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1 Fremdsprachenerwerb vs. Fremdsprachenlernen
1 Fremdsprachenerwerb vs. Fremdsprachenlernen
Die Dichotomie zwischen dem Erwerb (eng. Acquisition, slow. usvajanje) und dem Lernen (eng. Learning, slow. učenje) lässt sich auf die Forschungen nach 1960 zurückführen, wobei versucht wurde, die Aneignung der Fremdsprache genauer zu erklären. Fremdsprachenerwerb bedeutet eine implizite, unbewusste Aneignung einer Fremdsprache. Das heißt, der Erwerb verläuft ungesteuert in einer natürlichen Kommunikation. Die Aneignung einer Fremdsprache erfolgt so wie die Aneignung der Erstsprache bzw. der Muttersprache. Das Fremdsprachenlernen dagegen bezieht sich auf einen gesteuerten, expliziten, bewussten Vorgang, der überwiegend institutionell in Form von Unterricht stattfindet. Spricht man von der Aneignung einer Fremdsprache im Vorschulalter, also im Elementar- und später im Primarbereich, dann ähnelt dieser Prozess der Aneignung der Muttersprache, das heißt, es geht um den Fremdsprachenerwerb. Das Fremdsprachenlernen ist eng mit dem rationalen Denken verbunden und basiert in der Regel auf der Kontrastive zwischen dem bereits existierenden Sprachvermögen eines Lernenden und der neuen Sprache. Bei den Kindern findet dieser Vergleich noch nicht statt und die neue Sprache wird in relativ festen Abfolgen, ähnlich wie bei der Erstsprache, erworben. Die Identitätshypothese besagt nämlich, dass der Erwerb einer Sprache identisch verläuft, egal ob es sich um die Erst- oder Fremdsprache handelt. Einer der bekanntesten Vertreter dieser These ist der Amerikaner Stephen Krashen mit seinem Ansatz Natural Approach.
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Aufgabe: Ergänzen Sie das Schema und führen Sie einige konkrete Beispiele an.
Fremdsprachenerwerb Fremdsprachenlernen
1.1 Spracherwerb aus der Sicht der Entwicklungspsychologie und
Anthropologie
Die Frage, die man sich oft im Zusammenhang mit Fremdsprachen stellt, ist, wann der frühe Fremdsprachenerwerb anfangen sollte. Hier teilen die Wissenschaftler nicht alle dieselbe Meinung. Einige beharren darauf, dass die frühen Kindheitsjahre die besten seien, um eine Fremdsprache zu lernen, andere behaupten genau das Gegenteil, nämlich, dass das Aneignen einer Fremdsprache in dieser Lebenszeit sogar der Entwicklung der Muttersprache schadet. Diese Behauptungen wurden noch von keiner Untersuchung bekräftigt, immer mehrere Wissenschaftler hingegen vertreten die Meinung, dass die Muttersprache durch die Mehrsprachigkeit gefördert und nicht gehemmt wird. Wissenschaftler, die sich mit dem frühen Fremdsprachenerwerb beschäftigen, bekräftigen das anhand folgender wissenschaftlicher Disziplinen: der Entwicklungspsychologie und der Anthropologie.
Die Untersuchungen, die man bei der Entwicklungspsychologie durchführte, waren schon von Anfang an psychologisch begründet, denn die Wissenschaftler verstanden diese Disziplin als diejenige, die sich mit den Veränderungen der menschlichen Stimmung und des Verhaltens beschäftigt.
Einer der Ersten, der das frühe Fremdsprachenlernen in die Schule einführen wollte, war der Amerikaner Arnold Gesell (1880-1961). Er war Psychologe, Kinderarzt und Mitbegründer der Entwicklungspsychologie.
Gesell nutzte für seine Forschung die damals neueste Technik, zum Beispiel Video- und Fotoapparate. Auch verwendete er beispielsweise Einwegspiegel um Kinder in seinen Versuchen zu beobachten, erfand dabei sogar den Gesell Dome, einen Einwegspiegel in Form einer Kuppel, unter der man Kinder beobachten konnte, ohne sie zu stören. In seiner Forschung studierte er zahlreiche Kinder, darunter auch das Wolfskind Kamala. Als Psychologe realisierte Gesell die Wichtigkeit des Wechselspiels zwischen Genen und Umwelteinflüssen. Als Maturationalist glaubte er, dass psychisches Wachstum, ähnlich wie das physische, vor allem durch die Gene vorbestimmt ist und dass die Umwelt lediglich einen untergeordneten Einfluss hat. Nach Gesell sollten Kinder das Verhalten ihrer Eltern und Altersgenossen nachahmen. Er setzte Normen bzw. typische Verhaltensweisen des Menschen während der Kindheit fest. Diese teilte er in zehn Gruppen, die „Gradients of growth“ (Deutsch: Arten des Wachstums) ein. Damit legte er, sich auf seine statistischen Erhebungen beziehend, fest, wie sich ein Kind in einem bestimmten Alter normalerweise verhält. Er dachte außerdem, dass die USA von einem landesweiten Kindergartensystem profitieren würden.
In seinen Untersuchungen hob er auch die emotionalen Dispositionen des frühen Fremdsprachenerwerbs hervor. Er war der Meinung, dass die Kinder bis zu ihrem zehnten Lebensjahr beim Lernen einer Fremdsprache Vergnügen
empfinden, weswegen sie bereit sind, zuzuhören, zu kommunizieren und zu lernen, und das noch besonders in spielerischen und dramatischen Situationen. Dem zufolge wären die Kinder, wenn man sie richtig motivieren würde, fähig, nicht nur eine Fremdsprache, sondern sogar zwei oder drei zu lernen.
Im Gegensatz zu Gesell betonte Frances Ilg (1902-1981) die intellektuelle Bereitschaft der Kinder und beschrieb sie als gesprächig, offen und aufnahmefähig und bereit in einer Gruppe mitzumachen. Demzufolge wären die Kinder bis zu ihrem zehnten Lebensjahr fähig, unter günstigen Bedingungen schnell Fremdsprachen zu lernen, weil ihre Gesprächigkeit, Offenheit und Imitation in diesem Lebensabschnitt auf dem Höhepunkt ist.
Rachel Cohen war mit ihren Bekräftigungen für das frühe Fremdsprachenlernen noch detaillierter (1991). Sie forschte vorwiegend in Frankreich. Ihrer Meinung nach ist ein früher Anfang nötig, um sich den Akzent, die Aussprache, die Melodie und die Automatisation von Grammatikstrukturen anzueignen. Cohen glaubt auch daran, dass es besser ist, als Kind eine Fremdsprache anfangen zu lernen, nicht nur, weil die Kinder offener für die Sprachaneignung sind, sondern auch wegen geringerer Probleme wie z. B. keine Vorurteile hegen und sich noch keine negative Meinung über die besagte Sprache ausbilden. Gerade diese Faktoren können nämlich den Erwachsenen beim Lernen große Schwierigkeiten bereiten. Cohen führte eine Untersuchung mit drei- bis vierjährigen Kindern durch. Alle Kinder waren Einwanderer und sprachen vor der Einschreibung in den Kindergarten kein Wort Französisch. Durch das Spielen, Singen, Wiederholen, die Einbildungskraft und das Erzählen von Geschichten lernten sie fließend Französisch zu sprechen. Unter anderem fand man auch heraus, dass sich die Dreijährigen schnell den Akzent eines Muttersprachlers aneigneten, dass siebenjährige Kinder dabei mehr Schwierigkeiten hatten, und dass Elfjährige, trotz all ihrer Bemühungen, den Akzent nie gut beherrschen konnten.
Das wichtigste Argument der Anthropologen zum frühen Fremdspracherwerb ist die menschliche Grundeigenschaft, nämlich die Aufgeschlossenheit des Menschen bei der Geburt. Diese Fähigkeit macht bei einem Neugeborenen alles möglich, sogar, dass er, welche auch immer, Sprache der Welt lernen kann. Die besagte Aufgeschlossenheit schwindet aber im Prozess der Sozialisation, die die Menschen gewöhnlich in eine gewisse Gesellschaft, Kultur und Sprache zwingt. Die Gewohnheiten, die man entwickelt, werden stärker und verringern so die potenzielle Unbestimmtheit. Demzufolge wird der Mensch eine monokulturelle und monolinguale Persönlichkeit. Gewisse Anthropologen sind der Meinung, dass diese „Einengung“ in Maßen gehalten werden muss, weil sie die Menschen daran hindert, andere Formen des Lebens zu verwirklichen und zu bestätigen. Gerade aus diesem Grund soll das Lernen von Fremdsprachen die beste Möglichkeit sein, diesen Prozess zu beenden. Diese
Meinung vertrat auch Wilhelm von Humboldt, der Fremdsprachen sogar als verschiedene Weltanschauungen verstand.
1.2
Pädagogische Aspekte beim frühen Fremdsprachenerwerb
Die Hauptbedingung der Pädagogik lautet, dass der frühe Fremdsprachenerwerb auch Bildungselemente einschließen muss. In der heutigen Welt treffen Kinder immer wieder auf andere ethnische und sprachliche Gruppen. Damit man darauf vorbereitet ist, braucht man schon sehr früh interkulturelle Kommunikationsfertigkeiten, die man mit Hilfe des Fremdsprachenlernens erlangt. Zugleich ermöglicht das Fremdsprachenlernen aber auch, dass die Kinder schon sehr früh eine positive Beziehung zu Andersdenkenden und anderen Kulturen entwickeln.
Ein anderes Argument, das die Pädagogen für das frühe Fremdsprachenlernen anführen, ist die erhebliche Erleichterung der Aneignung einer Fremdsprache im frühen Lebensalter, sowie auch die Aneignung der zweiten oder sogar dritten Fremdsprache.
Verschiedene Forschungen zeigen, dass Kinder schon mit vier Jahren Fremdsprachen lernen können. Sie sind beim Fremdsprachenlernen im großen Vorteil gegenüber den Erwachsenen, weil sie sich nicht nach der Bedeutung der Wörter fragen, sondern sie intuitiv erlernen. So verstehen sie fremde Wörter automatisch und lernen auch in einer fremden Sprache zu denken.
Trotz der Vorteile, die früher Fremdsprachenerwerb mit sich bringt, meinen einige Wissenschaftler, dass genau das schlecht für Kinder sei. Sie sind der Meinung, es behindert das Lernen der Muttersprache, und verursacht psychische Störungen. Die Wissenschaftler berufen sich dabei jedoch nur auf das Lesen und Schreiben in der fremden Sprache, weshalb beachtet werden muss, dass die Kinder in einer Fremdsprache sowieso so lange nicht Schreiben und Lesen lernen, bevor sie das nicht schon in der Muttersprache beherrschen. Wenn die Kinder also in der richtigen Umgebung und auf die richtige Art und Weise eine Fremdsprache erwerben, kann ihnen das auf keinen Fall zum Nachteil werden.
Der frühe Fremdsprachenerwerb bringt noch einen Vorteil, und zwar, wenn die Kinder schon so früh anfangen eine Fremdsprache zu lernen und sie zu beherrschen, empfinden sie diese nicht als ein Haufen von Grammatikregeln, sondern als ein Mittel um sich mit Kindern aus dem Ausland zu verständigen. Aufgabe: Erstellen Sie ein Lernplakat, auf dem Sie die wichtigsten Argumente für und gegen den frühen Fremdsprachenerwerb zusammenfassen.
Abb. 1: Das Lernen nach dem Nürnberger Trichter Prinzip ist leider nur eine Illusion. (Bildquelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c2/Nuremberg_Funnel_-_ ad_stamp_1910.jpg)
1.3 Neurowissenschaftliche Aspekte des Spracherwerbs
Anhand Neuropsychologie bekräftigten die Wissenschaftler Penfield und Roberts schon in den 60-er Jahren des vorigen Jahrhunderts (1959) im Hinblick auf ihre Untersuchungen des Gehirns den biologisch angemessenen Zeitpunkt für den frühen Fremdsprachenerwerb.
Ihren Erkenntnissen nach sei das Gehirn nur bis zu dem neunten Lebensjahr sehr plastisch, was für den frühen Fremdsprachenerwerb ausgenutzt werden sollte, denn nach diesem Alter sei das Gehirn immer steifer.
Später entwickelten sich einige Gegenargumente zu ihren Behauptungen. Van Parren zum Beispiel war der Meinung, dass ihre Argumente nicht ausreichend wären, da sie nicht berücksichtigten, dass die frühe Plastizität des Gehirns bei einem älteren Kind auch mit höher entwickelten Lernstrategien ersetzt werden kann. Den mittleren Weg nehmen diejenigen Wissenschaftler, die der Meinung sind, dass beim Fremdsprachenerwerb wirklich einige biologische Komponenten existieren, die man aber nicht so erklären kann, dass Fremdsprachenlernen nach einem gewissen Alter ohne Wirkung wäre (vgl. Brumen 2001). Die Neurowissenschaften erlebten in den letzten zwei Jahrzehnten eine enorme Entwicklung und immer mehr Erkenntnisse zur Gehirnforschung finden in der Fremdsprachendidaktik bzw. Neurodidaktik Beachtung. Sehen wir uns jetzt diese Erkenntnisse näher an.
Neurodidaktik ist eine Interpretation von Strukturen, Vorgängen, Prozessen und Problemen beim Lernen durch die neurowissenschaftliche Sicht (Hermann 2010, Grein 2018). Bildgebende radiologische Verfahren ermöglichen heute neue Einblicke in das menschliche Gehirn.
Das Gehirn od. der Cortex (auch Großhirnrinde genannt) und die Neuronen spielen für das Lernen eine bedeutsame Rolle. Der Cortex ist in zwei Gehirnhälften, Hemisphären genannt, unterteilt, die mehr oder weniger symmetrisch aufgebaut sind. Die beiden Hemisphären sind durch Stränge von Nervenfaserbündeln (mehr als 300 Millionen Nervenfasern) verbunden. Die zwei Hälften kommunizieren miteinander über das Corpus callosum, den Balken. Insgesamt werden im Cortex vier verschieden große Lappen unterschieden. Für Sprache und Sprachenlernen sind alle Bereiche des Cortexes im Einsatz, der motorische Cortex regelt neben dem Broca-Areal die Muskeln beim Sprechen. Das BrocaAreal selbst befindet sich im Frontallappen. Es ist zuständig für die syntaktische Verarbeitung und die motorische Koordination des Sprechens. Im Frontallappen findet ferner die sprachpragmatische Verarbeitung statt z. B. bei Metaphern. Der Parietallappen verarbeitet haptische Reize (Tastsinn) und enthält das Lesezentrum. Im Temporallappen wird der emotionale Gehalt des Gesichtsausdrucks unseres Gegenübers bewertet. Hier befindet sich auch das Sprachverarbeitungszentrum, das sog. Wernicke-Areal (Sprachverständnis). Der Okzipitallappen dient aber der visuellen Reizaufnahme. Eine zentrale Funktion noch vor der eigentlichen Sprachverarbeitung hat das sog. Lymbische System. Es befindet sich im Zentrum des Gehirns. Jedes neuronale Signal, also jeder Reiz, passiert als erstes den Limbus (bestehend u. A. aus Hypocampus, Gyrus cinguli und Amygdala). Das System bewertet die ankommenden Reize nach den Kriterien bekannt vs.
unbekannt, wichtig vs. unwichtig und angenehm vs. unangenehm. Der Informationsreiz wird also einerseits mit bereits vorhandenen Wissensbeständen verglichen, andererseits wird der Reiz emotional bewertet (im Hypocampus). Wenn der Reiz unwichtig erscheint, wird er gar nicht erst weitergeleitet.1
Grundsätzlich ist bei dem Erwerb aller Sprachen die linke Hemisphäre dominanter. Für die Sprachverarbeitung von Relevanz ist der Fascilus arcuatus, der das Broca- und Wernicke-Areal miteinander verbindet (vgl. Hermann und Fiebach 2007: 91). Großhirnrinde
Balken
Zwischenhirn
Wernicke-Areal
Broca-Areal Mittelhirn
verlängertes Mark
Kleinhirn Rückenmark
Abb. 2: Wernicke und Broca-Areal (Bildquelle: https://www.shutterstock.com/ image-illustration/brain-section-side-148946495)
Sprachwahrnehmung und vor allem Sprachproduktion ist ein höchst komplexer Prozess, der in unserer Muttersprache meist beiläufig abläuft.
Bei jedem Input entstehen sogenannte Ladungsprozesse zwischen den beteiligten Neuronen.
Das Neuron (die Nervenzelle) besteht aus dem Zellkörper, der den Zellkern enthält, Dendriten und Axonen. Der Reiz wird von den Dendriten aufgenommen
1 Im Unterricht ist es deshalb wichtig, den Unterrichtseinstieg in ein neues Thema derart zu gestalten, dass vorhandene Wissensbestände wieder aktiviert werden.