3 minute read
Neue Wege in der Pflege
Nach einem Krankenhaus-
aufenthalt sind besonders alte Menschen oft auf ein Netzwerk an Unterstützern angewiesen.
Nach einem Krankenhausaufenthalt stehen Angehörige von Pflegebedürftigen vor großen Herausforderungen. Um die häusliche Betreuung bestmöglich zu gewährleisten, bedarf es neuer Konzepte in der Pflege – wie beispielsweise eines Case- und Care-Managements.
TEXT: HARIS KOVACEVIC
Werden pflegebedürftige Menschen aus dem Krankenhaus entlassen, übernehmen in der Regel Angehörige deren Pflege und Betreuung zu Hause. Dies führt nicht selten zu Überforderung auf mehreren Ebenen: „Angehörige verfügen in den meisten Fällen nicht über die entsprechende Pflegekompetenz, kennen sich bei der Vielfalt an Institutionen mit ihren unterschiedlichen Verwaltungen und Finanzierungen nicht entsprechend aus und sind durch Pflegebedürftigkeit des Angehörigen ohnedies emotional überfordert“, erklärt Eva Schulc, Pflegewissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Community Health-Nursing und Integrierte Versorgung an der UMIT Tirol. „Die Folge ist in vielen Fällen eine Rehospitalisierung oder Aufnahme in ein Alten- und Pflegeheim, was weder für die Betroffenen und deren
82
EVA SCHULC , PFLEGEWISSENSCHAFTLERIN Angehörigen noch für das Gesundheitssystem von Vorteil ist.“ 2018 initiierte die UMIT Tirol ein wissenschaftliches Projekt, bei dem Herausforderungen in der Versorgung von chronisch schwerkranken Patienten im häuslichen Umfeld ermittelt werden sollten. Es handelt sich um ein interregionales Projekt, an dem neben der Gemeinde Landeck auch Vicenza und Medio Friuli in Italien beteiligt sind und das im Dezember 2020 zum Abschluss kommt.
ERGEBNISSE „Die Erhebung ergab, dass beispielsweise in Vicenza die Kommunikation mit den Betroffenen bei der Entlassung nicht optimal funktionierte“, erzählt Eva Schulc. So wurde auf Inhalte des Entlassungsgespräches wenig Fokus gelegt und Angehörige verstanden nicht genau, worauf sie in
EVA SCHULC
Zur Person
Eva Schulc war jahrelang als Sportwissenschaftlerin und Sporttherapeutin tätig, bevor sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an das Department für Pflegewissenschaft und Gerontologie der UMIT Tirol wechselte. Seit Oktober 2020 ist sie als habilitierte Pflegewissenschaftlerin Leiterin der Division für Integrierte Versorgung der UMIT Tirol. der häuslichen Pflege und Betreuung zu achten hätten. „In Medio Friuli war der Bedarf an spezialisierten Pflegerinnen und Pflegern für Demenzkranke enorm“, sagt Eva Schulc. „In Landeck hatten Angehörige von Pflegebedürftigen beispielsweise vor allem Schwierigkeiten beim Ergreifen von sozialorganisatorischen und finanzrechtlichen Maßnahmen, die für die Pflege und Betreuung ihrer Angehörigen zu Hause wesentlich waren. “ Die Studie machte deutlich, dass unterschiedliche institutionelle und demografische Voraussetzungen zu unterschiedlichen Problemen führten. „Einigkeit bestand unter den Experten darüber, dass eine längerfristige, fallbezogene professionelle Begleitung von Schwerkranken im häuslichen Setting notwendig wäre – in der Pflege- und Gesundheitswissenschaft spricht man dabei von Case-Management“, erklärt Schulc.
LÖSUNGEN Um auf alle Herausforderungen der Pflege und Betreuung von Pflegebedürftigen, vor allem im Hinblick auf Entlassungen aus dem Krankenhaus und ihre darauffolgende Versorgung zu Hause, adäquat reagieren, Rehospitalisierungen vermeiden und möglichst auf maßgeschneiderte, individuelle Pflegekonzepte zurückgreifen zu können, bedarf es der Integration aller in die Pflege und Betreuung eingebundenen Faktoren: von pflegenden Angehörigen über Gesundheits- und Krankenpfleger, Ärzte und Physiotherapeuten bis hin zum Apotheker um die Ecke. „Diese Aufgabe würde eine sogenannte Case-Managerin übernehmen“, erklärt Eva Schulc, „Diese wäre für die Steuerung des Einzelfalls zuständig und könnte beispielsweise pflegende Angehörige mit der pflegerischen, medizinischen, sozialen und therapeutischen Infrastruktur der Umgebung vernetzen.“ Die Case-Managerin weiß, welche Ressourcen den Angehörigen zur Verfügung stehen, und kann ein maßgeschneidertes Versorgungspaket über den gesamten Pflege- und Betreuungsverlauf für den Betroffenen zusammenstellen. Damit dies aber möglich wird und die Lücke zwischen dem Krankenhausaufenthalt und einer umfassenden, kompetenten Betreuung zu Hause geschlossen wird, müssen Case-Managerinnen Zugriff auf ein zuverlässiges Versorgungsnetzwerk in der Region haben. „Auch das wäre die Aufgabe einer Care-Managerin.“ Und nicht nur das: Sie wäre eine niederschwellige Beratungsstelle für die Bevölkerung, aber auch für Pflege- und Betreuungsorganisationen.
PRAXIS UND WISSENSCHAFT Durch die Ergebnisse und Erfahrungen aus dem Projekt erhofft man sich, die Hospitalisierungs- und vor allem die Rehospitalisierungsrate maßgeblich zu senken. Auch an Patienten, deren Krankheitsverlauf vom akuten in den chronischen Gesundheitszustand übergeht, ohne Krankenhausaufenthalt, wird dabei gedacht. Das Portfolio der mobilen Pflege- und Betreuungseinrichtungen könnte zudem erweitert werden und nicht nur auf pflegerische und medizinische Hilfestellungen verweisen, sondern auch auf sozialorganisatorische und finanzrechtliche Aspekte – wo, laut UMIT-Tirol-Umfrage unter Gesundheits- und Krankenpfleger, der größte Bedarf besteht.