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STICKKUNST AUS OSMANISCHER ZEIT
Bestickte Gegenstände waren im Leben der osmanischen Bevölkerung von der Kleidung bis zur militärischen Ausrüstung, bei prunkvollen Zeremonien im Palast wie bei alltäglichen Aktivitäten in den einfachen Haushalten präsent. So entwickelte sich die Stickerei zu einem professionellen Handwerk und es entstanden herausragende Kunstwerke. Die besondere Rolle der Stickerei unter den dekorativen Künsten der Osmanen ist zu einem großen Teil auf die türkischen Bräuche und Traditionen zurückzuführen, insbesondere auf ihr nomadisches Erbe. Osmanische Paläste und Wohnhäuser waren nicht mit Möbeln im westlichen Stil eingerichtet. Es dominierten niedrige Sofas (sedir) mit bestickten Kissen entlang der Wände, und die wenigen Möbel waren mit reich verzierten Tüchern verkleidet. Webkunst und Stickerei waren dadurch prominent vertreten, in Teppichen, Wandtüchern und Vorhängen vor Fenstern, Türen, Schränken und Feuerstellen. Neben der mit Stickereien versehenen Innendekoration gehörten auch verschiedenste bestickte Tücher wie Betttücher (yorgan yüzü), Einschlagtücher (bohça), Gebetsteppiche (seccade), Speisematten (nihale), Turbantücher (kavuk örtüsü), Spiegeltücher (ayna örtüsü), Rasiertücher (berber önlüğü), Handtücher ( peşkir), Servietten ( yağlık) und Badetücher (havlu) zu den unverzichtbaren bestickten Gegenständen.1 Räume wurden, ob in Palästen, Villen oder einfachen Wohnhäusern, nicht nach Schlaf-, Ess- oder Wohnzimmer aufgeteilt. Zur Essenszeit wurde ein Raum mit Hilfe eines Esstabletts aus Kupfer oder Messing (sini ) und eines Tuches (sofra nihalesi ) zum Esszimmer und zur Schlafenszeit mit einer Matratze und Bettdecken zum Schlafzimmer umfunktioniert. Somit wurde die Einrichtung des Raumes mit Hilfe von gewebten und gestickten Gegenständen je nach Bedarf angepasst.
Quellen wie Gemälde und Miniaturmalereien einheimischer und ausländischer Kunstscha ender geben eine Vorstellung davon, von wem, wo, wie und zu welchem Zweck die Stickereien zu osmanischer Zeit hergestellt und verwendet wurden. Ab dem 16.Jahrhundert liefern Reiseberichte detaillierte Informationen. Die erste bekannte ausländische Quelle zu türkischen Stickereien ist das Werk des Franzosen Nicolas de Nicolay (1517–1583) mit dem Titel Navigations et pérégrinations orientales , in dem er von den meisterhaften Nadelarbeiten der Frauen aus Karaman in der Provinz Konya berichtet.2
Mädchen, gleich welchen Standes, lernten in der osmanischen Zeit die Kunst der Stickerei von frühester Jugend an, da diese Fertigkeit als wichtiger Bestandteil der Erziehung angesehen wurde. Nicolas de Nicolay berichtete 1550, dass im Palast 200 junge Mädchen in Zehnergruppen aufgeteilt und in diesen Kleingruppen in verschiedensten Näh- und Sticktechniken unterrichtet wurden.3 Auch die Frauen und Töchter der Sultane waren berühmt für ihre Stickereien, darunter die Lieblingsfrau von Süleyman I. (reg. 1520–1566), Hürrem Sultan, und die Tochter von Murad IV. (reg. 1623–1640), Kaya Sultan.4 Im Seyahatnâme, dem
Hülya Bilgi