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2
Inhaltsverzeichnis 1.
Einleitung ......................................................................................................5
2.
Neue
Materialverbunde
durch
innovative
Herstellungsverfahren
sowie
Füge-
und
Hybridfügetechniken ...............................................................................................7 2.1.
Faser-Kunststoff-Verbunde ..........................................................................7
2.2.
Metallverbunde ........................................................................................ 11
2.3.
Fügetechnologien .....................................................................................13
2.4.
TriboDesign – Reibung und Verschleiß minimieren – Laserinduzierte
Riffel/Wellen
im Submikrometerbereich ....................................................................................16 3.
4.
Innovative Untersuchungsmethoden in Material- und Bauteilprüfung ...........................19 3.1.
Zerstörungsfreie Prüfmethoden in der Material- und Bauteilprüfung .....................19
3.2.
Zerstörende Werkstoffprüfung bei Raum-, Tief- und Hochtemperatur ................. 30
3.3.
Mikro- und nanoanalytische Untersuchungsmethoden mit in situ Erweiterungen..... 33
Literaturverzeichnis ........................................................................................ 45
3
4
1.
Einleitung
Wie interessant ein Land als Wirtschaftsstandort ist, hängt von vielen Faktoren ab. Ein wesentlicher ist die Forschung. Um weltweit wettbewerbsfähig zu bleiben und als Standort Österreich dem internationalen Konkurrenzdruck zu begegnen, entwickeln österreichische Firmen immer neue anspruchsvollere Materialien und Materialverbunde. Die damit verbundenen und permanent wachsenden Anforderungen an die führenden Forschungseinrichtungen in Österreich verlangen eine stetige Aktualisierung der verfügbaren Dienstleistungen. Deshalb hat sich der Dachverband der österreichischen Forschung ACR das Ziel gesetzt, neue und innovative Entwicklungen im Forschungsbereich so rasch als möglich im Rahmen des Innovationsradars einem interessierten Publikum aus Industrie und Forschung zur Verfügung zu stellen. Im sehr breiten Feld der Produkte, Prozesse und Werkstoffe fokussiert sich das ACRInnovationsradar im Wesentlichen auf drei zentrale Themenbereiche:
Neue Materialverbunde durch innovative Herstellungsverfahren sowie Füge- und Hybridfügetechniken Innovative Untersuchungsmethoden in der Material- und Bauteilprüfung Anwendungsorientierte Innovationen im Tribodesign
Hohe Festigkeit und Steifigkeit, Dauerhaftigkeit, thermische Stabilität sowie Korrosionsbeständigkeit in Kombination mit geringem spezifischem Gewicht – das sind heute die Werkstoffanforderungen, die an moderne Konstruktionsteile (z.B. in der Automobilindustrie) gestellt werden. In vielen Fällen ist dieses Ziel alleine durch den Einsatz eines einzigen Werkstoffes nicht zu erfüllen: Optimierte Materialkombinationen aus zwei (oder mehreren) unterschiedlichen Werkstoffklassen (heterogene Multimaterialverbunde) bzw. die Kombination metallischer Werkstoffe mit Faser-Kunststoff-Verbunden (FKV) stellen häufig geeignete Lösungsansätze dar. Der allgemeine Trend zu Leichtbau-Konstruktionen sowie verschärfte wirtschaftliche Rahmenbedingungen in der Produktion führen zunehmend
zum Einsatz innovativer Materialien bzw. Materialkombinationen, zur Herausforderung, diese Werkstoffe untereinander zu verbinden sowie zur Anwendung neuartiger bzw. Optimierung bestehender Fertigungstechnologien.
Nach wie vor stellen wirtschaftliche Überlegungen ein Haupthindernis für die Umstellung herkömmlicher Produktionsverfahren bzw. für die Einführung neuer Füge- und Hybridfügetechniken dar. Den relativ hohen Anfangsinvestitionen stehen jedoch die erzielbaren deutlichen Einsparungen an eingesetzten Materialmengen sowie eine erhöhte Produktivität gegenüber. In diesem dynamischen Arbeitsgebiet ergeben sich für Entwickler und Anwender allerdings folgende Herausforderungen: 5
Notwendigkeit der Weiterentwicklung von Werkstoffen und Multimaterialverbunden, um die gesteckten Ziele (z.B. Gewichtseinsparung, Prozessoptimierung, Designanforderungen) zu erreichen. Korrekte und anwendungsspezifische Auswahl und Abstimmung von Verbindungstechnologien im Hinblick auf die jeweiligen Anforderungen moderner Konstruktionsteile – sowohl im Bereich metallischer Werkstoffe untereinander als auch im Bereich heterogener Multimaterialverbunde (z.B. mit metallischen und polymeren Materialkomponenten). Optimierung von Prozesstechnologien, um intelligentes Design mit wirtschaftlich vertretbaren Fertigungsprozessen realisieren zu können (Energieeinsparung und Effizienzsteigerung bei der Fertigung). Umweltfreundlichkeit der Produkte, insbesondere in Bezug auf die Life Cycle Performance sowie die Recyclierbarkeit.
Aufgrund steigender Qualitätsanforderungen an moderne Werkstoffe und Bauteile spielt die sichere Erkennung von Materialdefekten und/oder Materialermüdungen und damit die Anwendung innovativer Untersuchungsmethoden eine immer größere Rolle. Beschränkte man sich in der Vergangenheit überwiegend auf klassische Methoden der zerstörenden Materialcharakterisierung, so kommt heute ganzheitlichen Betrachtungsweisen steigende Bedeutung zu. Damit einher geht die Anwendung zerstörungsfreier Prüfmethoden in der Material- und Bauteilcharakterisierung: Ihre zunehmende Verbreitung verdanken sie insbesondere der Verfügbarkeit hochempfindlicher Sensortechnik und ausgereifter Datenverarbeitungssysteme zu wirtschaftlich vertretbaren Konditionen. Die Analyse von Ausfallteilen im Vergleich zu fehlerfreien Chargen hilft, die Schadensursachen aufzuklären und latente Mängel oder Fehler der Produktion zu lokalisieren; auf diese Weise entsteht ein besseres Verständnis für den eingesetzten Werkstoff, dessen Verarbeitung und Einsatzgrenzen. Bei zahlreichen Herstellungsprozessen/Produktionsverfahren wird immer öfter eine 100 prozentige Qualitätskontrolle der ausgelieferten Teile gefordert: Entsprechend ausgereifte inlinePrüfmethoden erlauben hier nicht nur die Sicherung der Produktqualität, sondern können auch zur Prozesssteuerung herangezogen werden, was speziell bei hohen Stückzahlen eine signifikante Kostenreduktion durch Ausschuss-Verringerung bewirken kann. Da Schadensfälle Imageverlust und hohe Folgekosten nach sich ziehen – beides Faktoren, die für KMU extrem kritisch sein können – empfiehlt es sich, im Rahmen begleitender qualitätssichernder Maßnahmen rechtzeitig entsprechendes Know-how über den eingesetzten Werkstoff oder Materialverbund aufzubauen: Die Beschäftigung mit den Möglichkeiten neuer, innovativer Charakterisierungsverfahren kann hierzu einen wesentlichen Beitrag leisten.
6
2.
Neue Materialverbunde durch innovative Herstellungsverfahren sowie
Füge- und Hybridfügetechniken 2.1.
Faser-Kunststoff-Verbunde
Im Bereich der Faser-Kunststoff-Verbunde (FKV) wird auch in den kommenden Jahren eine weitere Bedarfssteigerung gegenüber 2014 erwartet. Gründe hierfür liegen insbesondere in der zunehmenden Substitution herkömmlicher (vorwiegend metallischer) Werkstoffkomponenten durch heterogene Multimaterialverbunde. Signifikante technologische Entwicklungen sind dabei sowohl in den Bereichen der Faser- und Matrix-Werkstoffe als auch bei den Verarbeitungstechnologien zu erkennen. Die in den FKV eingesetzten Fasermaterialien verleihen dem Materialverbund seine typischen Eigenschaften, wie hohe Festigkeit, Steifigkeit, Zähigkeit und Wärmeformbeständigkeit. Nach wie vor werden Glasfasern aus Kostengründen trotz ihres relativ hohen spezifischen Gewichtes am häufigsten eingesetzt (95 Prozent der Gesamtmenge an Composites) – entweder in Form von Endlosfasern (Rovings, Gelege) oder aber auch als Matten-, Gewebe- bzw. Kurz- und Langglasfasern. Gemäß dem aktuellen Composites Marktbericht 2015 der AVK [1] wächst der europäische Markt glasfaserverstärkter Kunststoffe (GFK) trotz hohem Niveau von zuletzt ca. 2,3 Mio. Tonnen weiter beständig um etwa 2,5 Prozent pro Jahr – insbesondere auf Grund der positiven Entwicklungen in den für den GFKEinsatz wichtigsten Anwendungsgebieten Transport und Bau. Obwohl also die Produktionsmengen von Glasfaser-Kunststoffverbunden in vielen industriellen Anwendungsbereichen nach wie vor leicht ansteigen, erfolgt in einigen Sektoren mit spezifischen Produktanforderungen eine teilweise Verschiebung von Glasfaser- hin zu Carbonfaserverstärkten Produkten. Im Bereich der mineralischen Fasern beginnen sich langsam die Basaltfasern zu etablieren, die von ihrem Eigenschaftsspektrum zwischen den Glas- und den Carbonfasern angesiedelt sind. Etwas höhere Steifigkeit und deutlich höhere Festigkeit liefern bessere mechanische Bauteileigenschaften als GFKs, aus wirtschaftlichen Gründen haben sich jedoch BasaltfaserCompounds bis dato nur in einzelnen Anwendungsbereichen durchgesetzt. Carbonfasern sind derzeit noch in vergleichsweise kleinen Mengen im Einsatz, die CFKVerbrauchsmengen der letzten Jahre zeigen jedoch einen stark steigenden Bedarf (Abb. 1). Carbon-Composites weisen eine enorme Steifigkeit und Festigkeit bei gleichzeitig geringer Dichte auf und haben sich bisher vor allem in High-Tech-Anwendungen (Luft- und Raumfahrt inkl. Militär, Windenergie, Spitzensport) etabliert. Für die kommenden Jahre wird aller7
dings auch ein deutlich zunehmender Einsatz in der Serienfertigung erwartet, insbesondere im Automobilbau, mit prognostizierten Wachstumsraten von über 10 Prozent pro Jahr. Die Herausforderungen liegen hier vor allem in der ausreichenden Verfügbarkeit hoch effizienter, automatisierter Fertigungsverfahren, um auch den im Bereich der Mittelklasse-PKWs herrschenden wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen
entsprechen
zu
können.
Zukunftspotentiale
liegen hier einerseits in der Verwendung von Mischgeweben, mit deren Hilfe Verbundwerkstoffe hinsichtlich ihrer Steifigkeit und Zähigkeit exakt ausbalanciert werden können; andererseits aber auch in der Ausgestaltung bzw. Anfertigung innovativer textiler Vorformlinge.
Abbildung 1: Globaler CFK-Bedarf in Tonnen, 2009–2021 (Abbildung: OFI)
Aramidfasern (aromatische Polyamidfasern) führen – trotz ausgezeichneter mechanischer Eigenschaftswerte – im Composite-Bereich nach wie vor ein Nischendasein: Weltweit werden nur etwa 2.500 Tonnen in FKV eingesetzt [3] – verglichen mit etwa 40.000 Tonnen Carbonfasern bzw. ca. 5 Mio. Tonnen Glasfasern. Gründe dafür sind insbesondere die Feuchteaufnahme und der hohe Wärmeausdehnungskoeffizient der Fasern verbunden mit einer eher schwierigen Verarbeitung derselben, die eingeschränkte Druckfestigkeit der Composites sowie wirtschaftliche Aspekte. Es darf daher davon ausgegangen werden, dass speziell im Bereich der FKV Aramidfasern künftig verstärkt gemeinsam mit den vergleichsweise steifen Carbonfasern eingesetzt werden. Die dabei erhaltenen Composites zeichnen sich durch sehr hohe Festigkeit, hohe Dehnung und exzellente Schlagzähigkeit aus und eignen sich daher insbesondere für stark schlagbeanspruchte Bauteile. Eine ähnliche Nischenstellung nehmen Basalt- und Quarzfasern ein [3], die sich gegenüber Glasfasern durch höhere Alkaliresistenz und thermische Beständigkeit auszeichnen. Wegen 8
ihres aufwändigen Herstellungsprozesses und dem dadurch bedingten höheren Preis gegenüber Glasfasern kommen sie nur in ausgewählten Nischenbereichen zum Einsatz (z.B. bei Kugelkalotten an Flugzeugen). Speziell in den letzten Jahren werden zunehmend auch Naturfasern (insbes. Holz-, Baumwolle-, Flachs-, Kenaf-, Hanf-, Sisal- und Kokosnussfasern) im Bereich von FKV eingesetzt: Mit einer weltweiten Produktionsmenge von etwa 92.000 Tonnen pro Jahr (Stand 2012; [2]) und ihrem Haupteinsatzgebiet im Automobilsektor kommen naturfaserverstärkte Kunststoffe (NFK) zum einen wegen ihres Eigenschaftsspektrums (geringe Dichte, hohe Zähigkeit, hohe Steifigkeit), insbesondere aber mit ökologischen Argumenten (CO2Bilanz) zum Einsatz. Weiterentwicklungen im Bereich von Harz- und Matrixsystemen erfolgen heute meist sehr zielgerichtet und anwendungsorientiert in Bezug auf Temperatur- und Alterungsbeständigkeit, Chemikalien- und Korrosionsfestigkeit, Schlagzäh- und Brandfestausrüstung sowie Licht- und UV-Beständigkeit. Im Bereich der Reaktivharzsysteme kommt zudem der Optimierung der Aushärtungsreaktionen (Harz-Reaktivität) wesentliche Bedeutung zu, sind sie doch für die letztlich erzielbare Zykluszeit von entscheidender Bedeutung. Bei faserverstärkten Thermoplasten ist neben dem derzeit überwiegend eingesetzten Polypropylen ein zunehmender Einsatz hochtemperaturbeständiger Thermoplaste (z.B. aromatische Polyamide, PEEK) festzustellen. Bisher ausschließlich Metallen vorbehaltene Anwendungen können so zunehmend auch mit FKV realisiert werden, treibende Faktoren sind vor allem die Themen Kostenoptimierung, Funktionsintegration und Designfreiheit. Im Bereich der Fertigungstechnologien etablieren sich infolge steigender Stückzahlen und erhöhten Kostendrucks zunehmend automatisierte Verfahren und Prozesse, auch wenn dafür häufig ein vergleichsweise hoher Maschineneinsatz erforderlich ist; offene und manuelle Verfahren (Faserspritzen, Handlaminieren etc.) geraten demgegenüber zunehmend unter Kostendruck. Bereits gut etablierte Herstellungstechnologien werden sowohl verfahrens- als auch materialspezifisch laufend weiterentwickelt oder miteinander kombiniert – erwähnt seien in diesem Zusammenhang z.B. die Bemühungen um Reduktion der Zykluszeiten bei der Prepreg-Verarbeitung (pre-impregnated fibers) durch die "Quickstep"-Technologie, die Herstellung komplexer großflächiger Leichtbau-Formteile durch das RRIM-Verfahren (Reinforced Reaction Injection Moulding) oder aber auch die Kombination von textilen Wickeltechniken mit Pultrusionsverfahren zur kontinuierlichen Herstellung thermoplastischer FKV-Endlosprofile. Daneben entstehen aber auch immer wieder neue Verfahrenstechnologien, mit deren Hilfe z.B. Leichtbauteile durch hochdefinierte Faserorientierung möglichst materialsparend hergestellt 9
werden können (z.B. TFP – Tailored Fiber Placement, FPP – Fiber Patch Placement, ATL – Automated Tape Laying). Großes Entwicklungspotenzial wird auch Sandwichbauweisen zugeschrieben, in denen vermehrt nicht nur Harz und Fasern, sondern diverse weitere Materialkomponenten, wie z.B. Schaumkerne, gezielt zum Einsatz kommen. Für eine Vielzahl von Produktanwendungen wird zunehmend auf die Weiterverarbeitung von Thermoplast-Halbzeugen (GMT / Organobleche) gesetzt. Vorteil ist die im Vergleich zu Prepregs unbegrenzte Haltbarkeit des Vorprodukts sowie die Möglichkeit strukturelle oder funktionelle Elemente im Spritzgussprozess direkt anzubinden.
Abbildung 2: Organoblech-Strukturbauteil (Bild: Fa. Engel)
Als Beispiele, welche die Weiterentwicklung im Bereich der Werkstoffe und der Fertigungstechnologien sehr anschaulich verdeutlichen, seien die Ausführung der Fahrgastzelle des Lamborghini Aventador bzw. des BMW i8 zu nennen: Durch Verwendung von CFKVerbunden konnte im Vergleich zu herkömmlichen Werkstoffen das Gewicht deutlich reduziert und gleichzeitig die Sicherheit der Insassen drastisch erhöht werden; zudem gelang es hiermit, auch vergleichsweise komplexe Geometrien zu realisieren. Vor kurzem hat BMW mit seinem Hybrid-Modell i3 den ersten Kleinwagen in Serie mit einer Fahrgastzelle aus CFK auf den Markt gebracht: Der Werkstoff ist etwa 50 Prozent leichter als Stahl und rund 30 Prozent leichter als Aluminium, wodurch das zusätzliche 10
Gewicht, das durch die Hochvolt-Lithium-Batterien zustande kommt, nahezu vollständig kompensiert wird.
2.2.
Metallverbunde
Die Weiterentwicklung von Gießprozessen und Gusswerkstoffen sowie deren Einsatz in Kombination mit Nicht-Gusswerkstoffen stellen in Hinblick auf neue Anwendungen sowie gesteigerte Anforderungen an Bauteile und Konstruktionen eine Herausforderung für die Zukunft im Bereich der innovativen Bauteilherstellung durch Gießprozesse dar. Die Fahrzeugindustrie ist mit Abstand der größte Gussanwender und auch der innovative Treiber, wenn es darum geht, Gießprozesse und Gusswerkstoffe zu optimieren. Als technologischer Trend ist die Topologie-Optimierung von Gussstücken zu erwähnen: Die Geometrie von Bauteilen wird hier derart gestaltet, dass an Oberflächen minimierte Spannungsspitzen auftreten – das Ergebnis ist ein festigkeits- und gewichtsoptimiertes Bauteil, welches oft dem Vorbild der Natur nachgeahmt ist (bionische Herleitung). Mit diesem Trend einhergehend sind Verbesserungen im Bereich der Formfüllungs- und Erstarrungssimulation zu nennen. Metallverbunde als Bauteile der Zukunft werden sich dadurch auszeichnen, dass jeweils der für die lokale Beanspruchung am besten geeignete Werkstoff an der richtigen Stelle eingesetzt wird bzw. dass durch Funktionsintegration aus mehreren Bauteilen ein einziges Bauteil entsteht. Dies kann durch Kombination von mehreren unterschiedlichen Werkstoffen erreicht werden.
Getrieben
wird
diese
Entwicklung
sowohl
durch
wirtschaftliche
Gesichtspunkte
(Energieeinsparung, bessere Ressourcennutzung) als auch wegen der verstärkten Berücksichtigung von Umweltaspekten. Metallverbunde können grundsätzlich entweder mittels Fügeoder Hybridfügetechniken, wie z.B. Schweißen, Löten, Nieten, Schrauben oder Kleben oder aber auch gießtechnisch hergestellt werden. Die gießtechnische Herstellung bietet gegenüber den anderen Verfahren den großen Vorteil, dass selbst komplexeste Geometrien realisiert werden können. Die Kombination unterschiedlicher Werkstoffe erfordert technisch anspruchsvolle Lösungen; es sind noch große Anstrengungen in Forschung und Entwicklung notwendig, um das gesamte Potential zu nutzen, das durch Werkstoffverbunde ermöglicht wird. Während es für die Verbindung arteigener Werkstoffe meist mehrere Möglichkeiten gibt und diese auch weitgehend technisch beherrscht werden, bedarf die Verbindung von artfremden Materialien noch weiterer Forschung und es ist erst mittelfristig mit serientauglichen Lösungen zu rechnen. Bei der gießtechnischen Herstellung von Metall-Metall-Verbunden wird ein vorgefertigtes metallisches Teil in einem weiteren Schritt durch Gießen ein- bzw. umgossen. Ein hervor11
ragendes Beispiel dafür ist ein Verbundguss-Kurbelgehäuse aus einer Aluminium- und Magnesiumlegierung: Dabei wird das innere, höher belastete Skelett aus einer übereutektischen Legierung im Niederdruckgießverfahren hergestellt und in einem weiteren Schritt im Druckgießverfahren mit einer leichten Magnesiumlegierung zum fertigen Motorblock umgossen. Gegenüber einer reinen Aluminium-Ausführung kann dadurch eine Gewichtseinsparung von ca. 25 Prozent realisiert werden.
Abbildung 3: Verbundguss-Kurbelgehäuse aus Aluminium und Magnesium (Abbildung: BMW AG, München)
Weitere Metall-Metall-Verbunde, an deren Herstellung derzeit geforscht wird, ist z.B. hybrider
Stahlblech-Leichtmetall-Verbundguss:
Dabei
werden
umgeformte
Blechstrukturen
im
Druckgießverfahren mit einer Aluminiumlegierung umgossen, sodass eine formschlüssige Verbindung entsteht. Ein Metall-Keramik-Verbund verdeutlicht Möglichkeiten zur Gewichtsreduktion im AutomotiveBereich durch Einsatz von Verbundwerkstoffen auf Aluminium- und Magnesiumbasis, die durch keramische Komponenten höhere Festigkeiten bei geringerem Bauteilgewicht erreichen. Bei Verbundwerkstoffen aus Metall und Keramik (Metal Matrix Composites - MMC oder Ceramic Matrix Composites - CMC) wird ein metallisches Trägermaterial mit keramischen Hartstoffpartikeln verstärkt. Die Leichtigkeit des Metalls lässt sich auf diese Weise mit der Beständigkeit der Keramik kombinieren. Entweder werden die Keramikpartikel mit der metallischen
Schmelze
vergossen
(Partikelverstärkung)
oder
hochporöse
Keramik-Vorformlinge,
sogenannte Preforms, beim späteren Gießen des Leichtbauteils von der Metallschmelze infiltriert (Kurz- oder Langfaserverstärkung). Ein Beispiel für eine derartige Anwendung ist die lokale Verstärkung der Zylinderlaufflächen im Motorblock der Porsche Boxster und 911. Dabei werden keramische Preforms in eine metallische Form eingelegt und im Druckgießverfahren
12
mit
einer
Aluminiumschmelze
infiltriert
und
im
Motorblock
eingegossen.
Abbildung 4: Motorblock mit keramischen Preforms zur lokalen Verstärkung (Siliziumkarbid) (Abbildung: KS Aluminium Technologie GmbH, Hafenstraße 25, DE-74172 Neckarsulm)
Bei funktionsintegrierten Gussbauteilen geht es darum, elektronische und adaptronische Funktionselemente direkt im
Druckgießverfahren einzugießen. Dadurch können erweiterte
elektronische, sensorische oder aktorische Funktionalitäten in Gussteilen integriert werden. Die Anwendungspotenziale liegen beispielsweise in der eindeutigen Gussteilkennzeichnung und Verfolgung mittels integrierter RFID-Transponder (Radiofrequenz-Identifikation), in der Erkennung von Bauteil-Überbelastung mittels integrierter Piezo-Sensoren sowie in der Beeinflussung des Schwingungsverhaltens von Bauteilen und deren Akustik mittels integrierter Piezo-Aktoren.
2.3.
Fügetechnologien
Speziell der Fahrzeugbau wird immer wieder als "Trendsetter" für die Einführung neuer Fügetechnologien angesehen. Der Einsatz unterschiedlichster Werkstoffe (Stahl, Aluminium, Magnesium, Kunststoffe, Faser-Kunststoff-Verbunde etc.) sowie die Anwendung innovativer Materialkombinationen und Konstruktionsprinzipien im Leichtbau erfordern fast zwangsläufig auch eine entsprechende Weiterentwicklung der Fügetechniken. Schweißen, Clinchen, Stanznieten und Kleben sind als anerkannte (Einzel-)Fügetechniken bereits seit langem Stand der Technik. Durch die zunehmende Komplexität neuer Leichtbauteile gelangt die Anwendung dieser Verbindungstechniken jedoch zunehmend an die Grenzen der einzelnen Verfahren. Als aktuelle Herausforderungen sind insbesondere
die Reduzierung des Bauteilgewichts
die Effizienzsteigerung bei der Bauteilfertigung
die Optimierung der Prozessbeherrschung
die Erhöhung der Langzeitbeständigkeit und Dauerfestigkeit von Bauteilen sowie
die Verbesserung der Recyclierbarkeit
anzusehen. Diese Anforderungen sind nur mit Hilfe innovativer produktionstechnischer Lösungen zu erreichen. 13
Das sogenannte Hybridfügen kann hier Abhilfe schaffen, weil es durch gezielte Kombination zweier oder mehrerer Fügetechniken die Vor- und Nachteile der jeweiligen Verfahren in sinnvoller Weise ausgleicht. Ziel ist es dabei, die Stärken der jeweils integrierten Fügetechniken zu akkumulieren und auf diese Weise deren Schwächen zu kompensieren. Besondere Bedeutung haben in den letzten Jahren Hybridfügeverfahren erlangt, bei denen umformtechnische oder thermische Fügeverfahren (z.B. Falzen, Clinchen, Stanznieten, Punktschweißen) mit klebetechnischen Prozessen kombiniert werden. Auf diese Weise können alterungsbedingte Eigenschaftsverluste, wie sie z.T. bei reinen Klebeverbindungen zu beobachten sind, vermieden werden. Umgekehrt übernehmen die mechanischen Verfahrenskomponenten die Fixierung der Fügepartner bis zur Klebstoffaushärtung. Auch beim Fügen unedler Metalle, wie z.B. Aluminium- und Magnesium-Legierungen, ist das Kleben bzw. Punktschweißkleben oft die Fügetechnik der Wahl. Beim Laserinduktionswalzplattieren werden Metall-Bänder, die nicht zwangsweise geometrisch deckungsgleich sein müssen, beim Einlaufen in den Walzstock zunächst induktiv vorgewärmt. Unmittelbar vor dem Walzspalt erwärmt ein Linienlaser die Innenflächen der Bänder, anschließend werden die Bänder zusammengewalzt und können sodann umformtechnisch weiterverarbeitet werden [4][5]. Ziel dieser Fügetechnik ist es, hochwertige Metallbleche mit preiswerteren Typen zu verbinden und so kostengünstigere Materialkombinationen mit hochwertigen Gesamteigenschaften zu erzeugen. Auch können auf diese Weise bestimmte Materialkombinationen erzielt werden, die anders nicht oder nur sehr schwer herstellbar sind. Bisher wird diese Technologie zur Herstellung von Halbzeugen aus der Kombination härtbarer Stähle zur Fertigung von Werkzeugen (z.B. Bohrer) eingesetzt und findet ihre Verwendung auch bei der Erzeugung von Teilen der Antriebstechnik (z.B. Zahnräder, Spindeln, Nocken). Weiters kann dieses Verfahren auch zur Plattierung auf Bauteiloberflächen seine Anwendung finden (z.B. Fertigung von Führungsbahnen) [6][7]. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch Halbzeuge aus nicht oder nur schwer schweißbaren Materialienkombinationen (Ti-Al, Ni-Ti, Ni-Al) sowie Verbinder aus Kupfer und Aluminium für Antriebskomponenten [8][9]. Auch an einer für den Leichtbau interessanten Kombination aus Stahl mit einer Aluminium-Legierung, die in den kommenden Jahren zur industriellen Umsetzung zur Verfügung stehen wird, wird gearbeitet. Intensiv wird auch an der Weiterentwicklung der Bimetall-Doppelschweißtechnik ("TWINSchweißen") gearbeitet – eine Technik zum Verbinden unterschiedlicher Metalle (z.B. Stahl / Aluminium) durch Verschweißen mit einer Bimetallkomponente im Schweißnahtbereich [10][11]. Die Vorteile liegen im nahezu beliebigen kontinuierlichen Nahtverlauf und dem 14
damit universellen Einsatzgebiet. Als Hauptschwierigkeit ist die Verfügbarkeit der jeweiligen Bimetalle anzusehen; letztere werden z.T. mittels Laserinduktionswalzplattieren hergestellt. An der jetzigen Umsetzung arbeitet die SZA in Kooperation mit der TU Wien. Aluminium und Stahl sollen kombiniert werden (Abb. 5), als auch die Verbindung anderer Materialkombinationen (zur weiteren Optimierung von Design, Gewicht und Festigkeit von Bauteilen) [12].
Abbildung 5: Links: Schematische Darstellung einer Bimetall-Doppel-Schweißung; Rechts: Stahl-Aluminium-Bimetall-Platinen DX54D - [DC01 - Al99] - AW6016 des JOIN-Projekts (Abbildung: SZA)
Im Gegensatz zu konventionellen Schweißverfahren wird beim Rührreibschweißen (Friction Stir Welding – FSW) der Werkstoff nicht völlig aufgeschmolzen, sondern mit Hilfe eines rotierenden, verschleißfesten Werkzeugs erwärmt (plastifiziert) und gleichzeitig verdichtet; durch dieses Fügen in der festen Phase entsteht nach dem Abkühlen eine feste Verbindung. Ein Arbeiten unter Schutzgasatmosphäre ist dabei nicht erforderlich, auch besteht durch die geringere Temperaturbelastung deutlich geringere Neigung zur Riss- und/oder Porenbildung in der Schweißnahtzone. Weitere Vorteile sind:
ein hoher Grad an Automatisierbarkeit
hohe Reproduzierbarkeit
geringe Fehleranfälligkeit
gute Überwachbarkeit des Prozesses sowie
Dauerfestigkeit der Verbindung [13][14].
Ausgehend von Aluminium und seinen Legierungen eignet sich das Verfahren insbesondere auch im Bereich von Magnesium(legierungen), Kupfer, Stahl und Titan(legierungen); darüber hinaus wurden in den letzten Jahren auch vermehrt Anstrengungen unternommen, das Rührreibschweißen auch für thermoplastische Kunststoffe einzusetzen. Ein besonderer Vorteil der Anwendung ergibt sich auch durch die Tatsache, dass viele Materialkombinationen, die üblicher Weise als nicht miteinander verschweißbar gelten, durch Rührreibschweißen erfolg15
reich verbunden werden können. Diese Technologie legt ihren Schwerpunkt auf qualitativ hochwertige Verbindungen und in die Bereiche Leicht- und Hybridbau (Multi-MaterialDesign) und entwickelt sich in den letzten Jahren stetig weiter, um in Zukunft einen breiten Anwendungsbereich abzudecken. Metallstifte (Pins), die auf Metalloberflächen geschweißt werden (häufig ca. 10 Pins / cm2), sind als weitere neuartige Verbindungstechnologie (lösbar oder nicht lösbar) zu nennen. Verbindungen zwischen verschiedenen Metallen und die Möglichkeit, Metall mit Kunststoffen oder Keramik zu verbinden, sind auf diese Weise möglich (Abb. 6). Dieses Verfahren bietet sich an als Abstandhalter für definierte Distanzen, Beschriftung von Bauteilen oder auch lösbare Verbindungen; die Variantenvielfalt liefert ein großes technologisches Potential für Unternehmen und ist in ihrer Einsatzmöglichkeit noch nicht ausgeschöpft [15][16].
Abbildung 6: Anwendungsbeispiel für Pins; Pin-Abstand: 10 mm (Abbildung: Fa. Fronius Österreich GmbH)
2.4. TriboDesign – Reibung und Verschleiß minimieren – Laserinduzierte Riffel/Wellen im Submikrometerbereich Immer dann, wenn sich Körper relativ zueinander bewegen, kommt die Tribologie, die Disziplin um Reibung, Verschleiß und Schmierungstechnik, ins Spiel. Sei es beim Gehen, wenn sich die Schuhsohle am Boden abrollt, beim Schreiben mit Kreide oder eben in Maschinenbauteilen wie z. B. Gleit- oder Wälzlager. Manchmal sind hohe Reibwerte gewünscht, wie auf Bodenbelägen, meist jedoch sollen die Reibkräfte so gering wie möglich gehalten werden um die Reibungsverlust in Maschinen und Anlagen zu minimieren. Hinter dieser Bestrebung steckt enormes Potenzial: Durch Reibung und dem damit verbundenen Verschleiß entstehen den Volkswirtschaften der Industrieländer jährliche Verluste in der Höhe von etwa 5 Prozent des Bruttosozialproduktes, das bedeutet allein für Österreich 16 Milliar16
den Euro. Wiederum jedes Prozent, dass davon vermieden werden kann, würde jährlich 160 Millionen Euro an geringerem Energie- und Rohstoffeinsatz bedeuten. V-Research aus Dornbirn unterstützt v. a. kleinere und mittlere Unternehmen dabei, bei ihren Produkten dieses Potenzial auszunutzen. So vielfältig wie die Themenbereiche sind, in denen tribologische Phänomene funktionsbestimmend sind, so mannigfaltig sind die Kundenprojekte und Lösungen, die bei V-Research be- und erarbeitet werden. So konnte im Rahmen eines strategischen Projektes eine Oberflächenstrukturform gefunden werden, welche die gewünschte, reibungsreduzierende Funktion aufweist. Es ist seit längerem bekannt, dass sogenannte Dimples positive tribologische Eigenschaften haben können – sie fungieren als Schmierstoffreservoirs oder als "Falle" für abrasiv wirkende Partikel im Tribokontakt. Dimples können aber nicht generell eingesetzt werden, da sie meist nur in engen Grenzen, in Bezug auf beispielsweise Flächenpressung oder Gleitgeschwindigkeit, funktionieren. In diesem Fall ist es V-Research gelungen, eine andere Strukturform zu finden, welche unter Bedingungen funktioniert, unter denen die Dimples keine Verbesserung der Reibungs- oder Verschleißeigenschaften gebracht haben. Es handelt sich dabei um eine Topographieveränderung mittels Ultrakurzpulslaser. Ultrakurzpulslaser haben im Gegensatz zu anderen Lasern die Eigenschaft, dass sie aufgrund ihrer kurzen Pulsdauer (300 Femtosekunden) keinen Wärmeeintrag in der bearbeiteten Oberfläche verursachen. Das Material wird direkt sublimiert (Abb. 7). Dadurch bleiben die ursprünglichen Werkstoffeigenschaften erhalten und es kommt zu keinem Aufweichen gehärteter Werkstücke. Die Ripplestruktur selbst ist nur ein 1 µm hoch und besitzt eine Periode im Bereich von ca. 700 nm.
Abbildung 7: Bei der Oberflächenbearbeitung mit einem Ultrakurzpulslaser gibt es keine Wärmeeintragszone (Abbildung: V-Research)
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Diese Laserripples können auf beinahe beliebigen Werkstoffen erzeugt werden und haben in geschmierten Systemen in Kombination mit Polymerbeschichtungen (sogenannten Gleitlacken) ausgezeichnete Ergebnisse hinsichtlich Reibungsreduktion gezeigt. Im Vergleich zur ursprünglichen Oberfläche (42CrMo4 gehärtet, gleitgeschliffen Rz = 1 µm) konnte so der Reibwert um ein Drittel gesenkt werden.
18
3.
Innovative Untersuchungsmethoden in Material- und Bauteilprüfung
Für die Untersuchung struktureller und funktioneller Eigenschaften von Materialien und Bauteilen sind in den letzten Jahren eine Vielzahl neuer, innovativer Charakterisierungsmethoden entwickelt worden. Einige dieser Verfahren haben bereits Eingang in die Qualitätskontrolle hochwertiger Bauteile bzw. Bauteilkomponenten erlangt und werden im Bereich der Schadensursachenforschung mit Erfolg eingesetzt. Andere wiederum stehen erst am Beginn ihrer Markteinführung, lassen jedoch ein erhebliches Entwicklungspotential erkennen. Wegen der zunehmenden Bedeutung von Verbundwerkstoffen in der Bautechnik und im Fahrzeugbau stieg in den letzten Jahren der Bedarf an Möglichkeiten, Bauteile aus diesen neuen Werkstoffen auf Defekte und Abweichungen zu prüfen. Der heterogene Aufbau und die meist anisotrope Struktur dieser Materialien stellen die Werkstoffprüfung und die Qualitätssicherung vor große Herausforderungen, die mit herkömmlichen Charakterisierungsmethoden nicht mehr bewältigt werden können. Aber auch im Bereich der mikroskopisch kleinen Strukturen sind die Anforderungen an die Charakterisierungsmethoden dramatisch angestiegen – insbesondere durch den zunehmenden Einsatz nanotechnologischer Beschichtungen und/oder Strukturen, die ein immer höheres Auflösungsvermögen der einzelnen Methoden verlangen, um diese Strukturen auch wirklich korrekt darstellen und charakterisieren zu können.
3.1.
Zerstörungsfreie Prüfmethoden in der Material- und Bauteilprüfung
Die zunehmende Anwendung zerstörungsfreier Prüfmethoden für Bauteile aus Kunststoffen, Metallen, Keramiken und Verbundwerkstoffen ist einer der großen aktuellen Trends im Bereich der Material- und Bauteilcharakterisierung. Er beruht zum einen auf der Verfügbarkeit immer empfindlicherer Sensortechnik und zum anderen auf der Möglichkeit, riesige Mengen von
anfallenden
Primärdaten
mit
Hilfe
von
Software-unterstützten
Verfahren
auswerten
und/oder korrelieren zu können – beides inzwischen durchaus innerhalb wirtschaftlich vertretbarer Rahmenbedingungen. Die Verfahren kommen sowohl in Prüf- und Qualitätssicherungslaboratorien, zunehmend aber auch für die Prozesskontrolle direkt bei der Fertigung der Bauteile zum Einsatz. So kann neben einer Steigerung der Bauteilsicherheit auch ein Einsparpotenzial durch Verringerung von Produktionsschwankungen realisiert werden. Bei der Wärmefluss-Thermografie wird dem Prüfobjekt Wärme zugeführt und mit einer hochempfindlichen Infrarotkamera mit hoher Bildfolge die zeitliche und örtliche Änderung der Temperaturverteilung registriert. Verborgene Defekte, wie Materialrisse, Inhomogenitäten, Faserbrüche oder Delaminationen stören den Wärmefluss im Prüfkörper und können daher auf diese Weise detektiert werden. Unterschiede in der Wärmeableitung können bei hochemp19
findlichen Systemen auch zur visuellen Darstellung des Inneren eines Prüflings genutzt werden. Abbildung 8 zeigt beispielsweise die Anwendung der aktiven Thermografie mit Blitzanregung an einer laminierten Solarzelle mit Rückseitenkontaktierung. Im Bild ist das mit dem bloßen Auge visuell nicht erkennbare Haftversagen der Schutzschicht nach Lagerung des Moduls in Schadgasatmosphäre zu sehen.
Abbildung 8: Thermogramm einer laminierten Solarzelle vor / nach Schadgaslagerung, links: vor Lagerung, Mitte: nach Lagerung mit Delaminationen, rechts: Lichtbild (Abbildung: OFI)
Abbildung 9 zeigt als weiteres Anwendungsbeispiel für Puls-Phasen-Thermografie eine laminierte Solarzelle mit Rückseitenkontakten: Je nach Auswertefrequenz erhält man ein Signal aus unterschiedlicher Tiefe im Multimaterialverbund. Das visuell nicht erkennbare Verschaltungsmuster auf der Rückseite der Solarzelle ist auf diese Weise zu erkennen.
Abbildung 9: Puls-Phasen-Thermogramm einer laminierten Solarzelle mit Rückseitenkontakten bei unterschiedlicher Auswertefrequenz, entsprechend unterschiedlicher Messtiefe (Abbildung: OFI)
Die Prüfung von Verbundmaterialien ist mittlerweile eine der wichtigsten Anwendungen der Wärmefluss-Thermografie geworden und auch Gegenstand aktueller Forschungsprojekte. Die Empfindlichkeit der Kamerasysteme liegt dabei um Größenordnungen über jener von herkömmlichen Thermografie-Systemen, welche im Bereich des Bauwesens (z.B. zum Erkennen von Kältebrücken) eingesetzt werden. Die Möglichkeiten, den Wärmefluss im Prüfling anzuregen, sind sehr vielfältig: Neben Strahlern und optischen Blitzen kann auch eine Anre20
gung mittels Ultraschall erfolgen, bei der die Wärme nicht von außen auf das zu prüfende Werkstück aufgebracht wird, sondern im Prüfling selbst (über die eingeleiteten Ultraschallschwingungen) induziert wird. Dabei können teilweise auch Materialdefekte festgestellt werden, die mittels optischer Anregung nicht detektiert werden können. Speziell im Metallbereich kommt auch induktive Erwärmung der Prüflinge zur Anwendung. Insbesondere für den Bereich der Verbundwerkstoffe wurden in den letzten Jahren auch Verfahren entwickelt, die Kombinationen aus thermografischen Prüfmethoden mit anderen zerstörungsfreien Verfahren nutzen, wie z.B. Thermografie & Röntgentechnik oder aktive Thermografie & digitale Shearografie. Bei der Shearografie wird das Prüfobjekt mit kohärentem Laserlicht beleuchtet und das Bild mittels CCD-Kamera (charge-coupled device) aufgezeichnet. Durch den interferometrischen Vergleich eines Bildes unter (vergleichsweise geringer) Belastung mit einem Referenzbild ohne Belastung können Defekte, Schädigungen und Verformungen – Letztere mit einer Größe von nur wenigen Mikrometern – erkannt werden. Die Belastungsart ist stark vom vermuteten Fehlertyp abhängig und wird daher meist bauteilspezifisch gewählt (z.B. Druck, Vakuum, thermische Belastung). Shearografie-Systeme stehen auch in mobiler Ausführung zur Verfügung, sodass großflächige Verbundbauteile vergleichsweise einfach und rasch geprüft werden können. Durch Einbindung in automatische Prüfabläufe mit Roboteranbindung wird die Methodik auch zur 100%-Prüfung von Verbundbauteilen (z.B. Rotorblätter von Helikoptern oder von Windkraftanlagen) eingesetzt. Elektrisch oder magnetisch leitfähige Materialien sind online im Wirbelstrom-Prüfverfahren zerstörungsfrei bis in Tiefen von mehreren Millimetern prüfbar. Das Verfahren kann sowohl berührungslos oder im Kontakt durchgeführt werden und detektiert oberflächennahe Defekte oder Gefügefehler. Diese zerstörungsfreie Prüfmethode findet ihre Anwendung häufig bei der Prüfung von Materialien (z.B. Rohre), in der Prozesssicherung des Schweißens sowie im Bereich der Qualitätssicherung in der Automobilindustrie und bei Wartungsprüfungen. Aktuelle Entwicklungen im Bereich der Prüfung von Carbon-Fiber-Composites nutzen die Leitfähigkeit der Fasern für die Untersuchung mittels hochauflösender Wirbelstromtechnik. Mit Hilfe von scannenden, abbildendenden Verfahren können Delaminationen, Faserbrüche sowie Produktionsfehler im Bereich der Gelege oder auch die Faserausrichtung an Prüflingen erfasst werden [17]. Die Entwicklungen betreffen nicht nur die Prüfung von fertigen Verbundmaterialien, sondern auch die Prüfung von Zwischenprodukten, wie zum Beispiel die zur Verstärkung eingesetzten Gewebe.
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Als berührungsloses, schnelles und zerstörungsfreies Messverfahren hat die Impulsthermografie bei metallischen Werkstoffen großes Potenzial. Parameterstudien lassen die Bestimmung der Detektionsgrenze bei Fehlerprüfungen zu und ergeben, dass die Fehlerdetektion auch bei Aluminium für bereits verfügbare Kameratechnik kein unüberwindbares Hindernis darstellt. Die Fehlerprüfung von metallischen Werkstoffen stand bisher vor dem Problem der schnell ablaufenden Ausgleichsvorgänge, die mit den verfügbaren Kameras nicht ausreichend erfasst werden konnten. Mit fallenden Anschaffungskosten und steigendem Leistungsvermögen (höhere Auflösung und Aufnahmegeschwindigkeit) der Infrarotkameras gewinnt dieses Verfahren an Bedeutung. Eine erfolgreiche Fehlerprüfung mittels Impulsthermografie ist von mehreren Einflussfaktoren abhängig. Zu diesen zählen die Kameraauflösung, Bildfrequenz, Anregungsenergie, Anregungsdauer, Defektbeschaffenheit und die Materialeigenschaften des zu untersuchenden Objektes. Zur Vorhersage der Machbarkeit einer Prüfaufgabe ist die Kenntnis der Wechselwirkung zwischen Einfluss- und Zielgrößen, beispielsweise Anregungsenergie und Temperaturkontrast, wesentlich. Üblicherweise werden diese Zusammenhänge aus Parameterstudien abgeleitet, deren reale Durchführung aus Kostengründen jedoch nicht praktikabel ist. Abhilfe schafft hier die Methode der Finiten-Elemente, die eine systematische Untersuchung der Abhängigkeiten erlaubt. Ausgehend von Simulationen kann auf die generelle Machbarkeit geschlossen werden bzw. die Voraussetzungen ermittelt werden, die eine Detektion der Fehler ermöglichen. Die Impulsthermografie als Vertreter der aktiven Thermografie bedarf einer Anregungsquelle zur Erzeugung eines Wärmeflusses. Die Fehlerstelle verursacht eine Veränderung des Wärmeflusses und damit einen Abdruck in der Oberflächentemperatur. Wirkt die Fehlerstelle hemmend auf den Wärmefluss kommt es an der Anregungsseite zu einem beschleunigten und an der gegenüberliegenden Seite zu einem verzögerten Temperaturanstieg. Die Simulation hat das Ziel, Aussagen über die generelle Machbarkeit und damit über Grenzen und Möglichkeiten der Detektion zu erlauben. Störende Einflüsse, die sich aus einer speziellen Prüfsituation ergeben, werden idealisiert, um die Allgemeingültigkeit der Simulationsergebnisse zu gewährleisten. Die Simulation liefert Ergebnisse, die unter idealen Bedingungen möglich wären und Schlüsse auf die generelle Machbarkeit erlauben. Dem erfahrenen Thermografen ist es möglich, aus den idealisierten Simulationsergebnissen – unter Berücksichtigung der realen Störeinflüsse – die Anforderungen an die Prüfstand-Hardware festzulegen.
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Abbildung 10: Bildfolge einer Impulsthermografiemessung bei einem Kugeleinschluss und bei einem Anbindungsfehler im Überlappstoß (Abbildung: SZA)
Ein grundlegendes Verständnis der wechselseitigen Beziehungen aller Modellparameter in Bezug auf die Zielgrößen wird erst durch vollfaktorielle Parameterstudien möglich. Zu diesem Zweck werden alle sinnvollen Kombinationen der Modellparameter gebildet und mit Hilfe der Simulation die Zielgrößen berechnet. Die Auswertung der Daten erfolgt mit speziellen Softwaretools, die mehrdimensionale Darstellungs- und Analysemethoden zur Verfügung stellen. Eine der möglichen Analysenmöglichkeiten ist die Verwendung des Softwarepakets "Visplore". In diesem können von Benutzer mehrere Zielgrößenkombinationen ausgewählt werden, die eine Minimalanforderung erfüllen. Auf Basis der durchgeführten Parameterstudien können die Grenzbedingungen der Fehlerprüfung für die Materialien Stahl und Aluminium ermittelt werden. Im Vergleich zu Stahl stellt Aluminium höhere Anforderungen an den Messaufbau. Die Analysen ergeben jedoch, dass die Fehlerdetektion bei Aluminium zwar eine Herausforderung darstellt, aber für bereits verfügbare Kameratechnik unter Einschränkungen machbar ist. Durch die Analyse der Parameter, die bei der impulsthermografischen Messung Einfluss nehmen, ergeben sich Simulationsmodelle zur Durchführung von Machbarkeitsstudien. Parameterstudien erlauben die Bestimmung der Detektionsgrenzen bei der Fehlerprüfung von Stahl sowie Aluminium und bilden die Basis zur Auswahl der Prüfstand-Hardware. Anhand der Auswertungen wird ersichtlich, dass mit bereits verfügbaren Kameras eine Fehlerdetektion auch bei Aluminium kein unüberwindbares Hindernis darstellt. Eine möglichst große Flexibilität der Simulationsergebnisse wird durch Idealisierung real auftretender Störfaktoren erreicht. Die korrekte Interpretation der Simulationsergebnisse in Bezug auf die jeweilige reale Prüfsituation ist daher durch Thermografieexperten vorzunehmen. Der "TinNDT Viewer" dient zur Visualisierung und Analyse dieser mehrdimensionalen Parameterstudien. Für den Benutzer werden dadurch die Simulationsergebnisse der untersuchten Fehlertypen durch eine Benutzeroberfläche zugänglich gemacht. Er ermöglicht eine Beurtei-
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lung mit welcher Anregungsquelle, örtlicher und zeitlicher Auflösung der Thermographiekamera bestimmte Fehlertypen und -größen mit hoher Wahrscheinlichkeit detektierbar sind. Vor allem wegen der Möglichkeiten der 3D-Visualisierung kommt der Röntgen-ComputerTomografie (RCT), die auf der Durchstrahlung von Bauteilen mit Röntgenstrahlen basiert, steigende Bedeutung zu. Durch den Einsatz der kurzwelligen Strahlung ist hohe Materialdurchdringung kombiniert mit einer Auflösung von deutlich unter 1 µm möglich. Damit können innere Materialdefekte wie z. B. Poren, Risse und Einschlüsse detektiert und bezüglich ihrer Größe und Form quantifiziert werden. Mit diesem zerstörungsfreien Blick ins Innere von Materialien und Bauteilen können wesentliche neue Erkenntnisse hinsichtlich Eigenschaften und Herstellprozessen gewonnen werden. Die Bilderfassung erfolgt mittels spezieller Hochleistungsdetektoren, sodass die dabei generierten elektronischen Daten (Volumen-Pixel = Voxel) zur Visualisierung und weiterführenden Auswertungs- und/oder Verarbeitungsschritten zugänglich gemacht werden können. Interessant ist in diesem Zusammenhang z.B. die Überführung des Voxel-Modells in Oberflächennetze oder Punktwolken, wodurch die Ergebnisse aus der RCT für Simulationen oder CAD-Anwendungen genutzt werden können. Dadurch wird auch ein Soll/Ist-Vergleich von Geometriedaten möglich. Da das Verfahren materialunabhängig ist, wird es in vielen Bereichen wie z.B. Keramik- und Baustoffindustrie, Kunststoffe oder Archäologie zunehmend zur Prüfung herangezogen. Als ein mögliches Anwendungsbeispiel ist nachfolgend ein mittels RCT untersuchtes Gussteil dargestellt. In der transparenten Darstellungsweise sind deutlich die im Gussteil vorhandenen Poren ersichtlich (Abb. 11). Strukturen mit nur geringen Dichteunterschieden lassen sich im Röntgen-Absorptions-Kontrast nur
schwer
sichtbar
machen.
Für
derartige
Anwendungsfälle
wurde
die
Röntgen-
Phasenkontrasttomografie entwickelt, die – wie in der optischen Mikroskopie – die räumliche Kohärenz des "weißen Röntgenlichts" für Phasenkontrastmessungen ausnutzt und so in vielen Fällen auch die Darstellung von Strukturen mit minimalsten Absorptionsänderungen möglich macht. Für tomografische Untersuchungen in der Material- und Bauteilprüfung wurden bisher meist Systeme auf der Basis von Röntgenstrahlung eingesetzt. In neuerer Zeit stehen geeignete gepulste Quellen bestehend aus Femtosekundenlasern zur Verfügung, mit denen Terahertz-Strahlen von ausreichender Intensität erzeugt und für tomografische Untersuchungen herangezogen werden können.
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Abbildung 11: Röntgen-Computer-Tomografie (RCT) an einem Gussteil zur Visualisierung von Poren (Abbildung: ÖGI)
Die bei der Terahertz-Tomografie eingesetzte Strahlung (0,1 bis 10 THz entsprechen einer Wellenlänge von 1 mm bis 10 µm) ist vergleichsweise energiearm und nicht ionisierend, sodass sie auch in Bereichen eingesetzt werden kann, in denen Röntgenstrahlen aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes nicht angewendet werden können (z.B. in industriellen Produktionsumgebungen). Kunststoffe, Papier, viele Keramiken und nichtpolare Substanzen sind für THz-Strahlung weitestgehend transparent, während Metalle die Strahlung reflektieren. Substanzen mit polaren Gruppen absorbieren charakteristische Frequenzbereiche, wodurch eine tomografische Bildgebung und Identifizierung der bestrahlten Materialien möglich wird. 25
Durch Terahertz-Tomografie, die ein hohes Durchdringungsvermögen hat, wird die Aufklärung und Visualisierung innerer makroskopischer Strukturen von (Verbund-) Werkstoffen ermöglicht. In der industriellen Qualitätssicherung ist Terahertz-Spektroskopie von besonderem Interesse zur 3D-Rekonstruktion von Bauteilen aus verschiedenen Werkstoffen und dem Lokalisieren von darin verborgenen Anomalien und Abweichungen von Fertigungstoleranzen. Eine Weiterentwicklung der CT stellt die Optische Kohärenztomografie (OCT) dar: Sie ist eine kontakt- und zerstörungsfreie Methode zur Visualisierung mittels Infrarotlicht. Die Methode detektiert kleinste Brechungsindex-Unterschiede im Beobachtungsvolumen. Durch interferometrische Überlagerung von Infrarotwellen, die aus verschiedenen Probentiefen zurück gestreut werden, mit einer Referenzwelle, kann aus dem detektierten Signal auch Information über die Position des Streubereiches in der Tiefe des untersuchten Bauteils erhalten werden. Derzeit wird die OCT im industriellen Bereich zur Defektanalyse bei GlasfaserVerbundwerkstoffen, Untersuchungen von Einzelschichten in Mehrschichtfolien, zur Schichtdickenmessung und zur Visualisierung von inneren Strukturen in Spritzgussbauteilen eingesetzt. Ultraschallmikroskopie und Ultraschallprüfung zählen mittlerweile zu den klassischen und etablierten Verfahren in der zerstörungsfreien Bauteilprüfung. Die nur punktförmige Durchführbarkeit der Messungen, die im Fall von Bauteilprüfungen ein langwieriges Abrastern der Prüflinge erforderlich macht, sowie die in der Regel notwendige Einbringung der Proben in Wassertauchbäder, können nachteilig sein. Die Prüfung mittels Ultraschall stellt speziell bei massiven Bauteilen mit hohen Wandstärken die einzig mögliche zerstörungsfreie Prüfmethode dar. Umgekehrt lassen sich heute mit bildgebender Ultraschall-Mikroskopie im Wassertauchbad hochpräzise tomografische Aufnahmen von Bauteilen aus Verbundwerkstoffen mit lateralen Auflösungen von weniger als 5 µm erzielen. Zum Beispiel können an Carbon Composites bei Schlagbeanspruchung Schäden entstehen, die, anders als bei Metallen, nicht durch Beulen oder Risse an der Oberfläche visuell erkennbar sind. Ultraschallmikroskopie kann hier einen Beitrag zur Prüfung von derartigen Materialien leisten, da auch Untersuchungen unterhalb der Oberfläche möglich sind. Abbildung 12 zeigt einen Ausschnitt von einem Gewebe aus Kohlefaserbündeln in einem faserverstärkten Werkstoff. Auch in der Oberflächentechnik kann Ultraschallmikroskopie im Zuge von beschleunigten Bewitterungsversuchen zur frühzeitigen Detektion von Schäden vorteilhaft eingesetzt werden. Abbildung 13 zeigt zum Beispiel visuell nicht erkennbare Unterwanderungen an einer zu prüfenden Beschichtung mit Ritzverletzung auf Stahlblech nach 500 Stunden Kondenswasserlagerung [18].
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Abbildung 12: Akustische Abbildung von Kohlefaserbündeln unter der Oberfläche in einem faserverstärkten Material. Die Abbildung zeigt einen quadratischen Ausschnitt von 10 mm Kantenlänge (Abbildung: OFI)
Abbildung 13: Visuell nicht erkennbare Unterwanderungen von Beschichtungen an einer Ritzverletzung (unterschiedliche Proben), die mittels akustischer Mikroskopie abgebildet werden können (Abbildung: OFI)
Bei Prüfungen im Feld ist es aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen meist nicht möglich, einen Prüfkörper mit mehreren Messköpfen unterschiedlicher Frequenzbereiche systematisch abzutasten, um auf diese Weise die variierenden Materialkonstanten bezüglich Reflexion und Dämpfung berücksichtigen zu können. Hier kommt die Phased Array Technologie zum Einsatz, bei der der Prüfkopf aus einer Reihe von einzelnen Schwingerelementen besteht. Durch variable elektronische Ansteuerung kann das Schallfeld gezielt moduliert werden und so mehrere Einschallwinkel oder Prüfzonen (Sectorscans) erzeugt werden. Phased Array-Prüfköpfe werden zur Schweißnahtprüfung, zur Prüfung von Metallen und zum Untersuchen von Bauteilen aus Verbundwerkstoffen, wie glasfaserverstärkten Kunststoffen (GFK) 27
oder carbonfaserverstärkten Kunststoffen (CFK), eingesetzt. Das Verfahren ermöglicht eine Aussage darüber, in welcher Tiefe die Fehler im Bauteil oder in der Schweißnaht liegen. Diese Technologie wird stetig weiterentwickelt, sodass nicht nur die klassischen Einsatzgebiete wie Luftfahrt, Schweißnaht- oder Korrosionsprüfung und die Charakterisierung komplexer Geometrien und schwer zugänglicher Bauteilbereiche abgedeckt und verbessert werden, sondern es erschließen sich auch immer wieder neue Möglichkeiten, z.B. im Bereich der Niederdruckturbinen, der Überprüfung von Pipelines oder bei Verbundwerkstoffen von Raketendüsen. Die Ultraschallmikroskopie wird heute nicht nur zur Detektion von Anomalien eingesetzt, sondern auch zur Bestimmung von physikalischen Parametern und Materialkonstanten und in weiterer
Folge
zur
Lebensdauerabschätzung.
Während
bei
klassischen
Ultraschall-
Messverfahren die Probe de facto in direktem Kontakt mit dem Messkopf stehen muss, erfolgt bei der sogenannten Laser-Ultraschall-Technologie (LUS) die Energieübertragung durch einen Laserlicht-Impuls im Nano- oder Pikosekundenbereich, welcher im Probenmaterial selbst Ultraschallwellen erzeugt, mit deren Hilfe Störstellen erfasst werden können. Der große Vorteil der LUS ist somit das berührungslose Prüfen, z.B. wenn ein Kontakt mit Ultraschallkoppelmittel (Wasser) nicht möglich ist (heiße/glühende Medien, nicht rostfreier Stahl) oder wenn extrem schwer zugängliche Stellen untersucht werden sollen: Da die Probe selbst (über den eingebrachten Laserimpuls) der Ultraschall-Erzeuger ist und die Ausbreitungsrichtung der Wellen bestimmt, ist es nebensächlich, unter welchem Winkel der Laserstrahl auf die Probe auftrifft [19]. Sind extrem hohe Auflösungen (z.B. zur Beurteilung von sehr dünnen Schichten) notwendig, so kann das sogenannte
modulierte Laser-
Ultraschall-Verfahren zum Einsatz kommen: Dabei werden bestimmte Frequenzen des Lasers amplitudenmoduliert und mit einem entsprechenden frequenzangepassten Detektor ausgewertet. Diese Methode findet auch Einzug bei der Schichtdickenbestimmung und der Ermittlung von elastischen Eigenschaften von dünnen Schichten und Beschichtungen. Bisher wurde diese Technologie noch kaum industriell eingesetzt, jedoch wird an der Technologie und Umsetzung derzeit noch im Rahmen verschiedenster Entwicklungsprojekte gearbeitet [20]. Die Lasertriangulation ist ein in der Qualitätssicherung und Prozessüberwachung einsetzbares, berührungsloses optisches Messverfahren, das auf trigonometrischen Zusammenhängen beruht. Es trägt dem Faktum Rechnung, dass die in vielen Fällen geforderte 100%-Kontrolle im Fertigungstakt der Bauteile nicht mehr mit Hilfe manueller Messverfahren (z.B. mit Lehren) oder mittels Koordinatenmessmaschinen vorgenommen werden kann. Beim sogenannten 28
Laserlicht-Schnittverfahren wird z.B. eine Laserlinie auf das Messobjekt projiziert, von einer Kamera erfasst und mit einem Rechner ausgewertet. Fehler (z.B. Poren, Porosität) ändern die Entfernung des auftreffenden Laserstrahls zur Kamera und können so auch automatisiert detektiert werden [21]. Durch den vergleichsweise einfachen Messaufbau, die geringen Kosten und einer relativ kurzen Messdauer ist das Verfahren heute schon weit verbreitet. Das Anwendungsgebiet dieser Messmethode liegt in der Qualitätskontrolle elektronischer Bauteile sowie in der fertigungsintegrierten Vermessung von Schweißnähten und Faserverbundbauteilen. Vorteile liegen in der Robustheit und der hohen Auflösung bei der Vermessung von Schweißnähten, die wiederum ein großes Inspektionsfeld und eine hohe Verarbeitungsgeschwindigkeit ermöglichen. Dieses Messverfahren liefert ein Instrument zur Qualitätssicherung und Prozessüberwachung, wobei auch automatisierte Lösungen, die die Prozesse selbständig überwachen, einsetzbar sind. Bei der Schwingungsprüfung werden Proben zu Schwingungen angeregt und aus der Schwingungsanalyse Informationen über z.B. Materialkennwerte oder die zu erwartende Lebensdauer abgeleitet. Die Verfahren unterscheiden sich je nach Probenmaterial deutlich. Metallische Bauteile werden mittels piezoelektrischer Ultraschallgeber zu Schwingungen angeregt. Über Spektralanalyse des Schwingungsspektrums werden sodann Materialkennwerte (EModul, Schubmodul, Poissonzahl) in Abhängigkeit von der Temperatur ermittelt. Diese speziell für Finite Elemente Berechnungen notwendigen Kenngrößen können somit belastungsunabhängig und insbesondere auch für Composite-Werkstoffe ermittelt werden. Die dynamischen Eigenschaften von Elastomeren sind von verschiedenen Größen (z.B. Frequenz, Lastamplitude, Temperatur) abhängig, die wiederum großen Einfluss auf die Betriebsfestigkeit des Bauteils haben. Elastomerbauteile unterliegen im realen Betrieb mehrachsigen Belastungen. Einachsige Prüfungen weichen von den Versuchsergebnissen mehrachsiger Experimente jedoch häufig ab. Typische Prüfobjekte für multiaxiale Lebensdauerprüfung sind Elastomer-Verbundbauteile bei Schienenfahrzeugen. Diese Bauteile unterliegen häufig relativ großem Verschleiß, sind aber extrem sicherheitsrelevant. Um die Sicherheit der Produktqualität zu gewährleisten sind daher mehrachsige Betriebsfestigkeitsprüfungen unumgänglich [22]. In der Holzwirtschaft stellen Schwingungsprüfungen und damit zerstörungsfreie Prüfungen ebenfalls eine Möglichkeit der Materialcharakterisierung dar. Aktuelle Entwicklungen zeigen, dass das Aufkommen von Laubholz in den nächsten Jahrzehnten ansteigen wird. Laubhölzer weisen aufgrund ihrer unterschiedlichen Struktur und Ausprägung deutlich unterschiedliche Festigkeits-, Steifigkeits- und Rohdichtekennwerte auf. Die Zusammenhänge können bei unterschiedlichen Laubholzarten deutlich voneinander abweichen. Mit Verbesserungen im Be29
reich der zerstörungsfreien Untersuchungsmethoden ist auch mit einem Einsatz von Laubholz als Konstruktionswerkstoff zu rechnen. Der Rohstoff Holz weist von vornherein eine natürliche Streuung seiner Eigenschaften auf, die die Streuung von technisch hergestellten Produkten bei weitem übersteigt. Um Holz überhaupt im Bauwesen verwenden zu können, muss dieser Streuung durch Sortierung des Schnittholzes begegnet werden. Dabei spielen die drei Kennwerte Festigkeit, Elastizitätsmodul und Rohdichte eine entscheidende Rolle. Während die Rohdichte mit geringem Aufwand bestimmbar ist, konnte die Festigkeit bisher nur durch zerstörende Versuche genau bestimmt werden. Damit diese auch zerstörungsfrei abgeschätzt werden kann, wird (neben anderen Verfahren) die Schwingungsmessung eingesetzt. Anhand zahlreicher Versuche wurde ein guter Zusammenhang zwischen dem dynamischen Elastizitätsmodul und der Festigkeit bestätigt. Das Grundprinzip der Schwingungsmessung ist dabei die Ermittlung der Eigenfrequenz, um den dynamischen Elastizitätsmodul eines Rundoder Schnittholzes zu bestimmen. In der Praxis wird das zu untersuchende Holz durch einen Schlag auf die Stirnseite zu Schwingungen angeregt und diese durch Laser oder Mikrofone erfasst. Nachteilig wirkt sich hier derzeit die Feuchte- und Temperaturabhängigkeit des dynamischen Elastizitätsmoduls auf die Vorhersage der Festigkeitswerte aus. Maschinelle Systeme werden solche Abhängigkeiten z.B. über die Bestimmung des Anteils an gefrorenem Wasser im Holz berücksichtigen müssen, damit die Vorhersagegenauigkeit gesteigert werden kann. Aktuell wird an der Anwendung der Schwingungsmessung auch an Rundhölzern gearbeitet [23]. Dadurch stünden im Sägewerk zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt Informationen zur Qualität eines Rundholzes zur Verfügung, welche wiederum Rückschlüsse auf die wahrscheinlich zu erwartenden Qualitäten des Schnittholzes zuließen. Der Einsatz entsprechender maschineller Sortiersysteme bietet die Möglichkeit, die natürliche Streuung des Holzes "in den Griff" zu bekommen. Es wird möglich, das Ausgangsmaterial entsprechend der Qualität einzuteilen und auf diese Weise die Wertschöpfung aus einem Stamm zu erhöhen. Da nicht alle Schnitthölzer, die "schön aussehen" auch fest sind und sich für den tragenden Einsatz eignen, bietet die maschinelle Sortierung eine objektive Möglichkeit zur Qualitätserkennung. Darüber hinaus ist es möglich, den Anteil von nicht weiter verwendbarem Schnittholz zu senken und damit die Ausbeute zu erhöhen.
3.2.
Zerstörende Werkstoffprüfung bei Raum-, Tief- und Hochtemperatur
Ein wichtiger Trend der modernen Werkstoffentwicklung beschäftigt sich mit Bauteilgestaltungen nach dem Vorbild der Natur (Bionik) und mit der Optimierung der Materialeigenschaften mittels Finite Elemente Berechnungen. Dafür werden exakte Kenntnisse über die mechanischen Eigenschaften der Werkstoffe über einen weiten Temperaturbereich benötigt. Mit 30
modernen Prüfanlagen können die mechanischen Eigenschaften von Materialien bei Raumtemperatur bzw. hohen (bis 900°C) oder niedrigen (bis -80°C) Temperaturen geprüft werden. Dazu werden Proben aus den zu prüfenden Werkstoffen bzw. Materialien mechanisch auf Zug, Druck oder Biegung belastet und dabei die Kräfte und die Verformung mit höchster Auflösung gemessen. Mit den modernen elektronisch gesteuerten Prüfmaschinen können auch ganze Bauteile statisch über einen weiten Temperaturbereich geprüft werden und die Prüfgeschwindigkeit kann direkt über die Dehnungsmessung geregelt werden. Die zerstörende oder auch mechanische Werkstoffprüfung wird prinzipiell in zwei Kategorien, der Festigkeitsprüfung bei ruhender Beanspruchung (statische Prüfung), und der Festigkeitsprüfung bei nicht ruhender Beanspruchung (dynamische Prüfung) eingeteilt. Bei beiden Verfahren wird der Werkstoff bis zum Erreichen einer gewissen Verformung bzw. bis zur Zerstörung beansprucht. Zu den statischen Prüfverfahren zählen z.B. die Zug- und die Härteprüfung. Die wirkenden Kräfte sowie Verformungen werden vom unbelasteten Zustand bis zur Höchstlast gemessen, wobei deren Übertragung langsam und gleichmäßig erfolgt. Bei den dynamischen Prüfverfahren kann die Belastung schlagartig auftreten oder sich über einen längeren Zeitraum periodisch innerhalb definierter Grenzen ändern. Hierzu zählen der Kerbschlagbiege-, der Dauerschwing- und der Umlaufbiegewechselversuch. Der Zugversuch ist das wichtigste Verfahren der mechanischen Werkstoffprüfung und dient der Ermittlung des Werkstoffverhaltens unter einachsiger, über dem Querschnitt gleichmäßig verteilter Zugbeanspruchung. Dazu wird eine Probe mit genormter Geometrie biegungsfrei einer langsamen, stetig zunehmenden Dehnung unterworfen, bis der Bruch eintritt. Als wesentliche Werkstoffkenngrößen können damit die Zugfestigkeit, die Streckgrenze bzw. 0,2%Dehngrenze, die Bruchdehnung und Brucheinschnürung sowie der Elastizitätsmodul ermittelt werden. Durch eine geeignete Ausstattung der Prüfmaschine mit Temperierkammer oder Ofen bzw. induktiver Probenerwärmung, können die Kennwerte über einen sehr weiten Temperaturbereich, von Tief- bis Hochtemperatur, ermittelt werden. Werden Werkstoffe bei erhöhten Temperaturen belastete, so finden im Gefüge thermisch aktivierte Diffusionsvorgänge statt. Diese führen dazu, dass bereits bei Spannungen unterhalb der Streckgrenze ohne Laststeigerung nach gewisser Zeit eine langsame aber stetige irreversible plastische Verformung auftritt, welche mit Kriechen (eng. "creep") bezeichnet wird und nach genügend langer Belastungszeit zum Bruch der Probe führt. Der Zeitstandversuch ist ein Werkstoffprüfverfahren zur Ermittlung des oben genannten Werkstoffverhaltens bei 31
konstanter Prüftemperatur oberhalb der Raumtemperatur und nach längerem Einwirken einer konstanten Zugkraft. Die zeitliche Abhängigkeit der Kriechgeschwindigkeit wird in 3 Bereiche eingeteilt:
Primäres oder Übergangskriechen
Sekundäres oder stationäres Kriechen
Tertiäres Kriechen
Die dabei im Werkstoff ablaufenden und damit den Kriechvorgang beeinflussenden Vorgänge (Versetzungsbewegungen, Diffusionsvorgänge, Korngrenzengleiten) sind sehr stark vom Gefüge und der Kristallstruktur abhängig. Bei Aluminium-Legierungen, die häufig im Fahrzeugund Flugzeugbau verwendet werden, tritt Kriechen schon bei Temperaturen von ca. 50100 °C auf. Die erhöhte Anzahl von Gleitebenen in der kubisch flächenzentrierten Gitterstruktur des Aluminiums bietet dem plastischen Kriechverformungsprozess weniger Widerstand, was den Einsatz dieser Legierungen für erhöhte Temperaturen einschränkt. Um die Verschleißfestigkeit eines Werkstoffes zu charakterisieren, ist die Härteprüfung eine geeignete Methode. Als Härte eines Werkstoffes wird der Widerstand des Gefüges gegen das Eindringen eines härteren Prüfkörpers definiert. Je nach verwendetem Eindringkörper wird zwischen Brinell, Vickers und Rockwell unterschieden. Bei allen Verfahren wird ein Eindringkörper mit bestimmter Kraft in das Werkstück eingedrückt. Am entstehenden Eindruck bzw. der Eindringtiefe wird ein Messwert abgelesen und daraus der Härtewert berechnet. Härteprüfungen werden, weil einfach durchzuführen und trotzdem aussagekräftig, sehr häufig zur Qualitätskontrolle eingesetzt. Im Vergleich mit stetiger Beanspruchung kann sich der Werkstoff bei plötzlich eintretenden schlagartigen Lasten ganz anders verhalten. Der Kerbschlagbiegeversuch untersucht daher das Bruchverhalten des Materials bei schlagartiger Beanspruchung. Dieser wird nicht nur bei Raumtemperatur durchgeführt, sondern innerhalb eines Temperaturbereichs von -196°C bis 1000°C, wodurch Rückschlüsse auf bruchmechanischen Zähigkeitskenngrößen wie Kerbschlagarbeit bzw. Kerbschlagzähigkeit (Spröd-Duktil-Übergangstemperatur) gezogen werden können. Zumeist sind Bauteile nicht nur statisch sondern auch dynamisch wechselnden Belastungen ausgesetzt. Um die Dauerfestigkeit, also die Widerstandskraft gegenüber schwingender Belastung zu ermitteln, werden Kennwerte mittels Dauerschwing- bzw. Umlaufbiegewechselversuch ermittelt.
32
Werden Spannungen, unter denen die Proben versagen, über der Nennlastspielzahl aufgetragen, erhält man die Wöhlerkurve. Mit diesem Diagramm werden die Zeitfestigkeit (die Anzahl der Belastungszyklen, die ein Werkstoff bei gegebener Belastung erträgt) sowie die Dauerfestigkeit (die maximale Belastung, die ein Werkstoff beliebig dauerhaft ohne Bruch und ohne unzulässige Verformung erträgt) visualisiert. Alle genannten zerstörenden Werkstoffprüfverfahren sind in einschlägigen Normen sowohl hinsichtlich Prüfablauf als auch Probengeometrie geregelt.
Abbildung 14: Hochfrequenz-Resonanzprüfmaschinen zur Ermittlung dynamischer Werkstoffkennwerte (Abbildung: ÖGI)
3.3. Mikro- und nanoanalytische Untersuchungsmethoden mit in situ Erweiterungen Will man Werkstoffe optimieren bzw. entwickeln, ist das Wissen über Kristallisationsprozesse und thermisches Verhalten des jeweiligen Materials essentiell. Mit der Röntgendiffraktometrie (XRD) bekommt man Informationen über die Struktur von polykristallinen Materialen. Damit können Aussagen über die qualitative und quantitative Phasenzusammensetzung gemacht werden. Mit der in situ Hochtemperatur-Röntgendiffraktometrie (HT-XRD) können diese strukturellen Werkstoffeigenschaften sowohl zeit- als auch temperaturaufgelöst untersucht werden. Zusätzlich kann auch die Atmosphäre variiert werden, um z.B. Oxidationsbeständigkeiten zu beobachten. Für die HT-XRD-Untersuchungen benötigt man eine Hochtemperaturkammer (siehe Abbildung 15). Damit können in situ Beugungsexperimente bis 1200°C durchgeführt werden. Der Kammerdruck kann dabei zwischen 10 -2 Pa und 105 Pa über Atmosphärendruck und versuchsspezifischen Umgebungsgasen variiert werden. Als Anwendungsbeispiel ist in Abbildung 16 die Ferrit-Austenit-Umwandlung eines Stahls in Abhängigkeit der Temperatur dargestellt. Dabei sind zwei Punkte auffällig. Einerseits erfolgt die Umwandlung vom Ferrit zum Austenit bei höherer Temperatur als die Rückumwandlung 33
vom Austenit zum Ferrit beim Abkühlprozess. Anderseits ist das Temperaturfenster bei der Umwandlung vom Ferrit zum Austenit wesentlich größer als bei der Rückumwandlung.
Abbildung 15: Hochtemperaturkammer des Röntgendiffraktometer (Abbildung: Anton Paar GmbH).
Abbildung 16: links: Umwandlung Ferrit Austenit beim Aufheizen: blau 780°C, grün 785, rot 850°C; rechts: Umwandlung Austenit Ferrit beim Abkühlen: blau 1050°C, magenta 760°C, grün 750°C, rot 735°C (Abbildung: ZFE Graz).
Die Eigenschaften von Werkstoffen, Funktionsmaterialien und Bauelementen werden in hohem Ausmaß auch von ihrer Mikro- und Nanostruktur beeinflusst. Daher steigt die Bedeutung der mikroskopischen Untersuchungsmethoden in der praktischen Materialforschung und in der Schadensfallanalytik. In den letzten Jahren wurden neue Methoden der Lichtmikroskopie entwickelt, die in der Materialcharakterisierung bereits umfassend eingesetzt werden. Dazu zählt das konfokale Laser-Scanning-Mikroskop (CLSM), das vor allem in der Biologie und in der medizinischen Forschung verwendet wird. In der Materialforschung minimiert man das Problem der geringen Schärfentiefe von Lichtmikroskopen dadurch, dass für die Untersuchung der Oberflächentopografie zunehmend 3D-Lichtmikroskope eingesetzt werden, die einen Stapel von Bildern von der untersten bis zur obersten Fokusebene aufnehmen. Aufgrund dieser Fokus-Variation generiert das Messgerät sowohl die topografische Information als auch Farbinformation einer Probenoberfläche mit einer vertikalen Auflösung von etwa 10 Nanometern [24]. Für die lateral aufgelöste Visualisierung der Oberflächenmorphologie (Rauigkeit, Topografie) können auch Profilometer und die verschiedenen Methoden der Rastersondenmikroskopie eingesetzt werden. Aufgrund der kurzen Messzeiten sind Profilometer nahezu ideal für die 34
Messung von Linienprofilen, während die Rasterkraftmikroskopie (AFM) durch den quantitativen dreidimensionalen Charakter inzwischen ein zentrales Element der Oberflächencharakterisierung darstellt. Im AFM wird eine feine Sonde in sehr kleinen Schritten über die Oberfläche gerastert und mit funktionalisierten Sonden können auch magnetische, mechanische, elektrostatische und chemische Eigenschaften auf der Nanometerskala detektiert werden. Das AFM funktioniert unter Umgebungsbedingungen gleichermaßen wie in Flüssigkeiten für biologische Anwendungen und im Vakuum [25]. Abbildung 17 zeigt die Höheninformation eines Polymergemisches (b), welches nasschemisch präpariert wurde in Kombination mit der erweiterten Materialinformation (c) welche einerseits eine Entmischung und andererseits Lösungsmittelreste visualisieren kann. Neueste Entwicklungen im AFM Sektor erlauben darüber hinaus Hochgeschwindigkeitsuntersuchungen mit Bildraten bis zu 1 Sekunde und darunter ohne die laterale Nanometer-Auflösung zu verlieren (siehe Abb. 17c). Dadurch werden Echtzeituntersuchungen ermöglicht, wie beispielsweise biologische Aktivitäten, Swelling oder elektrochemische Prozesse. Zusammen mit dem meist zerstörungsfreien Charakter, bieten AFM basierte Methoden eine ideale Plattform für statische und/oder dynamische Oberflächenuntersuchungen mit lateral aufgelösten Eigenschaftsinformationen.
Abbildung 17: (a) Dreidimensionale Abbildung einer funktionalen Oberflächenstruktur mit räumlicher Nanometerauflösung. (b) korrelierte Höhen- und (c) Material-Informationen eines nasschemisch präparierten Polymergemisches. (d) und (e) Einzelenzyme in flüssiger Umgebung auf einer Zellulose Oberfläche (Abbildung: ZFE Graz).
Die neueste Evolutionsstufe von Rasterkraftmikroskopen erweitert den Anwendungsbereich einerseits um in situ Untersuchungen in flüssigen Medien und andererseits in Richtung Hochgeschwindigkeits-Untersuchungen für dynamische Prozesse. Am ZFE steht seit Sommer 2014 die AFM Plattform FastScan Bio von Bruker, welche hinsichtlich Handling und Stabilität auf diese Anforderungen optimiert wurde. Beispielsweise lassen sich Blutzellen, Membranen oder Bakterien im lebenden Zustand untersuchen wie in Abb. 18a anhand von Hefezellen 35
gezeigt wird. Ein weiteres Stand-Alone Kriterium dieser Plattform ist eine neue Technologie welche Bildaufnahmezeiten von wenigen Sekunden ermöglicht. Die Kombination dieser Möglichkeiten mit einer variablen Temperierung sowie einer dynamischen Inkubation unterschiedlicher Flüssigkeiten eröffnet neue Möglichkeiten wie beispielsweise die direkte Beobachtung von biochemischen, temperaturinduzierten oder korrosionsbasierten Prozessen (siehe Abb. 18b). Letztlich verfügt die Plattform über einen innovativen Messmodus, welcher auf mechanische Materialeigenschaften zugreifen kann. Damit lassen sich ortsaufgelöste Informationen über den Elastizitätsmodul, der Adhesion oder der Deformation erfassen (siehe Abb. 18c) sowie deren Dynamik aufgrund temperatur- oder chemisch induzierter Prozesse untersuchen. Somit ermöglicht diese neue Plattform ein breites Spektrum an neuen Untersuchungen hinsichtlich dynamischer Echtzeituntersuchungen, welche bisher nur schwer oder gar nicht möglich waren.
Abbildung 18: 3D AFM Höhenabbildungen von: (a) 4 Hefezellen im lebenden Zustand während der Teilung in Pufferlösungen; Polysteren / Low Density Polyethylen (PS/LDPE) Polymergemisch wobei die Einfärbung die lokal aufgelösten Variation des Elastizitätsmoduls zeigt (siehe Farbbalken rechts) und die stark unterschiedlichen Härten der einzelnen Materialien wiedergibt; (c) Hochaufgelöste in situ Analyse von dünnen Zellulosemembranen während des Abbaus durch Enzyme in flüssiger Umgebung. Im Speziellen ist hier die Freilegung der Cellulose Kristalle sichtbar, welche danach sukzessive (rote Pfeile) abgebaut werden (Abbildung: ZFE Graz).
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Im Falle organischer Materialien, wie etwa Kunststoffe oder Biomaterialien, können mit Hilfe von Infrarot- oder Raman-Mikroskopen wichtige Erkenntnisse über lokale Änderungen chemischer Bindungen, Materialzusammensetzungen und/oder kristalliner Strukturen erzielt werden ("chemical imaging"). Speziell im Bereich von Phasengrenzflächen können auf diese Weise z.B. Stoffübergänge (Weichmacher-Wanderungen etc.) zwischen den einzelnen Phasen oder z.B. auch die Eindringtiefe chemischer und/oder oxidativer Oberflächenschädigungen nachgewiesen werden. Das laterale Auflösungsvermögen der beiden Methoden liegt in der Regel bei etwa 10 µm, im Falle der konfokalen Raman-Mikroskopie werden Tiefenauflösungen von unter 2 µm erreicht. Die Infrarot- und Raman-Mikroskopie werden inzwischen in vielen Industriebereichen wie z.B. der Kunststoff-, Lack- und Pharmaindustrie eingesetzt, finden aber auch steigendes Interesse in der Halbleiter- und Baustoffindustrie.
Abbildung 19: Charakterisierung eines polymeren Multimaterialverbundes (links) vor und (rechts oben) nach Alterung mittels Infrarot-Imaging sowie (rechts unten) Raman-Imaging (Abbildungen: OFI Wien und ZFE Graz).
Die quantitative Charakterisierung von Partikeln in Pulvern, Stäuben und Umweltproben ist einerseits die Grundvoraussetzung für die Beurteilung von Gesundheitsgefahren, andererseits hat sie eine große Bedeutung bei industriellen Fertigungsprozessen. Die Entwicklung eines neuen Teilchenmessgeräts, in das ein Raman-Spektrometer integriert wurde, verspricht hier einige wesentliche Vorteile. Pulver und Stäube mit einem Durchmesser von etwa einem Mikrometer bis zu einigen Millimetern können automatisch in Bezug auf die Teilchengröße und Teilchenform analysiert werden und gleichzeitig liefert die Raman-Spektroskopie die
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chemische Zusammensetzung der Partikel. Die Einsatzbereiche erstrecken sich von der Zementforschung über die Mineralindustrie bis zur Umweltanalytik. Neue hochentwickelte Infrarot (IR) Imaging Mikroskope verbinden die analytischen Fähigkeiten der Infrarotspektroskopie mit einem Lichtmikroskop. Damit können einzelne kleine Probenbereiche chemisch identifiziert und bildgebend ausgewertet werden. Es ermöglicht zum Beispiel die Charakterisierung eines Mikrotomschnitts oder der Oberfläche einer Probe mit einer außergewöhnlich hohen Messempfindlichkeit und einer lateralen Auflösung von ca. 1 – 10 µm, abhängig von der Aufnahmetechnik und dem Spektralbereich. Derartige hochauflösende IR-Analysetechniken sind sowohl für die Überprüfung von neuen Werkstoffen (zusammengesetzt aus teilweise sehr dünnen funktionellen Schichten, siehe Abb. 20) als auch für die Untersuchung von Fehlstellen in unterschiedlichsten Produkten (Folien, Papiere, Fensterprofile, elektronische Bauteile etc.) sehr hilfreich. Wichtige Anwendungen liegen im Bereich der Material- und Schadensanalytik vor allem bei Polymeren (z.B. Stippen), bei Solarzellen, Sensoren, Verbund-, Klebe-, Beschichtungs- und Biomaterialien aber auch in der Halbleiterindustrie zur Identifizierung von Verunreinigungen auf Siliziumwafern.
Abbildung 20. Folie einer Frischkäseverpackung: Einbettmittel (rot), Polypropylen Typ 1 (dunkelgrün), Polypropylen Typ 2 (blau), Polyamid Typ 1 (orange), Polyamid Typ 2 (hellblau), Polyamid Typ 3 (gelb), Einbettmittel (grün); (Abbildung: ZFE Graz).
Bei den mikro- und nanoanalytischen Untersuchungsmethoden spielt die Elektronenmikroskopie eine zentrale Rolle, dies nicht nur wegen hoher Auflösung, die bis in atomare Dimensionen reichen kann, sondern auch, weil die Bildinformation direkt mit der Kristallstruktur, den physikalischen Eigenschaften und der chemischen Zusammensetzung verknüpft werden kann. In der Materialforschung hat insbesondere die Rasterelektronenmikroskopie (REM) sehr weite Verbreitung gefunden. Sie ermöglicht die mikroskopische Untersuchung von Material38
oberflächen mit einer wesentlich besseren Auflösung und Schärfentiefe als die klassische Lichtmikroskopie. In Verbindung mit der energiedispersiven Röntgenspektroskopie (EDX) kann die chemische Zusammensetzung von Materialien mit Mikrometer-Auflösung rasch und effizient analysiert werden. Ein für KMU interessanter Trend besteht in der Einführung von kleinen, günstigen REM (so genannte "table-top"-Geräte), die jedoch nicht an die Leistungsfähigkeit herkömmlicher REM herankommen, sondern häufig in einem ähnlichen Vergrößerungsbereich wie bei der Lichtmikroskopie eingesetzt werden. Mit Einführung des "Environmental"-Rasterelektronenmikroskops (ESEM) konnte der Anwendungsbereich des REM auf feuchte Proben und dynamische mikroskopische Untersuchungen erweitert werden. Bei dieser in situ-Mikroskopie kann der Ablauf physikalischer und chemischer Prozesse bei Vergrößerungen im Mikro- und Nanobereich direkt beobachtet werden. Typische praktische Anwendungen sind etwa die Hochtemperaturkorrosion von Stählen, das Bruchverhalten von Kunststoffen und Biomaterialien oder Quellvorgänge in Textilien.
Abbildung 21: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme und Elementverteilung einer Aluminium- (blau), Silizium(gelb), Eisen-Nickel- (orange) Legierung (Abbildung: ZFE Graz)
Im Allgemeinen verbindet man mit der Mikroskopie die Aufnahme von Bildern der Morphologie der Probe sowie der Analyse der chemischen Zusammensetzung und der kristallografischen Struktur des betreffenden Materials. Dynamische Experimente im Rasterelektronenmik39
roskop erweitern die Analysemöglichkeiten für die Bestimmung der Werkstoffeigenschaften und liefern Erkenntnisse über Änderungen der Mikrostruktur eines Materials unter Belastungen, wie sie im industriellen Einsatz auftreten. Dazu kann man die Probenkammer eines Rasterelektronenmikroskops (REM) als Labor einsetzen. Bei Verwendung einer geeigneten Heizbühne kann man im REM bei hoher Vergrößerung und großer Schärfentiefe z.B. Rekristallisationsprozesse in Metallen, Phasenübergänge in Materialien und Bauelementen oder auch Korrosionsprozesse untersuchen. Dies ermöglicht zusätzlich auf einfache Art und Weise die exakte Temperatur zu bestimmen, bei welcher Materialumwandlungen beginnen. Die Versuchsabläufe können mittels Video dokumentiert werden. Dies erlaubt unter Umständen bereits an einer sehr geringen Werkstoffmenge und damit auch kostengünstig eine erste grobe Abschätzung, ob der betreffende Werkstoff tatsächlich für die vorgesehene Anwendung geeignet ist. Allerdings ist während dieser Experimente nur die Beobachtung der Probenoberfläche möglich. Jedoch können vor und nach dem Versuch Rekonstruktionen der inneren Struktur des Materials mittels tomografischer Methoden durchgeführt werden.
Abbildung 22: Körner und Domänenstruktur in einer polykristallinen piezoelektrischen Keramik, aufgenommen während eines kontinuierlichen Heizvorganges bei 40°C, 102 °C und 134°C (von links nach rechts; Bildbreite: ~ 23 µm); (Abbildung: ZFE Graz).
Das Environmental Scanning Electron Microscope (ESEM) ermöglicht es elektrisch nichtleitende, biologische und sogar feuchte Proben mittels Elektronenstrahl ohne zusätzliche Probenpräparation zu untersuchen. Mit diesen Eigenschaften hat sich das ESEM in vielen Forschungseinrichtungen als in situ Labor etabliert. Es werden zum Beispiel Heiz-, Zug- und Benetzungsversuche im Elektronenmikroskop in situ durchgeführt und auf der Nanometerskala analysiert. Viele dieser Untersuchungen erfordern einen für elektronenmikroskopische Begriffe hohen Druck in der Probenkammer (P>5 mbar). Dieser Druck führt zu verrauschten, kontrastarmen Abbildungen, die nicht immer ausreichen, um dynamische Prozesse zu dokumentieren. Die Streuung der Elektronen im Abbildungsgas und die schlechte Verstärkung des Sekun40
därelektronensignals sind die Ursachen. Wissenschaftliche Publikationen der letzten Jahre zeigen allerdings, dass aktuelle Mikroskope weit entfernt von den physikalischen Grenzen arbeiten [26]. Deshalb wurden am ZFE der Elektronenstrahltransfer durch das Abbildungsgas als auch die Sekundärelektronenverstärkung für in situ Applikationen im ESEM optimiert [27]. Diese Verbesserungen minimieren das Rauschen und führen zu kontrastreicheren Bildern im ESEM. In situ Untersuchungen, wie z.B. Benetzungsversuche, können dadurch mit geringem präparativen Aufwand, höherer Bildrate und mit niedrigerer Beschleunigungsspannung durchgeführt werden. Niedrige Beschleunigungsspannungen minimieren die Eindringtiefe und ermöglichen dadurch oberflächensensitive und artefaktfreie Aufnahmen.
Abbildung 23: Testaufnahmen einer Membran; links: Originalkonfiguration des Mikroskopherstellers; rechts: optimierte ZFE – Konfiguration; (Abbildung: ZFE Graz)
Eine enorm vielseitige Erweiterung zu den Rasterelektronenmikroskopen sind sogenannte Zweistrahlmikroskope, welche über einen zusätzlichen voll integrierten Ionenstrahl verfügen (Dual Beam Processing). Dabei wird ein sehr fein fokussierter Ionenstrahl (Focused Ion Beam – FIB) verwendet, welcher enorm genau gesteuert werden kann. Durch die hohe Masse der Ionen ist es möglich, Material von jeglichen Oberflächen exakt zu entfernen. In Kombination mit REM-basierten Analysemöglichkeiten (energiedispersive Röntgenspektrometrie - EDX) können Proben nicht nur an der Oberfläche sondern auch in die Tiefe analysiert werden, wie in Abbildung 24a dargestellt wird. Eine sequentielle Prozessierung von Materialentfernung (FIB) und analytischer Charakterisierung (EDX) ermöglicht darüber hinaus die Erstellung von 3-dimensionalen Rekonstruktionen wie in Abbildung 24b dargestellt. Damit lassen sich räumliche Strukturen, deren Verteilung inklusive chemischer Details darstellen. Neben diesen Charakterisierungsanwendungen ermöglichen FIB Anlagen auch die Herstellung von funktionellen 3-dimensionalen Nanostrukturen. Neueste Entwicklungen ermöglichen auch 41
erstmals die Strukturierung von niedrigschmelzenden Materialien (z.B. Polymeren). Abbildungen 24c und 24d zeigt den Fortschritt im Bereich der Polymerstrukturierung welcher erst durch die neuen Prozeduren ermöglicht wird. Diesbezügliche Anwendungsgebiete erstrecken sich von funktionellen Morphologien (z.B. Mikrofluidik) über plasmonische Anwendungen bis hin zur chemischen Oberflächenmodifikation mittels zusätzlich eingeleiteten Gasen (z.B. Fluor basierte
Moleküle
für
lokale
Oberflächen-Hydrophobisierungen).
Die
Vielseitigkeit
dieser
Zweistrahlmikroskope bezüglich Strukturierung, Modifikation und Analytik ermöglichen einen weiten Bereich der Anwendung und repräsentieren somit eine essentielle Plattform für Forschung und Entwicklung bis hin zur Qualitätssicherung.
Abbildung 24: (a) und (b) SEM Bild und chemische Rekonstruktion einer Keramik. (c) FIB prozessierten PMMA Oberfläche, welche durch klassische Prozeduren morphologisch und chemisch zerstört wird. (d) Ein am ZFE entwickeltes neues Verfahren bei gleichen FIB Parametern und Prozesszeiten, welche die Destabilisierung minimiert und somit neue Anwendungsgebiete im Bereich niedrigschmelzender Materialien eröffnet (Abbildung: ZFE Graz).
Für die Erfassung lokal eng begrenzter Phänomene, wie z.B. die Chemie an inneren Grenzflächen, die Charakterisierung von Sekundärphasen in Festkörpern und deren Wechselwirkung mit der Festkörpermatrix oder aber auch für die Charakterisierung der Struktur von einzelnen Nanoteilchen ist die Auflösung der bisher genannten mikroskopischen Methoden in vielen Fällen nicht ausreichend. Mit Hilfe der Transmissionselektronenmikroskopie (TEM), deren Auflösung im Bereich von 100 Pikometern (100 Milliardstel Millimeter) liegt, können derartige Phänomene umfassend charakterisiert werden – teilweise sogar mit atomarer Auflösung [28]. In Verbindung mit der Focused Ion Beam Methode (FIB) können aus Werkstoffen und Bauelementen in sehr kleinen Probenbereichen (lokale Defekte) zielgenau Proben entnommen und im TEM analysiert werden (z.B. Analyse von Materialdefekten, Korngrenzen in Stählen und Legierungen, Aufbau von elektronischen Bauelementen, Materialbeschichtungen und Biomaterialien). Die
Erweiterung
des
Transmissionselektronenmikroskops
(TEM)
mit
einem
abbildenden
Energiefilter ermöglicht es die Vorteile des Energiefilterungs-TEM (EFTEM) zu realisieren. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Möglichkeit die zweidimensionale Verteilung verschiedener chemischer Elemente mit einer lateralen Auflösung von etwa einem Nanometer 42
(1 Millionstel Millimeter) zu messen. Die EFTEM-Methode liefert neuartige Einblicke in den chemischen Aufbau von Festkörpern, Halbleitern und Strukturwerkstoffen und zählt inzwischen zu den wichtigsten Methoden der Nanoanalytik. Ein typisches Beispiel einer EFTEMUntersuchung wird in Abbildung 25 gezeigt: Es handelt sich dabei um die Nanoanalyse von Ausscheidungen in einer Stahlprobe. Die Elementverteilungsbilder von Titan, Nickel und Chrom wurden in einem RGB-Bild übereinandergelegt und liefern die Information über die chemische Zusammensetzung der Ausscheidungen. Der Informationsgewinn gegenüber einer konventionellen TEM-Untersuchung ist klar ersichtlich. Aufgrund der aufwendigen Probenpräparation, der teuren und schwierig zu bedienenden Mikroskope werden TEM und FIB in speziellen Labors mit kritischer Größe z.B. an Universitäten und Forschungszentren aufgestellt, die in den meisten Fällen dann auch für KMUs zur Verfügung stehen.
Abbildung 25: Nanoanalytische Untersuchung von Ausscheidungen in einer Stahlprobe; links: TEM-Bild, rechts: EFTEM-Elementverteilung (rot = Titan, grün = Nickel, blau = Chrom; Bildbreite = 1 Mikrometer); (Abbildung: ZFE Graz).
Mit dem Aufbau des Austrian Scanning Transmission Electron Microscope (ASTEM) steht der österreichischen Forschungslandschaft eines der weltbesten Elektronenmikroskope zur Verfügung, welches Materialanalytik mit atomarer Auflösung ermöglicht (Abb. 26). Damit kann man nanoskalige Strukturen in Materialien, Werkstoffen und Bauelementen – einschließlich ihrer Kristallographie und chemischen Zusammensetzung sowie ihrer physikalischen Eigenschaften – bis in atomare Dimensionen charakterisieren. Da das Mikroskop mit einer speziellen Elektronenoptik für die Korrektur des Öffnungsfehlers ausgerüstet ist, kann ein extrem fein gebündelter Elektronenstrahl von einem halben Atomdurchmesser (0,07 Nanometer) über die Probe geführt werden. Die Elektronen werden auf 300.000 Volt beschleunigt und bei der Wechselwirkung mit den Atomen in der Probe ent43
stehen gestreute Elektronen und Röntgenstrahlung, die Informationen über den atomaren Aufbau des Materials bzw. Werkstoffs liefern. Das Mikroskop wird bisher vor allem für die Erforschung von Korngrenzen, Grenzflächen und Defekten in Werkstoffen, Keramiken, Legierungen, Stählen und elektronischen Bauelementen eingesetzt. Neueste Forschungsarbeiten zeigen, dass das ASTEM auch für die Analytik von Nanoteilchen und Biomaterialien große Vorteile bietet. Eine typische Anwendung wird in Abbildung 26 beschrieben. Ein Zinkoxid-Nanodraht wurde mit Indium dotiert und das hochaufgelöste STEM-Bild zeigt, dass sich die Indium Atome im Zinkoxid-Kristall linienförmig anordnen.
Abbildung 26: (a) Austrian Scanning Transmission Electron Microscope (ASTEM); (b) Hochaufgelöstes STEM-Bild eines Zinkoxid Nanodrahtes, der mit Indium dotiert wurde; Zink-Atome bzw. Atomsäulen sind grau (blau) und die Indium-Atomsäulen erscheinen hell (grün); dazwischen sitzen die Sauerstoff-Atome (in dieser Abbildung nicht sichtbar); (Abbildung: ZFE Graz)
Auch in der Nanoanalytik besteht steigender Bedarf an in situ-Experimenten. Daher werden HR-TEMs wie das ASTEM mit in situ Probenhaltern z.B. für die tomographische Nanoanalyse oder dynamische Heizexperimente bei Temperaturen bis 1300°C ausgerüstet. Das Materialspektrum erstreckt sich dabei von Polymeren bis hin zu Metallen. Dynamische Vorgänge, die bisher nur in einem einzelnen Zustand bei Raumtemperatur dargestellt werden konnten, können nun direkt beobachtet werden: Phasenübergänge, Diffusionsprozesse, Defektentstehung, Präzipitat- und Kornwachstum sowie Schmelz- und Rekristallisationsvorgänge können mit hoher lateraler Auflösung verfolgt und chemisch charakterisiert werden. Die so gewonnen Erkenntnisse werden Partnern aus Industrie und Forschung zur Verfügung gestellt, die Fragestellungen aus dem Bereich der Bauteilentwicklung oder Legierungsoptimierung klären möchten. 44
Koordination, Redaktion und Revision Ferdinand Hofer Julian Wagner
(Leitung ACR-Schwerpunkt Produkte, Prozesse, Werkstoffe) (ZFE)
Autorinnen und -Autoren Heinz Haider Udo Pappler Volker Uhl Peter Pazmandy Dietmar Loidl Gerhard Schindelbacher Heinz Basalka Katharina Umlaub Stefan Mitsche Peter Pölt Johannes Rattenberger Boril Chernev Harald Plank Thomas Ganner Evelin Fisslthaler
4.
(OFI) (OFI) (OFI) (OFI) (OFI) (ÖGI) (SZA) (SZA) (ZFE) (ZFE) (ZFE) (ZFE) (ZFE) (ZFE) (ZFE)
Literaturverzeichnis
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45
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