ZP 113 – Der Mensch braucht Nachbarschaft

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113 Mai/Juni 2011 10.– CHF / 8.– €

Für intelligente Optimistinnen und konstruk tive Skeptiker

Der Mensch

braucht Nachbarschaft

Wo die Gesellschaft beginnt: in der Nachbarschaft S 6  Je schneller desto mehr S 13  Psychologie der Nachbarschaft S 16 Geldschöpfung: Die Wahrheit ist offiziell S 38 Grundeinkommen: Damit der Mensch Nein sagen kann S 42 Natur: Hier gibt’s was zu essen S 54   Durchs schweizerische Unterholz S 64


Impressum Zeitpunkt 113 Mai / Juni 2011 Erscheint zweimonatlich, 20. Jahrgang Verlag / Redaktion /  Aboverwaltung Zeitpunkt Werkhofstrasse 19 CH-4500 Solothurn Aboverwaltung: Hannah Willimann T 032 621 81 11, F 032 621 81 10 mail@zeitpunkt.ch, www.zeitpunkt.ch Postcheck-Konto: 45-1006-5 IBAN: 0900 0000 4500 1006 5 ISSN 1424-6171

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Vertrieb Deutschland Synergia Verlag und ­Mediengruppe Erbacher Strasse 107, 64287 Darmstadt T 06151 – 428910, info@synergia-verlag.de Redaktion Tom Hänsel (Gestaltung), Michael Huber MH, Magdalena Haab MAG, Christoph Pfluger CP (Leitung), Roland Rottenfußer RR, Mathias Stalder MS, Samanta Siegfried Sam, Dr. Peter Bosetti Ständige MitarbeiterInnen: Geni Hackmann GH, Sagita Lehner SL, Heinzpeter Studer, Alex von Roll AvR, Ernst Schmitter

Anzeigenberatung Mathias Stalder Zeitpunkt, Werkhofstrasse 19 CH-4500 Solothurn T 032 621 81 11, M 076 409 72 06 inserate@zeitpunkt.ch Abonnementspreise Der Abopreis wird von den Abonnentinnen und Abonnenten selbst bestimmt. Geschenkabos: Fr. 54.– (Schweiz), Fr. 68.– (Ausland), Einzelnummer: Fr. 10.– / Euro 6.50 Druck und Versand AVD Goldach, 9403 Goldach

Papier Rebello Recycling Herausgeber Christoph Pfluger Bildnachweis Titelbild: Tom Hänsel Beilagen Teilauflagen dieser Ausgabe liegen Prospekte bei vonWaschbär, Actares, Biketec, AfroPfingsten und Neustart Schweiz. Wir bitten um Beachtung.


Editorial

Leben statt Wohnen Liebe Leserinnen und Leser «Der Tote lag zwei Wochen unbemerkt in seiner Wohnung.» Wenn ich so eine Meldung lese, frage ich mich immer: Wo waren die Nachbarn? Sie waren wohl weg an der Arbeit, weg zum Einkauf, weg zur Erholung, weg in den Ferien. Und wenn sie mal da waren, waren sie irgendwie doch nicht da. Irgendwie selber ein bisschen tot… So tief sind unsere Nachbarschaften gesunken: Sie sind gerade noch gut genug zum Wohnen und taugen nur noch ausnahmsweise zum Leben. Die individuellen und sozialen Kosten sind enorm: Individualisierung, Zersiedelung, Verkehr, Ressourcenverschwendung – man mag es nicht mehr hören. Besonders bedenklich ist, dass Politik und Behörden, ja selbst die Umweltorganisationen das Problem nicht erkennen. Dabei ist das Potenzial lebendiger Nachbarschaften enorm. In deutschen ÖkoSiedlungen, das haben Wissenschaftler nachgerechnet, lebt es sich bestens mit 1500 Watt, einem Viertel des Energieverbrauchs eines Durchschnittsschweizers. Nachbarschaft braucht aber mehr als nur die Bereitschaft, mit den Menschen vor Ort ein gutes Leben zu gestalten. Um die Zerstörung unseres Lebensraums wenigstens teilweise rückgängig zu machen und die Wohnquartiere wieder zu organischen Nachbarschaften umzubauen, braucht es politischen Willen und ein bisschen Geld. Aber lange bevor die Mittel fliessen, braucht es Menschen, die die Vision teilen und weitertragen. Dazu möchte dieser Zeitpunkt einen Beitrag leisten. Nachbarschaft muss zum Politikum werden – und zuerst zu einer Herzensangelegenheit!

Der Mensch ist des Menschen Medizin. Aus Afrika

Wir bleiben dran und wünschen Ihnen viel Lesevergnügen und Anregung. Christoph Pfluger Herausgeber

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Inhalt

Schwerpunkt: 38 nachbarschaft Entscheiden & arbeiten

6 Wo die Gesellschaft beginnt:  in der Nachbarschaft! 13 Je schneller desto mehr

P.M.

Je schneller wir uns bewegen, desto stärker wirkt die Masse

Leopold Kohr 16 Psychologie der Nachbarschaft Im Mikrokosmos einer Hausgemeinschaft spiegelt sich der Makrokosmos Roland Rottenfußer 20 Die Kraft der Nachbarschaft Der Name ist gut gewählt: «KraftWerk1» in Zürich Alex von Roll 22 Geteilte Bescheidenheit, gemeinsamer Reichtum der Q-Hof in Bern Michael Huber 24 Kraft & Licht eine Insel in Basel Meta Morfos 26 Kein Platz für Kleinlichkeiten auf dem Wagenplatz in Freienstein Magdalena Haab 28 Hier gibt’s Nachbarschaft: ein paar bestechende Projekte kurz vorgestellt Magdalena Haab 29 Zwischen Himmel & Erde im Hotzenwald Sagita Lehner 30 Unter-Grundhof: grüne Insel in Emmen Michael Huber 31 Die grünste Nachbarschaft der Schweiz Sagita Lehner 32 Die Nachbarschaft beginnt im Haus und andere Kurznachrichten 34 Hier ist Neustart – wo bist Du? Christoph Pfluger 37 Nachbarschaft auf Wanderschaft

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38 Geldschöpfung: Die Wahrheit ist offiziell Auszug aus «Geld und Geldpolitik» 40 Vollgeldreform – die wichtigste Volksinitiative seit langem 42 «Damit der Mensch Nein sagen kann» 600 Menschen legten Mitte März an einem Kongress zum «Grundeinkommen» die Basis für eine Volksinitiative. Christoph Pfluger 46 Neue Partei «aus der Intteligenz des Herzens und andere Kurznachrichten 48 Der ehemalige zukünftige König Soll die Thronbesteigung von Prinz Charles verhindert werden? Roland Rottenfußer


Inhalt

50 Vollwertig Leben

64 Horizonte erweitern

52 Hier gibt’s was zu essen. Meret Bissegger geniesst, was andere bekämpfen: Unkraut. Michael Huber 52 Anti-Öko-Demo für Fleischkonsum und andere Kurznachrichten 56 Historisch: Mehr Sonnen- als Atomstrom 57 Wahre Werte 62 Diesen Film dürfte es eigentlich gar nicht geben «Der Sommer im Winter» Christoph Pfluger

64 Durchs schweizerische Unterholz Die Herzroute, der schönste Velowanderweg des Landes, erobert ein Stück Innerschweiz.    Paul Dominik Hasler 68 Das kreative Universum Evolution ist mehr als Daseinskampf und Wettbewerb. Roland Rottenfußer 72 Frankoskop: die Décroissance-Bewegung verschärft ihren Ton Ernst Schmitter 74 Verschwörungstherapie mit dem Zirkus Lollypop und andere Kurznachrichten 77 Agenda 78 K leinanzeigen 80 Leserbriefe 82 Brennende Bärte Geni Hackmann

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Nachbarschaft von P. M.

Wo die Gesellschaft beginnt:

in der Nachbar­schaft Endlich tun, was alle denken: Appelle und individuelle Verhaltensänderungen werden uns nicht aus den Krisen führen. Wenn wir einfacher leben wollen, müssen wir die Nachbarschaften zu sozialen und wirtschaftlichen Organismen ausbauen, in denen das ganze Leben stattfinden kann. Der Neustart ist möglich, nötig, und er macht sehr viel Spass.

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ir leben in einer paradoxen Zeit. Krisen in allen Bereichen – Peak Oil, Peak Soil, Peak Water, Peak Soul, Peak Growth – zeigen uns, dass es so nicht weiter gehen kann. Doch statt das Steuer herumzuwerfen, lautet die Reaktion: dann erst recht noch mehr vom Gleichen. Noch mehr Autos, noch mehr Überbauungen, noch mehr Wachstum, noch mehr Spekulation. Klar: die Rendite für unsere Pensionen brauchen wir jetzt, das Überleben des Planeten kommt später. Noch paradoxer ist es, dass all das fast allen bewusst ist: gemäss der ETH-Umweltumfrage von 2007 schätzen mehr als vier Fünftel (82 Prozent) der Schweizer Wohnbevölkerung «die Gefahr des Treibhauseffekts und der Klimaerwärmung für Mensch und Umwelt» als hoch ein – 1994 waren es erst 54 Prozent.1 Die Bereitschaft, den Lebensstandard zugunsten der Umwelt einzuschränken, ist relativ hoch: 64 Prozent waren 1994 bereit dazu, 68 Prozent im Jahr 2007. Laut einer BBC-Umfrage glauben nur noch 11 Prozent der Weltbevölkerung, dass der Kapitalismus gut funktioniert. In Frankreich, Mexiko und der Ukraine verlangen mehr als 40 Prozent, dass er durch etwas gänzlich anderes ersetzt werden sollte. Es gibt nur zwei Länder, wo mehr als ein Fünftel glauben, dass der Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Form gut funktioniert: die USA (25 Prozent) und Pakistan (21 Prozent). («Der Kapitalismus hat ein Image-Problem», in: Tages-Anzeiger, 11.10.2009)

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Der Glaube ist da, aber das Handeln fehlt Fast niemand glaubt mehr an die Zukunft dieses System – vielleicht sind jene 11 Prozent, die noch daran glauben, identisch mit den 10 Prozent der globalen Reichen, denen 85 Prozent des Weltvermögens gehören. Fast alle wissen, was zu tun ist, eine grosse Mehrheit ist sogar zu Einschränkungen bereit. Die Stadtzürcher Bevölkerung stimmte der 2 000 Watt-Gesellschaft (statt wie heute 6 000 oder 9 000 Watt) mit 76 Prozent Ja zu. Wer heute noch «Umweltbewusstsein» fördern will, rennt offene Türen ein.

Wer Opfer von verfehlten Infrastrukturen (Siedlungen, Versorgung, Verkehr) individuell bestraft, erzielt keine Lenkung, sondern höchstens Umgehungsund Rückzugsmanöver. Statt sich als Akteur zu fühlen, wird man zum Opfer. Und trotzdem fehlt das konsequente Handeln. Das liegt vor allem daran, dass die Handlungs-Strategien, die angeboten werden, sich selbst sabotieren. Zum einen ist da die individuelle Strategie Modell «ÖkoHeld», die uns mit allerlei individualisierten Schreckmümpfeli (wie Ecological Footprint) ein schlechtes Gewissen machen und uns dann als moderne Don Quixotes losschickt, um Elektroautos zu kaufen,


Nachbarschaft

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Gemüse auf dem Balkon anzupflanzen, in Hofläden zu posten (dafür braucht man dann das Elektroauto), Veganer zu werden, myclimate-Ablassbriefe zu kaufen usw. Die Selbst-Sabotage besteht hier darin, dass die Umweltbelastung schon lange nicht mehr individuell zugeordnet werden kann, weil unsere Leben eng verwoben sind, und die grössten Umweltbelastungen in einer kollektiven Infrastruktur angelegt sind (Autobahnen, Shoppingcenters, Schulen usw.). Individuelle Einschränkungen sind zudem in falscher Weise asketisch und verdecken, dass wir gar nicht verzichten müssen, sondern dass unsere Genüsse zum Vornherein pseudo-individualistisch verfälscht sind und vieles zugleich ökologischer sein und viel mehr Spass machen könnte. Diese geplante Frustration durch individuelle Verhaltensänderung führt dann eher zu einem Backlash, nicht zum Verzicht auf Mobiliät, sondern zur Abkapselung und zur Einsicht, dass es eben doch nicht geht. Man kauft sich lieber den neusten BMW und lässt die Katastrophe mal auf sich zukommen. Die zweite Loser-Strategie ergänzt sozusagen die erste: staatliche Regulierungen. Im Prinzip wird einem durch solche Strategien das Autofahren, das Wohnen, das Erwerben oder Entsorgen von Gütern gezielt verteuert. Wir werden also so gelenkt, dass wir uns aus eigenem Interesse umweltgerechter verhalten sollten. Diese Strategie ist erstens Die Frustration durch individuelle zynisch: wer genug verVerhaltensänderung führt nicht zum dient, kann sich UmweltVerzicht auf Mobiliät, sondern zur sünden leisten, wer ein Abkapselung und zur Einsicht, dass knappes Budget hat und ohnehin schon weniger es eben doch nicht geht. Man kauft verbraucht und weniger sich lieber den neusten BMW und Ausweichmöglichkeiten lässt die Katastrophe mal auf sich hat, wird kollektiv bezukommen. straft und wählt dann SVP. Zudem sind die meisten Regulierungen unwirksam, weil erzwungene Effizienz (bei Geräten, Autos) mit dem Rebound-Effekt bloss zu anderweitigem Mehrkonsum oder verfrühtem Neukauf (graue Energie statt rote) führt. Wer Opfer von verfehlten Infrastrukturen (Siedlungen, Versorgung, Verkehr) individuell bestraft, erzielt keine Lenkung, sondern höchstens Umgehungs- und Rückzugsmanöver. Statt sich als Akteur zu fühlen, wird man zum Opfer. Die Lust am eigenen Handeln wird einem durch anonyme, ungerechte und bürokratische Regulierungen genommen – eine Wirkung auf den CO2-Ausstoss war in den letzten Jahren denn auch kaum spürbar. Der einzige Weg: wir Die einzige Hoffnung, eine wirklich klimawirksame Umstellung unserer Lebensweise zu bewirken, be-

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steht gemäss Dennis Meadows (Gründer des Club of Rome) darin, Gemeinschaften mit «kultureller Solidarität» herzustellen. (Er glaubt, dass nur zwei Länder hier noch eine Chance haben: Japan und die Schweiz.) Harald Welzer sagt: «Ohne einen Fluchtpunkt der Wir-Identität, der in der Zukunft liegt, wird man kein neues kulturelles Projekt entwickeln können, das die Probleme und Krisen, die sich längst aufgetürmt haben, angehen, geschweige denn lösen könnte.» (Das Ende der Welt, wie wir sie kannten, 2010, S. 234) Die Gründe für diesen Wir-Weg leuchten ein: Wer etwas zusammen mit Menschen tut, mit denen er täglich Kontakt hat, hat dafür eine echte (durchaus egoistische) Motivation, weil er sicher sein kann, dass er etwas zurück bekommt, und weil er einen direkten Feedback im Alltagsleben selbst erhält. Die Belohnung ist im Handeln schon eingebaut, sie braucht keine äusseren Anreize über Preise oder Steuerabzüge. Es geht also darum. einen gesellschaftlichen Rahmen zu finden, der ökologisch effizient, sozial unterstützend, kommunikationstauglich, arbeitssparend, psychosozial ausgewogen und potentiell lustvoll ist. Nimmt man all diese Anforderungen zusammen, so kommt man auf Nachbarschaften von um die 500 (400-800) Personen aller Altersgruppen. Damit sind sie etwas grösser als informell funktionierende Gemeinschaften (maximal 150 Personen, gemäss Dunbar, Grooming, Gossip, and the Evolution of Language) dafür aber sozial nachhaltiger, flexibler und kühler, da sie formelle, basisdemokratische Strukturen erfordern und auch tragen. (Allzu grosse Intimität führt bald zu mafiaähnlichen Strukturen oder erfordert einen riesigen sozialpsychologischen Pflegeaufwand.) In einem gewissen Sinn bestehen Nachbarschaften schon in vielen Städten, weltweit. Sie müssten nur noch gesehen, wachgeküsst und umgebaut werden. Im Zuge der Automobilisierung und der dadurch verursachten Umsiedlung vieler Menschen sind sie allerdings arg zerzaust, ausgehöhlt und ihrer Infrastruktur beraubt worden. Die Stadt vom Land her neu erfinden Mit gesellschaftlicher und kultureller Aufwertung allein sind Nachbarschaften nicht machbar. Unser Vorschlag zielt daher darauf ab, die Reaktivierung der Nachbarschaft mit einem anderen kritischen, aber lebenswichtigen Sektor unserer Gesellschaft zu kombinieren: der Landwirtschaft. Gemeinschaft findet hie und da statt, Essen müssen wir immer. Nachbarschaften und Bauernhöfe sind heute zwei «lose Enden» unseres Systems, die beide unbefriedigend funktionieren. Bäuerinnen möchten gerne für Verbraucherinnen produzieren, die sie kennen und


Wo die Gesellschaft beginnt

Wie Vandana Shiva es in ihrem neusten Buch sagt, müssen wir die Städte aus der Perspektive des Landes, der Nahrungsmittelerzeugung her, neu erfinden.

von denen sie endlich Anerkennung für ihre Arbeit bekommen. Die Konsumentinnen möchten wissen, woher ihre Nahrungsmittel kommen und sie möchten von den niedrigeren Preisen profitieren, die ohne Zwischenhandel möglich werden. Dass dies nicht mehr bloss eine städtische, sondern eine nationale und globale Herausforderung ist, leuchtet sofort ein. Doch in den Städten kann ein Ausweg zumindest angebahnt werden. Dies ist graduell möglich, ohne bisherige Strukturen zu zerreissen. Wir können zudem an vielfältige Erfahrungen und bestehende Projekte anknüpfen. Eine 2 000 Watt-Gesellschaft2 ist ohne eine grundlegende Neukonzeption unserer Lebensmittelversorgung nicht zu erreichen. Die Nahrungsmittel verursachen gut 30 Prozent In einem gewissen Sinn bestehen unseres CO2-Ausstosses, Nachbarschaften schon. Sie müssten obwohl wir dafür nur 8 nur noch gesehen, wachgeküsst Prozent unseres Haushaltgelds ausgeben. Dabei und umgebaut werden. Die sind die Transportwege Automobilisierung hat sie zerzaust, (von und zu Supermärkausgehöhlt und ihrer Infrastruktur ten und Shoppingcenters) beraubt. nicht einmal inbegriffen. 50 Prozent der Nahrungsmittelkosten entfallen auf Transporte. Das bedeutet, dass die Nahrungsmittelversorgung keine Privatsache mehr sein kann, sie kann auf privater Basis nicht effizient umorganisiert werden. Die Nahrungsmittelversorgung wird genauso eine politische Aufgabe werden, wie es heute der Verkehr schon ist. Wenn wir diese Aufgabe ernst nehmen, dann wird das weitreichende Folgen für das Leben in den Städten haben.

Das Nachbarschaftszentrum ist der Ort der Begegnung, der Versorgung mit Alltagsgütern, gemeinsam genutzter Einrichtungen und der Sitz von kleinen Dienstleis­ tungsbetrieben.

Grundversorgung aus dem Umland Das Modell, das zugleich Nachbarschaften mit einem ernsthaften Mittelpunkt und die Schweizer Bäuerinnen mit einem zuverlässigen Abnahmesystem versorgen könnte, nennen wir Mikro-Agro. Es ist das denkbar einfachste: Eine Nachbarschaft von 500 Bewohnern braucht zur Versorgung mit den Grundnahrungsmitteln eine Landwirtschaftsfläche von ca. 80 bis 100 Hektar. Das heisst, ein grosser, in sich diversifizierter Landwirtschaftsbetrieb bringt seine Produkte in das Lebensmitteldepot der Nachbarschaft. Solche Betriebe gab es im Schweizer Mittelland immer schon und sie sind immer noch wirtschaftlich möglich. (In einer Distanz von 50 km befindet sich genug Kulturland um ca. drei Millionen Menschen ernähren zu können.) Auch wenn von der Transportlogistik her ein einziger Betrieb pro Nachbarschaft ideal wäre, können sich auch mehrere, möglichst benachbarte, Betriebe die Belieferung teilen. So können kleinere Betriebe überleben und jenseits von Migros oder Coop an verlässliche Abnehmer angebunden werden. Die rechtliche Form dieses Austauschs – Vertragslandwirtschaft, gemeinsame Genossenschaft, direkter Betrieb durch die Nachbarschaft – kann je nach Nachbarschaft variieren. Ein solches Lebensmitteldepot ist relativ gross und braucht eine technische Infrastruktur. Die Nahrungsmittelversorgung von 500 Personen generiert theoretisch einen Jahresumsatz von 1,8 Millionen Franken (300.–  ×  12  ×  500). Um diesen Umsatz bewältigen zu können, ist eine Ladenfläche von mindestens 400 m2 nötig (dazu kommen noch Lager- und Verarbeitungsflächen). Das sieht aus wie heute ein kleiner Supermarkt. Dazu kommen Kühlräume (für Milchprodukte, Fleisch). Gemäss einer deutschen Studie ist diese Form der Lebensmittellogistik (Regionalsupermarkt genannt) die ökologischste, viel besser als Hofläden, Wochenmärkte, Bioläden (vgl. Demmeler, 20003). Investitionen von mehreren hunderttausend Franken sind nötig. Dies sind jedoch ökologisch nachhaltige Investitionen, da damit ineffiziente Kleinanlagen in den Wohnungen durch die effizientesten grossen Modelle ersetzt werden können. Wenn an den Laden noch eine Grossküche angeschlossen wird (mit Restaurant / Bar / Café), dann wird die multifunktionale Ökobilanz noch einmal verbessert. Zugleich entsteht so ein NachbarschaftsMikrozentrum, in dem das soziale und kulturelle Leben angesiedelt werden kann. Die Erdgeschosse können sinnvoll für kleine Produktionsbetriebe genutzt werden, es entstehen Arbeitsplätze direkt

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Nachbarschaft

am Wohnort (die Grossverteilerarbeitsplätze wandern in die Nachbarschaften zurück). Es braucht den politischen Willen All das braucht Investitionen, die langfristig von den Nachbarschaftsbewohnerinnen selbst getragen werden können. Aber unmittelbar müsste die Öffentlichkeit einspringen und eine Anschubfinanzierung leisten. Sie müsste auch die Anfangsorganisation übernehmen, Beratung leisten, eine Plattform für den Stadt / Land-Kontakt schaffen usw. Obwohl diese Versorgungsstruktur sehr ökologisch ist, ist sie kommerziell so wenig tragfähig wie die verdrängten kleinen Läden es waren. Sie setzt (neben bezahlter professioneller Kernarbeit) ein gewisses Mass an freiwilliger Mitarbeit voraus, die organisiert werden muss. Wie viele Stunden das sein werden – 3 pro Monat, 3 pro Woche – hängt natürlich vom gewünschten Umfang der Dienstleistungen ab. Wo versucht wurde, Nachbarschaftsdienstleistungen rein kommerziell zu betreiben, ist dies an zu hohen Lohnkosten gescheitert (wie das Dienstleistungskonzept James in Albisrieden, Zürich). Insgesamt kann diese Mitarbeit als eingesparte Hausarbeit abgebucht und durch eine Senkung der Lebenskosten «entlöhnt» werden. Diese Mitarbeit ist jedoch zugleich der Motor der sozialen Synergie und der kulturellen Belebung der Nachbarschaft. Kommunikation entsteht am besten durch Zusammenarbeit. Für eine Reduktion der Erwerbsarbeit

(d.h. auch Lohnausfall) zugunsten einer erweiterten Hausarbeit gibt es durchaus Raum.4 Der Aufbau der Mikrozentren bedingt keine Änderung von Eigentumsverhältnissen: Mieter, Eigentümer, Genossenschaften oder die Stadt arbeiten in einem Verein oder in einer Genossenschaft zu diesem Zweck zusammen und profitieren davon. Ein Mikrozentrum bedeutet unmittelbar eine Aufwertung von Immobilien. Auf der Landseite entsteht komplementär ein Agrozentrum, wo der liefernde Bauer oder die Bäuerinnen ihre Produkte sammeln, aufbereiten, abpacken und gemeinsam abtransportieren können. Bei 500 KonsumentInnen fallen pro Tag theoretisch 900 kg an (1,8 kg × 500). Da in diesem Gewicht jedoch alle Nahrungsmittel eingeschlossen sind, wird auf die Versorgung durch das Agrozentrum nur etwa die Hälfte entfallen (der Rest kommt vom ergänzenden Supermarkt im Quartierzentrum oder von Spezialgeschäften). Wenn jeden zweiten Tag geliefert wird, wird für den ganzen Transport nicht mehr als ein Kleinlastwagen benötigt. Da nur drei Mal pro Woche geliefert werden muss, genügen halb so viele Kleinlastwagen wie eine Stadt Nachbarschaften hat (350 in Zürich, 170 in Basel). Grössere Lieferungen von lagerbaren Gütern (Kartoffeln) können auch per Bahn erfolgen. Das Agrozentrum entwickelt sich, ganz analog zum Mikrozentrum, zu einem sozialen und kulturellen

Stell dir vor… … du kommst nach einem anstrengenden Arbeitstag um halb sechs nach Hause. Du gehst die 100 Meter von der Tramstation und siehst schon die beleuchteten Fenster des Mikrozentrums. Du kommst an Peters Schreinerei vorbei und erkundigst dich bei Evas Werkstätte, ob das Velo schon repariert ist. Aber jetzt betrittst du die grosszügige Lounge, wo du in verschiedenen Ecken schon bekannte Gesichter beim Zeitungslesen, beim Schwatzen oder beim Billiardspielen entdeckst. Doch zuerst wendest du dich nach rechts, wo im Lebensmittellager das frische Gemüse von der Bäuerin Lea aus Rafz ausliegt. George hat Ravioli gemacht, es gibt die berühmten Quiches von Beatrice; frisch gebackene Baguettes (aus eigenem Getreide, selbst gemahlen) verströmen ihnen Duft im ganzen Gebäude. Das schwarze Brett des Bistros Ratatouille kündigt das Abendessen an: Älplermakronen «Ursula», Salat, eine spanische Gemüsesuppe. Aber du siehst dich zuerst noch etwas im Lebensmittellager um: vielleicht willst du ja auch selbst etwas kochen. Am Take-Away-Tresen gibt es asiatische Nudelgerichte, Pizza, einen Hackbraten, Kuchen... Aber da Ueli dir vorschlägt, doch zusammen im Bistro zu essen

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und die vom BewohnerInnenrat bewilligte PétanqueAnlage zu besprechen, kaufst du nur etwas Milch und Brot. Das Lager ist ja bis zehn Uhr offen – da kannst du immer noch spontan einen guten Montepulciano (von Girolamos Weingut in der Toscana) holen. Die Wäscherei hat deine Bett- und Frotteewäsche schon bereit. Carlo, der dort Dienst hat, gibt dir noch ein paar Tipps für deinen Waschdienst am nächsten Montag. Momentan kommt das Betriebskonzept für die Nachbarschaft Haselmaus mit vier Stunden Gratis­ arbeit pro Monat aus. Dazu gibt es noch vier bezahlte professionelle Stellen. Insgesamt geht der Mix auf: du sparst mehr Hausarbeit als die vier Stunden, die du beisteuern musst, und hast erst noch den Komfort eines Viersternhotels. Auch die Kosten stimmen: du kannst im Bistro für fünf Franken essen, du sparst dir das Einkaufen, und die Lebensmittel sind billiger als früher beim Grossverteiler. Zudem sind sie frischer, biologisch, und du kennst die Bäuerinnen von eigenen Landarbeitseinsätzen. An der Bar trinkst du noch ein Bier mit Toni und Barbara. Die neusten politischen Zumutungen werden besprochen, eine Versammlung für eine Initiative für

städtische Gratisvelos organisiert. Toni empfiehlt das mexikanisch angehauchte Restaurant der benachbarten Nachbarschaft Motta-Weg. Du beschliesst, morgen dort zu essen: mit der Nachbarschafts-ChipKarte kannst du in allen Nachbarschaften der Region essen gehen. Voranmeldung ist aber erwünscht. Aber nun gehst du endlich nach oben in deine helle, hübsche Dreizimmerwohnung, die du mit Olga teilst. Es gibt keine normierten grossen Einbauküchen mehr: du stellst dir deine Küche individuell aus dem Lager von Küchenelementen, das sich im ehemaligen Tiefparkhaus befindet, zusammen, die nötigen Anschlüsse sind natürlich in jeder Wohnung vorhanden. Früher hattest du einen grossen Kühlschrank und einen Herd mit vier Platten und Backofen. Aber da unten im Depot sowieso jederzeit alle Lebensmittel zur Verfügung stehen, seid ihr auf einen kleinen Notkühlschrank und einen Herd ohne Backofen umgestiegen. Da Haselmaus ein kleines Schwimmbad hat, haben die meisten Wohnungen nur noch eine Dusche und WC. Du entspannst dich auf dem Sofa, stellst Swiss Jazz ein und willst nun bis acht Uhr niemanden mehr sehen. P.M.


Wo die Gesellschaft beginnt

staurant/Bar/Mediathek, in Secondhanddepots usw. Zugleich geben solche sozialen Zentren auch neue Chancen für gewerbliche Kleinbetriebe aller Art, die sich daran anhängen können (die Kunden sind schon einmal vor Ort). Das Quartier gewinnt nicht nur 20 «Supermärkte», sondern 20 individuelle Treffpunkte, die nicht rein kommerziell sind. Die QuartierbewohnerInnen haben ein gemeinsames Thema: der Stand der landwirtschaftlichen Kulturen, das Wetter, die Gastronomie. Das Quartierzentrum wird darum belebter, weil nur der verbleibende Grossverteiler unentbehrliche Zusatzprodukte aus aller Welt (natürlich Fair Trade) anbietet, weil es dort spezielle Dienstleistungen, eine Filiale der staatlichen Dienste, einen Zigarrenladen, einen Theatersaal, eine Norceria, eine Apotheke, eine Konditorei, ein Gourmetlokal, ABC-Lernzentren usw. gibt. Es findet eine Re-Organ-isierung und Re-sozialisierung der Stadt statt.

Jede Nachbarschaft wird von einem «Agrozentrum» im Umland versorgt, kooperierende Landwirtschaftsbetriebe von ca, 100 ha. Im Agrozentrum kann man Ferien machen, mitarbeiten und Schulen können die Nahrungskette von Anfang an entdecken.

Zentrum: Ferien auf dem Bauernhof, ein Landgasthof, Angebote für Stadtkinder, Mitarbeitsmöglichkeiten, ein landwirtschaftliches Ausbildungs- und Medienzentrum usw. Die Agrozentren ersetzen bis zu einem gewissen Grad Ferienhäuschen und geben den Städtern direkten Zugang zur Natur, ohne diese mit Einfamilienhäuschen zerstören zu müssen.

Unerhörte Belebung Wie sieht nun ein Quartier aus, in dem es zehn bis dreissig Mikrozentren gibt? So alle 200 Meter wird es ein solches Zentrum geben, das natürlich allen QuartierbewohnerInnen, unabhängig davon in welcher Nachbarschaft sie wohnen, offen steht. Jedes Zentrum wird seine eigenen Spezialitäten und Qualitäten, seine eigenen Bezugsquellen (Weingut in der Toskana, Olivenöl aus der Mani, Yak-Wurst aus dem Prättigau) haben: der gegenseitige Besuch lohnt sich. (Ein NachbarschaftsbeEine Nachbarschaft im heutigen wohner muss ja überKontext ist keine verschworene haupt nicht nur in seiGemeinschaft, sondern eine nem Lebensmitteldepot Abmachung zu gewissen Themen. einkaufen.) Die Strassen Man braucht nicht 500 neue werden sich unerhört beleben – aber nicht mit FreundInnen, sondern nur seriöse, Verkehr, sondern mit gut organisierte, öko-soziale Menschen. Es wird vielVertragspartner. fältige Möglichkeiten für professionelle und freiwillige Arbeit geben, die zugleich interessant und notwendig ist: im Laden, in der Nahrungsmittelverarbeitung (Teigwaren, Joghurt, Take-Away), im Re-

«Oh Gott, ein Nachbar!» Der Umbau des heutigen schweizerischen Siedlungsbreis in 14 000 Nachbarschaften und 500 Basisgemeinden ist ein logisches und machbares Programm für eine wirkliche öko-soziale Wende. Das Problem ist nur: Wie werden aus anonymen Siedlungen Nachbarschaften? Viele Menschen haben zwar heute Sehnsucht nach Gemeinschaft, viele sind aber zugleich gebrannte Kinder und haben eher Ekelgefühle, wenn sie das Wort nur schon hören. Allzu viel Schlimmes schwingt mit: das Dorf, die patriarchalische Kontrolle, Zwangsgemeinschaften, die man in der Schule und in der Armee erfahren hat. Allein schaffen wir es nicht – gemeinsam haben wir (noch) keine Lust. Doch: Eine Nachbarschaft ist kein Dorf. Es ist eine urbane (75 Prozent der Schweizer Bevölkerung wohnt in Städten oder deren Agglomerationen), offene, flexible, professionell gemanagte Lebensweise, Kreuzungspunkt und Bezugspunkt zugleich. Die Privatsphäre in Wohnungen oder Zimmern ist heilig. Das ist eine Bedingung dafür, dass die Infrastruktur einer Nachbarschaft locker funktionieren kann. Wenn man sich treffen will, trifft man sich. Wenn man allein sein will, bleibt man allein. Es wird nicht leicht sein, die Menschen aus ihrem eingespielten Trott von Arbeit, Erholung und Rückzug heraus und in kooperative Unternehmen hinein zu locken. Eine Projektbegleitung von aussen ist für den Aufbau und Betrieb von Nachbarschaften ganz wesentlich. Nur so kann die Intimitätsbarriere überwunden und eine Überforderung und Frustrierung von wohlmeinenden PionierInnen vermieden werden. Nachbarschaften sind «heikle» Unterfangen. Sie brauchen Regeln und Toleranz, viel «Luft», ein professionelles Management.

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Nachbarschaft

Vielleicht beginnt es mit einem Gemüseabo Eine Nachbarschaft im heutigen Kontext ist keine verschworene Gemeinschaft, sondern eine Abmachung zu gewissen Themen. Hier ist die Grössenordnung eben wichtig: Man braucht nicht 500 neue FreundInnen, sondern nur seriöse, gut organisierte, öko-soziale Vertragspartner. Die Veränderung von Rahmenbedingungen durch eine ganze Palette von Programmen und Subventionen ist notwendig, damit aber die eigene Aktivität und die Fantasie der Menschen angeregt werden kann, braucht es auch konkrete Projekte, Modellnachbarschaften, welche die Zukunft vorwegnehmen, und in denen neue Strukturen, Verhaltensweisen und Technologien getestet und eingeübt werden Die Mitarbeit ist zugleich der können. Es braucht sowohl den systemischen Motor der sozialen Synergie und Push, als auch den exder kulturellen Belebung der emplarischen Pull. Nachbarschaft. Kommunikation Einerseits brauchen entsteht am besten durch wir also ModellnachbarZusammenarbeit. schaften (es gibt Dutzende von möglichen Arealen in der Schweiz), andererseits hunderte von kleinen, realen Ansätzen in den Nachbarschaften, wo wir schon wohnen. Das kann ein Gemüseabo für zwanzig Familien sein, ein gemeinsames Depot, vielleicht eine Bar oder ein kleiner Laden. Wir können Autos oder GAs teilen, ein Tauschlager für Kinderkleider, Bohrmaschinen, Kunstwerke usw. einrichten. All diese konkreten Projekte sind wichtig, aber sie werden erst nachhaltig als Vorstufen im grösseren Nachbarschaftsrahmen. Wir brauchen Unterstützung, Ermutigung, einen gesamtgesellschaftlichen Konsens, Einbettung in ein globales Projekt. Nachbarschaften sind wirklich wichtig. P.M. lebt als Schriftsteller und Publizist in Zürich. Er ist aktiver Urbanist, Mitinitiant von genossenschaftlichen Wohnprojekten (z.B. KraftWerk1) und Gewerkschafter. Zu seinen wichtisten Werken gehören «Weltgeist Superstar (1980), «bolo’bolo» (1983), «Die Schrecken des Jahres 1000» (1996), «Der

goldene Weg» und «Akiba, ein gnostischeer Roman» (2008). Zuletzt ist von ihm erschienen: «Neustart Schweiz – so geht es weiter» (Edition Zeitpunkt, 2. Aufl. 2010), das eine breit abgestützte Bewegung zur Revitalisierung der Nachbarschaften ausgelöst hat. Kontakt: Verein Neustart Schweiz, 8000 Zürich. www.neustartschweiz.ch

Anmerkungen: 1: www.socio.ethz.ch/news/Umweltsurvey2007_Kurzbericht.pdf 2: Eigentlich geht es um die 1 000-Watt-Gesellschaft, denn nur diese kommt mit einem CO2-Ausstoss von einer Tonne aus. Die 2 000-Watt-Gesellschaft ist eine willkürlich gemilderte Version, die nur erfunden wurde um die «Akzeptanz» zu verbessern. Der Begriff «2 000 Watt» ist eine Schweizer «Erfindung». Das Paul-Scherrer-Institut (PSI) und die Eidgenössisch Technische Hochschule (ETH) führten ihn 1998 ein, basierend auf der Erkenntnis, dass es zum Überleben und Weiterkommen in einem Land 1 000 Watt pro Person braucht. Mit dem Doppelten, also 2 000 Watt pro Person, müssen die Menschen in einem hoch entwickelten Land wie der Schweiz nicht auf Lebensqualität verzichten, so die Berechnung der Wissenschaftler. Watt bezeichnet genau genommen die Energieleistung. 2 000 Watt entsprechen jährlich 17 500 Kilowattstunden Verbrauch pro Person. Damit wird auch der CO2- Ausstoss auf 1 Tonne pro Person und Jahr reduziert und der Klimawandel eingedämmt. (Züri-Tipp, 24. Nov. 2010) 3: Demmeler, Martin, Ökobilanz eines Verbrauchers regionaler Bio-Lebensmittel, Bioring Allgäu, 2000 4: « Eine repräsentative Umfrage des Tages-Anzeigers hatte schon im Rezessionsjahr 1993 gezeigt, dass zwei Drittel der Vollbeschäftigten auf durchschnittlich zehn Prozent ihres Lohnes verzichten würden, wenn sie dafür weniger arbeiten müssten.» Gasche, 88

Raum zu leben – in Gemeinschaft und in guter Nachbarschaft

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www.maryon.ch


Nachbarschaft von Leopold Kohr

Je schneller desto mehr Je schneller wir uns bewegen, desto stärker wirkt die Masse der Menschen und desto grösser wird der Siedlungsdruck. Diese 40 Jahre alte, bahnbrechende Erkenntnis des österreichischen Philosophen und Nationalökonomen Leopold Kohr ist leider noch nicht in die Planungsbehörden vorgedrungen. Anstatt die Quartiere mit vollem Lebenswert auszustatten, werden die Fluchtwege laufend ausgebaut und dadurch die Probleme verschärft.

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roadus Mitchell, der eine Biographie über Alexander Hamilton verfasst hat und zu den bedeutendsten Wirtschaftshistorikern Amerikas gehört, erzählt die amüsante Geschichte von einem etwas irritierten Arzt, der in einem grossen Gebiet im Süden der Vereinigten Staaten bei der Geburt ungewöhnlich vieler unehelicher Kinder dabei war. Was den Arzt irritierte, war in erster Linie die Tatsache, dass alle Mütter als den Vater ihres Babys die gleiche Person angaben. Völlig von den Socken war er dann allerdings, als er dem Vater der Kinder zum ersten Mal begegnete und dieser sich als Mann von über achtzig Jahren erwies. «Wie um alles in der Welt haben Sie es angestellt, all diese Kinder zu zeugen?» fragte der Arzt. «Nun», antwortete der erstaunliche Achtziger mit altersgemäss krächzender Stimme, «ich gebe zu, ich hätte es nicht Womit sich die Planer befassen geschafft, wenn ich nicht müssen, ist nicht die Lokomotion ein Motorrad gehabt hät(Fortbewegung), sondern die te.» Mit anderen Worten: Motivation; sind nicht Fahrzeug- Die Geschwindigkeit der und Strassentypen, die Hans Müller modernen Verkehrsmitrasen lassen, sondern der Grund, tel erlaubte es dem alten Kerl, in einem beachtwarum Hans Müller rast – und lichen Gebiet zu leisten, dann müssen sie ihm diesen Grund was nur im Umkreis einer nehmen. Quadratmeile möglich

gewesen wäre, wenn er zu Fuss unterwegs gewesen wäre. Und innerhalb einer Quadratmeile hätte es natürlich nicht so viele Frauen für eine solche Zufallsmutterschaft gegeben. Doch die Geschwindigkeit, mit der man heute unterwegs ist, hat noch einen viel wichtigeren Effekt, als nur die Bevölkerung quantitativ zu vergrössern, indem man ihre Zahl vergrössert. Die eigentliche Sensation ist, dass die Geschwindigkeit die Bevölkerung auch qualitativ wachsen lässt, indem sie deren Masse vergrössert, so wie eine höhere Geschwindigkeit die Zahl der Atomteilchen erhöht oder eine schnellere Zirkulation die «Geldmenge» vergrössert, wie jedem Wirtschaftsstudenten beigebracht wird. Das erklärt, warum Theater zusätzlich zu den normalen Ausgängen auch über Notausgänge verfügen müssen – für den Fall, dass das Publikum in Panik gerät und schneller als normal hinaus möchte. Denn wie jeder Theaterbesitzer weiss, hat eine schnellere Menge den gleichen materiellen Effekt wie eine grössere Menge. Die Zahl der verfügbaren Ausgänge muss deshalb nicht der numerischen, sondern der effektiven (oder Geschwindigkeits-) Grösse des Publikums entsprechen; sie ergibt sich, wenn man die numerische Grösse mit der Geschwindigkeit multipliziert.

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Nachbarschaft

Was für Menschen in einem Theater zutrifft, gilt natürlich auch für Bevölkerungen, die sich im geschlossenen Raum von Städten oder Nationen bewegen. Je schneller sie sich aufgrund der modernen Verkehrsmittel, vom Motorrad bis zum Düsenflugzeug, bewegen, desto stärker nimmt ihre effektive Grösse zu. Abgesehen von ein paar wenigen Ausnahmen wie Indien ist das Problem der weltweiten Überbevölkerung weniger wegen der übermässigen Zahl an Menschen so beunruhigend, sondern wegen der übermässigen Geschwindigkeit, mit der sie sich bewegen. Angesichts dessen besteht eine Möglichkeit, des Problems Herr zu werden, darin, ähnlich wie im Theater eine Art «Notraum» zu schaffen, um die Phasen zu überstehen, in denen sich die Menschen schneller als gewöhnlich bewegen, wie dies in jeder Stadt zu den Stosszeiten der Fall ist. Das tun Planer ohnehin, indem sie ständig neue Strassen bauen und die alten verbreitern. Das Problem dabei ist nur: Anders als im feststehenden Raum des Theaters lindert die Einrichtung zusätzlichen «Notraums» innerhalb der dehnbaren Grenzen einer Stadt nichts an der Überfüllung; in Wirklichkeit verstärkt sie diese sogar noch, denn sie ermutigt die Bevölkerung, sich über die «Stadtmauern» hinaus in immer grössere Gebiete auszubreiten. Doch je weiter sich eine zusammengehörende Bevölkerung Statt die zentralen Behörden einer ausbreitet, desto grösser wird die Entfernung, die Stadtregion über die verschiedenen sie zurücklegen muss, Bezirke zu verstreuen, gilt es, die um ihren täglichen VerStadtteile wieder zu autonomen, richtungen nachzukomeigenständigen Gemeinwesen zu men. Und je schneller sie machen, in denen der Bürger alles, sich bewegt, desto stärwas er fürs tägliche Leben braucht, ker nimmt ihre effektive (oder Geschwindigkeits-) an Örtlichkeiten findet, die zentral, Grösse zu. aber klein und in der Nähe sind. Im Falle einer Stadt Die Antwort ist deshalb keine von der Grösse San Dezentralisierung im eigentlichen Franciscos, Bristols oder Sinne, sondern eine Zentralisierung San Juans in Puerto Rico im kleinen Massstab. bedeutet das, dass eine numerische Bevölkerung von – sagen wir – 600 000 Menschen zu einer effektiven Bevölkerung von vielleicht 2 000 000 Menschen aufgebläht wird, während ihr Netzwerk an Notstrassen bestenfalls für 1 000 000 Menschen ausgelegt ist. Und diese Kluft lässt sich niemals schliessen. Denn jedes Mal, wenn in einem arithmetischen Verhältnis neue Strassen hinzukommen, steigt die effektive oder geschwindigkeitsbedingte Bevölkerung einer Stadt genau deshalb in geometrischem Verhältnis an. Aus diesem Grund erreichte der 1948 eröffnete New Jer-

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sey Turnpike die für das Jahr 1975 prognostizierte Verkehrsdichte bereits eine Woche nach seiner Eröffnung; und deshalb hatte, zur Überraschung von Inspektor Martin West vom Strassenverkehrsdezernat der Polizei von Surrey, die durch seinen Distrikt führende Autobahn M 25 schon in den 1980er Jahren «eine Verkehrslast zu bewältigen, wie sie erst für die 1990er Jahre prognostiziert worden war». «Das Verkehrsaufkommen verursacht Chaos» nicht trotz, sondern wegen der neuen Autobahnen. Damit bleibt als die einzig praktikable Lösung nur die zweite Methode, mit der die Theater der massenvergrössernden Wirkung der Geschwindigkeit zu begegnen versuchen, wenn sie ihr Publikum dazu ermahnen: «Im Falle eines Brandes gehen, nicht rennen.» Denn ebenso wie erhöhte Geschwindigkeit den Druck und die Masse einer Menschenmenge erhöht, verringert eine reduzierte Geschwindigkeit Druck und Masse. Doch wie jeder Theaterbesitzer ebenfalls weiss, lässt sich die effektive oder geschwindigkeitsbedingte Grösse eines Publikums nicht reduzieren, indem man es vor den verheerenden Folgen des Rennens warnt, sondern einzig und allein, indem man ihm den Anlass nimmt, überhaupt zu rennen – das heisst, indem man sicherstellt, dass es zu keinem Brand kommt. Die wahre Antwort auf das Problem, das durch die vergrössernde Wirkung beschleunigten Schrittes entsteht, besteht somit weniger in Notausgängen, sondern in einer feuersicheren Struktur. Gleiches gilt für die Antwort auf unsere urbanen und nationalen Probleme (…). Deshalb müssen unsere Planer für eine Situation sorgen, die den Menschen nicht die Mittel für eine Fortbewegung mit hoher Geschwindigkeit nimmt, sondern das Motiv, das sie dazu zwingt, sich überhaupt immer schneller zu bewegen. Oder anders ausgedrückt: Womit sie sich befassen müssen, ist nicht die Lokomotion (Fortbewegung), sondern die Motivation; sind nicht Fahrzeug- und Strassentypen, die Hans Müller rasen lassen, sondern der Grund, warum Hans Müller rast – und dann müssen sie ihm diesen Grund nehmen. (…) Auf kommunaler Ebene lässt sich das erreichen durch ein hohes Mass an städtischer Dezentralisierung oder, wie man es besser nennen sollte, an multizentrischer Umgestaltung. Das bedeutet: Statt die zentralen Behörden einer Stadtregion über die verschiedenen Bezirke zu verstreuen, gilt es, die Stadtteile wieder zu autonomen, eigenständigen Gemeinwesen zu machen, in denen der Bürger alles, was er fürs tägliche Leben braucht, an Örtlichkeiten findet, die zentral, aber klein und in der Nähe sind. Die Antwort ist deshalb keine Dezentralisierung im eigentlichen Sinne, sondern eine Zentralisierung im kleinen Massstab.


Je schneller desto mehr

Das ist die einzige Möglichkeit, wie sich der steigende Verkehrsdruck unserer motorisierten geschwindigkeitsbedingten Überbevölkerung reduzieren lässt, ohne dass man zu handfesteren Methoden Zuflucht nehmen muss: nicht indem man zentrale Einrichtungen regionalisiert, sondern indem man die Regionen zentralisiert und ihnen zu diesem Zweck ein hohes Mass an Autonomie gewährt; und in den Städten, nicht indem man Die einzige Möglichkeit ist, jedes die Slums suburbanisiert, Quartier in eine kleine, alle Schichten sondern indem man die umfassende Stadt zu verwandeln, die Vorstädte urbanisiert; über eine so spezifische Identität, nicht indem man die Viertel der Armen in Viertel eine so gesellige Eigenständigkeit für Yuppies verwandelt, und einen ästhetischen Charme die beide 15 Meilen entverfügt, dass kaum jemand sie fernt arbeiten, sondern verlassen muss oder will. indem man jedes Quartier in eine kleine, alle Schichten umfassende Stadt verwandelt, die über eine so spezifische Identität, eine so gesellige Eigenständigkeit und einen ästhetischen Charme verfügt, dass kaum jemand sie verlassen muss oder will. Vor dem Ende des 20. Jahrhunderts, wenn das schreckliche Gespenst der numerischen Überbevöl-

kerung umgehen wird, ist das alles, was man braucht, um die geschwindigkeitsbedingte Überbevölkerung von Städten bis zu zwei Millionen auf eine zu bewältigende Grössenordnung von 600 000 zurückzufahren. Und warum nicht, wie im Falle Londons, den überwiegenden Teil am Ende des Jahrhunderts in eine Föderation von Dörfern verwandeln, wie es der fröhliche Anarchist William Morris für die britische Hauptstadt vorgeschlagen hat? Oder die Stadt abschreiben. Der vorliegende, leicht gekürzte Aufsatz erschien unter dem Titel «Velocity Population» erstmals 1973 in der Tageszeitung «El Mundo» in Puerto Rico, wo Leopold Kohr als Professor für Nationalökonomie lehrte. Der Text wurde allen MitarbeiterInnen der puertoricanischen Planungsbehörden als Pflichtlektüre verordnet und hat bis heute nichts von seiner Aktualität verloren.   Auf deutsch ist «geschwindig­ keits­bedingte Bevölkerung» in der Sammlung «Probleme der Stadt – Gedanken zur Stadt- und Verkehrsplanung» von Leopold Kohr erschienen (Otto Müller Verlag,

2008. 162 S. Geb. Fr. 27.–  Auf Leopold Kohr, den grossen Philosophen der kleinen Dimension und Lehrer von E.F. Schumacher («Small is beautiful») weisen wir immer gerne hin. Was er in seinem Hauptwerk «The Breakdown of Nations» in den 50er Jahren geschrieben hat, können wir heute am Kontrollverlust der Grossmächte erkennen.

If you think you are too small to make a difference, try to sleep in a closed room with a mosquito... African proverb

Kurse im Kloster Kappel Timeout für Frauen – Bei Kräften bleiben. In der Balance, beruflich und privat. 28.–29.5. Margret Surdmann Heilend berühren. Die Kraft unserer Hände. 4.–5.6. Roswita und Ernst Timm Feld-, Wald- und Wiesenspiritualität. Heilende Erfahrungen in der Natur. 24.–26.6. Sabina Poulsen Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang. Die vier Tageszeiten in Bild und Musik. 24.–26.6. Johannes Stückelberger, Eva Stückelberger Heilende Einkehr. Fünf Tage zum Auftanken. 12.–17.7. Matthias A. Weiss, Vreni Schaer Ich lebe alleine – ich lebe gut!? Für Frauen ohne Partner auf der Suche nach Sinn. 15.–17.7. Claudia Epprecht Zen-Sommerwoche im Kloster. 7.–12.8. Hans-Peter Dür Fasten und der Weg des Schweigens. Kappeler Fasten­ wwoche. 20.–27.2. Ruth Schmocker, Susanna Marti Von der Dunkelheit zum Licht. Ein praxisnaher Workshop. 5.–7.3. Gion Chresta Kloster Kappel, Kappelerhof 5, 8926 Kappel a.A., 044 764 88 30, sekretariat.kurse@klosterkappel.ch. www.kursekappel.ch

www.scich.org Mit dem Service Civil International weltweit an sozialen, friedensfördernden oder ökologischen Einsätzen teilnehmen. Zeitpunkt 113

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Nachbarschaft von Roland Rottenfußer

Psychologie der Nachbarschaft Im Mikrokosmos einer Hausgemeinschaft spiegelt sich der Makrokosmos wider. Die Lösungen, die wir für Nachbarschaftskonflikte finden, sind auch geeignet, die Probleme der Welt zu lösen. Es wäre bitter nötig. Denn sowohl global als auch im Wohnumfeld werden wir enger zusammen­rücken müssen.

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ie konnte man auf seine Nachbarn so leicht verzichten wie heute. Und nie war konstruktive Nachbarschaft zugleich so wichtig wie jetzt. Jonas Lieb braucht keine Nachbarn. Er wohnt zurückgezogen in einem anonymen Wohnblock mit 70 Parteien. Sein Tor zur Welt ist sein PC. Jonas, wohnhaft in Bayern, chattet mit Norddeutschen, bildet mit Engländern und Südkoreanern im Online-Rollenspiel «World of Warcraft» eine Gilde. Freunde sind Personen, die auf Facebook als solche bezeichnet werden, die wenigsten kennt er persönlich. Nachbarn sind Leute, die man nur dann bemerkt, wenn sie wegen des versäumten Treppen-Putzdienstes nerven. In den Industrieländern, vor allem in den Städten, herrscht eine Kultur der Wahlverwandtschaft. Nachbarschaft bedeutet Nähe, die man sich nicht ausgesucht hat. Durch die Wahl des Stadtviertels – edel, alternativ oder preisgünstig – kann man höchstens vorselektieren. Freunde sucht man sich ohnehin anderswo. Frühere Zentren nachbarschaftlicher Begegnung verlieren an Bindekraft: der gemeinsame Kirchgang, das Tanzfest auf dem Dorfacker, Trachtenund Schützenverein, das Dorfwirtshaus, in dem man Schulfreunde wieder traf. Wer sich um die Freundschaft einer Nachbarin bemüht, konkurriert heute mit der ganzen Welt um ihre Aufmerksamkeit.

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Die moderne Bauweise begünstigt das Nebeneinander-her-leben, vor allem in Hochhäusern und Wohnblöcken. Als Einzelner, Paar oder Familie ist man einsam und fühlt sich zugleich durch die Nähe der anderen unterschwellig beklommen. Hat man Erfahrung mit Nörglern gemacht, lebt man ständig im Hinblick auf mögliche nachbarschaftliche Ermahnungen. Die Überlastung mit unerwünschten menschlichen Begegnungen, z.B. auf dem Gang, macht manche erst recht verschlossen. Jonas Lieb ist manchmal froh, das Treppenhaus ohne «Feindkontakte» durchqueren zu können. Ruht er sich dagegen in einem Ferienhaus auf dem Land aus, machen ihm zufällige Begegnungen mit Nachbarn Spass. An und für sich ist enges Zusammenleben, etwa in Hochhäusern, vernünftig. Durch Nutzung der dritten Dimension wird das Land nicht zersiedelt. Zusammenrücken ist ökologisch sinnvoll, es geht weniger Heizwärme verloren. Das, was viele Menschen angeht, kann gemeinschaftlich gelöst werden: Heizung, Müll­ entsorgung, Dachreparatur. Mit Nachbarn befreundet zu sein, spart Fahrt- und Telefonkosten. Es könnte


Psychologie der Nachbarschaft

so schön sein, aber wo gemeinsame Interessen sind, besteht Kompromissbedarf. Und wo Kompromisse nötig sind, liegt auch Konfliktpotenzial. Nachbarschaft bedeutet, Fremden auf beunruhigende Weise ausgeliefert zu sein. Auch wenn zurückgezogene Menschen wie Jonas Lieb diese Tatsache nicht wahrhaben wollen. «Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt», schrieb Schiller im «Wilhelm Tell». Und darüber, wer fromm ist und wer böse, gehen die Meinungen natürlich auseinander. Es ist immer der andere. Störenfried oder Kontrollfreak, zu unintelligent oder zu hochnäsig, Ausländer oder patriotischer Spiesser – selten kann man seine «Nächsten» lieben wie man sollte. Eine der schönsten Geschichten über Nachbarschaft hat Gerhard Polt in einem Sketch verarbeitet. Ein neuer Mieter hat sich angekündigt: Ausländer. Die deutschen Nachbarn versammeln sich auf der Zusammenrücken ist ökologisch Treppe. Sie befürchten sinnvoll. Es könnte so schön Knoblauchgeruch und sein, aber wo gemeinsame «permanentes Gedudel». Interessen sind, besteht Und die Ausländer sind ja auch so kinderfreundKompromissbedarf. Und wo lich, Geschrei unerzogener Kompromisse nötig sind, liegt Bälge ist vorprogrammiert. auch Konfliktpotenzial. Da muss man doch was tun, bevor es zu spät ist! Die Nachbarn lassen eine Unterschriftenliste rum gehen. Sie protestieren bei der Hausverwaltung gegen den neuen Mieter. Plötzlich kommt dieser, dunkelhaarig und sehr gepflegt, die Treppe rauf. Er stellt sich höflich vor und bemerkt nebenbei, dass er das Haus gekauft hätte. Gleich lassen die Nachbarn die Unterschriftenliste verschwinden und begrüssen ihn mit schleimiger Freundlichkeit. Die Zuschauer freuen sich, dass der Sketch Fremdenfeindlichkeit entlarvt; aber jeder kennt Personengruppen, die er nicht so gern nebenan hätte. Jeder Nachbar ein Gleichgesinnter – diesen Traum träumten schon viele. Er fand Ausdruck in verschiedenen Kommunenprojekten bis hin zu Reichenghettos (Gated Communities). Negativbeispiel ist Rashneeshpuram, die Bhagwan-Kommune

in Oregon, USA. Dort wurde von Anfang an eine strenge Trennung zwischen Sannyasin und der «Normalbevölkerung» inszeniert. Von beiden Seiten gab es grosse Vorurteile und Anfeindungen. Die BhagwanAnhänger versuchten die Bevölkerungsmehrheit im Landkreis zu bilden und so die Politik zu dominieren. Die «Uneingeweihten» draussen zahlten es ihnen mit Sabotage und juristischen Angriffen heim. 1983 explodierte in einem von Sannyasin betriebenen Hotel eine Bombe. Danach wurde die Kommune zunehmend zur Kaserne für spirituell Befreite. Eigene bewaffnete Ordnungskräfte patrouillierten, das Regime regierte nach innen zunehmend autoritär. Telefone wurden angezapft, Abweichler in den eigenen Reihen isoliert und diskriminiert. Dieses abschreckende Beispiel zeigt, wie der Traum von einer homogenen Zone der Rechtgläubigen zum Alptraum wird. Kommunarden wie Ureinwohner scheiterten an der Aufgabe, eine verträgliche Nachbarschaft unter Verschiedenen zu schaffen. Interessanterweise stellt sich dieselbe Aufgabe auch für die globale Weltgemeinschaft. Viele Probleme der «grossen Welt» finden sich auch in der Nachbarschaft wieder. Der Makrokosmos spiegelt sich im Mikrokosmos. Hierzu ein paar Beispiele: Staat und Individuum: Die Hausverwaltung bildet in vielen Wohnkomplexen eine Art Staat im Staat. Sie wird ja von den Hauseigentümern eingesetzt und den Mietern bezahlt, hätte somit eine dienende Funktion. Mancherorts gebärdet sie sich jedoch als Obrigkeit. Im Extremfall wird der Hausmeister zum gefürchteten Kontrolleur und Vorgesetzten in immer mehr Alltagsfragen. Bittet man ihn um einen Gefallen, hat er keine Zeit oder ist nicht zuständig. Dafür erwartet er beim Hinweis auf kleinste Ordnungsverstösse Gehorsam. Widerstrebenden wird rasch mit Sanktionen gedroht, bis zur Ausweisung aus der Hausgemeinschaft. Gleichzeitig erhöht die Hausverwaltung jedes Jahr die Gebühren. Die Mieter bezahlen somit ihren eigenen angemassten Vormund. Natürlich ist nicht jede Hausverwaltung so schlimm, viele machen gute Arbeit. Schlimm ist aber, wenn ein Staat, etwa der deutsche, einer solchen anmassenden Hausverwaltung immer ähnlicher wird. Rebellion ist also vielfach nötig – im Kleinen wie im Grossen.

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Nachbarschaft

Regelverletzter und Regelhüter: Der Psychologe Volker Linneweber untersuchte nachbarschaftliches Verhalten in 200 Fällen. «Zentraler Punkt» in allen Streitfällen ist nach Linneweber die «Verletzung von Konventionen, Erwartungen, Normen und Regeln». Klagen über böse Nachbarn kann man in zwei Gruppen gliedern: Die einen beschweren sich über die Übertretung bestehender Regeln – Lärm nach 22 Uhr, Schuhschränke im Treppenhaus. Die anderen fühlen sich durch nörgelnde, spiessige Nachbarn kontrolliert. «Neid auf die sozialen Aktivitäten» der Nachbarn sei oft der Auslöser von Beschwerden über Lärm, sagt der Psychologe. Mehr als an den Geräuschen «leiden viele daran, dass die anderen ihren Spass haben und sie selber nicht». Ich selbst gehöre als Nachbar eher zu den (sanften) Regelverletzern. Bei Bohrarbeiten in einer früheren Wohnung stand auf einmal das Nachbarpaar vor der Tür und beschwerte sich. Ich war sprachlos. Eben diese Nachbarn waren gerade eingezogen und hatten über Wochen für Dauerbeschallung gesorgt. Diesen Einwand liessen die beiden aber nicht gelten. Ich hätte in der Mittagszeit zwischen 12 und 15 Uhr gebohrt, sie dagegen hätten sich stets an die erlaubten Zeiten gehalten. Ihr wichtigstes Argument: «Wozu haben wir eine Hausordnung?» Konflikte zwischen Gesetz und Bürgern, zwischen der Ordnungs- und der Freiheitsfraktion gibt es in Nachbarschaften ebenso wie in der grossen Politik. Sinnvoll ist immer das rechte Augenmass. In unserem Wohnblock werden viele gemeinsame Angelegenheiten basisdemokratisch geregelt. Seit jeher hängt im Hausflur jedoch eine vergilbte Hausordnung mit teils rigiden Vorschriften. So solle man das Herumstehen auf dem Hausflur unterlassen. Hier wurden vor Urzeiten Regeln erfunden – von Menschen, die selbst nicht mehr mit diesen Regeln leben müssen. Auch das Mehrheitsprinzip bei Abstimmungen hat seine Tücken. So wurde mit knapper Mehrheit ein Verbot ausgesprochen, auf den Grünflächen Fussball zu spie-

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len. Die Hauptbetroffenen, die Kinder, durften aber nicht mitentscheiden. Nicht berücksichtigt wurde das Grundrecht der Kinder, Kind zu sein – also manchmal auch laut. Manchmal sehe ich Kinder direkt unter dem Schild «Fussballspielen verboten» spielen. Ich freue mich jedes Mal über die anarchische Kraft des Lebens, die da durchbricht. Grenzstreitigkeiten: In Deutschland enden pro Jahr eine halbe Million Nachbarkeitsstreits vor Gericht. Ganz vorn bei den Streitgründen: Territorialkonflikte. Ein Baum ragt ins Gebiet des Nachbarn hinein – muss der jetzt das Laub entsorgen? Eine Hecke nimmt dem Nachbargrundstück die Sonne. Und wie ist es mit Wurzeln, die in unterirdischer Wühlarbeit in den Garten des anderen eindringen? In «Romeo und Julia auf dem Dorfe», einer Novelle von Gottfried Keller, streiten die Bauern Manz und Marti um einen brach liegenden Acker zwischen ihren Grundstücken. Bei jedem Pflügen vergrössert Marti sein Territorium um eine zusätzliche Furche. Als Manz den Acker kauft, verlangt er das durch schiefes Pflügen abgezwickte Gelände zurück. «Und von diesem Tage an lagen die zwei Bauern im Prozess miteinander und ruhten nicht, ehe sie beide zugrunde gerichtet waren.» Auch bei modernen Kleingartenbesitzern gibt es «Invasoren» wie «Verteidiger». Die günstigste Lösung ist noch immer: Flächen gemeinschaftlich nutzen und Grenzen nicht so eng sehen. Das ist keine Utopie. Zwischen unserem Gärtchen, den Gärten der beiden Nachbarn und dem Fussweg für die Allgemeinheit gibt es derzeit keine Zäune. «Dein» und «mein» wird locker gehandhabt. Man hat das Gefühl, dass die Blumen der Nachbarn auch die eigenen sind, da die Bereiche ineinander übergehen. Ein Modell auch für Staaten. Seit Europas Grenzen offen sind, gibt es auch keine «unerlaubten Grenzübertritte» mehr. Die Grenze erschafft erst die Übertretung, und die Regel erschafft die Regelwidrigkeit. Gemeinschaftsaufgaben: Es ist ein Argument, das oft gegen den Kommunismus ins Feld geführt wurde: Für Gemeinschaftseigentum sorgt der Mensch nicht so gut wie für Privateigentum. Aufgaben, die von allen für alle erledigt werden müssen, werden gern


Psychologie der Nachbarschaft

vernachlässigt. Jeder hofft, dass der jeweils andere schon seine Pflicht tun wird. Im oberen Stockwerk unseres Mietshauses herrscht derzeit folgende groteske Situation: Ein Nachbar war mit dem Putzen der Treppe säumig. Die Partei gegenüber weigerte sich daraufhin auch zu putzen. Sie sieht nicht ein, warum sie das allein machen soll. Im Moment putzt also niemand. In meinem Stockwerk läuft es dagegen rund. Ich tue das Meine und kümmere mich nicht darum, ob die Nachbarn ihre Dienste erledigen. Auch in der Gesellschaft als Ganzes sind wir versucht, Gemeinschaftliches nicht so wichtig zu nehmen wie Privates. Dies kann zu einer Abwärtsspirale, zu «ansteckender Sozialblindheit» führen. Hilfe und Belästigung: In Deutschland ist Nachbarschaftshilfe eher im kleinen Rahmen verbreitet. Ein hilfsbereiter Exnachbar öffnete meine Tür mit einer Kreditkarte, als ich den Schlüssel nicht dabei hatte. Auch gegenseitiges Blumengiessen ist üblich. Sonst lebt jeder für sich allein. In den USA findet man teilweise umfassendere Formen von Nachbarschaftshilfe. Zieht jemand neu ein, stellt sich die ganze Hausgemeinschaft freundlich vor, bringt Begrüssungsgeschenke und bietet Hilfe beim Umzug an. So kann es passieren, dass man schnell und mühelos eingerichtet ist. Die Schattenseite: Man ist den betreffenden Nachbarn zu Dank verpflichtet und kann ihnen künftige Bitten kaum abschlagen. Zieht eine neue Im Zeitalter der Globalisierung Partei ein, muss man fühlt sich der Einzelne oft machtlos. unweigerlich «ran». Den Alptraum ameIn der Nachbarschaft «ist er wer». rikanischer NachSeine Stimme zählt – und sei es als barschaft hat Roman Querulant, als Freizeitpolizist oder Polanski in «Rosemary’s Hobbyrevoluzzer. Baby» karikiert: Minnie und Roman, das freundliche, ältere Ehepaar, ergreift Zug um Zug von Rosemarys Leben Besitz. Bis sich herausstellt: Sie sind Abgesandte Satans. Hintergrund ist Polanskis Kindheitserfahrung mit der Bespitzelung in der Nazi-Zeit. Auch in grossen Staatsgebilden stellt sich die Frage, wie viel Eigenverantwortung nötig ist und wie weit wir Verantwortung füreinander übernehmen sollten.

Eine eindeutige Antwort darauf gibt es nicht. Zu viel Hilfe kann als Belästigung und Entmündigung wahrgenommen werden. Eine Gesellschaft ohne gegenseitige Hilfe ist dagegen unmenschlich. «Nachbarschaftsstreit ist oft eher eine Sache der Psychologie als der Rechtssprechung», sagt Kai Warnecke vom Bund der Berliner Haus- und Grundbesitzer. Aber welche Psychodynamik ist wirksam? Der Sozialpädagoge Lothar Draht meint: «Gerade bei Dauernörglern ist die Hausgemeinschaft vielleicht der einzige Ort, wo sie noch etwas zu sagen haben.» Das trifft einen wichtigen Punkt. Im Zeitalter der Globalisierung, eingesponnen in die Sachzwänge grosser Staatsgebilde, fühlt sich der Einzelne oft machtlos. In der Nachbarschaft «ist er wer». Seine Stimme zählt – und sei es als Querulant, als Freizeitpolizist oder Hobbyrevoluzzer. Lothar Draht empfiehlt deshalb, den Nachbarn etwas von der ersehnten Anerkennung zu geben, schon bevor sie sich «wichtig machen». Positiv gesehen, ist die Nachbarschaft ein Übungsfeld für Problemlösungen, die auch in der Gesellschaft als Ganzes brauchbar sind. Aus dem bisher Gesagten lassen sich einige Empfehlungen ableiten. Wird es uns gelingen, mit solchen typischen Konfliktfeldern umzugehen, oder scheitern wir? Diese Frage wird in naher Zukunft immer wichtiger werden. Hohe Energiepreise und die Rücksicht auf das Klima werden uns zwingen, unsere Mobilität einzuschränken. Wenn wir nicht schon vorher freiwillig unsere Reiselust eindämmen. Unser unmittelbares Lebensumfeld wird damit wieder mehr ins Blickfeld rücken: Welche Versorgungsfragen können wir hier lösen, welche sozialen Bedürfnisse vor Ort befriedigen? Ein konstruktives Zusammenleben ist nicht nur nötig, es ist auch machbar, Herr Nachbar.

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Nachbarschaft von Alex von Roll (Text und Bilder)

Die Kraft der Nachbarschaft Der Name ist gut gewählt: Im europaweit einzigartigen Nachbarschaftsprojekt «KraftWerk1» in Zürich steckt viel soziale und innovative Kraft. Und nach zehn Jahren kann man sagen: Es funktioniert.

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hlaad Piwnik, ein Zeitpunkt-Leser, dem wir schon manchen Tipp verdanken, nimmt uns gerne auf einen Spaziergang durch die Siedlung KraftWerk1 in Zürich West mit seinen 80 Wohnungen und einem Bürohaus mit hundert Arbeitsplätzen. Er war schon in der Planungsphase in den 90er Jahren dabei und wohnt mit seiner Partnerin seit 2002 hier, zusammen mit 190 Erwachsenen und 45 Kindern. Wir beginnen mit einem Drink in der Pantoffelbar im Erdgeschoss. Sie ist unbedient, wir bezahlen, was wir aus dem Kühlschrank nehmen und setzen uns draussen in die Frühlingssonne. Dort treffen wir auf Susanna Gruber. Die Mutter von zwei Kindern ist an einigen KraftWerk-Projekten beteiligt. Unter anderem organisiert sie den sozialen Event im KraftWerk-Jahr, den Entrümpelungstag. Am Morgen wir im grossen Flohmarkt getauscht, was nicht mehr gebraucht wird, am Nachmittag wird auf der anderen Hausseite entsorgt, was keine neue Besitzerin gefunden hat. Susanna war auch schon für die Kindergruppe zuständig, zur Zeit will sie die Diskussion um die Zwischennutzung des benachbarte Hardturm-Areal ankurbeln – eine richtige Kraftwerkerin. Beim Rundgang wundere ich mich über die Fensterschlitze, die vom Treppenhaus aus in jede Wohnung blicken lassen – meist ins Entrée oder die Küche. Auch wenn mehr als die Hälfte mit kleinen Vorhängen blickdicht gemacht wurden, zeigen die Fenster: Hier wohnt man nicht allein in einer Wohnung, sondern zusammen in der Siedlung. Die Wohnung ist der geschützte Rückzugsraum, das soziale Leben findet in der Nachbarschaft statt, und dazu bietet das KraftWerk viel Infrastruktur: eine Bar, ein Restaurant. Gemeinschaftsräume, Gästezimmer und ein «Konsumdepot». Der Name verrät den Ideengeber, den Autor P.M., der ebenfalls im Haus wohnt, in den 70er Jahren in der Zürcher Hausbesetzer-Szene aktiv war und mit seinen Büchern «bolo bolo» und «Neustart Schweiz» die Idee der lebendigen Nachbarschaft für Urbanisten und Alternative gleichermassen hoffähig machte. Das Konsumdepot im KraftWerk hat jeweils von 18.00 bis 20.00 Uhr geöffnet, wird im Turnus von Freiwilligen betreut und führt ein «basisdemokratisches» Grundsortiment des Alltagsbedarfs, meist in Bio-Qua-

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lität, einiges vom Landwirtschaftsprojekt «ortoloco» in der Nähe. Das Geschäft läuft: Acht Kunden aus dem KraftWerk und der Umgebung müssen um halb sieben bedient werden; im Durchschnitt kaufen sie für rund 25 Franken ein. Einige bezahlen bar, andere lassen sich den Einkauf von ihrem Guthaben abziehen. Seit das Sortiment gestrafft wurde, schreibt das Depot eine schwarze Null – trotz Gratisarbeit erstaunlich für einen kleinen Quartierladen mit derart kurzen Öffnungszeiten. Roland hat sich für die Arbeit im Konsumdepot gemeldet, weil er auch etwas für die Gemeinschaft tun will und man an diesem Treffpunkt ihren Puls fühlt. Er wohnt mit seiner Partnerin zusammen und schätzt es, an einem Ort zu leben, wo man sich kennt und auch etwas zusammen zu tun hat. Die Musiklehrerin Maya, die von Roland an diesem Abend in die Geheimnisse des Depots und seiner elektronischen Kasse eingeführt wird, wohnt mit ihrem Freund in einer Neuner-WG, die insgesamt drei Etagen belegt. So hat jeder trotz WG genügend Freiraum. Die grösste KraftWerk-WG zählt vierzehn Personen und hat ein Wohnzimmer so gross wie eine kleine Turnhalle. Für die WGs wurde übrigens extra ein neuer Mietvertrag entwickelt. Das erfahren wir von Hans Rupp, der im Herbst Greenpeace verlassen hat, um Geschäftsführer der Genossenschaft KraftWerk zu werden. Die WGs bilden rechtlich jeweils einen Verein, der die Wohnung von der Genossenschaft mietet. So muss bei neuen BewohnerInnen nicht immer ein neuer Vertrag abgeschlossen werden. Die WGs sind denn auch fast der einzige Bereich, in dem es Fluktuationen gibt. Frei werdende Zimmer müssen nie ausgeschrieben werden, sondern wechseln die Hand unter den Bewohnern. Wohnen in einer echten Nachbarschaft spart Platz: Kraftwerkerinnen und Kraftwerker kommen mit rund 15 Prozent weniger Wohnraum aus als der durchschnittliche Zürcher, mit 36 statt 42 Quadratmetern. Für 100 Quadratmeter bezahlen sie rund 1 900 Franken Monatsmiete sowie einen einmaligen Genossenschaftsanteil von 15 000 Franken auf 35 Quadratmeter, der bei Auszug wieder rückerstattet wird. In der Miete inbegriffen sind die Nebenkosten und ein einkommensabhängiges «Spiritgeld» von 10 bis 100 Franken, mit dem Projekte der


KraftWerk1

1) Man trifft sich: Ahlaad Piwnik im Gespräch mit Susanna Gruber (stehend)   2) Er arbeitet im Projektentwicklungsteam für die grösste Nachbarschaft der Schweiz: der Architekt ­Andreas Hofer.  3) Die lockere Stimmung zieht an: Nach Feierabend kommen Angestellte aus der Umgebung auf ein Bier ins Kraftwerk.   4) Das Geschäft im Haus: Hans Rupp, Geschäftsführer der Genossenschaft KraftWerk 1 (links) versorgt sich im Konsumdepot bei Roland Hunziker und Maya Rieger.

BewohnerInnen finanziert und bei Bedarf Mieten verbilligt werden. Hans ist nur zu einem kleinen Teil mit der Verwaltung von KraftWerk 1 beschäftigt. Viel zu tun geben die neuen Projekte, KraftWerk2 für rund 70 Bewohner in Zürich Höngg, das Ende Jahr fertig wird, mit zwei neuartigen «Cluster-WGs» und das wesentlich grössere KraftWerk4 auf dem Zwicky-Areal, dessen Realisation anfangs März beschlossen wurde und das 2014 bezugsbereit sein wird. «Wir bauen die Rohform eines neuen städtischen Quartiers», heisst es dazu in einer Broschüre. Es soll, trotz Neubauten innen und aussen relativ flexibel bleiben und die Initiativen der Bewohner widerspiegeln. Ein paar Minuten später begegnen wir durch Zufall dem Projektleiter dieses beispielhaften, 75 Millionen Franken teuren Vorhabens, dem Architekten Andreas Hofer. Andreas, der sich seit drei Jahrzehnten beruflich mit Stadtplanung und dem Quartierleben befasst, klärt mich im Schnellverfahren auf: «Nachbarschaft ist ein theoretisches Konstrukt. Wir bemühen uns immer um Infrastruktur. Aber eine Nachbarschaft ist nicht primär eine physische Grösse, sondern das Produkt der Menschen, die dort leben.» Zeit für Widerspruch ist nicht vorhanden, zumal wir am Schluss ohnehin der gleichen Meinung wären, nämlich dass Nachbarschaften Orte der Begegnung und der Aktivität brauchen und dass es ohne ein bisschen Infrastruktur nicht geht. Im Gegensatz zu den meisten Genossenschaften verfügt das KraftWerk über ein eigenes Bürohaus – wohnen und arbeiten gehören schliesslich zusammen. Von den 100 Leuten, die hier arbeiten, wohnen jedoch nur fünf am Ort. Ahlaad ist einer von ihnen, der zusammen mit seiner Partnerin Mallika Geier den «Raum für Bewusst Sein» führt und dort Yoga, Meditation, Körperarbeit und Seminare anbietet. Er schätzt den kurzen Arbeitsweg von wenigen Gehminuten enorm, was ihm ein harmonisch fliessendes Gleichgewicht von Arbeit, privater Aktivität und Freizeit ermöglicht. Das Gleichgewicht von Individualität und Gemeinschaft, von Nähe und Distanz scheint mir im KraftWerk ziemlich gelungen. Mir fehlt allerdings ein Garten, und auch die Ablenkung durch die vielen interessanten Menschen würde mich wohl überfordern. Wie nahe kommt das KraftWerk einer idealen Nachbarschaft? Gerade, als sich diese Frage bemerkbar macht, taucht P.M. auf, gewissermassen der Chefideologe der Nachbarschaftsbewegung. Zeit für eine Antwort hat er allerdings nicht; er ist unterwegs zu einer Sitzung der Arbeitsgruppe «Nachbarschaft» von Neustart Schweiz. Dort wird an vielen idealen Nachbarschaften gearbeitet. Kontakt: Bau- und Wohngenossenschaft KraftWerk1 Hardturmstr. 269, 8005 Zürich. Tel. 044 440 29 81. www.kraftwerk1.ch

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Nachbarschaft

von Michael Huber

Geteilte Bescheidenheit, gemeinsamer Reichtum Der Berner Q-Hof ist ein Ort der Individualisten und gleichzeitig eine warmherzige Nachbarschaft. Sein Geheimnis: Die Nachbarinnen definieren Einzigartigkeit nicht über teure Uhren und schnelle Autos, sondern über ihre Lebensphilosophie.

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offnungsvoll blicken die indigenen Bauern ihrer Zukunft entgegen, zuvorderst ein Knabe, der seine Hand nach dem Wohlstand ausstreckt. Mit Gabeln und Hacken, mit den eigenen Händen, haben sie den Kaffee angebaut, auf dessen Verpackung sie nun mit einem Bild geehrt werden. Das Bild täuscht. Die Indios bauen nicht ihre Zukunft an, sondern die der Kolonialherren; der Knabe streckt seine Hand nicht nach dem Wohlstand aus, sondern nach einer Banane – der einzigen, die für die Bauern übrig bleibt. Ihre Kaffeetasse ist leer. Dieses monumentale Wandbild bedeckt die Westfassade des Quartierhofs, kurz Q-Hof, in der Berner Lorraine. Gemalt haben es Colby Blumer und Marc Rudin. Rudin, ein Grafiker, lebte in den 70er-Jahren selbst im Q-Hof, bevor er wegen militanten antiimperialistischen Aktionen inhaftiert wurde. Das Bild prangt nicht zufällig hier; es zeigt das Interesse der Bewohner an der

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Welt, an der Politik, an den Unterdrückten. Auch wenn sich nicht alle international engagieren, so zumindest in der Nachbarschaft. Die Lorraine ist das Quartier in Bern, dessen Bewohner sich am heftigsten und längsten gegen die Immobilienspekulation gewehrt haben und nicht nur geografisch nahe beim alternativen Kulturzentrum Reitschule liegt. Die Prinzessin «Der Q-Hof ist wie eine Familie», erklärt Vera, noch bevor ich meine erste Frage gestellt habe. «Ja hör doch auf!», entgegnet Marc. Willkommen im Q-Hof. Es ist ein Gespräch im Innenhof, wie man es an lauen Sommerabenden häufig belauschen könnte. Vera ist eine 78-jährige Dame, die ab und zu ihre «Knochen sortieren muss», sonst aber quicklebendig ist. Unbeirrbar in ihrer Meinung, könnte sie es mit jedem polternden Stadtpolitiker aufnehmen; er im piekfeinen Anzug, sie im blauen Bademantel. Sie


Nachbarschaft

ist trotz finanzieller Schwierigkeiten die ewige Prinzessin, die alle gerne feiern und die sich gerne feiern lässt. Ihr Gegenüber ist Marc, Vater zweier Kinder und Fagottist von Beruf. «Wenn wir eine Familie sind», nimmt er den Faden auf, «dann eine ohne Zwänge. Wir sind keine abgeschottete Gesellschaft, keine Insel.» Bodil, die mit ihrem kleinen Sohn hier wohnt, ergänzt: «Im Q-Hof ist es einfach, Kontakt miteinander aufzunehmen.» Als möchten sie einen Tatbeweis erbringen, haben sich im Innenhof mittlerweile junge Männer zum spontanen Pingpong versammelt. «Aber ich kann mich auch zurückziehen, ohne dass jemand misstrauisch wird.» One Man, one Room «Die Menschen hier haben schon immer nahe beieinander gelebt», erinnert sich Vera, die bereits seit 1957 im Q-Hof wohnt und den Wandel miterlebt hat. Wo heute rund 45 Leute wohnen, wirtschafteten früher drei Metzgereien, eine Bäckerei, ein Krämerladen, ein Schreiner, ein Holzschnitzer und ein Bordell. In den 1980ern sollte der Q-Hof zugunsten profitabler Bauten abgerissen werden. Natürlich wehrten sich seine Bewohnerinnen: Tagsüber errichtete die Post, damalige Besitzerin, Profile auf dem Grundstück, nachts räumten die Nachbarn sie wieder weg und legten sie auf den stark befahrenen Nordring. Nach einem langen Hin und Her, Demos, Festen, politischen Vorstössen und der Gründung einer Wohnbaugenossenschaft erhielten die Bewohner 1996 das Baurecht. «Nun mussten wir ausbügeln, was hundert Jahre lang vernachlässigt worden war.» Beim Umbau musste jeder Genossenschafter hundert Stunden Arbeit leisten oder Ersatz bezahlen. Sie vereinbarten, dass jede Person nicht mehr als eineinhalb Zimmer bewohnen dürfe. «Ich hatte drei», sagt Vera, und setzt die Unschuldsmiene eines Mädchens auf, das sie bereits damals längst nicht mehr gewesen

war: «Ich wehrte mich mit Händen und Füssen, bis sie mich in Ruhe liessen.» Weil sie des Treppensteigens müde geworden war, ist mittlerweile auch Vera in eine kleinere Wohnung im Parterre gezogen. Das Heinzelmännchen Jedes Haus hat nur eine Dusche, dafür steht im Hof eine Jurten-Sauna. In Marcs dunkler Wohnung ist fast alles im selben Raum – Küche, Bett, Schreibtisch und Klavier. Sein «halbes Zimmer» beansprucht ein Kajütenbett für die Kinder. Ansonsten prägen vor allem bunte Buchrücken das Bild der Wohnung. «Es waren noch mehr, aber die meisten habe ich mit einem Nachbarn auf den Estrich verfrachtet», sagt er und erzählt eine wundersame Geschichte der Nachbarschaftshilfe: «Nachdem die Bücher alle oben waren, hinterliessen wir auf dem Estrich ein riesiges Durcheinander. Doch als ich das nächste Mal hinaufstieg, stand da ein neues Regal und alles war geordnet.» Sein hilfsbereiter Nachbar ist nicht das einzige Heinzelmännchen im Q-Hof. Vera zum Beispiel bekommt finanzielle Unterstützung, und einer an Multipler Sklerose leidenden Nachbarin helfen zwei Leute bei der Wäsche und beim Einkauf. Marc schätzt die Offenheit des Q-Hofs. «Irgendwann nervt mich bei der Arbeit das Gerede über die Musik.» Die unterschiedlichsten Nachbarn öffnen ihm die Türen zu anderen Welten. «Verglichen mit dem früheren WG-Knatsch geht es hier sehr harmonisch zu und her.» Die Leute trachten eher nach Weisheit und Lebenslust als nach Materiellem. «Wenn du nach materiellem Reichtum strebst, lebst du ohnehin nicht lange hier. Wir pflegen einen philosophischen Individualismus.» Im Q-Hof leben Rentnerinnen, Studenten, Säuglinge, Mütter, Väter, Teenager, Anzugträger, Migrantinnen und Lebenskünstler. Die Vielfalt ist kein Herd des Konflikts sondern eine Quelle der Erholung. Die geteilte Bescheidenheit verbindet – und schafft Platz für geistigen Reichtum.

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Nachbarschaft von Meta Morfos

kraft & licht Die Dauerbaustelle am Voltaplatz ist nicht das Ende der Welt. Dahinter verbirgt sich, nah an der französischen Grenze eine Nachbarschaft, die sich erfolgreich gegen die Kommerzialisierung des Quartiers wehrt. Die letzten Gallier des einfachen Lebens.

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wischen Novartis-Campus, dem Coop-Verteilzentrum und dem Voltaplatz befindet sich eine kleine Perle, die in dieser feindlich wirkenden Umgebung wie ein Paradies wirkt. Die Licht- und die Kraftstrasse. Stimmige Namen.

Früher dachte ich, der Voltaplatz sei das Ende von Basel. Immer wenn ich dort zufällig vorbei kam, wurde tonnenweise Erde bewegt. Entweder für den Bau der Dreirosenbrücke, die Erweiterung der Nordtangente oder neue Gebäude des Campus. Auch heute brummt und schraubt es an dieser ewigen Baustelle. Doch heute stört mich das wenig: ich will zu Claudia. Zwischen Voltaplatz und der Kraftstrasse liegt wie ein Schall- und Stossdämpfer die fast zwei Fussballfelder grosse Voltamatte. Kinder tollen umher, Sonnenbader schwitzen und Grüppchen treffen sich zum reden und bräteln. Im hinteren Teil der grossen Wiese liegt versteckt unter Bäumen ein Robinsonspielplatz. In der Kraftstrasse angekommen muss ich schmunzeln: Auch der hektische Auto-Lenker muss sich der Zeit dieser Insel anpassen – er kann fuchteln wie er will, die noch feuchten Transparente werden ohne Eile behutsam auf den Gehweg verlegt. «Wasserstrasse bleibt», «Finger weg» und ähnliches lese ich da. Nora, mein Interesse bemerkend, erklärt mit dem Farbroller schlenkernd, ein befreundetes Wohnprojekt auf der anderen Seite des Voltaplatzes sei vom Abriss bedroht und brauche Unterstützung. Gerne würde ich helfen, aber ich habe abgemacht... … und werde auch schon erwartet, auf einer BalkonIdylle und mit feinen selbstgebackenen AprikosenKüsschen. Claudia ist eine Art Sekretärin des «Licht- & Kraftstrassen-Vereins», deshalb bin ich hier. «Euer Verein kauft Häuser, damit sie Novartis nicht bekommt?», frage ich. Links: Ungleiche Gegner: «Campus vs Kraft und Licht Rechts: ganz normaler Freitag Nachmittag im Quartier

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Kraftstrasse

Claudia lacht: «Nein, soviel Geld haben wir leider nicht» … aber es stimmt schon, der Verein hat überall dort den Finger drauf, wo es um Einschränkungen der Bewohner geht, «gegen alles, was unsere Idylle bedroht.». Alle zwei Jahre organisiert der Verein das «Licht- & Kraftstrassen-Fest» – offenbar das älteste Strassenfest Basels. Alle Nachbarn helfen nach ihren Möglichkeiten freiwillig mit. Der Erlös wird für politische Aktionen und das nächste Fest verwandt. «Politische Aktionen? …» hake ich nach. Ursprünglich waren es die Pläne von Novartis, die die Kraft- und die Lichtstrasse zusammenbrachte und organisierte. Inzwischen ist auch die Stadt mit ihren Aufwertungsplänen nach oben auf der Traktandenliste gerückt. «Wir wollen hier einfach wohnen» sagt sie, dazu brauche es kein hippes Trendquartier. Nicht nur die gemeinsamen Feinde, die hungrige Novartis und die satten Aufwertungen bringen die BewohnerInnen der Kraftstrasse zusammen, auch die Quartierbeiz «zum alten Zoll» ist der Ort, wo sich die Menschen gegenseitig den Puls abnehmen. Dort trifft man immer jemandem, mit dem einen irgendeine Geschichte verbindet oder eine neue entstehen kann. Auf dem Balkon erklärt mir Claudia die Strasse: Die «Nachbarschaft Kraftstrasse» ist eine gewachsene, erfahre ich. Zuerst wurde die Hausnummer fünf von von einer Genossenschaft bezogen. Dann wurden die Sieben und die Neun von Kaufgemeinschaften erworben. Weiter hinten hat es noch einmal eine Genossenschaft und eine Kaufgemeinschaft. Dank der günstigen Mieten breiten sich auch ehemalige BesetzerInnen Wohnung um Wohnung aus. Im Hinterhof gibt es einen Schlosser, der glücklicherweise um Schlag fünf den Hammer

fallen lässt, eine Ateliergemeinschaft und andere Handwerker. «Ja, es braucht dieses Miteinander von Wohnen und Arbeiten» – etwas anderes kann sich Claudia nicht vorstellen. Aber auch die günstigen Mieten helfen, dass sich «vernünftige Leute» in diese Gegend verirren … «und wer einmal da ist, mag gar nicht mehr weg.» … Auch Helmut, der Grünfink, der ihr Körner aus der Hand stibitzt, wohnt seit Jahren hier. Ein paar Sonnenstrahlen später, nach vielem Hinund Her – was denn eine Nachbarschaft ausmacht, was dazu getan werden muss, und wie schön es ist, in einer solchen zu wohnen – und einem letzten leckeren Aprikosenküsschen mache ich mich auf den Heimweg. In der Strasse herrscht friedliche Ruhe. Das Gewusel und die Transpis haben sich verzogen, wohl in Richtung «Wasserstrasse». Auf der Voltamatte, wo es über die Spielplatzhecke jauchzt und quiekt, treffe ich Michèle vom Robinsonspielplatz und erfahre, es sei der älteste der Schweiz. Allerdings müssten sie jetzt umziehen. Irgendwie sind sie Novartis und Stadtbau-Konzepten im Weg und werden dreihundert Meter nach Osten verschoben. Doch das nehmen sie sportlich. Dafür gibts dann neue, energieeffiziente Häuschen, einen Media-Raum, kleine Hütten für die Mädchen und die Jungs. «Und was ist mit den riesigen alten Bäumen?» frage ich und blinzle nach oben, wo es grünt und blüht. «Ursprünglich sollten sie ja gefällt werden, aber da hat sich ein Nachbar drum gekümmert», strahlt sie. Die Nachbarschaft der letzten Gallier funktioniert. Ein bisschen bezaubert, und ein wenig wehmütig suche ich wieder das Weite, bis mich der Lärm der ewigen Baustelle wieder verschluckt. Bis zum nächsten Lichtund Kraftstrassenfest!

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Nachbarschaft von Maggie Haab (Text und Bilder)

Kein Platz für Kleinlichkeiten Zwanglos und unkompliziert ist das Zusammenleben auf dem Wagenplatz in Freienstein. Es ist früher Sonntagnachmittag, eine Gruppe der Nachbarschaft sitzt draussen beim Kaffee. Irgendwo auf dem Areal spielt ein Bewohner auf seinem Musikinstrument…

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s ist ein romantisches Bild: Hinter der stillgelegten Spinnerei Blumer, am Ufer der Töss, stehen ein knappes Dutzend umgebauter Zirkuswagen, dazwischen knorrige Bäume, Katzen, die sich in der Sonne räkeln. Die angrenzende Wiese wird von einem natürlichen Bachlauf durchzogen. «Wenn einer kommt», so Thorsten Meito «und meint, in einem Wagen zu leben sei einfach nur toll, dann weiss ich, dass er keine Ahnung hat.» Ein solches Leben könne man nicht planen – es entstehe einfach. Und die Nächte zwischen November und März seien rau, wer dann vergesse einzuheizen, könne gerade so gut im Freien schlafen. Thorsten Meito muss es wissen, denn bereits den fünfzehnten Winter hat er im Wagen verbracht – Holz geschleppt, Schnee geschippt. Mit einer Gruppe von Zirkusleuten, die nach dem Leben auf Achse ohne festen Wohnsitz waren, fand er hier auf dem Blumer-Areal vor sechs Jahren die-

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sen idealen Platz. Mit dem ehemaligen Fabrik-Besitzer handelte er 2500 Franken Monatsmiete aus, das macht zwischen 250 und 300 Franken für jeden Bewohner. Mehr dürfte es nicht sein, denn viele dieser kreativen Menschen (sieben Männer und drei Frauen) sind ganz oder teilweise selbstständig. Sie verdienen ihr Geld als Schauspielerinnen, Clowns und Strassenkünstlerinnen oder als Suppenkoch, so wie Oskar Henkel. Er nimmt sich nur kurz Zeit für einen Kaffee, um dann wieder hämmernd und schleifend an seiner Werkbank zu arbeiten. Unter der Woche schwingt er den Suppenlöffel für «Suppen und Pedale», einen kleinen Bio-SuppenVelokurier, dessen Team die vollen Töpfe mit dem Drahtesel ausliefert. Ein ökologischer Lebensstil ergibt sich auf dem Wagenplatz wie von selbst. Alle Anwesenden pflichten dem bei, denn wer Trink- und Abwasser hin und


Freienstein

her trägt, der verbraucht ziemlich bald nur noch das Minimum. Und mehr als eine Lampe pro Raum und Nase ist auch nicht nötig. In einem Winter verbrauchen sie gemeinsam lediglich 13 Ster Holz. Das sei etwa so viel, wie ein altes Bauernhaus verschlinge. Selbstverständlich achteten sie alle bewusst auf den Ressourcenverbrauch, doch für Dogmatismus oder Verhaltenszwang ist auf dem Gelände kein Platz. Die Nachbarschaft ist keine Glaubensgemeinschaft. Und obwohl sie sich ein Brünneli und eine Toilette im Gemeinschaftsraum der alten Fabrik teilen, stehen sie sich gegenseitig nicht auf den Füssen herum und lassen einander Platz für ihren individuellen Lebensstil. Wer seinen ganzen Haushalt auf wenigen Quadratmetern unterbringen muss, kann es sich nicht leisten, kompliziert zu werden oder unnützen Kram anzuhäufen. Die Wohnsituation prägt das Verhältnis unter den Nachbarn, die ihre Wagen recht dicht aneinander gestellt haben: Sie helfen sich gegenseitig, mischen sich aber nicht in persönliche Angelegenheiten ein. Der dreissigjährige Amir Ali ist seit fünf Jahren Wagenbewohner und beschreibt das Gemeinsame so: «Wir heizen einander auch mal den Wagen ein oder kochen und essen bei Gelegenheit zusammen», so wie heute: Bärlauchspaghetti für alle. Die Blätter vom Wald, die Nudeln von Aldi. Es gab auch schon Leute, die den ganzen Platz in eine Öko-Gemeinschaft umbauen wollten, erzählt Thorsten, «aber ausschliesslich Bio zu essen, ist auf

Dauer einfach unbezahlbar. Ich habe zwei Kinder». Sein zehnjähriger Sohn Mikko spielt mit seinem Freund auf der Super-Nanny›. Damit meint Thorsten das Riesentrampolin neben der Baumhütte, das die Kinder vorerst beschäftigt. Der Ort ist mit seinen vielen Ecken, verlassenen Bauten, fliessenden Wassern und Tümpeln nicht nur für Kinder und Bastler ein wildes Traumland, sondern bietet auch ideale Lebensbedingungen für Tiere aller Art. Denn die von der Gemeinde bewilligte «Zone für mobile Bauten» ist nur ein kleiner Teil des ganzen Fabrikgeländes, auf dem sich die Natur auf beeindruckende Weise ihren Raum zurückeroberte: Öfters sind hier Eisvögel, Käuze, Graureiher und Kraniche zu beobachten. Der Algenteich bietet Heimat für Frösche sowie diverse Libellenarten, aber auch Ringelnattern und Dachse gehören zu den wiederkehrenden Besuchern des Areals, das innert den nächsten zehn Jahren komplett überbaut werden und modernen Häusern Platz machen soll. Das ungezähmte Leben müsste dann etwas Übersichtlicherem, Lukrativerem weichen, wenn nicht noch ein Wunder geschieht. In der Zwischenzeit, solange die Baumaschinen noch nicht aufgefahren sind, geht das ideenreiche Miteinander weiter. Bald wird in der Runde ein Plätzchen frei, und wer nicht bis zum jährlichen Sommernachtsfest warten will, geht die wilden Nachbarn schon vorher besuchen, am besten bei Regenwetter, damit man nicht zu neidisch wird.

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Nachbarschaft

Hier gibt’s Nachbarschaft Aus der simplen Idee, wie das gemeinschaftliche Leben besser gestaltet werden könnte, sind bereits etliche bestechende Projekte entstanden. Einige davon, und viele die noch in Planung oder im Bau sind, finden Sie in der Liste, die glücklicherweise nicht abschliessend ist. Zusammenstellung: Maggie Haab

Ein Ranking (Ranking 1 = wenig bis 10 = stark) hilft bei der Orientierung, wie gross ‹ ›, singlereich ‹ ›und exotisch ‹ › die Nachbarschaft ist, oder wie kinderfreundlich ‹ › sie sich präsentiert.

Giesserei der Genossenschaft für selbstverwaltetes Wohnen Giesserei – das Mehr-Generationen-Haus, Ida-SträuliStrasse, 8404 Winterthur

‹Die Giesserei› der Gesewo dürfte ein Wegbereiter werden für Ressourcen schonendes Wohnen und gelebte Nachbarschaftskultur. Noch vor dem ersten Spatenstich bloggt der Projektleiter über den Umgang mit Haustieren und nimmt Wünsche der künftigen Bewohner entgegen, die den Bezug im Frühjahr 2013 kaum mehr abwarten können. Das Mini-Dorf soll aus einem vielfältigen Mix unterschiedlicher Wohnungen und Bewohner bestehen.

Wohngenossenschaft und Verein 166 (164 Wohneinheiten) 8 7 5

Kontakt: info@giesserei-gesewo. ch, www.gesewo.ch www.mehrgenerationenhaus.ch

Brasserie Lorraine Quartiergasse 17 3013 Bern

1980 kaufte die Genossenschaft KUKUZ die Liegenschaft, um eine basisdemokratische Genossenschafts-Beiz zu eröffnen. Beinahe das ganze Sortiment ist biologisch und aus der Region. Laufend finden Kulturveranstaltungen statt, die noch unentdeckte Perlen auf die Bühne bringen. Zur Brass gehören zwei grosse Wohngemeinschaften und Büros für politische Organisationen wie beispielsweise ‹augenauf›.

Genossenschaft mit Restaurantskollektiv 2 Wgs à 5 und 10 Zimmer 3 2 8

Kontakt: www.brasserie-lorraine.ch 031 332 39 29

BerglandHof BerglandHof AG 3995 Ernen

Da die Erde nicht vererbt, sondern nur von den Kindern geliehen sei und Senioren nicht in Altersheime gehören, schlossen sich drei Familien zusammen. Die Initianten des geplanten Mehrgenerationenhauses sind Biogärtner. Der Berglandhof will Alt und Jung betreuen, Kurse anbieten und Bergland-Bio-Produkte im organisch gebauten Haus verarbeiten, Anwohner und Feriengäste damit versorgen sowie eine Boutique und einen Hofladen betreiben.

Aktiengesellschaft BerglandHof 15 permanent ca. 8 8 6 2

Kontakt: Ingrid Birri Schmid, welcome-center@ ernen.ch www.berglandhof.ch

Gleis 70 Hermetschloostr. 70 8048 Zürich

Beinahe schon berühmt-berüchtigt waren die Partys an der «Hermetschloo» bis sich die Atelier-Hausgemeinschaft mit mehreren Dutzend günstigen Werkräumen und Büros installierte. Innerhalb des Hauses können sich Parteien ihrem Bedürfnis entsprechend verkleinern oder vergrössern. Noch immer feiern sie gerne, doch längst nicht so oft wie früher. Die Mieter subventionieren gemeinsam ihre Kantine mit Dachterasse, an welcher drei soziale Einsatzprogramme angehängt sind.

Genossenschaft mit ca. 150 Mitgliedern ca. 50 5 7 8

Kontakt: www.gleis70.ch vermietung@gleis70.ch

Arche Nova Guschstrasse 10 – 65 8610 Uster

Die familienfreundliche Siedlung am Aabach entstand als innovatives Umnutzungsprojekt einer stillgelegten Gross-Spinnerei. Um die gemeinsamen Bereiche und Gruppenräume zu verwalten, organisieren sich die Eigentümer der 56 Reiheneinfamilienhäuser in Arbeitsgruppen, wie der Siedlungs- oder Kompostgruppe. Der offene und begrünte Innenhof zwischen den Hauseingängen bietet Begegnungsraum für die selbstorganisierten Nachbarn.

Eigentümergemeinschaft mit Verwaltungsversammlung 56 Parteien, ca. 350 Pers. 9 3 2

Kontakt: Walter Richner, Guschstrasse 44, 8610 Uster

Fabrikgässli 2502 Biel/Bienne

Die 2010 gegründete Genossenschaft FAB-A plant im zentralen Bieler Plänkequartier eine nachhaltige und energieeffiziente Überbauung des ‹Fabrikgässlis›. Die derzeitigen Bewohner der ‹besetzten› Liegenschaften erhielten Zwischennutzungs- bzw. Gebrauchsleihverträge bis zum Abrisstermin. Bereits haben sich 15 Parteien – davon acht Familien – für die autofreie Siedlung angemeldet. Sie soll im Frühjahr 2013 bezugsbereit sein.

Genossenschaft FAB-A 19 – 20 8 4 1

Kontakt: www.fab-a.ch info@fab-a.ch

oak-Siedlung ‹Neue Heimat› Neue Heimat 10-32 4143 Dornach

In Dornach baut die Genossenschaft Sophie Stinde vier Mehrfamilienhäuser auf einem Gelände mit eigener Quelle und Bach. Die Siedlung bietet bezahlbaren Wohnraum, ein Energiesystem mit saisonalem Wärmespeicher und eine Infrastruktur, die für Kinder, Betagte und Behinderte des angrenzenden Heimes geeignet ist. In Laufen BL und Frauenfeld TG plant das Architektenbüro oak für anthroposophische Baukunst ähnliche Projekte.

Wohnbaugenossenschaft Sophie Stinde (Bauherrin), Stiftung Edith Maryon (Landeigentümerin) 21   8   4   2

Kontakt: www.sophie-stinde.ch, www.oak-gmbh.ch www.maryon.ch, bauen@oak-gmbh.ch

Claudia – House of Sounds Zürcherstrasse 320/322 8406 Winterthur

Bis zum 1.1.2012 soll aus einer Bauruine ein Musikpalast mit dem klingenden Namen ‹Claudia – House of Sounds› entstehen. Auf sieben Etagen, plus Restaurant und Caféteria mit Blick über Winterthur, soll eine musikalische Nachbarschaft einziehen. Vorgesehen sind etwa 200 Musiker, Proberäume und Angebote wie Plattenbörsen, Instrumentehandel, Musikunterricht, Tanzschulen, Clubs für Livemusic etc. Für Interessenten mit guten Ideen hat die Verwaltung ein offenes Ohr.

Mieterschaft aus Musikgewerbe 250-400 2 8 8

Kontakt: www.claudia-sounds.ch Fischer Liegenschaften: tomas.rohner@ fischer97.ch

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Nachbarschaft

Zwischen Himmel und Erde im Hotzenwald

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is zu fünftausend junge Deutsche wohnten im Frühjahr 1980 vorübergehend in einfachen Hütten aus Holz und bildeten so die Keimzelle des Widerstands gegen das Endlager in Gorleben. Ein eigens errichteter Schlagbaum markierte die Grenze zur «Freien Republik Wendland», wo die Widerständigen zwischen Kompostklo und Gemeinschaftsküche im friedlichen Protest gegen die offizielle Politik zusammenlebten. Karl-Heinz Meyer war einer von ihnen. Die Idee, eine politische Aktion mit dem Alltagsleben zu verbinden, gefiel ihm. Nach einem Monat im Hüttendorf wurde das Gelände von der Polizei geräumt und die Holzhütten abgerissen. Die «Freien Wendländer» fuhren nach Hause. Karl-Heinz aber, damals Student der Raumplanung, liess die Idee vom einfachen Leben in der Gemeinschaft nicht mehr los. Er brütete über der Idee, die sein Leben in Zukunft bestimmen sollte.

REGION BASEL

24. SEPTEMBER 2011 | BASEL | 10–17 UHR — NEUE WOHNFORMEN UND GEMEINSCHAFTLICHE WOHNPROJEKTE IM DREILAND — PROJEKTBÖRSE, VORTRÄGE, CAFÉ-BISTRO. FÜR FACHPERSONEN UND INTERESSIERTE — WWW.COURVOISIER-PROJEKTE.CH —

Heute lebt Karl-Heinz mit seiner Frau Sabine Ainjali im Hotzenwald – «in einem richtigen Haus». Hier arbeitet Meyer halbtags in dem von ihm begründeten Ökodorf-Institut und berät Menschen aus dem In- und Ausland, die eine Gemeinschaft gründen wollen. Er spricht aus Erfahrung: Neun Jahre lang war er am Aufbau des interspirituellen Ökodorfs «Lebensgarten» bei Hannover beschäftigt. Schon Anfang der 90er wollten so viele Menschen dort leben, dass das Dorf aus allen Nähten zu platzen drohte. Für Karl-Heinz und Sabine Ainjali war es das Zeichen für etwas Neues. In Südbaden, nahe der Schweizer Grenze, gründeten sie 1995 die Delfin-Gemeinschaft. «Um den richtigen Namen zu finden, zogen wir Indianer-Tarotkarten», erinnert sich Meyer. Sie zogen die Karte des Delfins, Symbol für die Verbindung zwischen Himmel und Erde. Bis dahin lebte die Gemeinschaft und deren Freunde noch verteilt im Dorf oder in der näheren Umgebung. Ein enger Zusammenhalt hatte aber im Hotzenwald seit jeher Tradition. Schon im Mittelalter lebten die Menschen dort, allein durch die geografische Lage, wie auf einer Insel. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Gegend zum Notstandsgebiet erklärt – die schlechte Infrastruktur bot den Vorteil für günstigen Wohnraum. Die Siedler in den 70er-Jahren waren junge Städter, die von einem Leben in einem gesunden Umfeld träumten. Dass die natürlichen Gegebenheiten für zukünftige Generationen erhalten blieben, ist nicht zuletzt ihnen zu verdanken. Die Delfin-Gemeinschaft geht heute noch einen Schritt weiter: Neben dem achtsamen Umgang mit der Natur möchte man hier aktiv zur Heilung der Erde beitragen. 1994 hatte Sabine Ainjali eine Vision. Vor ihrem geistigen Auge sah sie die Erde übersät mit Lichtpunkten, die alle durch Lichtstrahlen verbunden waren. Sabine Ainjali deutete dieses Bild als ein Licht- und Heilungsnetz für unseren Planeten. «JedeR einzelne von uns kann ein Lichtpunkt werden», schreibt sie. Einer dieser Lichtpunkte

Karl-Heinz Meyer vom Ökodorf-Institut (Mitte) an einem Workshop über Gemeinschaftsgründung.

entsteht durch die Delfin-Gemeinschaft. Karl-Heinz Meyer: «Unser Ziel ist, dass während vierundzwanzig Stunden pro Tag immer jemand von uns meditiert.» Auch Singen, Musizieren und jede andere Art von Lichtarbeit ist erwünscht. Ein konkretes Bild von der Zukunft des Ökodorfs im Hotzenwald hat Meyer nicht. Viel wichtiger sei für ihn, offen zu sein für Neues. Sein nächstes Projekt ist eine Gartencoop, wie sie bereits in Genf realisiert wurde. Für je fünfzig Abnehmer will die DelfinGemeinschaft einen Gärtner oder Landwirt anstellen. «Wir bezahlen besser, auch wenn das Gemüse doppelt so viel kostet», betont Meyer. An der Ausbeutung von Mensch und Natur will sich die Gemeinschaft nicht beteiligen. Hier setzt man auf Selbstversorgung und faire Löhne. Über die Jahre hat sich im Hotzenwald ein lebendiger Mikrokosmos gebildet. Er zieht Menschen an, die sich in einer Gemeinschaft verwirklichen möchten. Um näher zusammenleben zu können, würde sich die Delfin-Gemeinschaft auch zu einem «grösseren Platz für das Ökodorf führen lassen»: mit der Möglichkeit für ein Zentrum, Höfen, viel Land für die Selbstversorgung und einer grossen Wiese mit Hütten, Jurten, und Zelten. Wer die Zeit der Aussteiger-Bewegung verpasst hat, sollte es sich nicht nehmen lassen dabei zu sein, wenn in Südbaden ein neuer Lichtpunkt zu strahlen beginnt. Sagita Lehner

Eine Initiative gemeinnütziger Wohnbauträger aus der Region Basel

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Nachbarschaft

Unter-Grundhof: grüne Insel in Emmen In Emmen kreuzen sich die Autobahnen A1 und A12, über Emmen dröhnt der Lärm der Patrouille Suisse. Schlagzeilen machte das Dorf, weil es bis 2003 über die Einbürgerung von Ausländern an der Urne abstimmte. Zwischen Hochhaussiedlungen,

Geranien und Militärflugplatz würde man nicht nach einer Ökosiedlung suchen, aber man findet eine: den Unter-Grundhof, ein Areal aus Häusern, Gärten und Spielplätzen, bewohnt von nicht weniger als 160 Menschen. «Wir sind die grüne Insel im bürgerlichen Emmen, eine Hochburg der Linken», sagt Beat Rölli, der dem Zeitpunkt bereits als ein Pionier der Permakultur in der Schweiz bekannt ist (siehe ZP 105). Die wildesten Gerüchte gingen um im Dorfe, als die Nachbarschaft vor 25 Jahren gegründet wurde. Von Hippie-Kommune war die Rede und von freier Liebe. Alles falsch, sagt Rölli, aber ganz bürgerlich geht es in der Siedlung doch nicht zu und her. Auf sieben Familien in Röllis Haus kommen drei Fahrzeuge; statt überfüllter Garagen haben die Bewohner einen Velo-ReparaturPlatz. «Auf den angrenzenden Grundstücken dürfen die Mieter nicht einmal Hochbeete anlegen – wir haben Hühner und Schafe!» Die Siedlung, hauptsächlich von Familien

bewohnt, ist ein Paradies für Kinder und für den Permakultur-Spezialisten: Rölli hat Insektenhotels kreiert, einen Kompost angelegt, Moorbeete und einen Waldgarten gebaut. «Ich habe hier viel mehr Freiheiten als in einem herkömmlichen Quartier.» Freiheiten mit Verantwortung. «Wer sich nicht engagieren will, darf zwar auch hier leben, aber wenn das alle täten, würde die Siedlung zusammenbrechen.» Die Schafe und die gemeinsame Kinderbetreuung verbinden. «Manchen ist das zu viel Gemeinschaft, und manchmal gibt es bei so vielen Engagierten auch Streit. Ich wollte zum Beispiel letzthin eine essbare Landschaft anlegen; die Schafgruppe fühlte sich bedroht und lobbyierte dagegen.» Es klingt wie im Parlament, Getreideproduzenten gegen Viehzüchter, nur ein feiner, aber entscheidender Unterschied bleibt bestehen: Im Unter-Grundhof ist der Konflikt überschaubar, die Interessengruppen sind Nachbarn. Michael Huber www.untergrundhof.ch

Im Unter-Grundhof im Luzerner Vorort Emmen geniessen 160 Menschen eine üppig-ökologische Lebensweise.

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Lernweg der Wildnis: Leben im Wald während des Sommers. Entdecke die Natur, im Bezug mit dir selber. Erlerne die nötigen Wildniskompetenzen für das Leben in dieser Jahreszeit und werde ein Teil von ihr! Datum: 16.– 21. Juli 2011 Kosten: CHF 520.– Anmeldeschluss: 27. Juli 2011 Anmeldung: per E-Mail oder Post, siehe Adresse links im Inserat Weitere Informationen unter www.wakonda.ch 28.03.2011 13:52:28


Nachbarschaft

Die grünste Nachbarschaft der Schweiz

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uf dem Dach der Eugsters blühen zur Zeit Osterglocken. Genau genommen ist es nicht ihr Dach, sondern das der Gemeinschaft. «Wenn auf einem Dach etwas kaputtgeht, zahlen alle», erklärt Sämi Eugster. Er und seine Frau Theres leben in einem von vier Grasdachhäusern am Holderweg im solothurnischen Rodersdorf bei Basel. «Wir wollten der Natur die Grasflächen zurückgeben, die wir ihr durch den Bau genommen hatten», erläutert Theres die Idee der Grasdächer. Viele Holderwegler der ersten Stunde sind heute über sechzig. Die Zeiten, in denen man sich «auf dem Dach die Gummimatten unter dem Hintern wegzog», sind ihnen in lebhafter Erinnerung. Man isolierte, installierte Verbauungen, die das Abrutschen des Erdreichs verhindern sollten und säte Gras. Im gleichen Jahr spross im Material versteckte Roggensaat. «Die Dächer waren eine einzige wogende Fläche», erinnert sich Sämi Eugster. Inzwischen hat sich auf den vier Häusern eine eigenständige Vegetation entwickelt, wie auch auf dem Gemeinschaftsbriefkasten, auf dem eine Mikro-Wiese wächst. Einige Wildbienen hielten den Kasten für ein Insektenhotel. Obwohl die Menschen am Holderweg in Doppeleinfamilienhäusern wohnen, gibt es viel Gemeinschaftsfläche. Vor allem die

Keller dienen der gemeinsamen Nutzung. So sind zum Beispiel im Keller der Eugsters die Waschmaschine und das Lager für Früchte und Gemüse untergebracht. In den anderen Kellern der Siedlung gibt es einen Filmraum und eine Holzwerkstatt. Einen gemeinschaftlichen Stauraum habe es auch einmal gegeben, ergänzt Sämi und lacht. «Eis Puff» sei das gewesen. Weniger unordentlich sieht es im Gemüsegarten aus. In schnurgeraden Zeilen warten Karottensamen und Zwiebelsamen auf die ersten Sonnenstrahlen. «Im Garten hat jeder seine Aufgabe», sagt Theres, sie selbst kümmere sich um die Blumen. Die Bewohner der Siedlung haben ganz unterschiedliche Berufe. Da gibt es die Sozialarbeiterin, den Biologen, die Musikerin – und sie sind über viel mehr als nur das gemeinsame Auto miteinander verbunden. «Es ist das Gefühl von echter Nachbarschaft – die gegenseitige Hilfe», sagt Theres. Als die acht Familien vor vierundzwanzig Jahren nach Rodersdorf zogen, waren sie anfangs als aufwieglerische Reformer und Linkswähler gefürchtet. Zu Recht. «Wir hatten im Dorf von Anfang an ein gewisses politisches Gewicht», sagt Sämi. Inzwischen wählt Rodersdorf rot-grün – so wie BaselStadt. «Es kamen auch schon Anfragen vom Kanton Solothurn, ob wir die Resultate verwechselt hätten», amüsiert sich Theres. Das

Politische war der Gemeinschaft wichtiger als günstiges Bauland, von dem es – im einige Meter entfernten Frankreich – mehr als genug gegeben hätte. Nun bestimmen sie in der Gemeindepolitik mit. Als Künstler ist Sämi Eugster «die künstlerische Ausstrahlung der Dorfes besonders wichtig». Deshalb ist auf seine Initiative hin KöRR entstanden – Kunst im öffentlichen Raum Rodersdorf. Schliesslich, so Sämi, sei eine lokale Kultur neu zu erfinden. Inzwischen sind die Rodersdorfer aktiv. In Theres Eugsters «Offenem Atelier» malen sie gegen einen Unkostenbeitrag bis in die Nacht hinein an ihren grossformatigen Kunstwerken. Und auch am von der Gemeinschaft initiierten Theaterprojekt «100 Jahre Bahnhof Rodersdorf» haben sich einheimische Laien mit viel Engagement beteiligt. Obwohl Sämi Eugster fünfunddreissig Aufführungen anfangs für zu viel hielt, gibt er heute gerne zu, dass sie die Spielzeit noch hätten verlängern können. Fünfliberkino, Frauenznacht, MobilityStandort und Bio-Produkte im Dorfladen – das gibt es in Rodersdorf. Sie hätten das Dorf aus dem kulturellen Dornröschenschlaf erweckt? Davon wollen sie nicht reden, die Holderwegler bleiben bescheiden. Nicht einmal allein aufs Foto wollen Theres und Sämi Eugster. Da müssten, wenn schon, alle drauf, sagen sie. Sagita Lehner

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Nachbarschaft

Die Nachbarschaft beginnt im Haus Es ist ein seltsamer Auswuchs des modernen Stadtlebens, nicht zu wissen, wer in der Wohnung nebenan ein- und ausgeht. «Wir alle fanden diese Anonymität grässlich», erzählt Stephan Schmidlin, ein 62-jähriger Lehrer, der mit seiner Partnerin Theres als Mieter in einem alten Haus im Berner Länggass-Quartier wohnt. Mit vier weiteren Parteien haben sie sich vor einem Jahr zu einer lockeren Hausgemeinschaft zusammengeschlossen. Was zeichnet sie aus? «Die gute Stimmung.» Das war nicht immer so im Haus – ein ewiger Streit unter den beiden Besitzerinnen vergiftete das Klima, bis eine der beiden das Haus alleine übernahm. Theres und Stephan hatten sich bereits vorher um mehr Gemeinschaft bemüht, waren aber entweder mit häufig wechselnden Bewohnern konfrontiert oder auf verschlossene Türen gestossen. «Eine gewisse Beständigkeit ist nötig, um sich miteinander einzurichten.» Man muss sich nicht einmal besonders ähnlich sein. Im Haus wohnen fünf Parteien, vier Paare und eine Familie, unter ihnen viele Linke und Grüne, aber auch ein dezidierter Rechtswähler. «Da gibt’s immer wieder Diskussionen, aber das ist kein Grund, nicht miteinander Feste zu feiern oder einander zu helfen.» In dieser Hausgemeinschaft haben die Bewohner ein Gleichgewicht zwischen Nähe und Anonymität gefunden.

Neben Festen im Garten und Apéros an Feiertagen organisieren sich die Bewohnerinnen auch im Alltag gemeinsam. Sie haben beispielsweise einen informellen Kinder-Hütedienst gegründet und beim Hauseingang eine Mediothek eingerichtet. Wer verreist, lässt seine Katzen und Pflanzen in der Obhut der Nachbarn. «Niemand hat sich bisher in seiner Privatsphäre gestört gefühlt – im Gegenteil, wir sind daran, uns noch weiter zu öffnen.» MH

Generationenhaus in der Sonnenstube

Anders denken, anders leben – und das Treffen dazu

Im Oberwalliser Ernen entsteht ein Generationenhaus der besonderen Art. Dort sollen ältere Menschen einen würdigen Lebensabend verbringen, hilfsbedürftige Bewohner einen Rahmen, Erholungssuchende finden einen Ferienplatz. Die im Jahre 2006 gegründete BerglandHof Ernen AG will mit ihrem Projekt eine aktive und hautnahe Begegnung in einer artenreichen Natur und einer vielfältigen Landschaft im Einklang mit den Jahreszeiten ermöglichen. Erweitert wird das Angebot durch die Zusammenarbeit mit Bergland Produke, einem Demeter Hof, den Veranstaltungen des Kulturvereins Bergland und des Musikdorfes Ernen. Gefördert wird eine gemeinsame Lebensform, assoziatives Wirtschaften, eine organische Architektur und gemeinsames Handeln nach dem Motto: Sinn stiften. Sinnvolles tun. Sinnerfüllt leben. Spatenstich ist im Herbst 2011.

Wohnen, Arbeiten, Leben – alles gilt es neu zu gestalten. Das dritte WAL-Meeting tagt wie letztes Jahr im Schloss Glarisegg. Unter dem Motto ‹anders denken, anders leben› gibt das Treffen Denkanstösse und vernetzt kritische Freidenker, Wahrheitssuchende und Energiearbeiter, die sich vor einem autarken Leben nicht fürchten. Prominente Antriebskräfte am diesjährigen Treffen sind Pioniere wie Beat Rölli, der Permakultur-Vermittler oder Armin Risi, Sachbuchautor und Gründer des ‹Theistic-Networks›, der über das Mysterium des Friedens referieren wird. Besondere Einsichten in die Rechte der ‹freien› Menschen wird die Ting-Genossenschaft geben, die sich über Landesgrenzen hinweg einer gemeinschaftlichen Verwaltung ohne bürokratische Ketten widmet. Ein ganzer Tag für eine mögliche Zukunft in Selbstverwaltung mit Selbstverantwortung. MAG

Weiter Infos unter www.berglandhof.ch

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WAL-Meeting, 2. Juli 2011, Schloss Glarisegg, Steckborn/TG. Infos und Anmeldungen unter: www.wal-meeting.blogspot.com


Nachbarschaft

ZeitpunktleserInnen als Nachbarn

Nachbarschaftsmediation: Einigung ohne Verlierer Nachbarschaftstreit beschäftigt die Gerichte zunehmend. In Deutschland sind es etwa eine halbe Million Fälle jährlich. Das Problem ist: Wer vor dem Richter Recht bekommt, hat nur halb gewonnen, denn das Zusammenleben mit dem «Verlierer» des Prozesses bleibt schwierig. Besser ist es, sich zu einigen. Bei verfahrenen Streitereien kann es sinnvoll sein, die Hilfe eines Dritten in Anspruch zu nehmen. Nachbarschaftsmediatoren versprechen professionelle Schlichtung für Mieter wie Eigentümer. «Wir leben in einem der am dichtesten besiedelten Gebiete der Erde», begründet die «Fachgruppe Nachbarschaftmediation» des Schweizerischen Mediationsforums ihr Angebot. «Nachbarschaft bedeutet oft räumliche Nähe, was Probleme auslösen kann. Der Rauch aus dem Grill der Nachbar/innen ist unerträglich, die regelmässigen Parties stören die Nachtruhe, der Baum im Grundstück nebenan steht vor der Abendsonne…» Die Investition kann sich lohnen, denn mit manchen Nachbarn lebt man länger zusammen als mit den eigenen Kindern. Zur Verfügung stehen neun auf Nachbarschaftskonflikte spezialisierte Mediatorinnen und Mediatoren. RR

Caro Mettler aus Zürich schreibt: Vor zehn Jahren hat unser Hausbesitzer drei Familien gesucht, die mit uns im Haus zusammen leben könnten. Wir hatten uns alle zuvor noch nie gesehen. Mittlerweile leben wir als eine Einheit und die Kinder dürfen in alle Wohnungen rein und raus laufen, wie sie wollen. Sie zanken selten und wenn, dann versöhnen sie sich gleich wieder. Nie haben wir einen Babysitter gebraucht und ans Wegziehen denkt auch niemand. Christine Morgenthaler aus Graubünden hat das Geheimrezept: Wir sind sieben Parteien in einer genossenschaftlichen Wohnsiedlung ohne Gartenzäune und teilen uns Autos, Garten, Werkzeuge, Kühlschrankinhalte, Feste, Arbeitstage, Zeit aber auch Freud und Leid. Seit 13 Jahren leben hier Menschen – zurzeit zwischen 15 und 74 Jahren– ohne ernstzunehmende Streitereien zusammen. Es tönt simpel, doch dies klappt wahrscheinlich, weil wir keine gemeinsame Ideologie, politische Richtlinien oder Dogmen haben, aber alle irgendwie offen und mit viel Toleranz unterwegs sind. Monika Blum aus Windisch: Ich habe eine Wochenende-Beziehung und lebe daher unter der Woche als Single. Da sind gute Nachbarn ganz wichtig und ich habe solche: Bin ich mal weg, wird meine Katze von den türkischen Nachbarn gefüttert. Ich auch, denn liege ich krank im Bett, bringen sie mir Suppe! Im Gegenzug helfe ich ihnen bei medizinischen Fragen oder beim Verstehen deutscher Texte. Ja, gute Nachbarschaft ist ganz wichtig für die Lebensqualität!

www.nachbarschaftsmediation.ch

«Wachsame Nachbarn»: Verbrechens­ prävention oder Spitzelsystem?

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«Vorsicht! Wachsamer Nachbar». So ein Schild prangt in manchem Hauseingang. Aktionen wie diese entstehen aus der Zusammenarbeit von Nachbarschaftsinitiativen und Polizei, die einander regelmässig «Verdächtiges» melden. Im Saarland etwa soll die Zahl der Einbrüche deswegen merklich zurückgegangen sein. «Mit diesem Projekt soll potenziellen Kriminellen gezeigt werden: Wir Nachbarn achten auf uns. Wir schauen nicht weg, wenn wir etwas Verdächtiges bemerken», heisst es in einem Aufruf der Stadt Bensheim. «Durch dieses Verhalten soll erreicht werden, dass Kriminelle ihre verbrecherischen Absichten aufgrund des erhöhten Risikos, entdeckt zu werden, nicht weiterverfolgen.» Erfreulich ist die Initiative als Gegengewicht zu Anonymität und Gleichgültigkeit. Kritiker befürchten allerdings eine Atmosphäre des Misstrauens und der Bespitzelung. Auch hat sich gezeigt: In bürgerlichen Wohngegenden, wo wenig passiert, gründen sich Nachbarschafts­ initiativen besonders schnell – und verlaufen dann mangels «dramatischer» Erfolge im Sand. In sozialen Brennpunktgebieten mit hoher Kriminalitätsrate finden Initiativen wie «Wachsamer Nachbar» dagegen kaum Anklang. RR

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Nachbarschaft

Neustart-Text

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Nachbarschaft

Hier ist Neustart.

Wo bist Du? Liebe Leserinnen und Leser Ausgerechnet das Thema mit dem grÜssten Potenzial hat keine politische Lobby: die Nachbarschaft. Eine organische Nachbarschaft lÜst die Probleme des Verkehrs, des Energieverbrauchs, der Versorgung, der sozialen Sicherheit – oder reduziert sie zumindest auf menschliches Mass. Um diese enormen MÜglichkeiten zu realisieren, mßssten wir ganzheitlich an sie herangehen – was alle wollen, aber niemand richtig schafft. Wir betreiben Verkehrspolitik, Energiepolitik, Landwirtschaftspolitik, Wirtschaftspolitik, Siedlungspolitik und Sozialpolitik und realisieren nicht wirklich, dass alles gemeinsam behandelt werden will. Neustart Schweiz ist hier die grosse, lÜbliche Ausnahme. Ausgehend von lebenswerten Nachbarschaften wird das soziale und wirtschaftliche Leben ohne Revolution auf eine lokale Basis gestellt, die allen Beteiligten grosse Vorteile bringt, ausser vielleicht den Autobahnbauern, den Betreibern von Atomkraftwerken und den Grossverteilern.

Wo ist Neustart? Die Bildbände Wo ist Walter? sind Kult. Die Neustart-Illustration knßpft daran an. Das definitive Bild wird mit grosszßgigen NeustartMitgliedern bevÜlkert und soll ab Herbst die Schweiz zu lebendigen Nachbar­schaften inspirieren. Details im nebenstehenden Text.

Machen wir uns nichts vor: Die Idee ist gut, aber der Weg lang. Die hundert Mitglieder, die Neustart Schweiz zur Zeit zählt, sind ein Tropfen auf den heissen Kopf. Damit sich das Konzept der lebendigen Nachbarschaften in den Umweltorganisationen, den politischen Parteien, den BehÜrden und den KÜpfen der sieben Millionen BewohnerInnen unseres schÜnen Landes durch1 .

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setzen kann, braucht es schon noch ein paar wache Geister, erfahrene Lebenspraktikerinnen und viele UnterstĂźtzerinnen und UnterstĂźtzer. Mit anderen Worten: Mitglieder. Damit sind wir beim Zweck dieses Textes angelangt: Mach’ eine Ausnahme und trete mit ÂŤNeustart SchweizÂť wieder einmal einem Verein bei. Der Mitgliederbeitrag ist frei, beträgt aber mindestens 20 Franken. Weil der Zeitpunkt mit dieser Organisation sehr verbunden (aber personell nicht verflochten) ist, machen wir Dir ein besonderes Angebot. Als Mitglied mit einem Beitrag ab hundert Franken wirst Du auf der nebenstehenden Illustration verewigt. Wir mĂśchten die Illustration mit mĂśglichst vielen vergnĂźgten Menschen bevĂślkern. Schicke uns ein GanzkĂśrperbild und Deine bevorzugte Beschäftigung (z.B. Boule spielen, basteln, abwaschen, herumsitzen‌ Vom definitiven Bild erhälst Du dann im Herbst einen Abzug in kleiner PostergrĂśsse. Keine Angst: nur Deine Allernächsten werden Dich erkennen (wenn Ăźberhaupt). Aber Du bist dabei, als PionierIn des Neustarts. Kreuze auf der Zeitpunkt-Antwortkarte im Umschlag die Position ÂŤNeustart MitgliedschaftÂť an und sende uns eine Foto mit bevorzugter Tätigkeit. Dann bauen wir gemeinsam Nachbarschaften. Herzlich Christoph Pfluger, Herausgeber Infos Ăźber Neustart Schweiz: www.neustartschweiz.ch

Neustart Schweiz, das Buch, mit dem alles begann Die Zeit fßr Nachbesserungen an unserer Gesellschaft läuft ab. Es reicht nicht mehr, die Dinge zu optimieren, wir mßssen anders an sie herangehen. P.M. setzt dort

an, wo das Zusammenleben mit anderen Menschen, die Gesellschaft an sich beginnt. Anstatt sie auf Treppenhausgespräche und ein gelegentliches Quartierfest

zu beschränken, gibt er ihr eine wirtschaftliche Funktion und eine politische Rolle. Das Buch, das eine Bewegung auslÜste. Hier bestellen

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Nachbarschaft

… Der Klassiker zum Thema ‹Nachbarschaft und Film› ist wohl der 1993 gedrehte kolumbianische Film ‹La estrategia del caracol› – die Strategie der Schnecke. ‹Klassisch› ist auch der Plot: ein Mietshaus mit vielen, recht unterschiedlichen Parteien soll ‹top-saniert› werden. Natürlich stören die Bewohner, die, nach anfänglichen Differenzen, das Problem (der Gentrifizierung?) ganz auf ‹ihre› Weise lösen. Ein unterhaltsamer, liebevoll gedrehter Film, der Mut macht, und auch Lust: auf Nachbarschaft.

IN TRANSITION

Ohne Öl aber gemeinsam! In den frühen neunziger Jahren verlor Kuba den Zugang zu sowjetischem Öl und musste plötzlich den Wechsel von einer Industriegesellschaft zu einer Niedrig-Energie-Gesellschaft vollziehen. Kuba wechselte von grosser öl-intensiver zu kleinerer Landwirtschaft, weniger energieintensivem Bio-Anbau und städtischen Gärten und von einer hochindustriellen Gesellschaft zu einer nachhaltigeren.   Der Film erzählt die Geschichten von Entbehrungen, Erfindungsreichtum und Triumph über unerwartete Not – mittels «Zusammenarbeit, Einsparung und Gemeinschaft», wie Kubaner es selbst ausdrücken.

ist der erste ausführliche Film über die Transition Bewegung, gefilmt von denen, die es am Besten wissen: Diejenigen, welche es im Alltag umsetzen. Die Transition Bewegung dreht sich um Gemeinschaften rund um den Globus, welche auf Klimawandel und Peak Oil mit Kreativität, Vorstellungskraft und Humor reagieren und ihre lokalen Gemeinden und Ökonomien umbauen. Positiv, Lösungsorientiert, viral und mit viel Spass. Erhältlich unter http://transitionculture.org/in-transition/ oder bei www.filmefuerdieerde.ch

The Power of Community, Faith Morgan, USA 2006

La estrategia del caracol Sergio Cabrera Columbia 1993 107 Minuten Auf DVD erhältlich zB. bei Trigon-Film (www.trigon-film.ch)

Auch eine Art Heimatfilm

Erhältlich bei www.filmefuerdieerde.ch oder www.powerofcommunity.org

Ein Ort der politischen Debatte, aber auch des sanften Tourismus Dort, wo die Schweiz schon fast Italien ist, in Maloja, Graubünden, gibt es seit vierzig Jahren das selbstverwaltete Ferienzentrum ‹Stiftung Salecina›. 1971 von Amalie und Theo Pinkus initiiert als Ferien-, Schulungs-, und Begegnungsort mit politischer Ausstrahlung wurde Salecina seitdem von vielen besucht – als Tagungsort, für Projektwochen oder einfach um in malerischer Umgebung auszuspannen. Rahel Holenstein und Reto Padrutt haben nun einen facettenreichen Dokumentarfilm vorgelegt, der drei Salecina-Generationen überspannt – ein interessanter Einblick in 40 Jahre Salecina. Salecina, Rahel Holenstein/Reto Padrutt, CH 2011, 53 Minuten, bestellbar unter info@videoladen.ch

Nach den ‹bewegten› Dok-Filmen «Berner Beben» und «Ruhe und Unordnung», die den ‹Aufbruch der Alternativkultur› in den 80er Jahren dokumentieren, zeigt uns Andreas Berger mit seinem dritten längeren Dokumentarfilm nun «eine Art Nachbarschaft»: Was wurde aus der Zaffaraya, welche Bauwagensiedlungen gibt es sonst noch in Bern und welche Strategie verfolgen Stadt und Polizei … ist anders wohnen überhaupt möglich? Zaffaraya 3.0, Andreas Berger, CH 2011, 110 Minuten http://www.zaffaraya-film.ch

Permakulturtage 2011

Verschiedene interessante Stationen führen durch die Erlebnisgärtnerei. Erforschen Sie das Thema Permakultur völlig entspannt wie auf einem Spaziergang. Diverse Stationen

bieten Ihnen Vorträge, Workshops, Einblicke und Ausblicke in eine nachhaltige Zukunft. Wir verwöhnen Sie auch kulinarisch und machen unseren Anlass zum grossen Erlebnis. Für detailliertere Infos besuchen Sie unsere Internetseite.

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Samstag / Sonntag 4. & 5. Juni Gärtnerei Dietwyler / Haselweg 3 / 5235 Rüfenach AG Nähere Infos unter Telefon 056 284 15 70 Mit dem Bus Nr. 374 ab Brugg mit Zielhaltestelle Hasel.

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p e r m a k u l t u r. c h


Nachbarschaft

Nachbarschaft auf Wanderschaft – eine Ausstellung zeigt, wie wir besser leben können Das Potenzial von lebenswerten Nachbarschaften ausloten und sichtbar machen – dies hat sich ein gut dotiertes Team aus Studierenden der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW und jungen Ingenieurinnen und Ingenieuren aus allen Kontinenten vorgenommen. Unter dem Titel «Nachhaltiger Alltagsentwurf für (städtische) Umgebungen» entsteht ein Beitrag für die World Engineering Conference (WEC11) vom 4.- 9. September in Genf. Als Wanderausstellung konzipiert, werden in sechs Containern die Nachbarschaften der Zukunft in greifbare Reichweite gebracht. Gezeigt werden Konzepte und Technologien, die den Alltag lebenswert und perspektivenreich machen – konsequent ohne einen Tropfen Erdöl, allein auf der Basis nachwachsender und rezyklierter Ressourcen regionalen Ursprungs. Die «Denkgegenstände» wer-

den mit internen und externen Partnern an der «Community for Sustainability» der FHNW entwickelt und zu Ausstellungsthemen gebündelt. Sie geben innovative und realistische Antworten auf Fragen der Energiegewinnung, des Lernens, des Arbeitens und des Kommunizierens, des Bauens, der Ernährung, der Mobilität, der Produktion des Lebensnotwendigen, der Gesundheit, des geselligen Umgangs und der Erholung. Naheliegenderweise stehen die Nachbarschaften im Zentrum, denn sie sind die einzige, wirklich zukunftstaugliche und realistische Form der geforderten Ernährungs- und Produktionssouveränität, wo auch immer auf der Welt. Nach Genf geht die Ausstellung der FHNW auf Schweizreise und verbindet sich vor Ort, Nachbarschaft für Nachbarschaft, entlang einem Weg der Nachhaltigkeit mit

den lokal bereits realisierten Nachhaltigkeitsprojekten. In den Herkunftsländern der Mitglieder der internationalen Projektgemeinschaft werden ähnliche Tourneen zur Präsentation der lokalen Nachbarschaftskonzepte ausgelöst.

Nachbarschaftsengagierte sind herzlich zur Mitwirkung in der FHNW Community for Sustainability eingeladen. Kontakt ist Prof. Martin Klöti, Hochschule für Technik der FHNW, martin.kloeti@fhnw.ch, Tel. 056 462 43 62.

Nachbarschaften brauchen subtile Grenzen Bei allen planerischen und architektonischen Themen müssen wir auf das beste Architekturbuch der Welt hinweisen. Es trägt den unmöglichen Titel «Eine MusterSprache», stammt von Christopher Alexander und fünf weiteren ArchitektInnen und behandelt jeden Aspekt des Bauens, von der Verteilung von Städten über die ideale Höhe von Häusern, Zimmer für Teenager bis zum Bänklein vor dem Haus. Und natürlich hat es auf seinen 1266 Seiten auch ein paar Kapitelchen über die Nachbarschaft. Sie sollten 500 (bis allerhöchstens 1500) Bewohner umfassen, gemeinsame Entscheidungen ermöglichen und dürfen nicht durch zu viel Verkehr gestört werden. Je mehr Verkehr, desto weniger Zusammenleben; ab 200 Fahrzeugen pro Stunde sinkt die Qualität der Nachbarschaft nachweislich. Nachbarschaften sollten nicht mehr als 300 Meter im Durchmesser umfassen, brauchen

ein sichtbares Zentrum (z.B. eine Grünfläche) und eine Grenze, die den «Zugang auf subtile Weise beschränkt». Das ermöglicht der Nachbarschaft die Entwicklung einer eigenen Identität. Alexander und seine KollegInnen haben für das erstmals 1977 erschienene Buch tausende von Studien und Erfahrungen aus der gesamten Architekturgeschichte ausgewertet. Förderlich für Nachbarschaften sind demzufolge im Weiteren eine Gemeinschaft von Arbeitsstätten, ein Café und ein Laden, kleine Parkplätze, ruhige Hinterseiten und – man lese und staune: «ein öffentliches Zimmer im Freien», ein geschützter Ort des zwanglosen Austauschs. Das Buch erfordert bei all seinen Qualitäten auch eine Art Trauerarbeit. Wer sieht, wie einfach wirklicher Lebensraum zu gestalten wäre und das erreichbare Ideal mit der gebauten Wirklichkeit vergleicht, muss

einfach innere Tränen vergiessen. Aber vielleicht ist dies der notwendige erste Schritt, um die Kraft zur Nachbarschaft zu entwickeln. Die «Muster-Sprache» war längere Zeit vergriffen. Wenn man beim Löcker-Verlag in Wien nach der Lieferbarkeit anfragt, muss sich der freundliche Mensch am Draht gleich eine Zigarette anzünden, so gross waren die Hindernisse auf dem Weg zu einer Neuauflage. Im August soll es aber wieder lieferbar sein. Weil der Verlag keine Auslieferung in der Schweiz hat, halten wir für Interessenten ab diesem Zeitpunkt einige Exemplare vorrätig. CP Christopher Alexander (et al.): Eine Muster-Sprache – Städte, Gebäude, Konstruktion. Löcker-Verlag, 1995. 1272 S., Geb., Fr. 140.– / Euro 108.–.

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entscheiden & arbeiten Auszug aus dem Schulbuch «Geld und Geldpolitik» der Deutschen Bundesbank

Geldschöpfung:

die Wahrheit ist offiziell Geld wird als Kredit aus dem Nichts geschöpft und gegen Zins verliehen – ein zweifelhaftes Bombengeschäft. Seit Jahren wiederholen wir diese einfache Tatsache und stossen damit auf Unglauben und Kopfschütteln. Wer tief genug gräbt, stösst aber auch in offiziellen Quellen auf die nackte Wahrheit. In einem Schulbuch erklärt sogar die Deutsche Bundesbank, wie die Geldschöpfung wirklich funktioniert. Auszüge aus «Geld und Geldpolitik» der Deutschen Bundesbank:

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Die Wahrheit ist offiziell

G

eld entsteht durch «Geldschöpfung». Sowohl staatliche Zentralbanken als auch private Geschäftsbanken können Geld schaffen. Im Eurosystem entsteht Geld vor allem durch die Vergabe von Krediten, ferner dadurch, dass Zentralbanken oder Geschäftsbanken Vermögenswerte ankaufen, beispielsweise Gold, fremde Währungen, Immobilien oder Wertpapiere. Wenn die Zentralbank einer Geschäftsbank einen Kredit gewährt und den Betrag auf dem Konto der Bank bei der Zentralbank gutschreibt, entsteht «Zentralbankgeld». Die Geschäftsbanken benötigen es zur Erfüllung ihrer Mindestreservepflicht, zur Befriedigung der Bargeldnachfrage und für den Zahlungsverkehr. Geldschöpfung der Geschäftsbanken Die Geschäftsbanken können auch selbst Geld schaffen, das sogenannte Giralgeld. Der Geldschöpfungsprozess durch die Geschäftsbanken lässt sich durch die damit verbundenen Buchungen erklären: Wenn eine Geschäftsbank einem Kunden einen Kredit gewährt, dann bucht sie in ihrer Bilanz auf der Aktivseite eine Kreditforderung gegenüber dem Kunden ein – beispielsweise 100 000 Euro. Gleichzeitig schreibt die Bank dem Kunden auf dessen Girokonto, das auf der Passivseite der Bankbilanz geführt wird, 100 000 Euro gut. Diese Gutschrift erhöht die Einlagen des Kunden auf seinem Girokonto – es entsteht Giralgeld, das die Geldmenge erhöht. Das so geschaffene Giralgeld kann der Bankkunde nutzen, um den Kauf von Waren und Dienstleistungen zu bezahlen. Auf den ersten Blick könnte man meinen, der Kreditkunde sei durch die Geldschöpfung reicher geworden. Doch dem ist nicht so. Denn seinem durch die Kreditaufnahme entstandenen Guthaben steht eine gleich hohe Verbindlichkeit gegenüber, nämlich die Pflicht, den Kredit wieder zu tilgen. Zudem muss er für den Kredit fortlaufend Zinsen zahlen. (Anmerkung der Red.: Leider schreibt die Bundesbank nicht, dass das zur Zinszahlung erforderliche Geld mit dem Kredit nicht geschaffen wird, sondern erst mit neuen Schuldnern, die Kredite aufnehmen. Dies ist der systemische Grund für Wachstumszwang.) Im Zwang zur Zinszahlung liegt ein starker Anreiz, Kredit nur aufzunehmen, wenn die damit verbundenen Mittel auch tatsächlich benötigt werden. Für ein Unternehmen bedeutet dies, dass es mit dem Kredit produktiv umgehen muss, damit es einen Ertrag erzielt, aus dem zumindest der Zinsaufwand gedeckt werden kann. Kreditvergabe und damit verbundene Geldschöpfung führen so zu Investitionen, erhöhter Produktion und volkswirtschaftlicher Wertschöpfung. Allerdings ist diese Wertschöpfung nicht auf den Akt

der Geldschöpfung selbst zurückzuführen, sondern vielmehr – angeregt durch den Zins – durch den produktiven, wertschöpfenden Einsatz des Kredits. Wie bei dem Kreditnehmer erhöhen Kreditvergabe und Giralgeldschöpfung auch bei der Geschäftsbank die Aktiva und Passiva in genau gleichem Ausmass. Auch bei ihr kommt es durch den Akt der Giralgeldschöpfung für sich genommen nicht zu einem Gewinn. Die Bank verdient aber an den Provisionen der Kreditvergabe sowie den laufenden Zinserträgen. Dieser Aussicht auf Gewinn steht allerdings das Risiko gegenüber, dass ein Kunde seinen Kredit nicht zurückzahlt. Dann erleidet die Bank einen Verlust. Dieses Risiko gibt der Bank einen Anreiz, bei Kreditvergabe und Giralgeldschöpfung Vorsicht walten zu lassen. Einmal geschaffen, zirkuliert das Geld in der Wirtschaft. Entweder fliesst es von Konto zu Konto, wenn beispielsweise per Überweisung gezahlt wird. Oder es wird in bar vom Konto abgehoben und geht dann in Form von Banknoten und Münzen von Hand zu Hand. Wird der Kredit getilgt und nicht durch einen neuen ersetzt, dann wird das durch ihn geschaffene Geld dem Kreislauf wieder entzogen. Im Fachjargon wird dies als «Geldvernichtung» bezeichnet. Grenzen der Geldschöpfung Die obige Beschreibung könnte den Eindruck entstehen lassen, dass die Geschäftsbanken in der Lage sind, unendlich viel Giralgeld zu schöpfen. Wäre dem tatsächlich so, könnte dies inflationär wirken. Die Zentralbank nimmt daher Einfluss auf das Ausmass von Kreditvergabe und Geldschöpfung. So verpflichtet sie die Geschäftsbanken zur Haltung der Mindestreserve. Um das Prinzip zu erläutern, wird hier das einfache Beispiel aus dem vorhergehenden Abschnitt weitergeführt (in Wirklichkeit sind die Vorgänge etwas komplizierter): Hat die Geschäftsbank durch die Kreditvergabe ihre Kundeneinlagen um 100 000

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entscheiden & arbeiten

Euro erhöht, so muss sie auf ihrem Konto bei der Zentralbank auch ihr Mindestreserve-Guthaben erhöhen. Da der Mindestreservesatz im Eurosystem derzeit zwei Prozent beträgt, benötigt sie in diesem Beispiel 2 000 Euro an zusätzlichem Zentralbankgeld. Zentralbankgeld können sich die Geschäftsbanken typischerweise nur dadurch beschaffen, dass die Zentralbank ihnen Kredit gewährt. Für diese Kredite müssen die Geschäftsbanken der Zentralbank einen Zins zahlen. Erhöht die Zentralbank diesen Zins, den «Leitzins», werden die Geschäftsbanken meist auch ihrerseits die Zinssätze anheben, zu denen sie selbst Kredite vergeben. Es kommt zu einem allgemeinen Anstieg des Zinsniveaus. Das aber dämpft in der Tendenz die Nachfrage von Unternehmen und Haushalten nach Krediten. Durch Anhebung oder Senkung des Leitzinses kann die Zentralbank somit Einfluss auf die Nachfrage der Wirtschaft nach Krediten nehmen – und damit auch auf Kreditvergabe und Giralgeldschöpfung. (Anmerkung der Red.: Die Hebelwirkung der Leitzinsen der Zentralbanken ist minimal, da er nur zwei Prozent der neu geschöpften Geldmenge betrifft.) Die Geschäftsbanken benötigen Zentralbankgeld nicht nur für die Mindestreserve, sondern auch um den Bargeldbedarf ihrer Kunden abzudecken. Jeder Bankkunde kann sich sein Guthaben auf dem Bankkonto in Bargeld auszahlen lassen. Sollten die Bestände der Banken an Bargeld knapp werden, kann nur die Zentralbank Abhilfe schaffen. Denn nur sie ist befugt, zusätzliche Banknoten in Umlauf zu bringen. Um den Bargeldbedarf ihrer Kundschaft zu decken, muss die Geschäftsbank somit gegebenenfalls bei der Zentralbank einen Kredit aufnehmen. Es kommt zur Schöpfung von Zentralbankgeld. Das so beschaffte Guthaben an Zentralbankgeld kann sich die Geschäftsbank in Bargeld auszahlen lassen. So

kommt das Bargeld in Umlauf: Von der Zentralbank zu den Geschäftsbanken und von diesen zu den Bankkunden. Zentralbankgeld wird zudem zur Abwicklung des unbaren Zahlungsverkehrs benötigt: Überweist ein Kunde aus seinem Guthaben Geld an einen Kunden bei einer anderen Bank, führt dies in vielen Fällen dazu, dass die überweisende Bank Zentralbankgeld an die empfangende Bank übertragen muss. Das Zentralbankgeld wandert dann von einer Bank zur anderen. Auch durch den Akt der Schöpfung von Zentralbankgeld wird niemand reicher: Die Aktiva und Passiva in den Bilanzen der Geschäftsbanken sowie der Zentralbank nehmen jeweils im Gleichschritt zu. Die Zentralbank erhält anschliessend Zinsen, die die Geschäftsbanken für die Kredite zahlen müssen. Der Zinsertrag geht in den Gewinn der Zentralbank ein. Dieser Gewinn wird an den Staatshaushalt ausgeschüttet und kommt damit letztlich der Allgemeinheit zugute. In normalen Zeiten versorgt das Eurosystem das Bankensystem über die wöchentlichen Refinanzierungsgeschäfte gerade mit so viel Zentralbankgeld, wie die Geschäftsbanken zur Abdeckung von Mindestreserve und Bargeldbedarf insgesamt benötigen. Es kommt dann allenfalls kurzfristig und in kleinerem Umfang dazu, dass im Bankensystem überschüssige Liquidität vorhanden ist. Benötigt eine Geschäftsbank kurzfristig Zentralbankgeld – beispielsweise weil ein Kunde einen grossen Betrag an eine dritte Bank überwiesen hat –, tritt sie als Nachfrager an den sogenannten Geldmarkt. Normalerweise findet sie dann eine andere Bank, die gerade über einen Überschuss an Zentralbankgeld («Liquidität») verfügt und bereit ist, ihr den benötigten Betrag zu leihen. Sollte es im Bankensystem insgesamt kurzfristig zu einem

Vollgeldreform – die wichtigste Volksinitiative seit langem in den Startlöchern In der Schweiz sollen die privaten Banken kein Geld mehr schöpfen können. Dies fordert der Entwurf einer Volksinitiative, deren Trägerschaft sich zur Zeit bildet. Es könnte die wichtigste Volksinitiative seit Jahrzehnten werden. Das Ziel des vorgeschlagenen neuen Verfassungsartikels ist eine Geldordnung, in der allein die Nationalbank gesetzliches Zahlungsmittel in Umlauf bringt. Bis jetzt wird der grösste Teil der Geldmenge durch die Kreditvergabe der privaten Banken geschöpft – mit erheblichen Nachteilen für die wirtschaftliche Stabilität. In Zukunft müssen sich die Banken die gesamten Mittel, die sie verleihen wollen, bei der Nationalbank beschaffen. Heute benötigen

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sie dazu eine Mindestreserve von ein paar wenigen Prozent. Grundlage der Initiative ist das so genannten «Vollgeld», das in den USA der 30er Jahre als «100percent-money» heftig diskutiert, aber nicht eingeführt wurde. Die Idee zur Initiative ging von einigen Mitgliedern der INWO (Initiative für eine natürliche Wirtschaftsordnung aus. Am Verfassungsentwurf beteiligt sind u.a. die Professoren Philippe Mastronardi, Peter Ulrich, Hans-Christoph Binswanger und Joseph Huber. Die Initiativgruppe stellt den Entwurf am 13. Mai an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur vor und will damit eine breite Diskussion zum Thema anstossen, die schliesslich zur

Lancierung der Volksinitiative führen soll. Gleichzeitig findet die Gründung des Trägervereins «Monetäre Modernisierung» statt, dessen Mitgliedschaft wir allen Zeitpunkt-Lesern sehr empfehlen. Trotz allgegenwärtigen Reformbedarfs und teilweise auch -willens sind Vorstösse für echte Veränderungen mit Chancen auf Verwirklichung selten. Dies ist einer. CP Öffentliche Veranstaltung zur Schweizer Vollgeldreform. Freitag, 13. Mai Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Technikumstr. 9, 8400 Winterthur, Hörsaal TL 202. 13.15 bis 18.00 Uhr. Mit Referaten von Prof. W. Kallenberger, Prof. Hans-Christoph Binswanger, Prof. Joseph Huber, Prof. Philippe Mastronardi. Info und Anmeldung www.monetative.ch


Die Wahrheit ist offiziell

Quelle: Geld und Geldpolitik – Schülerbuch für die Sekundarstufe II. 2009, deutsche Bundesbank. «Geld und Geldpolitik» ist zwar als Schulbuch gedacht, eignet sich gemäss Bundesbank aber auch als «Nachschlagewerk für Studenten und jeden Interessierten». Link: www.bundesbank.de/bildung/ bildung_schuelerbuch_gg.php

Überschuss oder einer Knappheit an Zentralbankgeld kommen, stehen dem Eurosystem zur Bereinigung dieser Marktlage zusätzliche Instrumente zur Verfügung, beispielsweise Refinanzierungsgeschäfte mit eintägiger Laufzeit. Nach dem Ausbruch der Finanzkrise im Sommer 2007 war der Geldmarkt zeitweise schwer gestört. Der ansonsten übliche Liquiditätsausgleich zwischen den Geschäftsbanken über den Geldmarkt fand nicht mehr statt. Denn wegen des allgemeinen Misstrauens scheuten sich viele Geschäftsbanken, überschüssige Liquidität an andere Banken auszuleihen. Andere Banken waren deshalb nicht in der Lage, ihren Bedarf an Zentralbankgeld abzudecken. Um der so bedingten «Liquiditätsnot» zu begegnen, stellte das Eurosystem dem Bankensystem über zusätzliche Refinanzierungsgeschäfte in grossem Stil Zentralbankgeld zur Verfügung. Der Bestand an Zentralbankgeld im Bankensystem überstieg dadurch den Bedarf, der sich aus Mindestreserve und Bargeldumlauf ergab. Dieser überschüssige Betrag, die sogenannte Überschussliquidität, wird von der Zentralbank nicht verzinst. Doch haben die Geschäftsbanken die Möglichkeit, überschüssiges Zentralbankgeld über Nacht auf einem besonderen Konto bei der Zentralbank anzulegen. Auf Guthaben in dieser «Einlagefazilität» zahlt die Zentralbank einen Zins – der allerdings vergleichsweise niedrig ist. Die Geschäftsbanken können den Überschuss an Zentralbankgeld auch dazu nutzen, zusätzliche Kredite an Unternehmen und Haushalte zu vergeben.

Wie bereits geschildert, ergibt sich aus der Vergabe zusätzlicher Kredite ein zusätzlicher Bedarf an Zentralbankgeld – der in dieser besonderen Situation grosser Unsicherheit unter den Banken durch die bereits bestehende Überschussliquidität abgedeckt werden kann. Die überreichliche Liquiditätsversorgung entlastet eine Bank, die einen Kredit vergeben will, von der ansonsten üblichen Erwägung, wie viel Zentralbankgeld sie nach der Vergabe von Krediten benötigen wird, wie es zu beschaffen ist und zu welchen Kosten. Mithilfe des sogenannten Geldschöpfungsmultiplikators lässt sich abschätzen, wie gross das Potenzial für die zusätzliche Kreditvergabe ist. Ein Beispiel verdeutlicht dies: Angenommen die gesamtwirtschaftliche Überschussreserve betrage 100 Milliarden Euro. Angenommen sei zweitens, dass die Geschäftsbanken bei der Zentralbank eine Mindestreserve in Zentralbankgeld halten müssen, die zwei Prozent der Einlagen ihrer Kunden entspricht. Angenommen sei drittens, dass Kunden von neugeschaffenem Giralgeld im Durchschnitt 20 Prozent als Bargeld abheben. Mithilfe des Geldschöpfungsmultiplikators lässt sich berechnen, dass das Bankensystem insgesamt rund 463 Milliarden Euro an zusätzlichen Krediten vergeben könnte. Denn nach den Annahmen würden davon rund 92,6 Milliarden Euro als Bargeld abgehoben. Auf die erhöhten Guthaben von 370,4 Milliarden Euro müssten die Geschäftsbanken zusätzlich 7,4 Milliarden Euro an Mindestreserve bei der Zentralbank unterhalten.

Geld und Geist, eine okkulte Tragödie Dieses Buch ist ein Hammer. Da erklärt ein Banker der Europäischen Investitionsbank in Form eines Romans, wie unser Geld wirklich funktioniert und dringt dabei in die okkulten Sphären der Herren dieses Systems vor. Der Titel des Buches ist Programm: «Divina Insidia – le piège divin», die göttliche Falle. Wer sich fragt, was die wirklich Vermögenden antreibt, die ihre Macht über Jahrhunderte aufgebaut haben und so kolossal reich sind, dass sie in keiner Liste mehr Platz finden, der findet in diesem Roman des Belgiers Pascal Roussel eine verstörende Antwort. Hauptperson ist die Journalistin Anne Standfort, die in den «planète financière» eindringt, die Geldschöpfung aus dem Nichts und die verheerende, exponentielle Wirkung des Zinses erkennt, die letztlich alle Macht zu den grössten Vermögen verschiebt. Standfort macht im Verlaufe ihrer Recherchen Bekanntschaft mit dem Mitglied einer superreichen Familie und bekommt Erstaunliches zu hören: «Sobald wir die sichtbare Welt beherrschen, werden wir eine

Stufe höher steigen und die unsichtbare Welt dominieren.» Roussel erklärt in einem Interview, noch vor zehn Jahren sei er überzeugt gewesen, dass okkulte Praktiken in den Reihen der Superreichen die Ausnahme seien. Heute ist er aufgrund historischer Studien, der Auswertung seltener Quellen, Begegnungen und Gesprächen mit Superreichen überzeugt: Okkultismus ist Standard. Es herrscht auf dieser Ebene eine ganz besondere Vorstellung vom Kampf zwischen Gut und Böse, der sich u.a. in Programmen zur drastischen Reduktion der Weltbevölkerung äussert. Allzu tief dringt Roussel allerdings nicht ein in diese Welt, weil sie, wie er sagt, «zu unwahrscheinlich» klinge. Zudem habe er alle unsicheren und spekulativen Elemente eliminiert. Immerhin: Adam Weishaupt, der Gründer der Illuminati kommt vor, die Bilderberger, die Trilaterale Kommission und einige andere. Roussel erwartet eine weitere Verschärfung der Finanzkrise. Wer sich machtlos fühle, brauche aber

nicht sofort die Revolution auszurufen. Sich Fragen zu stellen, einschlägige Bücher zu lesen und mit Bekannten darüber zu sprechen verändere schon das kollektive Bewusstsein. Wer die Funktion unseres Geldsystems kennt, weiss: Wir sitzen in der Falle. Unser Geld ist Kredit, der nie zurückbezahlt wird, letztlich also quasi wertlos ist. Aber: Die Erkenntnis dieser Wahrheit zerstört gleichzeitig unser Geld und alle Rechtsbeziehungen, die darauf aufbauen, also so ziemlich alles, was die vom Menschen geschaffene Welt ausmacht. Ohne Bewusstseinssprung werden wir diesen Schritt nicht schaffen. Christoph Pfluger Pascal Roussel: Divina Insidia – le Piège Divin. Editions Romaines, 2011. 18.– Euro; ISBN 978-2-9535735-2-7 Mehr zum Buch: http://librairieromaine. biz/?p=261 Pascal Roussels Website: www.pascalroussel.net/

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entscheiden & arbeiten von Christoph Pfluger

«Damit der Mensch Nein sagen kann» 600 Menschen legten Mitte März an einem Kongress in Zürich zum Thema «Grundeinkommen» die Basis für eine Volksinitiative. Die Veranstalter von der Stiftung «Kulturimpuls Schweiz» hatten den Mut zu einer kontroversen Veranstaltung und dürften mit einer landesweiten Diskussion belohnt werden. Am Grundeinkommen wird die Politik nicht mehr vorbeikommen.

«M Der charismatische Götz Werner umschiffte spielend alle kritischen Fragen zum Grundeinkommen. Nicht zuletzt dank ihm wird in der Schweiz eine Volksinitiative lanciert.

an spürt einen wahnsinnigen Lebenshunger in diesem Saal», konstatierte die Schriftstellerin Judith Giovanelli-Blocher. In der Tat: 600 bestens gelaunte Menschen aus allen Schichten, die dem bedingungslosen Grundeinkommen, einem Bürgergeld für alle Menschen in der Schweiz auf die Sprünge helfen wollen – so etwas hat das Kongresshaus Zürich wohl noch nie gesehen. Dass der perfekt organisierte Kongress seit Wochen ausgebucht war, ist wohl dem Umstand zuzuschreiben, dass die Teilnahme dank der Stiftung Kulturimpuls Schweiz kostenlos war. Da sieht man, was ein bisschen Geld möglich macht. Die Idee eines Grundeinkommens ist mindestens 150 Jahre alt und erlebte seither immer wieder kleine Renaissancen. Die gegenwärtige, die vom deutschen Milliardär Götz Werner, Besitzer der Drogeriemarkt-Kette, vor rund zehn Jahren angestossen wurde, dürfte allerdings die intensivste sein. Das liegt einerseits an der finanziellen Potenz des grossen Förderers, andrerseits an der intelligenten Vernetzung der anthroposophisch orientierten Trägerorganisationen und vor allem an den ökonomischen Verhältnissen. Die kontinuierliche Umverteilung von den Arbeitenden zu den Besitzenden und der Arbeit von den Menschen zu den Maschinen stürzt immer mehr Menschen ins Prekariat. Das bedingungslose Grundeinkommen will jedem Menschen ein bescheidenes Leben ermöglichen. Es wird nicht ausgerichtet, um nicht arbeiten zu müssen, sondern damit man arbeiten kann, was man sinnvoll findet. Götz Werner, der charismatische Sponsor der Idee des Grundeinkommens, hat grosse Erwartungen an die Schweiz. Zum einen schreibt er ihr als

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eine Art «Mini-EU» eine zentrale Bedeutung in Europa zu. Zum anderen hält er viel von ihren direkt-demokratischen Einrichtungen, die über eine Initiative auch eine Volksabstimmung zum Grundeinkommen ermöglichen. Dass eine solche stattfindet, ist denn auch sein grosser Traum. Der frühere Vizekanzler Oswald Sigg sieht die Einführung des Grundeinkommens als «Mondlandung» und die Volksinitiative als «Rakete» dazu. Es dürften aber mehrere Volksabstimmungen nötig werden. Das Grundeinkommen soll gemäss Werner die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen schaffen, damit der Einzelne «den Menschheitstraum ‹Freiheit› verwirklichen und sich in die Gesellschaft einbringen kann». Dass bei einem Grundeinkommen niemand mehr arbeiten würde, hält er für das Produkt eines irrigen zweifachen Menschenbildes, das wir in uns tragen: eines humanistischen von uns selber und das eines determinierten Reiz-Reaktionswesens von anderen. Konkret: Während wir selber mit einem Grundeinkommen sinnvoller und tendenziell mehr arbeiten würden, nehmen wir von anderen an, sie legten sich auf die faule Haut. In einem Satz, resümierte Werner den Sinn des bedingungslosen Grundeinkommens, «sollen immer mehr Bürger Nein sagen können». Eine starke Vision mit enormer heilsamer Wirkung, wenn man bedenkt, wie viele Menschen aus materiellen Gründen in einer Tretmühle stecken, keine echten Werte schaffen, sondern bloss das Bruttosozialprodukt steigern. Spannend, aber leider nicht wirklich schlüssig wurde der Kongress mit der Frage der Finanzierung des Grundeinkommens. Anton Gunzinger, Informatikprofessor und Gründer und Leiter der Supercomweiter im Text auf Seite 44 puting Systems AG, zeigte, wie


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Actares: den Kapitalismus von innen verändern Die Die Dosis ist homöopathisch, aber die Wirkung stark. Actares, die Vereinigung der «AktionärInnen für nachhaltiges Wirtschaften» vertritt zwar nur ein paar Promille des Kapitals, aber sie erreicht viel in der Welt der Konzerne. Dort, wo aus juristischen Gründen nicht der Mensch entscheidet, sondern das Geld, können Menschen durchaus etwas erreichen, wenn sie gemeinsam vorgehen. Die protokollierbaren Erfolge an den Generalversammlungen sind zwar rar, aber die Wirkung ist da. Als Actares 2005 die Doppelmandate bei Nestle statutarisch verbieten lassen wollte, setzte sich der Verwaltungsrat zwar mit 51 Prozent der Kapitalstimmen durch. Aber kurz darauf erklärte Nestle-Chef Brabeck, er würde nach zwei Jahren auf das Doppelmandat verzichten und trat gleichzeitig aus dem wichtigen Vergütungsauschuss zurück. Ein anderes Beispiel: 2002 veröffentlichten nur gerade sechs Schweizer Unterneh-

men einen Nachhaltigskeitsbericht. Heute gehört er bald zum guten Ton. Das heisst allerdings nicht, das Ziel einer nachhaltigen Wirtschaft sei erreicht, keineswegs. Um beim Klimaschutz oder den Boni etwas zu erreichen – den beiden Hauptzielen von Actares für das laufende Jahr –, müsste vermutlich die Dosis etwas erhöht werden. Konkret bedeutet dies mehr Mitglieder. Je besser die Geschäftsstelle dotiert ist, desto mehr können sich die kritischen Aktionäre zu einer Kraft entwickeln, mit der immer zu rechnen ist, nicht nur in besonders heiklen Fragen. «Mit unserer Stimmkraft machen wir niemandem Angst», sagt Actares-Geschäftsführer Roby Tschopp. «Aber wir werden gehört.» Wer denkt, Aktionärsdemokratie betreffe nur Kapitalisten, liegt leider falsch. Über die AHV und unsere Guthaben bei den Pensionskassen sind wir alle Aktionäre. Ganz

abgesehen davon, dass wir, ob Kunde oder nicht, von der Politik der Konzerne betroffen sind. Die vor elf Jahren gegründete Actares betreibt keine Systemkritik, sondern arbeitet auf der Grundlage der nachhaltigen Werterhaltung. Die Bosse täten denn auch gut daran, besser auf die kritischen Stimmen unter den eigenen Anteilseignern zu hören. In Deutschland, wo alternative Aktionärsvereinigungen schon eine 25-jährige Tradition haben, waren es die «Kritischen Aktionäre Daimler» die als einzige rechtzeitig vor der desaströsen Fusion mit Daimler gewarnt hatten. Fazit: Kritik kann auch ganz gut fürs Geschäft sein. Wenn sie nur gehört wird. CP

Kontakt: ACTARES, AktionärInnen für nachhaltiges Wirtschaften, Postfach, 3000 Bern 23. Tel. 031 371 92 14. www.actares.ch

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durch eine faire Abgeltung der Nutzung von Gemeingütern wie Ruhe oder Luft bereits ein guter Teil des Grundeinkommens finanziert werden könnte. Oder konkreter: Lärm verursacht ungedeckte Kosten von 2 630 Franken pro Person und Jahr, die Luftverschmutzung von 3 200 Franken. Insgesamt stehen für das Grundeinkommen nach den Berechnungen von Anton Gunzinger durch die faire Abgeltung von Gemeingütern 6 000 bis 12 000 pro Person zur Verfügung. Damit diese Gelder fliessen können, müssen sie allerdings beim Verursacher erhoben werden. Dann versuchten Daniel Häni, der Pionier des Grundeinkommens in der Schweiz und Christian Müller, einer der Organisatoren des Kongresses, zum Kern der Finanzierung vorzudringen. Daniel Häni machte zunächst deutlich, dass bereits heute praktisch jedem Menschen ein Einkommen gezahlt wird, entweder als Lohn oder als Rente für geleistete Arbeit oder als Sozialhilfe oder als Arbeitslosenunterstützung im Bedarfsfall. Nach Christian Müllers Berechnungen liegt bei einem Grundeinkommen von 2 500 Franken pro Erwachsenen und 1 000 Franken pro Kind der Gesamtbedarf bei 200 Mrd. Franken oder einem Drittel des Bruttoinlandprodukts. 170 Milliarden würden bereits auf verschlungenen Wegen über das Sozialsystem ausbezahlt und für die verbleibenden 30 Milliarden sollte sich eine Finanzierung finden. Die Kapitaleinkommen, dies zum Vergleich, betrugen 2008 267 Milliarden Franken. Sie sollen aber nach Ansicht der Initianten des Grundeinkommens nicht angetastet werden. Den Stimmungshöhepunkt erreichte der Kongress zweifellos mit dem Streitgespräch zwischen Klaus W. Wellershoff, dem ehemaligen UBS-Chefökonomen als Befürworter und Weltwoche-Chefredaktor Roger Köppel als Gegner des Grundeinkommens.

Köppel bezeichnete das Grundeinkommen als «SoftSozialismus», das den notwendigen Druck auf den Menschen, produktiv zu sein, aushebeln würde. Für Wellershoff mochte auf diese «fundamental negative Sicht» nicht eingehen, sondern empfahl seinem Kontrahenten unter Applaus, doch seinen Bruder, einen Psychoanalytiker, aufzusuchen. Viel mehr als einen scharf geführten verbalen Schlagabtausch brachte das Gespräch allerdings nicht. Dazu war Köppel, der sich nur auf sein liberales Gewissen berief und die Lähmung der Eigenverantwortung heraufbeschwor, schlicht zu schlecht vorbereitet. Dabei gibt es nicht zuletzt auch aus anthroposophischen Kreisen ernstzunehmende Kritik. Einiges davon kam im Publikumsgespräch am Ende des Kongresses zum Ausdruck. Ein Teilnehmer wies darauf hin, dass die Begriffe Bank, Zins und Kapitalismus während des ganzes Tages (mit Ausnahme eines literarischen Intermezzos von Peter Schneider) nie fielen. Und ein anderer meinte, ohne Infragestellung des Zinssystems könne das Grundeinkommen gar nicht ausreichend finanziert werden. Dazu entgegnete der Moderator Enno Schmidt, Co-Autor eines Films zum Thema, das Grundeinkommen würde viele Probleme mit dem Zinsgeld lösen; Reiche und Arme sollten gemeinsam nach Wegen suchen und nicht «mit den läppischen Kampfgeschichten weiterfahren». Es ist zu hoffen, dass er Recht behält, und sich eine gerechte Welt ohne Kampf realisieren lässt. Wenn das Ziel der Tagung darin bestand, Fragen zu stellen, wie Götz Werner eingangs feststellte, dann ist es mit Sicherheit erreicht worden. Die Frage des bedingungslosen Grundeinkommens wird uns auch an der Urne gestellt werden. In einem Jahr soll die Unterschriftensammlung zu einer Volksinitiative beginnen. Links: www.grundeinkommen.tv • www.grundeinkommen.ch http://grundeinkommen-news.blogspot.com/

Das Grundeinkommen darf kein Ersatz für Gerechtigkeit sein Die Diskussion um das Grundeinkommen hat einen grossen Mangel: Sie befasst sich nicht mit den Ursachen der Missstände, die sie beheben will. Immer mehr Menschen werden arbeitslos oder schlechter bezahlt, weil unter dem Zinsgeld eine kontinuierliche Umverteilung von den Arbeitenden zu den Besitzenden stattfindet, die mit dem vielen Geld, das ihnen zuströmt, Arbeitsplätze wegrationalisieren. In jedem Preis, den wir bezahlen, verstecken sich im Durchschnitt Kapitalkosten von rund 40 Prozent – eine versteckte Steuer, die unser Kreditgeldsystem den Besitzenden zuführt, zu Lasten der Arbeitenden. Das ist nicht nur eine grosse Ungerechtigkeit, sondern auch nicht nachhaltig. Unsere Wirtschaft strebt auf einen Punkt zu, an dem ein alles

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Besitzender die grossmächtige Maschine kontrolliert, die alle Güter dieser Welt herstellt. Der Mensch wird zu einem fremdbestimmten Wesen. Natürlich wird die Entwicklung dieser apokalyptischen Big-Brother-Welt vor Erreichen dieses imaginären Punktes durch eine Revolution gestoppt werden. Aber wir alle spüren den ungeheuren Zugriff des Kapitals auf unser Leben schon heute. Die Linderung, die das bedingungslose Grundeinkommen in dieser Situation verspricht, ist denn auch dringend nötig. Alle Menschen sollen von den Segnungen der Automation profitieren, die sie mit Arbeitslosigkeit ja mitfinanzieren. Aber das Grundeinkommen ist kein Ersatz für ein gerechtes Wirtschaftssystem.

Wenn wir unter einem zinsfreien Geld mit einem Drittel der Arbeitszeit einen vergleichbaren Lebensstandard halten können – was durchaus realistisch ist –, dann stellen sich viele Probleme, die das Grundeinkommen löst, erst gar nicht. Zudem herrschen dann Verhältnisse, in denen sich ein echtes Grundeinkommen leicht finanzieren lässt. Die Promotoren des Grundeinkommens müssen die zinsbedingten Ursachen der Missstände thematisieren, die sie beheben wollen. Tun sie dies nicht, könnte man ihnen mit guten Gründen vorwerfen, das Grundeinkommen diene der Beruhigung der Massen und der Erhaltung der bestehenden Verhältnisse. Christoph Pfluger


entscheiden & arbeiten

Finanzblase auch bei Mikrokrediten Das Versprechen bei den Mikrokrediten heisst «Wohlstand», das Gebot «Wachstum». Ihr Erfinder, Muhammad Yunus, verkündete in den 1980ern das baldige Ende der Armut und erhielt für die Idee der Mikrokredite 2006 den Friedensnobelpreis. Die weltweite Mikro-Finanzindustrie hat derzeit ein Volumen von 60 Milliarden Dollar; manche Mikrokreditfonds versprechen Renditen von zwölf Prozent. «Aberwitzig!», sagt Gerhard Klas im Interview mit «Surprise». Das erfordert Wucherzinsen von 20 Prozent und mehr. Für sein Buch «Die Mikrofinanz-Industrie – die grosse Illusion oder das Geschäft mit der Armut» hat der deutsche Journalist in Indien und Bangladesch recherchiert. Er stellt der Branche ein miserables Zeugnis aus. Nicht Wohlstand hätten die Mikrokredite vielen Frauen gebracht, sondern Überschuldung. «Das Finanzkapital ist immer auf der Suche nach neuen Anlagemöglichkeiten. Ohne permanentes Wachstum funktionieren Mikrokredite genau so schlecht wie jeder andere Bereich der kapitalistischen Wirtschaft.» Schulden können häufig nur mit weiteren Schulden zurückbezahlt werden; in Bangladesch sind 70 Prozent der 30 Millionen Schuldnerinnen von mehr als einem Finanzinstitut abhängig. Die Realwirtschaft hinkt zwanghaft hinter der Finanzwelt her. «Die Blase wird irgendwann platzen.» Surprise/MH

Demokratische Bank – Österreich will konkret werden Statt über Raffgier und Machtwahn bestehender Banken zu klagen, muss die Zivilgesellschaft selber etwas Besseres schaffen. Attac Österreich will jetzt eine «Demokratische Bank» gründen – nicht gewinnorientiert, sozial verantwortungsbewusst, ohne Zins. «Heute ist Geld ein Mittel der Macht über andere, das trennt und schafft Instabilität. Morgen sollte Geld ein Mittel der gemeinsamen Gestaltungsmacht im Zeichen der Menschlichkeit, der gegenseitigen Hilfe und Solidarität werden», so Christian Felber, Buchautor mit Spezialgebiet Finanzalternativen. Nur eine schöne Illusion? Derzeit werden Anteilseigner genossenschaftlicher Basis gesucht, die ein Startkapital von fünf bis zehn Millionen Euro zusammen tragen. Zunächst soll es nur eine Bank unter vielen sein. Die Vision ist aber: Durch Volksabstimmung soll daraus die öffentliche Bank des Gemeinwesens werden. Das Modell könnte auch in anderen Ländern Schule machen. Sowohl im Umgang mit Mitarbeitern als auch bei der Auswahl der finanzierten Projekte wird auf soziale und ökologische Standards geachtet. Jeder Wohnbürger erhält ein kostenloses Girokonto. Die Spareinlagen sind unbeschränkt garantiert. Revolutionär ist auch das Prinzip, dass Zinsen weder verlangt noch gewährt werden – von der Deckung der tatsächlichen Kosten der Bank und einem Inflationsausgleich abgesehen. RR Webseite der Initiative: www.demokratische-bank.at

Gerhard Klas: Die Mikrofinanz-Industrie – die grosse Illusion oder das Geschäft mit der Armut. Verlag Assoziation A, 240 S., Fr. 24.50/Euro 16,00. Erscheint im Mai 2011.

Jenseits des Wachstums?! Ökologische Gerechtigkeit. Soziale Rechte. Gutes Leben.

Wir sind die Pioniere Georges Bucher Bereichsleiter IT

Die aktuellen Krisen zeigen in aller Deutlichkeit die Grenzen des Wachstums. Können andere Formen sozialen oder nachhaltigen Wachstums ein Ausweg sein? Eine Auseinandersetzung mit neuen Konzepten des Wirtschaftens und eine Diskussion über Alternativen zur Wachstumsgesellschaft sind dringend nötig. Beim Kongress „Jenseits des Wachstums?!“ werden wir kontrovers diskutieren: Wir wollen Interessenkonflikte benennen, aber auch Wege für ein gutes Leben für alle in einer Gesellschaft ohne Wachstumszwang ausloten und dazu Strategien skizzieren.

Kongress // 20.-22. Mai ‘11 // TU Berlin

die ökologisch- ethische Pensionskasse

in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Heinrich-Böll-Stiftung, der Otto-Brenner-Stiftung und der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

«Die Nachhaltigkeit unserer Anlagen, die guten Anstellungsbedingungen, die Transparenz unseren versicherten Betrieben gegenüber und natürlich die Mitbestimmung.»

www.jenseits-des-wachstums.de

Darin sind wir Pioniere – seit 25 Jahren.

www.nest-info.ch

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Neue Partei mit einer Politik «aus der Intelligenz des Herzens» Die Schweiz müsste eigentlich das Eldorado für Demokraten sein. Warum aber gibt es und gleichzeitig als Bewegung gegründet. Die IP orientiert sich an einem Menschenbild mit vier Ebenen, der physisch-materiellen, der emotionalen, der mentalen (Vernunft) und der seelisch-spirituellen Ebene, mit gleichwertigen, aber unterschiedlichen Bedürfnissen. Sie strebt eine Überwindung des Materialismus an, Chancengleichheit und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Regeln, die eine Selbstregulierung des Marktes ermöglichen. Als Massnahmen schlägt sie u.a. vor: • die gleichmässigere Verteilung der Arbeits- und Kapitaleinkommen • die Neugestaltung des Sozialsystems • die Verteilung grosser Vermögen nach dem Ableben wohlhabender Personen

• die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen • die Reduktion wirtschaftlicher Machtkonzentration. Eine Politik mit umfassendem Anspruch wird es in der politischen Arena nicht leicht haben. Die Grenzen, bzw. Hindernisse dieses Ansatzes zeigen sich zum Beispiel im Abschnitt «Friedensförderung und Sicherheitspolitik» des Grundlagenpapiers der IP: «Jeder Mensch muss seine persönlichen Verletzungen durchleuchten, verarbeiten und versöhnen, also integrieren und transformieren, um ein zufriedenes und kraftvolles Wesen zu sein.» So etwas lässt sich natürlich mit unseren politischen Institutionen nicht umsetzen. Die IP macht aber auch konkrete Vorschläge für eine zukunftsfähige Schweiz:

Gestern: Abstimmung – heute: Selbstbestimmung Die Schweiz müsste eigentlich das Eldorado für Demokraten sein. Warum aber gibt es so viele Politikverdrossene in dem Land, das als das demokratischste der Welt gilt? Die Hälfte der Stimmberechtigten geht gar nicht erst abstimmen. Die Mühlen der direkten Demokratie drehen vielen zu langsam: Endlose Debatten im Parlament und Abstimmungskämpfe mit populistischen Parolen, die auf Medienwirksamkeit abzielen und nicht auf Lösungen ausgerichtet sind, blockieren den Wandel. Dem Volk werden Vorlagen über Detailfragen unterbreitet, deren Ausgang meist durch die Empfehlungen des Bundesrates vorbestimmt ist. Initiativen, wie die Abzockerinitiative von Thomas Minder, die «ans Eingemachte» gehen, werden endlos verschleppt und in ihrer politischen Aussage verdünnt. Damit soll nun endlich Schluss sein. Änderung verspricht der Berner Grünenpolitiker Lukas Harder mit seinem Projekt «Heute Selbstbestimmung».

Die für Volksinitiativen nötigen Unterschriften sollen mit wenig Geld und in kurzer Zeit gesammelt werden können. Der dafür gegründete «Verein zur Förderung von Bürgerinitiativen» schafft ein Netzwerk, dessen Mitglieder sich online über neue Initiativen informieren und sofort ihre Unterschrift abgeben können. Mit einem Mausklick sollen künftig auch Nachbarn und Freunde zum Unterzeichen eingeladen werden können. «Die Volksinitiative muss wieder in die Hände der Bürger gelangen. Es darf nicht sein, dass das stärkste demokratische Instrument meist nur noch von finanzstarken Verbänden und Parteien ergriffen werden kann», erklärt Lukas Harder sein Projekt. Er sammelt bereits heute mit einem Team von rund hundert Leuten Unterschriften für diverse Volksbegehren. Wer also die verkrusteten Strukturen der direkten Demokratie neu beleben will, sollte sich der Bewegung anschliessen. MAG www.heute-selbstbestimmung.ch

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Konsum statt Arbeit besteuern, ein Jahr Zivildienst für alle, Förderung von Unternehmen mit Gemeinwohlbilanzen, Quartierräte zur Sicherung der generationenübergreifenden Selbsthilfe, freie Schulwahl und vieles mehr. Man darf gespannt sein, wie sich die Politik «aus der Intelligenz des Herzens» entwickelt. CP Zum Parteigründungsfest vom 7. Mai im Bürenpark in Bern sind auch Interessenten eingeladen, wobei an der Generalversammlung nur Mitglieder mitbestimmen können. Am Morgen gibt es einen Erfahrungsaustausch über politische Aktionen und ein Plenum zur nach wie vor diskutierten Frage Partei oder Bewegung? Nach der GV findet dann am Nachmittag ab 15.15 die eigentliche Gründungsfeier statt. Weitere Informationen und Anmeldung: www.integrale-politik.ch


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MenschenStrom: Das wird die grösste Atom-Demo seit langem Der «MenschenStrom gegen Atom» wächst. Drei Aktivisten (darunter zwei Zeitpunkt-Leser) hatten im Januar 2010 die Idee einer grossen Demowanderung gegen Atomkraftwerke. Im Mai 2010 folgten rund 5 000 ihrem Aufruf und sorgten für eine eindrückliche Willenskundgebung. Der «MenschenStrom» wird natürlich auch dieses Jahr wieder durchgeführt. Schon vor Fukushima sind 90 Organisationen der Trägerschaft beigetreten, darunter neben den grossen Umwelt­organisationen auch die SP Schweiz, Bündnis 90 / Die Grünen aus Baden Württemberg sowie «Sortir du nucléaire France, die Dachorganisation von 875 atomkritischen Organisationen aus Frankreich. Es dürfte ein ziemlich grosses politisches Fest für die Erneuerbaren und gegen die Atomkraft werden. Die Zeit der grossen friedlichen Atom-Demos ist wieder da, und diesmal werden sie ihr Ziel erreichen. Zog sich die Wanderung letztes Jahr von Aarau am AKW Gösgen vorbei nach Olten, wird heuer im Kernland der Kernenergie, in der Region von Beznau und Leibstadt demonstriert. Die Route liegt noch nicht definitiv fest, einige Bewilligungen sind noch hängig. Reservieren Sie sich auf alle Fälle den 22. Mai für ein politisches Familienfest der Sonderklasse mit einer Botschaft, die endlich erhört werden muss: Aussteigen aus der Atomenergie, einsteigen in die Erneuerbaren! CP Aktuelle Informationen: www.menschenstrom.ch

Grosse Banken, grosse Risiken Je grösser eine Bank, desto mehr Risiken geht sie ein. Zu diesem Schluss kommt eine internationale Studie des britischen National Institute of Economic and Social Research (NIESR). Sie hat die Grösse von 700 Banken in 14 Industriestaaten mit den jeweiligen Abschreibungen und Zahlungsausfällen verglichen. Grosse und schnell wachsende Banken verzeichnen proportional höhere Ausfälle auf ihren Krediten als kleine Banken. Bevor sie die Daten überprüften, gingen die Verfasser der Studie davon aus, dass Grossbanken von einer breiten Risikostreuung profitierten und somit sicherer wären. Für das gegenteilige Ergebnis haben sie nun zwei Erklärungen: Entweder stellt die implizite Staatsgarantie den Grossbanken einen Freipass zum Risiko aus, oder Grösse und Komplexität erschweren es ihnen, die eigenen Geschäfte zu kontrollieren. MH Ray Barrel et al.: Is there a Link from Bank Size and Risk Taking? www.niesr.ac.uk/pdf/dp367.pdf

Am Ende der Welt: selber denken! Die Welt, die wir seit dem Zweiten Weltkrieg kannten, war die des Kapitalismus’, eines scheinbar unverbrüchlichen Glaubenssystems, dem sich die gesamte westliche Gesellschaft unterordnete. Der Glaube ans ewige Wachstum ist seither gebrochen, eine Neuorientierung unumgänglich. Harald Welzer, Sozialpsychologe und Kulturwissenschaftler, und Claus Leggewie, Politikwissenschaftler, haben unter dem Titel «Das Ende der Welt, wie wir sie kannten» ein Buch geschrieben mit einfachen Fragen und Beispielen, wie die Lügen des Welttheaters aufgedeckt werden können. Wachstum sei unabdingbar für eine gesunde und prosperierende Gesellschaft. Das war das Credo und der Fetisch der Wirtschaftselite und – zugegeben – die meisten von uns haben daran geglaubt. Wie falsch diese Annahme war, zeigen die heute kranken Finanzinstitute und Volkswirtschaften und die protestierenden Massen auf den Strassen. Innerhalb eines Jahres versagten zwei High-TechSysteme – mit unabsehbaren Folgen: Die Bohrinsel im Golf von Mexiko und das AKW in Fukushima. Nach einer ehrlichen Ursachen-Wirkungsanalyse müssten wir unsere Lebensweise radikal in Frage stellen. Doch die meisten Menschen wollen (noch) nicht hinschauen und die an sich logischen Schlüsse ziehen, geben Welzer und Leggewie zu bedenken. Ob stetes Wachstum bei endlichen Ressourcen möglich sei, ob AKWs sicher sein können, das sind die einfachen Fragen, die gestellt werden müssen, und die ebenso einfachen Antworten darauf lauten immer wieder «Nein». Zehn Empfehlungen für einen Wertewandel weg vom Wachstum, hin zu mehr Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit (nach Harald Welzer): 1. Selber denken (nicht fremddenken lassen) – zu viel wird einfach nachgeplappert. 2. Trauen Sie Ihrem Gefühl und nicht der Illusion, die Ihnen zur Erhaltung der bestehenden Ordnung vorgespielt wird. 3. Stellen Sie Kinderfragen wie: Warum werden Schulden grösser, obwohl gespart wird? 4. Suchen Sie zusammen mit Freunden und Gleichgesinnten nach Antworten. 5. Wo immer Sie zu beunruhigenden Antworten kommen, versuchen Sie aus dem jeweiligen System auszusteigen. 6. Hören Sie auf, Europapolitikern und Wirtschaftsforschungsinstituten zu glauben. Und glauben Sie erst recht nicht, es gäbe keine Alternativen. Die gibt es immer, besonders in einer Demokratie. 7. Jetzt müssen Sie nicht mehr jeden Blödsinn tolerieren. Nutzen Sie Handlungsspielräume und geniessen Sie den Luxus, der Ihnen auf der Sonnenseite der Welt geschenkt wurde. 8. Mögliche Ideen dafür: Arbeiten Sie weniger, verweigern Sie sich dem Wachstumszwang, kaufen Sie lokal und fair ein, fragen Sie, woher der Fisch kommt, ändern Sie die Pausenthemen, produzieren Sie nach dem Cradle-tocradle-Prinzip und wenn Sie sich für intellektuell halten, riskieren Sie was! 9. Zukunftsfähig zu sein ist das Gegenteil von «Business as usual». Machen Sie endlich bei Dingen und Gruppen mit, auf die Sie stolz sein können. 10.Warten Sie nicht auf Veränderung von «oben» und vergessen Sie das Weltgemeinschafts-Gerede und Lösungen könnten nur global sein. Freuen Sie sich darüber, selbst die Zukunft in die Hand zu nehmen und beginnen Sie mit Ihrem Leben, Ihren Liebsten und Ihrem Land verantwortungsvoll und nachhaltig umzugehen – das genügt völlig. Claus Leggewie und Harald Welzer: Das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Fischer Verlag, 2011, 288 S., gebunden, Fr. 30.50, Euro 19.95

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entscheiden & arbeiten von Roland Rottenfußer

Der ehemalige zukünftige König Soll die Thronbesteigung von Prinz Charles verhindert werden? William und Kate heiraten, und bald werden die Bilder eines putzigen Babys die Adelsgazetten schmücken. Der ewige Thronfolger wird dadurch erst recht alt aussehen. Freilich, der Prinz hat die «beliebteste Frau der Welt» ehelich betrogen. Der wahre Grund für seine medial gepushte Unbeliebtheit ist aber ein anderer: Charles wäre ein unbequemer König, der dem Establisment die Leviten liest.

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er Mythos, Charles könne bei der Thronfolge übersprungen und William zum direkten Nachfolger der Queen erkoren werden, wurzelt in den Andeutungen eines Racheengels. Diana hatte in ihrem berühmten Panorama-Interview (1995) die Eignung ihres Exmannes für den Thron angezweifelt. «Der TopJob, wie ich es nenne, würde ihm enorme Beschränkungen auferlegen. Ich weiss nicht, ob er in der Lage wäre, damit zurecht zu kommen.» Nach Dianas gewaltsamem Tod 1997, den viele indirekt Charles anlasteten, wurden die Stimmen, er dürfe nie König werden, laut. Erst recht wollte man keine Königin Camilla sehen. Denn die spröde wirkende Ehebrecherin eignete sich bestens für die Rolle der «Hexe» im Märchen um eine schöne, traurige Prinzessin. Der Hass auf Charles ist seither verflogen, die Briten haben sich an das «unattraktive» Thronfolgerpaar gewöhnt. Noch immer sprechen sich bei Umfragen Die Anti-Charles-Stimmung aber über 60 Prozent für wird vor allem angeheizt durch William als nächsten Köeinen zynischen, neoliberalen nig aus. Plötzlich kommen Journalismus, dem die Werte Kritiker sogar auf die Idee, des Prinzen zutiefst fremd sind: die Monarchie in Frage zu Spiritualität, Nachhaltigkeit, stellen. So warf der Krebsforscher Michael Baum Naturnähe und ein menschliches dem Prinzen in einem Mass in der Städteplanung. Brief vor: «Ihre Macht und Autorität basieren auf dem Zufall Ihrer Geburt.» Grund für diesen Aufstand: Charles hatte öffentlich eine alternative Krebstherapie empfohlen, die bei Schulmedizinern als unseriös gilt. Es ist natürlich richtig, dass das

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Königshaus keine demokratische Institution ist. Dagegen schien aber nichts einzuwenden, solange Royals nur Füchse jagten, uniformiert in Afghanistan herumliefen oder als wandelnde Kleiderständer die Hochglanzmagazine zierten. Erst Charles brachte bestimmte Kritiker gegen sich auf, weil er an den Denkgrundlagen unserer zerstörerischen Zivilisation rüttelt. Der Noch-Thronfolger lässt keine Gelegenheit aus, vor Genfood, Nanotechnologie und Regenwaldvernichtung zu warnen. Er legte sich mit der anglikanischen Kirche an, indem er ankündigte, als König «Verteidiger aller Konfessionen» zu sein, statt traditionsgemäss «Verteidiger des Glaubens». Der britische «Guardian» berichtet, Charles habe in den letzen Jahren an acht Ministerien geschrieben, um für seine Ansichten zu werben. Zu Themen wie Ökolandwirtschaft, Klimawandel und moderne Architektur. In seinem neuen Buch «Harmonie» schrieb er: «Die Banken und Finanz­ institute mögen zwar glauben, dass ihre Geschäfte kaum Auswirkungen auf die Umwelt haben (…), dabei sind sie es, die einen Grossteil der Zerstörung dieser lebensnotwendigen Wälder durch ihre Darlehen und Investitionen finanzieren.» Mit seinen Angriffen gegen Schulmedizin, Kirche, industrielle Landwirtschaft, Banken und Kirche berührt der Prinz Pfründe und massive Geschäftsinteressen. Der Publizist Max Hastings, Unterstützer der Conservative Party, schrieb einen kräftigen Verriss von Charles Buch: «Wer das Buch liest, wird kaum dran zweifeln, dass die Hauptgefahr für unsere royalen Institution in den kommenden Jahrzehnten in


Der ehemalige zukĂźnftige KĂśnig

Charles’ wohlmeinendem, wirrem, schwammigem Kopf steckt.Âť Nach der LektĂźre des Buches muss ich jedoch sagen: Charles hat mit fast allem Recht. Es scheint, als ob Queen Elisabeth angesichts der drohenden Amts­ Ăźbernahme durch diesen weit blickenden Mann weder sterben noch abtreten dĂźrfe. Aus Sorge um die herrschende Kultur des technokratischen Materialismus will sie so lange durchhalten, bis William zu einem gestandenen Familienvater herangereift ist. Angesichts eines vom Warten verhärmten Opa Charles wĂźrde sich die Thronbesteigung des blĂźhenden Paares erst recht aufdrängen. Charles’ Unbeliebtheit ist das Ergebnis einer Kampagne wie die gegen Oscar Lafontaine oder Andrea Ypsilanti in Deutschland. Wie Ăźberall in Europa ist auch in England die Boulevard-Presse tief im neoliberalen Establishment verwurzelt. Auch wenn das Image des Prinzen durch private Ereignisse der 90er-Jahre Schaden genommen hat: Die Anti-Charles-Stimmung wird vor allem angeheizt durch einen zynischen Journalismus, dem die Werte des Prinzen zutiefst fremd sind: Spiritu-

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Die neue Dimen

alität, Nachhaltigkeit, Naturnähe und ein menschliches Mass in der Städteplanung. BILD charakterisierte ihn so: ÂŤEr ist schlimmer denn je – meckert Ăźber alles, wettert gegen das moderne Leben, und niemand kann es ihm recht machen.Âť Warum so viel publizistisches Gift? Der smarte Prinz William ist einfach ein besserer ÂŤMitspielerÂť. Es braucht ja eine bestimmte Mentalität, um sich in einer ständig Krieg fĂźhrenden Nation länger als nĂśtig seiner militärischen Karriere zu widmen. Charles und Diana haben trotz charakterlicher Macken, jeder auf seine Weise, versucht zu heilen und zu helfen. William dagegen lässt keine Gelegenheit aus zu verkĂźnden, wie stolz er ist, Teil dieser Armee zu sein. Die Diskussion um die Thronfolge, die nach der Heirat von Charles und Camilla abgeflaut ist, dĂźrfte jetzt wieder aufflammen. Leicht ist es nicht, einen rechtmässigen Thronfolger auszuhebeln. Vielleicht geht aber Max Hastings Wunsch in ErfĂźllung, den er in einem anonymen Zitat versteckt: ÂŤDie beste Hoffnung fĂźr das KĂśnigtum ist, dass Prinz Charles vor der Queen stirbt.Âť

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entscheiden & arbeiten

Für Fleischkonsum und gegen Umweltschutz: Anti-Öko-Demo Anti-Atom, Anti-WTO, Anti-Faschismus; die Liste von Demos, die sich gegen etwas richten ist lang... aber haben sie schon mal von einer Anti-Öko-Demo gehört? Genau zu einer solchen rief Mitte März im südfranzösischen Montpellier das Kollektiv Pollueurs Sans Frontière anlässlich der semaine de l’environnement auf. Rund 100 Personen, darunter Grossaktionäre, Petrolmagnaten und MonsantoSaatgutzüchter, verteidigten ihr Recht auf Umwelt-Verschmutzung und ihren Glauben an das

heilige Wirtschaftswachstum. Parolen wie écologie partout – croissance nulle part oder polluer plus, pour ganger plus versetzte so manche/n PassantIn ins Staunen, Grübeln und Innehalten. «Genau da, wo die PassantInnen nicht wissen, was genau vor sich geht, öffnet sich die Frage über das Thema», ist Anne Benetos, Aktivistin des Kollektivs, überzeugt. Denn: Das Ziel der Aktion war es, auf ironische Weise ökologische Meinungen und Feindbilder zu karikieren und sie theatralisch in Szene zu setzen. So wurden in Reden für genetische Produkte geworben, beim Büro der Partei europe écologie die fehlende Freiheit angeprangert, die Umwelt verschmutzen zu dürfen und am Ende der Demo ein Panda unter frenetischem Applaus gehängt. Die Aktionsform einer falschen Demonstration wie die Anti-Öko-Demo tauchte in Frankreich erstmals nach der Jahrtausendwende auf. Vorwiegend Künstler und Komödianten inszenierten so genannte manifs de droite. Später organisierten diverse Greenpeace-Gruppen mehrere manifs antiécolo. Im deutschsprachigen Raum findet sich bei Google nichts Vergleichbares zu diesem Thema. Pascal Mülchi

Strickgraffiti – die neue Masche

Ausschaffung: Das Echo auf Hohlers Gegenvorschlag

Graffiti ist (manchmal) schön. Aber sie ist schwer wieder zu entfernen und wird deshalb von vielen als Sachbeschädigung empfunden. Das liegt Ute Jonetat fern. «Ich will nur etwas Farbe in die Stadtteile bringen», sagt sie und verziert mit Vorliebe Verkehrsschilder. Begonnen hatte alles, als die 61-jährige einen grossen Baum sah, dessen Stamm mit Strickwerk umwickelt war: «Baumwolle». Mittlerweile hat die Dame im Ruhrgebiet einen Strickclub gegründet. Nächstes Projekt: 100 Meter einer Autobahn-Leitplanke sollen verziert werden. Strickgraffiti, eine Bewegung, die wieder aus den USA zu uns herüber schwappte, ist meist unpolitisch. Aber nicht immer. Was wollten uns z.B. Aktivisten sagen, die einen ganzen Panzer mit rosa Wolle umstrickten? RR Quelle: www.derwesten.de Bild: www.handmade.blog.de

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«Die Eidgenossenschaft gibt ihrer Freude darüber Ausdruck, dass die Ausländerinnen und Ausländer mit ihrer Tätigkeit das Leben in unserm Lande ermöglichen und heisst sie als Teilnehmer dieses Lebens willkommen.» Das ist ein Ausschnitt aus Franz Hohlers Gegenvorschlag zur Ausschaffungsinitiative. Wäre da nicht von «Freude» die Rede, könnte man ihn glatt für geschriebenes Gesetz halten. «Realistisch ist der Artikel in dieser Form natürlich nicht», sagt Franz Hohler, «dennoch ist er ernst gemeint. Ein poetischer Gegenvorschlag.» Das juristische Gedicht wurde in Zeitungen und Zeitschriften abgedruckt, nicht zuletzt dank Leuten, die Geld und Unterschriften für die Publikation sammelten. «Meine Mailbox füllte sich so schnell, dass mir der Provider den Speicherplatz erweiterte; die Rückmeldungen rührten an mein Herz.» Er habe fast keine bösen Reaktionen erhalten. Wenn doch, dann bezichtigten sie ihn, die Ausländerkriminalität zu ignorieren. «Ich streite das Problem gar nicht ab, aber der Fokus der Debatte ist zu eng. Die Plakate vor der Abstimmung habe ich als Umweltverschmutzung empfunden; unsere Wände wurden zugepflastert mit ‹bösen Ausländern›… Wir dürfen Ausländer nicht als Feinde betrachten. Unser Land würde zusammenbrechen ohne sie.» Eine «Dankbarkeitsinitiative» wird Franz Hohler trotzdem nicht starten, das verraten bereits die «Übergangsbestimmungen» seiner Gesetzesänderung: «Der Gegenvorschlag tritt für jedermann vom Moment an in Kraft, wenn er dessen Richtigkeit erkannt hat.» MH Zum Gegenvorschlag: www.franzhohler.ch/files/gegenvorschlag.html


von Christopf Pfluger

Menschenstr M gegen At M

Boldern-Foren mit Mittagessen Sonntag, 15. Mai, 10.00 – ca. 13.30 Uhr Klimawandel – Vom Umgang mit dem Unabwendbaren Dr. Gina Schibler (Pfarrerin, Erlenbach) liest aus ihrem Roman «Mene-Tekel» und Referat «Realität und Kunst: Kann Literatur aufrütteln?», Dr. Bettina Spoerri (Literaturwissenschaftlerin, Zürich) Sonntag, 10. Juli, 10.00 – ca. 13.30 Uhr Welchen Wohlstand brauchen wir? «Gut leben in einer Postwachstumsgesellschaft» Vortrag und Diskussion mit der Referentin PD Dr. Irmi Seidl, Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Birmensdorf Auskunft / Anmeldung Boldern • Evang. Tagungs- und Studienzentrum Boldernstr. 83, 8708 Männedorf Tel. 044 921 71 71 • tagungen@boldern.ch www.boldern.ch

Programm 13. Mai

Palace | 20.00 Uhr

Podiumsdiskussion

Wer bisch? Woher chunsch? Identität in der globalen Gesellschaft

14. Mai GBS Schulhaus Kirchgasse 15 10.00 - 12.00 Workshops 12.00 - 13.45 Kultur am Mittag 13.45 - 15.45 Workshops 16.00 - 17.30 Kundgebung 18.30 - 22.00 Strassenfest Die Workshops sind anmeldepflichtig. Anmeldung und weitere Informationen auf www.sufo.ch


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Hier gibt’s was zu essen Zeitpunkt 113

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vollwertig leben von Michael Huber (Text) und Hans-Peter Siffert (Bilder)

Meret Bissegger geniesst, was andere bekämpfen: Unkraut. Wie man das Richtige sammelt, wäscht, schneidet und kocht, verrät sie in ihrem neuen Buch «Meine wilde Pflanzenküche». Wer die Natur kennt, hat immer genug zu essen.

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faffenkopf, Saurüssel, Augenmilch, Eierkraut, Teufelsblume. Die Volksnamen klingen gegensätzlich wie Himmel und Hölle, obwohl alle ein und dieselbe Pflanze benennen: den Löwenzahn. «Ich merke mir immer die lateinischen Namen, um Verwechslungen vorzubeugen», erklärt Meret Bissegger, die als Köchin, Kursleiterin und Kräuterfrau jedes Jahr vier bis fünf neue Pflanzen ins Repertoire aufnimmt. «Taraxacum officinalis» heisst der Löwenzahn. «Lange ist es her, seit die Menschen in der Schweiz die Wildpflanzen kannten. In Italien ist es anders, da gehört es zur Kultur, dass Leute, oft auch Männer, suchend durch die Felder streifen.» Schätze im Niemandsland Wir haben fast immer fast alles. Aber was wir brauchen, um mit Wildpflanzen zu kochen, fehlt uns ständig: Zeit und Geduld. Der Lohn dafür ist Genuss. Auf Meret Bisseggers Speiseplan stehen etwa ein russischer Löwenzahnsalat oder Klatsch-MohnCrêpes, gefüllt mit Ziegenmilch-Ricotta. In ihrem Buch sind mehr als hundert Rezepte aus über sechzig Wildpflanzen dokumentiert, alle beschrieben mit Erkennungsmerkmalen und illustriert mit wunderbaren Bildern. «Ich liebe Brachflächen, verwahrloste Orte, die vom Menschen vorübergehend nicht in Ordnung gehalten werden.» Wildpflanzen zu bestimmen, ist ein langwieriger Prozess; um die richtige im richtigen Moment zu erwischen, muss man ihren gesamten Lebenszyklus beobachten, manchmal über Jahre hinweg, «Man soll nur pflücken, was man kennt.» Auch wenn man dicke Pflanzen-Lexika gewälzt hat, verraten sich die meisten Gewächse schlussendlich doch an einer Kleinigkeit. Der Spitzwegerich etwa schmeckt nach Champignon, hat längs gerippte Blätter und seine Blüten sehen aus wie Mondraketen mit Weltall-Antennen. «Kein Buch ersetzt Eselsbrücken. Das Glaskraut klebe ich mir zum Beispiel an den Pulli, wie in der Kindheit.» Unglaublich, wie die Natur duftet – Meret Bissegger in ihrer Kursküche

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hier gibts was zu essen

Mmmmh (vlnr.): Gemüseplatte mit Sauerampfersauce als Dip, Tortilla mit Gutem Heinrich, Brennnessel-Linden-Salat

Kalte Sauerampfersauce 100 g Seidentofu (oder frischer Biotofu mit etwas Wasser) 1 EL Senf 3 EL Tamari 4 Handvoll Sauerampferblätter 3 EL Olivenöl Die Hälfte davon im Dampf 1 Minute garen und auskühlen lassen. Die andere Hälfte fein schneiden. Zusammen mit den anderen Zutaten im Mixer zu einer cremigen Konsistenz pürieren schwarzer Pfeffer Würzen. Bei laufendem Mixer in die Sauce einarbeiten. Tipp: Die Sauce passt zu geräuchertem Forellenfilet oder zu anderem mariniertem Fisch, auch sehr gut zu Kartoffeln in der Schale oder als Dip zu rohem Gemüse (siehe Foto).

Lebensschule Wildnis Meret Bissegger ist im Tessin aufgewachsen; ihre Eltern hatten Reben und pflanzten so viel Gemüse an, dass es beinahe zur Selbstversorgung reichte. Ihr Spielplatz war die Natur. Bald testete sie Heilpflanzen, doch ihre wilde, grosse Leidenschaft für die Naturkost entdeckte sie erst, als sie in ihren Zwanzigern zwei Sommer lang auf einer Alp arbeitete. «Ich konnte mir nicht vorstellen, ohne Gemüse zu leben; da habe ich das Gemüse halt in der Umgebung zusammengesucht, um mir und den Sennen Eintöpfe zu kochen.» Es war ein hartes Leben. Abends spürte sie manchmal ihre Hände nicht mehr vom Melken – sie hatten 210 Ziegen und 43 Kühe. «Die Natur kennt keinen Sonntag, mein Körper musste sich daran gewöhnen.» Aber sie wird nie vergessen, wie ihr die Gämsen zuschauten, wenn sie am Morgen die Ziegen eintrieb. Später experimentierte sie in ihrem Ristorante Ponte dei Cavalli in Cavigliano im Centovalli mit den Wildpflanzen. «Jeden Abend schrieb ich die Speisekarte um.» Sie hält sich selten an die gedruckten Rezepte und hat sich das meiste selbst beigebracht. «Im Rückblick ist es ein Glück, dass ich nie Köchin gelernt habe.» Ihr Weg war fruchtbar, aber steinig; mehrmals erschrak sie, wenn sie Pflanzen miteinander verwechselte und feststellen musste, dass sie doch nicht alles wusste über die Wildpflanzen. «Wahrscheinlich wird mir das noch oft passieren, je mehr ich über die Botanik lerne.» Glücklich mit Grenzen Zwischen den Wildpflanzen kniend, lernte sie ihre Grenzen kennen. Es sind Grenzen der Menschheit. Allmachtsphantasien zerplatzen wie Seifenblasen, wenn man im Januar nach dem Wohlriechenden Veilchen sucht – man wird keines finden, weil es erst ab Mitte Februar spriesst. «Die Natur hält nicht immer alles so bereit, wie wir es gerne hätten.» Meret Bissegger sammelt immer nur so viel, wie sie braucht, denn das Land verträgt nicht unendlich viele und masslose Wildsammler. «Früher glaubte ich, der Löwenzahn sei nicht auszurotten, aber die Realität

lehrte mir das Gegenteil.» Ein Gärtner aus Zürich erzählte ihr von einer Wiese, die früher gelb vor lauter Blüten war und heute grün und öde sei, weil Leute die Pflänzchen samt Wurzeln ausrissen. «Da wurde mir bewusst, wie viele Menschen es gibt und wie mächtig wir sind.» Der menschlichen Freiheit sind Grenzen gesetzt, aber ein Verlust ist das nicht. «Ich erkenne, wie weit wir gehen können, aber ich merke auch, wie ich mir die Natur zu eigen machen kann.» Erst in der Demut sieht sie den Reichtum. In ihrem Garten wachsen mehr Unkräuter als Gemüse, etwa der Klatsch-Mohn, und doch lässt sie sie wuchern. In ihren Kursen spricht sie manchmal bewusst von Unkräutern statt von Wildkräutern, damit ihre Schüler merken, dass viele Unkräuter besser schmecken als manch überzüchteter Salat. Hat eine Pflanze erst einmal dem Gaumen geschmeichelt, ist ihr unsere Zuneigung gewiss. «Wenn die Leute sagen, sie hätten keine Feinde mehr im Garten, habe ich gewonnen, dann beenden sie ihren Krieg. Unser schweizerisches Bild von Ordnung ist naturfeindlich. Man soll kommen lassen, was kommt.» Und essen, was schmeckt. Wenn dadurch unser schiefes Weltbild ins Wanken gerät – umso besser! Dann bringt die Teufelsblume auf dem Teller ein heilsames Chaos in die Köpfe.

Meret Bissegger: Meine wilde Pflanzenküche – Bestimmen, Sammeln und Kochen von Wildpflanzen. Mit Fotos von Hans-Peter Siffert. AT Verlag 2011, 320 S., Fr. 49.90/Euro 34,90 Meret Bissegger bietet im Tessin mehrtägige Sammel- und Kochkurse an; das Programm unter www.meretbissegger.ch. 2011 erscheint im Schweizer Fernsehen zu jeder Jahreszeit ein Dokumentarfilm über ihre Kochkunst. Der Film zum Frühling befasst sich mit der wilden Pflanzenküche. Er ist auch auf DVD erhältlich unter www.nzzformat.ch. Suche: «Meret Bissegger».

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vollwertig leben

Historisch: Mehr Sonnen- als Atomstrom brauchs aus regenerativen KraftwerZum allerersten Mal produzierten in ken gedeckt, im Jahr 2020 können das Deutschland solare Kraftwerke mehr bereits 50 Prozent sein. Strom als die Atomkraftwerke. Um Allerdings hielt der solare Vorsprung 12:30 Uhr war es soweit: Wie der nicht lange: Um 17 Uhr waren gerade Wechselrichterhersteller SMA ermit- noch 3,8 Megawatt Sonnenkraftwerkstelte, waren 12,1 Gigawatt Sonnen- kapazität produktiv. Nach der Datenstrom-Kapazität am Netz. Die ver- lage der Arbeitsgemeinschaft Energiebliebenen neun Atomkraftwerke am bilanzen wurden 2010 in Deutschland deutschen Netz brachten es nur auf 140,5 Milliarden Kilowattstunden 12 Gigawatt. Strom in Atomkraftwerken produziert «Noch 1993 prognostizierten die – 22,6 Prozent. Die RegenerativkraftStromkonzerne, dass auch langfristig werke lieferten 16,5 Prozent. Aktuell mit Sonne, Wasser und Wind nicht sind acht deutsche AKW vom Netz. mehr als vier Prozent unseres StromNick Reimer, klimaretter.info bedarfs gedeckt werden könnten», erklärt Raimund Kamm, Sprecher der «Bayern Allianz für Atomausstieg und Klimaschutz». Demnächst würden schon 20 Prozent unseres StromverAnz_BerglHof_Zeitpunkt_194x135.qxd:Layout 1 11.4.2011 10:33 Uhr Seite 1 Der 22. März war ein historischer Tag:

Was an dieser Nachricht auch bemerkenswert ist: Sie wurde von den Massenmedien so gut wie totgeschwiegen. Wir sollen offenbar nicht wissen, dass es auch ohne Atomstrom geht, selbst in einem sonnenarmen Land wie Deutschland. Red.

Guten Morgen, Sinnenschein! Das GenerationenHaus Ernen, Oberwallis. In jeder Hinsicht ein sinnvolles Projekt.

Das GenerationenHaus in Ernen ermöglicht älteren Mitmenschen, sich ihren Fähigkeiten gemäss einzubringen. Es entsteht eine Begegnungsstätte, die Raum, Ruhe und Anregung bietet und verschiedene Generationen sowie Wertschätzung und Wertschöpfung unter einem Dach vereint. • • • • • •

Förderung einer gemeinsamen Lebensform verschiedener Generationen Lebenssinn und -inhalte bieten, persönliche Weiterentwicklung und Selbstverwirklichung fördern Erhaltung echter Werte, Steigerung der Lebensqualität Bauwerk mit organischer Architektur, die sich in Umgebung und Natur optimal einfügt Das Konzept fördert Austausch ebenso wie Privatsphäre Geplant sind 10 Doppelzimmer, 5 Wohnungen, Gemeinschafts- und Arbeitsräume

Eine sinnvolle Investition! Für dieses ambitiöse Projekt sind wir auf Fremdkapital und Investoren angewiesen. Wir suchen Gönner, Freunde und Unterstützung! Menschen, die unseren Ideen vertrauen, die unsere Visionen verstehen und teilen, sind jederzeit herzlich willkommen.

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Mehr Informationen finden Sie hier: www.berglandhof.ch Beachten Sie die Rückantwortkarte im Umschlag dieses Hefts. Ihre Ansprechpartner: Ingrid Schmid Birri Tel. 027 971 17 42 Ruedi Schweizer Tel. 027 971 23 60


wahre Werte vollwertig leben

Am Anfang war das Hochwasser. Die Kraft der ansteigenden Suhre brachte Andreas Steinmann auf eine Idee: Wenn dieser stark verbaute Fluss mehr Platz und Luft bekommen wĂźrde, liesse sich seine Naturkraft mit einem Wasserwirbelkraftwerk zur Stromerzeugung nutzen. Dazu grĂźndete Steinmann die Genossenschaft Wasserwirbelkraftwerke Schweiz (GWWK). Das erste davon wurde am 25. September 2010 durch Dr. Bertrand Piccard feierlich eingeweiht. Das Prinzip ist einfach: Ein Einlaufkanal fĂźhrt das Wasser zum Rotationsbecken. In der Mitte gibt es einen Abfluss, wie in einem Waschbecken. Durch die Schwerkraft – das Wasser Ăźberwindet eine HĂśhendifferenz von 1,7 Metern – beginnt das einfliessende Wasser zu rotieren, ein Wasserwirbel entsteht. In diesem dreht sich langsam ein Rotor und wandelt die Rotationsenergie in elektrische Energie um. Der ErlĂśs aus der Stromproduktion beträgt bis zu 0,35 Fr. pro Kilowattstunde (kWh), wird vom Bund unterstĂźtzt und Ăźber 25 Jahre garantiert. Theoretisch kĂśnnten in der Schweiz 17 000 Wasserwirbelkraftwerke an renaturierungsbedĂźrftigen

Die Faltbar – Ihr Spezialist fßr Faltvelos

FlĂźssen gebaut werden. Im Durchschnitt kĂśnnten pro Anlage jährlich 300 000 kWh, insgesamt also 5 Milliarden kWh Strom erzeugt werden. Genug fĂźr eine Million Haushalte. Im Januar 2011 erhielt die GWWK die prestigeträchtige Auszeichnung Watt d’Or des Bundesamtes fĂźr Energie. Schon 120 potenzielle Standorte sind dokumentiert und Ăźber 30 konkrete Projekte gestartet. Das Schweizer Wasserwirbelkraftwerk kĂśnnte zum Exportschlager fĂźr saubere Energiegewinnung werden. Es liefert zu 97 Prozent CO2-freie und erneuerbare elektrische Energie. Wer sich beteiligen will, kann Genossenschafter und/oder Darlehensgeber zu attraktiven Konditionen werden: www.gwwk.ch

Grßn ist im Trend: Doch nachhaltige und sozialverantwortliche Modelabels haben in der Schweiz noch wenig Fuss gefasst. Diese Lßcke will die Einkaufsplattform grßnewelle.ch schliessen: mit exklusiven und trendigen Online-Angeboten fßr Grßngesinnte jeden Alters. Bei uns gibt es Kleider, Schuhe und originelle Geschenkideen fßr Gross und Klein. Wir fßhren Ökolinien von bekannten Marken. Unsere Auswahlkriterien: Ükologische Ausgangsmaterialien, faire Produktionsbedingungen, mÜglichst kurze Transportwege, modische Schnitte, frische Farben und angenehmer Tragekomfort. Besuchen Sie unseren Webshop: www.grßnewelle.ch, Jasmin Redling, Schulhausgasse 14, 3113 Rubigen, +41 (0)79 745 45 21, jasmin@gruenwelle.ch

Ab ins Bio-Paradies!

Suchen Sie ein extrem kompaktes oder in Sekunden faltbares Velo? Soll es ein hochwertiges TourenFaltrad, ein leichter Flitzer oder ein alltagstaugliches Citybike? Ein Faltvelo fßr Pendler oder eines fßr die Freizeit? Brauchen Sie einen Rahmen nach Mass oder träumen Sie von einem faltbaren Tandem, Liegerad oder Elektrovelo? Wir bieten eine grosse Auswahl an Typen und Marken. Besuchen Sie uns in der Bieler Altstadt, und wir finden bei einem guten Espresso das Faltrad, das Ihre Bedßrfnisse optimal befriedigt.

Der ÂŤgrĂśsste Bioladen der WeltÂť bietet in seiner Vielfalt (fast) alles, was das Herz begehrt: Vor allem die Fans von lukullischen GenĂźssen kommen auf ihre Kosten, die Palette reicht aber bis zu Naturkosmetik, Textilien, MĂśbeln und Baustoffen. Mitten in der Altstadt wird eigens ein Bio-Garten angelegt.

Der Bio MarchĂŠ in Zofingen ist bekannt fĂźr seinen riesigen Verkaufsmarkt. Hier informieren sich jedes Jahr rund 35 000 Konsument/innen, aber auch Fachleute Ăźber Produktneuheiten, kaufen Spezialitäten und Raritäten ein. Rund 150 Aussteller aus dem In- und Ausland bieten

FALTBAR folding bicycles and bar Jonas RÜmer, Schmiedengasse 14, Biel www.faltbar.ch Tel +41 (0)32 322 01 11 Mi. bis  Fr. 10.00 – 12.30 & 13.30 – 18.30 Sa. 10.00-16.00

Ă–kologische Mode fĂźr Gross und Klein

FOLDING BICYCLES AND BAR vom 17. – 19. Juni 2011 an weit Ăźber 100 Ständen SCHMIEDENGASSE CH BIEL Bio-Produkte aus aller Welt zum Verkauf und zum TELEFON FAX? Probieren. Viele lassen es sich nicht nehmen, perROEMER FALTBAR CH WWW FALTBAR CH sĂśnlich hinter dem Marktstand zu stehen, denn die

Aussteller schätzen genau wie die Besucher den direkten Kontakt. Am Bio MarchÊ kommt man gerne ins Gespräch, und die Besucher erhalten Infos aus erster Hand.

Das vielfältige Musikprogramm bietet von Folklore Ăźber Jazz bis Latin fĂźr jeden etwas. TagsĂźber lassen StrassenkĂźnstler, Musikanten und Gaukler in den Gassen entspannte Ferienlaune aufkommen. Jeder Bio-MarchĂŠ-Tag wird bei der Markthalle stimmungsvoll mit einem Konzert beschlossen. Der Streichelzoo ist ein Platz zum Entspannen. Das liebevoll betreute Kinderparadies mit Kinderprogramm und das beliebte muskelbetriebene Karussell werden Kinderaugen zum Leuchten bringen. Der Bio MarchĂŠ bietet alles, was zu einem richtigen Festival gehĂśrt. Unglaublich vieles gibt‘s zu geniessen und entdecken – bei freiem Eintritt, versteht sich! Besucher wie Aussteller finden weitere Informationen unter www.biomarche.ch. Informationen unserer Inserenten

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vollwertig leben

Tüfteln fürs Leben Das Tüftellabor «Tülab» ist ein einzigartiges Atelier in Zürich, in dem junge Pippi Düsentriebs und Daniel Langstrumpfs basteln, experimentieren, scheitern und wieder neu beginnen können. Das Tülab empfiehlt sich für pfiffige, eigenwillige, selbständige, ideensprudelnde Kids, denen an anderen Orten eher zu viel dreingeredet wird. Es bietet ihnen Infrastruktur, kundige und respekt-

volle Anteilnahme, Beratung/Belehrung auf Anfrage, natürlich auch Absicherung, vielleicht kurz: Coaching oder Begleitung, aber nicht Anleitung. Initiant dieser wunderbaren Kreativwerkstatt ist der Ingenieur Martin Flüeler. Ein paar hundert Kids sind eingeschriebene «Tüftlis», rund 50 kommen regelmässig. Finanziell getragen wird das Tülab von einer namhaften Spende eines Menschen, der die Einzigartigkeit dieses Projekts erkannt hat. Diese Mittel gehen aber in der nächsten Zeit zur Neige. Die Behörden halten sich bis jetzt vornehm zurück, was vielleicht auch zur Eigenständigkeit des Tülabs beiträgt. Nach zwölf Jahren Projektarbeit und zehn Jahren Leitung hat Martin Flüeler diese Funktion Ende März an Robert Kettler weitergegeben. Damit die neue Leitung Tritt fassen könne, sei es «wichtig, dass ich vorerst mal lang und gründlich nicht da bin», schreibt Martin Flüeler. Am 30. Oktober, beim Fest zum zehnjährigen Jubiläum, will er dann wieder mit neuen Kräften im Tülab

einsteigen, nicht mehr als Leiter, sondern als «Balüt» – so heissen die Betreuer, die den Kids mit ihrer Erfahrung zur Seite stehen. Wenn wir uns beim Zeitpunkt weniger auf die krachenden Bäume dieser Welt konzentrieren wollen, sondern auf die still vor sich hinwachsenden Wälder, dann ist das Tülab ein Musterbeispiel dafür. Ist es ein Zufall, dass die drei Gründer der Stiftung im Jahre 2 000 allesamt Zeitpunkt-Abonnenten waren? Ohne grosses Medienecho und mit wenig Unterstützung etablierter Institutionen hat sich an der Wallisellenstrasse 301 eine kleine Welt entwickelt, in der Kinder und Jugendliche ihren Entdeckungsdrang ausleben und lernen können, Hindernisse mit Geduld und Phantasie zu überwinden. Robert Kettler, gelernter Velo- und Motorradmechaniker, wünschen wir in seiner neuen Funktion viel Erfolg und Befriedigung. Im Tülab hat es übrigens noch Platz für weitere Tüftlis und auf dem Konto Platz für Spenden. CP

Martin Flüeler (rechts), der Gründer des «Tülab» in Zürich übergibt die Leitung der famosen Werkstatt an Robo Kettler und wird nach einer Auszeit ein ganz gewöhnlicher «Balüt».

Tülab Stiftung, Wallisellenstr. 301, 8050 Zürich, Tel. 044 321 9 123. www.tuelab.ch. Postkonto: 87-238 195-6

Bionade, jetzt ohne Prickeln Lesen: Online und Papier im Vergleich Lesen am Bildschirm ist für viele alltäglich geworden. Zwar kann dadurch viel Papier gespart werden, doch ist online auch umweltfreundlicher? Diese Frage hat ‹umwelt & bildung› untersucht, eine österreichische Zeitschrift mit 44 Seiten Umfang Recyclingpapier. Dabei wurden die Papierherstellung, der Druck, der Energieaufwand in der Redaktion, der Transport, sowie der Energieverbrauch der Online-Leser berücksichtigt. Letztlich entscheidet die Lesezeit. Liegt sie im Fall von ‹umwelt & bildung› unter 2 Stunden 15 Minuten, ist der ökologische Fussabdruck bei der Online-Lektüre geringer. Gemütliche und gründliche Leser greifen also besser zum Papier, den anderen ist im Hinblick auf den Energieverbrauch das Online-Lesen geraten. Die Untersuchung berücksichtigt jedoch nicht die Auswirkungen, die das Lesen am Bildschirm auf die Gesundheit und die Konzentrations- und Aufnahmefähigkeit hat. Papier&Umwelt/Sam

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«Jede Revolution beginnt mit einem Prickeln.» Mit diesem pfiffigen Slogan ist die Bionade, «das offizielle Getränk einer besseren Welt» so gross geworden, dass sie vom Dr. Oetker-Konzern geschluckt wurde, der Ende 2009 siebzig Prozent an der BIonade GmbH erwarb. An der Verwendung von Rohstoffen aus Biolandwirtschaft wird zwar nichts geändert, aber die prickelnde Revolution dürfte trotzdem zu Ende sein. Mit der Unterstützung des genkritischen «Rock for Nature»Konzertes (dieses Jahr im Anschluss an die «Wir-haben-es-satt»-Demo in Berlin) ist zum Beispiel Schluss. Das Sponsoring der Bionade will sich in Zukunft auf «Kinder und Jugendliche mit dem Fokus Sport, Bewegung, Gesundheit und Kultur» konzentrieren. CP


vollwertig leben

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Keinkaufswagen: Codecheck entlarvt Umweltsünden Bringt Gemüse ins Rollen schon beim Einkauf Die UNO weiss es, die Welternährungsorganisation (FAO) weiss es, Im November 2010 bot sich aufmerkdie EU weiss es. Doch weiss der Konsument, dass die Bestände von samen Kleinbaslern ein ungewöhnSeelachs, Dornhai oder der Dorade so stark überfischt sind, dass liches Bild: 10 frisch bepflanzte sie vielleicht bald aussterben? Wer die Codecheck-App auf seinem iPhone/Android hat, kann dies seit Kurzem bereits beim Einkauf erGartenbeete rollten – getarnt als gefahren: Ein einfacher Strichcode-Scan mit der Handy-Kamera, und in wöhnliche Einkaufswagen – durch Sekundenbruchteilen erscheinen die Informationen zum Fischprodie Clarastrasse. Die Freude über den dukt auf dem Display. geglückten Streich musste den jungen Auch übers Internet kann man seinen EinHobbygärtnern – pardon, Urban Garkauf prüfen und weiss deners – im Gesicht gestanden haben, über www.codecheck. info schnell, wovon man als die verwirrten Blicke der Pasnächsten Mal bessanten sie trafen. Der eigentliche Start- beim ser die Finger lässt. schuss der Aktion Keinkaufswagen Betrieben und weiterentwickelt wird die steht aber preisgekrönte Plattform mit ihrer im deutschen Sprachraum grössten noch bevor. unabhängigen Produktdatenbank (über 92 000 Produkte, v.a. NahUnter dem rungsmittel und Kosmetika) und 55 Millionen Seitenaufrufen jährlich Motto «ern- von einem gemeinnützigen Verein mit Sitz in Zürich. Bei seiner verlässt sich das junge Team von Spezialisten nicht nur auf ten wo man Arbeit die Expertise eines Netzwerkes von unabhängigen Gesundheits-, isst», will Konsumentenschutz- und Umweltorganisationen, sondern auch auf Projektleieine aktive Community, die selber Produkte erfasst, bewertet und Produktdaten überprüft. terin Tilla Künzli «die Weitere Infos: www.codecheck.info Möglichkeit einer essbaren Stadt theSchwarzerde macht Boden gut matisieren». ist die fruchtbare Erde. Vor 500 Jahren florierte die indigene LandwirtAm 14. Mai Schwarz schaft im Amazonasgebeit – wahrscheinlich vor allem dank der Preta do Indio, sollen auf dem Kasernenplatz 200 der Indianerschwarzerde. Heute könnte die Schwarzerde den Welthunger und die Klimaerwärmung lindern, denn sie ist die Alternative zu Kunstdünger und bindet ausrangierte Einkaufswagen zu neuem Leben erweckt werden. Für 20 bis Kohlenstoffdioxid. «Die mächtigste Klimaschutzmaschine, die wir haben», sagt der Umweltprofessor Tim Flannery. 40 Franken ist man dabei: Unter fach- australische In den 1980er Jahren entdeckten Archäologen, dass zehn Prozent der Fläche kundiger Anleitung staffiert man sein Amazoniens mit teils meterdicken Schichten der Schwarzerde bedeckt war. Das Erstaunlichste daran: Die Bodenform war nicht natürlich, sondern von Menschenhand «Wägeli» mit Folie aus, befüllt es mit gesunder Erde und pflanzt acht Deme- erschaffen worden. Indios verwandelten die nährstoffarmen Böden des Regenwaldes fruchtbarste Erde, indem sie ihre Siedlungsabfälle unter Luftabschluss einige ter-Gemüsesetzlinge hinein. Nach dem inMonate fermentieren liessen und mit Holzkohle vermisch­ten. gemeinsamen Umzug durch die Stadt, 2006 ist es einem Forscherteam um den Bodenexperten Joachim Böttcher gelungen, das Verfahren nachzuahmen; seither verbreitet sich die uralte Kulturtechnik fährt jeder mit seinem Keinkaufswagen nachhause. Das man dabei den ÖV in Mitteleuropa. Im Vergleich zur üblichen Abfallverrottung spart Schwarzerde 95 Treibhausgase. Zudem könnte Schwarzerde bedrohte Bauern vor der benutzt ist Ehrensache – im «Drämmli» Prozent Abhängigkeit von Agrarkonzernen retten. Sie belebt selbst trockene Böden, wie jedenfalls, dürften einem noch einige erste Experimente in der Sahara belegen, und lässt die Pflanzen grösser, resistenter MH/taz interessante Gespräche bevorstehen. SL und ertragreicher wachsen als Kunstdünger. www.keinkaufswagen.ch

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Diesen Film dürfte es eigentlich gar nicht geben Dass «Der Sommer im Winter» am 14. Mai in Badenweiler bei Freiburg Premiere hat, verdankt er über 2 000 Menschen, die zu den Produktionskosten beigetragen haben. Der Film zeigt die grossartige Arbeit von vier Bäuerinnen aus dem Hochschwarzwald, die mit überliefertem Wissen Gärten pflegen, die man in dieser Höhenlage kaum für möglich hält. «Der leise Film» ist das Markenzeichen des deutschen Dokumentarfilmers Karl-Heinz Heilig. Die langen Einstellungen, die Momente des Schweigens während der Interviews und die geduldige Beobachtung entfalten eine Magie, wie man sie im Kino sonst nie zu sehen bekommt, und am Fernsehen erst recht nicht. Mit Dokumentarfilmen im harten Filmgeschäft eine ausgeglichene Rechnung zu erreichen, ist heute nicht mehr möglich. Deshalb würde es diesen Genre ohne Förderung gar nicht geben. Damit in Deutschland ein Film aber an Fördergelder herankommt, muss er bei einer grossen TV-Anstalt einen Sendeplatz erhalten. Und um einen Sendeplatz zu er-

langen, müssen strenge Vorgaben eingehalten werden, damit die Zuschauer ja nicht wegzappen: Schneller Schnitt, viel Action, verschärfte Konflikte, emotionaler Druck und eine Tendenz zum Voyeurismus. KarlHeinz Heilig illustriert dies an einem Beispiel: Wenn geweint wird, geht die Kamera in einem marktgerechten Dokumentarfilm nah heran und zeigt die Tränen möglichst noch in Grossaufnahme. Er dagegen wendet die Kamera ab und lässt den Zuschauer seine eigenen Bilder entwickeln. Wie beim Lesen. Heiligs Filme entwickeln eine eigene Intensität. Sie erklären wenig, lassen die Figuren erzählen. Die zurückhaltende Arbeitsweise lässt seine Protagonisten Aussa-

gen machen, nach denen man mit einem Drehbuch gar nicht fragen könnte. Damit Karl-Heinz Heilig und seine Partnerin Ulla Haschen ihre Filme zum weiten Thema «gelebte Menschlichkeit» drehen können, haben sie eine Fördergemeinschaft mit zur Zeit mehr als 2 000 Sponsoren aufgebaut. Ihnen werden die neuen Projekte vorgestellt, die nach der Sicherung der Finanzierung realisiert werden. So sind schon sechs grosse Dokumentarfilme entstanden. Auch bei der Vorführung gehen Heilig und Haschen neue Wege. Da ihre Filme nicht im Verleih sind, organisieren sie ihre Vorführungen selber, in Begegnungszentren, Sälen und Kirchen, meist in Zusammenarbeit mit Leuten vor Ort. Nach vier Produktionsjahren hat der neue Film «Der Sommer im Winter» nun am 14. Mai in Badenweiler bei Freiburg i.Br. Premiere. Er handelt von vier älteren Frauen, die im Hochschwarzwald auf kargem Boden und trotz klimatischen Nachteilen Gärten mit erstaunlicher Fruchtbarkeit kultivieren. Hunderte von Menschen werden zur Premiere dieses Films kommen, den wir bis Redaktionsschluss noch nicht sehen konnten. Trotzdem empfehlen wir Ihnen den Ausflug ins Markgräflerland – nicht nur, weil der Zeitpunkt Mediensponsor ist. Christoph Pfluger Der Sommer im Winter. Dokumentarfilm von Karl-Heinz Heilig und Ulla Haschen. Premiere: 14. Mai 2011, 19.00 Uhr Kurhaus Badenweiler, Kaiserstr. 5, Badenweiler. Eintritt 35 Euro. Mit grossem Festprogramm.

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Im Rahmenprogramm tagsüber: Fotokurs mit der Lochkamera, Kochkurs eines Drei-Gang-Kräutermenus und Skizzieren auf dem Skulpturenweg in Badenweiler. Infos und Anmeldung: KarlHeinz Heilig, Film- und Medienproduktion: Tel. +49 (0)441 - 73456. www.heilig-film.de


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Horizonte erweitern

Durchs schweizerische Unterholz 64

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Horizonte erweitern von Paul Dominik Hasler

Die Herzroute, der schönste Velowanderweg des Landes, erobert ein Stück Innerschweiz. Welche Mühen und Hindernisse überwunden werden mussten, um von Willisau nach Zug bummeln zu können, erzählt Special agent P, der Bahnbrecher des sanftesten Velovergnügens der Schweiz.

N

un steht sie also, diese widerborstige Etappe von Willisau nach Zug. Wäre ich nicht so ein eisernes Naturell, hätte mich längst Niedergeschlagenheit oder Schweiz-Phobie eingeholt. Was mühen wir uns ab mit skeptischen Bauern, paranoiden Grundeigentümern und übereifrigen Gemeindebehörden? Was ist so besonders an diesem letztlich viel zu verbauten Land? Immerhin gibt es Regionen in Frankreich, Polen oder Kroatien, wo man durch kaum endenwollende Landschaftsräume bummeln kann, wo Schilder nach Gutdünken angebracht werden und wo Grundeigentümer Wichtigeres zu tun haben, als harmlosen Velofahrern nachzustellen.

Immer auf der Suche nach dem stimmigen Weg: Der Autor unterwegs an der Herzroute mit seinem Arbeitsgerät. (Bild: AvR)

Aber so ist sie eben, die Schweiz, dieser knuffige Igel, dessen Stacheln mehr nach innen als nach aussen zeigen. Wehe dem, der gerne etwas verändert. Die ganze Langeweile zivilisatorischen Überdrusses wird ihn treffen. Drittes Telefon mit der Gemeindeverwaltung Hünenberg. Die Bewilligung zur Durchfahrt ist noch immer hängig. Es geht um ein Fahrverbotsschild eines Eigentümers, das er scheinbar unrechtmässig vor etwa zwanzig Jahren auf seinem Flurweg angebracht hat. Hat bisher niemanden gestört. Uns stört das Schild auch nicht, wir würden einfach ein weiteres mit dem Rat hinhängen, das obige nicht allzu ernst zu nehmen. Der Grundeigentümer findet das eine originelle Lösung. Der Gemeindeverwalter nicht. Es braucht ein neues Schild, samt gerichtlicher Verfügung. Wir wagen nicht zu fragen, warum wir das regeln sollen, nachdem es die Verantwortung seiner Gemeinde und sein bewilligungstechnisches Versäumnis ist. Doch Demut ist eine Kernkompetenz des Routenbeschilderers. Wir ziehen uns kratzfüssig zurück – unsere Routenführung hängt an einem seidenen Faden. Noch einmal an unseren Eigentümer zu gelangen, könnte dessen Gutmütigkeit und der geplanten Herzroute ein unschönes Ende bereiten. Ein wichtiger Wegabschnitt könnte sich für Generationen dem Veloverkehr verschliessen. Welch schreckliche Vision. Rote Alarmlampen blinken auf. Wir müssen zu unserer Geheimwaffe greifen. Die Geheimwaffe ist Special Agent E., weiblich, gross, blond und mit berndeutschem Dialekt. Das

ist, da wir uns in der Innerschweiz befinden, ein Vorteil. Ihre Mission: Die Kohlen aus dem Feuer holen, den Eigentümer zu einem weiteren Kompromiss überreden und der Velowanderwelt zu einem historischen Durchbruch verhelfen. Wir wünschen ihr Glück und rufen den heiligen Radolfius, Schutzpatron aller Speichenjünger, an. Special Agent E. hält sich tapfer. Die Witterung will es, dass unser Eigentümer in vorfrühlingshafter Laune zusammen mit seinen Spezis bei einem Kaffee mit hochprozentigem Zusatzinhalt sitzt und über das Leben philosophiert. Da es sich nur um Männer im fortgeschrittenen Alter handelt, löst der Anblick von Special Agent E. eine gewisse Aufgeschlossenheit aus, die in diesen Gefilden der Schweiz und in dieser Altersklasse von Männern eher selten ist. Nach mehreren Versuchen, die Problematik der derzeit hier endenden Herzroute zu erläutern, wächst die versammelte Gemeinschaft zu einer herzhaften Annäherung, unterstützt durch wiederholte Portionen des braunen Koffeinsaftes samt beigemischtem Verdünner. Irgendwann führt die soziale Dynamik zu einem allseits begrüssten Statement des Eigentümers, nochmals ein Zugeständnis nachzulegen, auch wenn er in seiner Ahnenreihe dereinst wohl als Weichei dastehen könnte, indem er Fremdlingen das Durchfahrtsrecht auf seinem strategisch bedeutenden Böschungsweg zur Reuss hinunter gewährt. Die Herzroute, so unsere

Uns stört das Verbotsschild nicht, wir würden einfach ein weiteres mit dem Rat hinhängen, das obige nicht allzu ernst zu nehmen. leicht angesäuselte Agentin in ihrem Schlussplädoyer, könne diesen innerschweizerischen Schulterschluss gar nicht genug würdigen und werde den Ruf dieses bisher kaum bekannten Zipfels Urschweiz in alle Welt hinaustragen (was hiermit geschehen ist). Bevor sie in ihrem Aston Martin entschwindet, macht man noch ein jährliches Treffen genau an dieser Stelle in Gedenken an den geschichtsträchtigen Akt ab. Wir schreiben den 14. Februar 2011 und die HerzouteZentrale liegt in lallender Glückseligkeit. Weniger fidel waren die Weggenossen im unweiten Menznau, einer idyllischen Gemeinde im Kanton Luzern. Ihnen gehört seit einer nicht mehr be-

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Horizonte erweitern

kundbaren Landnahme ein kleiner See im idyllischen grünen Landwirtschaftsland. Später wurde der See auf scheinbar wenig legale Weise mit Eigenheimen umbaut, was ihm seither eine etwas unschöne Seite beschert hat, die sich bei geschickter Blickführung aber ausblenden lässt. Ebendiese Eigenheimbesitzer hatten sich an diesem Samstagmorgen bei winterlichen Temperaturen im Saal des Restaurants Lammbock (Name typähnlich) versammelt, um über den gewagten Antrag der Herzroute, ihre Seestrasse mitnutzen zu dürfen, zu befinden. Wie bereits im Vorfeld vermutet, war die Stimmung nicht wirklich sonnig und die Anwesenden wenig erbaut über das Thema Velo. Man begann die Diskussion mit dem Hinweis, dass das Velo ein Wolf im Schafspelz sei, bei perfider Handhabung Menschen totfahren könne und letztlich nichts an einem friedlichen und notabene privaten See wie dem ihrigen zu suchen habe. Gegen diese Haltung war schwer anzukommen, da die Einwände zutrafen, wenn auch in leicht verzerrter Weise. Die Eigentümer nutzten die Seestrasse schliesslich selber mit ihren Autos, was bisher aber noch nicht zu einem dramatischen Bevölkerungsrückgang in ihrer Siedlung geführt hatte. Special Agent K., berühmt für seine versöhnenden Reden und verbindenden Allegorien, holte ein letztes Mal zur alles einschliessenden Laudatio auf See, Land und Leute aus. Auch das nützte nichts. Der See müsse geschützt werden vor touristisch verzückten Subjekten, die gar ans Baden denken könnten und damit der Fischereiwirtschaft dieses Sees einen empfindlichen Schlag versetzen und den daran hängenden lokalen Landadel in den Ruin stürzen könnten. Diese

Die Schweiz bräuchte deutlich mehr Blondinen, um zu sich selber zu finden. Perspektive schockierte selbst uns, was uns zu einer spontanen Sympathiekundgebung mit dem ebenfalls anwesenden Landadel trieb. Man kann nicht einerseits die Schweiz zeigen wollen und sie gleichzeitig ruinieren. Das leuchtete uns ein. Nach erlittener Niederlage kehrten wir schulterhängend in unsere Basis, die Eigenheimler in ihre Eigenheime zurück, wobei sich ein Schwarm Privatfahrzeuge wieder ins kaum tausend Meter entKleine Strässchen, versteckte Kleinode, weiter Bllick und viel Himmel, das bringt der neue Abschnitt der Herzroute von Willisau nach Zug. Weil der Genuss auch die eine oder andere Steigung nötig macht, empfiehlt es sich, für alle Abschnitte ein e-Bike zu mieten. (Fotos: Paul Dominik Hasler)

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durchs schweizerische Unterholz

fernte Seeanwesen zwängte. Die Schweiz, dieses originelle Land. Special Agent K. und ich gestanden uns unsere Niederlage ein und blickten neidisch auf den his­ torischen Erfolg von Special Agent E. Die Schweiz bräuchte deutlich mehr Blondinen, um zu sich selber zu finden. Umgekehrt feierten wir den Freundschaftspakt mit den Waldbesitzern, die uns vor einem Jahr mit ähnlichem Charme in ihrem Wald aufgelauert hatten. Auch da schien es unmöglich, Velos durch den Wald fahren zu lassen, ohne dass er daran zu Grunde ginge, oder Zustände einkehrten, die den ohnehin

Auch das ist die Schweiz: Die Enge hat Löcher wie ein Käse, darin spriesst die Freiheit auf kleinstem Raum. geplagten Waldarbeitern die Ausübung ihres redlichen Berufes verunmöglichten. Es drohte, richtig dramatisch zu werden, und erst das beherzte Eingreifen von K. hatte Schlimmeres verhindert. Mehrere Flaschen Wein und einige verständigende E-mails haben uns an die Waldbesitzer angenähert, und sie an uns. Sie verzichten darauf zu behaupten, der Wald sterbe, wenn man ihn mit dem Velo durchfährt, wir verbreiten nicht weiter Geschichten von sadistischen Baummördern mit Kettensägen. Überhaupt hat die Annäherung erstaunliche Gemeinsamkeiten zu Tage gefördert. Beide Seiten lieben den Wald, beide erholen sich prima darin und beide glauben daran, dass man unsere Schweiz schützen soll vor weiterer Verbauung und motorisierter Zerfurchung.

Die Basis also war gelegt, Special Agent K. bekam das eiserne Verdienstkreuz (sein 32stes) und wir gründeten zusammen mit den Privatwaldbesitzern den Fonds «Wald und Tourismus», der dort helfen soll, wo eine Annäherung zwischen Waldwirtschaft und Tourismus gut täte. Ob all der Widerborstigkeit erstaunt es mich zunehmend, dass wir in diesem Land je fähig waren, Atomkraftwerke und Autobahnen zu bauen, die sichtlich mehr Konfliktpotential mit Landschaft, Mensch und Eigenheim bieten als ein Veloweg. Vielleicht war es ein Zeitfenster voller unschweizerischem Zukunftsglauben. Und vielleicht leidet die Herzroute unter einem Sättigungseffekt, hervorgerufen durch den damaligen Übermut. Wirklich sicher sind wir uns aber nicht. 7.3 Kilometer und 264 Anrufe später befinden wir uns bei Bauer Hodel im Vorgarten und haben soeben geklingelt. Er schaut oben zum Fenster hinaus, die kräftigen Arme auf dem Sims. Wir erzählen ihm von der putzigen Veloroute, die gerne seinem Haus entlang geführt würde und machen uns auf eine Ladung Mist samt hinterher hechelndem Hofhund gefasst. Aber Herr Hodel findet die Idee nicht verkehrt und freut sich auf sonnige Velofahrer, die vor seinem Haus durchfahren. Auch das Schild dürfen wir an seine Scheune schrauben, mit echten Schrauben, ohne richterliche Verfügung. Wir fragen uns, was der Mann im Leben richtig gemacht hat, nachdem uns sein Nachbar eben vom Hof gescheucht hat mit allerlei Unterstellungen, die kaum noch etwas mit Velofahren zu tun haben. Aber auch das ist die Schweiz: Die Enge hat Löcher wie ein Käse, darin spriesst die Freiheit auf kleinstem Raum.

Der Weg des Herzens Die Herzroute wächst diesen Frühling um weitere 70 Kilometer zwischen Willisau und Zug. Sie bietet damit fünf Tagesetappen auf total 300 Kilometern Strecke und führt durch die schönsten Ecken dieses Landes zwischen Bern und der Zentralschweiz. Um die relativ häufig vorkommenden Hügel meis­ tern zu können, lassen sich an den 6 Etappenorten E-Bikes der Marke «Flyer» mieten. Die Flyer kosten Fr. 58.- pro Tag, Akkus können kostenlos entlang der Strecke gewechselt werden. Inhaber von General- und Halbtax-Abos erhalten Ermässigung auf die Mietpreise. Die Herzroute ist durchgängig ausgeschildert als Veloroute Nr. 99 und ist ohne Pfadfinderkenntnisse zu finden. Bei Übernahme des Flyers erhät man einen reich bebilderten Etappenprospekt mit allen Hinweisen auf Verpflegung, Hotels und Sehenswürdigkeiten. Der

Veloverleih ist von 1. April bis 31. Oktober in Betrieb, die Route selber ist das ganze Jahr fahrbar (Winterreifen und Schneeketten empfohlen). Casting: Special Agent E. arbeitet zu hundert Prozent für die Herzroute, ist unsere touristische Leiterin und hört zivil auf den Namen Evelyne Hollenstein. Sie sorgt dafür, dass die Route nicht nur aus Wegen und Schildern besteht, sondern auch Erlebnis und Gastronomie bietet. Dafür vernetzt sie die Herzroute mit Partnern und versucht sie mit dem Herzroute-Virus zu infiszieren. Special Agent K. hört im zivilen Leben auf den Namen Kurt Schär und ist Geschäftsführer der FLYERFirma Biketec AG. Er hat die Herzroute vor acht Jahren aufgesucht, mit der absurden Idee, Elektrovelos an Touristen zu vermieten. Er wurde vom eigenen Erfolg

überrollt und muss seither dafür büssen. Er ist Herzroute-Partner und Mit-Initiant. Special Agent P. bin ich, habe die Herzroute 1989 entdeckt (als Mission in mir drin) und bin entzückt, dass sie sich Stück um Stück realisiert. Ich versuche, die absolut schönste, eindrücklichste und charmanteste Veloroute der Schweiz in Gang zu bringen. In diesem Sinn bin ich als Agent ein Versager, weil man mir diese unmögliche Intention immer anmerkt. Eiserne Verdienstkreuze verdiene ich mir am ehesten mit romantischen Werbetexten zur Herzroute. Die Herzroute wird 2012 ein weiteres Stück Schweiz erobern, diesmal in gänzlich anderen Gefilden, 100 km zwischen Lausanne und dem bernischen Laupen. Weitere Infos und Buchungsmöglichkeiten: www.herzroute.ch

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Horizonte erweitern von Roland Rottenfußer

Das kreative Universum Evolution ist mehr als Daseinskampf und Wettbewerb. Moderne Wissenschaftler entdecken in der Natur Elemente von Schönheit, Spiel und Freiheit. Offenbar spontan bringt das Leben immer neue Formen hervor. Was das Ziel der Evolution sein könnte, darüber können wir nur spekulieren – und staunen!

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as machen Tiere eigentlich, wenn sie nicht gerade kämpfen, fressen oder ihren Nachwuchs aufziehen? Gibt es für sie freie Zeit, in der sie einfach da sind und sich des Lebens freuen? Naturfilme reduzieren Tiere gern auf die Notwendigkeiten des Überlebenskampfs: Der Gepard jagt die Gazelle. Affen streiten miteinander um die Früchte des Feigenbaums. Seekühe kopulieren und weiden bald darauf mit ihren Kälbern das Seegras der Flüsse ab. Ganz selten erhascht man eine Ahnung von Spiel und Lebenslust. Im Elsass, als der Morgennebel noch über den Wiesen lag, beobachtete meine Lebensgefährtin einmal den übermütigen Tanz eines Eichhörnchens, das im Garten unseres Ferienhauses herumhüpfte. Die Bewegungen folgten keinem erkennbaren Zweck. Der Biologe Stephan Harding schrieb seine Doktorarbeit über den asiatischen Muntjak-Hirsch. Was er dabei beobachtete, passt in kein wissenschaftliches Raster: «Beim Kauen des Grases verfiel das Tier in einen meditativen Zustand totaler Entspannung. Ich war überrascht von dieser Qualität des Friedvollen, die wie unsichtbarer Rauch aus ihm emporstieg.» Diese Beobachtungen legen den Schluss nahe: Tiere verhalten sich auch zweckfrei – und sie geniessen es. Zweifellos gibt es in der Natur auch Revierkampf, Fressen und Gefressenwerden, die verzweifelte Gier nach Nahrung. Aber diese Aspekte werden aus ideo­ logischen Gründen oft zu einseitig betont. Darwin führte die Entwicklung des Gehirns darauf zurück, dass man mit seiner Hilfe besser töten kann: «Feinde zu vermeiden oder sie mit Erfolg anzugreifen, wilde Tiere zu fangen und Waffen zu erfinden und zu formen, erfordert die Hilfe der höheren geistigen

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Fähigkeiten.» Aber taugt ein Gehirn nicht auch dazu, Ackerbau zu betreiben, sich in andere Menschen einzufühlen oder ein Bild zu malen? Die Natur vermeidet Konkurrenz Schon Anfang des 20. Jahrhunderts regte sich gegen Darwins einseitiges Kampf-Paradigma Widerstand. Der Anarchist Peter Kropotkin veröffentlichte 1902 sein Buch «Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt». Er entwarf darin ein sanfteres Bild der Natur: «Glücklicherweise ist Konkurrenz weder im Tierreich noch in der Menschheit die Regel. In dem grossen Kampf ums Dasein – für die möglichst grosse Fülle und Intensität des Lebens mit dem geringsten Aufwand an Kraft – sucht die natürliche Auslese fortwährend ausdrücklich die Wege aus, auf denen sich die Konkurrenz möglichst vermeiden lässt.» Dies bestätigen auch einfache Naturbeobachtungen: Der Krokus konkurriert nicht mit der Herbstzeitlose um bestäubende Insekten. Beide blühen in verschiedenen Jahreszeiten. Hyänen konkurrieren nicht mit Löwen, sie verwerten deren Reste. Spechte konkurrieren nicht mit Maulwürfen. Die einen suchen in den Rinden der Bäume nach Kleingetier, die anderen wühlen unter der Erde. Jede Art sucht sich eine Nische, eine einzigartige Ernährungsweise und Fortpflanzungsstrategie. Zweifel an Darwin werden gern mit dem religiösen Fundamentalismus in den USA in einen Topf geworfen. «Kreationisten» versuchen Darwin mit einer Mischung aus Teilwahrheiten und Bibeltreue auszuhebeln. Kennzeichen des Fundamentalismus ist stets der Verweis auf eine unantastbare «Heilige Schrift». Zu Recht lehnt die Wissenschaft eine Ideologie ab, die auf einen Zirkelschluss hinausläuft: Warum soll


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Jedes Spinnennetz ist einzigartig. Einem Plan folgend, der auf ‹Fang› aus ist, nutzt jedes Spinnlein individuell das vorhandene, und keine wird erneut exakt dasselbe Netz anlegen.

ich an Gott glauben? Weil es in der Bibel steht. Und warum soll ich der Bibel glauben? Weil sie das Wort Gottes ist. Vernünftige Darwin-Kritiker weisen auf Lücken im Schulbuchdarwinismus hin und stellen intelligente Fragen, ohne sogleich die Pauschalantwort «Gott» zu geben. Sie vertreten eine moderne Naturbetrachtung, die anerkennt, was an Darwin richtig war und zugleich über ihn hinausweist. Der ausgezeichnete Dokumentarfilm «Das kreative Universum» von Rüdiger Sünner präsentiert Theorien des Neuen Denkens und interviewt einige seiner Protagonisten. Der Film stellt die Frage, was die Evolution vorantreibt und ob dabei eine schöpferische Intelligenz eine Rolle spielt. Die Entstehung der Formen Beispiel «Kambrische Revolution»: In einem relativ kurzen Zeitraum, vor ca. 540 Millionen Jahren, entstanden fast alle «Baupläne der Tierwelt», die Vorläufer unserer heutigen Lebewesen. «Wie von einem Künstler im Drogenrausch geschaffen, entstanden hunderte von bizarren Kreaturen», formuliert es Regisseur Rüdiger Sünner. Man fand keine Fossilien von Vorläufern der betreffenden Lebensformen. Trat das Leben also «plötzlich» auf die Bühne der Evolution, und wenn ja: Steht dahinter ein Schöpfer? Beispiel «Kristallwachstum»: Jedes Eiskristall hat eine individuelle Form, seine sechs Arme sind jedoch exakt gleich. Es muss also etwas geben, was das Wachstum der Arme koordiniert, eine übergreifende Ordnung. Beispiel «Morphogenese»: Tierisches und menschliches Leben entsteht aus einer Zelle, die sich mehrfach teilt. Woher weiss die Zelle, ob sie Leberzelle oder Hautzelle werden soll?

Rupert Sheldrake schuf aufgrund solcher Überlegungen seine Theorie vom «Morphogenetischen Feld» (Formen schaffenden Feld). Ein Feld ist quasi ein Rahmen, innerhalb dessen sich Organismen bewegen. Dieser Rahmen ist aber nicht (wie ein Magnetfeld) neutral, er ist intelligent. Er enthält Information und vermag sie auf Zellen und Lebewesen zu übertragen. Der Materialismus denkt deterministisch. Alles ist für ihn aus einer Kette von Ursachen und Wirkungen erklärbar. Man kann aber die erwachsene Form eines Organismus – Frosch, Känguru oder Mensch – nicht aus der Zellteilung erklären. Niemand kann in der Anfangsphase einer Kristallisation vorhersehen, zu welcher Form sich ein Eiskristall auswachsen wird. Vor allem konnte Leben von Wissenschaftlern bis jetzt nicht erschaffen werden. Zwar wurden bei Experimenten organische Moleküle hergestellt, nie entstand dabei aber die Grundform des Lebens, die Zelle. Die moderne Wissenschaft muss also in dreifacher Hinsicht vor dem Leben kapitulieren. Es ist nicht erklärbar, nicht vorhersehbar, nicht nachahmbar. Das Universum erblickt sich selbst Herumliegende Bauteile allein erklären nicht die Gestalt eines Hauses, sagt Rupert Sheldrake Dazu bedarf es eines Plans, einer gestaltenden Intelligenz. Auch die Theorie der morphogenetischen Felder hat die Grundfrage der Schöpfung nicht gelöst. «Es bleibt das Rätsel, dass die Formen der Natur nicht einfach aus ihren Genen oder Molekülen ableitbar sind. Diese brauchen eine Information, um sich zu einer Gestalt zu gruppieren. Informationen aber sind etwas Nichtstoffliches, Geistiges.» (Rüdiger Sünner) Kann man sich Geist aber vorstellen, ohne sich zugleich ein geistiges Wesen vorzustellen? Ein einfaches

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Beispiel zeigt, wie unwahrscheinlich es ist, dass aus Zufall auch nur primitive Lebensformen entstehen. Hacken Sie einmal ein paar Minuten lang mit geschlossenen Augen wild auf Ihrer Tastatur herum. Wie viele solche Versuche müssten Sie anstellen, damit aus der Kombination der Buchstaben durch Zufall ein Gedicht von Rilke entsteht? Schon ein Einzeller enthält aber unendlich viel mehr Informationen als ein solches Gedicht. Dies ist noch kein «Gottesbeweis», es liegt aber nahe, an eine schöpferische Intelligenz zu denken. Im Kleinen kann der Mensch nicht vorhersehen, was als nächstes passiert; im Grossen scheint die Evolution aber einer Entwicklungslinie zu folgen. Sie führt vom Einfachen zum Komplexeren, von Einschränkung zu mehr Beweglichkeit, von Unbewusstheit zu Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion. Augen haben sich in der Evolution z.B. mehrmals unabhängig voneinander entwickelt. Wirbeltiere wie Oktopusse entwickelten das Kameraauge, das ihnen eine genauere Weltwahrnehmung ermöglichte. Über Jahrmillionen war die Innovation «Auge» zuvor vorbereitet worden, z.B. durch die Entstehung eines Nervensystems. Der Paläontologe Simon Conway Morris behauptet: «Das Universum hat lange daran gearbeitet, sich selbst endlich anschauen zu können.» Das Auge führte nun einerseits zu Selektionsvorteilen (Gefahren früher erkennen), andererseits erlaubte es, Schönheit wahrzunehmen. Überschuss an Schönheit Mit der Schönheit kommt aber auch eine Wahrnehmungs- und Empfindungsinstanz ins Spiel. Sie ist nicht auf den Menschen beschränkt. Betrachten wir z.B. das Federkleid eines Pfaus. Ein Darwinist würde sagen, es diene der Selektion von Erbgut. Das prächtigste Männchen wird vom Weibchen erhört und darf sich fortpflanzen. Fortpflanzung ist aber auch bei sehr unscheinbaren Vögeln wie der Drossel möglich. Warum also diese Farbenpracht, diese geradezu künstlerische Gestaltung der Federn? Und zeigt nicht der Balztanz eines Ziervogels, dass auch dessen Weibchen ein ästhetisches Empfinden besitzt? Rüdiger Sünner sieht in der Natur einen «ungeheuren Überschuss von Schönheit und Spiel» am Werk. Wer einmal einen Fotoband durchgeblättert hat, in dem

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viele Vogelarten abgebildet sind, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ungezählte Varianten bezaubernder Schönheit in Farbe und Form. Auch andere Naturbeobachtungen können Ehrfurcht, ja Liebe hervorrufen: Das Auge eines Hirsches. Spielende Fuchsjungen. Der Sprung eines Eichhörnchens von Baum zu Baum. Aufblühende Waldblumen im Vorfrühling. Die Schönheit dieser Welt, so das Resümee von «Das Kreative Universum», geht weit über das für den Überlebenskampf Notwendige hinaus. «Es scheint in der Natur eine Art unentgeltliche Produktion von Schönheit zu geben.» (Sheldrake) Den Tanz eines Vogelschwarms am Himmel, der im Film gezeigt wird, nennt Rüdiger Sünner eine «betörende Himmels­skulptur, gewoben aus Koordination und Unvorhersehbarkeit». Die Schöpfung selbst scheint mehr einem Tanz als dem vorhersehbaren Ablauf einer Maschine zu gleichen. Die Natur erweist sich als grösste aller Künstlerinnen. Wir leben in einem schöpferischen Universum – unabhängig davon, ob wir an einen Schöpfer glauben. Gestandene Wissenschaftler geraten da ins Schwärmen und betonen, wie der Neurobiologe Joachim Bauer, das «SchöpferischSelbstzweckhafte in der Biologie». Ehrfurcht – ein ökologisches Gefühl Wenn «Fürsorge, Ehrfurcht und Verehrung» (Sünner) angemessene Haltungen gegenüber der Natur sind, so entsteht daraus auch ein ökologischer Impuls. Der Sinn für das Heilige ist der beste Naturschutz. Wobei der Begriff «heilig» zweifellos über eine wissenschaftliche Betrachtungsweise hinausgeht. Ob man ihn verwenden möchte, hängt von der Mentalität eines Naturforschers ab. Ich behaupte aber, dass eine tiefer gehende, meditative Betrachtung der Natur bei fast jedem «Andacht» hervorrufen kann. Der Astronom und Priester George Coyne meint gar, die innere Motivation der Schöpfung erkannt zu haben: «Gott wollte ein Universum, das nach und nach Lebewesen hervorbringt, die Gott ihrerseits lieben können.» Rüdiger Sünner: Das Kreative Universum – Naturwissenschaft und Spiritualität im Dialog. Absolut Medien, 2011. 83 Min., Euro 12,99

Naturfilme zum Staunen: Alastair Fothergill: Planet Erde – die komplette Serie. BBC, 2006. 775 Min., Euro 31,99


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Frankoskop von Ernst Schmitter

Frankoskop Die Décroissance-Bewegung verschärft ihren Ton

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ie französischen Wachstumsverweigerer rund um die französische Zeitschrift «La Décroissance» führen seit 2007 im Zweijahresrhythmus so genannte «Contre-Grenelle» durch. Diese Veranstaltungen sind der Vorbereitung einer Gesellschaft ohne Wachstumszwang gewidmet. Sie richten sich gegen die aggressive Greenwashing-Politik von Sarkozy. (Details dazu, insbesondere zum Namen «Contre-Grenelle», finden sich im Frankoskop von «Zeitpunkt» 103 und im Archiv, das online zugänglich ist.) Sarkozy ist im Begriff, in Umwelt- und sozialen Fragen das letzte Quäntchen seiner Glaubwürdigkeit zu verlieren. Seine Umweltministerin Nathalie Kosciusko-Morizet versucht gegenwärtig, die Bevölkerung auf den Gedanken einzustimmen, dass Frankreich sich an die katastrophale Umweltund Klimasituation anpassen müsse, statt Klima und Umwelt auf Kosten der Wirtschaft zu schützen. Nicht glaubwürdiger als der rechthaberische Sarkozy sind übrigens die beiden bekanntesten Persönlichkeiten, die vermutlich 2012 in den Wahlen gegen ihn oder einen anderen Vertreter seiner neoliberalen Partei UMP antreten werden: die in Wirtschaftsfragen ebenfalls neoliberale Marine Le Pen vom Front national und der kaum weniger neoliberale Dominique Strauss-Kahn vom Parti socialiste. In diesem deprimierenden politischen Klima fand am 2. April 2011 in Vaulx-en-Velin bei Lyon die dritte «Contre-Grenelle» statt. Wer den Weg in die weit vom Lyoner Stadtzentrum entfernte Vorstadt – sie gilt als drittärmste Stadt Frankreichs – gefunden hatte, erlebte in einem zum Bersten gefüllten Saal mit 900 Plätzen eine Art geistige Revitalisierungskur. Ungefähr zwei Dutzend prominente Décroissance-Autorinnen und -Autoren legten in Kurzvorträgen dar, was sie unter Widerstand verstehen. Die ganze Vortragsreihe fand ohne Powerpoint statt – wie wohltuend! – und wurde durch gepfefferte Kabaretteinlagen aufgelockert.

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Alle Vortragenden versuchten, folgende Frage zu beantworten: Was können wir tun angesichts des allgemeinen Zusammenbruchs in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Kultur? Durch die ganze Veranstaltung hindurch liessen sich drei Konstanten feststellen: erstens eine Verschärfung des Tonfalls in der Auseinandersetzung mit der wachstumsgläubigen Gegenseite; zweitens die Erkenntnis, dass die multiple Krise menschengemacht ist und folglich durch Menschen überwunden werden kann; drittens die Weigerung, vor systemgegebenen «Sachzwängen» zu kapitulieren.


Frankoskop

Aus der Fülle von Vorschlägen, Anregungen und Hinweisen greife ich vier heraus: 1. Der Bauer Raoul Jacquin – er nennt sich Bauer, nicht Landwirt – wies auf eine gut verdrängte Tatsache hin: Die französischen Landwirte haben eine sehr hohe Selbstmordrate. Jährlich halten in Frankreich 400 Bauern dem systembedingten Rentabilitätszwang nicht mehr stand und nehmen sich das Leben. Was ist nach Raoul Jacquins Meinung zu tun? Man sollte die «intellektuelle Verarmung» der französischen Bevölkerung bremsen und die Zahl der Bauernhöfe drastisch vergrössern! 2. Der Philosoph Fabrice Flipo wies auf die Notwendigkeit hin, die Werbung, wo immer möglich, einzudämmen und zu bekämpfen, weil Werbung der Aufklärung im Wege steht. 3. Die Ärztin Catherine Levraud gab der Zuhörerschaft ungefähr zwanzig Tipps für ein gesundes Leben und sagte zum Schluss: «Eine solche Lebensweise bringt das System in Gefahr. Aber das macht nichts!» 4. Die für mich erstaunlichste Aussage des ganzen Tages habe ich vom Ingenieur Philippe Bihouix, Autor eines Buchs über die dramatisch wachsende Knappheit von Metallen, gehört. Er wies auf die verhängnisvolle Rolle von positiven Rückkoppelungen hin, zum Beispiel dieser: Bei der Metallgewinnung brauchen wir wegen der immer ungünstigeren Ressourcenlage immer mehr Energie; und bei der Beschaffung von fossiler Energie benötigen wir aus dem gleichen Grund immer mehr Metalle. Aber dann fügte er bei, positive Rückkoppelungen hätten auch ihr Gutes. Unser Wirtschaftssystem sei nämlich nicht, wie man sich vorstellen könnte, einem schwerfälligen Ozeandampfer zu vergleichen, sondern eher einem Auto mit übersteuernder Lenkung. Richtungsänderungen in der guten Richtung könnten rasch eine über Erwarten günstige Wirkung haben: Eine Verminderung unseres Rohstoffverbrauchs würde auch die Nachfrage nach Energie vermindern. Eine Umstellung auf biologische Landwirtschaft bedeute eine drastische Abnahme des Verbrauchs von Kunstdünger. Damit nehme auch der Energieverbrauch ab. Und so weiter. Wer sich genau über «Contre-Grenelle 3» informieren möchte, kann im Buch zum Kongress alle Beiträge nachlesen: Contre-Grenelle 3 – Décroissance ou barbarie, éditions Golias, Villeurbanne 2011.

Zu berichten ist noch über ein Grundlagenwerk zum Thema Décroissance. Wer sein Wissen in diesem Bereich vertiefen will, wird – ausreichende Französischkenntnisse vorausgesetzt – von der Lektüre profitieren: Gilbert Rist, L‘économie ordinaire entre songes et mensonges (Die Mainstream-Ökonomie zwischen Traum und Lüge), Paris 2010. Der Autor, emeritierter Professor in Genf, hat die Grundlagen untersucht, auf der die Wirtschaftswissenschaft aufbaut – Grundlagen, die normalerweise nicht hinterfragt werden, schon gar nicht von den Ökonomen. Er kommt in seiner 230 Seiten starken, sehr detaillierten Studie zu einem vernichtenden Urteil: Die physikalischen und anthropologischen Grundlagen der an unseren Universitäten gelehrten Wirtschaftswissenschaft sind seit Jahrzehnten als Irrtümer entlarvt, zum Teil sogar seit Jahrhunderten. Dennoch verkauft sich dieses Fach als Wissenschaft. Dass seine Grundlagen nicht stimmen, nehmen seine Vertreter nicht zur Kenntnis. Ein einziges Beispiel muss hier genügen: Das von den Ökonomen geschaffene Fabelwesen «Homo oeconomicus», das stets nur auf seinen Vorteil bedacht ist, hat nur wenig mit der anthropologischen Wirklichkeit zu tun. Eine Kernstelle muss ich erwähnen – eine Zusammenfassung von Rists Buch ist an dieser Stelle nicht möglich. Auf Seite 166 gibt Rist den Wachstumsverweigerern unter seiner Leserschaft einen Rat, wobei er sich auf den amerikanischen Psychologen Watzlawick beruft: Wenn man eine gegebene Situation verändern will – also zum Beispiel die Situation einer Gesellschaft unter Wachstumszwang -, soll man nicht ihr genaues Gegenteil fordern – also in unserem Beispiel Wachstumsrücknahme. Diese Forderung übersieht nämlich, dass es nicht einfach darum geht, in einem gegebenen System einen Richtungswechsel zu vollziehen, sondern dass es um einen Wechsel des Systems selbst geht. Wenn wir Wachstumsrücknahme statt Wachstum fordern, akzeptieren wir von vornherein die Notwendigkeit, mit Ökonomen in ökonomischen Kategorien zu diskutieren. Das ist eine Sandkastenübung, die sich Wachstumsverweigerer ersparen sollten. Der Name Décroissance darf nämlich nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass ihre Anhänger mehr im Sinn haben als blosse Wirtschaftsschrumpfung: Sie streben einen Ausstieg aus den Denk- und Handlungszwängen an, die die meisten Ökonomen uns als unausweichlich darstellen.

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11. September 2011 auf dem Bundesplatz: Mitgefühl in Aktion

Soll ich in den Wald gehen, dem Vogelgezwitscher lauschen, die Sonne geniessen oder meinem Vorsatz gemäss hinter verschlossenen Fenstern Französisch büffeln? Dieses Dilemma nimmt uns die Lingua Natura ab. Sie bietet fünftägige Sprachkurse mitten in Schweizer Naturparks an. In Veglia-Devero lernen Schülerinnen und Schüler Italienisch, im Pfynwald Französisch, in Beverin und Ela Rätoromanisch und im Binn­ tal Deutsch. Daneben erkunden sie Silberminen, gehen mit Jägern auf die Pirsch oder suchen mit Strahlern nach verborgenen Mineralien. Im Graubünden kochen sie mit einheimischen Bäuerinnen auf Rätoromanisch: «Pizzochels cun ervas tschorras». Das soll das Bewusstsein für die Natur und regionales Schaffen fördern und wird deshalb vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) unterstützt. MH

Der 11. September 2001 hat die Welt tief gespalten in Gut und Böse. Und je nach Perspektive erschienen jeweils «die anderen» als «die Bösen». Die Folgen waren Krieg, Gewalt und eine weltweit von Angst geleitete Politik. Zehn Jahre nach 9/11 zeigt sich die Welt verändert und bewegt. Zwar wird immer noch aus Motiven der Angst gehandelt und mit Polaritäten politisiert. Doch Naturkatastrophen, Finanzkrisen und politische Umwälzungen zeigen deutlich auf, dass alle und alles untrennbar miteinander verbunden sind. Viele Menschen spüren einen tiefen Wunsch nach Veränderung, sei es im persönlichen Umgang, sei es in der Gesellschaft, im politischen Engagement. Wir ahnen, dass es eine Kraft gibt, welche die Welt im Innersten zusammenhält, dass es eine Welt gibt, in der alles mit allem verbunden ist. – Und wenn diese Kraft die Liebe wäre? Wir sind überzeugt: die Welt kann sich nur dann friedvoll weiterentwickeln, wenn wir den Blick für diese Ganzheit schärfen und im täglichen Leben entsprechend handeln – für EINE Welt, aus Liebe und nicht aus Angst. Es ist Zeit, dies gemeinsam zu bezeugen und in diesem Sinne zu handeln. Wir möchten am 11. September 2011 einen Geschmack dieser einen Welt vermitteln und versammeln uns auf dem Bundesplatz in Bern. Mit Redebeiträgen, Meditation und Musik feiern wir und setzen gemeinsam ein starkes Zeichen – für eine Welt und zum Wohle aller Wesen. Jacqueline Forster

Foto: Marcus Gyger

Lingua Natura: Naturparks als Schulzimmer

www.lingua-natura.com

Die Veranstaltung ist politisch und konfessionell neutral. Organisatoren sind die Villa Unspunnen (www.villaunspunnen.ch) und das Forum Neue Erde (www.forum-neue-erde.org). Die Autorin ist Medienbeauftragte der Veranstaltung.)

Verschwörungstherapie mit dem Zirkus Lollypop «Unsere Welt ist beschissen genug», sagt Hanspeter Dörig, «da müssen wir nicht noch überall nach Bösewichten suchen!» Er ist der Direktor des Theaterzirkus’ Lollypop; seine Kritik richtet sich gegen Verschwörungstheorien, die heutzutage noch zahlreicher sind als die Katastrophen. Wie man sich von ihnen befreien kann, das erfahren die Zuschauer im diesjährigen Stück «Die Verschwörungstherapie». Sie dürfen sich allerdings keine geradlinige Genesung erhoffen. Der Psychiater ist nicht über alle Zweifel erhaben, ein nicht mehr therapierbarer Prediger schreit ununterbrochen nach Anarchie und zwei Staatsbeamte wissen nicht, ob sie Polizisten sind oder Ritter. «Meine Stücke haben den Ruf, bis zum Schluss alle zu verwirren», gibt Hanspeter zu. Der Zirkus Lollypop, heimisch im Graubünden, ist ein Winzling mit hohen Ansprüchen. «Wir machen keine Unterhaltung. Kultur hat einen politischen Auftrag – alle

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unsere Stücke sind politisch unkorrekt.» Den Auftrag erfüllen sie handfest: Jedes Jahr tourt der Zirkus einen Monat durch Osteuropa, um mit einheimischen Jugendlichen ein Programm auf die Beine zu stellen. Lohn kriegt in dieser Zeit niemand. «Dafür ist die Dankbarkeit der Jugendlichen umso grösser. Sie sind es sich nicht gewöhnt, dass sich jemand um sie kümmert, und sie sind

nicht so konsumverbraucht». In der Schweiz arbeitet der Lollypop mit jungen Menschen in schwierigen Lebenssituationen, veranstaltet Workshops und ist auch einige Male mit seiner Verschwörungstherapie zu sehen. Patientinnen und Patienten lesen bitte die Verpackungsbeilage auf www.lollypopgalaxys.ch. Wir weisen vorsorglich darauf hin, dass die Nebenwirkungen noch nicht erforscht sind. Die Besucher sind die ersten Versuchskaninchen. Der Zirkus Lollypop lehnt jegliche Haftung ab. Mehr zu kleinen, originellen und verrückten Zirkussen erfahren Sie jetzt auf unserer Website und im Zeitpunkt 114 ab Ende Juni. Bereits hier verweisen wir auf die Internetauftritte der Zirkusse, denn: Ehret das heimische Zirkusschaffen! MH www.circusballoni.ch www.broadway-variete.ch www.cirquedeloin.ch www.zirkusfahraway.ch

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AfroPfingsten: Afrika trifft sich in Winterthur

Das grosse Lehmerlebnis

Farbenfrohe Märkte, ein reichhaltiges kulinarisches Angebot, einmalige Street-Art-Künstler und Märchenerzähler prägen das Strassenbild Winterthurs über das Pfingstwochenende. Die Besucher erleben afrikanische Traditionen und andere Weltkulturen hautnah, können aktiv an den vielfältigen Workshops teilnehmen oder Live-Konzerte renommierter Musiker aus der ganzen Welt in der legendären Halle 53 geniessen. Die Kulturen Afrikas sind mittlerweile über den ganzen Globus verstreut. Aber am Afro-Pfingsten Festival gibt es ein einzigartiges Zusammentreffen in Winterthur. Der Freitagabend steht im Zeichen von Roots-Reggae: Ein farbenfroher Musik-Mix aus traditioneller und moderner afrikanischer Musik und karibischen Reggae-Beats erwartet die Besucher. Die international bekannten Ausnahmetalente Julian Marley und Alpha Blondy sorgen für einen fulminanten Festivalauftakt. Am Samstagabend gibt der für exotisch-orientalische Klangfarben berühmte algerische Sänger Khaled seinen Hit Aïcha zum Besten und mit Papa Wemba gehört auch ein Urvater des afrikanischen Pop zu den Live-Acts. Der Sonntagabend ist den weiblichen Stimmen gewidmet: Mit der stimmgewaltigen jamaikanischen Sängerin Diana King ist ein energiegeladener Abend garantiert.

Experimentierfreudige. Diesen Sommer führt ecco terra ein Lehmerlebnislager für

ecco terra organisiert seit fünfzehn Jahren die etwas anderen Sommerferien für Familien und ein Camp «Grundlagen des Lehmbaus» für Selbstbauer durch. Die Wochen finden im Juli und August auf dem Gelände einer ehemaligen Gärtnerei am Waldrand bei Lieli AG statt. Der Ort bietet ideale Möglichkeiten für Lehmbau- und Spielerlebnisse, Skulpturen- und Ofenbauen, Gruben- oder Fassbrand, Baden in einem kühlen Pool, Spielen auf der Wiese, Gelegenheit für Lagerfeuer und Auskundschaften des nahen Waldes. Fachleute vermitteln den Teilnehmenden praktische und theoretische Kenntnisse über Lehmbau und wie man die richtige Lehmmischung herstellt, Lehm stampft, Weidenruten zu einem Grundgerüst verflechtet, den aufbereiteten Lehm auf die Konstruktionen aufträgt, verputzt, modelliert und verziert. Die Teilnehmenden üben sich in Kunst und probieren traditionelle Arbeitstechniken aus. Im Lehmerlebnislager vom 25.– 29. Juli 2011 gestalten die Teilnehmenden mit Lehm und anderen Naturmaterialien Skulpturen, Wandreliefs oder bauen einen Lehmofen. Im Camp «Grundlagen des Lehmbaus» ( 1. – 6. August 2011) lernen die Teilnehmenden Lehm auf die richtige Konsistenz zu prüfen, Wände aus Weidengeflecht mit Strohlehmbewurf zu festigen, Lehm aufzuschlämmen, Verputze herzustellen und aufzuziehen, Trockenlehmsteine zu fertigen und vieles mehr. Die Gäste übernachten am Waldrand im eigenen Zelt oder im Matratzenlager. Der Preis inklusive Lagerbetreuung, fachliche Leitung und Verpflegung beträgt 560 Franken pro Person. Info und Anmeldung: www.eccoterra.ch

Bet-Lektüre für Gläubige, Suchende und Zweifler Neben dem Unterhaltungsprogramm liegt es Festivalgründer Daniel Bühler jedoch am Herzen, auch den tieferen Sinn der Veranstaltung hervorzuheben: «Heutzutage wird der Fokus viel zu oft auf die Unterschiede zwischen den Kulturen gelegt. Mit Afro-Pfingsten wollen wir das Gemeinsame hervorheben: Die Freude an Begegnungen und Entdeckungen von Neuem und Unbekanntem verbindet uns alle. Und die ernsten Themen dürfen nicht zu kurz kommen: So weist zum Beispiel der FairFair-Markt auf globale Missstände hin, schärft das Bewusstsein für Ungleichgewichte und lädt ein, selber Verantwortung zu übernehmen und aktiv zu werden.»

Drei Viertel der Menschen in unserem Kulturkreis beten. Trotzdem haftet dem Beten etwas Peinliches und irgendwie Altmodisches an. Lukas Niederberger, gewesener Jesuitenpater und ehemalliger Leiter des Lasalle-Hauses in Edlibach bei Zug tut es doch. Wann beten? Zu wem beten? Wofür beten? Über diese und viele andere Fragen denkt er in seiner «kleinen Bet-Letüre» nach und kommt zu erstaunlichen und vor allem hilfreichen Antworten. Die kleine Bet-Lektüre ist eine Gebetsschule für Menschen, deren Beten in den Kinderschuhen oder in klassischen Formulierungen steckengeblieben ist und die eine stimmige Form der Kommunikation mit dem Göttlichen praktizieren möchten.

Infos und Vorverkauf unter www.afro-pfingsten.ch oder bei rund 1 500 Starticket-Vorverkaufsstellen.

Lukas Niederberger: Kleine Bet-Lektüre – Anleitung für Gläubige, Suchende und Zweifler. Grünewald, 2011. 184 S. Fr. 24.90/€ 14.90.

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Agenda 12. – 15. Mai

Die Zeit ist reif Internationaler Kongress www.kongress-matriarchatspolitik.ch Tonhalle, St. Gallen Eintritt: 3 Tage Fr. 220.- / 150 Euro, 2 Tage 160 Fr. / 110 Euro, 1 Tag 100 Fr. / 70 Euro

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3. – 5. Juni

Anarchist Bookfair Farelsaal Oberer Quai 12, Biel Eintritt frei www.buechermesse.ch

4. / 5. Juni

4. Permakultur-Tage Erlebnisgärtnerei Dietwyler Rüfenach (AG) www.permakultur.ch

10. – 13. Juni

Festival Artisti di Strada Strassenkünstlerfestival Ascona Eintritt frei www.artistidistrada.ch

Wir suchen Wege aus der sich jagenden, weltweiten Krisen der patriarchalen Zivilisation. Insbesondere die junge Generation ist auf der Suche nach einer grundsätzlichen Veränderung unserer Lebensweise.   Deshalb wächst das Interesse an der matriarchalen Gesellschaftsform überall, die eine gewaltlose, egalitäre Gesellschaftsordnung hat. Der Kongress ist diesen

Gesellschaften als Erbe der Menschheit, insbesondere der Frauen, gewidmet.   Gleichzeitig soll er neue Wege aufzeigen. Die praktischen Möglichkeiten, die sich aus dem Wissen über matriarchale Gesellschaften ergeben, nennen wir Matriarchatspolitik. Es gibt dazu viele Ideen und neue Handlungsweisen in der feministischen und in anderen alternativen Bewegungen. Aus ihnen kommen VertreterInnen auf dem Kongress zusammen. Was sie über ihre Aktivitäten berichten, ermutigt zum Handeln.

Die Zukunft ist erneuerbar Wer an der letztjährigen Grossdemonstration gegen Atom teilgenommen hat, kennt die Kraft der Sonne. Rund 5 000 Personen demonstrierten von Niedergösgen nach Olten bei hochsommerlichen Temperaturen gegen den Bau neuer Atomkraftwerke und für eine Energiewende. Dass der Atomalbtraum nicht zu Ende ist, wurde uns in den letzten Wochen in Japan schmerzlich vor Augen geführt. Findet jetzt ein Umdenken statt?

Die nationale Abstimmung 2013 über den Bau von neuen Atomkraftwerken rückt näher. Es braucht eine kraftvolle, bunte, gewaltfreie und lustvolle Bewegung gegen die Atomlobby und für eine erneuerbare Zukunft.   Die Zeit ist reif für einen zweiten Menschenstrom. Ein länderübergreifendes Bündnis und ein eingespieltes Organisationsteam sorgen für einen reibungslosen Ablauf. Setzen wir am 22. Mai ein klares Zeichen für eine strahlenfreie Zukunft.

2010 fand zum ersten Mal in der zweisprachigen Stadt Biel/Bienne eine anarchistische Buchmesse statt. Mit gut 500 BesucherInnen war die Veranstaltung ein durchschlagender Erfolg. Auch in diesem Jahr sind über 30 kritische Verlage, Zeitungen und Aussteller präsent und etliche Vorträge, Ausstellungen, Konzerte und Lesungen programmiert. Unter anderen liest Sebastian Kalicha aus: «Von Jakarta bis Johannesburg

- Anarchismus weltweit», Ulrike Bürger aus «Staudamm oder Leben! Indien: Der Widerstand an der Narmada» und Claude Braun aus der Biografie des Flüchtlingskaplan Cornelius Koch «Ein unbequemes Leben». Für ein Wochenende wird Biel das Zentrum der Anarchie in der Schweiz. Keineswegs ein Grund zur Besorgnis, denn wie der Philosoph Pierre Joseph Proudhon schon sagte: «Anarchie ist Ordnung ohne Herrschaft».

Permakultur ist eine Methode, um stabile, sich selbst regulierende und sich erhaltende Systeme zu schaffen, indem uraltes Wissen und moderne Erkenntnisse über Mensch und Natur auf möglichst vielen Ebenen zur gegenseitigen Förderung verflochten werden. Vor ca. 40 Jahren von Bill Mollison in Australien entwickelt, wurde sie in Europa durch Sepp Holzer bekannt. In Japan erhielt Masanobu Fukuoka den Alternativen Nobelpreis als Schöpfer der Nichts-Tun-Landwirtschaft. Permakultur wird weltweit

angewandt: In England vernetzen sich Dörfer zur Selbstversorgung, Gärten entstehen auf Hochhaus-Dächern, in Paraguay hilft sie die Folgen von Entwaldung und Brandrodung abzumildern, in Afrika ermöglicht sie der Bevölkerung zur Selbstversorgung auf kleinem Raum, wo Monokulturen alles Ackerland verschlungen haben. In der Erlebnisgärtnerei Rüfenach werden diese Ansätze umgesetzt – machen Sie mit bei den verschiedenen Workshops (je Fr. 5.-) und erleben Sie die Permakultur hautnah!

Ascona, die Perle im Tessin, mit seiner tropischen Vegetation, seinen schmucken Gässchen, der Seepromenade, umrandet von majestätischen Bergen, lädt zum achten Strassenkünstlerfestival ein.

Borgo, Seepromenade, Piazza Motta, vor der Gemeinde-Bibliothek und auf der Piazza Elvezia. 100 Vorstellungen mit Mimik, Theater, Jonglage, Musik, Clownerie, usw. Die Künstler werden am Ende ihres Spektakels den Hut durch ein begeistertes Publikum reichen. Lachen, bewundern, sich amüsieren, das detaillierte Programm wird ab Mai 2011 verfügbar sein.

Wir gehen in eine lebenswerte Gesellschaft

Während 4 Tagen zeigen Strassenkünstler aus verschiedenen Ländern mehrmals ihre Vorstellungen in allen Winkeln Asconas: Via

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Leserbriefe

Leserbriefe@zeitpunkt.ch Das magische Wort: Null Prozent Zins Downsizing, ZP 112 Immer wieder lese ich im Zeitpunkt über das magische Wort 0 Prozent Zins, aber noch nie, wie der nächste Schritt sein soll. Denn die niedrige Zinspolitik, die wir seit einigen Jahren kennen, führt zu mehr Verschuldung und mehr Not. Immer wenn der Zins auf dem Markt nach unten fällt, sollte eine höhere Abzahlungsrate für die von den Geschäftsbanken erteilten Hypotheken und Kredite verlangt werden. Ein Eigenheim oder eine Eigentumswohnung sollte in 30 und nicht erst in 60 bis 70 Jahren abbezahlt werden, denn in 30 Jahren stehen Erneuerungen und Renovationen an. Wer schneller die Kredite zurückbezahlen kann, wird auch von den Geldgebern neue Kredite erhalten. Seit rund 40 Jahren kennen wir die landwirtschaftlichen Investitions-Kredite, ohne Zins mit einer grossen Abzahlungsrate, die im Laufe von 20 Jahren praktisch ohne Verluste für den Geldgeber zurückbezahlt werden. Warum soll die gleiche Geldausleihe nicht auch für unsere Handwerker, Unternehmer und Hausbesitzer möglich sein? Damit der Zins auf null Prozent fällt, muss dringend eine Geldumlaufsteuer eingeführt werden. Andreas Sommerau, Filisur Bevölkerungsdynamik differenziert erklären Die Bevölkerungsdynamik nur zinsbedingt zu erklären, erscheint mir etwas zu eng. Ich möchte hier auf das ‹enclosure movement› verweisen. Die Einhegung der Allmende und die wirtschaftliche Verwertbarkeit dieser durch den Adel hat den Menschen damals (bis heute) ihrer Möglichkeit beraubt, subsistent zu leben. Daher waren (sind) sie gezwungen, ihr Menschsein auf dem Arbeitsmarkt zu verkaufen, um ihr blosses Überleben sicher stellen zu können. Das führt zu einem Reproduktionszwang, um im Alter durch seine (möglichst zahl-

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reichen) Kinder versorgt werden zu können (in der 3. Welt heute noch gültig). Die Bevölkerungskurve steigt historisch auch reziprok zur Intensität des ‹enclosure movements› an. http://en.wikipedia.org/wiki/Enclosure Lars Lange, Köln Steiniger Weg für Andersdenkende Dieses «neue Denken» kann sich nur schwer ausbreiten, denn die «Massenverblödungswaffen», wie Sie die Werbung korrekt benennen, sind Handlanger der Politik, Wirtschaft oder Banker. Erst wenn eine Mehrheit der Bevölkerung sich von der unterwürfigen Autoritätsgläubigkeit verabschiedet, wird sich etwas ändern. Denn dann könnte im ersten Schritt die Abschaffung der parlamentarischen, staatlichen und diplomatischen Immunität erreicht werden. Im zweiten Schritt den herrschenden Minderheiten Arbeitsverträge ausgestellt werden, die jederzeit kündbar sind und in denen der Arbeitgeber (die Bevölkerung) u.a auch die Höhe ihrer Bezüge bestimmt. Da sich Politiker oder Wirtschaftler jedoch gerne selbst als «Elite» bezeichnen und die Bevölkerung für blöd halten, ist es für andersdenkende Minderheiten ein mühsamer, steiniger und teilweise auch gefährlicher Weg, diesen Wahnsinn zu stoppen. Von einer Demokratie sind wir auch in den westlichen Industrienationen weit entfernt. Renate Humbel, Fahrwangen Bauchgefühl bestätigt Das ist bei weitem das Beste, was ich zu dieser Problematik seit Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten, zu lesen bekam. Hochkonzentrierter Stoff, der gewiss der ausführlichen Diskussion und Erklärung bedarf, der aber grundsätzlich (fast) alles enthält, was dabei zu berücksichtigen ist, die richtigen Erkenntnisse daraus gewinnt und somit auch die (leider) unausweichlichen Konsequenzen aufzeigt. Ich bin ebenso begeistert darüber, wie dankbar dafür, das bekommen

und gelesen zu haben. Vermutlich auch, weil darin sehr klar dargelegt wird, was mir mein «Bauchgefühl» schon seit längerem «sagt». Martin Dittes Phänomene verstehen Ganz herzlichen Dank für Ihren Artikel ‹die Gier ist es nicht›. Er ist spannend zu lesen, ich erfahre neue geschichtliche Hintergründe und es geht nicht darum, einfach alles schlecht zu reden. Ein Versuch, ein Phänomen zu verstehen, Orientierung zu bekommen. Ja, Naturgesetze zu verstehen und sie zu akzeptieren, scheint im Falle vom ewigen Wachstum nicht leicht zu sein. Sehr viel Freude hat mir der Schluss des Artikel bereitet, mit dem Ausblick in die neue Physik und dem Anstoss, bei uns selbst zu beginnen. Wir müssen selbst in unsere Verantwortung kommen und aufhören zu lamentieren. Ueli Hunziker, Winterthur Vier ProduktionsBeschleuniger 1. Die Bibel: Seid fruchtbar und vermehrt euch. 2. Die Erfindung der Sense im Mittelalter: Um eine Kuh in Mittel- und Nordeuropa über den Winter zu bringen, braucht man viel Heu. Mit der Sense leicht und in grossen Mengen herstellbar. Mit den Kühen wiederum konnte man mehr Menschen ernähren. 3. Die Pest hat in manchen Gegenden Europas bis zu 50 Prozent der Bevölkerung dahingerafft. Zusätzlich wurden die Weisen Frauen als Hexen vernichtet, wodurch das Jahrtausende alte Wissen der Fruchtbarkeitskontrolle mit vernichtet wurde. 4. Die Gründung der Bank of England, wie im Artikel von Christoph Pfluger beschrieben. Erhard Birkenstock, Lausanne Gelungen Mit ‹die Gier ist es nicht› ist Ihnen ein hervorragender Artikel gelungen. Es ist nicht einfach, bei diesem Thema nicht in Polemik oder Sarkasmus zu verfallen, Sie aber


Leserbriefe

bleiben sachlich und trotzdem kurzweilig, während Sie die komplexen Stränge des Themas zusammenführen. Armin Hipper, Neukirch

Vom Wohlstand zum Glückstand Wenn wir unseren Wohlstand teilen, kommen wir zum Glücksstand. Als ich dies einer Numerologin sagte, wusste sie sogleich, dass dieses Wort die gleiche Summe hat wie Selbstheilung! Christina Dieterle, St. Gallen Kommunikation mit uns selbst Das Negativ, ZP 112 Es ist interessant, wie Medien mit uns umgehen. Ist es aber nicht auch im zwischenmenschlichen Umgang, von Mann und Frau, von Nachbar zu Nachbar, von Erwachsenen zu Kindern, oft auch eine Negativ/PositivKommunikation im Miteinander? Und wie sieht es uns gegenüber aus? Hören wir auf uns, geben wir unseren Bedürfnissen Raum? Sind wir einverstanden mit uns, akzeptieren wir uns vollständig, wie wir sind? Ich denke, genau hier und jetzt kann jeder bei sich anfangen, ehrlich, tolerant und würdigend mit sich umzugehen. Das ist der erste Schritt für einen besseren Umgang in der Welt. Michael Sacherer, Freiburg i.Br. Lärm als Dauerberieselung Musik – alles Leben ist Schwingung, ZP 111 In Sachen Lärm erneut aufgeschreckt wur-

de ich, als ich las, dass nun sprechende Plakatwände erfunden wurden, dass sich Coop und Migros überlegen, wie man die Kunden in den Läden mit verschiedenem Musikangebot von Abteilung zu Abteilung bei Laune halten will. Was sicher nicht nur mich stört, ist die dauernde Musikberieselung in den Läden, den Cafés, den Toiletten, den Zahnarztpraxen. Natürlich kann man reklamieren und verlangen, dass die Musik abgestellt oder leiser gestellt wird, aber meistens bleibt der verständnislose Blick des Personals übrig. Das Nervigste aber ist die «Begleitmusik» in den Informations-Fernsehsendungen, von der ‹Tagesschau› bis zur Medizin-Sendung. Es bleibt mir jeweils nichts anderes übrig, als die Lautstärke so zu reduzieren, dass man den Sprecher gerade noch hört. Ich habe dem Fernsehen zwar schon einmal ein Mail zu dieser Sache gesendet, bis anhin aber keine Antwort erhalten. Werner Fricker, Recherswil Zu wenig radikal Grundsätzlich bin ich ein Mensch, der die «Lösung», wenn es eine gibt, mit Begriffen wie «Toleranz» oder «Integration» sucht, also auf eine friedliche Art. Wie Ihr. Trotzdem ist mir Eure Publikation zu wenig radikal. Es mag für einige Leute radikal sein, sich nun plötzlich ernsthaft mit einem Thema wie ‹Grundeinkommen› oder ‹Décroissance› zu befassen, mir persönlich geht dies allerdings zu wenig weit. Sandro Burkhart

Verlagsmitteilung Wenn Michael Huber diese Zeilen liest, wird er wohl irgendwo in der Türkei sein, unterwegs zu einer Umrundung des Kaspischen Meeres per Velo. Zwei Jahre hat er mit einem Teilpensum den Zeitpunkt bereichert, zuerst als Praktikant, dann als zeichnender Redaktor. Er wird im Herbst bestimmt etwas zu erzählen haben – und Sie hoffentlich etwas zu lesen. An seine Stelle ist Samanta Siegfried gerückt, die in Basel Medienwissenschaften und Ethnologie studiert. In ihrer Bewerbung schrieb sie: «In einer Zeit des Alles-Einbeziehens, fehlt meiner Meinung nach eine ‹selektive

Vernunft›.» Der Zeitpunkt sei ein gutes Beispiel, wie mit der Informationsfülle umzugehen sei und deshalb möchte sie gerne auf der Redaktion arbeiten. Nachdem sie mich mit der selektiven Vernunft überzeugt hat, muss sie jetzt nur noch Sie überzeugen. Bei dieser schwierigen Aufgabe wünsche ich ihr viel Erfolg. Bis Ende Juli wird sie noch einige Arbeiten unserer Verlagsassistentin Hannah Willimann übernehmen, die für ein Semester ihres Master-Studiums in Germanistik nach Mainz gezogen ist. Christoph Pfluger, Herausgeber

Richtiger Impuls Seit einigen Jahren bin ich begeisterter Zeitpunktleser und damit auch Unterstützer. Als kritischer Zeitgeist habe ich gleich zu Beginn meines Abos bemängelt, dass der Zeitpunkt nicht auf Recyclingpapier gedruckt wird, bzw. dies nicht im Impressum ausgelobt wird. In dieser Ausgabe habe ich mit Freude entdeckt, dass Rebellorecyclingpapier schon genannt wird. Toll! Wenn der Zeitpunkt nun noch seine Gelder nachhaltig verwalten würde (z.B. bei der Ethikbank oder GLS Bank) wäre dies absolut glaubwürdig und ein Impuls in die richtige Richtung. Hannes Butenschön, Wiesbaden Gutes Gleichgewicht Ich finde es supertoll, dass es eure Zeitschrift gibt. Sie ist zu 100 Prozent ein grosser Mehrwert für unsere Gesellschaft. Super finde ich, dass ihr ein sehr gutes Gleichgewicht findet zwischen ‹Esoterik› ‹Religion› ‹Politik› ‹Alternativ› ‹Öko› und all diesen SchubladenBezeichnungen, die es gibt. Für mich ist der Zeitpunkt eine lebensnahe Zeitschrift und offen für alles, was in unserer Medienwelt keinen Platz findet. Gratulation! Bleibt euch treu. Eure Vielfalt ist die Würze. Raffael Gasparini, Richterswil Aufgewühlt und dankbar Als seit Jahren begeisterte Leserin bin ich je nach Beitrag beglückt – ermuntert – aufgewühlt – zweifelnd – dankbar immer, dass es den Zeitpunkt gibt. Verena Wälti, Ligerz

Der itpunkt e Z e t s n äc h se r »

s alte Wa g ins K n de s u a r p m S e «D e r n kth u p r here w Sch Mutmac n le ist das ie v r? s mit ch I h re n Hef te eicht au hwor te ll ie n äc h s te v – ht e n aar Stic Geschic en ns ein p u ie S ir nehm n ung. W s Schicke s hrei­ a c f s z r d e Ku f un u in a e n r e e n d o Idee it Ih auf. Die nt a k t m ie o S K r n ü n f ins da te eschich end und G k c e ie t d s n n ta be wie­r: Mut is en wir immer e t in h a d ü ss n äc h s te a sse r m n – d as e kalte W g in r p ls sk oder de r m a am K io i n u J e . Mal End f k a s te n im Brie

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Brennende Bärte Geni Hackmann

Erklärungen zur Zeitgeschichte

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Motto: Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahr­ heit durch ein Gedränge zu tra­gen, ohne jemandem den Bart zu versengen. Lichtenberg

uerst hielt man ihn für Sarkozys Krieg. Doch: Der französische Präsident kann zwar einen Krieg wollen, aber nicht durchsetzen. Dazu braucht es noch immer die Zustimmung der Amerikaner, und die führen Kriege nur um Ressourcen. Humanitäre Gründe oder Bedrohungen durch Terror oder Massenvernichtungswaffen dienen als Vorwand. Das ist auch in Libyen so. Hunderte von westlichen Militärberatern, Geheimdienstleuten und Propagandisten trafen schon Wochen vor Beginn der Kriegshandlungen in Libyen ein und bereiteten sich auf das Startsignal aus dem Sicherheitsrat vor. Vorher musste der Krieg aber noch der Weltöffentlichkeit verkauft werden, und wie immer leistete ein neuer Begriff wunderbare Dienste: die Flugverbotszone. Ich weiss nicht, was sich der von den Medien weich gespülte Mensch unter einer Flugverbotszone alles vorstellen mag, ein Fahrverbot für Flugzeuge oder eine Abschrankung vielleicht. Aber ganz sicher nicht das, was es ist: nämlich Krieg, mit allen Folgen. Ein ganz anderes Begriffsproblem haben die Mächtigen dieser Welt mit Fukushima: Wie lässt sich die Atomtechnologie retten? Zunächst muss sichergestellt werden, dass die berüchtigte «Kernschmelze» nicht ins öffentliche Bewusstsein eindringt. Dafür sorgen seit Ausbruch der Katastrophe eine Fülle von unerheblichen Erfolgsmeldungen und schwer verständlichen Messungen: «Fukushima hat wieder Strom» oder «1000 Millisievert gemessen». 1 000 Millisievert, das klingt nach wenig, ist aber das Millionenfache des Strahlengrenzwertes. Ob der Gewöhnungseffekt eintritt und die Atomlobbyisten je wieder von «Brückentechnologie» sprechen können ohne Wahlen zu verlieren, ist zur Zeit noch unklar. Denn die Kernschmelze, die unkontrollierbare Erhitzung der Brennelemente, ist eingetreten. Damit dies die Weltöffentlichkeit nicht merkt, haben hilflose Feuerwehrleute tagelang Wasser in die glühenden Ruinen gespritzt und bestenfalls eine leichte Verlangsamung des Desasters erreicht. Warum die Kühlung von Brennelementen nicht mehr funktionieren kann, wenn der Druck im System einmal zusammenbricht, das erklärt ein Effekt, den der deutsche Naturwissenschaftler Johann Gottlob Leidenfrost vor 255 Jahren beschrieben hat.

Jeder, der schon einmal einen Wassertropfen über eine heisse Herdplatte hat tanzen sehen, kennt den Leidenfrost-Effekt. Anstatt sofort zu verdampfen, schwebt der Tropfen berührungslos auf einer feinen Dampfschicht. Dieser Effekt ist in Atomkraftwerken höchst unerwünscht, da er die Kühlwirkung des Wasser um das 233-fache verschlechtert. Sobald an der Reaktor­ oberfläche eine Dampfschicht entsteht, und sei sie noch so dünn, kann nicht mehr richtig gekühlt werden, egal wie viel kaltes Wasser hineingepumpt wird. Um den Leidenfrost-Effekt zu verhindern, wird das Kühlwasser unter hohem Druck gehalten. In Fukushima waren es rund 70 bar. Zum Vergleich: Ein Autoreifen hat einen Druck von 2,5 bar. Sobald der Druck in einem Siedewasserreaktor allerdings abreisst (z.B. wegen Riss, Alterung, Erdbeben, Messfehler, Flugzeugabsturz etc.) wird das 275 Grad heisse Wasser schlagartig dampfförmig und die Kühlwirkung sinkt dramatisch. Ab 800 Grad entsteht dann nicht mehr nur Wasserdampf, sondern auch Wasserstoff und Sauerstoff, eine KnallgasExplosion ist die Folge. Fazit: Eine Notkühlung kann nur erfolgreich sein, wenn der Druck im zerstörten Containment eines Reaktors wiederhergestellt werden kann, und das ist unter den Bedingungen einer Nuklear-Katastrophe so gut wie unmöglich. Dazu kommt: Steigt die Temperatur im Reaktor, sind wesentlich höhere Drücke nötig. Bei 263ºC sind es 50 bar, bei 311ºC 100 bar, bei 342ºC 150 undsoweiter. Unkontrollierbar!

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Auch der Fukushima-Effekt ist für die Politik noch unkontrollierbar. Bis sie eine neue Strategie ausgeheckt hat, hält sich die Atomlobby in der Defensive und an bewährte Begriffe wie «Stromlücke» und «Kernkraft», während der Volksmund «Atomenergie» sagt. Wer von «Kern» spricht, gibt sich zuverlässig als Lobbyist zu erkennen, so auch unsere Umwelt- und Energieministerin. In einem Interview mit dem TagesAnzeiger vom 26. März 2011 brauchte Doris Leuthard dreizehn mal das Wort «Kernenergie» oder «Kernkraft» und nur ein einziges Mal das Wort «Atom», und zwar um zu sagen, es sei «Unsinn», sie als «Atomlobbyistin» zu bezeichnen. Unglücklicher kann ein Dementi fast nicht ausfallen.


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