Reuter/Mettelstiefen: Kunduz

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Marcel Mettelsiefen Christoph Reuter

Kunduz, 4. September 2009 Eine Spurensuche


Afghanische Polizisten untersuchen die Wracks der bombardier ten Tanklastwagen am Morgen des 4. September 2009

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»… nur noch minimalste Spuren von Humanmaterial …« Die Geschehnisse in der Nacht vom 3. auf den 4. September 2009 3. September, Aliabad, gegen Mittag Man erkennt sie nicht. Aber sie sind die wichtigste Waffe der Taliban. Sie sehen aus wie alle Männer in ihrer jeweiligen Umgebung, besitzen ein Mobiltelefon (wie er­ staunlicherweise selbst viele der ärmsten Afghanen) und sitzen oder stehen stundenlang in der Gegend herum. Nichts Ungewöhnliches auch das. Sie sind die Augen und Ohren der Taliban, oft ohne selbst wirklich dazuzugehören oder gar eine Waffe zu besitzen: die Informanten. Sie dür fen sich wichtig fühlen und verschaffen der Aufständischenbewegung einen unschätzbaren Vorteil, da sie über alles Bescheid wissen, was sich bewegt. Jugendliche, Bauern, Hirten, Tagelöh­ ner, Ladenbesitzer, alles ist vertreten. Es ist einer dieser Informanten, der an diesem Mittag zwei Tanklastzüge beobachtet, die sich langsam von Kunduz in Richtung Süden bewegen. Er sieht und weiß oder vermutet zumindest, dass sie Treibstoff für die ausländischen Truppen geladen haben. Der Mann ruft Abdul Rahman an, den Taliban­Kommandeur des Ortes Aliabad südlich von Kunduz. Abdul Rahman reagiert rasch, lässt per Telefon seine Männer zusammentrom­ meln, um die Tanklaster abzufangen, die am Morgen die tadschikische Grenze passiert haben. Es gibt keinen Plan. Die Wagen sollen nicht angegriffen, sondern ent­ führt werden, um an den Treibstoff zu kommen. Die voll­ beladenen, über 20 Jahre alten Fahrzeuge bewegen sich

nur langsam voran. Hätte nicht einer der Wagen eine Panne gehabt, wären sie vielleicht davongekommen. Ein Radlager blockiert. Kaum haben die Fahrer es an einer Tankstelle ge­ wechselt und sind wieder aufgebrochen, stürzen ein paar hundert Meter entfernt zwei Dutzend Taliban aus der Böschung – Abdul Rahmans Männer, die ihnen hier auf­ gelauert haben. Sie haben Kalaschnikows dabei, Panzer­ fäuste – aber, zumindest einige von ihnen, nicht einmal Sandalen an.

3. September, Hadschi Ghafour, gegen 15 Uhr Hadschi Ghafour lautet der Name der Furt, die noch auf alten sowjetischen Karten verzeichnet ist und früher hier der einzige Weg durch den Kunduz­Fluss war – sofern das Wasser im Sommer und Herbst niedrig genug stand. Ein paar schüttere Baumreihen, dahinter Felder und Wie­ sen, die jetzt im September staubgelb aussehen. Hier wollen die Taliban mit den beiden gekaperten Tanklastern durch den Fluss, und genau das verlangen sie von den Fahrern. Sie selber haben keine Ahnung, wo ein Lkw durchkommen kann und wo nicht. Und dass sie mit den Fahrzeugen erst ein Stück nach links durchs Wasser müssten, denn direkt gegenüber der Furt macht eine steile Böschung das Hochkommen unmöglich.

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Der eine Fahrer, er heißt Houmayoun, sagt, er würde mit den vollbeladenen Mehrtonnern nie durch den Fluss kommen. Die Taliban schießen ihm eine Kugel in den Kopf – vor den Augen seines 14­jährigen Bruders. Der andere Fahrer, er heißt Abdul Malek, wird bis zum Bom­ bardement in der Gewalt der Taliban um sein Leben fürchten. Er versucht, seinen Wagen durch den Fluss und die Furt zu lenken – und bleibt ebenso stecken wie sein Kollege. Es geht nicht. Houmayoun hatte recht. Aber es zu früh auszusprechen hat ihn das Leben gekostet.

3. September, Polizeihauptquartier, Kunduz, 17 Uhr Der tief auch in die Kreise der Taliban hinein ver­ netzte afghanische Geheimdienst NDS er fährt als Erster von der Verschleppung der Tanklaster. Ein NDS­Mann ruft um 17 Uhr im Hauptquartier der Polizei von Kunduz an, meldet die Entführung. Im Hauptquartier steht zwar von Deutschen und Amerikanern finanzierte modernste Kom­ munikationstechnik, aber die nützt wenig, wenn so spät am Nachmittag andernorts niemand mehr ans Telefon geht. Der Diensthabende ist allein, die Deutschen sind pünktlich um 16 Uhr gegangen, er erreicht niemanden. Stunden verstreichen.

3. September, »Task Force 47«, Lager Kunduz, etwa 21 Uhr Die Operationszentrale der »Task Force 47« ist das geheime Kommandozentrum im Lager. Auf rund 500 Quadratmetern residiert hier das offiziell gar nicht exis­ tierende »Kommando Spezialkräfte«, KSK. In einem Hightech­Raum, vollgepfropft mit Computern, Monitoren, Landkarten und modernster Kommunikationstechnik. Hier sitzt Luftleitober feldwebel W., Codename »Red Baron«, und dirigiert wie ein Lotse Piloten in der Luft zu ihren Einsätzen. Gleichfalls im Raum: Hauptfeldwebel V. von der KSK, dazu kommen drei Nachrichtendienstler: Hauptfeldwebel S., Ober feldwebel F. und ihr Vorgesetzter, Hauptmann N. Sie sind verantwortlich für die Führung der afghanischen Spitzel, Fachjargon: HUMINT für Human Intelligence. Ein afghanischer Informant der KSK, er wird als »zu­ verlässig« eingestuft, hat per Mobiltelefon die Entführung der Lastwagen gemeldet. Aus abgehörten Gesprächen der hektisch telefonierenden Taliban lässt sich bestäti­ gen, dass sie zwei Lastzüge entführt haben und über den Fluss ins Innere des Distrikts Chardara bringen wollen. Davon, das deutsche Lager anzugreifen, ist nie die Rede. Die Polizeidirektion II in Kunduz bestätigt die Information. Oberst Georg Klein, der Kommandeur des euphemistisch »Provincial Reconstruction Team«, PRT, genannten deut­ schen Militärlagers, wird hinzugerufen. Um 21.52 Uhr

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befiehlt er, dass ein amerikanischer B­1­Bomber die ge­ stohlenen Fahrzeuge lokalisieren soll. Er verlässt den Raum und gibt Order, ihn zu kontaktieren, »wenn sich das Lagebild um die Laster verdichtet und Aktivität von Auf­ ständischen festgestellt wird«. Klein hat den Ruf eines besonnenen Befehlshabers. Der feinsinnige Liebhaber klassischer Musik hat eine steile Karriere hinter und, so sieht es an diesem Abend noch aus, vor sich. Geboren 1961, Enkel eines Offiziers, verpflichtet sich Georg Klein sofort nach dem Abitur für zwölf Jahre bei der Bundeswehr und schlägt die Offiziers­ laufbahn ein. Alle Stationen meistert er pannenfrei, Stu­ dium an der Bundeswehrhochschule in Hamburg, Verwen­ dungen als Stabsoffizier noch in Bonn, als Kommandeur eines Panzerbataillons im rheinland­pfälzischen Wester­ burg, dann wird er Planer in der Ständigen Vertretung der Deutschen bei der Nato in Brüssel. Ein Offizier, der die Ausbildung mit ihm gemeinsam absolviert hat, erinnert sich an ein Manöver, bei dem es einen tragischen Unfall in Kleins Gruppe gab. Ein Panzer hatte mit seinem Rohr im Nebel einen Lastwagen ge­ rammt und den Fahrer getötet: »Klein hat absolut ruhig und präzise Schritt für Schritt das Richtige getan, sofort die Übung abgebrochen, alle Stellen informiert. Man hatte das Gefühl, er kann mit solchen Situationen genau richtig umgehen.« Seit 2006 dient Georg Klein im Rang eines Obersten im Generalstab bei den Panzergrenadieren in Leipzig.

Nun soll er sich in der Praxis bewähren – als Komman­ deur in Kunduz, dem härtesten Posten, den die Bundes­ wehr an einen Oberst zu vergeben hat. Und den sie nicht immer glücklich besetzt hat: 2007 wurde ein damaliger Kommandeur während seines Einsatzes vom vorgesetz­ ten Brigadegeneral in Mazar­i­Sharif abgesetzt und nach Hause geschickt. Bei Klein macht sich niemand Sorgen. Er hat den Sicherheitsstatus »Nato Cosmic Secret«, mindestens fünf Top­Militärs haben für ihn gebürgt, und Anfang April ist er nach Kunduz gekommen. Sechs Monate soll er bleiben. Doch »Praxis« ist eine allzu milde Umschreibung für die Lage in Kunduz: Seit dem Frühjahr sind mehr als 100 Kämpfer der Taliban in die Provinz Kunduz eingesickert, viele von ihnen aus Helmand. Seit Juni legen die Taliban nicht nur Sprengfallen und schießen auf die Soldaten, sondern legen tief gestaffelte Hinterhalte und setzen deut­ schen Truppen sogar nach, wenn die sich zurückziehen wollen. Drei gerade erst in Afghanistan eingetroffene Soldaten ertrinken Ende Juni in Chardara, als ihr Fuchs­ Transportpanzer bei einem Ausweichmanöver unter Be­ schuss der Taliban in einen Wassergraben abrutscht. Der Druck steigt von allen Seiten: Die Amerikaner ma­ chen immer unverhohlener deutlich, dass sie die Deut­ schen für Weicheier halten, die den Norden des Landes nicht unter Kontrolle bekommen. Das Verteidigungsminis­ terium in Berlin will Er folge sehen, aber um Gottes willen ohne jedes Risiko eigener Verluste. Und Klein hat gar

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nicht die Mittel – Kampfhubschrauber, Haubitzen –, sich aggressiver behaupten zu können, und nicht das Mandat, etwa ohne afghanisches Militär Razzien in den Dör fern durchführen zu können. Mitte August ist Oberst Georg Klein noch immer der ruhige Zuhörer, der nicht vorschnell herumbrüllt oder einsame Entscheidungen trifft. Aber der Druck geht auch an ihm nicht spurlos vorüber. Der Mann, der die militä­ rische Wirklichkeit des Krieges bislang vor allem aus Manövern und Tischvorlagen kannte, scheint es zuneh­ mend schwerer zu ertragen, dass die Dinge nicht so laufen wie angeordnet. Wie sie zu laufen haben. Selbst wenn es nur ein lächerliches Detail ist: Als seine Solda­ ten immer wieder gegen die Vorschrift verstoßen (wie sie das auch vorher bereits getan haben), nur mit Schritt­ geschwindigkeit durchs Lager zu fahren, befiehlt er, vor jedem fahrenden Fahrzeug jemanden herlaufen zu lassen. Nicht nur zum Einweisen der Schützenpanzer, sondern vor jedem Wagen. Schrittgeschwindigkeit eben. Das hat keiner seiner Vorgänger getan. Es fällt Besuchern auf, weil es so gar nicht zum Naturell des Obersten passt.

3. September, Hadschi Ghafour, kurz vor 21.30 bis 22 Uhr Die Entführer der beiden Tanklastzüge haben es schließlich begriffen: Mit den tonnenschweren Fahrzeugen

kommen sie nicht durch den Sand und Kies der Furt. Sie haben den Fahrer geschlagen und bedroht und auf ihren Anführer Abdul Rahman gewartet. Alles schien so ein­ fach, und nun geht es seit Stunden nicht weiter. Die meis­ ten der Taliban kommen aus den Dör fern der Umgebung, sie wissen, wer hier einen Traktor besitzt. Gegen 21.30 Uhr stehen sie vor dem Haus von Abdul Qadir: Er solle mit seinem Traktor kommen, um die Laster freizuschlep­ pen. Dass sie ihn bedrohen, sagt niemand. Sie fragen, er kommt, gemeinsam mit seinem Bruder Mohammed Nur. So wie auch zwei weitere Männer, die Traktoren besitzen. Mehr als eine Stunde lang versuchen sie, mit ihren Traktoren die Laster freizuziehen. Vergeblich. Mit jeder Be­ wegung der Räder versinken die Tankfahrzeuge tiefer im weichen Untergrund. »Das war wie Kino«, sagt Mohammed Nur später, »alle kamen, um sich das anzuschauen!« Sonst sei ja nicht viel los in Chardara. Bis auf die buschbewachsene Sandbank in der Mitte des Flusses sind die Laster gekommen, aber nun geht es einfach nicht weiter. Entnervt schlagen einige der Entfüh­ rer vor, den Diesel einfach abzulassen, damit es schneller geht. Andere halten dagegen: Der Inhalt der Tanks sei doch kostbar! Der Druck der stetig anwachsenden Menge und ihre Meinung sind eindeutig. Rasch drängen sich die ersten Männer um die Auslassventile und Öffnungsklap­ pen, und schließlich machen die Taliban aus der Not eine barmherzige Aktion: Der Sprit wird verschenkt. Jeder dar f mitnehmen, so viel er tragen kann.

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Rasend schnell spricht sich die einmalige Gelegenheit herum. Erst sind die Taliban, ihre Helfer und jene am Zug, die sich schon um die Furt versammelt hatten, um dem Schauspiel beizuwohnen. Aber mit jeder Minute kommen mehr Leute dorthin, haben Bushqas dabei, kleine Kanister, aber auch Krüge, Trichter aus Metall und Plastik, die sie unter die großen Auslassventile halten, damit nichts von der wertvollen Flüssigkeit danebenläuft. Andere bedienen sich mit Schöpfkellen aus den oberen Öffnun­ gen der Tanks. Ein Liter Diesel kostet fast einen Dollar – viel Geld bei einem Durchschnittsverdienst von umgerech­ net ein paar Dutzend Dollar pro Monat.

3. September, Region Chardara, zwischen 22 und 23 Uhr Kaum jemand aus den Dör fern in Chardara erinnert sich an ganz exakte Uhrzeiten, aber den Takt der Nacht gibt in diesen Wochen ohnehin der Ramadan vor: Nach Sonnenuntergang, mit dem Fastenbrechen, erwachen die Menschen aus der Lethargie des Tages. Erst jetzt dar f wieder gegessen, getrunken werden. Bis zum Sonnnen­ aufgang, wenn, so die Legende, ein weißer von einem schwarzen Faden wieder zu unterscheiden sein wird. Gegen 22 Uhr versammeln sich viele Männer in den Moscheen zum Tarawe, dem Nachtgebet. In den Dör fern sind die meisten Menschen, darunter viele Kinder, noch

auf den Beinen. Und die Nachricht von den auf der Sand­ bank feststeckenden Diesel­Transportern verbreitet sich rasch. Erst sind es die Verwandten und Freunde der Taliban und die Anwohner der Furt, die von den gestran­ deten Lastwagen er fahren. Dass die Entführer einen der Fahrer ermordet haben, macht ebenfalls die Runde, und in vielen Familien wird diskutiert: Gehen? Nicht gehen? Zurückgehalten habe manchen eher die Angst vor einem Angriff der Isaf­Truppen als die Scham, wird ein Über­ lebender später angeben. Die Leute strömen aus Hadschi Amanullah, aus Issa Khel, aus den weit auseinanderliegenden Ortsteilen des Dor fes Omar Khel, aus Yacub Bayi und sogar aus dem über eine Wegstunde entfernten Gul Bagh an den Fluss. Aber es sind ausschließlich paschtunische Dör fer, aus denen die Menschen kommen – aus tadschikischen Dör­ fern, die ebenso nah an der Furt liegen, kommt nie­ mand.

3. September, »Task Force 47«, 23.34 Uhr Der afghanische Spitzel der deutschen Geheimdienst­ ler ist einer von vielen Männern aus Chardara, die in dieser Nacht permanent telefonieren, mit Leuten an der Furt, mit Freunden. Nur er telefoniert noch mit einer an­ deren Stelle: der »Task Force 47«. Er gibt seinem Agenten­ führer durch, wo sich die beiden Tankwagen in der Furt

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im Kunduz­Fluss festgefahren haben. Von Luftleitober feld­ webel W., »Red Baron«, wird der amerikanische Pilot des B­1­Bombers über die Position informiert.

4. September, Hadschi Ghafour, 0.14 Uhr Aus 10 000 Metern Höhe funkt der B­1­Pilot: »B1­B über zwei Tanklastzügen, zwei Pick­ups und eine unbe­ stimmte Anzahl von INS« – »Insurgents«, Aufständischen – »bei Koordinate 42 S VF 89035202.« Die Sandbank. 52 Sekunden später erscheinen die Lkw live auf dem Monitor von »Red Baron«. Bei den Militärs heißt diese Stelle schon seit einer Weile »Furt Mischa­Meier­Brücke«. Nach Angaben von Überlebenden drängen sich zu dieser Zeit mehrere hundert Menschen um die Laster, vielleicht 300, vielleicht 500, halbe Dör fer sind auf den Beinen. Es wird geschrien, geschubst, gedrängelt, denn die Menge ist weit schneller angeschwollen, als das Abfüllen vonstattengeht. Die Anführer der Taliban sind längst gegangen, da klar war, dass sich die Laster vor­ erst nicht werden bewegen lassen. Lediglich einige ihrer Männer sind mit ihren Waffen bei den Fahrzeugen ge­ blieben, um die wütende Menge zu kontrollieren und darauf zu achten, dass sich der Treibstoff, der auch in den Fluss fließt, nicht entzündet. Erst nach Mitternacht verebbt das Gedränge langsam, es folgen immer weniger Menschen nach, während nach

Hause geht, wer seinen Kanister gefüllt hat. Wer jetzt noch kommt, sind die Nachzügler, die als Letzte von den Lkw er fahren oder den weitesten Weg haben. Doch davon, dass die Menschen schlicht die Ladung der Tankfahrzeuge plündern möchten, er fährt der Stab um Oberst Klein offensichtlich nichts. Der Informant der KSK hat immer nur von Taliban gesprochen. Sieben Mal will Klein nachgefragt haben, ob sich auch wirklich keine Zivilisten bei den Tankwagen aufhielten. Doch wer ist der Afghane, dessen Diktum den Aus­ schlag gibt für den tödlichsten Befehl eines deutschen Offiziers seit dem Zweiten Weltkrieg? Ende September, bei den Einvernahmen durch die Leiter der Isaf­Unter­ suchung, wird Klein beteuern, der Führungsoffizier des Spitzels habe ihm versichert, dass es sich um eine ver­ lässliche Quelle handele, die bereits in anderen Fällen sehr gute und zuverlässige Informationen geliefert habe. Was ihm der Führungsoffizier, den die Isaf­Ermittler neun Tage zuvor einvernommen haben, offensichtlich nicht gesagt hat: dass er Oberst Klein wiederholt darauf hinge­ wiesen habe, dass Skepsis angebracht sei. So seine Aussage. Es habe durchaus im Rahmen des Möglichen gelegen, »dass der Informant sein eigenes Spiel spiele«. So, wie es bei ähnlichen Bombardements der Amerikaner seit 2002 wiederholt geschehen ist: Um lokale Fehden ein für alle Mal zu entscheiden, wurde den US­Militärs mitgeteilt, im Dor f XY hätten sich Taliban versammelt. Woraufhin die Amerikaner erst bombardierten und dann

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feststellten, dass sie die Falschen getroffen hatten: eine Hochzeitsfeier in Uruzgan, eine Trauer feier in Herat, ein­ mal sogar eine Stammesdelegation auf dem Weg zu einer Ratsversammlung in Kabul, die von den Amerikanern selbst einberufen worden war. Genau dies wollte General McChrystal, seit Juli 2009 auf dem Chefposten in Kabul, mit seiner neuen Direktive ändern, die jede Form der Luftunterstützung und Bombar­ dements an weit rigidere Regeln bindet als zuvor.

4. September, PRT Kunduz, 1 Uhr Die Offiziere in der »Task Force 47« haben Oberst Klein um 0.15 Uhr wecken lassen. Sie wissen, wo die Tanklaster sich befinden, und auf dem Monitor des Luft­ leitober feldwebels W. sind die Menschen als kleine Flecken auf den Schwarz­Weiß­Bildern zu erkennen. Sie bewegen sich. Aber etwas ist seltsam: Sollte der KSK­ Informant recht haben und es sich ausschließlich um Taliban handeln, wäre dies eine riesige Operation. Die Taliban gehen für gewöhnlich in Gruppen von 5, 10, 20 Mann vor – nicht zu Hunderten an einem Ort. Doch auf den Funkbildern ist nicht zu erkennen, ob es sich um Zivi­ listen, Taliban, Sympathisanten, Mitläufer handelt. Da sind nur Punkte in einer Grauzone. In jeder Hinsicht. Vom PRT bis zur Furt sind es etwa sechs Kilometer, der größte Teil der Strecke verläuft über die hervorragend

ausgebaute Überlandstraße nach Süden. Man könnte an­ nehmen, dass es in einem knapp 1000 Soldaten starken Militärlager die Möglichkeit gäbe, einfach einen Erkun­ dungstrupp auszusenden. Aber Klein schickt keine Trup­ pen zur Sandbank – weil er keine hat. Die Taliban könnten nahe der Furt einen Hinterhalt gelegt haben. Die ver füg­ baren mobilen Kräfte sind im Norden der Provinz, zwi­ schen dem Ort Imam Sahib an der tadschikischen Grenze und dem unzugänglichen Distrikt Archi, seit Stunden in Kämpfe verwickelt, bei denen drei Soldaten verwundet werden. Die spätere Aussage eines Nato­Offiziers, im PRT seien »gewissermaßen nur noch Frauen und Kinder« gewesen, übertreibt den wahren Kern seiner Behaup­ tung: Es waren nicht mehr die er forderlichen zwei Kompa­ nien im Lager, um ins unübersichtliche Chardara ausrü­ cken und die Ausgerückten schlimmstenfalls wieder freikämpfen zu können. Zwei Tanklaster, entführt von zwei Dutzend Taliban, die zum Teil nicht einmal Sandalen besitzen, sechs Kilometer vom PRT entfernt – und alles, was Klein übrig bleibt, ist, Luftunterstützung anzufordern. Denn armierte Hubschrauber, wie die US­Truppen sie im Sommer 2010 zu Dutzenden nach Kunduz bringen wol­ len, hat die Bundeswehr dort nicht im Einsatz. Der afghanische Informant der KSK hält sich derweil in einiger Entfernung von der Sandbank versteckt und gibt durch, rund um die Lastwagen hielten sich ausschließlich Taliban auf, was er jedoch gar nicht sehen kann. Unter den Taliban seien vier lokale Größen der Bewegung, einer

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von ihnen: Abdul Rahman, der Kommandeur des Ortes Aliabad südlich von Kunduz. Doch der hat zu diesem Zeit­ punkt den Ort des Geschehens längst verlassen, an dem er sich ohnehin nur kurz zeigte, als er lange vorher am Abend in einem gekaperten Ford Ranger der Polizei vor­ fuhr und die Versuche ver folgte, die Laster aus dem Fluss zu ziehen. Oberst Klein will wissen, für wie verlässlich die Bun­ deswehr­Geheimdienstler ihre Quelle halten. Der Haupt­ mann im Kommandostand schränkt ein, dass Meldungen aus nur einer Quelle »grundsätzlich nicht als absolut anzunehmen« seien und eine zweite Quelle hinzugezogen werden sollte. Hektisch wird tatsächlich nach weiteren möglichen afghanischen Quellen herumtelefoniert; wie es scheint, ohne Ergebnis. Was weit rätselhafter ist: Klein will partout allein ent­ scheiden, sichert sich bei niemandem ab, wie es bei einer Operation dieser Dimension üblich wäre. Weder lässt er den Rechtsberater wecken, noch informiert er seinen Vorgesetzten, Brigadegeneral Jörg Vollmer, den Komman­ deur des »Regional Command North« in Mazar­i­Sharif. Auch das Isaf­Hauptquartier in Kabul, dessen oberster Chef, US­General Stanley McChrystal, doch kurz zuvor die Order ausgegeben hatte, größere Rücksicht auf das Leben von Zivilisten zu nehmen, bleibt außen vor. In der Luft muss der B­1­Bomber abdrehen, sein Kero­ sin­Vorrat geht zur Neige. Die amerikanische Luftleitzen­ trale sichert den Deutschen Ersatz zu: zwei F­15­Jets, ge­

flogen von Piloten mit den Codenamen »Dude 15« und »Dude 16«. Nach elf Minuten meldet sich der erste Pilot und gibt durch, den Einsatzort erreicht zu haben.

4. September, »Task Force 47«, 1.17 Uhr Auf dem Monitor können Klein und seine Leute jetzt die Bilder sehen, die aus den F­15 gefunkt werden. Doch die Piloten wollen eindeutig wissen, warum sie bombar­ dieren sollen. Und ob die Menschenmenge dort unten tatsächlich nur aus Taliban besteht. Was sei mit den Fah­ rern der Tankwagen? Auch fragen sie nach, ob es zwi­ schen den Aufständischen und den deutschen Truppen tatsächlich »troops in contact«, Feindberührung, gegeben habe wie zuvor vermeldet. Die Antwort, übermittelt von »Red Baron«: Ja. Trotzdem bleiben die Piloten misstrau­ isch, schlagen vor, erst mal im Tiefflug über die Furt zu ziehen »und die Leute rennen zu lassen«. Das aber will Kunduz nicht. »Red Baron« weist die Piloten an, ihre F­15 »zu verstecken«. Die Menschen am Boden sollen gerade nicht gewarnt werden. Im Protokoll von Kleins Vernehmung wird später ste­ hen: »Sein Problem sei gewesen, dass er gewusst hätte, dass es in Wirklichkeit keine TIC­Situation gab«, keine Feindberührung. »Er war der Ansicht, dass er bei Meldung einer TIC­Situation die gewünschte Luftunterstützung be­ kommen werde.«

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4. September, im Luftraum über Kunduz, 1.22 Uhr Die Piloten plädieren noch einmal dafür, im Tiefflug über die Menschenmenge zu donnern und sie zu zer­ streuen. Abschlägig beschieden von »Red Baron«. Sie sollten abwarten. Aber wenn schon bombardiert werden soll, dann mas­ siv, empfehlen die Piloten und raten zu zwei 2000­Pfund­ Bomben und einigen 500­Pfund­Bomben in Anbetracht der anwachsenden Zahl der Fahrzeuge am Flussufer.

4. September, im Luftraum über Kunduz, 1.31 Uhr Um welches Ziel es denn genau gehe, fragen die Piloten nach. Die Tanklaster? Oder die Menschen um sie herum? Antwort: Beide. Auch die Menschen sollten ge­ troffen werden, lässt »Red Baron« verlauten. Den Piloten scheint der Vernichtungswille in Kunduz nicht geheuer. Sie wollen sich absichern und schlagen eine »dynamische Zieler fassung« vor, die auch den Einsatz von Drohnen und anderen Aufklärungsmitteln umfasst, die vor allem aber die Isaf­Zentrale in Kabul involvieren würde. Genau das möchten Klein und sein Luftleitober feldwe­ bel nicht. Die Tanklaster seien als »Sofortziel« zu definieren. Die Piloten unternehmen einen weiteren Versuch: Es solle doch die Zustimmung des US­Zentrums für Luft­ operationen eingeholt werden, das im Scheichtum Katar

am Persischen Golf operiert, damit »beide Seiten abge­ sichert« seien. »Red Baron« hält dagegen: Er habe »die Zustimmung« von Klein, der neben ihm sitze. Mehr fach bitten die Piloten darum, erst im Tiefflug über die Furt fliegen zu dür fen. »Red Baron«: »Negativ. Ich will, dass ihr direkt angreift!« Das aber nur mit zwei 500­Pfund­Bomben.

4. September, im Luftraum über Kunduz, 1.46 Uhr Die Piloten versuchen es mit einer weiteren Einsatzre­ gel, die beachtet werden muss bei einem solchen Angriff: Ob die Aufständischen am Boden denn tatsächlich eine »unmittelbare Bedrohung« darstellten? »Red Baron«: »Ja, diese Menschen stellen eine akute Bedrohung dar!« Unmittelbar im Anschluss entkräftet er seine eigene Be­ hauptung und gibt zu, dass man in Kunduz bereits wisse, dass die Aufständischen gerade dabei seien, den Treib­ stoff abzuzapfen – aber »danach werden sie sich neu formieren, und wir haben Erkenntnisse über laufende Ope­ rationen und darüber, dass sie vermutlich Camp Kunduz angreifen werden«. Dies ist eine Lüge und überdies vollkommen abwegig. Der spätere Untersuchungsbericht hält fest, dass es keine sicheren Erkenntnisse gegeben habe, »die auf einen geplan­ ten Angriff der Taliban« auf das deutsche PRT hingewiesen hätten, kurzum: Es habe »keine akute Bedrohung« gegeben.

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Sollte Oberst Klein tatsächlich einen Angriff auf das Lager befürchtet haben, hätte es nahegelegen, zumindest die verbliebenen Truppen zu alarmieren und die Strecke vom Checkpoint an der Hauptstraße den Hügel hinauf bis zum Lager mit geschützten Fahrzeugen und Maschinen­ gewehren sichern zu lassen. Nicht einmal ein Motorrad kommt die gut einsehbare Allee und die kurvige Steigung zum PRT hinauf, ohne bemerkt zu werden. Schon gar nicht gelänge dies zwei Tanklastzügen, und erst recht nicht, wenn sie bereits erwartet werden. Doch nichts dergleichen geschieht. Einer der Piloten wird später zu Protokoll geben, Georg Klein sei ihnen wie »ein Kommandeur vorgekommen, der wirklich darauf drängte, die Bomben einzusetzen«. Wie es später der Untersuchungsbericht formuliert: »Die Besat­ zungen berieten sich darüber, dass sie keine Einsatz­ regeln finden konnten, welche eine Bombardierung des Ziels rechtfertigen würden.« Doch durch die Angabe der unmittelbaren Bedrohung hätten sie keine weiteren Ein­ wände in der Hand gehabt. Im Nachhinein werden die minutiös festgehaltenen Funksprüche und Dialoge das Bild eines vorsätzlich lügen­ den deutschen Obersten zeichnen, der genau wusste, was er tat. Andererseits erscheint hinterher leicht alles klarer, als es in der betreffenden Nacht tatsächlich war. Fünf Monate später wird Georg Klein vor dem Unter­ suchungsausschuss des Bundestages auf Nachfrage er­ klären, von vielen Vorgängen nichts gewusst zu haben, als

er seine Entscheidung fällte. So habe er den Funkverkehr zwischen seinem Luftleitober feldwebel und den US­Pilo­ ten, welche die Bomben abwar fen, kaum ver folgt. Doch wer hat dann wozu seine Zustimmung gegeben? Und auf welcher Grundlage fällte Klein seine Entscheidung, wenn schon die Einschätzungen bezüglich der Redlichkeit des afghanischen KSK­Informanten sehr weit auseinander­ lagen? Der Mann war schließlich die einzige Quelle für die Beantwortung der Frage, wer sich bei den Tanklastern auf­ hielt. War er absolut verlässlich? Oder eben doch nicht?

4. September, im Luftraum über Kunduz, 1.48 Uhr Pilot »Dude 15« erklärt: »One minute out« – noch eine Minute bis zum Auslösen der Bomben. »Red Baron« erteilt die Freigabe.

4. September, Hadschi Ghafour, 1.50 Uhr Zwei 500­Pfund­Bomben vom Typ GBU­38 aus den F­15­Jets detonieren über der Furt. Erst ein, dann zwei gigantische Feuerbälle steigen in den Himmel. Die Wucht der Explosion zer fetzt jene, die sich unmittelbar bei den Tankwagen aufhalten. Sie reißt jeden nieder, der noch Dutzende Meter entfernt steht. Wie Mohammed Nur, der als einziger von drei Brüdern überleben wird. Er stürzt,

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eine Gischt aus Feuer und Diesel trifft ihn, er rappelt sich hoch, rennt davon, will sich die brennende Hose vom Leib reißen, doch der Stoff ist bereits mit der Haut ver­ schmort. Die Brandnarben werden noch Monate später zu sehen sein. Leichenteile, Hände, Köpfe, verschmorte Kanister regnen vom Himmel, ein Kopf und die Haut eines Oberkörpers, abgerissen vom Rumpf, liegen wie ein gespenstisches Kostüm im Schlamm.

4. September, »Task Force 47«, 1.56 Uhr Ein Unteroffizier vermerkt im Protokoll: »tasks closed«. Oberst Klein verlässt den Befehlsstand und geht ins Bett. Den Feuerball über der Furt haben er und die anderen im Befehlsstand am Monitor gesehen – als grauen Nebel­ schleier, der sich rasch ausbreitet und langsam verblasst. Als er verschwunden ist, bewegt sich fast keiner der Punkte am Boden mehr.

4. September, Hadschi Ghafour, 2.28 Uhr Im Tiefflug ziehen die beiden F­15­Jets über die Ab­ wur fstelle ihrer Bomben, nehmen Infrarotbilder des Infer­ nos auf und funken sie an die Einsatzzentrale. Aufgrund dieser Bilder kommt die Zahl von den »56 Insurgents Killed in Action« in die Welt, jenen 56 getöteten angeb­

lichen Taliban, die der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung auch Tage später noch wiederholen wird, als selbst die Isaf­Führung längst öffentlich eingestanden hat, dass auch Zivilisten unter den Opfern gewesen seien.

4. September, Hadschi Ghafour, zwischen 3 und 5 Uhr morgens Zu Fuß, auf Motorrädern, mit Autos haben sich die Menschen dorthin aufgemacht, von wo ein gigantischer Feuerschein die Nacht erhellt. Von wo sie zuvor die Explo­ sion gehört haben, nach der sie ihre Verwandten und Freunde, die zum Dieselholen unterwegs waren, nicht mehr auf ihren Mobiltelefonen erreicht haben. Sie finden ein Inferno vor: Die Flussufer und die Sand­ bank sind ein nur langsam verebbendes Flammenmeer voller Leichen und zer fetzter Leiber. Ähnlich wie ihre Söhne, Cousins, Brüder Stunden zuvor um den Diesel gestritten haben, ringen bald darauf sehr viel leiser die Väter und anderen Verwandten darum, was sie zu Grabe tragen können: In dem Leichenfeld um die bizarr verbo­ genen Wracks der Tanklaster liegen Überreste, die nur mit Mühe als menschlich zu identifizieren sind. Die Glück­ licheren finden ganze Leichen und erkennen sogar, dass der Gesuchte darunter ist. Andere, die in dem beißenden Qualm und Geschrei vergeblich suchen, greifen sich, was sie zu fassen bekommen.

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4. September, im Dorf Hadschi Amanullah, nach Sonnenaufgang

4. September, »Regional Command North«, Mazar-i-Sharif, 7.45 Uhr

Jene Dor fbewohner, die noch nichts von ihren ver­ missten Verwandten gehört oder gefunden haben, ver­ sammeln sich vor dem Haus des Arbab, des Dor fvorste­ hers. Sie haben an der Sandbank eingesammelt, was noch nicht fortgetragen war. Omra Khan, der Arbab von Hadschi Amanullah, hat seinen Neffen Guladin bei dem Bombardement verloren. Guladin konnten sie recht ein­ fach identifizieren, da er neben seinem verkohlten Esel lag. »Jeder trat vor und sagte, wie viele Menschen aus seiner Familie getötet wurden. Erst gaben wir ihnen ganze Körper, Rümpfe. Aber als keine mehr da waren, reichten wir ihnen verkohlte Füße, Hände, Knochen. Für fünf Fami­ lien gab es am Ende nichts mehr.« Nichts, was sie be­ statten, worüber sie ihre Gebete sprechen können. Im Morgengrauen ist überall in den Dör fern von Char­ dara das Weinen und Wehklagen der Frauen, aber auch der Männer zu hören. »Nie haben wir so viele Menschen auf einmal verloren«, sagen die Leute aus den Dör fern, »nicht mal, als die Russen hier waren.«

Brigadegeneral Jörg Vollmer versteht nicht: Erst an­ derthalb Stunden nach dem Bombardement hat sein Lagezentrum aus Kunduz eine karge Mitteilung erhalten, dass 56 Aufständische im Rahmen amerikanischer Luftunterstützung durch Bomben getötet worden seien. »Vor fallsmeldung 001« liest sich, als sei in Kunduz mal wieder ein Sack Reis umgefallen. Nichts passt zueinander. Vollmer lässt ein Ermittlungsteam zusammenstellen, das sofort nach Kunduz aufbrechen soll. Auch aus Kabul kommen irritierte Nachfragen: Was genau dort geschehen sei. Was das »dammage assessment«, die Auswertung des Angriffs, ergeben habe. Ob die Einsatzregeln befolgt worden seien. Doch eine solche Auswertung hat es noch nicht gege­ ben, eben weil die Einsatzregeln nicht eingehalten wor­ den sind. Die sehen vor, dass unverzüglich ein Team auf­ bricht, um festzustellen, was wirklich geschehen ist. Eine Lehre aus früheren US­Bombardements, als man die Wahr­ heitsfindung und somit auch die Deutungshoheit über die Opferzahlen den Afghanen vor Ort überlassen hatte und anschließend nie mehr fundiert den Behauptungen entgegentreten konnte, es seien ausschließlich Zivilisten getötet worden. Doch Oberst Klein hat kein Team losge­ schickt und wird dies bis zum Mittag nicht tun.

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4. September, PRT Kunduz, gegen 8 Uhr

4. September, PRT Kunduz, ab 10 Uhr

Oberst Georg Kleins Stimmung sinkt. Eben hat er noch freudig verkündet: »Wir haben Abdul Rahman erwischt«, der Taliban­Führer, der für mehrere Anschläge auf deut­ sche Soldaten verantwortlich gemacht wird, sei tot. Doch mit jeder Nachfrage aus Mazar und Kabul wird er ner­ vöser. Auch dass nicht einmal ein lokaler Taliban­Führer, geschweige denn Abdul Rahman unter den Toten ist, er fährt er bald. Ein »Assistent« vom ihm sei umgekom­ men, wird die afghanische Polizeiführung in Kunduz spä­ ter angeben.

Der Gouverneur der Provinz Kunduz, Mohammed Omar, kommt zu Besuch. Zuvor hat er bereits mit Klein telefoniert und ihm versichert, es habe die Richtigen getroffen: »Ausschließlich Taliban!« Später wird er vor­ schlagen, die Deutschen sollten dort öfter so bombardie­ ren, »dann hätten wir hier keine Probleme«. Als er zum PRT kommt, hat er sogar Geschenke dabei, darunter einen grün gestreiften »Chapan«: jenen Mantel, den Prä­ sident Hamid Karzai so gern trägt, wenn ausländische Besucher kommen. Klein ist erleichtert, obwohl er genug Details über Omar kennt, die ihn vorsichtiger stimmen sollten. Jahrelang verfolgten die deutschen Abhörexperten mit, wie der Gouverneur diskret mit den Taliban koope­ rierte, Informationen weitergab, sie vor Operationen der Deutschen warnte. Mehrere Vorgänger Kleins hatten sich die Absetzung des auch in legalen wie illegalen Handels­ geschäften aktiven Gouverneurs gewünscht – vergeblich. Der Mann hat mächtige Beschützer in Kabul. Dann jedoch haben die Taliban Omars Bruder umge­ bracht. Ob es eine persönliche Fehde war oder ein politi­ scher Mord, bleibt unklar. Auf jeden Fall wandelt sich Mohammed Omar: vom Opportunisten, der auf vielen Schultern trägt, zum erbitterten Feind der Taliban und ihrer mutmaßlichen Sympathisanten. Mithin ist der ganze Distrikt Chardara für ihn Feindesland. Da treffe es nie einen Falschen. Hauptsache, es trifft.

4. September, Isaf-Hauptquartier, Kabul, 8.15 Uhr Auch der Isaf­Kommunikationschef er fährt auf Umwe­ gen von dem Bombardement: Al­Dschasira, der Satelliten­ sender aus Katar, hat es bereits gemeldet, ebenso, dass unter den Dutzenden Toten Taliban, aber auch Zivilisten seien. Auch im »Combined Joint Operation Center«, dem Hirn des gesamten Militäreinsatzes, rätseln die Offiziere: Was genau ist in Kunduz geschehen? Und wo? Wie kann es sein, dass es so viele Tote gegeben hat, man aber auch Stunden später von den Verantwortlichen in Kunduz nur derartig spärliche Informationen bekommt?

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Unter den deutschen Offizieren in Nordafghanistan entspinnt sich derweil ein bizarres Kompetenzgerangel um die Hoheit über die Ermittlungen: Auf Befehl aus Mazar­i­Sharif wird Major T., der Chef der Feldjäger im PRT Kunduz, mit den ersten Ermittlungen betraut. Die Beteiligten der Aktion sollen einvernommen, die Bilder und Videos der Flugzeuge und Drohnen, die Protokolle des Funkverkehrs zusammengetragen werden. Doch Klein und einige weitere zeigen offensichtlich wenig Interesse daran. »Red Baron«, der für die Kommunikation mit den amerikanischen Piloten verantwortliche Ober feldwebel, weigert sich schlichtweg: »Nur nach Freigabe« von Oberst Klein werde er sich äußern. Als Klein gegen 12 Uhr mittags schließlich ein Feldjäger­ Team zur Sandbank aufbrechen lässt, wird vorher sicher­ gestellt, dass von den mittlerweile eingetroffenen Ermitt­ lern aus Mazar niemand dabei ist. Vollmers Männer seien »vor Ort nicht erwünscht«, heißt es später im Protokoll.

4. September, Hadschi Ghafour, 12.34 Uhr Die Feldjäger aus dem PRT treffen an der Sandbank ein. Sie finden einen seltsam aufgeräumten Ort vor: Keine Leichen, keine Verletzten, nur wenige Körperteile liegen dort. Wie es ein Feldjäger in eigentümlicher Prosa notierte: »Es sind nur noch minimalste Spuren von Humanmaterial zu finden.« Denn das »Humanmaterial«,

das, was die Menschen aus Chardara als ihre Angehöri­ gen bezeichnen, haben sie schon bis zum kleinsten Stückchen eingesammelt. Auch die Waffen, deren durchglühte Reste nach dem Bombardement neben den Fahrzeugwracks lagen, sind verschwunden. Einen ersten Schwung hat ein Mann nach Zeugenaussagen noch vor Sonnenaufgang eingesammelt und weggetragen, vier zerstörte Kalaschnikows hat die afghanische Polizei am frühen Morgen beschlagnahmt. Während in der Ferne einmal kurz Schüsse fallen, fotografieren die Feldjäger die Szenerie und fahren dann zurück zum PRT.

4. September, Isaf-Hauptquartier, 16.30 Uhr General Stanley McChrystal, hager, asketisch, auf­ merksam, befehlsgewohnt und zunehmend wütend, hat eine Videokonferenz mit den Befehlshabern in Kabul, Mazar­i­Sharif und den Nato­Zentralen in Belgien und den Niederlanden anberaumt. »Update, please«, wendet er sich an Brigadegeneral Vollmer aus Mazar, der sich die meisten Informationen selbst erst mühsam aus Kunduz beschaffen musste. Vollmer kennt auch noch keine an­ dere Zahl als jene »56 Aufständischen«, aber weiß mittler­ weile um die Verletzten in den Krankenhäusern, darunter ein zehnjähriger Junge, der schlecht als Aufständischer durchgehen kann. Doch was soll man den Medien sagen,

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die den Militärs seit Stunden immer wieder voraus sind, was die Opfer des Bombardements betrifft? Aus der Er­ fahrung amerikanischer PR­Desaster nach eigenen militä­ rischen Operationen verordnet McChrystal den frontalen Gegenkurs zum Desinformationshabitus des deutschen Verteidigungsministeriums: »Geben Sie offen zu, dass wir nicht alles wissen. Gehen Sie nicht davon aus, dass wir richtiglagen – und später finden wir dann heraus, dass wir Zivilisten gekillt haben.« Nach allem, was er bislang weiß, sieht es ihm nicht danach aus, dass die Einsatzre­ geln und vor allem seine neue Direktive bezüglich eventu­ eller Luftschläge eingehalten wurden. »Teile diese Beden­ ken«, sekundiert Brigadegeneral Vollmer, hat aber auch keine Antwort auf die Frage, warum nicht sofort nach dem Bombardement ein Ermittlungsteam zum Abwur fort geschickt worden sei.

4. September, Flughafen Kunduz, 16.37 Uhr Aus Kabul trifft das von McChrystal in Marsch ge­ setzte »Initial Action Team« ein. Dabei: der britische Bri­ gadegeneral Paddy Teakle, Leiter der Untersuchung; der Isaf­Pressechef und US­Konteradmiral Gregory Smith, weitere Offiziere – und der Washington Post­Reporter Rajiv Chandrasekaran, der zufällig im richtigen Moment am richtigen Ort war, viele der US­Offiziere noch aus Bagdad kennt und mitkommen dur fte.

Schon am Flughafen will das Team so genau wie mög­ lich er fahren, was passiert ist. Klein ist so viel Neugier unbehaglich, er warnt wiederholt davor, zur Furt zu fahren: zu gefährlich. Selbst ein Besuch des Zentralkrankenhau­ ses mitten in Kunduz, auf den die Besucher drängen, möchte er ihnen ausreden: auch zu gefährlich. So wird das die kommenden 24 Stunden weitergehen: Die aus Kabul Angereisten wollen etwas wissen, und Klein versucht zu mauern, beruft sich auf den Gouverneur und die örtlichen Chefs der Polizei und des Geheimdiens­ tes: »Alle Offiziellen, die ich spreche, bestätigen mir, dass wir ausschließlich Aufständische getroffen haben.« Dass ein paar Kilometer entfernt im Krankenhaus Schwer­ verletzte liegen, halbe Kinder, unter ihnen ein Zehnjähriger, möchte er nicht so gern zur Kenntnis nehmen. Auf der Website »bundeswehr.de« steht seit dem Mor­ gen eine Pressemitteilung aus Franz Josef Jungs Ministe­ rium unter dem Titel: »Er folgreicher Einsatz gegen Auf­ ständische im Raum Kunduz«. Unbeteiligte seien »nach bisherigem Kenntnisstand nicht zu Schaden gekommen«. An dieses Mantra wird das Ministerium, wird Minister Jung sich noch tagelang halten, obwohl selbst Isaf­Spre­ cher Eric Tremblay, ein kanadischer Brigadegeneral, am Nachmittag des 4. September bereits öffentlich einge­ standen hat, in den lokalen Krankenhäusern würden viele zivile Opfer behandelt. Und obwohl Reporter der Nach­ richtenagentur Reuters am selben Tag und Ort 13 Verletzte gesehen haben, darunter drei unter zwölf Jahren.

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5. September, Zentralkrankenhaus Kunduz, 9 Uhr Das Untersuchungsteam und Oberst Klein kommen schließlich doch noch ins Krankenhaus. Isaf­Pressechef Smith spricht mit Hilfe eines Übersetzers mit den Ver­ letzten und ihren Angehörigen, kniet an den Betten und bleibt am Lager des zehnjährigen Jungen stehen, der am ganzen Körper bandagiert ist. Klein drängt immer wieder zum Aufbruch, will hier weg. Smith platzt irgendwann der Kragen: »Natürlich sind das Zivilisten! Ein Zehnjähriger hat doch keine Wahl, Talib zu sein oder nicht.«

sind viel zu nett gewesen zu Verbrechern.« Für einen Mo­ ment wirkt der General konsterniert. Aber er will an die Furt. Klein hat es ihm noch mal ausreden wollen, schwer bewaffnet fährt der Konvoi trotzdem. »Es ist klar, dass hier Zivilisten zu Schaden ge­ kommen sind«, sagt er später örtlichen Journalisten im PRT: »Es ist eine ernste Angelegenheit und ein Testfall, ob wir willens sind, transparent zu sein und die afgha­ nische Bevölkerung zu schützen!« Die Isaf werde den Vor­ fall rückhaltlos untersuchen.

6. September, Berlin 5. September, PRT Kunduz, 15.20 Uhr General Stanley McChrystal persönlich trifft ein. Er will zum Ort des Bombardements. Klein hatte versucht, das zu verhindern, sprach plötzlich von Hinweisen auf einen Hinterhalt und davon, dass McChrystal seine Solda­ ten in Gefahr bringen werde. Smith wurde sehr kühl. Er solle sich keine Gedanken darüber machen, ob, sondern wie er den General dorthin bringt. McChrystal spricht den Provinzverantwortlichen sein Beileid aus, als Ahmadullah Wardak, der Vorsitzende des Provinzrates von Kunduz, ihn unterbricht: »Wenn wir noch drei solche Operationen unternehmen wie letzte Nacht, dann wird hier Stabilität herrschen! Wenn Leute nicht in Frieden leben wollen, ist das nicht unser Problem. Wir

In der Bild am Sonntag erscheint ein Interview mit Verteidigungsminister Franz Josef Jung. Es hätte ge­ reicht, die Meldungen aus Kunduz zu lesen, veröffentlich­ te wie Nato­interne, um es genauer zu wissen. Doch Jung hält mit der absichernden Floskel, dass ihm halt niemand Näheres gesagt habe, an der Unschuldsversion fest: »Nach allen mir zurzeit vorliegenden Informationen sind bei dem durch ein US­Flugzeug durchgeführten Einsatz ausschließlich terroristische Taliban getötet worden.« Es ist das Mantra seines Ministeriums: Es erst gar nicht so genau wissen wollen und dann Entwarnung geben, denn »gesicherte Erkenntnisse«, etwa über zivile Opfer, lägen ja nicht vor. Ein geschlossener Kreislauf der Ignoranz. Was man nicht wissen will, liegt einem auch nicht vor.

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Nachdem der Washington Post­Reporter am selben Tag seine Recherchen veröffentlicht hat unter dem Titel »Entscheidung zum Luftschlag stützte sich auf einen ein­ zigen Informanten«, wird im Verteidigungsministerium in Berlin eine Intrige vermutet. Man regt sich darüber auf, dass der amerikanische Reporter sich »eingeschlichen« und McChrystals Team die Deutschen mit unlauteren Mit­ teln habe bloßstellen wollen. Dessen Team habe auf Nach­ frage, was Chandrasekaran hier mache, gesagt, der Re­ porter wolle ein Buch über McChrystal schreiben. Gegen den ziemlich vernichtenden Artikel an sich sagen sie nichts, denn dagegen können sie nichts sagen. Er gibt einfach wieder, was Chandrasekaran gesehen und gehört hat.

Chardara, im Laufe des September Ermittler aus Kabul unter der Führung des dortigen Kripo­Chefs, Brigadegeneral Yarmand, kommen kurz nach Kunduz und Chardara, reden mit den Dorfältesten, schrei­ ben lange Aufstellungen: Wer von den Toten zu den Taliban gehört habe, wer bewaffnet, wer unbewaffnet gewesen sei. Einige wenige Familien bekommen 100 000 Afghani, umgerechnet 2 000 Dollar, für ihre Toten. Und für Verletzte 50 000 Afghani. Aber der Schlüssel, nach dem das Geld verteilt wird, ist unklar. In Chardara unterscheiden zu wollen zwischen unbe­ teiligten Zivilisten und Taliban ist illusorisch. Die Taliban

kontrollieren den ganzen Distrikt, von vielen Familien sind Einzelne dabei, denn eine offene Gegnerschaft wäre lebensgefährlich. Nur: Ist jemand, der den Taliban wider­ standslos seinen Traktor leiht, ihnen Nahrungsmittel und Informationen gibt und Unterschlupf gewährt, aber nicht aktiv gegen die ausländischen Truppen kämpft, ein Mit­ täter? Oder ein Mitläufer? Oder ist so jemand noch ein Zivilist? Jeder, der dazu etwas sagen kann, verfolgt seine eige­ nen Interessen: Polizei und Geheimdienst wollen das Bombardement rechtfertigen und haben sehr wenig Sym­ pathien für die Bevölkerung des Distrikts Chardara. Die Angehörigen wollen Entschädigungen, und die bekommen sie nicht, wenn sie ihre Toten als Taliban deklarieren. Der Isaf­Bericht, der im November in wenigen Exem­ plaren verteilt wird, enthält eine akribische Dokumentation der Befehlsketten und Funksprüche. Doch bei der Frage, wen die amerikanischen Bomben, angefordert von einem deutschen Oberst, umgebracht haben, reicht auch er nicht über eine Kompilation der widersprüchlichsten Mel­ dungen hinaus: Zwischen »17 und 142 Tote« habe es gegeben.

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Epilog Schon im Laufe des September war es ruhig gewor­ den um das Inferno am Fluss. Die Bundestagswahl stand an, und dass der Pressestab von Verteidigungsminister Franz Josef Jung hartnäckig bei verfälschenden Versionen von Ereignissen blieb, wurde schon seit langem schulter­ zuckend hingenommen. Nach der Wahl, am 6. Oktober, bezeichnete der neue Verteidigungsminister Karl­Theodor zu Guttenberg das Bombardement vom 4. September als »militärisch ange­ messen«, ja sogar unvermeidlich. Eine Einschätzung, die vom damaligen Generalinspekteur Wolfgang Schneider­ han geteilt wurde, der nach der Lektüre des als geheim eingestuften Isaf­Untersuchungsberichtes die seltsame Einschätzung abgegeben hatte, nach seinem persönlichen Dafürhalten habe Oberst Georg Klein richtig gehandelt. Erst nachdem die Bild-Zeitung aus dem sogenannten »Feldjägerbericht« zitierte, der bereits am Tag nach dem Luftschlag abgefasst worden war und ein verheerendes Bild von Kleins Führungsstil zeichnete, änderte Gutten­ berg seine Ansicht: Am 3. Dezember 2009 trat er vor den Bundestag und erklärte nun, der Angriff sei »militärisch nicht angemessen« gewesen. Dies sei ihm erst nach der Lektüre verschiedener Berichte klar geworden, die ihm »vorenthalten worden« seien. Und zwar von Schneiderhan und seinem Staatssekretär Peter Wichert – die er am 26. November entließ.

Es gibt zwei einander widersprechende Versionen über das vorausgehende Treffen Schneiderhans und Wicherts mit Guttenberg: Dem Minister zufolge stritten die beiden Spitzenbeamten die Existenz weiterer Berichte trotz mehr­ facher Nachfrage ab. Schneiderhan und Wichert wollen jedoch sofort eingeräumt haben, dass es weitere Berichte gab, die aber in den Isaf­Bericht mit eingeflossen und damit für die Beurteilung des Geschehens irrelevant ge­ wesen seien. Genau in diesem Punkt haben sie recht: Alles, was im »Feldjägerbericht« Oberst Klein belastet, seine Befehle und Unterlassungen, findet sich weit detaillierter im spä­ teren Isaf­Bericht wieder, dessen Ver fassern der »Feld­ jägerbericht« vorlag. Man muss nicht einmal das gesamte Konvolut von 500 Seiten gelesen haben; bereits die Zu­ sammenfassung am Anfang ist eine ebenso deutliche wie vernichtende Einschätzung. Kein Grund mithin, das Vorgehen Kleins in jener Nacht erst als »angemessen« und zwei Monate später als »nicht angemessen« zu be­ zeichnen. Im Frühjahr 2010 tagt der Untersuchungsausschuss des Bundestages, um zu klären, wer gelogen hat und ob der Verteidigungsminister erst Erkenntnisse verschleiert oder gar nicht wahrgenommen, sich dann unter Druck korrigiert und die beiden Entlassenen zu Sündenböcken für seine eigenen Fehler gemacht hat.

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Legende größere Städte Bevölkerung 1000 1001 – 10 000 10 001 – 50 000 50 001 – 100 000 neue Provinzgrenzen neue Distriktgrenzen medizinisches Versorgungszentrum Flughafen Siedlungen Flussverlauf Seen

Lager der Bundeswehr

Stelle des Bombardements

• Yacub Bai

0

2,5

5

10 km

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