ChristinaHug UnserHaus
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Lektorat:AlisaCharté
Umschlagfoto:RebeccaHug
Umschlaggestaltung:Hug&Eberlein,Leipzig
Layout/Satz:3w + p,Rimpar
Druck:CPIbooksGmbH,Leck
ISBN:978-3-7296-5117-3
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GanzwohlwaresPaulbeiderSachenicht.Aberesversprach immerhin,interessantzuwerden.ErzählteelfLeute,sich selbstinbegriffen.AusserLucasundLou,seinenmomentanen Lieblingsmenschen,warendaMichiundNando,zweisympathischeDudesausdemRealgymnasium,dieervomKiffenauf demOlympkannte.UnddieseseltsameRita,einePunkerin, diehäufigimEgorumhing.Dieanderenkannteernicht.
«Also»,sagteLucas,«dannwollenwirmal.Ichhabedie BudeheuteMorgennochmalsrekognosziert.SiestehtdefinitivleerundesgibteineneinfachenZugangvonderRückseite her.WirgehenjetztzuFussdahin.Biswirdrinsind,verhalteteuchunauffällig.»
Nichtsleichteralsdas,dachtePaul.NichtauffallenmiteinerProzessionvonFreaksdiverserGattungen,diebepackt sind,alsgeheeszueinemOpen-Air-Festival.Docheslageine solcheErnsthaftigkeitinderLuft,nahezusakral,dassersich einenblödenKommentarverkniff.NurnichtgleichvonAnfanganunbeliebtmachen,sagteersich.Siezogenlos.
NacheinerViertelstunde,indersievonPolizistenunbehelligtgebliebenundvonPassantenhöchstensblödangeschautwordenwaren,standdieTruppezusammengedrängt undnervösvoreinemebenerdigenFensterchenimHinterhof einesmittelgrossenGeschäftshauses.Lucasbasteltemiteinem SchraubenzieheramFensterrahmenrum.Dannknirschtees, erhobdaskleineFensterausseinerVerankerung,reichtees Louundverkündete:«Wirsinddrin!»
ErverschwandinderFensteröffnung,undeinernachdem anderenfolgtensieihm.MitdenFüssenvoranliessensiesich insDunkelplumpsenundfandensichineinemkleinen,feuchtenKellerraumwieder.Esrocheinbisschenmodrig,wieinei-
nemaltenKellerhalt.LucaspackteeineTaschenlampeausseinemRucksackundleuchteteumher,fandeineTürundmachtesieauf.WieSchäfchentrippeltenihmdieanderenhinterher. EsfolgteeineReiheweiterer,ineinanderverschachtelterKellerräume,zuletzteinziemlichgrosser,undvondorteineTreppe hochinsErdgeschoss.AnderenoberemEndebefandsichwiedereineTür,unddahinterdasriesigeLadenlokalmitBarund Fensterfront,indassievorherschonvonderHauptstrasseaus hineingespienzelthatten.«UnserCafé!»,riefLucaseuphorisch.
AberesbliebgarkeineZeit,denRaumangemessenzubestaunen,dennLucaswarschonandessenanderemEnde durchdienächsteTürinsTreppenhausunddamitindeneigentlichen,alssolchenvorgesehenenHauseingangweitergehetzt.DieGlastürzurStrassehinwarnatürlichabgeschlossen,wiediedesLadenlokalsauch.«DieEingängekriegenwir dannschonnochauf»,sagteLucasbeiläufig,währender schonanfing,dieTreppenhochzusteigen,diezuvierweiteren Stockwerkenführten.IndiesengabesjedeMengekahleZimmerinallenmöglichenGrössenundFormen – Büroräume eigentlich,Sitzungs-undWartezimmer.Inmanchengabes Einbauschränke,inanderenWaschbecken.Eshatteinjeder EtageeineToilette,inderoberstensogarzwei,undausserdemgabeshiereinerichtigeKüchemitKühlschrankund Elektroherd,vordersichderKorridorzueinemgrösseren Raumausbreitete.Dortversammeltensiesichschliesslich, undalsalledawaren,sagteLucas:«Dashierwirddannwohl dieguteStube.»
Wiederfingeran,inseinemRucksackherumzuwühlen. DiesmalbrachteereinweissesStoffbündelzumVorscheinund schüttelteesauf.EswareinLeintuch,aufdemingrossen schwarzenLetterngeschriebenstand:
DiesesHausistBESEZT.
LucasmachteeinleichtirritiertesGesicht.Erstudierteein paarSekundenlangseinTranspi,dasausgebreitetaufdem Bodenlag,undkratztesichamKopf.Dannerklärteer:«Das istAbsicht.»
«Achso»,sagtePaul.«Nadann.»
ErhalfLucas,dasTranspiandieFassadehinauszuhängen. Alsessolidefestgezurrtwar,schautesichLoudieSachean. SiestrecktedenKopfauseinemdervielenFensterundsagte: «Dashängtverkehrtherum.»
LucasstelltesichnebensieundfolgteihremBlick.
«Daspasstschon»,sagteer.«Dassiehtdochgutaus.»
ErwandtesichwiederdemRestderGruppezu:«Ich schlagevor,jetztsuchensichalleerstmaleinZimmeraus unddanntreffenwirunswiederhierundtrinkenaufunsere neueBleibe!»
Undsomachtensiees.
PaulnahmsicheinmittelgrossesEckzimmerimvierten Stock,vondergutenStubeauslinksdenKorridorrunterbisan dessenEnde.Eshatte,wiealleRäumeindiesemHaus,viele Fenster,ausserdemeinengrossenEinbauschrank.Einweiterer Vorteilwar,dasssichgleichgegenübereineToilettebefand.Er warfseineneue,erstaunlichbequemeCampingmatteundden uraltenSchlafsackhinein,zumZeichen,dassesbesetztwar,und gratuliertesichzuseinerWahl.
AlserindieguteStubezurückkam,lief Ska-P unddie Stimmungwarausgelassen.OffenbarwardieNervositätvon seinenneuenSchicksalsgenossenabgefallen.Ersetztesichauf denBoden,mitdemRückengegendieWandgelehnt,und Rita,dieschrägeEgo-Tante,setztesichnebenihn.Erstalsalle anfingen,ihrenProviantausdenRucksäckenzupacken,realisiertePaul,dasseridiotischerweisekeinBiermitgebrachthat-
«Dafehltein ‹ T ›»,sagtePaul.
te.Aberbevorersichrichtigdarüberärgernkonnte,reichte ihmRitaauchschoneineHülseundsagte:«Paul,gell?»
«Ja»,antworteteer.«Dankeschön,Rita.»
ErknacktedieDoseaufundprostetederPunkerinfeierlichzu.Sielachte.IhrLachenwarlautundhart.IhrSchädel waraufdereinenSeitekahlrasiert,dieandereSeiteeinBusch ausviolettenundblauenSträhnen.Sietrugeinzerfetztes schwarzesKleidundschwereSpringerstiefel.InihrerUnterlippehingenlinksundrechtsjeeinRing.IhreganzeErscheinungerinnertePauleinbisschenaneinengruseligenClown.
«Undwasmachstduso,Paul?»
ErüberlegteeineSekunde.«IchbesetzeeinHaus.»
Wiederlachtesie.«Ja,dashabichmitbekommen!Aber sonst,wasmachstdudennsonstsoimLeben?»
GuteFrage,dachtePaul.Ritagrinsteihnanundneigte sichetwasnäherzuihmherüber,wieumihnbesserhörenzu können,wasPaulabertrotzderlautenMusiknichtwirklich nötigfand.Erwichetwaszurück,nahmeinengrossen SchluckBier.EsfielihmkeineschlaueAntwortein.Schliesslichmurmelteer:«Naja,nichtviel … »
«Istjagut.»Ritawirkteplötzlichgenervt.«Sagdocheinfach,dassdukeinenBockhast,dichmitmirzuunterhalten. MeinGott,dasfängtjaschonmalgutanhier.»
SiestandaufundverzogsichansandereEndedesRaums. Paulsahihrnachundfragtesich,wasdageradeschiefgelaufenwar.Gratuliere,dachteer,jetzthastduesdochgeschafft, dichgleichamerstenAbendunbeliebtzumachen.
DannsetztesichLucasnebenihnundbotihmseineangerauchteTütean.«Allesklarbeidir,altesHaus?»
Paulentspanntesich.ZumerstenMalandiesemTag,wie eraufeinmalrealisierte.«Allesklar.Undbeidir?»
DergutealteLucas.Schön,dassesdenauchnochgibt, dachtePaul.Erwurdeplötzlichfasteinbisschensentimental
undhätteseinenKumpelausKindertagenbeidenRotenFalkenindiesemMomentamliebstenansichgedrückt.StattdessennahmererstmaleinenZugvondemJoint.
EswurdedannnocheinganzlustigerAbend.Eswurdeviel getrunken,gerauchtundgeschwatzt,undPaulerfuhreiniges überseineneuenMitbewohner.MichiundNando,diebeidenJungsausdemRealgymnasium,derenSignalelementihre Baggy-JeansundRun-DMC-T-Shirtswaren,hattenamVortagbeimKiffenaufdemOlympvonLouvondergeplanten Besetzungerfahrenundspontanbeschlossen,sichanzuschliessen.SiehattennocheinenaltenFreundausderPrimarschulemitgenommen,derSanitärwar,wasbeieiner Hausbesetzungnurnützlichseinkonnte,wieallefanden,und sowurdederNamevondemarmenKerlvondenmeistengar nichtrichtigzurKenntnisgenommen,sondernsienannten ihneinfachgleichdenSanitär.WiefürPaulwaresauchfür Michi,NandounddenSanitärdieersteHausbesetzung,und siewarenganzausdemHäuschendarüber,wieunkompliziert dieganzeSachebisjetztverlaufenwar.Siehattenzudrittdas grössteZimmerimdrittenStockinBeschlaggenommen,einenetwadreissigQuadratmetergrossenRaum,undmachten fröhlichPläne,wiesiediesenaufteilenundeinrichtenwollten.
DannwarendaMajaundJan,einfriedlichesHippie-PärchenAnfangdreissig,dasLucasvoneinerfrüherenBesetzung inWiedikonkannte.Siewarenlangjährigeundüberzeugte HausbesetzerundsahenauswierichtigeBlumenkinder.Maja glicheinwenigJanisJoplin,ausserdassihrelangenHaare orangeundgekraustwaren,undJanwaroffenbarimmerbarfussunterwegs.Diebeidenschienensichüberdiebeduselte BegeisterungihrerjugendlichenMitsquatterwohlwollendzu amüsieren.AndiundRufusschliesslichwarenPunks,schräge
VögelwieausdemBilderbuchundFreundevonRita,wenn aucheinpaarJahreälteralssie.
Esschienenalleganznettundziemlichtrinkfestzusein. AllfälligeBedenkenübermöglicheSchwierigkeiteneineslängerfristigenZusammenlebensertränktePaulandiesemAbend ingrösserenMengenBier.AndererLeuteBier,wieerdurchausauchimSuffnichtzustolzwar,sichvorAugenzuhalten.
AlsRitaetwazweiStundennachihremerstenmerkwürdigenIntermezzoplötzlichwiedernebenihmstand,warsein Missbehagenmerklichabgeflaut.Siehatteeigentlicheingutes Gesicht,grosseblaueAugenundeinefeineNase,undihrrotzigesLachenwargarnichtsouncharmant.
«Hörzu,wegenvorhin»,sagtePaul.«Dastutmirleid, ichwolltenichtungehobeltsein.Daswarnichtwegendir.Es istnurleiderso,dassichimLebensonsteigentlichgarnichts mache.DieschäbigeWahrheitist:Ichbingesternneunzehn gewordenundichgeheimmernochzurSchule,weilichletztesJahrsitzengebliebenbin.MeinefrüherenSchulfreunde sindjetztaufReisen,undichsitzeimmernochhierinZürich rumunddrückedieSchulbank.Unddashier,dasistdas Abenteuerlichste,wasichseitLangemerlebthabe.»
JetztgrinsteRitawieder.«UndAbenteuerkannman schliesslichniegenugerleben.AllesGutenachträglichzum Geburtstag.»
PaulerwachtevoneinemgenüsslichenSeufzer,derdurcheine Wanddrang,dieoffenbarausKartonbestand.SeinSchädel schmerzteundesdauerteeinenMoment,biserrealisierte,wo erwar.SeineErinnerungandenVorabendwarziemlichverschwommen.ErentsannsichnocheineslängerenGesprächs mitRita,wobeiihmabernichtmehreinfiel,worumesdagenaugegangenwar,sondernnur,daswurdeihmplötzlichmit einigemEntsetzenklar,dasssiesichdabeiirgendwieseltsam
nähergekommenwaren.Erwarjedenfallsausserordentlicherleichtertdarüber,keinenzerknittertenGruselclownneben sichaufderCampingmattevorzufinden.Erdrehtesichum undversuchte,wiedereinzuschlafen.AberdasGeseufzenebenangingbaldineinwildesGepolterüber,undkurzdarauf klopfteesauchnochgeräuschvollanseineTür.
«Haussitzung!»,riefLucas,undPaulhörte,wieerden FlurhinaufstampfteunddasgleicheProzedereanderTürnebenanwiederholte.DieGeräuscheausdemNebenzimmer nahmeneinabruptesEnde.«Istjagut,duKnalltüte!»,war jetztMajasStimmezuvernehmen,aberLucaswarschonwiedereineTürweiter.PaulschältesichausseinemSchlafsack undgingerstmalaufsKlo.
IndergutenStuberocheswunderbarnachKaffee.Lou drückteihmeinendampfendenPappbecherindieHand. «Dusiehstscheisseaus.»
«Oh,danke,duaberauch»,sagtePaul,undesstimmte. IhrsonsteigentlichschönesGesichtwaraufgedunsen,ihre Augenkleinundrot.
«WiehabtihrdashingekriegtmitdemKaffee?»
«Na,wiewohl?DerHerdinderKücheläufteinwandfrei. LucashatmichumachtgewecktmitseinemnervösenHerumgetigere.Dukannstfrohsein,dassereuchbiszehnhat schlafenlassen!IchhabekeineAhnung,wodieserIrreseine Energiehernimmt.»
SiesahverliebtinRichtungKüche,ausderihrFreundgerademitzweiweiterenBechernKaffeeherauskam,undPaul dachte,dasserimletztenJahrimmerhindieseeineSache richtiggemachthatte:diebeideneinandervorzustellen.ObwohldasjaauchmehreinZufallgewesenwar.
AlsallemitKaffeeversorgtwarenundessichmüdezwischendenleerenDosenundvollenAschenbechernderletztenNachtbequemgemachthatten,legteLucaslos:«So,ich
hoffe,ihrhattetalleeinegesegneteNachtruhe.AlsNächstes müssenwirdiefolgendendreiDingetun:Erstens,unseren mittelfristigenVerbleibindiesemschönenHaushiersichern. Fürdie,dieesnochnichtwissen:DasHausgehörtderAlternativenBaugenossenschaft.FürdasLandhatsieeinenBaurechtsvertragmitderStadt.Nochfürdienächstensechzig Jahreoderso – dasheisst,dasLandgehörteigentlichder Stadt,dieesihrbilligverpachtet.Wieihrsicherwisst,sind diepolitischenFreundederBaugenossenschaftendielinken Parteien,unddieABGistsowiesosoeinaltlinkesProjekt. MitanderenWorten:SiekannessichbeimbestenWillen nichtleisten,wegeneinerBesetzungschwierigzutun.Ich werdealsodortanrufen,dieBesetzungmeldenundversuchen,einenGebrauchsleihvertragauszuhandeln.»
«Woherweisser,wemdasHausgehört?»,flüsterteder Sanitär,undJan,dernebenihmsass,antwortetebelustigt: «VomGrundbuchamtnatürlich.»
Eswaroffensichtlich,dassdieseAntwortbeimSanitäreher mehrFragenauslöste,alsdasssieKlarheitschaffte,aberer sagtetrotzdemnur«achso»,undPaulkonnteihmdassehr gutnachfühlen.Allerhand,dachteer,werhättedasgedacht, dasHandwerkdesHausbesetzenswillgelerntsein!Einfach malaufdemGrundbuchamtvorbeizugehen,dawäreerauch nichtdraufgekommen,unddabeiwardasjaeigentlichvöllig logisch.AbergenaudasunterschiedwahrscheinlichdenrichtigenHausbesetzervomMitläufer,wieerselbsteinerwar, undderSanitäroffensichtlichauch.Dochdaswürdejabedeuten,dassseinalterKumpelLucasein richtiger Hausbesetzerwar,undobwohlLucasdasHandwerk – odervielleicht eherdieKunst – desHausbesetzensoffenbarzubeherrschen schien,wolltedasPauldannirgendwiedochnichtsorichtig indenKopf.Lucaskriegtedochsonstnieirgendwasgebacken.WoherwusstedersogutBescheidüberBaurechtsver-
trägeundsowas,undüberhaupt,wasbittewareinGebrauchsleihvertrag?
«Zweitens:DasHauseinrichten.LouundichhabenheuteMorgenaufdemEstricheinpaarMöbelundLampengefunden.Dieholenwirnachherallezusammenrunter,undjederkannsichdavonnehmen,waserbraucht.Fallsdannnoch wasübrigist,kommteshierindieguteStubeoderuntenins Café.DieseSachenwerdenabernichtreichen,deshalbbringt bitteallesher,wasihrirgendwieauftreibenkönnt.Undnicht nurMöbel,auchanderesZeugs,zumBeispielfürdieKüche GeschirrundPfannenundsoweiter.Undeinezusätzliche Espressomaschinekönnteauchnichtschaden.»
LucaswarfeinenBlickindieRunde,wieumzuprüfen,ob alleverstandenhatten,undallenickteneifrig,ausserJanund Maja,dasHippie-Pärchen,diegrinsteneinandernurbelustigt an.
«Drittensmüssenwirunsüberlegen,wiewirunsorganisierenunddasHausbelebenwollen.Ichdenke,esistallen klar,dassesvielzugrossistfürelfPersonen.Mehralsdie HälftederRäumeistjanochfrei,undfürdenBetriebdes CafésbrauchenwirehmehrLeute.Wirmüssenunsalsodarübereinigen,wenwirhiernochinsBootholenmöchtenund wie,undwelcheGrundsätzefüralle,diediesesHausnutzen, geltensollen.Alsoichbinjadafür,dassjeder,derwill,hier mitmachendürfensoll.»
Wiedersahereinennachdemanderenaufforderndan.
Paulwusstenichtszusagen,undauchdiemeistenanderen glotztenmehroderwenigerahnungslosausderWäsche.
MajabrachdasallgemeineSchweigen:«AlsomeinerErfahrungnachistesumsoschwieriger,sichgemeinsamzuorganisieren,jemehrLeuteinvolviertsind.Ichschlagedeshalb vor,dasswiruns,wasdasZusammenwohnenbetrifft,soeinrichten,dassjedererstmalfürsichselbstsorgt – ichmeine,
imSinnevonEinkaufenundso.Dassollnatürlichnichtheissen,dasswirnichtauchmalwaszusammenkochenkönnen oderso.Abersolangejederfürsichselbstverantwortlichist, gibteskeinbösesBlut,wennirgendwannmalkeineMilch oderkeinKlopapiermehrdaist.ManmussdannseineSachenhaltauchanschreibenundso,undwasnichtangeschriebenist,gehörtderAllgemeinheit.»
PaulfanddiesenVorschlagsehrvernünftig,dennerkonnte sichbeimbestenWillennichtvorstellen,wieesandersfunktionierensollte.ErjedenfallshattenichtdiegeringsteLustauf einKommunenlebenmitKoch-undAbwaschplan,unddeshalbhober,alsLucasfragte,wermitMajasVorschlageinverstandensei,dieHandundwarfroh,alsalleanderenesihm gleichtaten.
«Dasheisstnatürlichauch»,meldetesichjetztJan,«dass jederdiegemeinsamgenutztenRäumejeweilssozurücklässt, wieersieselbstvorfindenmöchte.Sonstwirddasschnellunfriedlich.Aberdasverstehtsichjavonselbst,sountererwachsenenMenschen.»
IndiesemMomentfielPaulsBlickaufRita,diezerkrumpeltundleichtgelangweiltandergegenüberliegendenWand lehnteundnichtwirklichbeiderSachezuseinschien,und Rufus,einenihrerzweiPunkerfreunde,dernebenihrhängte undmitdenLippentonlosdasWort«Bünzli»formte. Aberimmerhin,eswidersprachniemandhörbar,undsomit wardasvonJanformulierteGebotwohlderoffizielleKonsens.
«Gut»,sagteLucas,«dannhättenwirdiesenTeilschon malgeklärt.Undwasmachenwirjetzt,ummehrLeuteins Hauszuholen?»
«Na,eineEinweihungspartynatürlich.»
LousVorschlagerweckteauchRitaunddierestlichen ZombieswiederzumLeben.
RöbihatteÄlplermagronengekocht.Esrochherrlich,und Paulmerkteerstjetzt,wiehungrigerwar.BeiseinemKater hatteerdenganzenTagkeinenBissenruntergekriegt.Dabei hattensiezweiStundenlangMöbelvomDachstockheruntergeschlepptundimHausverteilt.InderEckeseinesZimmers,zwischendenFenstern,standjetzteinausladenderalter PolstersesselmiteinemkleinenBeistelltischchen.Dannhatte ernochmitLucasundLouzusammendieContainerhinter derMigrosgeplündertunddieKüchemitnochnichtganz abgelaufenenEsswarengefüllt.
«WowarstdudenndasganzeWochenende?»,wollteVerenawissen.«DuhastdichjagarniezuHauseblickenlassen.»
«WirhabeneinHausbesetzt»,sagtePaulundversuchte, essobeiläufigwiemöglichklingenzulassen.
RöbihoberstauntdieAugenbrauen.
«EinHausbesetzt!»,riefVerena.«Na,dasistdochmal was.»EsschwangeinangemessenerStolzinihrerStimme mit,altePOCHlerin,diesiewar.Sieschöpfteallennochmals nach.«Undweristwir?»
«Was,weristwir?»,fragtePaul.
«Na,wer wir ist!Duhastdochgesagt, wir habenein Hausbesetzt,undnichtetwa, ich habeeinHausbesetzt.Was auchlogischist,dennalleinkannmanjawohlkeinHausbesetzen – würdeichjedenfallsmalmeinen.»
Herrgott,dachtePaul,jetztmusssieauchnochdieDialektikerinraushängenlassen.SeinKopfschmerzte.
«Also,wersinddennnundieanderen,diemitdirzusammendasHausbesetzthaben?»
«Na,Lucas,Louundnocheinpaaranderehalt.Undübrigenswerdeichjetztdawohnen.»
RöbimachtegrosseAugen.
«Ah,Lucas!»,sagteVerena.«Wieschön.Wiegehtes demdennso?Ichfindedasjawirklichsehrschön,dassdu wiedermehrZeitmitLucasverbringst.Wiekommtdenndas eigentlich?»
«Naja … »
PaulwarmitLouamSeegewesen,siehattenwaszurauchengesucht,warenihrenNasengefolgtundhattenLucasgefunden.Erhattediebeideneinandervorgestellt,siehatteneinenlustigenNachmittagzusammenverbrachtundvondaan hattemansichwiederöftergesehen.LucasundLouwaren baldeinPaargeworden.EingutesJahrwardasjetzther.
«WirsindunshalteinfachwiederüberdenWeggelaufen.»
«Aha.Na,dasfindeichjedenfallswirklichsehrschön!», sagteVerenajetztschonzumdrittenMal.«Abersagmal, wasisteigentlichausTommyunddenanderengeworden? Mitdenenhastdudochauchimmersovielgemacht.Die habeichjetztauchschonlangenichtmehrgesehen.»
PaulsKopfschmerzenwurdengenausoschnellstärker,wie seineLaunekippte.
«Ach,Mama,wassolldenndasjetzt!Musstdumichjetzt überallemeinesozialenKontakteausfragenoderwas?»
«Wasdenn,warumregstdudichdenngleichsoauf, Kind?Manwirddochwohlnochfragendürfen!»
«Wasgibtesdenndazufragen?Duweisstdochgenau, dassdieallediesenSommerdieMaturgemachthabenund jetztüberalleBergesind.IchbindochderEinzige,derimmer nochwieeinVollidiothierherumhängtunddieSchulbank drückt,verdammteScheisse!»
TatsächlichhatteerTommyschonwährenddesvergangenenSchuljahrsetwasausdenAugenverloren.Derhatteneue, bessereundfleissigereMitmusikerumsichgeschartundeine richtige,ambitionierteBandgegründet,währendPaulsich
beimKiffenmitLucasundLouvomFrustdesSitzenbleibens abgelenkthatte.AberdasseinerMutterundRöbierklärenzu wollen,dashättejetztaufjedenFallzuweitgeführt.StattdessenschoberenergischdenTellervonsichwegundsagte nochmalsetwaslauter:«VerdammteScheisse!»
RöbilegtePaulbeschwichtigendeineHandaufdenArm. «Paul,Verenakannnichtsdafür,dassdurepetierenmusstest. Aberwennwirschondabeisind:Findestdudaswirklicheine guteIdee,jetztineinbesetztesHauszuziehen?Duhastschon nochvor,nächstenSommerdieMaturzumachen,oder?»
Daswardefinitivzuviel.Paulstandsoruckartigauf,dass seinStuhlnachhintenkippteundaufdenBodenknallte. «Ja,aberweisstduwas,Röbi?»,fauchteer.«Weisstdu was?MitLucasHäuserzubesetzenmachtwenigstensSpass, undirgendwasimLebendarfeinemjaauchnochSpassmachen,oder?»
ErwarausderKücheraus,bevorsieetwasentgegnen konnten.
SchonimBustatihmseinharscherAbgangleid.Verenaund Röbikonntenwirklichnichtsdafür,dasserseitdemSitzenbleibendiemeisteZeitschlechtgelauntwar,unddaswarjetzt immerhinschonübereinJahrher.Sieversuchtenbeide,das BesteausderSituationzumachen.Undtrotzdem:Woer wohnteundmitwemerrumhing,warseineSache.Ichbin schliesslicherwachsen,dachteer,ichbinkeinKindmehr,das müssendieauchendlichmalbegreifen.
Erwolltesichgeradedaranmachen,wiederdurchdasKellerfensterinsHauszuklettern,alsLucas’ Kopfdarinauftauchte.
«Paul!Gut,dassdudabist.Kommmit,wirgehenzurTelefonzellebeiderPostdavorne.IchhabedieTelefonnummer derABG-Zentraleherausgesucht.»
ErzwängtesichdurchdiekleineÖffnungundLoufolgte ihm,strahlendwieeinMaikäfer.
«Aberdaistdochjetztniemand»,sagtePaul,«amSonntagabend!»
«GenaudasistjaderWitz!Wirsprechendenenaufden Telefonbeantworter.DerTyp,derdenmorgenfrühabhört, wirdseinblauesWundererleben!»
SiestandenzusammengepferchtinderTelefonzelle.Lucas warfeinenEinfränklerindenMünzschlitzundwähltedie Nummer,dieeraufeinenZettelgekritzelthatte.Paulhörte esleistetuten.LougrinsteundblicktevonPaulzuLucasund wiederzurück.DasTutenhörteauf,LucashorchtekonzentriertindenHörerhinein.NachzehnSekundenlegteerauf. «Scheisse.»
«Wasistlos?»,fragteLou.
«DakannmankeineNachrichthinterlassen.DerTelefonbeantwortersagtenur,wanndieTelefonebesetztsind.»
Loufinganzukichern.Lucaswargenervt.«Wasistdenn daranlustig?»
Paulmerkteerstjetzt,dassdiebeidenschonwiederziemlichbreitwaren.
«Achkomm»,sagteLou,«dasistdochnichtschlimm. EskannnichtimmerallesnachPlanlaufen,daswäredoch langweilig!»
SiestrichihremFreunddielangenFransenausdemGesicht.«DannrufenwirhaltmorgenwährendderÖffnungszeitennochmalan.»
Lucasentspanntesich.«Nagut.Vielleichtgehtdassowieso besserinnüchternemZustand.»
ZurückimHaustrankensienocheinBiermiteinander undinnertfünfMinutenwarPaulszäherKaterwieweggeblasen.Dahättemanauchfrüherdraufkommenkönnen,einfachnochmaleinBierzutrinken,dachteer.Eswarerstgegen
halbelf,alsersichinseinenSchlafsackeinwickelteundes sichaufderCampingmattebequemmachte.Erschliefaufder Stelleein.
AmnächstenMorgenschwänztenPaulundLoudenTurnunterricht.UmViertelnachachtstandensiewiedermitLucasin derTelefonzelleunderwähltenocheinmaldieNummerder ABG.WiederhörtemaneinleisesTuten,danneinKlicken undeineStimme,aberwasdiesagte,verstandPaulnicht.Lou hibbeltenervösherum,wassehrungewöhnlichfürsiewar.
«Ja,gutenMorgen,FritzMüllerhier»,begannLucas.
«WeristdennbeiIhnenfürdieLiegenschaftenbewirtschaftungzuständig?»
LoubisssichaufdieUnterlippe.
«Nein,ichhabekeinengewohntenAnsprechpartnerauf IhrerGeschäftsstelle … Ja,esgehtumdasHaus,indemich wohne,abereshandeltsichdabeiumeinGeschäftshaus … Jaja, ichversteheschon,dassSiemirnichtfolgenkönnen.Ichkann Ihnendasgerneerklären:WirhabenamWochenendeeineIhrerLiegenschaftenbesetzt,undnunwürdenwirgerneeinen Gebrauchsleihvertragaushandeln.»
EinenMomentlangwurdeesstillamanderenEndeder Leitung.DannwiederkurzdieStimme,unddannwiederLucas:«Ja,gerne,verbindenSiemichdochmitihr.»
EinGrinsenmachtesichaufseinemGesichtbreit,und dreissigSekundenspäterfingerwiedervonvorneanmitseinemSprüchlein:«GutenMorgen,FritzMüllerhier … »
DiezuständigeDamevonderABGvereinbartemitLucas, dasssieumhalbfünfmiteinemKollegenvorbeikommen
würde.LouundPaulgratuliertenLucaszuseinemsouveränenAuftrittundnahmendasnächsteTramzurSchule,wo siezuerstschnellimSporttraktduschengingenundsichin
derMensanocheinenKaffeeholten,bevorsiesichpünktlich fürdieGeschichtsstundeinihrKlassenzimmersetzten.
BeiHerrnMetzlerzuspätzumUnterrichtzuerscheinen,war keineguteIdee,undweildasallewussten,sassenauchalle schonbravinihrenBänken,alserdasKlassenzimmerbetrat. DeralteMetzlerwareigentlichkeinschlechterLehrer,erwar nurleidereincholerischesArschloch.SeinepolitischenAnsichtenwarenderartkonsequent,dasserselbstJahrhundertezurückliegendeEreignissenichtneutralinihrerBedeutungfür dasFortschreitendermenschlichenZivilisationbetrachten konnte.ErhattesichinderzweitenKlassegrässlichdarüber ereifert,dassdieGracchendekadenteCüpli-Sozialistengewesenseien,undinderviertenhatteerkeinenHehldarausgemacht,dasserdieFranzösischeRevolutionfüreinesdergrösstenVerbrechenderMenschheitsgeschichtehielt.Im Unterrichtwarereinunberechenbarer,sadistischerTyrann, unddieFragewarnie ob,sondernimmernur wann erwährendderSchulstundeindieLuftgehenwürde.FürPaulwares gleichnochmalsofrustrierendwiedasSitzenbleibenansich, dasserauchinseinerneuenKlasseinGeschichtewiederbeim Metzlergelandetwar.
«GutenMorgen,meineDamenundHerren»,eröffnete derjetztdieStunde.«Nicolas,woistIhrHeft?»
Nicki,dersichvonAnfanganwohlweislichkleingemacht hatteanseinemunauffälligenPlatzinderzweithinterstenReihe,sanknochmehrinsichzusammenundflüsterte:«Ich habeeszuHausevergessen.»
«Ah»,sagteMetzlerinübertriebenfreundlichemTon. «UndwasnütztesIhnenzuHause?»
NickisahihnverwirrtanundstammeltenacheinigenSekundenkleinlaut:«Äh … nichts?»
«UNDWESHALB IST ESDANNZUHAUSE?», schrieMetzlerundmachtemithochrotemKopfeinenSatz aufNickizu.
Heuteisteraberfrühdran,dachtePaul.
Nicki,dererschrockenzusammengefahrenwar,sagteleise: «Estutmirleid»,undstarrtevorsichaufdieTischplatte. AberMetzlersAufmerksamkeithattesichinzwischensowieso Louzugewandt.«UndSie,Louisa,schlafenSiemiretwa ein?»
Lou,derenAugentatsächlichebennochfastzugefallenwaren,schreckteauf:«Natürlichnicht,HerrMetzler!»
MetzlersAugenverengtensichzubösenkleinenSchlitzen. «OdersindSieetwaschonbekifft,sofrühamMorgen?»
ErbücktesichzuLouherunter,kamihrmitdemGesicht bedrohlichnaheundschnüffeltedemonstrativanihr.
«Also,entschuldigenSiemal»,hörtesichPauldaplötzlichsagen.
Erhättesichgeisselnmögendafür.WieinZeitlupenahm erwahr,wiesichMetzlersGesichtinseineRichtungdrehte. ErstaunenundEkelspiegeltensichdarin.Jetztgabjetztkein Zurückmehr.
«Entschuldigung,HerrMetzler,aberglaubenSieetwa,wir lernenmehr,jemehrwirunsvorIhrenErniedrigungen fürchten?»
MetzlerschieneinenMomentlangumseineFassungzu ringen.Dannsagteer,seineStimmeeinEispickel:«Ach,und derHerrSitzengebliebenemöchtesichjetztalsnoblerRetter derarmenKlasse6bprofilieren?WieselbstlosvonIhnen!
AberichkannIhneneinsverraten,Paul:DiesejungenLeute hierkommenbestensohneIhreHilfezurecht,Sie … Sie fleischgewordeneZEITVERSCHWENDUNG!»
DasKlassenzimmerwareinenkurzenMomentlangsostill, dassmaneineStecknadelhättezuBodenfallenhörenkönnen. DannsagteLou:«Dasreicht.Paul,wirgehen.»
Siestandauf,packteihnamArmundzogihnmitsich hinaus.
«WasfälltIhnenein!»,fauchteMetzler.«SetzenSiesich sofortwiederhin!»
AberdahattedieKlasseschonBlutgeleckt,undeiner nachdemanderenfolgtenihreMitschülerihnenausdem Zimmer.DenneineGelegenheit,eineSchulstundefrühzeitig abzubrechen,liesssichdieseKlasseniemalsentgehen.Auf demGangdraussenhörtensienoch,wieMetzlerhinterihnenherzeterte:«DaswirdeinNachspielhaben,dasgarantiereichIhnen!»
DerRestdesSchultagsverliefvergleichsweiseereignislos,und umvierUhrbeeiltensichPaulundLou,indieBesetztezurückzukommen.DieBesprechungmitderABG-Vertretung wolltensieaufkeinenFallverpassen.Paulstauntenicht schlechtüberdieMengeanMobiliar,diesichinderZwischenzeitaufderStrassevordenSchaufensterndesCafésangesammelthatte.LucasundRitahattenbeimErkundenderreichen NachbarschaftetwasoberhalbderBesetzteneinnochkaum benutztesLedersofa«zumMitnehmen»aufderStrassegefundenundmitHilfevonMajaundJanzumHausgetragen. DerSanitärhatteeinenkleinenCouchtisch,vieralteHolzstühle,einenKamelhockerundjedeMengeGeschirrausdem KellerseinerGrosselterngeholt.UndAndi,einervonRitas Punkern,hattesogardreiBarhockeraufgetrieben,weissGott, wo.JetztstandensienervösaufderStrasseherum,warteten undrauchten.
UmhalbfünftauchteneineFrauundeinMannvordem Caféauf,diesichinihrenausgewaschenenJeansundNo-Logo-
OberteilennichtbesondersvonderBesetzer-Truppeabhoben unddiedeshalbauchniemandgleichalsdieLeutevonder ABGerkannte.AlsdieFrausichhöflicherkundigte,wervon ihnendennnunFritzMüllersei,löstedaseinegewisseVerwirrungaus,weilausserPaulundLouoffenbarnochgarniemandmitbekommenhatte,dassLucassichfürdieVerhandlungendiesenDecknamenzugelegthatte.Aberalle entspanntensichschnellwieder,alsLucassichzuerkennen gegebenundmansichfreundlichdieHändegeschüttelthatte. DieFrauhattedieSchlüsselzumHausmitgebrachtund schlossdieEingangstürzumCaféauf.Dannwurdenerstmal dieganzenMöbelhineingetragen,wobeiderABG-Mannbeherztmithalf.Schliesslichsetztemansichhinundesginglos.
DieFrauvonderABGhiessselbsttatsächlichMüller,und sosprachensieundLucassichgegenseitigimmermitHerr undFrauMülleran.EskostetePaulwährendderganzen DauerderBesprechungeinigeWillenskraft,einernstesGesichtzumachen,obwohldasseineeinzigeRollewar.DieVerhandlungenführteLucaspraktischimAlleingang,mitetwas UnterstützungvonMajaundJan,dienochdieeineoderandereFrageeinbrachten,dieihnenklärungsbedürftigerschien.
DieABGhatteoffenbarnichtvielErfahrungmitHausbesetzungen,weilesseltenzuLeerständenkam,aberFrauMüller undihrKollegeHerrBaumgartnerwarensehrnettundunkompliziert,undallesliefsehrfreundschaftlichab.EinVertrag wurdenichtunterzeichnet,weildieGenossenschaftdieKosten fürStromundWasserliebergleichselbstübernehmenwollte, alseinVertragsverhältnismitdenHausbesetzerneinzugehen. Dasversetzesie,wieHerrBaumgartnererklärte,gegenüberden BehördenineinewenigerverfänglichePosition,unddieKosten,diederBetriebderLiegenschaftverursache,seienjamehr oderwenigervernachlässigbar.Dafüreinigtemansichper Handschlagdarauf,dassdieBesetzerdieLiegenschaftrechtzei-
tigvorBeginnderAbrissarbeitenfreiwilligverlassenwürden. DerenTerminstandbishernochnichtfest,seiaber,versprach FrauMüller,frühestensineinemJahrzuerwarten.ZumEnde desTreffensüberreichtesieLucaseingrossesBündelmit Schlüsseln.ZweidavongehörtenzumLadenlokalundzum DurchgangvondieseminsTreppenhaus,dieanderenpassten allefürdenHaupteingangundzusätzlichfürjeeinesderoberenvierStockwerke.VonnunankonntendieBewohnerganz normaldurchdieEingangstüreninsHausgelangen.Nurfür dieeinzelnenZimmergabeskeineSchlüssel,wasPauletwas bedauerlichfand,abermankonntehaltnichtalleshaben.
AmAbendweihtensiedasCaféeinundbegossenihren VerhandlungserfolgausgiebigmitRotweinausdemWeinkeller vomGrossvaterdesSanitärs,densieausdenPorzellantassen derGrossmutterdesSanitärstranken.SieprostetendenPassantenzu,dieverwundertvonderStrasseaushineinblickten, undLouerzählteallenmiteinerBegeisterungvonderkleinen Revolution,diePaulheuteimGeschichtsunterrichtangezettelt hatte.SielöstedamitallgemeineHeiterkeitaus,undPaullachtefröhlichmit,aberdaslagwohlvorallemamSuff,denn wennerehrlichwar,machteersichschonetwasSorgenüber diemöglichenKonsequenzenderAktion.AberliebernochetwasWeinalszuvieldarübernachdenken,sagteersich.
Siehörtenstundenlang TonSteineScherben,undbeider Zeile«DasistunserHaus!»sangenimmeralleganzlautmit. DaswaraberauchdieeinzigeZeileaufderganzenScheibe,die siealleauswendigkannten.
SchonamMittwochmusstenPaulundLoubeiHerrn SchmidantanzenwegenderAktioninderGeschichtsstunde amMontag.MetzlerhatteeigentlichgleichdenRektormit derSachebemühenwollen,aberderhatteihnelegantanden Klassenlehrerverwiesen,mitderBegründung,dasRektorat seiwährendderProbezeitmitBeschwerdenüberbesorgterElternderneuenErstklässlervollausgelastet.Paulwardasmehr alsrecht.
«WasmachenSiebeidemirblossfürSachen?»,seufzte Schmid.Ersaherschöpftaus,aberPaulwusste,dassdasnicht nuranihm,LouundihrerunterderLehrerschaftsogenannten«Horrorklasse»lag.SchmidundseineFrauhattenvor KurzemZwillingebekommen,unddasfordertenebeneinem VollzeitpensumalsMathelehrerauchseinenTribut.
SchmidwareinnetterMensch.Erhattesichfreiwilligals Klassenlehrerderneuen6bangeboten,alsdervorhergehende Amtsinhaber,derGeografielehrerHerrSchweizer,Endedes letztenSchuljahrsentnervtaufgegebenhatte.UnderbehandeltePaulinderRegelwieeinenintelligentenerwachsenen Menschen,obwohlderinseinemFacheineausgewiesene Nietewar.SeineungenügendenLeistungeninMathewaren einerderGründegewesen,weshalbPauldamalshatterepetierenmüssen.
«Estutmirleid»,sagtePaulundmeinteesauchso.«Ich wolltedasnicht,dasmüssenSiemirglauben.Aberbeiallem Respekt,HerrSchmid,derMetzlerhatwirklichnichtalle TassenimSchrank.Wiedermitunsumgeht,dasisteinfach – ichweissauchnicht … »
Schmidlächeltemüde.«Nein,pflegeleichtistderHerr Metzlernicht,Paul,damussichIhnenrechtgeben … »
ChristinaHug
Geb.1983,ineinemlinks-grünbewegtenHaushaltinZürich aufgewachsen,warinihrerJugendanmehrerenHausbesetzungenbeteiligt.SpätersasssiefürdieGrünenimGemeinderatundarbeiteteu.a.fürdieGSoA,dielinkeWochenzeitung P.S.undaktuellfürdenArthouse-FilmverleihFilmcoopi. «UnserHaus»istihrerstesBuch.
Foto:PeterH.RüeggHerbst 2002, Paul ist neunzehn und frustriert. Seine alten Schulfreunde sind auf Reisen, und er drückt immer noch die Schulbank, weil er sitzen geblieben ist. Als er mit einer Gruppe schräger Vögel ein leerstehendes Geschäftsgebäude mitten in Zürich besetzt, ahnt er noch nicht, welche Abenteuer ihn dort erwarten: In der bunt zusammengewürfelten Hausgemeinschaft entsteht ein ganz eigenes Biotop mit wilden Partys, uferlosen basisdemokratischen Sitzungen, ungewöhnlichen Freundschaften – und so einigen Komplikationen. Paul versucht mehr oder weniger erfolgreich, im Chaos den Überblick zu behalten, sich den Grabenkämpfen zu entziehen und ganz nebenbei das Herz der PunkSängerin Ronja zu gewinnen. Und irgendwann im Sommer hat er auch noch die Matur zu bestehen …
Christina Hugs literarisches Debüt taucht ein in die kunterbunten Sphären der Subkulturen und gibt einen authentischen Einblick in die Zürcher Hausbesetzerszene um die Jahrtausendwende, in der sie selbst aktiv war.