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Klimawandel
from PHmag2021 Tirol
by zweiraum
208 Klimawandel MENSCH & UMWELT
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(lisi) Der erste Corona-Lockdown im März des Vorjahres war wohl so etwas wie ein ungewollter und ungeplanter Selbstversuch im Bezug auf die Verbesserung der Luftqualität. Mit den genauen Corona-Auswirkungen auf Klima und Luft hat sich der Meteorologe, Moderator und Autor Andreas Jäger umfangreich beschäftigt und spricht mit dem PASSIVHAUSMAGAZIN über seine Erkenntnisse.
PASSIVHAUSmagazin: Sie sind Meteorologe und bezeichnen diesen Beruf auf Ihrer Homepage als „den spannendsten Beruf“ – warum? Andreas Jäger: Weil man sich nie ganz sicher sein kann. Die Prognosen sind in den letzten 30 Jahren viel treffsicherer geworden. Wetterprognosen werden in der Wirtschaft um richtiges Geld gehandelt. Sie sind das Rückgrat für den ganzen Flugverkehr, aber auch am Bau oder für die Energieerzeugung unverzichtbar. Trotzdem liegt man ab und zu daneben. Man jagt der 100%igen Trefferquote hinterher, wird sie aber nie erreichen. Das macht es spannend.
PASSIVHAUSmagazin: Sie sind aber darüber hinaus auch noch Moderator, Autor und halten Klimavorträge. Letztere Tätigkeit verknüpfen Sie mit dem Zusatz: „Doch, es ist so: Wir drehen am Klima.“ Gibt’s – aus Ihrer Sicht – noch immer viele Skeptiker bzw. „Klimawandelleugner“? Andreas Jäger: Es ist das Zeitalter der „alternativen Fakten“, der „Fake-News“ und kruder Verschwörungstheorien. Da muss man sich nicht wundern, dass manche von uns Klimawandelleugnern auf den Leim gehen. Es ist nur menschlich. Die Lüge ist bequem, die Wahrheit gerade beim Klima anstrengender. Man müsste sich „Fehler“ eingestehen und sich ändern. Wer macht das schon gerne! So ca. 20% würde ich schätzen, können mit dem Klimawandel nichts anfangen.
PASSIVHAUSmagazin: Wie sehr haben sich die Lockdowns auf das Klima (hierzulande und global) ausgewirkt? Andreas Jäger: Gar nicht. Das war auch zu erwarten. CO2 bleibt über Jahrhunderte in der Atmosphäre. Trotzdem war das vergangene Jahr 2020 richtig spannend: Laut WMO dürfte der tägliche Ausstoß an CO2 global während der Lockdowns ca. 17% unter dem Niveau vor der Pandemie gelegen sein.
Foto: © Andreas Jäger
Meteorologe Andreas Jäger: „Dass in Europa 400.000 Menschen jährlich an schlechter Luft sterben, ist keinem bewusst.“
Das macht über das ganze Jahr 2020 gerechnet einen Rückgang von ca. 5%. Das ist leider ein Tropfen auf den heißen Stein. Das verringert die Konzentration in der Atmosphäre lediglich um ca. 0,15ppm – dieser Wert liegt klar unter der natürlichen Schwankung von ca. 1ppm. Unter dem Strich hat das daher CO2 auch 2020 zugelegt, leider – wir liegen bei ca. 410 ppm. Die Schwelle von 400ppm haben wir erst 2015 durchbrochen. Das ist eine dramatische Zunahme. Derartige Werte hat der Homo sapiens noch nie erlebt. Ähnlich hoch waren die Werte vor drei bis fünf Millionen Jahren. Damals war es 2 bis 3 Grad wärmer und der Meeresspiegel 10 bis 20 Meter höher als heute. Der Punkt: Es lebten keine 7,7 Milliarden Menschen auf der Erde.
PASSIVHAUSmagazin: Inwieweit hat sich dieser Lockdown auf die Luftqualität ausgewirkt? Andreas Jäger: Dramatisch. Im positiven Sinne. Und auch das war zu erwarten, wenn man bedenkt, welche Selbstreinigungskraft die Atmosphäre hat. Mit jedem Regen wird Staub und Ruß aus der Atmosphäre ausgewaschen und ohne Abgase aus den Auspuffen kommt auch nur wenig nach. Wir erinnern uns an die dramatischen Satellitenbilder aus China oder der Poebene in Italien vom DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt), die zeigten, wie schnell zum Beispiel Stickstoffdioxid – der wichtigste Vorläufer zur Ozonbildung – während der Lockdowns abgebaut wurde – weil schlicht und einfach kein Nachschub mehr aus den Auspuffen kam. Um genau solche Stickoxide ging es übrigens beim Dieselskandal, wer sich erinnern kann. Es hat sich übrigens auch gezeigt, dass die Witterung, die ja eine wesentliche Randbedingung für schlechte Luft ist, den positiven Effekt des Lockdowns nicht zudecken konnte. Wir stellen uns zum Beispiel Winde vor, die den ganzen Dreck verblasen und verdünnen. Auch in Österreich meldete das UBA (Umweltbundesamt) MENSCH & UMWELT Klimawandel 209
eine deutlich höhere Luftqualität im vergangenen Jahr durch die Lockdowns. Beim Stickstoffdioxid, wie gesagt, ein wichtiger Zeiger von Luftgüte, lagen die Werte seit 1990 nicht mehr so tief. Der Wert von 40 μg/m3 wurde nie überschritten.
PASSIVHAUSmagazin: Sie definieren diesen Corona-Lockdown auf Ihrer Homepage als „größte, je angelegte Kampagne zur Luftreinigung“. Wäre eine solche Kampagne auch unter „normalen Umständen“ (ohne Corona) durchführbar? Wenn nein, warum nicht? Andreas Jäger: Vielleicht ginge es mit konsequenter unaufgeregter Aufklärung. Dass in Europa 400.000 Menschen jährlich an schlechter Luft sterben (ja, das hat auch viel mit den Dieselfahrzeugen zu tun) ist keinem bewusst. Nur so als Größenordnung: Das ist als ob Vorarlberg in einem Jahr aussterben würde. Unter dem Strich brauchen wir keine Kampagne, wir brauchen eine Umstellung der Wirtschaft und des Konsums. Das ist möglich. PASSIVHAUSmagazin: Inwieweit war diese Luftverbesserung für den „Laien” sichtbar? Gibt’s hier einige Beispiele? Andreas Jäger: Für jede und jeden, die/der gerne spazieren geht und über eine normale Selbstwahrnehmung verfügt, war es sofort zu spüren: Die Sicht war besser, die Luft frischer und besser zu atmen, einfach gesünder. Nicht zu reden von der plötzlichen Ruhe. Aus Vorarlberg weiß ich, dass die leeren Straßen einen wahren Fahrradboom ausgelöst haben. O-Ton aus dem Fahrradgeschäft: „So viele Räder habe ich noch nie verkauft!“ Die Händler sind mit Liefern nicht mehr nachgekommen. In Wien habe ich mich beim Spazieren noch nie so wohlgefühlt. Wenn wir nur wollen, können wir uns eine bessere Welt schaffen, das ist das Learning vor allem aus dem ersten Lockdown.
PASSIVHAUSmagazin: Wie war die Situation im zweiten und dritten Corona-Lockdown – vergleichbar oder hat sich ein verändertes Mobilitätsverhalten abgezeichnet? Andreas Jäger: Da kenne ich keine Daten. Aber rein subjektiv wurde viel mehr gefahren, als beim allerersten Lockdown. Grundsätzlich kann man die Menschen eben nicht einsperren. Wir sind seit jeher Nomaden, quasi „Bewegungstiere“. Wir werden uns immer bewegen wollen, wir müssen es nur sauberer machen, darum geht es.