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Neues fürs Heimkino
| FILME |
Der Kampf einer Mutter
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Vor 20 Jahren war der Bremer Murat Kurnaz einer der ersten, der in den Nachwehen von 9/11 als Terrorverdächtiger von den Amerikanern nach Guantanamo verschleppt wurde — wie sich letztlich herausstellte, völlig schuldlos. Kurnaz’ Geschichte ist hierzulande schon mehrfach erzählt worden, Andreas Dresens Interesse liegt in seinem jüngsten Film allerdings auch vielmehr auf der titelgebenden Rabiye Kurnaz (Meltem Kaptan), der Mutter des Verschleppten. Als ihr Ältester sich kurz nach den New Yorker Anschlägen ohne Ankündigung ins pakistanische Karatschi aufmacht, ahnt sie noch nicht, dass es mehr als fünf Jahre dauern würde, bis sie ihren Sohn endlich wiedersehen würde. Eben war er noch da, jetzt klingeln plötzlich Reporter an ihrer Tür und behaupten, hier würde ein Taliban wohnen. Ihr Murat! Bei den deutschen Behörden findet die verzweifelte Frau wenig Beistand — ihr Sohn hat keine deutsche Staatsbürgerschaft. Doch der Zufall will es, dass Rabiye an den Bremer Menschenrechtsanwalt Bernhard Docke (Alexander Scheer) gerät, bei dem sie auf Gehör und dann auch Unterstützung trifft. Gemeinsam legen die beiden einen mühsamen Marathon durch sämtliche Instanzen und Institutionen zurück, der sie am Ende bis ins Weiße Haus führt. Und letztlich von Erfolg gekrönt ist: 2006, nach 1.786 Tagen der Internierung kann Rabiye ihren Sohn endlich wieder in die Arme schließen. Großartiges Darstellerkino trifft auf großes menschliches Drama mit politischer Botschaft: Andreas Dresens »Rabiye Kurnaz« ist eine Wucht! (mei)
RABIYE KURNAZ GEGEN GEORGE W. BUSH Seit 14.10.2022 auf DVD, Blu-ray und VoD
Let’s talk about sex
Emma Thompson spielt in »Meine Stunden mit Leo« eine frisch pensionierte Religionslehrerin, die mit Blick auf zurückliegende Jahrzehnte eines unerfüllten Sexlebens sich nichts sehnlicher wünscht als einmal richtig erregt zu werden, in den Genuss von wirklich erfüllendem Sex zu kommen, vielleicht sogar einmal einen echten Orgasmus zu erleben. Von ihrem Ehemann kann sie diesbezüglich keine Hilfe erwarten, dieser ist bereits seit zwei Jahren tot und sowieso alles andere als eine Rakete im Bett gewesen. Also mietet sich die Pensionärin, die noch nie mit einem anderen Mann als besagtem Ehemann geschlafen hat, in einem Hotel ein und bestellt sich für ihre Forschungsreise ins Land des zügellosen Sex einen attraktiven Callboy, Leo Grande (Daryl McCormack), aufs Zimmer. Schnell ist allerdings klar, dass dies keine Nummer auf Knopfdruck wird, Nancy ist viel zu aufgeregt und unsicher, ob sie nicht zu alt, zu unattraktiv für ihr Gegenüber ist. Also tasten sich beide über viele Gespräche und mehrere wendungsreiche Begegnungen in intimere Bereiche voran…
Regisseurin Sophie Hyde hat mit dieser als Kammerspiel angelegten Tragikomödie eine mit feinem Humor erzählte, präzise inszenierte und hervorragend besetzte Filmperle geschaffen, die bei weitem nicht nur um die Frage kreist, wie man — in diesem Falle Frau — auch im reiferen Alter frei von Hemmungen und vermeintlichen Tabus zu richtig gutem Sex kommt. Auf Sprach- und Darstellerebene hervorragend umgesetzt. Klarer Filmtipp. (mei)
MEINE STUNDEN MIT LEO Ab 29.11.2022 auf DVD, Blu-ray und VoD
Seltene Wetterlagen
Der jüngste Spielfilm von Jordan Peele gehört zu jener Sorte von Kinoerzeugnissen, die man sich des Filmgenusses halber idealerweise ohne Vorinformation und Kenntnis der Story geben sollte. Was wiederum eigentlich zur Folge haben müsste, dass dieser Filmtipp sich lediglich auf eine ausdrückliche Empfehlung — Schauen Sie diesen Film! — beschränkt. Nun, so viel sei für den kleinen Appetit preisgegeben: »Nope« erzählt von zwei erwachsenen Geschwistern, dem eigenbrötlerischen, in sich gekehrten OJ (Daniel Kaluuya) und seiner extrovertierten Schwester Emerald (Keke Palmer), die in einem abgelegenen kalifornischen Tal eine Pferderanch für Film- und Fernsehproduktionen betreiben. Ein halbes Jahr ist es her, dass ihr Vater vorm Haus von einer Fünf-CentMünze getötet wurde, die, nun ja, vom Himmel herabfiel und seinen Augapfel durchbohrte. Ein Vorfall, den OJ nur schwer verwinden kann und auch ein Grund, warum er sich nun mit dem Gedanken trägt, die Ranch zu verkaufen. Doch dann fällt ihm eine seltsame Wolke auf, die stets an der gleichen Stelle über dem Tal zu hängen und mehr noch, ihn auch zu beobachten scheint… Wie die beiden Vorgängerfilme Jordan Peeles »Get Out« und »Wir« trägt »Nope« starke Züge eines Thrillers, nimmt zusätzlich aber nicht nur Anleihen beim Horrorfilm, sondern auch beim Western, bei der Science-Fiction und der Satire, mag zudem eventuell beim ein oder anderen Zuschauer Erinnerungen an Steven Spielbergs »Der weiße Hai« wecken und ist insgesamt ein gleichsam überraschendes wie auch bildgewaltiges Filmspektakel. Lohnt sich unbedingt. (mei)