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Die Entdeckung der Langsamkeit
Mit dem entspannten Schnitzen in der Gruppe entsteht ein fast meditatives Gefühl. Immer mehr junge Menschen wissen dies zu schätzen.
Hinter einer Reihe Werkbänke steht ein bärtiger Mann vor offener Kühlschranktür und kramt im Tiefkühlfach. Er dreht sich um, einen überdimensionierten Schöpflöffel in der Hand. Sonnenlicht fällt in Streifen durch die Fenster und das Holz erstrahlt in einem warmen Farbton. Als wäre es lebendig.
„Kirsche, das ist mein Lieblingsholz“, sagt der Mann im Holzfällerhemd und zeigt auf die kreisförmige Maserung im Inneren des Löffels. Wie sich herausstellt, handelt es sich um eine Saunakelle. Ihr rötliches Holz fühlt sich weich an. Dem Unikat fehlt aber noch der Feinschliff.
„Ich habe schon über zwölf Stunden daran gearbeitet“, erklärt Finn Diebold. „Damit das Grünholz zwischen den Schnitztreffen nicht austrocknet, lasse ich es im TKFach.“ Ein einfacher Trick, der gerade auch Anfänger:innen, die länger für ein Objekt brauchen, den Spaß nicht verdirbt. Schon die Kelten der Eisenzeit haben vor über 2.200 Jahren Löffel geschnitzt. Das zeigen etwa die Ausgrabungen in Glastonbury Lake Village in Großbritannien. „Heute ist diese uralte Tätigkeit unter dem Aspekt
Finn Diebold, Open Carve
‚Holz statt Plastikʻ wieder aktuell“, nickt Finn, denn viele Menschen interessieren sich aus ökologischen Gründen für Spoon Carving.
Der wohl mit Abstand bekannteste Löffelschnitzer Europas ist Barnaby Carder, der seit 2017 unter dem Namen „Barn the Spoon“ in London für eine neue Wood Culture eintritt. Auch in den USA gibt es mehrere Spooncarver, die im Netz Kurse, Geschenke und Bücher anbieten. Die urbane Spoon CarvingKultur hat aber auch Berlin und Wien erreicht.
SCHNITZEN IN GEMEINSCHAFT.
Finn schnitzt, seit er ein Junge war. Überhaupt liebt er Holz als Material, mit dem er sich schon auf vielfältige Weise auseinandergesetzt hat – nicht nur in seiner Waldorfschulzeit, sondern auch bei der Arbeit in einer Zimmerei oder im Studiengang Holzgestaltung. Der gebürtige Heidelberger lebt seit zwei Jahren in Innsbruck.
Eigentlich ist er wegen der Berge nach Innsbruck gezogen. Als er online nach geeignetem Schnitzholz sucht, findet er eine verwandte Seele. Linus. Die beiden treffen sich, um zusammen zu schnitzen. Immer mehr Leute im Dunstkreis der HunoldstraßeWG wollen das auch mal probieren, machen mit. Das gemeinsame Werken kommt an. Die Community trifft sich regelmäßig, eigentlich schnitzt immer jemand im WG Wohnzimmer.
Sonja Todd ist ebenfalls seit den Anfängen der Innsbrucker SpoonCarvingCommunity mit dabei: „Als ich mit Linus zusammengewohnt habe, hat er tagelang nichts anderes gemacht als geschnitzt. Ich wollte einfach wissen, worin er so viel Zeit investiert und wie sich das anfühlt, seinen eigenen Löffel herzustellen. Das
Schnitzen hat mich sofort begeistert. Es hat eine beruhigende Wirkung auf mich, fast wie Meditation. Sich immer neue Formen auszudenken macht Spaß, und nichts ist schöner als am Ende den fertigen Löffel in den Händen zu halten.“
Jetzt wird das Haus gerade abgerissen –ein weiteres Opfer des urbanen Immobilienhungers – und Linus ist fortgezogen. Er bietet Schnitzkurse und Workshops in Bern an. Doch auch in Innsbruck hat sich das Schnitzfieber bereits ausgebreitet. Den idealen Ort findet Finn mit der Werk Statt Couch. Als Mitglied der Gemeinschaftswerkstatt organisiert der 28Jährige hier regelmäßige Treffen für die OpenCarveCommunity. Im Rahmen eines mehrmonatigen EventmanagementPraktikums in der Bäckerei veranstaltete er 2022 das Open Carve Festival als erstes Innsbrucker Schnitzfestival.
SCHNITZKUNST LERNEN.
Derzeit gibt es regelmäßig Einführungskurse und SchnitzWorkshops. Sie ermöglichen es, gezielt die speziellen Techniken für das sichere Arbeiten zu vermitteln und so Resultate zu erzielen, die über einen Zauberstab hinausgehen. So entstehen Löffel jeder Größe und Funktion oder Gefäße. Finn höhlt das Grünholz, das sich aufgrund seiner Frische und Elastizität gut zum
Schnitzen eignet, vor den Kursen mit einem Beil aus, damit seine Mitschnitzer:innen in einem Abend schon ein sichtbares Resultat erzielen.
Doch worum geht es beim Schnitzen eigentlich? Sicher nicht nur um das fertige Produkt. „Beim Löffelschnitzen trainiert man die HandAugeKoordination. Diese Übung ist auch für das Gehirn ein gutes Training“, erklärt Finn. Er hat die Erfahrung gemacht, dass die freien Treffen auf Dauer zu unverbindlich waren. Leute schauten mal vorbei, kamen und gingen. Schnitzarbeiten erfordern aber Zeit und Durchhaltevermögen. Sie wirken entschleunigend per definitionem. Die Arbeit mit den Händen löst ein Gefühl von Zufriedenheit aus. „Du bist bei dir und hast nicht das Gefühl, irgendetwas zu verpassen. Du bist einfach da. Schnitzen ist der krasse Gegensatz zu den sozialen Medien, die dir so viel Energie stehlen“, erzählt der Schnitzlehrer. Sein Ziel ist es, die Community zu empowern, indem der Wissensschatz auf möglichst vielen Schultern ruht. Er will sein Knowhow weitergeben, möchte etwas Bleibendes schaffen. Jede:r soll alles über die Techniken erfahren, die er sich ebenso selbst angeeignet hat, seit er mehrere Monate in Spanien verbracht hat. „Dort habe ich ewig an einem Stück Holz herumgeschnitzt. Es war zäh. Bis mir jemand gesagt
Für Interessierte
Löffelkurs
So., 4.6.2023
15.45–19 Uhr im die BALE, Bachlechnerstraße 46 Schnitz-Tag Mit Axt und Messer einen Löffel schnitzen So., 25.6.2023
9.45–17 Uhr in der WerkStattCouch, Höttinger Gasse 32 @werkstattcouch www.werkstattcouch.at hat, dass Steineiche ein extrem hartes Holz ist, und mir gezeigt hat, wie es besser geht.“
TALENTE TAUSCHEN.
Für diese Saison plant er deshalb in der Werk Statt Couch ein WorkshopWochenende. Im Fokus steht neben dem Schnitzen die Konstruktion einer WippDrechselbank. Dies soll in Kooperation mit der Schmiede des Hauses passieren. Das Drechseln mit einer WippDrechselbank ist eine Spielart traditioneller Holzbearbeitung, die ebenfalls mit Grünholz arbeitet.
Dieses Konzept, das Holzfans ins gemeinsame Tun bringt, zeigt, wie die Werk Statt Couch funktioniert. Die geräumigen Werkstätten am Höttinger Kirchplatz entstanden vor neun Jahren aus einer Architektengruppe heraus. Jedes Mitglied zahlt 30 Euro im Monat Vereinsbeitrag und darf eigene Ideen umsetzen. Im Gegenzug helfen alle bei anstehenden OrgaArbeiten mit. Jeden Mittwoch von 18 bis 20 Uhr und samstags von 10 bis 18 Uhr findet hier eine offene Holzwerkstatt zum Bauen und Reparieren ohne Vorkenntnisse gegen Spenden statt. Werkzeuge und Handmaschinen stehen zur Verfügung, Vereinsmitglieder unterstützen bei eigenen Projekten.
Der Fokus liegt darauf, Talente zu tauschen und im geschützten Raum voneinander zu lernen.