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Finnland und Schweden zur NATO

Generalmajor in Ruhe Mag. Herbert Bauer

Als Anfang März Finnland und Schweden eine gemeinsame Militärübung in der Ostsee abhalten, dringen zwei vermutlich mit Atomwaffen bestückte russische Bomber unter Begleitschutz von zwei russischen Jagdflugzeugen in den schwedischen Luftraum vor Gotland ein. Dieses russische Manöver mit den in Kaliningrad gestarteten Maschinen wurde als bewusst geplant angesehen, um Schweden einzuschüchtern. Da es sich bei Russland um ein kriegsführendes Land handelt, wurde der Zwischenfall besonders ernst bewertet. Die schwedische Luftwaffe setzte zwei Abfangjäger ein, um die Eindringlinge abzufangen und zu fotografieren. Dieses und andere Vorkommnisse führten sicherlich zu einer Bestärkung der Absicht Finnlands und Schwedens, der NATO beizutreten. / Schweden und Finnland sind bedeutende Anrainerstaaten der Ostsee und des Bottnischen Meerbusens. Mit einem NATO-Beitritt der beiden Länder verändert sich die strategische Lage in der Ostsee wesentlich, und zwar zum Nachteil Russlands. Russische Marinebasen in Kaliningrad und dem am Ostende des Finnischen Meerbusens liegenden St. Petersburg unterliegen dann einer geschlossenen Beobachtung und Möglichkeit zur Einflussnahme durch NATO-Staaten. Dazu kommt ein nie dagewesener Grenzverlauf zwischen einem NATO-Land, Finnland, und Russland in der Länge von 1340 km.

Gliederung der Ostsee

Warum will Schweden zur NATO?

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine führte bei vielen Schweden zur Sorge darüber, was denn wäre, wenn Russland einen Krieg auch gegen Schweden beginnen würde. Luftraumverletzungen durch die russische Luftwaffe und verschiedene tatsächliche oder mutmaßliche Verletzungen schwedischer Hoheitsgewässer durch damals sowjetische und später russische U-Boote verstärken diese Sorge. Die schwedische Regierung und die Mehrheit der Politiker im schwedischen Reichstag sind der Ansicht, dass die NATO der beste Weg wäre, Schweden

vor Krieg zu schützen. Wenn Schweden in der NATO wäre und angegriffen würde, käme Artikel 5 des Nordatlantikvertrags zum Tragen und Schweden könnte im Sinne der Bündnisverpflichtungen mit der Hilfe der anderen NATOStaaten rechnen. Schweden geht davon aus, dass kein anderes Land es wagen wird, Schweden anzugreifen, wenn es Teil der NATO ist.

Wie schaut die finnische Argumentation aus?

Natürlich ist auch hier die Politik und das Verhalten Russlands die treibende Kraft. Man registriert die im Vergleich zu früheren Konflikten in Georgien, auf der Krim und in der Ostukraine höhere Bereitschaft Russlands, auch größere Risiken einzugehen. Als unmittelbares Nachbarland hat man beobachtet, wie Russland mehr als 100.000 Soldaten ohne eine offizielle Mobilisierung militärischer Kräfte an die Grenze zur Ukraine verlegt und

dann den Angriffskrieg auf die Ukraine, bezeichnet als Spezialoperation, begonnen hat. Auch die Drohungen Russlands mit Atomwaffen führten zu einer Beurteilung der Lage, welche Art von Zusammenarbeit am besten geeignet ist, um auf die Bedrohung aller Art zu reagieren. Finnland möchte sich in seiner Souveränität auch nicht bevormunden lassen. Russlands Forderung, die NATO nicht zu erweitern, wurde als solche Bevormundung gesehen. Die finnische Sicherheitspolitik hatte die NATO als Option immer im Auge, um diese bei einer Änderung der sicherheitspolitischen Lage allenfalls zu realisieren. Finnland als souveräner Staat akzeptiert nicht, dass jemand von außen über die Existenz und Nutzung dieser Option entscheidet. Finnland hat die aktuelle Lage neu bewertet und eine autonome Konsequenz gezogen, nämlich den Beitritt zur NATO zu beantragen.

Die NATO

In der Präambel sind die Ziele kompakt erfasst. Demnach möchte man mit allen Völkern und mit allen Regierungen in Frieden eben, man ist jedoch entschlossen, die Freiheit, das gemeinsame Kulturerbe aller Mitglieder, die Demokratie, die Freiheit des Einzelnen und die Grundsätze des Rechts, sicherzustellen. Hierzu möchte man Stabilität und Wohlfahrt im nordatlantischen Gebiet fördern und ist zugleich entschlossen, sich zu einer gemeinsamen Verteidigung und zur Erhaltung von Frieden und Sicherheit zu vereinigen. Artikel 5 des Vertrags regelt ganz klar, dass ein bewaffneter Angriff gegen Vertragsmitglieder als ein Angriff auf alle betrachtet werden wird, und infolgedessen jeder für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Vertragsstaaten jene Maßnahmen ergreifen wird, die für notwendig erachtet werden, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebietes wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten. Das schließt auch die Verwendung bewaffneter ›

Karte der NATO in Europa NATO-Mitglieder Membership Action Plan Intensified Dialogue Individual Partnership Action Plan Partnerschaft für den Frieden Aspiring PfP members

Kräfte ein. Mit Artikel 6 des Vertrags gilt als bewaffneter Angriff auch jeder Angriff auf die Streitkräfte, Schiffe oder Flugzeuge der Parteien, nicht nur wenn sie sich im Hoheitsraum der Parteien befinden, sondern auch wenn sie sich im Mittelmeer oder im nordatlantischen Gebiet nördlich des Wendekreises des Krebses befinden.

Der Nutzen für Finnland und Schweden

Nur durch die Mitgliedschaft in der NATO werden auch diese beiden Staaten Nutznießer des atomaren Schirms, der, getragen von den USA, Großbritannien und Frankreich, für die Balance der nuklearen Kräfte sorgt. Durch eine dann, zumindest bei Bedarf, stattfindende Stationierung multinationaler Kräfte auf dem eigenen Staatsgebiet, wie sie derzeit nicht nur in den baltischen Ländern gegeben ist, wird eine Abhaltewirkung produziert, die die objektive Sicherheitslage und das subjektive Sicherheitsempfinden deutlich erhöhen kann. Es ist nicht zu erwarten, dass durch eine derartige Stationierung von multinationalen Kräften eine Angriffsfähigkeit gegenüber Russland entstehen kann und wird. Unabhängig davon, dass sich die NATO im Artikel 1 ihres Vertrages dazu verpflichtet, sich in ihren internationalen Beziehungen jeglicher Drohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die in irgendeiner Weise mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar ist, gibt es aufgrund des Geländes und der Distanzen vor allem im quantitativen Bereich einfach keine nachhaltige Angriffsfähigkeit. An der Nähe Norwegens zum russischen Nordflottenhafen Seweromorsk im Oblast Murmansk an der Barentssee ändert sich nichts.

© REINHOLD SIGL

ZUM AUTOR

Generalmajor in Ruhe Mag. Herbert Bauer, zuletzt Militärkommandant von Tirol und Chefredakteur von „Der Offizier“, gibt einen Podcast „Stets bereit“ zu wehr- und sicherheitspolitischen Themen heraus – https://stetsbereit. simplecast.com

Türkei, Schweden und Finnland unterzeichnen im Juni 2022 ein Memorandum. Erste Reihe v. l. n. r.: Mevlüt Çavuşoğlu, Außenminister der Türkei, Pekka Haavisto, Außenminister von Finnland, und Ann Linde, Außenministerin von Schweden; zweite Reihe: NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der finnische Präsident Sauli Niinistö und die schwedische Premierministerin Magdalena Andersson

Hybride Bedrohung

Schweden bereitet seine Bevölkerung auf unterschiedliche Reaktionen Russlands vor. So werden Cyberangriffe gegen Infrastruktur, Banksysteme oder Telefonnetze nicht ausgeschlossen, man rüstet sich aber auch gegen Fakenews. Man rechnet damit, dass es zur Verbreitung von Fehlinformationen kommt, um das Denken des schwedischen Volkes zu beeinflussen. Schweden sieht im NATO-Beitritt jedoch einen entscheidenden Parameter, um seine eigene Sicherheit zu verbessern. Auch Finnland rechnet mit dem Einsatz des gesamten hybriden Werkzeugkastens einer Dominanzausübung Russlands. Informationsbeeinflussung, Energiefragen, wie der bereits erfolgte Stopp von Gaslieferungen, oder Flüchtlinge könnten als Waffe eingesetzt werden, ja man rechnet sogar mit dem Aufschnüren rechtlicher Vereinbarungen, wie des Gastlandabkommens oder des gültigen Nachbarschaftsabkommens von 1992 oder des Åland-Abkommens von 1922. Russland hat bekanntgegeben, dass man sich an die russische Botschaft wenden sollte, wenn man in Finnland gemobbt werde. Finnland erkennt ein diplomatisches Spiel, dessen Ziel es ist, sich vor Polarisierung zu fürchten und die Idee eines NATO-Beitritts aufzugeben.

Reaktion Russlands

Das Russland damit gerechnet hat, dass Finnland und Schweden wegen des Angriffs auf die Ukraine Schutz bei der NATO suchen würden, darf bezweifelt werden. Da Russland den Krieg gegen die Ukraine unter anderem mit der nicht gewollten NATO-Erweiterung begründet und vor allem einen NATOBeitritt der Ukraine verhindern will, muss die NATO-Erweiterung durch einen Beitritt der Ostseeanrainer Finnland und Schweden wohl besonders irritieren. Wollte man zuvor we-

niger NATO, bekommt man nun mehr NATO. Russlands Präsident Putin wirft der NATO „imperiale Ambitionen“ vor, konzediert jedoch, dass es mit Finnland und Schweden keine „territorialen Differenzen“ gäbe und man deswegen auch „keine Probleme“ mit dem Beitritt von Schweden und Finnland zur NATO habe. Aber natürlich gibt es auch eine deutliche Warnung zu möglichen Absichten, NATO-Truppen und militärische Infrastruktur der Allianz auf schwedischem oder finnischem Territorium zu stationieren. Sollten in den Staaten „Militärkontingente und militärische Infrastruktur stationiert werden“, wäre Russland gezwungen, in gleicher Weise zu reagieren, und würde „die gleichen Bedrohungen für das Territorium schaffen, von dem aus Bedrohungen gegen Russland geschaffen werden“.

Die Türkei zur NATOErweiterung

Die Türkei äußerte sich vorerst ablehnend gegenüber dem Beitritt der beiden Länder und nützte die Gelegenheit, Bedingungen zu stellen. So wird von Finnland und Schweden unter anderem die Auslieferung von „Terror“Verdächtigen verlangt, womit Mitglieder der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen gemeint sind. Letztere macht die Türkei für den Putschversuch von 2016 verantwortlich. / Im Juni 2022 teilte der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, ehemaliger Ministerpräsident Norwegens, mit, dass die Türkei, Schweden und Finnland ein Memorandum unterzeichnet haben, in dem die Bedenken der Türkei berücksichtigt werden und man sich über Waffenexporte und den Kampf gegen den Terrorismus verständigt habe. Durch die Unterzeichnung des Abkommens sah Stoltenberg den Weg Schwedens und Finnlands in die NATO geebnet, was angesichts der derzeitigen Haltung der Türkei aber als Zweckoptimismus gewertet werden kann. / Inhaltlich wird in dem Memorandum festgestellt, dass die Türkei massive Terroranschläge nicht zuletzt durch die PKK erlitten habe und sich Finnland und Schweden als NATO-Verbündete verpflichten, die Türkei uneingeschränkt gegen Bedrohungen ihrer nationalen Sicherheit zu unterstützen. Dazu gehören auch weitere Änderungen der innerstaatlichen Rechtsvorschriften, das Durchgreifen gegen PKK-Aktivitäten und der Abschluss einer Auslieferungsvereinbarung mit der Türkei. Unter diesen Bedingungen hat die Türkei zugestimmt, den NATOBeitritt Finnlands und Schwedens zu unterstützen. Der aktuelle Status der Beitrittsabsichten

In rasanten, die Dringlichkeit unterstreichenden Abläufen wurden die innerstaatlichen Beschlüsse in Schweden und Finnland herbeigeführt und die Beitrittsanträge am 29. Juni 2022 an die NATO gerichtet. Bereits am 5. Juli unterzeichneten die Botschafter aller NATO-Staaten die Beitrittsprotokolle der beiden Kandidatenländer. Schweden und Finnland dürfen damit jetzt schon an allen NATO-Sitzungen teilnehmen, haben allerdings zunächst kein Stimmrecht. Von der erforderlichen Ratifizierung durch die jeweiligen Parlamente der 30 bisherigen NATOMitgliedsländer haben 28 bereits zugestimmt, ausständig ist jedoch nach wie vor die Zustimmung der Türkei und Ungarns ›(Stand: 23.11.22).

Präsident Biden unterzeichnet am 9. August 2022 die Ratifizierungsurkunden zur Genehmigung der NATO-Mitgliedschaft Finnlands und Schwedens.

Europäische Union

Mit einem vollzogenen NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens verbleiben nur mehr die EU-Staaten Zypern, Irland, Malta und Österreich, die keine NATO-Mitglieder sind. / Warum wollen Finnland und Schweden, die, wie Österreich, EULänder sind, trotz der Beistandsklausel gemäß EU-Vertrag auch noch in die NATO? / Dazu ein Blick in den Vertrag über die Europäische Union und dort in den Abschnitt 2 zu den Bestimmungen über die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Absatz 7 im Artikel 42 bringt zum Ausdruck, dass im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ihm die anderen Mitgliedstaain diesem Bereich bleiben im Einklang mit den im Rahmen der NATO eingegangenen Verpflichtungen, die für die ihr angehörenden Staaten weiterhin das Fundament ihrer kollektiven Verteidigung und das Instrument für deren Verwirklichung ist. / Damit wird klar, dass die NATO de facto auch die kollektive Verteidigungsorganisation der EU-Staaten ist und es darüber hinaus keine europäische Armee geben wird. Wozu sollte man zu den bestehenden und funktionierenden Kommando- und Verteidigungsstrukturen eine parallele Organisation aufziehen und damit auch noch mehrfache Kosten verursachen? Für die EU-Länder Schweden und Finnland war das klar erkennbar. Es wurde also die Beistandsverpflichtung der EU von den beiden Ländern als nicht ausreichend für die eigene Sicherheit beurteilt. Obwohl die Beistandsverpflichtung der EU stärker als die der NATO formuliert ist, war klar, dass man den eigenen Schutz nur in dem einzigen funktionierenden europäischen Verteidigungsbündnis, nämlich der NATO, realisieren möchte.

ten alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen schulden. / Eine weitere Passage geht auf die Bedürfnisse neutraler und bündnisfreier Staaten ein, wenn da geschrieben steht, dass die Beistandsverpflichtung den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt lässt – eine damals erfochtene Berücksichtigung der österreichischen Neutralität. / Aber die in Österreich rund um die Neutralitätsdiskussion meist verschwiegene Passage, die auch die Absichten Finnlands und Schwedens verständlich macht, lautet: Die Verpflichtungen und die Zusammenarbeit

Mit Sicherheit bestens beraten.

Stephan Paul

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Auswirkungen

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bringt es auf den Punkt, wenn er meint, dass der NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens nicht nur für diese beiden Länder selbst wichtig ist, sondern auch für die NATO und insbesondere die baltischen Staaten. Denn mit einem Blick auf die Karte kann man erkennen, dass dieser Beitritt die gesamte Sicherheitslage im Baltikum verändern wird. Die baltischen Länder Estland, Litauen und Lettland, aber natürlich dann auch die neuen Mitgliedsstaaten, werden durch den NATOVerbund in diesem Teil der Welt und in Europa essenziell gestärkt. Positiv gesehen wird auch, dass Finnland und Schweden moderne, gut entwickelte und gut ausgerüstete Streitkräfte mit Marinen, Flugzeugen der fünften Generation sowie dem Standard entsprechenden Waffensysteme, moderne Technologien und stabile, starke politische Institutionen in die NATO einbringen werden.

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