Zen road mag syn 01 deutsch

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Nr. 1 • 2014 • deutschsprachige Ausgabe • 8,00 € / 10 CHF

zen road magazin

Beiträge und Interviews zum Zen unserer Zeit:

mit Kodo Sawaki, Philippe Coupey, Guido Keller, François Loiseau und Lee Lozowick.


Zen Road Magazin

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Zen Road Magazin - Nr.1 - M채rz 2014


Editorial

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eil es zum Ausdruck drängt“, dies sagte mir ein befreundeter Mönch auf „ meine Frage, warum im Zen so viele Bücher veröffentlicht werden. Warum nun auch noch ein Magazin? Um unseren Gedanken über Zen Raum zu geben und sie in leichter Form lesbar zu machen – im Gegensatz zu klassischer Unterweisung, die sich oft sehr langsam liest und durch ihre Tiefe und Schönheit einen Eindruck hinterlassen kann.

Titelbild: Fotografie von Juliette Heymann- Alle rechte vorbehalten

Diesen Eindruck haben wir versucht in einen zeitgenössischen Kontext einzubetten. Sie finden ihn in verschiedenen Themen, die uns interessieren da sie die Entwicklung des Zen in unseren Landen betreffen. Übrigens sehen wir besagte Entwicklung nicht als abgeschlossen oder feststehend an, vielmehr als einen schmalen Grat, auf dem wir gehen um Authentizität und Anwendbarkeit im Alltag zu ermöglichen. Ich wünsche Ihnen viel Freude, beim Lesen der Interviews, Texte und Geschichten. Jonas Endres, Paris, März 2014

Zen Road Magazin • Nr. 1 • März 2014 • jährliche Erscheinungsweise Das Zen Road Magazin ist ein Projekt der Sangha Ohne Bleibe, Schüler und Freunde des Zenmönchs Philippe Rei Ryu Coupey, der nach der Unterweisung Taisen Deshimarus Zen lehrt. Mit diesem Magazin möchten wir erweitern, was wir bereits mit unserer Webseite zen-road.org begonnen haben: Unserer Vision des Zen zu kommunizieren sowie Menschen, die nicht zu unserer Sangha gehören den Raum zu Austausch und Meinung zu geben. Wir hoffen dies zukünftig noch weiter ausgestalten zu können. Zögern Sie also nicht, mit uns in Kontakt zu treten, wir sind interessiert. Zen Road / J. Endres • Dojo Zen de Paris • 175 rue de Tolbiac • F-75013 Paris • jonas.endres @ yahoo.fr 3


Inhalts v e r z e i c h n i s s

S. 6 - 13

Gedichte und Gedanken Drei Gedichte und ein Gedanke. Aus dem mittelalterlichen Japan zum modernen Westen.

S.14 - 29

Das Satori einer Nacht Ursprünglich veröffentlicht in den 1940er Jahren. Dieses schöne Beispiel kompromissloser Unterweisung von Zen-Meister Kodo Sawaki wurde in den 70ern von Jeffery Broadbent erstmals ins Englische übersetzt. Seither war es verschwunden und wir hoffen, es auf die eine oder andere Art wieder veröffentlichen zu können. Hier vorab einige Auszüge …

S.30 - 37

Sexualität im Buddhismus Zwei Texte von Zen-Mönch Philippe Rei Ryu Coupey über unangemessenes Sexualverhalten im Sinne der Kai, den Geboten, betreffend Homosexualität und den Missverständnissen zwischen Buddhisten und Schwulen und Lesben.

S. 38-49

Der Zen-Rüpel Interview mit Guido Keller, Verleger und Blogger. Mit einem Sinn für Konfrontation und Humor wirft der selbst ernannte „Zen-Rüpel“ verschiedene Fragestellungen des Buddhismus auf: Vegetarismus, fragwürdige Zen-Meister und Literatur...

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S. 50-63

Trouble in Paradise Von den Schwierigkeiten, ein Dojo in einer Region zu leiten, in der Materialismus sich zu einer Kunstform entwickelt hat und dies auch noch in einer Zeit, in der Zen ein Synonym für Wellness und Entspannung geworden ist: Ein Interview mit François Loiseau, Dojo-Leiter an der Côte d’Azur, Südfrankreich.

S. 64-77

Eine Frage des Geists Interview mit dem Zen-Mönch Philippe Rei Ryu Coupey über Zen und die Richtung, in die es sich heutzutage entwickelt.

S. 78-83

Zen trash

Zen trash Zen trash

Vier Kurzgeschichten von Lee Lozowick, Bâul-Meister aus einer Sammlung gleichen Namens: Zen Trash („Zen-Abfall“). Knallbunt, sehr komisch, voller nebensächlicher Ab- und Ausschweifungen. Ihre Lebendigkeit überrascht ebenso wie der Geist ihres Autors, der mit diesen kurzen Geschichten die große Tradition der Geschichten und Fabeln aufgreift.

p. 84

Impressum und Kontakt

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Die Wellen sterben an der Küste Der leichte Wind hält den Atem an, Sachte gleitet das verlassene Boot in der Stille der Nacht Der Mond in den Tiefen des Firmaments scheint sein friedliches Licht. Meister Dôgen (1200 - 1253) , Gedicht des San Sho doei

Photo von Juliette Heymann: Saint-Malo

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Natürlich braucht unsere Zivilisation große Werke. Aber was ist wichtiger – große Werke oder große Menschen? Wir könnten sagen, die Welt braucht große Männer und große Frauen ohne große Werke.

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Photo von Agnès Villette

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Kodo Sawaki (1880 - 1965)

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Kodo Sawaki Das Satori einer Nacht Siehst Du nicht? Te x t e z u m „ S h o d o k a “ u n d s e i n e m Author Yôka Daishi

Als Grundlage dieser Texte dienen Vorträge, die von Kodo Sawaki in den 1940er Jahren gehalten wurden, Jeffrey Broadbent, der in den 60er Jahren mit Sawaki Zen übte, übersetzte die Aufzeichnungen dieser Vorträge 1974 erstmals ins Englische. Sie blieben seither unveröffentlicht.

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Teil 1

Das Satori einer Nacht Eine kurze Biografie von Yôka Daishi

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ÔKA DAISHI war ein bedeutender Mann der Tendai Sekte, bevor er Schüler des sechsten Patriarchen1 wurde. Neben dem Shodoka verfasste er noch einen Text namens Yôkashu2. Shodoka bedeutet „Lied von Shodo“, also „Lied des Erwachens über den Weg“. Wenn andere Sachen einen nicht erwachen lassen, ist es in Ordnung. Was hingegen „der Weg“ genannt wird, sind die „Fußspuren der alten Weisen“, also die Spuren, die die Weisen beim Gehen hinterlassen haben. Diesen Weg anzunehmen und zu verinnerlichen, zu seinem Lebensweg zu machen, heißt seine eigene wahre Richtung zu erkennen. Sogar beim Schminken ist es nutzlos, andere zu nachzuahmen. Jeder hat seine eigene Art, Make-up aufzulegen. Wer eine niedrige Nase hat, wird an den Rändern helles Puder hinstäuben, um die Nasenwurzel zu betonen. Jemand mit hoher Stirn wird eine Tolle darüber kämmen und einen kleinen Bonsai-Baum daraus machen. Diejenigen mit einem langen Kinn lassen sich einen Bart wachsen, um ihre Mitmenschen zu täuschen. Wer oben eine Platte hat, wird sich Seitenhaare ausborgen und sie Strähne für Strähne oben auf dem Kopf arrangieren. Jemand ganz ohne Haare – so wie ich – kann das nicht tun. Das, was wir selbst tun, können wir bei jedem anderen wiedererkennen. Oder bezogen auf die Zeit: das ewige „gerade jetzt“, das „ausgerechnet gerade hier“ von allen Welten in den zehn Richtungen: das ist der Weg. Ich sehe diesen Weg genau wie ein Steuerrad. Ein Freund von uns handhabt dieses Steuer auf seine Art, dennoch müssen wir unsere eigene Art finden, die Dinge zu tun. Wir bewegen uns nicht auf äußerlich festgelegten Schienen. Jeder von uns muss in jedem Augenblick das Steuer in die Hand nehmen und voranschreiten. So wie wir steuern, so nähern wir uns dem Ziel.

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ENO (638 – 713) Berühmter Zen-Mönch aus der Zeit der T‘ang-Dynastie.

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„Collected works of Yōka“ (TaiSho 48, Seite 387): Zehn Kapitel über die Essenz der Zen Praxis.

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Anders ausgedrückt, müssen wir uns in jeder Situation leer machen. Also ist die Art und Weise, wie unser Geist Ideen verdaut und wie wir damit hier und jetzt voran schreiten, der Weg. Oder noch anders: Ihr selbst seid der Weg. Dies ist das Selbst, dessen wir uns vergewissern müssen. Es ist nicht das von jemand anderem. Jemand anderen nachzuahmen ist nicht zweckmäßig für dich.

S

o ist also das Shodoka ein Gesang des Herzens. Es ist ein Lied, das den eigenen Weg offenbart durch wohltönenden Gesang und nachhallende Poesie. Dieses Shodoka ist weniger als 2000 Schriftzeichen lang, knapp 300 Zeilen, also ist es ein kurzer Text, der einfach erinnert werden kann. Ich trage es immer mit mir herum, und wenn ich ein wenig Zeit habe, singe ich es leise vor mich hin. Es ist ein Text von wahrhaft erlesener Schönheit. Hier werde ich nur eine kurze Biographie des Autors YÔKA DAISHI vorstellen. Nähere Details findet ihr im Dentôroku3 im Plattform-Sutra4. Im Dentôroku heisst es: Zen Meister Yôka Genkaku war gebürtig in Yôka in der Provinz Unshu5. Sein ursprünglicher Familienname war Tai. Wenn man in die Koshu-Region6 reist, kann man zahlreiche Grabsteine mit diesem Namen finden. Als er noch jung war, verließ er sein Zuhause, um buddhistischer Mönch zu werden. „Jung“ bedeutet hier fünf oder sechs Jahre alt. Er studierte die gesamte Tripitika... (das bedeutet die Sutras, Vinayas und Sastras) ... und war besonders bewandert in der tiefen und scharfsinnigen

3 Ein chinesischer Text, der um das Jahr 1000 geschrieben wurde. Nicht zu verwechseln mit dem Denkoroku von Meister Keizan, das vielfach übersetzt wurde und sich auf diesen chinesischen Text bezieht. 4 Ein Sutra das Meister Eno (Hui-Neng) zugesprochen wird, in Wirklichkeit aber im Jahr 780, ca. 50 Jahre nach dessen Tod, geschrieben wurde. Es wurde oft benutzt um eine Trennung zwischen der sog. Schule des Nordens und der sog. Schule des Südens herbeizuführen.

5 Onshu (chin.: Wen-Chou) liegt in der Chekiang-Provinz, die südlich des Yangtse Flusses an das Ufer der Ostchinesischen See angrenzt. 6

Koshu (chin.: Chiang-Chou) 17


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uddhas eigenes Satori ist ein Ding des vollständigen Kosmos. Wenn deshalb jemand als Antwort auf die Frage „Siehst du nicht das Prinzip“ zurückfragt: „Welches Prinzip?“, sagen wir: „Der den Weg beschreitet, über das Lernen hinausgegangen ist und ohne Anstrengung lebt“. Was wir diesen Wegbeschreitenden nennen ist eine Person, die nicht einmal von sich selbst weiss, dass sie verblendet ist. Von sich selbst zu wissen, dass man verblendet ist, ist wie der Mann, der wusste, dass er arm ist. Aber das ist etwas, das normalerweise geschieht, nachdem uns unser Zustand bewusst geworden ist. Ein Baby weiß nicht, dass es arm ist. Ein Typ, der weiß, dass er reich ist, ist ein widerlicher Gauner. Aber während der Kindheit wissen wir nichts von Wohlstand.

„I

ch bin erleuchtet!“ - das sind die Worte eines wirklich unerträglichen Tölpels. Wir wissen nichts davon, dass wir erleuchtet sind. Selbstverständlich gibt es auch kein Bewusstsein der Verblendung. Es gibt kein Bewusstsein von Illusion und keines von Erkenntnis. Dies ist die einzig mögliche Richtung, in der wir gehen können. Deshalb ist es weder nötig, erleuchtet zu werden, noch verblendet zu sein. Weder waren wir in der Vergangenheit verblendet, noch sind wir jetzt erwacht. Dieser Zustand ist „das Undenkbare.“9 Aber obwohl wir sagen, „ohne Gedanke, ohne Konzept“10, ist es keineswegs so, dass unserer Seele an Bord eines Ballons geht und im Nebel davon schwebt. •

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Hishiryo: „Nicht-Gedanke“ Ein Schlüsselbegriff von DOGEN ZENJI, findet sich unter anderem im Fukan Zazengi: „Zazen ist Denken aus dem Nicht-Denken. Was für ein Gedanke ist Nicht-Denken? Nicht-Gedanke. Das ist die Essenz der Kunst von Zazen.“

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Munenmuso: Munen bedeutet „keine Ablenkung der Gedanken“, muso hat eine ähnliche Bedeutung. Beide weisen auf Freiheit von mentalen Aktivitäten hin.

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„Hier sein“ - Gemälde von Guy Seika

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Sexualität im Buddhismus Zwei Texte des Zen Mönchs Philippe Rei Ryu Coupey Im Rahmen seiner Kommentare zu den Kai – „Gebote“ die man zur Bodhisattva- oder Mönchsordination erhält – sprach Coupey über Sexualität und ihren Einfluss auf die Gesellschaft, sowie über Homosexualität und Liebe im Buddhismus. In diesen Texten wiedersetzt er sich einem Sex-Konsum, das Glück durch häufige Partnerwechsel suchen, spricht über falsche Erwartungen der Schwul-lesbischenSzene bzgl. des Buddhismus und kritisiert gleichzeitig die offizielle, buddhistische Einstellung zur Homosexualität.

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Photo von Christophe Chat-Verre: Holzfisch im Zen-Tempel La Gendronnière (Loire-Tal, Frankreich)


Schlechter Sex in guter Gesellschaft von Philippe Coupey, Zen Mönch

Hierzu steht in einem Sutra geschrieben :

„Wenn der Weg der Geschlechter zwischen Männern und Frauen recht ist, dann ist das Klima und Wetter recht; ist die Praxis dieses Weges chaotisch, werden Klima, Wetter, die kosmische Ordnung angegriffen und gestört. Und dies bringt Dekadenz und den Niedergang der Zivilisation mit sich.“

Kai. Jap .« Gebote. » Die zehn Gebote die die Person erhält, die sich zum Bodhisattva oder zur Nonne bzw. Mönch ordinieren lässt : nicht töten, nicht stehlen, nicht lügen, keine Sexualität haben, die Leiden verursacht, weder Drogen geben noch nehmen, nicht von den Fehlern der anderen sprechen, nicht mit den Gütern des Dharmas geizen, wütend werden, nicht über die drei Schätzen (Buddha, Dharma, Sangha) lästern.

Kommentar:

Was die ersten drei kai (Gebote) betrifft, ist interessant festzustellen, wie sehr die Sutras das Interesse an dem Wohlergehen der Gesellschaft und des Landes betonen wenn Sie Töten, Stehlen oder Sex erwähnen. Letztlich handelt es sich immer um das Denken an die Anderen – selbstverständlich beeinflusst eine schlechte Sexualität die Menschen um eine Person herum, die Kinder, die Eltern, aber auch das Land. Es ist notwendig, stets aus sich heraus zu gehen, aus seinen persönlichen Beschäftigungen. An die andere Person zu denken ist die beste Art und Weise sich von allem geistigen Ungleichgewicht zu heilen. Wir können eine Parallele zwischen einem schlechten sexuellen Leben und einem kostspieligen Staat ziehen. Viele Diebe in einem Land und dieses Land verkümmert; es erfährt ökonomische und finanzielle Schwierigkeiten, etc. Das gleiche, wenn alle anfangen zu lügen – das ist das dritte Kai. Ich habe gerade ein Buch von Michel Houellebecq gelesen: „Plattform“. Der Erzähler ist in Kuba. In einem Abschnitt erzählt ein Kubaner, dass das Land krank wird, wenn alle mit dem Stehlen anfangen, wie es der Fall ist. Dieser Arbeiter, der sein ganzes Leben der kubanischen Revolution gewidmet hat, sagt, dass « die Revolution versagt hätte den „neuen Menschen“ zu erschaffen… Also, so sagt er uns, „die Gesellschaft war letztlich nichts weiter als ein mühsames Mittel eines ausgearbeiteten Schwindels, mit dem Ziel es gewissen Personen zu erlauben, langweiligen und schwierigen Arbeiten zu entfliehen…“ Dieser Arbeiter hätte sich geschlagen, er hätte sein ganzes Leben gearbeitet, unerbittlich vergeblich… Kuba war am Ende. Die Arbeiter um ihn herum und in den Fabriken des ganzen Landes, „taten nichts als stehlen, sie arbeiteten schlecht, sie waren faul, immer krank, immer fehlten sie auf der Arbeit“. So „war diese kubanische Gesellschaft unfähig geworden das Überleben ihrer Mitglieder zu gewährleisten“.

Um auf die Frage des Sex zurück zu kommen, viele traditionelle Religionen verbieten die sexuelle Praktik. Dies ist jedoch ein Fehler, denn die

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Liebe ist wesentlich – jedenfalls für die menschlichen Wesen. Aber es gibt zahlreiche Missverständnisse bezüglicher dieser Frage, sogar unter gewissen buddhistischen Gläubigen. Falls eine Person häufig ihren Partner wechselt... In den buddhistischen Texten wird gesagt, dass, falls eine Person häufig ihre Partnerin oder ihren Partner wechselt, wird zuerst ihre Physiologie angegriffen und dann ihre Psyche. Das Karma verkompliziert sich und beeinflusst die Personen drum herum, als erstes die Kinder, dann die Familie, die Sangha. Das Fundament der Moral ist gesunken und das hat schwere Folgen… Durch die Praxis des Zazen ist man für diese Frage nach Gründen und Folgen sensibler. Und je mehr man praktiziert, desto mehr bemerkt man die Folgen seiner Handlungen, anderen gegenüber und sich selbst gegenüber…Doch bezüglich des Sex sind heute viel von allen guten Geistern verlassen. Erweiterung der Sexzone Michel Houellebecq zum Beispiel, schlägt uns in erwähntem Buch „Plattform“, auf eine ironische Art und Weise Clubs für Touristen vor, „wo die Leute essen können, trinken und vögeln“. Und, sagt Houellebecq, „dieses Rezept ist besonders nett“ – für diejenigen, die nach Kuba gehen. Und es wird im Einzelnen erklärt, dass „falls man in Paris bleibt, es Swingerclubs dort gibt.“ Und er gibt uns Adressen im vornehmen achten und sechzehnten Bezirk. Er nennt uns auch die Adresse eines Sadomasoclubs, den er persönlich kennt. Er hat die Clubs der Nekrophilen und Pädophilen noch nicht ausprobiert, präzisiert er, das kommt aber noch… Das ist sicherlich weit weg von unseren Erfahrungen und persönlichen Problemen. Abgesehen davon ist es aber nicht sehr viel besser, hinter verheirateten Menschen mit Kindern herzulaufen, mit ihnen zu flirten und versuchen sie zu verführen, vor allem wenn es sich um Mönche und Nonnen in der Sangha handelt. Alle sind durch solch ein Verhalten betroffen. Denn im Übrigen, wie ich bereits sagte: falls die Liebe und der Sex schlecht sind (und wir wissen nun was „schlecht“ bedeutet), leidet die gesamte Gesellschaft. Man hat die Neigung zu denken, dass nur wir es sind, die leiden. Das ist noch die Sicht des kleinen Egos, ich, ich… Das erzeugt Leiden, wie ich es gesagt habe, für die Sangha und die Welt… Falls diejenigen, die uns regieren, Fehler machen in Bezug auf die Kai – und man könnte manche Beispiele nennen (unsere Präsidenten, unser Staatschefs, unsere Geistlichen) – hat dies Folgen für die Bevölkerungen und für uns alle. Das ist ein Grund, warum unsere Praxis des Zazen unerlässlich ist, weniger für uns, aber vielmehr für die Welt, für alle Dinge. Wenn zum Beispiel unsere Politiker lügen (sie lügen übrigens immer, man muss nur Radio hören: sie erzählen reine Lügen), bringt dies irregeleitete Sitten mit sich, die der kosmischen Ordnung wiedersprechen. Was passiert? Es ist diese Ordnung, die ihre Wut ausdrückt und ausdrücken wird. •

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Dieser Hund ist ein Freund Guido Kellers, im Interview werden wir seine Bekanntschaft machen.

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Ein Interview mit Guido Keller, Verleger mit einer kleinen Schwäche für die Kodo-Sawaki-Linie und buddhistische Sutras, von denen er einige in seinem „Angkor-Verlag“ veröffentlicht hat. Auf seinem Blog hingegen widmet er sich recht kompromisslos dem derzeitigen Stand der Dinge. Dementsprechend untertitelt ist der übrigens mit den Worten „Kommentare eines Zen-Rüpels zum Buddhismus und Leben in der Welt“.

Manche mögen seinen Stil für anmaβend halten, da er nicht einmal Zen- praktiziert und die kritisiert, die es tun, andererseits scheint er jederzeit in der Lage zu sein, den Überblick zu wahren. Aber wer ist er eigentlich? Weder Intellektueller noch Geisteswissenschaftler, kennt er trotzdem Zen und Buddhismus sehr gut. Er hat sich nie einer Organisation angeschlossen, bleibt unabhängig. Er sucht auch nicht nach Verbündeten, sondern bleibt alleine. Vielleicht ist er einer der zukünftigen Wortführer und Ideengeber des Buddhismus? angkor-verlag.blogspot.com • der-asso-blog.blogspot.com 39


90 tägigem „Ango“ in einem Tempel teilnimmt und dort die Ausführung verschiedener Zeremonien lernt. Wie also definiert man den Mangel an Autorisation? Besitztum ist ein weiteres Kriterium, welches Du anzeigst, zusammen mit Verhalten und der Abhängigkeit von Macht – Ich vermute, Du konzentrierst Dich da eher auf Exzesse, wie das Sammeln von Sportwagen. Aber diese 3 erwähnten Kriterien sind Merkmale jeder „guten“ Religion, welche Tempel, d.h. eine klerikale Struktur etc. hat. Du wirfst den Meistern Verwässerung vor, die sich in gesellschaftliche Angelegenheiten einmischen. Was ist Deine Kritik an solchem engagierten Buddhismus von Leuten wie Glassmann oder Thich Nhat Than? Und warum erscheint nicht Genpo Merzel auf der „Verwässerungs-Liste“? Er verspricht mit seinem “Big Mind®” Verfahren, seinen Kunden nach wenigen Stunden ein buddhistisches Erleuchtungserlebnis zu verschaffen. Mönche, die einen „Fehler“ begehen – das ist etwas, dass durch das Vinaya beurteilt werden muss, falls der Mönch in einer entsprechenden Tradition ordiniert worden ist. Dies gilt zum Beispiel für Thich Nhat Hanh. Doch niemand versucht 20 ältere Mönche für eine „Vinaya Kamma“ zusammen zu bekommen – wie es im Pali-Kanon verlangt wird – um ihm seine Miteigentümerschaft an seinem Institut in Waldbroel vorzuwerfen, da dies eine Verletzung der monastischen Regel ist. Ich stelle dies nur klar, da jene Mönche wie Thich Nhat Hanh, auf die buddhistischen Regeln bestehen, die vor tausenden von Jahren im Pali-Kanon formuliert und lediglich vorsichtig erneuert wurden (aber noch immer rigoros sind). Diese Mönche werden hier durch ihre eigenen Waffen geschlagen, genauso, als ob sie sich auf gefälschte Legitimationen berufen. Ich glaube nicht, das diese Legitimationen besonders wichtig sind. Aber jene glauben dies im gleichen Maße wie viele ihrer Anhänger. Hier handelt es sich um lächerliche Fallen, in denen sich jene Lehrer verfangen.

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Als „Scharlatane“ kritisiere ich hauptsächlich die, die eine Show veranstalten (z.B. Zazen in Konzentrationslager) und die, die Besitz (Geld, Häuser, Autos, Frauen etc.) nicht los lassen können. Natürlich kann man Typen wie Genpo Merzel unter der „Verwässerung“-Kategorie einordnen. Dies sind nur Worte, damit jemand, der eine buddhistische Tradition sucht, um dort zu meditieren, und seinen Geist zu formen, genau hinschaut. Jemand, der googelt, um Orientierung zu bekommen und meine Blog findet, sollte umsonst eine Warnung bekommen.

„Ein Mangel an Autorität“ ist auch der Mangel, ein Autor zu sein. Es wurde einst gesagt, dass der Schüler seinen Meister übertreffen sollte, um sein Anhänger zu werden. Die Frage ist, was man „übertreffen“ nennt. Der erste Meister – egal, ob er nur als Metapher und nie als historische Figur existiert hat – ist Buddha. Er steht in der Zen Tradition für einen erleuchteten Geist, der in der Lage ist, alles los zu lassen. Die Scharlatane lassen nicht los, sie akkumulieren, horten und dehnen sich aus. Sie folgen hauptsächlich den Gesetzen der Marketingleute, Managern und Unternehmern. Dies ist grundsätzlich nicht falsch. Aber wenn man sie auf die Probe stellt und nachprüft, ob sie gleichzeitig alles loslassen können, was wird man feststellen? Natürlich können in dieser Beziehung auch viele der alten Meister auch Scharlatane gewesen sein. Wir wissen einfach nicht so viel über sie. Aber wenn Du das Beste von Glassman oder Thich in hundert Jahren heraus filterst, würdest Du immer noch nicht so Wertvolles wie die Einsichten von Takuan oder Ikkyu bekommen. Das Zen der Lehrer, die ich angreife, ist durch ihre Gier verwässert. In manchen Fällen ist es nur die Gier nach Schülern und Verehrung. Im Falle von TNH wird sein Größenwahn offensichtlich, wenn er versucht, dem US-Präsidenten Ratschläge durch naive Briefe zu erteilen.

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Trouble in Paradise

François Loiseau

Ein Interview mit François Loiseau, Zen-Mönch und Verantwortlicher des Dojos in Frejus an der Côte d’Azur.

Im Herzen einer Region, die von Individualismus und Materialismus beherrscht wird, zeichnet François Loiseau ein klares Bild seiner Zeit, indem er die Schwierigkeiten beschreibt, denen er Tag für Tag im Dojo an der Côte d‘Azur begegnet.

Das Interview ist mit Fotos des Künstlers Christoph Martin Schmid illustriert. Die Fotographien sind im Verlag Seltman+Söhne unter dem Titel „Trouble in Paradise“ erschienen. Siehe auch: www.christoph-martin-schmid.com. 52

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Was verleiht dir einen legitimen Anspruch darauf, Leiter eines Zen-Dojos zu sein? Erstens meine Ordination als Mönch. Ich habe schon ein Dokument bereitgelegt (er zeigt ein offizielles Dokument mit einem Stempel vor) … das ist meine Registrierung in der Sotoshu Shumucho1! Einige Mönche und Nonnen sind dort von Meister Deshimaru registriert worden. Das ist schon etwas, dass ich ein Mönch der Sotoshu bin. Das zweite ist, dass ich die Bestätigung eines Godos2 habe, der zur AZI und zur Sotoshu gehört: Roland Rech. Das ist meine Legitimation, von offizieller Seite. Legitimation ist aber vor allem an die Tatsache geknüpft, Sesshins3 zu besuchen, sich regelmäßig mit der Sangha zu treffen und nicht bloß in unserem kleinen Dojo für uns allein bleiben, so dass aus mir ein kleiner Provinz-Guru würde. Unsere Praxis wird durch einen oder mehrere Godos und auch durch die Sangha betreut, die der Spiegel unserer Praxis ist. Das ist es, was ich unter Legitimation verstehe. Kostet es dich viel Zeit, das Dojo zu betreuen? Es bedeutet eine Menge Arbeit, denn man muss Räumlichkeiten finden, und in der Region, in der ich wohne, sind Wohnungen sehr teuer. Es ist sehr schwierig, etwas zu finden. Dann muss man eine Organisation aufbauen, eine Gruppe zusammenstellen, die Praxis organisieren und etwas Werbung machen, um zu zeigen, dass es einen gibt. Man muss Vorträge planen und sicher stellen, dass es regelmäßige Zazen gibt. Zu seinen Spitzenzeiten hatte das Dojo in Frejus wöchentlich 4 Zazen. Man muss ein Team zusammenstellen, um die Arbeit aufzuteilen, damit die Leute, die zum Dojo kommen, auf offene Türen treffen. Man muss den Dharma studieren. Die derzeitigen Godos haben ziemlich viel studiert. Und vor allen Dingen muss es viele Sesshins geben. Verdienst du Geld mit dem Dojo? Tatsächlich verliere ich eine Menge Geld! Das Dojo kostet mich viel. Ich verdiene damit nichts. Ich habe seit Jahren nichts damit verdient. Ich zahle sogar das Benzin für das Auto. Die Sesshins werden auch von mir finanziert. Als das Dojo finanziell auf etwas festeren Füßen stand, habe ich monatlich 15 € entnommen; aber seitdem die Praxis nun nachgelassen hat und weniger Leute kommen, entnehme ich nur 5 € – damit kann man nicht einmal ein Päckchen Zigaretten kaufen. Ich kann mir das leisten, weil ich mein ganzes Leben lang gearbeitet habe; ich bin pensioniert und brauche nicht viel Geld. Ich habe aber auch

1 Sotoshu Shumucho. Das Verwaltungsbüro des Soto-Zen in Japan und anderswo, dessen Regeln viele Sanghas folgen, wenn auch nicht alle! 2 Godo: Unter den Schülern Deshimarus wird dieser Begriff verwendet, um einen Lehrer des Zazen zu bezeichnen. 3

Sesshin: wörtl. „den Geist berühren“. Eine Reihe von Tagen intensiver Zazen-Praxis.

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Eine Frage des Geistes Ein Interview mit dem Zen Mönch Philippe Coupey

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Photo: Zazen geleitet von Philippe Coupey (im Vordergrund rechts), während eines Sesshin in der Sarthe, Frankreich, 2008. Die Meditation findet in einem Landwirtschafts-Internat statt, dass während der Schulferien angemietet wurde.

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ährend einer Meditationswoche, dem Sesshin Ohne Bleibe in Gorenzen/Harz , hat Philippe Rei Ryu Coupey die Fragen dreier seiner Schüler zum Zen beantwortet: Gernot Knödler, Redakteur für Stadtentwicklung und Umwelt bei der Tageszeitung (taz) in Hamburg; Ulrich Schnabel, Redakteur der Wochenzeitung Die Zeit. Schnabel kümmert sich vor allem um Themen aus den Bereichen Physik, Gehirnforschung und Wissenschaftsphilosophie. Während des Sesshin war er Tenzo (Koch). Schließlich Betrand Schütz, der als Übersetzer, interkultureller Trainer sowie als Lehrer für Sprachen und Literatur arbeitet. 65


Mönch in Zazen, im Hintergrund das Fehlen jeglicher Ästhetik (Sesshin Ohne Bleibe, Le Mans, 02/2008) 66

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Worum geht es im Zen? Bertrand Schütz: Es geistern viele Bilder vom Zen durch die Öffentlichkeit. Zen ist nichts Unbekanntes mehr. Es wird mit Ästhetik verbunden. Kürzlich ist ein Parfüm unter dem Namen „Zen“ auf den Markt gekommen. Das Wort wird sogar für Wellness-Produkte in Anspruch genommen, für die mit kahlrasierten Mönchen im Rakusu geworben wird1 . Worum geht es denn beim Zen? Philippe Coupey: Nicht darum. Zen ist eine Praxis. Praxis ist absolut wesentlich für jedermann in der Welt. Es geht dabei nicht nur um uns, sondern um alle. Wenn wir praktizieren, ist alles, was wir tun, Zen. Aber wir müssen mit einem Geist jenseits unseres eigenen kleinen Selbsts üben und dabei unsere egozentrischen Einstellungen loswerden. Das ist universell. Das ist Zen. B.S.: Universell für wen? Für jedermann oder nur für religiöse Leute? Ph.C.: Jedermann! „Religiös“ bedeutet gar nichts. Es ist für jedermann. Jedermann ist religiös. Alle haben einen spirituellen Geist. Gernot Knödler: Aber nicht jeder glaubt an Gott. B.S.: Glauben Buddhisten an Gott? Ph.C.: Gott hat nichts damit zu tun. Gott ist weder hier noch dort. Gott, der Teufel ... Das sind nur menschliche Konstrukte. Wir konstruieren nicht. Gott dagegen ist konstruiert. In dieser Praxis machen wir nichts und konstruieren wir nichts. Gott sind wir. G.K.: Was unterscheidet dann Religion von allem

1 Auch werden inzwischen viele Bergiffe aus der Zen-Unterweisung von Psychologen, Philosophen und sogar Politikern benutzt und leider oft verformt und sinnentleert : Beispielsweise durch FDP-Vorstand Christian Lindner bei seiner Antrittsrede im Dezember 2013 „Fragt man einen Liberalen, um was es ihm geht, so wird seine Antwort sein: um Dich. Um Dein Recht im Hier und Jetzt glücklich zu sein.“

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Lee Lozowick

Zen ttr Zen vonr Lee Lozowick

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Lee Lozowick, der 2010 gestorben ist, war 35 Jahre lang Leiter des Hohm Sahaj Mandir (Hohm-Gemeinschaft). Diese Gemeinschaft von Schülern lebt sowohl innerhalb wie auch außerhalb der drei Ashrams, die er in den Vereinigten Staaten, Indien und Frankreich aufgebaut hat, sowie in anderen aktiven Gruppen in Europa, Mexiko und Kanada. Lee Lozowicks Unterweisung ist kein unabhängiges Gebilde, sondern vielmehr Teil einer Tradition und einer Linie. Sie steht in der alten Tradition der Bâul aus Bengal in Indien, die verschiedene Aspekte des Sufismus, des Hinduismus und des Buddhismus in sich vereinigt.

Lee umgab sich immer mit vielen Musikern, schrieb eigene Texte und sang in verschiedenen Blues- und Rockbands, mit denen er zahlreiche Konzerte in Europa, den Vereinigten Staaten und Kanada gab. Er nannte seine Musik authentische westliche Bâul-Musik, genauso wie er seine Lehren als die des westlichen Bâul-Weges bezeichnete.

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Wie in anderen Zen-Geschichten liegt die eigentliche Absicht nicht in der Dokumentation von Begebenheiten aus der Vergangenheit, sondern in dem Effekt, den die Erzählung auf den Leser hat. Seine Storys sind voller Unordnung, er schweift ab, ändert ihren Ausgang und fügt farbenfrohe Details hinzu – nicht weil Lee es nett und lustig findet, seinen eigenen Dreh hinzuzufügen, und auch nicht weil er einfach verwirrend oder respektlos sein will. Vielmehr widersetzen sich diese Geschichten jeglichem Versuch, sie intellektuell zu verstehen und eröffnen damit völlig neue und unerwartete Sichtweisen, ganz in der Tradition der Sufi- und Zen-Meister.

Sie stammen aus seinem Buch Zen Trash. „Trash“ heißt einerseits „Abfall“, andererseits auch „dummes Geschwätz“. Jedoch, wie wir auch aus anderen Traditionen gelernt haben, verbirgt sich häufig gerade in den Äußerungen der Narren die größte Weisheit. Formal gesehen mögen diese Geschichten nichts als Müll sein, ihre Essenz ermöglicht uns einen flüchtigen Blick auf die Realität.

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Eine wirklich widerliche Prinzessin Einst ritt ein Prinz durch den Dschungel, als er an einer Holzfällerhütte Rast machte und ein entzückendes Mädchen erblickte. Die Tochter des Holzfällers war die schönste Frau, die er jemals gesehen hatte. Und wie es das Schicksal nun mal will, war er ein freundlicher und gütiger Prinz – obwohl mir das nicht gerade realistisch erscheint. Die meisten Prinzen hätten die Frau einfach vergewaltigt, den Vater ermordet, alle Vorräte an sich genommen und wären weitergezogen. Dieser Prinz aber hielt um die Hand der Tochter an. Wie gesagt, er war sehr höflich. Der Vater des Mädchens – und das ist auch nicht gerade realistisch, fragte also seine Tochter, ob sie einwillige, den Prinz zu heiraten. Er dachte sich überraschenderweise nicht: „Ein Prinz? Für meine Tochter? Auf jeden Fall! Das wär‘s! Ich müsste nie wieder in Armut leben!“ Der Vater tritt nun an seine Tochter heran: „Der Prinz will Dich zu seiner Frau, zu seiner Prinzessin, machen. Bitte, bitte, sag ja.“ Aber die Tochter sprach: „Sag ihm, dass er in drei Tagen zurückkommen soll. Erst dann will ich ihm Antwort geben.“ Daraufhin ging der Prinz seines Weges und dachte: „Gut. So komme ich in drei Tagen wieder.“ Das Mädchen machte sich nun daran, die stärksten Brechmittel zu nehmen, die sie bekommen konnte. Immer und immer wieder. Und alle ihre Ausscheidungen füllte sie sorgsam in viele Lehmtöpfe. Nach drei Tagen kehrte der Prinz zurück: „Ich erwarte die Antwort deiner Tochter.“ „Sie ist nebenan.“, sprach der Vater. Der Prinz fand die Tochter in ihrem Zimmer: sie sah schrecklich aus, ihre Augen waren eingesunken, ihr Haar zerzaust, sie war ungewaschen und stank. Man kann sich das vorstellen, nach drei Tagen…Der Prinz hatte noch nie so etwas Hässliches gesehen. „Aah! Was ist mit Dir geschehen?“ fragte er. Das Mädchen zeigte auf die mit ihren Ausscheidungen gefüllten Töpfe: „Der Inhalt dieser Töpfe ist es, in den Du Dich verliebt hast.“ Der Prinz verstand in diesem Moment, dass dies keine gewöhnliche Frau war. Dies war eine Frau, die eine tiefe spirituelle Einsicht hatte, also verbeugte er sich vor ihr und bat sie, ihn als Schüler zu akzeptieren. Das ist die ganze Geschichte. Normalerweise würde ein Prinz sagen:“ Alter Schwede, bist Du total bescheuert, oder was? Was bist Du denn für eine? Ich bin ein Prinz, verdammt nochmal. Du hättest mich heiraten können… Du bist doch nicht mehr ganz dicht!“ Und dann wäre der Prinz einfach gegangen. Aber in dieser Geschichte verstand unser Prinz, dass diese Frau sehr weise war. Im Grunde genommen ist dies eine Geschichte über alle Frauen, aber die meisten Männer verstehen das eh nicht. 80

Zen Road Magazin - Nr.1 - März 2014


P e t r u s w i rd g e r u f e n Wenn wir vor einen Meister der Weitergabe treten, wenn er in uns eine Integrität sieht, den Weg zu praktizieren, macht der Meister eine Geste. Er nimmt uns als Schüler an. Er bietet uns die Möglichkeit, ihm gewissermaßen zu dienen. Kennt Ihr die Geschichte von Jesus und Petrus? Petrus war ein Fischer. Jesus ging eines Tages die Küste entlang und Petrus reparierte gerade seine Netze oder machte irgendwas, was Fischer halt so tun. Na ja, Jesus ging dort also entlang und natürlich hatte Jesus eine gewisse Ausstrahlung und Petrus hatte so etwas noch nie gesehen, obwohl zu dieser Zeit die landläufige Anschauung herrschte, dass „der Messias kommt“. Es gab zu dieser Zeit noch kein Christentum. Entweder war man Heide oder Jude, das war‘s. Also: Jesus kommt daher und steht einfach da. Petrus schaut ihn an und fragt sich: „Wow! Ob das der Messias ist?“ - Jesus nickt. „Ja, Petrus. Ich bin es.“ Und Petrus sagt: „OK, cool. Willst Du nicht mit zu mir kommen? Kann ich Dir irgendwas anbieten? Ein Glas Wasser oder so?“ Und Jesus antwortet: „Nein. Folge mir.“ Und Petrus: „Ah, okay. Ja, das würde ich gerne. Wo kann ich dich denn wiedertreffen?“ - „Nein, nein. Wir gehen jetzt sofort. Folge mir!“ Na ja, aber Jesus hatte natürlich ein weiches Herz, also sagte er Petrus, er könne sich noch von seiner Mutter verabschieden, aber dann solle er sofort mit ihm kommen. Ihr wisst ja, wie die jüdischen Mütter so sind und Petrus bekäme sicherlich eine Tracht Prügel, wenn er sich nicht richtig von seiner Mutter verabschieden würde. Petrus rannte ins Haus: „Mama!“ - Seine Mutter antwortete: „Bist Du hungrig? Du bist ja viel zu dünn. Iss, mein Schätzele, iss.“ - Petrus aber sagte:“Nein, Mama. Ich muss gehen und dem Messias folgen.“ - „Was?“, rief da seine Mutter. „Zeig mir mal diesen Clown, dem du da folgen willst!“ Also, diese ganze Geschichte steht natürlich nicht so in der Bibel, aber… na ja. Petrus ging also mit seiner Mutter zur Tür und da steht dieser Jesus und in dem Moment, als ihr Blick auf ihn fiel, sagte sie nur noch: „Okay.“ Genau das ist es. Nie und nimmer hätte Petrus Jesus folgen können, wenn Jesus ihn nicht darum gebeten hätte, indem er ihn zu sich rief. Es gab damals Leute, die haben versucht, ihm zu folgen und sie konnten es einfach nicht, bis auf ein paar Ausnahmen. Wie viele Leute folgten Jesus? Dreißig? Vierzig? Fünfzig? Einhundert? Wir denken uns natürlich: „Stell Dir vor, wie das gewesen sein muss, damals bei der Bergpredigt… wow!“ Damals waren da fünftausend Leute und den meisten war es scheißegal, was da passierte. Alles, was sie wollten, war Fisch und sie waren vollkommen glücklich. Sie sagten sich: „Was für ein tolles Seminar, diese Bergpredigt.“ Und dann gingen sie nach Hause, um sich mit ihrer Familie und den Kindern zu streiten. „Ja, und der Fisch war auch gar nicht so schlecht. Für einen Moment dachte ich, ich würde keinen bekommen, aber dann…“ Einzig der Meister entscheidet, wer ihm dient. 81


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