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Die Welt als Supermarkt

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WOCHE DER VIELFALT

WOCHE DER VIELFALT

Typ bist du?

Text: Christiane Fasching – Illustration: Monika Cichoń

Welcher

An Uschi schieden sich die Geister. Aber Uschi war auch Kult. Weil sie an der Kassa einer mittlerweile aufgelassenen „Nah und Frisch“­Filiale in Hall, an der sie ihr halbes Leben lang arbeitete, mit ihrer Kundschaft in aller Ruhe einen aufquatschte, egal wie lang die Schlange im Laden auch gewesen sein mag. Dem quengelnden Nachwuchs steckte sie ein Handl voll Fruchtgummi­Tiere zu, den betagten Einkäufer:innen räumte sie gemächlich das Sackl ein, aktuelle Aktionen posaunte sie ungefragt in die Welt hinaus, ihre Vorliebe für die „Zillertaler Schürzenjäger“ und für Wochenendtrips nach Südtirol auch. Kurz und gut: Bis zu ihrer Pensionierung war Uschi eine passionierte Plaudertasche und damit der personifizierte Gegenentwurf zur Selbstbedienungskasse, wo man ja höchstens mit sich selbst redet – oder mit sich selbst schimpft, weil der deppate Scanner die lappate Milch nicht einscannen will.

HIER ZÄHLT DER MENSCH.

Uschi wäre aber auch die Idealbesetzung für die „Kletskassa“ gewesen, die 2019 im niederländischen Dorf Vlijmen eingeführt wurde. An der „Plauderkassa“ wird der galoppierenden Einsamkeit Einhalt geboten, werden hektische Wagenrennen ausgebremst und die Kund:innen nicht nur als Ansammlung von Kaufmaschinen, sondern als Menschen gesehen. Im Klartext heißt das: Wer sich hier anstellt, bringt statt Hektik Zeit mit und kann sich sicher sein, dass er nicht nur ein geschäftiges „Bar oder mit Karte?“ hört, sondern ernst gemeinte Fragen nach seiner Befindlichkeit. Abholen will man damit in erster Linie ältere Menschen, die sich in anonymen MegaMärkten unsichtbar fühlen und sich nach der Gemächlichkeit der aussterbenden Greißler­Läden zurücksehnen. Das fast schon kitschig anmutende Pilotprojekt vom Supermarktkonzern „Jumbo“ blieb übrigens nicht nur eine dörfliche HeileWelt­Träumerei, sondern wurde und wird sukzessive auch an anderen Standorten eingeführt. Noch heuer will „Jumbo“ in den Niederlanden die Zahl der Plauderkassen auf 200 Stück erhöhen.

Indes wird hierzulande munter „Zweite Kassa“ gerufen, sobald mehr als drei Menschen ihre Beute auf das Förderband legen wollen. Und zwar meistens ohne „Bitte“. Aber in der alltäglichen Konsum­Kampfzone, der sich keiner von uns entziehen kann, gibt’s noch viele andere Einkaufstypen. Ob du willst oder nicht: Eine:r davon bist auch du.

Typ ohne Wagerl und ohne Sackerl

Eigentlich wolltest du nur schnell ein Packerl Nudeln kaufen, weil sonst hast du ja alles zu Hause. Deshalb lässt du das Wagerl stehen und nimmst ganz bewusst kein Sackerl mit. Weil, wozu? Doch vor den vollen Regalen schießt dir dann, dass dir ja auch das Olivenöl ausgegangen ist. Ach, Erdbeeren gibt’s auch schon? Die müssen mit. Oha, der Grüne Veltliner, der sonst eine Lawin’ kostet, ist heute in Aktion. Es wäre doch eine Schand’, da nicht zuzuschlagen. Blöderweise fällt dir kurz vor der Kasse auch noch ein, dass das Klopapier zur Neige geht und die Zahnpasta schon mal voller war.

Und plötzlich stapelt sich da ein schiefer Turm an Zeug auf deinen Armen, die Kassiererin wirft dir einen genervten Blick zu, weil du den Kassa-Flow störst, nicht mehr weißt, in welche Hosentasche du dein Börserl gesteckt hast, dir die paar Cent für ein Sackerl zu teuer sind und du deinen Warenstapel dann recht unelegant und leicht verschwitzt Richtung Ausgang balancierst . Dort kommst du drauf, dass du die Nudeln vergessen hast.

Typ „‚Kann ich vor? Ich hab’ eh nur …“

Deine Zeit ist wertvoll. Wertvoller als die Zeit der anderen. Findest zumindest du. Deshalb siehst du es nicht ganz ein, wieso du den Großeinkauf, den der maßlose Mensch in der Schlange vor dir tätigt, unkommentiert über das Kassaband gehen lassen solltest. Weil schließlich hast du nur ein überschaubar kleines Warensortiment angesammelt – und da wäre es doch echt nicht zu viel verlangt, vorgelassen zu werden. Aber die anderen sind ja immer so ego und kommen nicht von allein drauf, dich – wie es sich geziemen sollte – vorzulassen. Also übernimmst du das.

Dein Standardsatz in der Warteschlange lautet: „Kann ich vor? Ich hab’ eh nur …“ Dass diese – in deinen Augen – durchaus legitime Frage oftmals mit Ignoranz quittiert wird, findest du völlig daneben. Was ist nur los mit den anderen? Haben die nicht kapiert, dass du es echt eilig und deine Zeit nicht gestohlen hast??? Von der Welt enttäuscht, rufst du: „Zweite Kassa!“ Weil bevor du „Tirol heute“ schaust, musst du noch dringend … Was eigentlich?

Typ „‚Vorläufer:in“

Du stehst schon gefühlte vier Tage – könnten allerdings auch vier Minuten sein – in der elendslangen Warteschlange und verfluchst alle Menschen, die vor dir stehen. Müssen diese Nichtsnutze wirklich gerade jetzt ihre Einkäufe erledigen? Warum gehen die nicht an Randzeiten shoppen? Oder halt dann, wenn du nicht im Laden bist? Frechheit. Sauerei. Und überhaupt. „In Kürze öffnen wir Kassa drei“, tönt es da durchs Geschäft. Für dich heißt das: Schnell sein und Gas geben!

Du scherst beherzt aus der Schlange der Zeiträuber:innen aus und wetzt triumphierend an den Lahmsieder:innen vorbei zur noch menschenleeren Kassa, wo dir komischerweise keiner gratuliert, obwohl du das Wagenrennen doch in beeindruckender Bestzeit gewonnen hast. „Echt jetzt? Muss das sein?“, fragt dich jemand aus der Loser-Schlange, der eben noch vor dir war und jetzt hinter dir steht. Doch derlei Aussagen von Einkaufsamateur:innen lassen dich kalt. Neue Kassa, neues Glück. Das sind deine Shoppingregeln. Wer die nicht versteht, ist deiner nicht würdig.

Typ „‚Ausbremser:in“

Einkaufen ist für dich Entschleunigung. Einen Shopping-Spickzettel brauchst du nicht , lieber lässt du dich vom Warenangebot zu Spontan-Einkäufen inspirieren. An der Fleischtheke kommst du ins Grübeln. Soll es heute Schweinsschnitzel geben? Oder kommt ein Hühnercurry auf den Tisch? Jetzt heißt es Ruhe bewahren und die zur Hektik gemahnenden Blicke der Umgebung ausblenden. Das Räuspern der Dame hinter dir interpretierst du als aufkeimende Frühjahrsgrippe, die verdrehten Augen der Bedienung kannst du nicht einordnen.

Schweinsschnitzel oder Hühnercurry? Am Ende nimmst du zwei Paar Frankfurter. Doch bevor du weiter zur Käsetheke schlenderst, machst du noch mal abrupt Halt. „Ist der Beinschinken bio?“, willst du wissen und spürst den Wagen deines Hintermannes in den Kniekehlen. Cool down! Du navigierst im Schneckentempo zur Kassa, legst deine sieben Sachen drauf und bist gefesselt vom Last-Minute-Süßwarensortiment . Ein Duplo hattest du schon lange nicht mehr. Jetzt schön langsam alles in deinen Taschen verstauen und dann drüber nachdenken, ob du bar oder mit Karte zahlst. Lalala. Das Leben ist schön.

Typ „‚Geh ruhig vor! Ich hab’ Zeit“

Du bist zu beneiden: Weil du in allen Lebenslagen die Ruhe weghast. Auch beim Einkaufen. Obendrein bist du mit einer gehörigen Portion Empathie gesegnet. Sprich: Du schaust nicht nur in die Regale, sondern auch auf andere. Wenn du mit vollem Wagen an der Kassa stehst und checkst, dass der Jemand hinter dir mit Wurstsemmel und Cola in der Hand berechnet, wie lange die Mittagspause noch geht, dann gehst du einen Schritt zur Seite und meinst gütig: „Geh ruhig vor. Ich hab’ Zeit.“

Weil das nicht allzu oft passiert, wird dieser Akt der Güte nicht nur mit einem erstaunten Lächeln, sondern auch mit einem Schwall an Freundlichkeit quittiert. Schon klar: Von einem ehrlich gemeinten „Das ist lieb“ kann man sich natürlich nichts kaufen. Von einem „Danke“ auch nicht. Aber beides versüßt einem doch das Leben. Zeitschenker:innen wie du haben in der Regel auch ein liebes Wort für die Menschen an der Kassa übrig. Kurzum: Es sollte mehr von deiner Sorte geben!

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