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SPD-Parteitag oder Theaterneubau?

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FEST

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Als Jenas Stadthistoriker Rüdiger Stutz zum »Zwölften Tag der Stadtgeschichte« am 8. Oktober 2022 ins Jenaer Rathaus lud und dort mit Jena-Experten und historisch interessierten Bürgern zum Thema »Jena-Images« konferierte, sorgte ein Filmfragment für Diskussionsstoff, das einen Ausschnitt aus einem offenkundig studentischen Umzug am Rande des Reichsparteitages der SPD liefern sollte. So fiel zumindest die Zuordnung der aus dem Filmarchiv des Bundesarchivs in Berlin stammenden Aufnahme aus und nicht anders fand sie Eingang in das Jenaer »Lexikon zur Stadtgeschichte« aus dem Jahr 2018. Nach derzeitigem Kenntnisstand handelt es sich dabei um die älteste erhaltene Filmaufzeichnung von Jena.

Besagter SPD-Parteitag fand vom 10. bis 16. September 1911 im Jenaer Volkshaus statt. Und tatsächlich veranstalteten Studenten an dessen letzten Versammlungstag einen Umzug durch die Innenstadt, mit dem sie — »keine Provokation […], nur ein harmloser Ulk« — den bisherigen Verlauf und das Ergebnis der Verhandlungen im Volkshaus glossierten. Zum Tagesgeschehen entsprechend »Stellung zu nehmen« war seinerzeit gang und gäbe. Parodiert wurde so der Marktwirt Paul Göh- re, der sich geweigert hatte, bei dem zum Parteitagsausklang abgehaltenen sozialistischen Marktfest die Genossinnen und Genossen zu bedienen. Ebenso waren bei der Prozession »verschiedene ›Obergenossen‹ in vorzüglicher Maske dargestellt«: Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, August Bebel, Karl Kautsky u. a., die — wie die Jenaische Zeitung hämisch vermeldete — angesichts ihrer Doppelgänger humorlos reagierten. Beifällig schilderte das Blatt zudem, wie die Studenten »das ›Resultat‹ des Parteitags […] in der ihnen eigenen, treffenden Art dargestellt [hatten]. Den Abschluss des Zuges bildete nämlich ein Wagen mit ›Mist‹.«

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Noch bevor das Filmfragment zum Stadtgeschichtstag präsentiert wurde, waren Zweifel daran aufgekommen, dass es sich bei den Schwarz-Weiß-Aufnahmen tatsächlich um Szenen aus dem Umfeld des SPD-Reichsparteitages handelt. Bestärkt wurden sie durch die entlaubten Bäume im Hintergrund sowie die doch wärmere Kleidung der Passanten, die auf eine andere als die spätsommerliche Jahreszeit hindeuteten, nicht zuletzt aber durch Plakate der Protagonisten des Umzuges, die vorzugsweise den seinerzeit kommunal propagierten Neubau des Stadtthea- ters thematisierten. So sind Schlagzeilen wie »Theaterneubau Stadt Jena«, »Kunst-Tempel Schmiere«, »Wer muss zahlen: Universität oder Bürgerschaft?« und »Zu verkaufen! Erlös ist für die Theaterneubau-Kasse bestimmt« zu erkennen. Heraus stellte sich schließlich, dass ein halbes Jahr später, am 27. März 1912, ein ebenso parodierender Studentenaufzug lärmend durch Jenas Innenstadt gezogen war, der aber eben nicht die SPD, sondern die emotionalen Diskussionen um einen Theaterneubau für Jena aufs Korn nahm. Immerhin »wurden gewisse unliebsame Stadtereignisse in dem Zuge mit beißender Satire wiedergegeben; so manche stadtbekannte Persönlichkeit war in getreuer Kopie wiederzuerkennen, ein armer Sündenbock baumelte sogar hoch am Galgen, mehrere der Mitwirkenden wieder entfalteten ein recht ›einnehmendes Wesen‹ — jedermann erkannte, was hier mit Ironie im Bild gegeißelt wurde«, wie das Jenaer Volksblatt das Spektakel kommentierte.

Genaueres zur Problematik bedarf indes weiterer Forschungen. So ist bislang gerade einmal bekannt, was an dieser Stelle knapp umrissen wurde. Vor allem aber liegt völlig im Dunkeln, durch wen und wozu jenes Filmdokument gedreht wurde. (jop)

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