenlaub

Vorstand Unternehmenskunden und Märkte

www.invesdor.de

Was unterscheidet jüngere von älteren Unternehmern? Unsere Mittelstandsstudie liefert Hinweise

Jüngere Unternehmer empfinden Nicht nur die Klimakrise bereitet viele Herausforderungen als jüngeren Unternehmern mehr besorgniserregender. Sorgen als älteren: Wenn es um die Lösung der Probleme geht, ist den jüngeren Unternehmern der Schutz der Umwelt wichtiger als den älteren:

Spaltung der Gesellschaft

Klimakrise

soziale Ungleichheit

Rechtsruck

Pandemie-Folgen

0 20 40 60 %

25 - 44 Jahre 45 - 59 Jahre 60 Jahre und älter

Anteil der Befragten, die Anteil der Befragten, die die genannten die genannten Herausforderungen Herausforderungen als »besonders als »besonders besorgniserregend« besorgniserregend« empfinden empfinden

Trotzdem blickten

87 %

der Jüngeren vor Beginn des Ukraine-Kriegs (sehr) optimistisch in die Zukunft. Unter den Älteren lag der Anteil bei nur 71 %

Wenn es um die Lösung der Probleme geht ist den Jüngeren Nachhaltigkeit wichtiger als den Älteren.

25 bis 44 Jahre alt 45 bis 59 Jahre alt 60 Jahre oder älter 64 %

58 %

44 %

Anteil der Befragten, die dem Megatrend zu mehr nachhaltigem Wirtschaften Bedeutung zumessen

Anteil der Befragten, die dem Megatrend zu mehr nachhaltigem Wirtschaften Bedeutung zumessen

Da dreht sich was

Sie entwickeln grünes Methanol oder bieten Kameras zum Ausleihen an: Jungunternehmer mit nachhaltigen Geschäftsideen begeistern nun auch Investoren – und das liegt nicht an deren Idealismus

VON CAROLYN BRAUN

I

Im Sommer werden die Büros geräumt. Endlich. Es ist einfach zu eng geworden in den zwei Etagen des schmucklosen ehemaligen Fabrikgebäudes an der Berliner SBahnTrasse von Ost nach West. Überall sitzen Menschen, plaudern oder tippen an improvisiert wirkenden Arbeitsinseln. Dazwischen Telefonzellen Marke Eigenbau, damit man wenigstens einigermaßen ungestört reden kann. Durch die offenen Fenster wehen die Melodien der Tanzschule von Detlev D. Soost – ja, genau: der aus der CastingShow Popstars – und mischen sich mit dem Rattern der Züge und dem Hupen der Autos. »Wir platzen aus allen Nähten«, sagt Michael Cassau, der nun für seine junge Firma namens Grover wenige Kilometer entfernt in der Bülowstraße eine neue Zentrale gefunden hat: »Mit 6000 Quadratmetern ist das zehnmal so groß wie die Räume hier«, sagt der Unternehmer.

Cassau, 37, schwarzer Kapuzenpulli und schwarze Basecap, kann eine dieser Geschichten erzählen, von denen BusinessSchoolAbsolventen und StartupInvestoren träumen. Eine Geschichte, die, wenn man sie genauer betrachtet, für einen grundlegenden Wandel in der Wirtschaft steht.

Cassau war 30 Jahre alt, als er Grover – damals noch »Byebuy« – im Jahr 2015 gründete. Seine Idee: eine Art Netflix für Technik. Das Unternehmen kauft Elektronikgeräte und vermietet sie über eine OnlinePlattform an seine AboKunden. Die zahlen dafür zwar nicht unbedingt weniger, als wenn sie die Smartphones, Tablets und Kameras selbst kaufen würden. Bei einer Laufzeit von zwei Jahren wäre der Mietpreis sogar in etwa gleich hoch wie der Kaufpreis. Der GroverVorteil liegt in der Flexibilität: Man mietet nur so lange, wie man das Gerät braucht, und hat zusätzlich immer Zugriff

Diese GoPro-Kamera hat Grover schon viele Male verliehen

auf die neueste Technik. Nach ein bis 24 Monaten geben die Kunden die Geräte zurück ans Unternehmen, Grover repariert viele von ihnen – derzeit sind es 1000 Reparaturen pro Monat – und verleiht sie erneut.

Die Idee scheint zu funktionieren. 2021 überstiegen Grovers Abo-Einnahmen Firmenangaben zufolge 109 Millionen Euro, 149.000 aktive Abonnenten waren registriert, und die Zahl der aktiven Mieten lag bei über 250.000 – nach 440.000 im Mai des Vorjahres, als der Corona-Lockdown dem Unternehmen einen massiven Schub gegeben hatte.

Wachstum überzeugt den Kapitalmarkt, im April sammelte Grover etwa 300 Millionen Euro von Investoren ein und verwandelte sich so zum »Einhorn« – also in ein Startup, das insgesamt von seinen Geldgebern mit mehr als einer Milliarde Euro bewertet wird. In Deutschland gibt es davon laut einem Report des Wagnisfinanzierers Atomico gerade einmal fünfzig. Wie viele Anteile die Investoren dafür an Grover übernommen haben, dazu schweigt die Firma.

Das Besondere an Grovers Erfolg: Was beim Unternehmen für Umsatz sorgt, ist gleichzeitig gut für die Umwelt. Je länger die iPhones oder GoPros funktionieren, desto mehr Miete kann das Start-up dafür kassieren. Eine längere Nutzungsdauer führt außerdem dazu, dass die Geräte zirkulieren, anstatt in Schubladen zu verstauben oder als Elektroschrott zu enden. Zwei Jahre nach der Gründung wurde Grover daher in den exklusiven Kreis der CE 100 eingeladen. Darin versammeln sich besonders vielversprechende Unternehmen der Kreislaufwirtschaft, CE steht für Circular Economy. Dabei geht es darum, Materialien und Produkte so lange wie möglich zu teilen, zu leasen, wiederzuverwenden, zu reparieren und zu recyceln. Und das fühlt sich nicht nur gut an, es schafft auch einen Wert, auf den viele Geldgeber neuerdings achten. Oder wie Cassau sagt: »Es gibt sehr viel mehr Investoren, die auch auf Nachhaltigkeit schauen, als vor sieben Jahren.«

Viele Green-Tech-Unternehmer gehören wie Cassau zur Generation Y, sind also zwischen 1980 und den späten 1990er-Jahren geboren. Im Klimawandel sehen sie häufiger eine besorgniserregende Herausforderung als ältere Unternehmer, igeln sich deshalb aber nicht ein, sondern bieten mit ihren Ideen dem Klimawandel und dem Umweltfrevel die Stirn. Das zeigt die große Mittelstandsstudie von ZEIT für Unternehmer und der Stiftung »In guter Gesellschaft«, für die das Analyse- und Beratungsunternehmen aserto rund 100 Unternehmerinnen und 300 Unternehmer ausführlich befragt hat (siehe auch Seite 24).

Der Umfrage zufolge wirtschaften Unternehmer zwischen 25 und 44 Jahren anders als solche ab 60: Sie legen häufiger mehr Wert auf Kollaboration im Unternehmen, vertrauen dabei häufiger auf Tools, die die Teamarbeit erleichtern, sowie auf agile Arbeitsmethoden. Doch nicht nur ihre innovativen Arbeitsmethoden verbinden sie. Vor allem sagen 60 Prozent der Jüngeren, dass sie mit ihrer Firma die Welt zu einem besseren Ort machen wollen, auch wenn sie damit auf Umsätze verzichten. Unter den Älteren liegt der Anteil nur bei 47 Prozent.

Aber ist das überhaupt noch ein Dilemma, vor dem Unternehmer mit nachhaltigen Ideen stehen?

Nicht aus Sicht von Investoren wie Energy Impact Partners oder Circularity Capital, die Grover mit ihrem Geld zum Unicorn gemacht haben. Das Start-up ist damit ein gutes Beispiel für sogenanntes Impact Investing, das Rendite und Weltrettung kombiniert. Und das liegt im Trend: Laut einer Studie der Bundesinitiative Impact Investing aus dem Jahr 2020 waren die vergangenen Jahre von einem »enormen dynamischen Wachstum, aber auch einer Diversifizierung des Marktes in allen Segmenten und Anlageklassen« geprägt. Allein von 2014 bis 2020 hätten Investoren ihren Kapitaleinsatz mit 884 Millionen Euro mehr als verzehnfacht, heißt es in der Untersuchung, die das Centrum für soziale Investitionen und Innovationen der Uni Heidelberg durchgeführt hat. Tim Schumacher, 45, ist einer jener Geldgeber, die ihr Engagement ausgeweitet haben. Früher tickte er anders. Im Jahr 2001 gründete er Sedo, einen Online-Handelsplatz für Internet-Domains, und verdiente mit dessen Börsengang 2009 viel Geld. Das steckt er seither in Jungunternehmen, und zwar zunehmend in nachhaltige Geschäfte wie die ökologische Suchmaschine Ecosia des Gründers Christian Kroll, 38. Wie Google verdient Ecosia sein Geld mit Werbung, finanziert damit aber Aufforstungsprojekte und dokumentiert das genau: Von 2,2 Millionen Euro Einnahmen flossen im März rund eine Million in Bäume. Gewinne sollen am Ende nicht übrig bleiben.

Vergangenes Jahr schließlich hat Schumacher mit drei Partnern den »World Fund« aufgelegt, der mit 350 Millionen Euro Kapital der größte Klimafonds Europas werden soll, die Hälfte hat er schon zusammen. Bewerber gibt es reichlich, 1500 hat der Fonds seit dem Herbst 2021 gezählt – geplant sind aber nur 30 bis 40 Investments.

Schumacher betont, dass es ihm nicht um Wohltätigkeit geht, sondern um das, was bei seinesgleichen Win-Win heißt: »Wir wissen, dass wir die Klimakrise nur bewältigen können, wenn wir den Anteil der Treibhausgase in der Atmosphäre schnell und signifikant reduzieren.« Dafür müsse die Wirtschaft dekarbonisiert werden. »Damit

steht ziemlich sicher fest, dass all die Startups und Technologien, die uns dazu verhelfen werden, zu den wertvollsten Unternehmen der nächsten Dekade gehören werden.«

Bisher gibt es fünf Unternehmen, denen die World-Fund-Analysten dieses Potenzial zutrauen. Zum Beispiel Juicy Marbles, das pflanzenbasierte Steaks erfunden hat und produziert. Und Freshflow, einen Anbieter einer Software für Lebensmittel-Frischware, die mithilfe künstlicher Intelligenz Nahrungsverschwendung abbauen soll.

Das klingt alles zukunftsweisend, doch es reicht nicht, um an Geld zu kommen. Einem Investment gehe eine harte Prüfung voraus, sagt Schumacher. Zum einen müssen alle Start-ups die Messlatte der vom World Fund gesetzten ESG-Kriterien erfüllen, also erst mal beweisen, dass sie zum Beispiel ressourcenschonend arbeiten und ihre Mitarbeiter gut behandeln, ihr Geschäft also nachhaltig betreiben.

Zum anderen geht es um den Impact, also darum, wie das Geschäft die Welt verbessern kann. In diesem Fall: durch Klimaschutz. »Den Impact messen wir auf kurze Sicht, also auf die ersten drei Jahre nach dem Investment, und langfristig auf das Jahr 2040 bezogen«, erläutert Schumacher.

Für beides habe der World Fund eine eigene Methode entwickelt. Den Ansatz, mit dem ins Jahr 2040 geblickt wird, haben die Manager CPP – Climate Performance Potential Assessment – getauft. Dabei haben sie gelernt: Um den Einfluss der Technologie auf den Markt und alle Beziehungen zu anderen Lösungen vorauszusehen, erst recht auf lange Sicht, bräuchte man eine Glaskugel. Die Wirkung auf die Biodiversität, den Zustand der Ozeane, die Gesellschaft lässt sich kaum im Detail ermessen.

Aber es gibt eine Größe, in der sich all diese Effekte spiegeln: die CO₂-Emissionen. Daher konzentriert sich der World Fund darauf, die »total avoidable emissions« zu kalkulieren: eine Kennzahl, anhand derer sich die Wirkung verschiedener Geschäftsideen vergleichen lässt. Die zentrale Frage, sagt Schumacher, sei: »Kann die Technologie, die das Start-up verwendet, dazu führen, dass wir damit ab 2040 mindestens 100 Megatonnen CO₂ pro Jahr einsparen?« Das sei gleichzeitig der zentrale Indikator für höchste finanzielle Rendite.

Die Chancen, die Schumacher erkennt, sehen immer mehr neue Wagnisfinanzierer wie Planet A Ventures in Hamburg oder Revent in Berlin. 2021 flossen elf Milliarden Euro in europäische Green-Tech-Gründungen – das sind zwar immer noch weniger als zehn Prozent der knapp 120 Milliarden für die Start-up-Szene insgesamt, aber es ist eine Verdoppelung gegenüber 2020. Climatechs seien bereits seit 2014 erfolgreicher als der Gesamtmarkt, hat der Finanzdienstleister Cambridge Associates ausgerechnet.

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Jamie Butterworth glaubt, dass das am Wettbewerbsvorteil der Kreislaufwirtschaft liegt. Er ist Gründungspartner bei der Private-Equity-Gesellschaft Circularity Capital, einem der Grover-Investoren. Und er ist ein geduldiger Mensch, denn diesen Vorteil und den Impact auszurechnen ist aufwendig. So aufwendig, dass die Berechnung in zwei Schüben stattfindet: Vor dem ersten Investment gibt es nur eine grundsätzliche Prüfung, bei der der Impact des Geschäftsmodells gegenüber den Wettbewerbern mit klassischen linearen Geschäftsmodellen definiert wird. Erst danach beginnt die Due Diligence, bei der diese Annahmen gemeinsam mit dem Start-up und externen Partnern validiert und quantifiziert werden. Nur wenn die Firmen diesen Test bestehen, wird Circularity Capital weiter investieren.

Bei Grover sah es so aus: 2018 arrangierte der Investor eine Finanzierungsrunde in Höhe von 37 Millionen Euro für das Unternehmen. Und 2021 legte er als Teil einer 60-Millionen-Euro-Runde nach.

Grovers große Finanzierungsrunde in diesem Jahr wurde dagegen von Energy Impact Partners angeführt, einem ImpactInvestor, der sich auf CO₂-Reduktion konzentriert. Nazo Moosa, dortige ManagingPartnerin und Aufsichtsrätin bei Grover, arbeitet seit zwei Jahrzehnten im Investmentgeschäft. Tatsächlich sei Impact Investment zu Beginn mit Philanthropie zu vergleichen gewesen, sagt sie: Man investiert aus Überzeugung, verdient aber nichts damit. Später hätten Impact-Investoren eine Zeit lang bestimmte Sektoren, die als schädlich angesehen wurden, vermieden. Inzwischen habe sich die Erkenntnis breitgemacht, dass sich damit tatsächlich Geld verdienen lasse.

Folgt man der Spur des Geldes von Energy Impact Partners, stößt man auf eine interessante Entdeckung: Das Kapital stammt von Konzernen, die aus strategischen Gründen nachhaltige Investments tätigen, etwa der US-Strom-und-Gas-Anbieter Duke Energy oder die französische Elektrizitätsgesellschaft EDF. Also Firmen, die Öko-Aktivisten durchaus kritisch sehen; EDF etwa betreibt 56 Atomreaktoren, die zwar kein CO₂ emittieren, aber von Naturschützern aufgrund ihrer radioaktiven Abfälle trotzdem sehr kritisch gesehen werden. Aber neue nationale und europäische Vorgaben schaffen auch für solche Firmen Anreize, nachhaltig zu investieren. Genau wie Pensionsfonds und Kleinanleger.

Ein kleiner Teil der neuen Mittel ist gerade bei C1 gelandet, dem neuesten Unterfangen von Christian Vollmann. Der 44-Jährige hat sich als Business-Angel an über 70 Gründungen beteiligt. Zu seinen

60 %

der 25- bis 44-jährigen Unternehmer würden auf Umsätze verzichten, um die Welt zu verbessern (ZEIT-Mittelstandsstudie)

eigenen Unternehmungen zählen das Dating-Portal eDarling oder die Video-Plattform MyVideo. Dabei handelt es sich um Ideen, die er mit dem Geld der umstrittenen Samwer-Brüder als Nachahmungen anderer Firmen (»Copycats«) startete und bei denen Nachhaltigkeit keine Rolle spielte.

Doch 2014 begann Vollmann umzudenken: Er gründete das soziale Netzwerk nebenan.de, zu dem die gemeinnützige nebenan.de-Stiftung gehört, die sich für nachbarschaftlichen Zusammenhalt einsetzt. Seither will Vollmann mehr tun, als nur schnöde Geld zu vermehren: »Einmal Impact-Gründer, immer Impact-Gründer«, sagt er. Seine Kinder hätten ihn zum Klimawandel so lange ausgefragt, bis er beschloss, für den Klimaschutz aktiv zu werden.

Die Idee von C1 ist, mit Hochleistungsrechnern – Quantencomputern – chemische Verfahren zu simulieren, die erneuerbare Rohstoffe und Energien verwenden. Das beschleunigt und vergünstigt die Entwicklung klimafreundlicher Methoden, weil nicht mehr eine Vielzahl von Verfahren im Labor ausprobiert werden muss, bevor das beste gefunden ist. Der erste chemische Prozess, den C1 nach eigenen Angaben so entwickelt und mit Wissenschaftlern zur Marktreife bringen will, ist ein Verfahren zur Herstellung von Methanol, das »deutlich effizienter und nachhaltiger« sein soll als andere Methoden. Ab 2024 soll dieses grüne Methanol in dezentralen Anlagen aus überschüssiger Biomasse, Altplastik oder Kohlendioxid und Wasserstoff produziert werden – und die Chemie-Industrie so unabhängiger machen von Öl, Gas und Kohle.

Der Plan passt also aus einer ganzen Reihe von Gründen in die Zeit – und hat schnell Fans gefunden: In einer Finanzierungsrunde haben Geldgeber fünf Millionen Euro in C1 investiert. Darunter ist – neben namhaften Industriemanagern wie dem ExBASF-Chef Jürgen Hambrecht und dem Siemens-Aufsichtsratsboss Jim Hagemann – der Hamburger Impact-Investor Planet A. Solche Geldgeber an Bord zu holen »wäre vor zehn Jahren nicht möglich gewesen«, sagt Vollmann, »da haben die deutschen Investoren ihr Geld noch am liebsten in Copycats gesteckt«. Ihm sei klar, dass die Idee von C1 ein »moonshot« sei, ein visionäres, bahnbrechendes Projekt also, dessen Erfolg alles andere als sicher ist. Dennoch hätten sich die Investoren darum gerissen.

Heute ist es sogar schon so, dass das Geld der Wagnisfinanzierer den Willen zur Nachhaltigkeit noch verstärken kann. Michael Cassau von Grover sagt, er habe den Aspekt der Nachhaltigkeit bei der Gründung nicht auf dem Schirm gehabt: »Ich habe einfach an die Geschäftsidee geglaubt.« Heute ist das anders. Cassau weiß inzwischen ziemlich genau, welchen Impact Grover erbringt: Eine ganze Abteilung trägt die Daten zusammen, mit denen er den Beitrag zur Weltrettung messen will. Auch weil die Investoren genau wissen wollen, was ihr Geld bewirkt.

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