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Schöne Bücher im Februar

Auf Schusters Rappen Alles kippt

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Willi Winkler (geb. 1957), Autor, Übersetzer und Zeitungsredakteur, zieht es immer mal wieder hinaus in die Weiten und Tiefen des Landes, um eine persönliche Bestandsaufnahme von Land und Leuten vorzunehmen. Im Herbst 2020 floh er die Enge der Pandemie und wanderte 1.300 Kilometer gen Süden: von Wittenberg aus über Erfurt, Nürnberg, Ulm und Lindau immer weiter bis nach Mailand, mit Luther, Goethe und Seume im geistigen Gepäck — und jeder Menge kleinerer und größerer Zumutungen der heutigen Gesellschaft, die es ihm zu meistern galt. Daraus hervorgegangen ist ein Reisebericht wie kein anderer: bissig-ironisch, wenn es um Land und Leute geht, kurzweilig-lehrreich, wenn er die wandernden Dichter vergangener Zeiten auferstehen lässt. Für Genießer. (mei)

Wenn ein Buch sich als »Gripperoman« vorstellt, hat die Normalität zwischen den Buchdeckeln Urlaub. Es ist kurz vor Neujahr und bitterkalt in Jekaterinburg im Ural. Eisige Straßen, schäbige Wohnblöcke, geifernde Rentner, übellaunige Verkäuferinnen. Petrow alles egal. Der 28-jährige Automobilschlosser will nur heim, sitzt im kleinen Trolleybus und freut sich grippeschwanger auf ein Fiebermittel und sein Bett. Doch die Heimfahrt wird zur Irrfahrt. Wie durch Zauberhand sitzt Petrow plötzlich in einem Leichenwagen und kippt mit seinem Trinkkumpan Igor Wodka — während ein Fiebertraum nach dem anderen aus dem Nebel in ihm aufsteigt und dem vielleicht besten literarischen Delirium seit Wenedikt Jerofejews legendärer »Reise nach Petuschki« die Bühne bereitet. (mei)

Jahrtausenddichter Menschlich groß

Jede Kultur hat ihre Jahrhunderte überstrahlenden

Dichter: die Deutschen und die Griechen genauso wie die Russen oder die Norweger. Und die Chinesen? Haben einen, der von staatlicher Seite zwar nur nachrangig gewürdigt wird, dessen dichterisches Vermächtnis im Volk jedoch schon seit Jahrhunderten fester Bestandteil der Alltagskultur ist und von Generation zu Generation weitergebenen wird: Li Bai (701–762), der »verbannte Unsterbliche«. Dessen von Entbehrung wie auch von Ausschweifung geprägten Lebensweg, der in einem von Legenden umrankten Tod sein Ende fand, hat der chinesische Exilautor Ha Jin (geb. 1956) mit dem meisterlichen Gespür eines versierten Romanciers als opulente Romanbiografie wieder auferstehen lassen. Lohnenswerte Kultur- und Zeitreise. (mei)

Wenn die Eltern beim Zirkus arbeiten, ist die eigene Kindheit alles andere als gewöhnlich: Ida ist ein solches Zirkuskind, ihre Eltern Stars beim DDRStaatszirkus »Aeros«, sie am Trapez, er Herr der Elefanten. Ida immer dazwischen. Dann zur Einschulung ein neues, anderes Leben: Ida wird zur »Ohm« ins Erzgebirge verschickt, in deren Kneipe die Kumpels aus der Uranmine ihren Lohn versaufen. Weitere Veränderung hält die Wende bereit. Der Zirkus wird verscherbelt, die Mine geschlossen, die Eltern trennen sich. Und Ida? Macht sich auf die Spuren ihrer alten Elefantenfreundin Hollerbusch, die an den Zoo von Kiew verkauft wurde … Dieser mit sehr menschlichen Geschichten von Zirkus- und Bergleuten gefüllter Roman ist eines der nahbarsten Bücher dieser Tage. (mei)

Lettischer Klassiker Das besondere Geständnis

Hochgepriesener lettischer Schriftsteller mit sieben Buchstaben, Autor zahlreicher Romane, Kurzgeschichten, Theaterstücke u.v.m., vergangenes Jahr 95-jährig verstorben und: unbedingt eine Entdeckung wert? Klar. Zigmunds Skujin¸š! »Das Bett mit dem goldenen Bein« (1984), sein Roman-Klassiker schlechthin, ist jüngst im Programm der mare-Klassiker erschienen. Skujiņš breitet darin, beginnend im 19. Jahrhundert, mit viel erzählerischem Elan und feinem Schalk die von zahlreichen abenteuerlichen und dramatischen Wendungen geprägte Familiensaga der Ve¯jagals aus, die ihr Zentrum in einer schmucken Legende findet: Angeblich soll Familienpatriarch Noass seine auf vielen Seefahrten zusammengetragenen Reichtümer in einem Pfosten seines Bettes versteckt haben … Tipp! (mei)

Bestsellerautor Arno Geiger hat in seinem neuen Buch beschlossen, ein lang gehütetes Geheimnis mit seiner Leserschaft zu teilen. Über 30 Jahre hinweg tauchte er bei ausgedehnten Streifzügen mit dem Radel in die im Papiermüll deponierten Hinterlassenschaften seiner Wiener Mitbürger, um daraus Bücher, Prospekte und Postkarten, vor allem aber alte Briefkorrespondenzen zu bergen, die nicht nur zum kreativen Grundstein seiner Schriftstellerkarriere wurden, sondern überhaupt einen ganz eigenen, nachhaltigen Einfluss auf seinen Weg durchs Leben nahmen. Überaus nahbar und nicht ohne Humor präsentiert sich »Das Glückliche Geheimnis« als ein Monument aufrichtiger, völlig uneitler Autofiktion, das viel vom Leben, vom Leiden und Lieben zu erzählen weiß. Ganz groß! (mei)

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