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Literaturtipps

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Schöne Bücher im März

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Großartiger Müll!

Welche Freudenjahr: Wolf Haas hat sich entschlossen, seine einzigartige »Brenner«-Reihe um einen weiteren Kriminalfall zu bereichern. Auf einem der Wiener Mistplätze (=Wertstoffhof) bricht der sonst stets von strenger Ordnung durchdrungene Arbeitsalltag zusammen, als in mehreren Sperrmüllwannen menschliche Leichenteile gefunden werden. Die Identität des zerlegten Toten ist zwar schnell geklärt, für die ermittelnde Kripo bleiben die Zusammenhänge des Falles dennoch ein ungelöstes Puzzle. Nur gut, dass unter den Müllmännern auf dem Platz auch ein ehemaliger Kollege ist: genau, Simon Brenner. Und der beherrscht sein Ermittlungshandwerk trotz Berufswechsel nach wie vor aus dem Effeff … Hach, Wolf Haas macht süchtig, gern gleich noch einen Fall! (mei)

Lieblingsbuch

Da der Frühling gerade am Erwachen ist, sollte eine Liebesgeschichte auf dieser Seite nicht fehlen. Gerade, wenn just eine der schönsten überhaupt zur Wiederentdeckung einlädt: Tschingis Aitmatovs Klassiker »Djamila« (1958), soeben erschienen in der Galiani-Reihe »Lieblingsbücher«, von Kat Menschik kongenial stimmungsvoll bebildert – und auch für all jene, die bereits im DDR-Schulunterricht angesichts der verbotenen Liebe zwischen dem verschlossenen Kriegsheimkehrer Danijar und der lebendig-fröhlichen, leider schon verheirateten Djamila und den daraus hervorgehenden Verwicklungen dahingeschmolzen sind, eine Wiederbegegnung wert — allein schon wegen der vielen Düfte und Bilder eines unvergesslichen Sommers, die diese großartige Erzählung hervorbringt. (mei)

Wolf Haas: »Müll« Hoffmann und Campe, 288 Seiten (geb.) Tschingis Aitmatov/Kat Menschik (Ill.): »Djamila« Galiani Berlin, 112 Seiten (geb.)

Einmal berühmt sein

So manch innerdeutsche Fluchtgeschichten wurde ja schon erzählt. Wäre jene wahr, die Maxim Leo gesponnen hat, wäre sie an Beispiellosigkeit kaum zu toppen und Michael Hartung, die Hauptfigur dieses hochvergnüglichen Hochstaplerromans, der Held schlechthin: Der erfolglose Videothekenbesitzer erhält eines Tages Besuch von einem Journalisten, der überzeugt davon ist, in ihm jenen Mann gefunden zu haben, der seinerzeit für die Massenflucht von 127 Menschen in einer S-Bahn vom Bahnhof Friedrichstraße in den Westen verantwortlich war. Hartung dementiert, Hartung bestätigt, Hartung wird zum Helden der Medien, berühmt und geliebt — und würde aus diesem wilden Münchhausen-Dickicht dann doch ganz gern wieder hinaus finden. Nur wie? Liebenswerter Lesespaß. (mei)

Maxim Leo: »Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße« Kiepenheuer & Witsch, 304 Seiten (geb.)

Erstklassiges Kopfkino

Geht es um die Schweiz, kommt man nicht um Berge, um Käse, vor allem aber nicht um die urschwyzerische Sagengestalt des Wilhelm Tell herum. Apfelschuss, klar, das weiß man, aber warum, wieso und überhaupt? Schiller hat seinerzeit ein feines Drama aus dem Stoff gesponnen, viele andere vor und nach ihm ebenso. Nun auch der Schweizer Autor Joachim B. Schmidt — der aus einem bärtigzauseligen, eigenwillig unnahbaren Bergbauern als (Anti)Held sowie knapp 100 perfekt miteinander verwobenen und von 20 unterschiedlichen Protagonisten vorgetragenen Szenenbildern einen derart rasantmitreißenden Pageturner-Roman komponiert hat, dass man gar nicht anders kann, als am Ende mit einem Gefühl wohlig-satt-zufriedener Erschöpftheit den Buchdeckel zuzuschlagen. Genial! (mei)

Joachim B. Schmidt: »Tell« Diogenes, 288 Seiten (geb.)

Gehen oder bleiben?

Kurt Tucholsky war von ihrem sprühenden Witz begeistert, sah in Irmgard Keun eine echte »deutsche Humoristin« heranwachsen. Doch die Nazis machten dieser Prophezeiung einen Strich durch die Rechnung, ließen ihre Werke aus Buchhandel und Bibliotheken entfernen. Keun revanchierte sich 1936 aus dem Exil mit »Nach Mitternacht« — einem mit satirischem Blick und viel authentischem Zeitkolorit gespickten Großstadtroman über die (Un-)Erträglichkeiten des Nazialltags in Deutschland — präzise und witzig geschildert aus der Sicht der 19-jährigen Susanne, die sich an der Schwelle zwischen Jugend und Erwachsensein entscheiden muss: in der Heimat bleiben oder diese verlassen? Willkommene Wiederentdeckung eines der wichtigsten Bücher der deutschen Exilliteratur. (mei)

Irmgard Keun: »Nach Mitternacht« claassen, 208 Seiten (geb.)

Sich selbst stellen

Schon 2018 veröffentlichte Daniel Schulz einen vielbeachteten und in der Folge auch preisgekrönten Essay, in dem er sein persönliches Aufwachsen im Brandenburg der 1990er Jahre nachzeichnet. Jetzt folgt die Romanfassung unter gleichem Namen und mit breiter etabliertem Inhalt. Die Zeit: Nachwende. Der Ort: die ostdeutsche Provinz. Die Hauptfigur: Der Ich-Erzähler, eben noch durch und durch Kind, alsbald aber schon ein nach Orientierung suchender Jugendlicher, schwankend zwischen einer vermeintlichen Sicherheit, die ihm die Rechten in seinem Umfeld bieten und dem anhaltenden Bedürfnis, vor eben diesen und der schier allgegenwärtigen Gewalt, die sie verbreiten, davonzulaufen — oder doch dagegen zu halten. Wuchtig und unverblümt, durchweg mitreißend erzählt. (mei)

Daniel Schulz: »Wir waren wie Brüder« Hanser Berlin, 288 Seiten (geb.)

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