FACHZEITSCHRIFT FÜR W I R T S C HA F T S R E C H T
APRIL 2011
04 www.ecolex.at 281 – 380
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EDITORIAL
Interzession, extensiv (§ 25 c KSchG) GEORG WILHELM
D
ie Institutionen des Privatrechts wandeln sich im nie entschiedenen Kampf der Interessen (Heck), und wer nicht mitkommt, den straft das Leben. In der Aneignung von Wissen erschafft sich der Wirkende (Goethe, Schwanitz; Nachweise auf Anfrage). Im Folgenden der Blick auf eine Nebenfront. „Lies Rechtsprechung zur rechten Zeit, bist dann nicht der, der übrig bleibt.“ (Kalenderweisheit) Was sich wirklich begab Auf der Kreditgeberseite steht eine Bank, nicht liebe-, nicht fantasievoll. Auf der Gegen-(Verbraucher-)Seite stehen Papa (ab 2000 arbeitslos, ab 2005 Früh-, dann Pensionist) und Sohn (selbständiger Fotograf). Zur Finanzierung eines Wohnhauses für seine Familie nimmt Sohn 2002 bei der Bank einen Fremdwährungskredit (Wert € 50.000,–) auf, für den Papa sich verbürgt. Als des Sohnes wirtschaftliche Situation sich verschlechtert, nimmt er ab 2002 bei der Bank weitere Kredite auf, die er aber nicht abzahlen kann: Die Bank stellt ihm die Rute ins Fenster. Dies genügt, um die Bank zu befähigen, Papa zu bewegen, bei ihr 2006 und 2007 selbst zwei Kredite (Wert € 95.000,–) aufzunehmen; Verwendungszweck: die Befreiung des Sohnes. Wirklich wird der größte Teil der Valuta dem Kreditkonto des Sohnes gutgebucht, einen kleineren behält Papa für eigene Anschaffungen. Der Abschluss der Verträge vollzieht sich in 15 Minuten, die gerade zur bankseitigen Versicherung ausreichen, dies sei die einzige Möglichkeit, den Sohn „über Wasser zu halten“, die Kreditaufnahme für Papa selbst (damals längst Rentner!) „kein Problem“ und „es wird schon alles gut gehen“; auf die schlechte Vermögenslage des Sohnes und die Folgen von dessen Zahlungsunfähigkeit für Papa hinzuweisen war keine Zeit mehr. Die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Verhältnisse des Sohnes verschlechtern sich ab 2007 rapide: er sagt 2008 Insolvenz an, erkrankt 2009 schwer, im Februar 2010 wird Leberkrebs diagnostiziert, an dem der Sohn am 28. 6. 2010 verstirbt, kurz nachdem sein Versuch, eine Ratenvereinbarung zu erwirken und so die Versteigerung seines Wohnhauses abzuwenden, gescheitert war (!). Nach Abzug dessen, was die Familie noch zusammenkratzen konnte, haften von der Kreditschuld Papas noch € 50.000,– aus, die Papa nicht aufbringen kann. Was man sich dazu denken soll Die Bank ist kein Shylock, sie nützt eben ihren vermuteten juristischen Vorteil. Hat § 25 c KSchG studiert, wo der Begriff der Interzession gebildet ist: „Tritt ein Verbraucher einer Verbindlichkeit als Mitschuldner, Bürge oder Garant bei (Interzession) (…)“, es folgt die Rechtsfolge: Aufklärungspflicht des Gläubigers, deren Erfüllung die übernommene Verbindlichkeit bedingt. Den Gesetzesworten vertrauend veranlasst die Bank Papa, die Schuld, deren Zahlung den Sohn befreien soll, gerade nicht als Mitschuldner, Bürge oder Garant zu übernehmen, sondern als selbständig-hauptschuldnerischer Kreditnehmer. Und als solcher wird Papa nun bedrängt. Was verkehrsüblich-sorgfältiges Rsp-Studium bei Kreditvergabe aber noch nicht ergeben konnte: Das Hintertürchen, sich aus der Interzession fortzustehlen, ist ins-
künftig – aber mit der Rückwirkung, die fortschreitende höchstrichterliche Erleuchtung für sich in Anspruch nimmt – gerichtlich versiegelt. Denn zur Interzession gehören nicht nur die formalia (nimm eins aus 1, 2, 3) der Schuldbegründung, sondern auch deren wirklicher und dem Gläubiger erkennbarer Zweck: dass der Einschreiter sich im Fremdinteresse (eines Dritten) verpflichtet. Dies inhaltliche Gewürz schmeckt so vor, dass es schließlich ganz gleichgültig ist, ob der Einschreiter Mitschuldner, Bürge oder Garant wird oder seine Verpflichtung auf anderer, von der Hauptschuld unabhängiger causa beruht (so 10 Ob 34/06 g) – zB eben eigenständiger Kreditvergabe. Ja es kommt – äußerste Freiheit – gar nicht mehr darauf an, ob der Begünstigte dem Gläubiger selbst verpflichtet ist. Wir wissen das alles aus der aktuellen Rsp, die sich zur Zeit von Papas zweitem Einschreiten gerade in diesem Sinne eingrub; was zu erkennen damals nicht ganz leicht, aber nicht unmöglich war, weil die Lit seit längerem ihr Menetekel geschrieben hat (s 10 Ob 34/06 g, 3 Ob 111/08 g mit Falltypen, und die zusammenfassende Anm von P. Bydlinski, JBl 2009, 257 zur zweiten E): Zur Interzession genügt es daher, wenn nur der Gläubiger und der Einschreiter in Vertragsbeziehung – zugunsten des Dritten – stehen. Es ist kein Riesenkummer, dass damit der Tatbestand des § 25 c auf den Kopf gestellt wird: Seine genannten Voraussetzungen werden durch die ungenannte, sich aus der ratio legis ergebende ersetzt. Diese ratio ist eine „gestufte“ mit nuancierter Folge nach der Verschiedenheit des vorvertraglichen Verhältnisses. Präsentiert sich der Einschreiter als zweiter Schuldner, so ist es der Vorteil der Besicherung, der die Pflicht zur Warnung des Fremdnützigen vor der Gefährdung des Regresses rechtfertigt (guter Tropfen, böser Tropfen). Anders wenn der Einschreiter allein schuldet: Die Warnpflicht des Gläubigers, die auch hier besteht, ist Folge des verständnislosen Mitleids, das eine raffgierige Welt für Altruismus haben soll, und ist daher auch geringer: Besondere Nachforschungen zur Bonität des Begünstigten wird man nicht fordern. Das eine wie das andere übrigens culpa in contrahendo, doch gehört das alles nicht mehr hierher. Presto ad finem Die Lösung unserer Begebenheit liegt danach auf der Hand. Die Bank musste über die Irrealität des Regresses aufklären. Die Unterlassung der Aufklärung war zwar nicht schuldhaft – die Rechtslage war noch nicht eindeutig genug – aber objektiv sorglos. Diese Sorglosigkeit trägt den Anscheinsbeweis, dass die Bank dadurch Papa bei Abschluss des Kreditvertrags in Irrtum – nach § 25 c Geschäftsirrtum – über die Chancen seines Regresses geführt hat (veranlasster Irrtum, § 871 Abs 1, 1. Fall ABGB) und der Irrtum für die Aufnahme des Kredits ursächlich war; auch für den Teil der Valuta, den Papa selbst verbraucht hat: Irrtumsanfechtung des Kreditvertrags. Dass Papa mindestens qua Nachteilsausgleich von der Erstattung der nie empfangenen Kreditvaluta befreit ist, versteht sich ebenso von selbst, wie, dass die Schuldbefreiung des Sohnes, beruhend auf der Verrechnungsabrede, aufrecht bleibt. Wer zuletzt lacht usw . . . Die Begebenheit ist verglichen. ecolex 2011 281
INHALT FACHZEITSCHRIFT FÜR WIRTSCHAFTSRECHT 22. JG. HEFT 04, APRIL 2011 Zitiervorschlag: ecolex 2011, Seite Entscheidungen: ecolex 2011/ [Entscheidungsnr], [Seite] HERAUSGEBER: Hon.-Prof. Dr. G. KUCSKO, RA Univ.-Prof. Dr. W. MAZAL Univ.-Prof. Dr. P. OBERHAMMER Univ.-Prof. Dr. J. REICH-ROHRWIG, RA Dr. Ch. SCHMELZ, RA Univ.-Prof. MMag. Dr. J. SCHUCH, StB Univ.-Prof. Dr. G. WILHELM Mag. Dr. H. WOLLMANN, LL.M., RA Univ.-Prof. Dr. B. ZÖCHLING-JUD
BEIRAT: Univ.-Prof. DDr. W. BARFUSS Sen.-Präs. d. VwGH Dr. L. BUMBERGER Univ.-Prof. Dr. B.-Ch. FUNK Univ.-Prof. Dr. H. KREJCI Dr. J. E. LANGER Univ.-Prof. DDr. H. MAYER Hon.-Prof. HR Dr. M. NEUMAYR Univ.-Prof. Dr. G. H. ROTH Univ.-Prof. Dr. W. SCHRAMMEL Univ.-Prof. Dr. R. WELSER Min.-Rat Dr. W. WIESNER SCHRIFTLEITUNG: Univ.-Prof. Dr. G. WILHELM STÄNDIGE MITARBEITER: Hon.-Prof. Dr. A. DUSCHANEK Univ.-Prof. DDr. Th. EILMANSBERGER Sen.-Präs. d. OLG Wien iR ao. Univ.Prof. Dr. G. ERTL Mag. J. FISCHERLEHNER
Dr. H. FRIEDL, RAA MMag. Dr. K. H. HILBER, StB Univ.-Prof. Dr. M. HOLOUBEK Dr. St. KÖCK, RA Univ.-Prof. Dr. M. LANG Mag. M. LAUDACHER Dr. I. MOSER Dr. E. PRIMOSCH Dr. Th. RABL, RA Mag. B. RENNER Dr. R. SCHANDA, RA Univ.-Prof. Dr. F. SCHRANK Mag. N. SCHROTTMEYER, WP u StB Dr. Ch. SCHUMACHER, LL.M., RA Univ.-Prof. Dr. H. SCHUMACHER, RA Univ.-Doz. Dr. St. SCHWARZER Dr. A. SPITZL Dr. B. TONNINGER, RA Dr. W. URBANTSCHITSCH ao. Univ.-Prof. MMag. Dr. M. WINDISCH-GRAETZ
IMMOBILIENMAKLER
SCHWERPUNKT Die Verdienstlichkeit des Maklers
284
Immobilienmakler im Interessenkonflikt
287
Immobilienmaklerverordnung – erste Erfahrungen mit der Novelle 2010
291
Stephan Eberhardt Clemens Limberg Peter Madl
EDITORIAL Interzession, extensiv (§ 25 c KSchG)
281
Impressum
U3
Georg Wilhelm
LEGISLATIVE ÖSTERREICH 292
Legislative Österreich Ingrid Moser
ZIVIL- UND UNTERNEHMENSRECHT Vertragsanpassung bei verzögerter Zuschlagserteilung aus vergaberechtlicher und werkvertraglicher Sicht
293
Ist ein Einheitspreisvertrag ein Vertrag mit Kostenvoranschlag?
297
IT-Update
298
Hans Gölles
Hermann Wenusch
Wolfgang Zankl OGH 4. 8. 2010, 3 Ob 79/10 d OGH 14. 9. 2010, 1 Ob 139/10 p OGH 14. 9. 2010, 1 Ob 143/10 a OGH 22. 9. 2010, 8 Ob 94/10 x OGH 18. 1. 2011, 4 Ob 218/10 b OGH 3. 9. 2010, 9 Ob 52/10 b OGH 4. 8. 2010, 3 Ob 87/10 f OGH 31. 8. 2010, 4 Ob 137/10 s OGH 4. 11. 2010, 8 Ob 9/10 x OGH 24. 11. 2010, 9 Ob 5/10 s OGH 2. 12. 2010, 2 Ob 203/10 g OGH 18. 1. 2011, 4 Ob 186/10 x OGH 24. 11. 2010, 9 Ob 14/10 i OGH 2. 12. 2010, 2 Ob 162/10 b OGH 19. 1. 2011, 7 Ob 98/10 b OGH 23. 11. 2010, 1 Ob 164/10 i OGH 19. 1. 2011, 7 Ob 219/10 x OGH 14. 9. 2010, 1 Ob 152/10 z
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Mündelsichere Wertpapiere: Umfang der Prüfpflicht eines Gutachters nach § 230 e ABGB (Ingo Kapsch) Verkehrsüberwachung mit Mitteln des Nachbarrechts nicht erzwingbar Kündigungsrecht eines privaten monopolartigen Wasserversorgers Verbot der Aufrechnung im Auftragsverhältnis (Reisebüro) bei Akontozahlungen Erbschaftskauf kein Vorkaufsfall Auflösungstatbestand „Aufgabe des Unternehmens“ in Leasing-AGB Zwischen Kündigungsgrund und Kündigungsverzicht Haftung bei Vermittlung von „Mietkauf“ besonders günstiger fabrikneuer Kfz Haftung des Anlageberaters bei fremdfinanzierter Veranlagung Eigenhaftung des Kapitalanlagevermittlers Sozialhilfeumlage: vermeintliches Anerkenntnis der Gemeinde Keine besondere Nachforschungspflicht eines (Immobilien-)Doppelmaklers Verdienstlichkeit des Immobilienmaklers: Flächenabweichung eines Raumes Mängelbehebungskosten nicht nach PHG ersatzfähig Verjährung nach AÖSp bei innerstaatlichen Transporten außerhalb Österreichs Verschleierung Verhältnis Gewährleistung – Garantie in AGB Feststellungsklage auf Nichthaftung als Interzedent bzw Mäßigung Geschäftsführer haften nach § 31 WRG solidarisch mit der Gesellschaft
300 302 303 305 305 305 306 307 309 309 311 311 312 312 313 314 315 316
WIRTSCHAFTSSTRAFRECHT Verfall statt Abschöpfung der Bereicherung im österreichischen Strafrecht Hubert Hinterhofer
282 ecolex 2011
317
INHALT
DISPUTE RESOLUTION 320
Neues vom Kostenrecht Jürgen C. T. Rassi Die Internationalisierung von Handelssachen an Zivilgerichten Maxi Scherer / Franz Schwarz OGH 14. 12. 2010, 3 Ob 211/10 s OGH 18. 1. 2011, 4 Ob 143/10 y OGH 14. 12. 2010, 3 Ob 231/10 g
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324
Nebenintervention – bloßes Interesse am Erzielen bestimmter Beweisergebnisse? Zweiseitigkeit des Verfahrens über die Richterablehnung Oppositionsklage gegen einen Europäischen Vollstreckungstitel
325 325 326
A Checkliste: Zivilverfahrensrechtliche Bestimmungen des Budgetbegleitgesetzes 2011
327
GESELLSCHAFTSRECHT 329
Voreinzahlungen auf Kapitalerhöhungen Christopher Schrank / Gernot Wilfling C Memo: Einlagenrückgewähr durch Besicherung Alexander Taiyo Scheuwimmer OGH 29. 9. 2010, 7 Ob 35/10 p
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OGH 17. 12. 2010, 6 Ob 63/10 y
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OGH 29. 9. 2010, 3 Ob 86/10 h
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OGH 17. 11. 2010, 6 Ob 212/10 k
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OLG Wien 8. 11. 2010, 28 R 146/10
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Bürgschaft der Gesellschaft für einen dem Gesellschafter nahestehenden Dritten ist Einlagenrückgewähr, wenn keine betriebliche Rechtfertigung vorliegt Änderung der Judikatur: Keine Notariatsaktspflicht bei nachträglicher Änderung von Aufgriffsrechten im GmbH-Vertrag (Stephan Verweijen) Unterdeckung einer nominellen Kapitalerhöhung: Keine Differenzhaftung der Gesellschafter Gerichtliche Abberufung eines Fremdgeschäftsführers – Klage ist gegen Mitgesellschafter zu richten; Nebenintervention des Fremdgeschäftsführers Aktienrecht: Antrag des OLG Wien auf Aufhebung des § 225 c Abs 3 Z 2 AktG wegen Verfassungswidrigkeit beim VfGH
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WETTBEWERBS- UND IMMATERIALGÜTERRECHT
A Checkliste: Ärzte-Website Roland Marko / Dominik Hofmarcher OGH 5. 10. 2010, 4 Ob 117/10 z OGH 9. 11. 2010, 4 Ob 111/10 t OGH 15. 12. 2010, 4 Ob 176/10 a OGH 5. 10. 2010, 4 Ob 159/10 a OGH 5. 10. 2010, 17 Ob 8/10 s (EuGH C-523/10)
332
339 * * * * *
Zur Verjährung des Verwendungsanspruchs Kumulation von Superlativen (Bernhard Tonninger) Keine Irreführung über Kapitalgaranten (Michael Horak) Prüfpflichten von Werbepartnern (Michael Horak) EuGH-Vorlageverfahren zum Verletzungsgerichtsstand bei Markenverletzung im Internet (Christian Schumacher)
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ARBEITSRECHT Haustiere im Arbeitsrecht Andreas Gerhartl Neue Kompetenzen der Betriebspartner im Entgeltbereich Alexander Burz
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OGH 22. 12. 2010, 9 ObA 42/10 g OGH 22. 12. 2010, 9 ObA 27/10 a
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OGH 22. 12. 2010, 9 ObA 22/10 s
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Doppelte Prüfung der Kündigung eines begünstigten Behinderten Motivkündigung wegen Geltendmachung nicht offenbar unberechtigter Ansprüche Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden
Finanzstrafrecht 2011: Der Steuerpflichtige – Kaninchen vor der Schlange? Klaus Gaedke / Stefan Lausegger Grundlagen der neuen Kapitalbesteuerung Klaus Hilber VwGH 28. 10. 2010, 2007/15/0191 UFS 18. 2. 2011, RV/0686-L/10
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353 355
STEUERRECHT 356 359
Nachhaltigkeit einer Erfindertätigkeit (Elisabeth Hütter) Anrechnung von Quellensteuern aus Vorjahren auf die Körperschaftsteuer (Marco Laudacher)
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ÖFFENTLICHES WIRTSCHAFTSRECHT Von Abfallbesitzern und Abfallerzeugern Alexander Grau Neue Erlaubnispflicht für Abfallsammler und -behandler Thomas Wimmer VwGH 18. 11. 2010, 2010/07/0119 VwGH 20. 12. 2010, 2009/03/0028 VwGH 23. 11. 2010, 2009/06/0081
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Kostenfolgen der Ersatzvornahme und Schonungsprinzip (Edmund Primosch) Gewerbsmäßige Kfz-Transporte von Kranken und Menschen mit Behinderung (Edmund Primosch) Barrierefreiheit einer Außenaufzugsanlage (Edmund Primosch)
NEUES AUS EUROPA – Aktuelle Rechtsetzung und Entscheidungen der EU Wolfgang Urbantschitsch / Edith Hofer Der Austritt aus der Europäischen Union Jens Budischowsky Rechtsprechungsübersicht Europäische Gerichte Sebastian Bohr / Susanne Kämpfer
363 367 369 370 370
EUROPA 371 372 375 ecolex 2011 283
SCHWERPUNKT
IMMOBILIENMAKLER
284 ecolex 2011
Die Verdienstlichkeit des Maklers Die Verdienstlichkeit des Maklers bei seiner Tätigkeit ist Voraussetzung für den Provisionsanspruch. Es stellt sich die Frage, was darunter zu verstehen ist und welche Auswirkungen ein Abgehen von der geschuldeten verdienstlichen Tätigkeit, das Nichtzustandekommen, die Nichtausführung oder der nachträgliche Wegfall des Hauptgeschäfts auf den Provisionsanspruch des Maklers haben. STEPHAN EBERHARDT
A. Einleitung Der Begriff der Verdienstlichkeit des Maklers bei seiner Tätigkeit hat in Österreich eine lange Tradition.1) Eine Definition sieht das MaklerG jedoch nicht vor. Es wird daher versucht, den Begriff im Hinblick auf die Gesetzessystematik und den Gesetzeszweck zu bestimmen.2) Verdienstlichkeit wird definiert als die Summe aller zwischen Auftraggeber und Makler vereinbarten Pflichten,3) genauer, wenn die Maklertätigkeit den Anforderungen des Vermittlungsvertrags entspricht und ihrer Art nach geeignet ist, für den Auftraggeber Vertragspartner aufzufinden bzw diese zum Vertragsabschluss zu bewegen.4) Es handelt sich um die mindestens zu entfaltende und im Einzelfall an den besonderen Umständen zu messende Vermittlungstätigkeit des Maklers, um das vom Auftraggeber beabsichtigte Geschäft herbeizuführen.5)
B. Verdienstlichkeit als Voraussetzung für den Provisionsanspruch Erfüllt der Makler die maklervertraglichen Pflichten, ist dessen Tätigkeit grds verdienstlich. Der Provisionsanspruch entsteht, wenn die übrigen Voraussetzungen hierfür vorliegen.6)
1. Pflichten des Maklers a) Nachweismakler Der Nachweismakler hat dem Auftraggeber nicht nur die Gelegenheit zum Vertragsschluss, sondern auch den Vertragspartner oder zumindest dessen zu Vertragsverhandlungen bevollmächtigten Vertreter individuell bekannt zu geben.7) Mangels Vereinbarung oder Geschäftsgebrauch8) soll bloße Namhaftmachung nicht ausreichend sein.9) b) Vermittlungsmakler Der Vermittlungsmakler – als „Normalfall“ des Maklers – muss im Auftrag seines Auftraggebers mit einem Dritten Kontakt aufnehmen und auf diesen mit dem Ziel motivierend einwirken, den beabsichtigten Geschäftsabschluss zustande zu bringen.10) In der RV11) wird Vermitteln als die Tätigkeit, zwei potenzielle Vertragspartner zusammenzuführen, bezeichnet. Untergrenze soll die bloße Namhaftmachung sein.12) Diese soll die von der RV13) als Vermittlungskriterien genannten Verhandlungstätigkeiten gerade nicht mehr umfassen: Vermitteln iSd § 1 MaklerG (als Vermitteln iwS) ist Namhaftmachung und Vermitteln ieS.14)
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Namhaftmachung ist die erstmalige Nennung eines bisher unbekannten Interessenten für den Abschluss des Hauptvertrags, wobei wesentlich ist, dass die genannte Person in ihrer Eigenschaft als potenzieller Vertragspartner unbekannt ist.15) Vermitteln ieS bedeutet jede Tätigkeit, die geeignet ist, potenzielle Vertragspartner zusammenzuführen.16) Zu diesem Zweck muss der Makler verhandeln, worunter das Herantreten an den entsprechenden Vertragsinteressenten und die Einwirkung auf diese Person, um ihr Interesse für den Vertragsschluss zu wecken, verstanden wird.17) Der genaue Inhalt des Verhandelns ist der Parteienvereinbarung zugänglich und im konkreten Einzelfall durch Vertragsauslegung zu ermitteln.
c) Keine generelle Tätigkeitspflicht Der „schlichte“ Maklervertrag ist im Gegensatz zum Alleinvermittlungsauftrag18) sowohl für den Makler als auch für den Auftraggeber unverbindlich.19) Der RA Dr. Stephan Eberhardt ist als österreichischer und deutscher Rechtsanwalt bei der Schönherr Rechtsanwälte GmbH tätig. Kontakt: s.eberhardt@schoenherr.at 1) Vgl Fromherz, MaklerG – Maklergesetz, Kommentar (1997) § 3 Rz 60. 2) Vgl Fromherz, MaklerG-Komm § 3 Rz 62 mit Beispielen aus der älteren Rsp. 3) Vgl Fromherz, MaklerG-Komm § 3 Rz 72; Noss, Maklerrecht3 (2008) Rz 31 unter Verw auf OGH 17. 1. 2001, 6 Ob 151/00 z; 12. 6. 2001, 4 Ob 135/01 h. 4) Vgl OGH 21. 9. 2006, 2 Ob 80/05 m; 21. 12. 2005, 7 Ob 145/05 g; vgl Noss, MaklerR3 Rz 31. 5) Noss, MaklerR3 Rz 31 unter Verw auf ErläutRV 2 BlgNR 20. GP 18 und 23. 6) Wie zB der Vermittlungserfolg, die Kausalität und Adäquanz für den Abschluss des Hauptgeschäfts sowie die tatsächliche Ausführung des Hauptvertrags. 7) OGH 13. 3. 2001, 5 Ob 48/01 x; LG Wiener Neustadt 1. 12. 1999, 17 R 88/99 h. 8) Vgl zB beim Immobilienmakler (OGH 20. 3. 2007, 10 Ob 26/07 g). 9) Vgl § 6 Abs 2 MaklerG; OGH 26. 3. 1996, 4 Ob 2020/96 d. 10) Noss, MaklerR3 Rz 33; OGH 10. 5. 2006, 7 Ob 92/06 i. 11) Fromherz, MaklerG-Komm § 1 Rz 7 unter Verw auf RV 2 BlgNR 20. GP 15. 12) Vgl § 6 Abs 2 MaklerG; Fromherz, MaklerG-Komm § 1 Rz 8. 13) Fromherz, MaklerG-Komm § 1 Rz 8 unter Verw auf RV 2 BlgNR 20. GP 15. 14) Fromherz, MaklerG-Komm § 1 Rz 8. 15) Fromherz, Der Zivilmaklervertrag (1990) 23. 16) Fromherz, MaklerG-Komm § 1 Rz 11. 17) Vgl Fromherz, MaklerG-Komm § 1 Rz 11. 18) § 14 MaklerG. 19) Vgl § 4 Abs 1 und 2 MaklerG; Noss, MaklerR3 Rz 34.
Auftraggeber kann also jederzeit auch andere Makler zusätzlich einschalten, der Makler mangels anderer Vereinbarung muss keine Tätigkeit entwickeln oder sich um Vermittlung bemühen.20) In diesem Zusammenhang wird die Erfolgsbezogenheit der Provision als Absicherung gesehen, dass der Makler überhaupt eine Tätigkeit entfaltet.21) d) Nebenpflichten & Sorgfalts-, Beratungs-, Informations- und Aufklärungspflichten Den Makler treffen jedenfalls Nebenpflichten, die zum Teil aus dem Gesetz resultieren. Zu den Aufklärungspflichten des Maklers zählen insb Sorgfaltspflichten, die diesen als Sachverständigen iSd § 1299 ABGB treffen. Er muss über einschlägige Probleme Bescheid wissen, richtige Auskünfte erteilen und den Auftraggeber über die für die Beurteilung des zu vermittelnden Geschäfts günstigen und ungünstigen wesentlichen Umstände aufklären.22) & Interessenwahrnehmungs-, Unterstützungs- und Treuepflichten Den Makler treffen auch Interessenwahrnehmungsund Unterstützungspflichten.23) Der Makler hat insb die Interessen des Auftraggebers redlich und sorgfältig zu wahren. Er ist auch zur Verschwiegenheit verpflichtet. & Besondere Sorgfaltspflichten gegenüber Konsumenten Der Immobilienmakler hat dem Verbraucher vor Abschluss des Maklervertrags eine schriftliche Übersicht über die Kosten des Maklervertrags und die den Verbraucher treffenden sonstigen finanziellen Belastungen durch den erstrebten Geschäftsabschluss zu übergeben.24) Der Makler hat auf sein Einschreiten und ein Tätigwerden als Doppelmakler aufgrund von Geschäftsgebrauch hinzuweisen.25) Verletzt der Makler wesentliche der vorgenannten Pflichten, kann dies zur Provisionsermäßigung führen.
2. Nichtzustandekommen, Nichtausführung, nachträglicher Wegfall des Hauptvertrags Das rechtswirksame Zustandekommen des Hauptgeschäfts (zB beim Immobilienmakler der Kauf- oder Mietvertrag, beim Personalkreditvermittler der Kreditvertrag oder beim Versicherungsmakler der Versicherungsvertrag) ist Voraussetzung für das Entstehen des Provisionsanspruchs.26) Vorverträge oder Optionen reichen im Gegensatz zur Punktation nicht aus.27) a) Bedingter Hauptvertrag Bei aufschiebend bedingtem Hauptvertrag entsteht der Provisionsanspruch grds mit Bedingungseintritt.28) Die Frage einer Herbeiführungspflicht insb des Auftraggebers wird vom OGH danach beurteilt, ob eine Maklerentschädigung trotz fehlenden Vermittlungserfolgs vereinbart wurde, dh der Auftraggeber entgegen dem bisherigen Verhandlungsverlauf wider Treu und Glauben einen für das Zustandekommen des Geschäfts erforderlichen Rechtsakt ohne beachtenswerten Grund unterlässt.29) Bei auflösend
bedingtem Hauptvertrag ist für die Provisionspflicht Voraussetzung, dass der vermittelte Hauptvertrag für den Auftraggeber trotz Eintritts der auflösenden Bedingung einem unbedingten wirtschaftlich aus Zweckgleichwertigkeitsgründen gleichzuhalten ist, oder – bei fehlendem wirtschaftlichen Nutzen – der Auftraggeber den Bedingungseintritt zu vertreten hat.30) b) Erwerb im Zwangsversteigerungsverfahren Beim nicht auf freier Willenseinigung beruhenden Erwerb im Zwangsversteigerungsverfahren soll ein Provisionsanspruch nur bei ausdrücklicher Vereinbarung entstehen.31) c) Zweckgleichwertigkeit Auch wenn das tatsächlich abgeschlossene Geschäft nicht dem Geschäft entspricht, von dem das Entstehen des Provisionsanspruchs abhängig gemacht wurde, führt die wirtschaftliche Zweckgleichwertigkeit des tatsächlich abgeschlossenen Geschäfts zur Provisionspflicht.32) Zweckgleichwertigkeit ist objekt-, vertrags- und personenbezogen nach dem Empfängerhorizont der Parteien durch Vertragsauslegung zu ermitteln.33) Die Lit nähert sich der uneinheitlichen Rsp und dem Zweckgleichwertigkeitsbegriff durch Fallgruppen.34) 20) Vgl aber § 27 Abs 2 MaklerG. 21) Vgl Noss, MaklerR3 Rz 34 und 48; vgl aber die Fälle der Entschädigung des Maklers trotz fehlenden Vermittlungserfolgs (§ 15 MaklerG). 22) OGH 11. 1. 2005, 10 Ob 89/04 t; 28. 5. 2002, 4 Ob 8/02 h; 28. 8. 2007, 5 Ob 135/07 z; 30. 9. 2002, 1 Ob 209/02 w. Der Provisionsanspruch kann entfallen, wenn der Makler nicht auf ein allfälliges wirtschaftliches oder familiäres Naheverhältnis zwischen ihm und dem vermittelten Dritten hinweist (§ 6 Abs 4 Satz 3 MaklerG). 23) Vgl § 3 Abs 1 MaklerG; zur Konkretisierung der Sorgfaltspflichten durch Gesetz, Immobilienmaklerverordnung (IMV), Personalkreditvermittlerverordnung (PKVVO) sowie Standesrichtlinien der Berufsgruppen vgl Noss, MaklerR3 Rz 36. 24) § 30 b Abs 1 KSchG; vgl aber OGH 9. 3. 2006, 6 Ob 25/06 d. 25) § 30 b Abs 2 KSchG; Kolba in Kosesnik-Wehrle, Konsumentenschutzgesetz (KSchG) Kurzkommentar (2010) § 30 b Rz 31 ff. Es gilt der Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen Immobilienmaklers. 26) Vgl § 6 Abs 1, § 7 Abs 1 MaklerG; Noss, Rechtsprechungsübersicht zum (schlüssigen) Zustandekommen eines Maklervertrags, immolex 1009, 140; zur zulässigen Provisionsvereinbarung für Fälle fehlenden Vermittlungserfolgs vgl § 15 MaklerG. 27) OGH 23. 3. 1999, 1 Ob 8/99 d; LGZ Wien 15. 12. 1998, 37 R 927/ 98 t; OGH 14. 10. 1997, 1 Ob 2322/96 v; 26. 6. 2003, 6 Ob 241/ 02 p. 28) OGH 28. 2. 2005, 5 Ob 182/04 g. 29) Vgl § 15 Abs 1 Z 1 MaklerG; OGH 28. 2. 2005, 5 Ob 182/04 g; 15. 10. 2002, 4 Ob 37/02 y. Vgl für die deutsche Rsp hinsichtlich des Bedingungseintritts § 162 Abs 1 dBGB, wonach der Bedingungseintritt fingiert wird, wenn er wider Treu und Glauben verhindert wird (BGH NJW-RR 2002, 50). 30) OGH 26. 6. 1985, 1 Ob 564/85 SZ 58/111; vgl auch Noss, MaklerR3 Rz 45 unter Verw auf OGH 28. 2. 2005, 5 Ob 182/04 g. 31) OGH 19. 12. 2006, 1 Ob 240/06 k; vgl Noss, MaklerR3 Rz 46; Fromherz, MaklerG-Komm § 7 Rz 73. 32) Vgl § 6 Abs 3 MaklerG. 33) Noss, MaklerR3 Rz 47 unter Verw auf OGH 28. 7. 1998, 1 Ob 91/ 98 h; 20. 6. 2002, 2 Ob 122/01 g. 34) Vgl Noss, MaklerR3 Rz 47; vgl etwa die Zweckgleichwertigkeit bejahend: OGH 28. 7. 1998, 1 Ob 91/98 h (Abschluss mit Tochtergesell-
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d) Wurzelmängel, Nichtausführung, nachträglicher Wegfall des Hauptvertrags Aus § 7 Abs 1 MaklerG wird abgeleitet, dass sog Wurzelmängel den Titel des Hauptvertrags beseitigen, dh, mangels eines rechtswirksam zustande gekommenen Hauptgeschäfts aufgrund eines im Hauptvertrag selbst liegenden Mangels entsteht kein Provisionsanspruch.35) Gem § 7 Abs 2 Satz 1 MaklerG entfällt der Provisionsanspruch, wenn und soweit feststeht, dass der Vertrag zwischen dem Dritten und dem Auftraggeber aus nicht vom Auftraggeber zu vertretenden Gründen nicht ausgeführt wird.36) Der Auftraggeber trägt in diesem Fall die Behauptungsund Beweislast.37)
Verbotsgesetz und Sittenwidrigkeit Bei Nichtigkeit des Hauptvertrags wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot oder bei Sittenwidrigkeit entsteht mangels eines wirksam zustande gekommenen Hauptgeschäfts kein Provisionsanspruch, jedenfalls dann nicht, wenn auch der Maklervertrag von der Verbotsnorm bzw Sittenwidrigkeit erfasst wird.38) Ist der Nichtigkeitsgrund nur im Hauptvertrag zu finden, soll – zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen – § 7 Abs 2 MaklerG Anwendung finden.39)
&
Rücktritt Die Rsp zu Auswirkungen eines Rücktritts auf den Provisionsanspruch ist nicht einheitlich.40) Richtigerweise lässt sich eine Lösung auf die Frage, ob ein Rücktritt vom Hauptvertrag den Wegfall der Provisionspflicht rechtfertigt, durch Heranziehung der Grundsätze des Ausführungsprinzips gem § 7 Abs 2 MaklerG finden. Wird ein (jederzeitiges) vertragliches Rücktrittsrecht vereinbart, so kann dies sowohl einer aufschiebenden als auch auflösenden Bedingung gleichkommen.41)
&
Rücktritt des Konsumenten Ist der Verbraucher nach § 30 a KSchG zum Rücktritt berechtigt, ein Makler eingeschritten und wird die Rücktrittserklärung an diesen gerichtet, so gilt der Rücktritt auch für einen im Zug der Vertragserklärung geschlossenen Maklervertrag.42)
&
Anfechtung Wenn der Hauptvertrag wegen sog Wurzelmängel wirksam aufgelöst wird, zB insb durch Anfechtung wegen Irrtums, Zwang oder List, scheidet ein Provisionsanspruch grds aus.43) Liegt der Auflösungsgrund in einer Partei begründet, ist § 7 Abs 2 MaklerG ausschlaggebend.44) Bloße Anfechtbarkeit soll grds nicht ausreichend sein.45) Im Falle der Aufhebung des Hauptvertrags durch Anfechtung wegen laesio enormis kommt § 7 Abs 2 MaklerG in Betracht, wenn der Auftraggeber verkürzt wird. Im Falle der Vertragsanpassung durch den verkürzenden Dritten bietet sich eine Zweckgleichwertigkeitsbetrachtung an.
Leistungsstörungen Leistungsstörungen (zB Gewährleistung) führen grds nicht zum Ausbleiben des Hauptgeschäfts. Es findet – ohne gleichzeitige Wurzelmängel – § 7 Abs 2 MaklerG Anwendung.
&
C. Provisionsmäßigung, -teilung, -entfall Bei den Titel des Hauptvertrags ex tunc beseitigenden Wurzelmängeln, schwerwiegenden (Haupt-)Pflichtverletzungen oder bei ausdrücklicher gesetzlicher Regelung entsteht grds kein Provisionsanspruch. Im Übrigen, dh bei zunächst wirksamem Hauptgeschäft, kommen Provisionsmäßigung, Provisionsteilung oder Provisionsentfall in Betracht.
1. Provisionsmäßigung Neben Schadensersatz kann der Auftraggeber gem § 3 Abs 4 MaklerG wegen Verletzung wesentlicher Pflichten auch eine Provisionsmäßigung nach Maßgabe der durch den Pflichtverstoß bedingten geringeren Verdienstlichkeit verlangen. Ein Schadenseintritt ist für die Provisionsminderung nicht erforderlich.48) Von der Verletzung wesentlicher Pflichten ist dann auszugehen, wenn die verletzte Nebenpflicht nicht von ganz untergeordneter Bedeutung ist.49) Das Ausmaß der Provisionsmäßigung ist vom Maß der Minderung der Verdienstlichkeit abhängig, was im Einzelfall unter Berücksichtigung der dem Makler erkennbaren Interessen des Auftraggebers zu bewerten ist.50)
35) 36)
37) 38) 39) 40)
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Vertragsaufhebung Im Fall der Aufhebung des Hauptvertrags gilt grds, dass der bereits entstandene Provisionsanspruch nicht wieder entfällt.46) Es empfiehlt sich jedoch, differenzierter auf den Auflösungsgrund die hierfür geltenden Grundsätze anzuwenden.47)
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41) 42) 43) 44) 45) 46) 47) 48) 49)
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schaft statt mit Auftraggeber selbst); 18. 5. 1998, 8 Ob 410/97 w (Hauptvertragsabschluss zu günstigeren Konditionen). Vgl Fromherz, MaklerG-Komm § 7 Rz 79. Bei Leistungsverzug des Dritten hat der Auftraggeber nachzuweisen, dass er alle zumutbaren Schritte unternommen hat, um den Dritten zur Leistung zu veranlassen (§ 7 Abs 2 Satz 2 MaklerG). Vgl etwa OGH 28. 2. 2005, 5 Ob 182/04 g. Vgl Fromherz, MaklerG-Komm § 7 Rz 80. Fromherz, MaklerG-Komm § 7 Rz 81. Vgl etwa zum gerechtfertigten Rücktritt OGH 23. 3. 1999, 1 Ob 8/ 99 d (bei erst zu schaffender Eigentumswohnung bzw mangels Benutzbarkeit derselben); OGH 30. 9. 2002, 1 Ob 209/02 w (mangels Möglichkeit des Verkäufers zur Lastenfreistellung); trotz Umstands in der Sphäre des Auftraggebers vgl OGH 13. 7. 2006, 2 Ob 38/ 05 k (bei Entfallen der bereits zugesagten Finanzierung entgegen der Erwartung aller Beteiligten als nicht vom Auftraggeber zu vertretenden Hinderungsgrund iSd § 7 Abs 2 MaklerG). Fromherz, MaklerG-Komm § 7 Rz 101. § 30 a Abs 2 Satz 2 KSchG. OGH 24. 3. 1998, 1 Ob 352/97 i; 1. 6. 1995, 6 Ob 570/95; 26. 9. 2001, 7 Ob 170/01 b; 30. 9. 2002, 1 Ob 209/02 w. Vgl Fromherz, MaklerG-Komm § 7 Rz 85 (anderer Ansicht etwa vgl OGH 1. 6. 1995, 6 Ob 570/95; 18. 1. 1989, 1 Ob 509/89). OGH 3. 12. 1997, 7 Ob 272/97 v ecolex 1998, 465 (Wilhelm); vgl aber Fromherz, MaklerG-Komm § 7 Rz 88. Vgl OGH 24. 4. 2003, 2 Ob 296/01 w. Fromherz, MaklerG-Komm § 7 Rz 92. Vgl Fromherz, MaklerG-Komm § 3 Rz 53. Vgl Fromherz, MaklerG-Komm § 3 Rz 58; OGH 28. 4. 1998, 1 Ob 372/97 f (keine Information über fehlende gewerbebehördliche Genehmigungen); 17. 12. 2001, 4 Ob 242/01 v (unrichtige bzw unvollständige Angaben über den Zustand der Heizungsanlage). OGH 23. 10. 1998, 10 Ob 335/98 g; 12. 6. 2001, 4 Ob 135/01 h; 23. 4. 2002, 5 Ob 43/02 p; 20. 3. 2007, 10 Ob 26/07 g; 24. 11. 2010, 9 Ob 14/10 i. Zu § 30 b KSchG vgl Kolba in Koses-
2. Provisionsteilung bei Maklermehrheit Bei zwei oder mehreren Maklern des Auftraggebers schuldet der Auftraggeber die Provision nur einmal.51) Provisionsberechtigt ist der Makler, dessen Verdienstlichkeit an der Vermittlung eindeutig überwogen hat.52) Die Provision ist nach Maßgabe der Verdienstlichkeit, im Zweifel zu gleichen Teilen, aufzuteilen.53) Hat der Auftraggeber einem von mehreren beteiligten Maklern ohne grobe Fahrlässigkeit zu viel an Provision bezahlt, so ist er von seiner Schuld im Betrag der Überzahlung gegenüber sämtlichen verdienstlichen Maklern befreit. Dadurch verkürzte Makler können von den anderen Maklern den Ausgleich verlangen.54)
3. Provisionsentfall Neben den gesetzlich besonders geregelten Fällen des Provisionsentfalls (zB beim Eigengeschäft oder Unterlassen des Hinweises auf ein sonstiges familiäres oder wirtschaftliches Naheverhältnis)55) kann die Nichtausführung bzw der nachträgliche Wegfall des Hauptvertrags zum Provisionsentfall aus nicht vom Auftraggeber zu vertretenden Gründen führen.56) Die Gründe der Nichtausführbarkeit müssen wichtig, dh, die Ausführung des Geschäfts muss objektiv unzumutbar sein.57) Dies wurde von der nicht immer einheitlichen Rsp zB bei mangelnder Zahlungsfähigkeit des Käufers,58) Ausfall bisher leistungsfähiger Sublieferanten59) oder Vertragsauflösung wegen Verkäuferirrtums über den Liegenschaftswert aufgrund von Falschinformation des Maklers60) bejaht, bei nicht rechtzeitiger Darlehens- bzw Krediterlangung des Auftraggebers,61) Veräußerung der Liegenschaft, auf die sich die gemakelten Mietverträge bezogen,62) oder einvernehmlicher Vertragsauflösung (um einen noch gewinnträchtigeren Vertrag abzuschließen)63) aber verneint.64) Praxistipp Das Ausmaß der Provisionsmäßigung hängt vom Maß der Minderung der Verdienstlichkeit durch
die Verletzung der wesentlichen Pflicht ab. Dies ist im Einzelfall unter Berücksichtigung der dem Makler erkennbaren Interessen des Auftraggebers zu beurteilen.
51)
52) 53) 54) 55) 56)
57)
58) 59) 60) 61) 62) 63) 64)
nik-Wehrle, Kurzkomm KSchG § 30 b Rz 27 a. Zu Besonderheiten beim Versicherungsmakler vgl Noss, MaklerR3 Rz 88; OGH 16. 5. 2002, 6 Ob 86/02 v. § 6 Abs 5 Satz 1 MaklerG (Ausnahme: Alleinvermittlungsauftrag, vgl Umkehrschluss aus § 15 Abs 2 Z 2 MaklerG); OGH 21. 5. 2003, 9 Ob 47/03 g; vgl Noss, MaklerR3 Rz 69. § 6 Abs 5 Satz 2 MaklerG; vgl Fromherz, MaklerG-Komm § 7 Rz 129 ff. § 6 Abs 5 Satz 2 und 3 MaklerG; vgl etwa OGH 18. 11. 1999, 2 Ob 308/98 b; 21. 5. 2003, 9 Ob 47/03 g. § 6 Abs 5 Satz 4 und 5 MaklerG. Vgl § 6 Abs 4 MaklerG; § 30 b iVm § 31 Abs 2 KSchG. § 7 Abs 2 MaklerG. Die Gründe dürfen also weder durch den Auftraggeber verschuldet sein, noch in seine Sphäre fallen (vgl Fromherz, MaklerG-Komm § 7 Rz 112). Fromherz, MaklerG-Komm § 7 Rz 116; vgl auch SZ 43/111; OGH 19. 6. 1991, 9 Ob 706/91; SZ 6/276; OGH 14. 10. 1993, 8 Ob 620/93. SZ 66/85. SZ 5/140. OGH 2. 9. 2009, 7 Ob 157/09 b immolex 2010, 79. MietSlg 26.421; OGH 2. 9. 2003, 1 Ob 304/02 s. MietSlg 32.595. MietSlg 37.703. Weitere Beispiele bei Fromherz, MaklerG-Komm § 7 Rz 122 f. SCHLUSSSTRICH
Verdienstlichkeit bedeutet die Summe aller zwischen Makler und Auftraggeber vereinbarten Pflichten. Bei schwerwiegenden (Haupt-)Pflichtverletzungen oder sog Wurzelmängeln entsteht kein Provisionsanspruch. Die Verletzung wesentlicher Pflichten führt zur Provisionsmäßigung im Ausmaß der durch den Umfang der Pflichtverletzungen geschmälerten Verdienstlichkeit, in Extremfällen zum Provisionsentfall. Letzteres kann auch bei Nichtausführung bzw nachträglichem Wegfall des Hauptvertrags gelten.
Immobilienmakler im werden in der Praxis Interessenkonflikt Immobilienmakler zumeist als Doppelmakler tätig und stehen zudem oft einer Seite näher als der anderen. Der Beitrag stellt dieses Spannungsfeld systematisch dar und beleuchtet die geltende Gesetzeslage und Lehre und Rechtsprechung kritisch. CLEMENS LIMBERG
A. Immobilienmakler in der Praxis In den allermeisten Fällen wird ein Immobilienmakler von dem Vermieter oder Verkäufer beauftragt, einen Mieter oder Käufer zu suchen, tritt in Folge mit potenziellen Mietern oder Käufern auch direkt in Kontakt und wird so als Doppelmakler tätig.1) Nur
ausnahmsweise beauftragen Abgeber und Abnehmer jeweils einen eigenen Makler; solche „Ameta-GeMMag. Dr. Clemens Limberg, LL. M., ist Rechtsanwaltsanwärter. 1) Zur Tätigkeit als Doppelmakler s ausführlich Kriegner, Der Immobilienmakler (2007) 123 ff und 155 ff; Ostermayer/Schuster, Maklerrecht (1996) 44 ff; Noss, Maklerrecht3 (2008) 4 ff jeweils mwN.
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schäfte“ oder „Meta-Geschäfte“2) sind nach der jüngsten Novelle zur Immobilienmakler-Verordnung3) (wirtschaftlich gesehen) überhaupt nur noch bei hochpreisigen Mietobjekten oder bei Kaufobjekten möglich. Als Doppelmakler hat der Immobilienmakler grundsätzlich die Interessen beider Seiten zu wahren, einen „neutralen Standpunkt“ einzunehmen und beide Seiten gleich zu behandeln.4) Dies ist in der Praxis natürlich nicht immer leicht und wird auch dadurch erschwert, dass der Immobilienmakler (va bei Mietobjekten im privaten Bereich) oft nur durch den Mieter bezahlt wird, obwohl er zunächst vom Vermieter beauftragt wurde und von diesem insofern auch abhängig ist. Der Gesetzgeber war bei der Einführung des Maklergesetzes ua auch bestrebt, eine solche Ungleichbehandlung hintanzuhalten,5) hat dabei aber – wie noch zu zeigen sein wird – zum Teil über das Ziel hinausgeschossen. Im Folgenden werden die jeweiligen Kategorien an Interessenkonflikten, beginnend bei der Situation mit dem geringsten (möglichen) Interessenkonflikt, systematisch abgehandelt.
B. Doppelmakler Der soeben geschilderte Geschäftsgebrauch, nämlich dass Immobilienmakler zumeist als Doppelmakler tätig sind, hat insofern in das Gesetz Einzug gefunden, als § 17 MaklerG bestimmt: „Wird der Immobilienmakler auftragsgemäß nur für eine Partei des zu vermittelnden Geschäfts tätig, so hat er dies dem Dritten mitzuteilen.“6) Die allgemeine Regelung des § 5 MaklerG7) wird damit genau in das Gegenteil verkehrt. E contrario könnte man aus § 17 MaklerG ableiten, dass den Immobilienmakler, der dem Geschäftsgebrauch folgend als Doppelmakler tätig ist, keine besondere Informationspflicht trifft. Dies steht aber § 30 b KSchG entgegen, der für den Fall, dass der Auftraggeber ein Verbraucher ist, eine entsprechende Hinweispflicht normiert.8) Zusammengefasst besteht daher für Immobilienmakler grundsätzlich die Pflicht, darüber aufzuklären, wenn keine Doppeltätigkeit vorliegt, gegenüber Verbrauchern aber auch eine zusätzliche Hinweispflicht, wenn eine solche besteht; der Verbraucher muss also jedenfalls informiert werden. Nun ist diese Informationspflicht zwar nur eine „kleine“ Nebenpflicht, ein Verstoß dagegen kann aber empfindliche Folgen für den Makler haben (Provisionsmäßigung nach § 3 Abs 4 MaklerG).9) Dies gilt, obwohl der Informationsgehalt der Hinweispflicht vernachlässigbar ist; denn den Kunden der Immobilienmakler ist es – wie man vernimmt – mittlerweile geradezu selbstverständlich bewusst, dass Immobilienmakler als Doppelmakler tätig werden10) und der entsprechende Hinweis in der überreichten Übersicht verwirrt daher mehr, als er erklärt. Ein Entfall der Hinweispflicht auf die Doppeltätigkeit (§ 30 b KSchG) würde also den Verbrauchern nicht schaden, aber den mit Informationspflichten mittlerweile ohnehin stark belasteten Immobilienmaklern11) das Leben etwas erleichtern, weshalb ein
solcher Entfall mE de lege ferenda zu begrüßen wäre.12) In diesem Zusammenhang ist nochmals zu betonen, dass den Immobilienmakler als Doppelmakler eine Pflicht zur Objektivität und Gleichbehandlung beider Seiten trifft. Daher ist allein der Umstand, als Doppelmakler tätig zu sein, noch für keinen der Auftraggeber benachteiligend und hinsichtlich einer möglichen Interessenkollision auch nicht besonders gefährlich. (Anderes gilt natürlich dann, wenn einer der Auftraggeber den Immobilienmakler regelmäßig beauftragt und der Makler diesem daher „näher steht“, dazu aber unten D.) Eine Doppeltätigkeit iSd MaklerG ist übrigens nicht davon abhängig, dass auch beide Auftraggeber eine Provision zahlen, und liegt auch nicht nur dann vor, wenn der Immobilienmakler von beiden Seiten (ausdrücklich) beauftragt wurde, sondern wird gem § 5 MaklerG auch dann angenommen, wenn der Immobilienmakler bloß eine Belohnung annimmt.13) ME müsste Doppeltätigkeit überhaupt immer dann angenommen werden, wenn der Immobilienmakler – aus welchen Gründen auch immer – bewusst im Interesse beider Seiten tätig wird (unabhängig von der Entlohnung im konkreten Geschäft), also zB auch dann, wenn sich der Makler von der nicht-bezahlenden Seite nur in Zukunft Aufträge erwartet und deren Interessen daher auch vertritt. Denn das entscheidende Kriterium bei der Beurteilung einer Doppeltätigkeit ist wohl der (mögliche) Interessenkonflikt und nicht die rechtliche oder wirtschaftliche Ebene darunter.
C. Hausverwalter Ist der Immobilienmakler einer Mietwohnung gleichzeitig auch der Hausverwalter der entsprechenden Liegenschaft, so darf er vom Vermieter grundsätzlich nur zwei Bruttomonatsmieten Provision verlangen 2) Zu diesem Begriff s etwa Noss, Maklerrecht3 (2008) Rz 68, 70. 3) V des BMWA über Standes- und Ausübungsregeln für Immobilienmakler, BGBl 1996/297 idF BGBl 2010/268 (im Folgenden IMV). 4) Vgl 6 Ob 227/99 x und Noss, Maklerrecht3 6 f; ausführlich Kriegner, Immobilienmakler 128 ff. 5) Vgl ErläutRV 2 BlgNR 20. GP 16 ff; Fromherz, Kommentar zum Maklergesetz § 3 Rz 30 ff. 6) Zum Geschäftsgebrauch und dessen Entwicklung s Fromherz, MaklerG § 5 Rz 8 f und § 17 Rz 1 ff. 7) § 5 Abs 1 MaklerG lautet: „Der Makler darf ohne ausdrückliche Einwilligung des Auftraggebers nicht zugleich für den Dritten tätig werden (. . .) wenn nicht für den betreffenden Geschäftszweig ein abweichender Gebrauch besteht“ und Abs 3 konkretisiert: „Sobald der Makler als Doppelmakler tätig wird, hat er dies beiden Auftraggebern mitzuteilen.“ 8) Weiterführend Fromherz, MaklerG § 30 b KSchG Rz 1 ff. 9) Dazu weiterführend jüngst Kriegner, Immobilienmakler 223 ff mwN. 10) In diese Richtung auch schon ErläutRV 2 BlgNR 20. GP 17, 26, 39 und 18, die zu § 5 sinngemäß ausführen, dass bei Immobilienmaklern „der Auftraggeber aber ohnehin“ mit einer Doppelmaklertätigkeit „rechnen“ werde. 11) Vgl auch Ch. Kothbauer, Zur Haftung des Immobilienmaklers, immolex 2007, 352. 12) Anders Fromherz, MaklerG § 5 Rz 28 und § 17 Rz 7, der den Widerspruch durch Entfall des § 17 MaklerG lösen möchte; auch dieser sieht aber anscheinend Handlungsbedarf. Kritisch zur geltenden Rechtslage auch Wilhelm, Ein neues Maklerrecht, ecolex 1995, 389. 13) Dazu weiterführend Fromherz, MaklerG § 5 Rz 2 ff (Rz 3) mwN.
und vom Mieter nur die Hälfte der sonst höchstzulässigen Provision, also im Normalfall eine Monatsmiete (§ 21 IMV). Der Hintergrund dieser Regelung ist unklar:14) Einerseits könnte man argumentieren, dass der Hausverwalter bei der Vermittlung einer von ihm verwalteten Wohnung ja auch seine Pflicht als Hausverwalter erfüllt und daher weniger verdienstlich ist, andererseits wird der Hausverwalter für die Vermittlungstätigkeit ja nicht (zusätzlich) bezahlt und ist mE daher fraglich, ob das Verwaltungsentgelt tatsächlich auch eine Vermittlungstätigkeit abdecken soll. Hinzu kommen zwei weitere Argumente, die gegen einen solchen Telos des § 21 IMV sprechen: Erstens sind durch diese Bestimmung sowohl die Vermieter- als auch die Mieterprovision herabgesetzt, obwohl der Hausverwalter ja nur von einer Seite (zumeist der Mieterseite)15) bezahlt wird; zweitens gilt die Herabsetzung gem § 21 Abs 3 IMV ausnahmsweise dann nicht, wenn an dem Haus Wohnungseigentum begründet wurde und der Vermieter nicht auch Mehrheitseigentümer der Liegenschaft ist. Diese Ausnahme zeigt deutlich, dass die Motivation des Gesetzgebers bei der Herabsetzung der Provision eines Mietwohnungen vermittelnden Hausverwalters nicht von der angeblich geringeren Verdienstlichkeit (Arbeitsersparnis, Doppelfunktion) desselben herrührt, sondern eher von der (abstrakten) Gefahr der einseitigen Interessenvertretung, die eben bei einem LiegenschaftsMehrheitseigentümer als Auftraggeber höher ist als bei einem bloß einfachen Wohnungseigentümer.16) Die als Rechtsfolge verordnete Provisionskürzung in einem solchen Fall ist aber, gemessen an den übrigen Sanktionen im Maklerrecht, systemwidrig. So ist ein Provisionsentfall ja nur bei dem (mit der Vermittlung durch einen Hausverwalter aber nicht vergleichbaren) Eigengeschäft vorgesehen (dazu unten E.), während ein Naheverhältnis, selbst wenn es noch so eng ist, bei entsprechender Aufklärung keine Provisionskürzung bewirkt. Umso weniger dürfte die Provisionskürzung daher bei der Vermittlung durch den Hausverwalter angeordnet sein. Es ist kein Grund ersichtlich, den Hausverwalter anders zu behandeln als andere mit dem Liegenschaftseigentümer im Naheverhältnis stehende Personen. Angesichts dieses systemwidrigen Hintergrunds des § 21 IMV ist mE eine enge und streng wörtliche Anwendung dieser Bestimmung geboten, sodass die Provisionskürzung nur dann zur Anwendung kommt, wenn der Hausverwalter (selbst) vermittelt, nicht aber wenn etwa eine Tochter-, Mutter-, Schwester- oder sonstige Gesellschaft im Konzern als Vermittlerin tätig wird.17) De lege ferenda sollte überhaupt überlegt werden, die Sonderregelung für die Vermittlung durch Hausverwalter aufzugeben und diese Konstellation als Unterfall der Vermittlung im (wirtschaftlichen) Naheverhältnis zu betrachten. Der Hausverwalter könnte dann ebenso wie übrige Makler die Provision in normaler Höhe kassieren und müsste nur auf sein Naheverhältnis hinweisen. (Große Hausverwaltungen haben das bisher ohnehin schon über ein Tochterunternehmen so gespielt; die gesetzliche Regelung ist daher praktisch weitgehend ausgehöhlt.)
D. Naheverhältnis Ein praktisch besonders bedeutsames Kapitel ist jenes der Immobilienvermittlung mit wirtschaftlichem oder familiärem Naheverhältnis zu einer Seite. Der Immobilienmakler kann in diesen Fällen zwar grundsätzlich die gleiche Provision wie sonst verlangen, er muss den Dritten aber über dieses Naheverhältnis unverzüglich aufklären, widrigenfalls er gem § 6 Abs 4 MaklerG seinen Provisionsanspruch verliert. Gegenüber Verbrauchern muss dieser Hinweis zudem schriftlich in der zu überreichenden Übersicht erfolgen (§ 30 b KSchG). Als wirtschaftliches Naheverhältnis wird va jede Art der wechselseitigen Beteiligung oder ständigen Betrauung oder Zusammenarbeit angesehen;18) familiär liegt ein solches Naheverhältnis unstrittig bei (geschiedenen) Ehegatten und Verwandten in gerader Linie vor.19) Im Vergleich zu den übrigen Abstufungen der (möglichen) Interessenkollision (hier B. bis E.) fällt bei der Vermittlung „mit Naheverhältnis“ auf, dass Gesetzgeber und Praxis verhältnismäßig nachsichtig sind. Vielleicht wird diese Konstellation als „Zwischenstufe“ unterschätzt, praktisch gesehen ist sie aber die gefährlichste für den Dritten. Denn während das (bloße) Doppelgeschäft kein besonderes Interessenkonflikt-Potenzial birgt (ein Makler ist bis zu einem gewissen Grad immer im Interesse beider Seiten aktiv, will er doch ein Geschäft zwischen diesen vermitteln) und dieses beim Eigengeschäft ohnehin evident ist, ist der (mögliche) Interessenkonflikt beim Vermittlungsgeschäft mit Naheverhältnis mitunter versteckt, für den Dritten nicht erkennbar und daher besonders heimtückisch. Um derartige Interessenkollisionen zu entschärfen, wäre es in Ergänzung zu der strengen Sanktion (Verlust des Provisionsanspruchs bei Nicht-Aufklärung) mE geboten, das wirtschaftliche oder familiäre Naheverhältnis weit zu verstehen. So könnte man das familiäre Naheverhältnis etwa an § 4 AnfO („nahe Angehörige“) anlehnen und Verwandte oder Verschwägerte in direkter Linie oder bis zum vierten Grad der Seitenlinie einbeziehen.20) Die vom OGH bereits angewandte Einzelfall-Betrachtung21) kann freilich dennoch nicht ersetzt werden, weil die Gestaltungsmöglichkeiten in der Praxis so vielfältig sind, 14) Und wird auch in der einschlägigen Literatur nicht dargestellt (vgl Fromherz, MaklerG § 21 IMV Rz 1 bis 6; Noss, Maklerrecht3 73); Degelsberger, Das neue Maklergesetz, wobl 1996, 195, erwähnt diesbezüglich, aber ohne weitere Begründung eine „mangelnde“ Verdienstlichkeit des makelnden Hausverwalters (FN 37). 15) Vgl § 22 iVm § 15 a Abs 3 Z 1 MRG. 16) Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Bestellung bzw Abberufung eines Hausverwalters grundsätzlich mit einfacher Mehrheit erfolgt, vgl § 836 ABGB, Koziol/Welser I13 299. 17) Diese Auffassung deckt sich auch mit der gängigen Praxis, ohne dass es allerdings bisher in der Judikatur oder Literatur eine Stellungnahme dazu gibt. 18) RIS-Justiz RS0114079; s auch weiterführend mit Auflistung der Judikatur Noss, Maklerrecht3 47 ff; Kriegner, Immobilienmakler 117 f. 19) OGH 1 Ob 201/07 a; Noss, Maklerrecht3 47 ff (48). 20) Ebenso erfasst wären dann Wahl- oder Pflegekinder sowie Lebensgefährten (§ 4 AnfO). 21) StRSp RIS-Justiz RS0114078.
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dass sie gesetzlich nicht klar abgegrenzt werden können. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass den Makler auch im Falle einer Nahebeziehung zu einer Seite selbstverständlich eine Gleichbehandlungsund Objektivitätspflicht trifft.22) Eine strenge Pflicht zur Aufklärung über ein solches Naheverhältnis ist aber in der Praxis dennoch bedeutsam, weil der Dritte dann zumindest weiß, dass ein Gefahrenpotenzial besteht, er dieses kalkulieren kann und bereits das Wissen darüber den Immobilienmakler unter genauere Beobachtung stellt und damit wohl (erst recht) zur Objektivität drängt.
E. Eigengeschäft Die größtmögliche Verbindung zwischen einer Seite und dem Makler (und damit das größte Interessenkonflikt-Potenzial) ist beim Eigengeschäft gegeben, also dann wenn der Immobilienmakler selbst Vertragspartei des vermittelten Geschäfts wird. In einem solchen Fall gebührt dem Immobilienmakler nach geltendem Recht gar kein Provisionsanspruch, weil er nach Ansicht des Gesetzgebers keine Vermittlungstätigkeit erbracht hat.23) Der Gesetzgeber will Umgehungen verhindern und hat den Provisionsentfall auch für das „Eigengeschäft im weiteren Sinn“ vorgesehen und in § 6 Abs 4 MaklerG normiert: „Dies gilt auch, wenn das mit dem Dritten geschlossene Geschäft wirtschaftlich einem Abschluss durch den Makler selbst gleichkommt.“ Die Judikatur zum Vorliegen eines Eigengeschäfts ist mitunter sehr kasuistisch und widersprüchlich. So wurde etwa sogar dann ein (die Provision ausschließendes) Eigengeschäft festgestellt, wenn der Vermieter 60% der GmbH-Anteile der vermittelnden Gesellschaft hielt24) oder bloß die Familie des Vermieters Eigentümer der Makler-Gesellschaft war.25) ME ist schon die grundsätzliche Regelung des Provisionsentfalls beim Eigengeschäft überdenkenswert; auch in anderen Rechtsgebieten werden Professionisten entlohnt, wenn sie „in eigener Sache“ tätig werden. So kann bspw ein Rechtsanwalt auch in eigener Sache Kosten nach Tarif verzeichnen oder kann der Mechaniker, der seinen Blechschaden selbst repariert hat, die Kosten der Reparatur einfordern.26) Auch dem (ver)mietenden oder (ver)kaufenden Immobilienmakler stünde es frei, einen anderen Immobilienmakler zu beauftragen und würde in diesem Fall unstrittig Provision für den Dritten anfallen. Ist nun (wie auch in den erwähnten Beispielen) die Leistung bei der Eigenerbringung qualitativ (zumindest) ebenso hochstehend und professionell wie eine Fremdleistung, so ist es mE nicht gerechtfertigt, den Provisionsanspruch gänzlich auszuschließen. Ohne auf die oben skizzierte Rsp27) näher einzugehen, geht diese mE am Ziel vorbei. Zu bedenken ist, dass von der Qualifikation als Eigengeschäft das Entstehen des Provisionsanspruchs abhängt. Der Makler kann – anders als etwa beim Naheverhältnis – den Provisionsanspruch auch nicht durch Aufklärung oder dergleichen retten. Die Beurteilung als Eigengeschäft ist daher mE eher als ultimo ratio zu sehen und grundsätzlich zurückhaltend anzuwenden.
Unabhängig von dieser grundsätzlichen Einstellung kann aber auch das in der Rsp anzutreffende Entscheidungskriterium der „Beherrschbarkeit“ bzw „konzernmäßigen Verflechtung“28) nicht ausschlaggebend sein. Denn geht es tatsächlich darum, jene Umgehungsversuche hintanzuhalten, die „wirtschaftlich einem Abschluss durch den Makler selbst“29) gleichkommen, so dürfte ein Eigengeschäft iwS nur dann vorliegen, wenn der Makler (direkt oder indirekt) an einer Vertragspartei zu – nahezu – 100% beteiligt ist bzw zu – nahezu – 100% von dem Geschäftsabschluss profitiert. Die derzeit vorherrschende Praxis, Eigengeschäfte (iwS) schon dann anzunehmen wenn der Makler (oder gar dessen Familie) zu 50% oder mehr an einer Vertragspartei beteiligt ist (oder umgekehrt), übersieht, dass der Makler in solchen Fällen zwar auch in seinem eigenen Interesse tätig wird, aber nur in untergeordnetem Ausmaß (so fallen zB bei 50%-Beteiligung des Maklers an einer von zwei Vertragsparteien bloß 25% der Gesamtinteressen auf diesen). Zu kritisieren an dieser hA sind also insb zwei Punkte: Erstens ist mE ganz deutlich zwischen Geschäften mit dem Makler nahestehenden Personen (Familie) und Eigengeschäften des Maklers zu unterscheiden. Warum auch nicht? Makler und Familienangehörige sind unterschiedliche Rechtspersonen und es muss bezweifelt werden, dass diese generell als wirtschaftliche Einheit gesehen werden können. Auch in anderen Rechtsbereichen gibt es kein „kollektives Familienvermögen“.30) Selbstverständlich wird aber in diesen Konstellationen ein Naheverhältnis vorliegen, auf das der Makler hinweisen muss, widrigenfalls er seinen Provisionsanspruch verliert. Zweitens kann mE ein „kontrollierender“ Einfluss („konzernmäßige Verflechtung“)31) für die Qualifikation als Eigengeschäft nicht entscheidend sein; es kommt ja nicht auf die Mehrheitsverhältnisse bzw auf die Entscheidungsgewalt beim Auftraggeber an, sondern einzig auf die wirtschaftliche Komponente. Deutlich wird das an folgendem Extrembeispiel: Der Makler ist an der vermietenden Gesellschaft zwar nur zu 1% beteiligt, hat aber die Mehrheit der Stimmrechte an dieser. Nach § 244 Abs 2 Z 1 UGB wäre eine konzernmäßige Verflechtung gegeben, ein Eigengeschäft scheidet aber mE dennoch 22) Für viele Noss, Maklerrecht3 47 f. 23) ErläutRV 2 BlgNR 20. GP 20; Noss (Maklerrecht3 47 ff) spricht in diesem Zusammenhang von keiner „verdienstvollen, den Vertragsabschluss fördernden Vermittlungstätigkeit“. 24) LGZ Graz 4. 12. 1996, 7 R 89/96 a, dazu weiterführend Noss, Maklerrecht3 46 ff; Kriegner, Immobilienmakler 116 f. 25) OGH 5 Ob 2175/96 f; 5 Ob 2177/96 z; 5 Ob 2024/96 z. 26) Für viele Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1323 Rz 11 mwN. 27) LGZ Graz 4. 12. 1996, 7 R 89/96 a; OGH 5 Ob 2175/96 f; 5 Ob 2177/96 z; 5 Ob 2024/96 z; zu weiterer Judikatur s etwa Noss, Maklerrecht3 46 ff; Kriegner, Immobilienmakler 116 f. 28) RIS-Justiz RS0114078; ähnlich auch schon die Materialien (ErläutRV 2 BlgNR 20. GP 20). 29) § 6 Abs 4 MaklerG, vgl dazu Noss, Maklerrecht3 45 ff. 30) Abzulehnen daher OGH 5 Ob 2175/96 f; 5 Ob 2177/96 z; 5 Ob 2024/96 z sofern darin zwischen Vermögensverhältnissen des Maklers und dessen Familie nicht unterschieden wird. 31) So aber RIS-Justiz RS0114078; ähnlich auch schon die Materialien (ErläutRV 2 BlgNR 20. GP 20).
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aus, weil der Makler nur zu 1% (und damit ganz untergeordnet) von der Vermietung profitiert. Es liegt in diesem Beispiel bloß ein Naheverhältnis vor. Zu bedenken ist auch, dass es in den jeweiligen Konstellationen keinen Fall geben soll, in dem ein an der Maklergesellschaft Beteiligter auf keiner Seite (weder als Makler noch als Vertragspartner des vermittelten Geschäfts) profitiert. Genau das kann aber passieren, wenn man für ein Eigengeschäft schon eine 50%-Beteiligung genügen lässt; so würde der zu 50% an der Maklergesellschaft, nicht aber an der Vertragspartei Beteiligte seinen Provisionsanspruch (aufgrund der Qualifikation als Eigengeschäft) verlieren, zugleich aber (mangels Beteiligung) auch nicht am vermittelten Geschäft partizipieren. Ein solcher Zweck kann dem Gesetz nicht unterstellt werden. Bei der Beurteilung, ob ein Eigengeschäft vorliegt, kann es also nicht entscheidend sein, ob eine „konzernmäßige Verflechtung“ gegeben ist, sondern muss mE einzig darauf abgestellt werden, ob der Makler wirtschaftlich gesehen derart in eigenem Interesse handelt, dass eine zusätzliche Vergütung in Form einer Provision nicht angemessen erscheint. Diese Annahme ist mE aber nur dann gerechtfertigt, wenn die (wirtschaftliche) Grenze zwischen Vertragspartei und Immobilienmakler verwischt, wovon bei einer bloß 50%-Beteiligung keinesfalls ausgegangen werden kann. Die Vertragspartei und der Immobilienmakler müssen daher mE wirtschaftlich gesehen (nahezu) ident sein, damit ein Eigengeschäft angenommen werden kann. De lege ferenda ist der Provisionsentfall beim Eigengeschäft überhaupt zu überdenken; möglich wäre
ja etwa auch eine Provisionshalbierung, wie sie derzeit für Hausverwalter vorgesehen ist (§ 21 IMV). Damit würden vom Eigengeschäft immer noch beide Seiten profitieren (gegenüber anderen Geschäften verringerte Provision für den Nicht-Makler; immerhin noch eine Provision für den Makler).
32) Zu dieser weiterführend mit Auflistung Noss, Maklerrecht3 46 ff; Kriegner, Immobilienmakler 116 f. 33) So aber RIS-Justiz RS0114078; ähnlich auch schon die Materialien (ErläutRV 2 BlgNR 20. GP 20).
SCHLUSSSTRICH
Die Thematik „Immobilienmakler im Interessenkonflikt“ ist ein spannender Rechtsbereich und wirft bei näherer Betrachtung einige Fragen und Kritik an der geltenden Rechtslage auf. Insbesondere ist der Entfall des § 21 IMV (Herabsetzung der Provision bei vermittelndem Hausverwalter) überlegens- und dessen enge Auslegung empfehlenswert. Strenger angewandt werden sollten hingegen die Regelungen über Vermittlung mit Naheverhältnis. Auch bei der Regelung des Eigengeschäfts im weiteren Sinn (§ 6 Abs 4 MaklerG) ist die hA und Rsp 32) zu weit und unpräzise. Richtigerweise kann ein Eigengeschäft nur dann angenommen werden, wenn der Makler mit einer Vertragsseite (wirtschaftlich gesehen) nahezu ident ist; die bloße „konzernmäßige Verflechtung“ 33) ist nicht ausreichend.
Immobilienmaklerverordnung – erste Erfahrungen mit der Novelle 2010 PETER MADL
In einem Überraschungscoup hat der Wirtschaftminister per 1. 9. 2010 die seit vielen Jahren unveränderten Höchstgrenzen der Provisionen, die Immobilienmakler für die Vermittlung von Wohnungsmietverträgen verlangen dürfen, um ca ein Drittel gesenkt.1) Ziel war damals, die Wohnungsmieter zu entlasten und ihnen damit etwas Gutes zu tun. Die Erwartung des Ministers war, dass die Vermieter bereit sein werden, für die Leistung des Maklers zu zahlen. Nach einem halben Jahr hat sich gezeigt, dass die Makler sehr unterschiedlich auf diese Änderung reagiert haben: Wie in jeder Branche gibt es auch bei den Maklern schwarze Schafe, die bei der Vermittlung von Wohnungen weiterhin drei Bruttomonatsmieten verlangen, aber nur über zwei eine Rechnung ausstellen – also keine Änderung für die Kunden und eine Schlechterstellung des Staates, der Steuereinnahmen verliert. Der Großteil der gesetzestreuen Makler (meist kleinere Büros) hat den Ausfall eines Drittels der Einnahmen durch eine Reduktion der Leistung kompen-
siert, weil die Vermieter nicht bereit sind, Provisionen an die Makler zu zahlen. Der Wettbewerb unter den Maklern ist derart groß, dass Vermieter immer noch ausreichend Makler finden, die von ihnen keine Provision verlangen – und dieses Angebot nehmen sie auch an. Die in anderen Ländern überwiegende Praxis, dass sich der Vermieter die Makler nach deren Leistung aussucht und dafür selbstverständlich bezahlt, hat sich in Österreich bisher nicht etabliert. Es ist jedoch zu hoffen, dass sich auch auf diesem Markt ein Qualitätswettbewerb durchsetzt und die Vermieter erkennen, dass ein sorgfältig ausgewählter Mieter wichtiger ist als die Einsparung von Maklerkosten zu Beginn. Also auch hier ein schlechtes Bild: Es wird zwar billiger, aber die Qualität sinkt. Insbesondere unter den größeren Maklern gibt es einige, die sich aus dem Bereich der Vermittlung Mag. Dr. Peter Madl ist Partner der Schönherr Rechtsanwälte GmbH. 1) Zu den Höchstgrenzen im Detail s Rainer, immolex 2010, 229 (Editorial).
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von Wohnungsmietverträgen zurückgezogen haben, weil sie nicht mehr genug verdienen können. Der Markt ist hier also kleiner geworden – und zwar bei den Marktführern. Insgesamt zeigt sich, dass der Wohnungssuchende durch die Novelle schlechter gestellt ist – entweder wird er gezwungen, schwarz zu zahlen, oder er erhält schlechtere Betreuung. Für weniger Geld wird sich kein Makler mehr an Kollegen wenden, um das Angebot für einen Wohnungssuchenden zu vergrößern und ihm eine seinen Vorstellungen entsprechende Wohnung anbieten zu können – müsste er doch die reduzierte Provision auch noch mit einem zweiten Makler teilen. Selbst wenn der Kunde bereit ist, für die von ihm nachgefragte Leistung mehr zu bezahlen, wird er von den gesetzestreuen Maklern abgelehnt. Außer dem Gefühl, dass den Maklern etwas weggenommen wurde, hat die Novelle also wenig gebracht.
LEGISLATIVE ÖSTERREICH
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Lediglich die Aufschlüsselung der Gesamtmiete in Miete, Betriebskosten und USt wird durchgeführt und bringt dem Konsumenten mehr brauchbare Information in den Inseraten – allerdings gilt diese Vorschrift nicht für Personen, die selbst als Eigentümer inserieren. Insbesondere im gehobenen Bereich sind Höchstgrenzen nicht gerechtfertigt, weil sie den Interessen eines wirtschaftlich erfahrenen Kunden, der eine gute Leistung zu einem fairen Preis möchte, widersprechen. Der Verordnungsgeber könnte daher überlegen, ob er nicht nur die in einer typischen Zwangslage befindlichen Nachfrager von Basiswohnungen schützen und dafür sowohl bei allen anderen Wohnungen als auch bei Geschäftsräumlichkeiten die Obergrenzen aufheben sollte. Nach einer Schockstarre über den Winter gibt es jetzt auch bei den Maklern wieder Ansätze in diese Richtung, die der Minister zu einer ausgewogenen Neuregelung nutzen kann.
LEGISLATIVE – ÖSTERREICH INGRID MOSER
Außenhandelsgesetz RV 1073 BlgNR F Die RV dient im Wesentlichen der Implementierung der EU-RL betreffend die innergemeinschaftliche Verbringung von Verteidigungsgütern. Das bisherige österreichische System von Meldepflichten mit Untersagungsrecht wird durch ein System aus Allgemein-, Global- und Einzelgenehmigungen im Verkehr mit Verteidigungsgütern innerhalb der EU ersetzt. Die neue Dual-Use-Verordnung wiederum macht neben begrifflichen Anpassungen neue Regelungen über die Vermittlung von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck zwischen Drittstaaten sowie die Einführung neuer nationaler Kontrollen der Durchfuhr von Dual-Use-Gütern notwendig.
Telekommunikationsgesetz RV 1074 BlgNR F Der Entwurf sieht nun die Rechtsgrundlage für die Vorratsspeicherung von Daten im Handy- und EMail-Verkehr vor. Nach den ErläutRV sollen über die schon bisher für Telekommunikationsbetreiber bestehende Berechtigung zur Speicherung und Verarbeitung von Daten für betriebsnotwendige-, insb für Verrechnungszwecke hinaus bestimmte, näher umschriebene Daten (insb IP-Adressen) ab dem Zeitpunkt der Erzeugung oder Verarbeitung bis sechs Monate nach Beendigung der Kommunikation gespeichert werden können (vorgeschlagener § 102 a TKG). Der Begriff „Vorratsdaten“ stellt keine neue Kategorie im Sinne von Verkehrsdaten, Standortdaten, Inhaltsdaten oder Stammdaten dar, sondern stellt vielmehr auf den Zweck ab, für den die Daten von den Telekommunikationsanbietern gesammelt wer292 ecolex 2011
den müssen. – Netzbetreiber und Anbieter von Diensten werden weiters verpflichtet, die Vorratsdaten nach Ablauf der Frist wieder zu löschen. – Zudem begründet die RV die Verpflichtung der Betreiber und Anbieter zur Auskunftserteilung an die Strafverfolgungsbehörden, wobei klargestellt werden soll, dass die gespeicherten Daten ausschließlich aufgrund einer gerichtlich bewilligten Anordnung der Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von vorsätzlich begangenen Straftaten, die mit Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht sind, übermittelt werden dürfen. – Laut den ErläutRV sollen die mit der Vorratsdatenspeicherung verbundenen Grundrechtseingriffe so gering wie möglich ausfallen. Die Sicherheit der Daten soll bestmöglich gewährleistet und den datenschutzrechtlichen Informationspflichten soll nachgekommen werden. Auch stünden den Betroffenen alle notwendigen Rechtsmittel zur Verfolgung der datenschutzrechtlichen und grundrechtlichen Interessen offen, darüber hinausgehende unabhängige datenschutzrechtliche Kontrollen seien vorgesehen. – Nähere Ausführungen zu den europarechtlichen Grundlagen enthalten die ErläutRV.
Gaswirtschaftsgesetz RV 1081 BlgNR F Mit der RV soll das 3. Energie-Binnenmarktpaket der Europäischen Union umgesetzt werden. Im Einzelnen wird die Stärkung und Absicherung der Verbraucherrechte, eine wirksame Entflechtung der Fernleitungsnetzbetreiber, die Gewährleistung des Dr. Ingrid Moser ist Juristin in der Parlamentsdirektion in Wien.
freien Marktzugangs für die Versorger und die Entwicklung von Kapazitäten für neue Verbraucheranlagen sowie die Schaffung des Entry-Exit-Marktmodells vorgesehen. Weiters legt das Gesetz einen GasVersorgungsstandard über einen Zeitraum von 30 Tagen für geschützte Kunden fest. Das Gesetz kodifiziert die Bestimmungen über die Festlegung der Systemnutzungsentgelte und regelt das Verfahren der Datenerhebung, Datenverarbeitung und Datenübermittlung nach dem Preistransparenzgesetz neu. Internetportal: www.parlament.gv.at
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LEGISLATIVE ÖSTERREICH
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Inhalt: Insbesondere die Volltexte der Initiativanträge, Regierungsvorlagen und Ausschussberichte sowie eine Fülle von Informationen zu parlamentarischen Gremien und Verfahren. Bei Fragen zur Suche und Bedienung können Sie sich an das Bürgerservice des Parlaments wenden.
Vertragsanpassung bei verzögerter Zuschlagserteilung aus vergaberechtlicher und werkvertraglicher auf seinem Urteil 11. 5. 2009 hat der dt BGH seine Sicht Aufbauend Überlegungen zum „Grundsatz einer im Zweifel vergaberechtskonformen
ZIVIL- UND UNTERNEHMENSRECHT GELEITET VON G. WILHELM
Auslegung“ von Erklärungen im Vergabeverfahren einschließlich des Auftragsschreibens verfeinert. Klargestellt hat der BGH wiederum, dass im Falle einer wegen einer Verzögerung der Zuschlagserteilung erforderlichen Anpassung der Bauzeit auch der vertragliche Vergütungsanspruch anzupassen ist. Urteil des BGH 22. 7. 2010, VII ZR 129/09 HANS GÖLLES
A. Einführung Nicht nur in Deutschland, auch in Österreich kommt es gelegentlich vor, dass eine Zuschlagserteilung durch ein Nachprüfungsverfahren1) verzögert wird, eine Verlängerung bzw Hemmung des Fortlaufs der Angebotsfrist erfolgt,2) und die Leistungsfristen bzw Leistungstermine gemäß Ausschreibungsunterlagen dadurch obsolet werden und in die Zukunft verlegt werden müssen. Dabei stellt sich immer wieder die Frage, welche Bedeutung es hat, wenn bereits im Auftragsschreiben (bzw Schlussbrief) vom AG kurzerhand neue Fristen bzw Termine festgeschrieben werden. Der (dt) BGH hat bereits mit Urteil vom 11. 5. 2009, VII ZR 11/083) festgehalten, dass die einfache Bindefristverlängerung durch einen Bieter nur die Bedeutung habe, dass das ursprüngliche Vertragsangebot inhaltlich konserviert werde. Nicht geregelt sei damit, was zu gelten habe, wenn die Ausführungsfristen der Ausschreibung und des Angebots nicht mehr eingehalten werden könnten; insb werde das Angebot dadurch nicht hinsichtlich der Ausführungstermine geändert. Der BGH ging davon aus, dass im Falle eines Vertragsabschlusses mit verzögerungsbedingt fortgeschriebenen neuen Terminen bei der Vertragsauslegung der „Grundsatz einer im Zwei-
fel vergaberechtskonformen Auslegung“ zu berücksichtigen ist. Die diesem BGH-Urteil zugrunde liegende Rechtslage ist im Wesentlichen mit dem österreichischen Werkvertragsrecht und Vergaberecht vergleichbar, so dass die dt Judikatur durchaus auch bei analogen österreichischen Causen zu bedenken sein wird.
B. BGH 22. 7. 2010, VII ZR 129/08 Der BGH entschied erneut über den Anspruch des AN auf Mehrkostenvergütung wegen einer Bauzeitverschiebung aufgrund eines durch ein Nachprüfungsverfahren verzögerten Vertragsabschlusses. Neu war dabei die rechtliche Beurteilung der Frage, inwieweit sowie unter welchen Voraussetzungen dem Auftragnehmer bei einer Verzögerung des Zuschlags ein Anspruch auf Verzögerungs-MehrkosDr. Hans Gölles ist Sachverständiger für das Vergabe- und Bauvertragswesen und Autor von Fachpublikationen. Kontakt: Tel: +43 664 733 86 490; E-Mail: office@goelles-sv.at 1) Analog zB auch durch Verzögerung des Inkrafttretens einer für die Leistungserbringung erforderlichen behördlichen Bewilligung. 2) Gemäß § 112 Abs 2 oder 4 BVergG 2006. 3) Vgl Gölles, Anspruch auf Vergütung von Mehrkosten des Werkunternehmers bei Verzögerung der Zuschlagserteilung, ecolex 2009, 853.
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1. Sachverhalt Gemäß Ausschreibung hätten die Bauarbeiten bei Teil 1 von April bis Oktober 2003 ausgeführt werden sollen. Infolge zweier Nachprüfungsverfahren wurde die Bindefrist verlängert und verzögerte sich die Auftragserteilung bis 10. 11. 2003. Im Auftragsschreiben legte der AG fest, dass nunmehr die Bauarbeiten spätestens ab März 2004 auszuführen sind. Der Gegenbrief zum Auftragsschreiben wurde vom Auftragnehmer (AN) ohne Vorbehalt am 24. 11. 2003 bestätigt. Am 12. 2. 2004 erfolgte eine einvernehmliche Festlegung, dass gemäß den „aufgrund der Verlängerung der Zuschlagsfrist“ fortzuschreibenden neuen „Bauzeiten“ die Bauarbeiten ab 1. 3. 2004 zu beginnen sind. Am 21. 4. 2004 meldete der AN erstmals eine Mehrvergütung wegen Mehrkosten für Zement und Stahl an (E 601.347,34). Der AG war bereit, für die Zeit vom 10. 11. 2003 bis zum 1. 3. 2004 die Mehrkostenforderung anzuerkennen, aber nicht die Mehrkosten für den Zeitraum vor Vertragsabschluss 10. 11. 2003.
2. Urteil des OLG Celle Die Klage des AN war auf dieser Stufe nur zum Teil erfolgreich. Vom BerG (dt) OLG Celle4) wurde der AG zur Zahlung im Ausmaß seines deklaratorischen Anerkenntnisses verurteilt (E 288.262,54 sA). Das BerG ging davon aus, dass am 10. 11. 2003 das bis dahin inhaltlich nicht veränderte Angebot nicht angenommen wurde, sondern der AG mit seinem Auftragsschreiben vom 10. 11. 2003 ein „neues Angebot“5) unterbreitet habe. Im Urteil des BGH wird die Rechtsmeinung des BerG wie folgt wiedergegeben: „Nehme ein Auftraggeber das Angebot des Auftragnehmers auf Abschluss eines Bauvertrages mit der Maßgabe an, dass eine neue Bauzeit festgelegt werde, gelte das als Ablehnung, verbunden mit einem neuen Antrag auf Abschluss des Vertrages. Z 6 des Zuschlagsschreibens enthalte die Festlegung eines neuen Baubeginns bis spätestens 29. 3. 2004 sowie Ziffer 5 die Bestimmung, beide Bauabschnitte seien im Jahr 2004 durchzuführen. Diese Änderungen gegenüber dem Ursprungsangebot und damit der Umstand, dass die Beklagte ein neues Angebot auf Abschluss eines Bauvertrages unterbreitet habe, sei für die Klägerin auch ohne weiteres erkennbar gewesen. Die Beklagte habe der Vorgabe des § 28 Nr 2 Abs 2 VOB/A aF entsprochen, den Bieter aufzufordern, sich unverzüglich über die Annahme zu erklären. Denn sie habe in Ziffer 12 des Zuschlagsschreibens vom 10. November 2003 die Klägerin aufgefordert, den Empfang dieses Auftrags schriftlich zu bestätigen und den tatsächlichen Baubeginn mitzuteilen. Es könne dahinstehen, ob das Schreiben der Klägerin vom 24. November 2003 lediglich eine Empfangsbestätigung hinsichtlich des Zuschlagsschreibens vom 10. November 2003 oder eine Annahmeerklärung beinhalte. In jedem Fall habe die Klägerin das neue Angebot der Beklagten durch die Aufnahme der Arbeiten konkludent angenommen. Das neue Angebot der Beklagten habe das Ursprungsangebot 294 ecolex 2011
der Klägerin indes nur hinsichtlich der Bauzeit, nicht jedoch hinsichtlich der ursprünglichen Angebotspreise geändert. In einem solchen Falle komme eine ergänzende Vertragsauslegung nach den Maßstäben des Senatsurteils vom 11. Mai 2009 (VII ZR 11/08, aaO) nicht in Betracht. Denn der auf der Basis des neuen Angebotes zustande gekommene Vertrag enthalte keine Regelungslücke. Das neue Angebot enthalte neue Fristen, basiere aber hinsichtlich der Preise auf dem Ursprungsangebot des Bieters. An diesem Ergebnis ändere das Schreiben der Klägerin vom 21. April 2004 nichts. Dies stelle lediglich ein Angebot auf eine Vertragsänderung dar, das die Beklagte nicht angenommen habe.“
Diese Rechtsansicht wurde vom BGH verworfen.
3. Auslegungsregeln des BGH Der Senat des BGH hat die Auslegung der im Rahmen des Vergabeverfahrens abgegebenen Willenserklärungen des AG und des Bieters (AN) selbst vorgenommen und hierzu ausgeführt: „a) Noch zu Recht ist das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit den vom Senat im Urteil vom 11. Mai 2009 (VII ZR 11/08, BGHZ 181, 47) entwickelten Grundsätzen davon ausgegangen, dass die einfache Bindefristverlängerung durch einen Bieter nur die Bedeutung hat, dass das ursprüngliche Vertragsangebot inhaltlich konserviert und die rechtsgeschäftliche Bindungsfrist an das Angebot gemäß § 148 BGB, zugleich Bindefrist nach § 19 Nr 3 VOB/A aF, verlängert werden soll. Aussagen dazu, was vertraglich zu gelten hat, wenn die Ausführungsfristen der Ausschreibung und des Angebots nicht mehr eingehalten werden können, sind damit nicht verbunden. Insbesondere ändert der Bieter hiermit nicht sein Angebot hinsichtlich der Ausführungstermine ab (vgl zuletzt BGH, Urteil vom 26. November 2009 VII ZR 131/08, BauR 2010, 455 = NZBau 2010, 102 = ZfBR 2010, 245). b) Rechtsfehlerhaft nimmt das Berufungsgericht jedoch an, die Beklagte habe das hiernach unveränderte Angebot der Klägerin vom 29. Januar 2003 mit ihrem Zuschlagsschreiben vom 10. November 2003 nicht unverändert angenommen. Zwar ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts zutreffend, dass die als bindend verstandene Festlegung einer vom Angebot abweichenden Bauzeit in der Annahmeerklärung nach § 150 Abs 20 BGB als Ablehnung des Antrags verbunden mit einem neuen Angebot gilt (BGH, Urteil vom 24. Februar 2005 VII ZR 141/03, BGHZ 162, 259, 268 f.; vgl auch BGH, Urteil vom 11. Mai 2009 VII ZR 11/08, aaO Tz. 33 m.w.N.). Jedoch leidet die Auslegung des Zuschlagsschreibens dahin, dass dieses eine neue Bauzeit verbindlich festlegen wolle, mithin nur mit dieser Änderung das Angebot der Klägerin annehme, an Rechtsfehlern. Das Berufungsgericht hat wesentlichen Auslegungsstoff unberücksichtigt gelassen, die Interessen der Parteien in seine Erwägungen zur Auslegung nicht genügend einbezogen und den Grundsatz einer im Zweifel vergaberechtskonformen Auslegung nicht hinreichend berücksichtigt. aa) Das Berufungsgericht hat ausschließlich auf den Wortlaut der Nrn. 5 und 6 des Zuschlagsschreibens abgestellt und ohne nähere Begründung hierin die Festlegung einer veränderten Bauzeit gesehen. Es hat versäumt, die Nrn. 1 und 11 des Zuschlagsschreibens bei der Auslegung zu berücksichtigen. Es hätte sich damit auseinandersetzen müssen, wie deren Wortlaut mit dem Wortlaut der Nrn. 5 und 6 des Schreibens in Einklang zu bringen ist. Denn nach der Nr 1 sollte der Klägerin ,hiermit der Auftrag zu den im Angebot vom 28. 01. 2003 ausgeführten xxx Bedingungen ,
ten zusteht, wenn im Auftragsschreiben (bzw Schlussbrief) ausdrücklich eine neue Bauzeitregelung vom AG vorgesehen ist, aber keine Anpassung der Vergütung.
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4) Urteil 17. 6. 2009, 14 U 62/08 BauR 2009, 1308. 5) Gemäß § 150 Abs 2 (dt) BGB.
ZIVIL- UND UNTERNEHMENSRECHT
erteilt werden. Letzteres spricht gerade gegen eine Änderung der dort vorgesehenen Bauzeit. Gleiches gilt für die Formulierung, dass der Auftrag ,hiermit erteilt sei, was der Notwendigkeit einer Annahmeerklärung durch die Klägerin entgegensteht. Noch ausdrücklicher findet sich diese Sichtweise in Nr 11 des Schreibens, wonach der Vertrag mit diesem Zuschlagsschreiben als geschlossen gelten solle und eine urkundliche Festlegung nicht vorgesehen sei. Demgegenüber lässt der Wortlaut der Nr 5 des Schreibens jedenfalls zu, hierin nur einen Hinweis auf die tatsächlich notwendig werdende Verschiebung der Bauzeit in das Jahr 2004 zu sehen, nachdem das Zuschlagsschreiben erst am 11. November 2003 erging und die verbleibende Zeit im Jahr 2003 ersichtlich nicht ausreichte, das Bauvorhaben durchzuführen. Die Nr 6 des Schreibens nennt lediglich einen Termin als spätesten Baubeginn. Angaben zu Dauer und Fertigstellungsterminen fehlen. Der Wortlaut steht einem Verständnis deshalb nicht entgegen, dass eine neue verbindliche Bauzeit mit dem Zuschlagsschreiben noch nicht genannt worden sein soll. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts spricht der Wortlaut der Nr 12 des Schreibens nicht für eine Änderung des Angebots der Klägerin. Denn die Vorgabe des § 28 Nr 2 Abs 2 VOB/A aF6) wird hiermit nicht erfüllt. Die Beklagte bat lediglich um eine Bestätigung des ,Empfangs dieses Auftrages . Dies ist gerade keine Aufforderung, eine rechtsgeschäftliche Erklärung dazu abzugeben, ob man mit Änderungen des Angebotes einverstanden sei. Auch die Aufforderung, den tatsächlichen Baubeginn schriftlich mitzuteilen, deutet nicht auf den Wunsch nach einer rechtsgeschäftlichen Erklärung hin, sondern beinhaltet dem Wortlaut nach zunächst nur die Mitteilung einer tatsächlichen Handlung. Indem das Berufungsgericht den Inhalt und Wortlaut des Zuschlagsschreibens nicht insgesamt gewürdigt und zueinander in Beziehung gesetzt hat, hat es sich den Blick dafür verstellt, dass die Erwähnung der Termine und Zeiten in den Nrn. 5 und 6 nicht nur eine Bedeutung im Sinne einer vertraglichen Vorgabe der Bauzeit haben kann. Vielmehr besteht auch die Möglichkeit, dass es sich insgesamt um die vorbehaltslose und unveränderte Annahme des Angebots der Klägerin durch die Beklagte handelt, gekoppelt mit dem gleichzeitigen Vorschlag einer Einigung über eine neue Bauzeit. Zu diesem Verständnis führt eine interessengerechte Auslegung der Erklärung. bb) Das Berufungsgericht hat die Interessen der im öffentlichen Vergabeverfahren nach VOB/A ausschreibenden beklagten Auftraggeberin nicht berücksichtigt. Ein Zuschlag in einem solchen Verfahren ist nämlich regelmäßig so auszulegen, dass er sich auch auf wegen Zeitablaufs obsolet gewordene Fristen und Termine bezieht (BGH, Urteil vom 11. Mai 2009 VII ZR 11/08, aaO, Tz. 37 zu Fällen, in denen im Zuschlagschreiben keine Äußerungen zur Bauzeit enthalten sind). Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – zwar eine neue Bauzeit angesprochen wird, das Zuschlagsschreiben insgesamt aber nicht eindeutig ergibt, dass der Vertrag nur zu bestimmten veränderten zeitlichen Bedingungen geschlossen werden soll. Im Rahmen des auch für den modifizierten Zuschlag geltenden § 150 Abs 2 BGB sind die Grundsätze von Treu und Glauben anzuwenden. Sie erfordern, dass der Empfänger eines Vertragsangebots, wenn er von dem Vertragswillen des Anbietenden abweichen will, dies in der Annahmeerklärung klar und unzweideutig zum Ausdruck bringt. Erklärt der Vertragspartner seinen vom Angebot abweichenden Vertragswillen nicht hinreichend deutlich, so kommt der Vertrag zu den Bedingungen des Angebots zustande (BGH, Urteil vom 11. 5. 2009 – VII ZR 11/08, aaO, Tz. 35; Urteil vom 18. 11. 1982 – VII ZR 223/80, BauR 1983, 252, 253). (1) Der Zuschlag auf das unveränderte Angebot mit den wegen Zeitablaufs bereits obsolet gewordenen Fristen und Terminen ist die einzige Möglichkeit, das wesentliche Ziel
des Vergabeverfahrens, es mit einem Vertragsschluss zu beenden, mit Sicherheit zu erreichen. Ginge man von einer Annahme unter Abänderungen aus, hätte es der Bieter in der Hand zu entscheiden, ob das bis dahin ordnungsgemäß durchgeführte Vergabeverfahren letztlich vergeblich war; er wäre an sein Angebot gerade im Widerspruch zu den erklärten Bindefristverlängerungen faktisch nicht mehr gebunden. Außerdem bestünde die Gefahr, dass es möglicherweise nie zu einem Vertragsschluss kommt. Denn bei jedem mangels Vertragsschluss neu durchgeführten Vergabeverfahren könnten erneut Verzögerungen durch Nachprüfungsverfahren eintreten, die wieder dieselben Folgen hätten. An einem solchen Ergebnis kann niemand interessiert sein; es muss tunlichst vermieden werden (vgl Gröning, BauR 2004, 199, 201). Deshalb entspricht es im Zweifel dem Interesse beider Parteien, dass mit dem Zuschlag der Vertrag zwischen ihnen bindend zustande kommt. Dieses Interesse des Auftraggebers zeigt sich auch in der wiederholten Aufforderung an die Bieter, Zustimmungserklärungen zur Bindefristverlängerung, die über die ursprünglich ins Auge gefassten Ausführungsfristen hinausgehen, abzugeben. Dies belegt, dass der Auftraggeber in einem solchen Verfahren ein gewichtiges Interesse an einem sicheren, von ihm durch den Zuschlag bestimmten Vertragsschluss mit dem Bieter hat, dessen Angebot sich im Vergabeverfahren als das wirtschaftlichste erwiesen hat. Würde der Auftraggeber am Ende eines solchen Vergabeverfahrens lediglich eine abändernde Annahme aussprechen, mit der er die wunschgemäß aufrecht erhaltene Bindung des Bieters gerade lösen würde, handelte er im Widerspruch zu den zuvor geäußerten Wünschen auf Verlängerung der Bindefrist. Damit muss und kann ein Bieter im Zweifel nicht rechnen. (2) Auch der Bieter hat ein Interesse am Zustandekommen des Vertrages bereits mit dem Zuschlag, weil er ansonsten das im Hinblick auf die Ausführungsfristen neue Angebote des Auftraggebers (ohne Preisänderungen) nicht vorbehaltlos annehmen, sondern nur abgeändert, also als erneutes Angebot im Sinne von § 150 Abs 2 BGB akzeptieren dürfte, wollte er sich die Möglichkeit erhalten, Preisänderungen geltend zu machen. Er könnte dann nicht sicher sein, dass der Auftraggeber sich mit einem solchen Ansinnen auf Preisanpassung einverstanden erklären wird. Damit bliebe letztlich zumindest vorübergehend der Abschluss eines wirksamen Bauvertrages offen. (3) Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, seine Auslegung stehe mit dem Nachverhandlungsverbot des § 24 Nr 3 VOB/A aF7) im Einklang, weil die Vorschrift nicht für die Zeit nach dem Zuschlag gelte. Jedenfalls im Zeitpunkt der Erklärung des Zuschlags gegenüber dem Bieter ist der Auftraggeber an das Nachverhandlungsverbot noch gebunden, weil anderenfalls der hiermit verbundene Schutz des Wettbewerbs und der Bieter im Vergabeverfahren unvollkommen wäre (BGH, Urteil vom 11. Mai 2009 VII ZR 11/08, aaO, Tz. 39). Etwas Anderes ergibt sich nicht aus § 28 Nr 2 Abs 2 VOB/A aF.8) Denn diese Regelung erlaubt einen veränderten Zuschlag nur dann, wenn nicht gegen das Nachverhandlungsverbot verstoßen wird (BGH, Urteil vom 11. Mai 2009 VII ZR 11/08, aaO, Tz. 40 m.w.N.). Da dem Auftraggeber nicht unterstellt werden kann, gegen das Nachverhandlungsverbot verstoßen zu wollen, kann in einem Zuschlag, der das ursprüngliche Angebot akzeptiert, auch wenn er eine neue Bauzeit erwähnt, grundsätzlich keine Anfrage nach Veränderung der angebotenen Ausführungsfrist, weder mit gleich bleibender noch veränderter Vergütungsvereinbarung, gesehen werden. (4) Damit ergibt die interessengerechte Auslegung unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts des Zuschlagsschreibens vom 10. 11. 2003, dass die Beklagte das Angebot der 6) Vgl § 133 BVergG 2006. 7) Vgl § 101 Abs 4 und § 104 Abs 2 BVergG 2006. 8) Vgl § 133 BVergG 2006.
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Klägerin unverändert auch hinsichtlich der Bauzeiten angenommen hat. Die Angabe zur neuen Bauzeit, die wegen der inzwischen abgelaufenen alten Bauzeit gefunden werden musste, stellt bei interessengerechter Auslegung keine vergaberechtlich unzulässige Neuverhandlung anderer Vertragsbedingungen dar, sondern einen Hinweis der Beklagten darauf, welche neue Bauzeit sie aufgrund der veränderten Umstände für notwendig erachtet. Denn der Abschluss eines Vertrages zu Bedingungen, die eine Bauzeit vorsehen, die zum Zeitpunkt des Abschlusses bereits verstrichen ist, enthält zugleich die Einigung darüber, dass die Parteien den Vertrag zwar bereits bindend schließen, über neue, dem eingetretenen Zeitablauf Rechnung tragende Fristen jedoch noch eine Einigung herbeiführen wollen (BGH, Urteil vom 11. Mai 2009 VII ZR 11/08, aaO, Tz. 44). Vorschläge des Auftraggebers, die eine solche nachträgliche Einigung herbeiführen sollen, müssen nicht in einer getrennten Erklärung erfolgen. Vielmehr können sie bereits zusammen mit dem Vertragsschluss abgegeben werden, weil zum Zeitpunkt des Zugangs dieses Vorschlags die durch den Vertragsschluss entstandene Notwendigkeit einer Neuverhandlung und Bestimmung der Ausführungsfristen bereits besteht. Diese sind noch verhandelbar. Die Parteien sind nach dem Vertrag verpflichtet, sich über eine neue Bauzeit zu einigen. Dies haben sie am 12. Februar 2004 ausdrücklich getan. c) Zugleich mit der Bauzeit ist jedoch auch der vertragliche Vergütungsanspruch anzupassen. Die Vermutung der Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung gilt bei einem Bauvertrag nicht unabhängig von der vereinbarten Leistungszeit, weil diese regelmäßig Einfluss auf die Vereinbarung der Höhe der Vergütung des Auftragnehmers hat (vgl BHG, Urteil vom 15. 4. 2008 X ZR 129/06, NZBau 2008, 505 = ZfBR 2008, 614). Deshalb hat die durch ein verzögertes Vergabeverfahren bedingte Änderung der Leis-
Seminarankündigung Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Linz veranstaltet vom 19. 9. bis 21. 9. 2011 in Traunkirchen ein Seminar für absolvierte Juristen. Folgende Themen aus dem Gebiet des Privatrechts und des zivilgerichtlichen Verfahrensrechts stehen auf dem Programm: o. Univ.-Prof. Dr. Peter Apathy: Der Schutz des Mieters gegenüber Dritten Sekt.-Chef Hon.-Prof. Dr. Georg Kathrein: Reform des ABGB Prof. Dr. Eva-Maria Kieninger: Freier Verkehr für Zivilurteile in der EU – die Abschaffung des Exequatur Univ.-Prof. Dr. Andreas Kletecka: Wrongful birth, wrongful conception – Zur aktuellen Diskussion über den Familienplanungsschaden Univ.-Prof. Mag. Dr. Bettina Nunner-Krautgasser: Rechtsfragen der Aufrechnung im Zivilverfahrensrecht o. Univ.-Prof. Dr. Willibald Posch: Das Internationale Kaufrecht in der Praxis Univ.-Prof. Dr. Ulrich Torggler LL. M.: Grundfragen der GesBR-Reform Die Kosten für Unterbringung und Verpflegung im Hotel Traunsee und Hotel Post werden sich auf ca € 182,– belaufen. Der Kursbeitrag wird voraussichtlich € 90,– betragen. Schriftliche Anmeldungen werden bis 30. 6. 2011 erbeten an Herrn Mag. Markus Radmayr, Institut für Zivilrecht, Johannes Kepler Universität Linz, 4040 Linz/Auhof. v
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tungszeit auch zur Folge, dass die Parteien sich über eine Anpassung der Vergütung verständigen müssen (vgl BGH, Urteil vom 11. 5. 2009 VII ZR 11/08, aaO, Tz. 49). Zu einer solchen Einigung ist es hier nicht gekommen. Damit existiert eine zu füllende Regelungslücke. Diese ist dahin zu schließen, dass der vertragliche Vergütungsanspruch in Anlehnung an die Grundsätze des § 2 Nr 5 VOB/B anzupassen ist. Diese Vorschrift haben die Parteien mit der Einbeziehung der VOB/B als angemessene Regel bei einer durch den Auftraggeber veranlassten Änderung der Grundlagen des Preises vereinbart. Ihre Grundsätze führen auch im Falle der Verschiebung der Bauzeit aufgrund eines verzögerten Vergabeverfahrens im Rahmen der berechtigten Interessen der Parteien zu angemessenen Lösungen (vgl BGH, Urteil vom 11. 5. 2009 VII ZR 11/08, aaO, Tz. 49 – 58).“ (Hervorhebungen vom Verfasser).
C. Parallelität mit österreichischer Rechtslage Die deutschen Vergabe- und Werkvertragsregelungen (GWB, VOB/A, BGB und VOB/B) sind weitgehend mit den entsprechenden österreichischen Regelungen (BVergG, ABGB und ÖNORM B 2110) vergleichbar, so dass die Ausführungen des BGH grundsätzlich auch bei österreichischen Parallelfällen für die Beurteilung passend sind. Das im Angebot des Bieters gegebene Preis-/Leistungsverhältnis9) muss natürlich auch dann erhalten bleiben, wenn obsolet gewordene Ausführungstermine gemäß Ausschreibung an geänderte Umstände (zB verzögerter Baubeginn10) und somit auch spätere Baufertigstellung) angepasst werden müssen. Die Anpassung der Bauzeit im Auftragsschreiben hat auch eine Anpassung des vertraglichen Vergütungsanspruchs zur Folge. 9) Das Preis-/Leistungsverhältnis des Angebots beinhaltet eine Vermutung der Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung (Preis). 10) ZB durch ein Vergabe-Nachprüfungsverfahren gem BVergG oder durch eine Verzögerung des Erlangens einer behördlichen Bewilligung. 11) Allgemeine Vertragsbestimmungen für Bauleistung. Werkvertragsnorm, Ausg 1. 1. 2009. 12) Allgemeine Vertragsbestimmungen für Bauleistungen unter Anwendung des Partnerschaftsmodells, insb bei Großprojekten. Werkvertragsnorm, Ausg 1. 6. 2010.
SCHLUSSSTRICH
In der Praxis der Zuschlagserteilung gem §§ 133 und 134 BVergG 2006 zu Bauaufträgen wird in den Fällen, bei denen eine Verzögerung der Zuschlagserteilung eine Anpassung der Bauzeit erforderlich macht, häufig nur die Anpassung der Bauzeit bzw der Bautermine im Auftragsschreiben festgelegt und die Klarstellung der Preisanpassung vernachlässigt. Hierzu wird zweckmäßig sein, im Auftragsschreiben auch vorzusehen, dass die preisliche Auswirkung der Bauzeitveränderung gemäß den Regeln der ÖNORM B 2110 11) (bzw B 2118) 12) zu bestimmen ist, um die interessengerechte Klarstellung schon mit der Auftragserteilung zu deklarieren.
Ist ein Einheitspreisvertrag ein Vertrag mit Kostenvoranschlag?
ZIVIL- UND UNTERNEHMENSRECHT
HERMANN WENUSCH
Den folgenden Überlegungen muss vorangestellt werden, dass grundsätzlich ein Kostenvoranschlag ohne Gewährleistung gem § 1170 a Abs 2 ABGB gemeint ist, wenn von „einem Kostenvoranschlag“ gesprochen wird: Da es nämlich einer der Zwecke1) für den Abschluss eines Einheitspreisvertrags ist, dass die genauen Massen bei Abschluss noch nicht „auf die Kommastelle genau“ bekannt sein müssen, scheint kein Grund für die Annahme gegeben, dass es sich dabei um einen Kostenvoranschlag unter Gewährleistung für seine Richtigkeit gem § 1170 a Abs 1 ABGB handelt.2) „Für einen Kostenvoranschlag ist nach Lehre und Rechtsprechung die Zergliederung der mutmaßlichen Kosten unter ausführlicher Berechnung der einzelnen Ansätze nach Arbeitskosten, Materialkosten usw kennzeichnend“.3) Diese offenbar herrschende Ansicht4) mag zwar zu hinterfragen sein, weil es wohl ausschließlich darauf ankommt, ob der potenzielle Besteller mit einer allenfalls etwas eingeschränkten (endgültig ist der in einem Kostenvoranschlag ohne Gewährleistung genannte Betrag ja nicht unbedingt, weil Überschreitungen, die nicht beträchtlich sind, nicht ausgeschlossen werden können) Verbindlichkeit der Entgeltprognose rechnen kann und darüber hinaus nicht einzusehen ist, weshalb Aussagen, wie „dieses Gartenmäuerchen wird Sie X kosten“, nicht als Kostenvoranschlag anzusehen sind,5) doch soll sie hier einmal als ein Ausgangspunkt der Überlegungen dargestellt werden. Tatsächlich enthält (auch) ein Einheitspreisvertrag definitionsgemäß eine detaillierte Gliederung, nur ist es fraglich, ob dieses Merkmal tatsächlich ausreicht, einen solchen prinzipiell als Werkvertrag mit Kostenvoranschlag anzusehen, wie dies häufig geschieht.6) Mit anderen Worten: Ist ein Einheitspreisvertrag nur deshalb ein Werkvertrag mit Kostenvoranschlag, weil beide eine detaillierte Gliederung enthalten? Tatsächlich findet sich keine über den Umstand der Gemeinsamkeit der Detaillierung hinausgehende Begründung dafür, dass die Bestimmungen des § 1170 a Abs 2 ABGB auf den Einheitspreisvertrag anzuwenden sein sollen.7) Es wird zwar darauf verwiesen, dass der Kostenvoranschlag dem potenziellen Besteller „die Möglichkeit der Überprüfung der Ansätze“8) ermöglichen soll und dass genau das beim Einheitspreisvertrag auch der Fall ist, nur ist dies keine ausreichende Begründung, weil diese Gemeinsamkeit wohl durchaus auch zufällig sein kann. Tatsächlich muss ein Einheitspreisvertrag keine Gliederung nach Arbeits- und Materialkosten enthalten,9) was gerade als das Kennzeichen eines Kostenvoranschlags angesehen wird: Es kommt zwar in der Praxis sehr häufig vor, dass die einzelnen Positionen eines Einheitspreisvertrages in „Lohn“ und „Sonstiges“10) untergliedert sind, doch hat dies nur den Sinn, bei länger laufenden Verträgen eine sinnvolle Preisgleitung – die für „Lohn“ und „Sonstiges“ aufgrund voneinander mehr oder weniger unabhängiger Entwicklung ge-
trennt erfolgt – vorzunehmen. Gerade bei Verträgen mit kurzen Laufzeiten ist eine Trennung entbehrlich und unterbleibt dann durchaus auch nicht allzu selten. Sind die Positionen eines Einheitspreisvertrags nicht weiter aufgegliedert, so ist nicht unbedingt eine „Möglichkeit der Überprüfung der Ansätze“ gegeben, weil eine Methode zur Ermittlung des Entgelts (darum handelt es sich nämlich aus ökonomischer Perspektive beim Einheitspreisvertrag) nicht zwingend eine Möglichkeit zur Überprüfung mit sich bringt. Dass dabei ohnehin fraglich bleibt, was denn überprüft können werden soll, sei nur am Rande erwähnt: Hätte der Besteller nämlich das notwendige Wissen, um eine Überprüfung vorzunehmen, so bräuchte er gar keinen Kostenvoranschlag. Soll die Angemessenheit der Kalkulationsansätze überprüft werden können, so ist zu sagen, dass die Angemessenheit einzelner Positionspreise va dann kaum möglich ist, wenn diese nicht in „Lohn“ und „Sonstiges“ aufgegliedert sind: Die Kalkulation eines Unternehmers in einer Marktwirtschaft ist ein komplexer Vorgang, der nicht nur von den Kosten abhängt. Selbst wenn eine Gliederung nach „Lohn“ und „Sonstigem“ erfolgt, ist damit nicht gesagt, dass deswegen eine „Überprüfung der Ansätze“ möglich ist: Die Produktionsfaktoren „Arbeit“ und „Betriebsmittel“ lassen sich in gewissem Rahmen miteinander substituieren und ein handwerklich organisierter Betrieb hat Ing. DDr. Hermann Wenusch ist Rechtsanwalt in Rekawinkel. 1) Wenusch, Der Bauwerkvertrag als Einheitspreisvertrag, ecolex 1998, 112. 2) Tatsächlich behandelt die ÖNORM B 2110 – auf deren Bedeutung noch weiter unten eingegangen wird – einen Kostenvoranschlag unter Gewährleistung für seine Richtigkeit (in der Diktion der ÖNORM B 2110: Garantierte Angebotssumme) nicht als den Regelfall. 3) OGH 1 Ob 546/82 SZ 55/83. Vgl auch Hutter, Der Kostenvoranschlag 18: „[V]om Vorliegen eines Kostenvoranschlages [ist] auszugehen, wenn die zu erwartenden Kosten (nach technisch-kaufmännischen Gesichtspunkten) detailliert berechnet und aufgegliedert werden, wobei die erforderlichen Arbeits- und Materialkosten (nach Einheitssätzen) möglichst bis auf Einzelheiten nach Art, Zahl, Gewicht, etc, festzustellen bzw abzuschätzen sind“ – dabei bleibt allerdings völlig offen, was unter „technisch-kaufmännischen Gesichtspunkten“ oder „Einheitssätzen“ (ev Einheitspreise?) gemeint ist. 4) Vgl Rebhahn in Schwimann, ABGB § 1170 a ABGB Rz 1. 5) Dadurch würden mündliche Kostenvoranschläge übrigens praktisch ausgeschlossen. 6) Längle, Das Entgelt beim Bauvertrag 42: „Einheitspreisverträge sind aber zugleich Verträge unter Zugrundelegung eines Kostenvoranschlages iSd § 1170 a ABGB“ unter Berufung auf Karasek, Die Pauschalpreisvereinbarung in der Baupraxis, ecolex 1991, 235. 7) Hutter, Der Kostenvoranschlag 185 bezeichnet den Einheitspreisvertrag als „Weitere vertragliche Preisgestaltung“. 8) Vgl Rebhahn in Schwimann, ABGB § 1170 a ABGB Rz 1. 9) Die Gliederung erfolgt vielmehr nach im Allgemeinen einfach zu ermittelnden Leistungsteilen, die dem Besteller nutzen (zB m3 Mauerwerk, m2 Wandputz, m Rohrleitung oder Stk Türen einer bestimmten Dimension). 10) Nach der entsprechenden Definition der ÖNORM B 2061 „Preisermittlung für Bauleistungen“ sind dies im Wesentlichen die Materialund Gerätekosten.
ecolex 2011 297
ZIVIL- UND UNTERNEHMENSRECHT
im Allgemeinen ein anderes Verhältnis von „Arbeit“ zu „Betriebsmittel“ als ein Industriebetrieb. Zwei Ziele des potenziellen Bestellers sind beim Einheitspreisvertrag vorrangig: Erstens soll durch das Leistungsverzeichnis das vom Unternehmer geschuldete Werk beschrieben werden und zweitens soll die Höhe des endgültigen Entgelts errechnet werden. Dem gegenüber steht bei einem Kostenvoranschlag im Vordergrund, dass der potenzielle Besteller einen Eindruck von der Höhe des Entgelts erhält, wobei er sich im Allgemeinen über die Konstruktion des Werks kein Kopfzerbrechen machen muss. Unterstellt man, dass bei einem Einheitspreisvertrag kein funktionaler Erfolg geschuldet wird,11) während das ABGB sehr wohl davon ausgeht,12) so scheint gerade letzterer Punkt wichtig: Beim Kostenvoranschlag, wie ihn das ABGB sieht, wird die konzeptive Tätigkeit vom Unternehmer erwartet, beim Einheitspreisvertrag wird sie vom potenziellen Besteller zur Verfügung gestellt. Natürlich ist bei der Entscheidung eines konkreten Einzelfalls der (durch entsprechende Erklärungen erkennbare) Willen der Vertragsparteien ausschlaggebend. Hilfreich ist dabei wohl zu erfahren, was denn „üblich“ ist – genau das findet sich (zumindest für die Baubranche) in der ÖNORM B 2110. Die ÖNORM B 2110 sieht bei Vereinbarung eines Einheitspreisvertrags unter Pkt 8.1 („Abrechnungsgrundlagen“) lapidar vor, dass die „erbrachten Leistungen (…) nach den Mengen der erbrachten Leistungen“ abzurechnen sind – keine Rede von einer erforderlichen Anzeige für den Fall, dass die Angebotssumme überschritten wird. Wenn man bedenkt, dass die ÖNORM B 2110 nicht nur ein das dispositive Recht anpassendes bzw ergänzendes Regelwerk ist, sondern auch ein „Handbuch für den ordentlichen Baubetrieb“ (was aus rechtlich unwirksamen Schriftlichkeitsgeboten und der wortwörtlichen Kopie der gesetzlichen Gewährleistungsbestimmungen ersichtlich
IT-Update
ist), so wird offenbar, dass die ÖNORM B 2110 einen Einheitspreisvertrag nicht als Kostenvoranschlag betrachtet. Dies ergibt sich übrigens wohl auch aus der 20%-Klausel,13) die bestimmt, dass „[b]ei Über- oder Unterschreitung der im Vertrag angegebenen Menge einer Position mit Einheitspreis um mehr als 20% (. . .) über Verlangen eines Vertragspartners ein neuer Einheitspreis für die tatsächlich ausgeführte Menge unter Berücksichtigung der Mehr-/Minderkosten zu vereinbaren“ ist. Auch hier keine Rede davon, dass der Besteller nach einer doch möglicherweise empfindlichen Verteuerung vom Vertrag zurücktreten kann. Wird also bei einem Einheitspreisvertrag die ursprüngliche Angebotssume überschritten, muss der Unternehmer dies nicht anzeigen, um nicht in Gefahr zu kommen, des übersteigenden Betrags verlustig zu gehen: Schließlich stammt das Leistungsverzeichnis ja vom Besteller14) und er hat sich falsche Ansätze selbst zuzuschreiben. Eine Pflicht – entsprechend der technischen Warnpflicht gem § 1168 a ABGB –, bei angestrebtem Einheitspreisvertrag im vorvertraglichen Bereich vor Kostenüberschreitungen zu warnen, gibt es nicht. Praxistipp Ein Einheitspreisvertrag ist kein Werkvertrag mit Kostenvoranschlag – wird das Entgelt die Angebotssumme überschreiten, so ist dies vom Unternehmer nicht anzuzeigen. 11) Wenusch, Nochmals: Der Schuldinhalt bei einem Werkvertrag mit Leistungsverzeichnis, ecolex 2010, 841 ff. 12) OGH 7 Ob 687/90: „Auszugehen ist davon, dass der Unternehmer den werkvertraglichen Erfolg schuldet“ (wobei dabei als Erfolg der funktionale Erfolg gemeint ist). 13) Pkt 7.4.4 („Mengenänderungen ohne Leistungsabweichung“). 14) Hier nicht zu untersuchen ist der Spezialfall, dass gem § 109 Abs 2 BVergG 2006 bei einer funktionalen Ausschreibung die Angebote ein vom Bieter zu erstellendes Leistungsverzeichnis mit Mengenund Preisangaben enthalten müssen.
Von Abo-Fallen, Homepages und Urteilsveröffentlichungen. WOLFGANG ZANKL
A. Homepage per se nicht grenzüberschreitend 1) Der EuGH hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wann die Tätigkeit eines Unternehmens als auf einen Wohnsitzmitgliedstaat eines Verbrauchers iSd Art 15 Abs 1 lit c EG-Verordnung 2001/44 (EuGVVO) ausgerichtet ist. Dafür gelte es eine Reihe von Kriterien zu beachten, welche das nationale Gericht bei der Beurteilung abzuwägen habe. Auszugsweise seien folgende Umstände genannt, welche auf eine solche Ausrichtung schließen lassen: Sprache (Homepage, Buchung, Bestellbestätigung), Währung, Anfahrtsbeschreibung aus anderen Mitgliedstaaten, Anführung eines grenzüberschreitenden 298 ecolex 2011
Kundenkreises, entsprechend verschiedene ToplevelDomains, internationale bzw in den jeweiligen Mitgliedstaaten angemeldete Telefonnummern oder generell ein internationaler Charakter des Auftritts. Allein der Umstand, dass eine Homepage des Unternehmens international abrufbar sei, stelle für sich allein keine solche Ausrichtung dar, da dies gerade im Wesen Dr. Wolfgang Zankl ist Professor am Institut für Zivilrecht der Universität Wien (www.zankl.at) und Direktor des europäischen zentrums für e-commerce und internetrecht (www.e-center.eu). Mag. Alina Schmidt, MMag. DI Bernhard Horn, Mag. Frank Polster, Tamara Gotthart, Andreas Meißl und Alexander Skoff haben an umfangreichen Recherchen und der Vorbereitung des Beitrags mitgewirkt; sie sind Mitarbeiter des e-center. 1) EuGH 7. 12. 2010, C-585/08, C-144/09.
ZIVIL- UND UNTERNEHMENSRECHT
des Internets liege. Weiters gelte dies für E-Mail-Adressen oder dann, wenn zufällig auch in einem anderen Mitgliedstaat Sprache und Währung gleich sind, aber sonst keine Ausrichtung auf diesen Staat vorliege. Somit gilt bspw nicht jede Tätigkeit eines deutschen Unternehmens auch auf Österreich ausgerichtet, nur weil dieselbe Sprache und Währung verwendet werden.
B. Abbildungen im Internet produktbeschreibend 2) Der BGH hatte sich mit zwei die Gewährleistung im Online-Handel betreffenden Fragen zu beschäftigen. Zum einen führte der Gerichtshof aus, dass bestimmte Produkteigenschaften, welche auf einer einem Online-Angebot beigefügten Abbildung dargestellt sind, als dem Angebot eingeschlossen anzusehen sind. Dies gelte auch dann, wenn auf diese Eigenschaften im Text nicht explizit hingewiesen wird. Im konkreten Fall handelte es sich um die Standheizung eines gebrauchten Kfz, welche auf einer Abbildung im Online-Angebot deutlich zu erkennen war. In der Produktbeschreibung erwähnt wurde dieses „Extra“ jedoch nicht (und vom Verkäufer vor Übergabe ausgebaut). Der BGH sah durch Abbildung dieser Produkteigenschaft diese verbindlich in das Angebot mit einbezogen, wodurch es auch Gegenstand des abgeschlossenen Vertrags geworden sei. Der Käufer habe daher Anspruch darauf, die Ware so zu erhalten, wie sie auf Abbildungen zu sehen war. Der Käufer machte keinen Gewährleistungsanspruch geltend, sondern beschaffte sich eigenständig eine gebrauchte Standheizung und baute diese auch selbst ein. Im Anschluss begehrte er vom Verkäufer Schadenersatz auf Leistung der Sach- und Arbeitskosten. Dieses Begehren wies der BGH jedoch ab, da der Käufer vorerst den Anspruch auf Nachtrag oder Verbesserung aus dem Titel der Gewährleistung oder des Schadenersatzes geltend machen müsse. Eine Ersatzvornahme komme nur dann in Frage, wenn der Verkäufer die Verbesserung zB verweigert hätte und somit die sekundären Gewährleistungsbehelfe zum Tragen kämen.
D. Gewerbsmäßiger Betrug durch Abofallen im Internet 5) Gegenstand der inkriminierten Webseiten waren „gratis“ angebotene Routenplaner, Gehaltsrechner sowie verschiedenste Archive bspw für Gedichte, Rätsel, Rezepte, Hausaufgaben uvm. Sämtliche Seiten waren nahezu identisch gestaltet. Oft wurden die Abos mit einem Gewinnspiel verknüpft, für das man persönliche Daten bekanntzugeben hatte. Für eine Nutzungsdauer von drei bis sechs Monaten wurden pro Abo bis zu € 69,95 verrechnet. Wenn die Nutzer nicht zahlten, wurden Mahnungen und rechtsanwaltliche Aufforderungsschreiben verschickt. Gleichartige Angebote wurden auf anderen Seiten im Internet unentgeltlich angeboten. Das LG Frankfurt lehnte die Eröffnung des Hauptverfahrens mit der Begründung ab, dass sich auf der Seite Preishinweise befunden hätten, wenn auch an versteckter Stelle. Das OLG Frankfurt hingegen sah den Tatverdacht des gewerbsmäßigen Betrugs als erfüllt an, weshalb es dem LG auftrug, den Fall zu verhandeln: Ein durchschnittlich informierter und verständiger Verbraucher als Nutzer dieser Websites müsse nicht erwarten, dass die angebotenen Leistungen kostenpflichtig sind. Vielmehr ist er gewohnt, im Internet zahlreiche kostenlose Dienstleistungs- und Downloadangebote zu öffnen, ohne den Grund für deren Unentgeltlichkeit zu kennen.
E. Urteile auf Facebook 6) und Youtube 7) veröffentlicht 8) Auf der Facebook-Seite der Beklagten fanden sich Bilder, die das Unternehmen der Klägerin iSd § 1 UWG in einer sittenwidrigen Weise herabsetzten. Dem Talionsprinzip folgend erkannte das HG Wien – soweit ersichtlich erstmals – auf Urteilsveröffentlichung auf der entsprechenden Facebookseite. Schon kurz zuvor hatte das HG Wien in einem anderen Fall die Urteilsveröffentlichung in Form eines Youtube-Videos am unternehmenseigenen Youtube-Channel der Beklagten angeordnet. Der Urteilsspruch musste als Fließtext erscheinen und verlesen werden.
C. Keine vorzeitige Access-Kündigung bei Umzug3) Nach Auffassung des BGH kann der Kunde eines DSL-Anschlusses den Vertrag mit einem Telekomunternehmen vor Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer auch dann nicht kündigen, wenn er aus beruflichen oder familiären Gründen an einen Ort umzieht, an dem noch keine DSL-fähigen Leitungen verlegt sind. Ein wichtiger Grund für eine Kündigung könne in dem Umzug nicht erblickt werden. Ein solcher bestehe generell dann nicht, wenn er aus Vorgängen hergeleitet wird, die dem „Einfluss des anderen Vertragspartners entzogen sind und der Interessensphäre des Kündigenden“ entstammen. Der Kunde, der einen längerfristigen Vertrag über die Erbringung einer Dienstleistung abschließt, trage grundsätzlich das Risiko, diese aufgrund einer Veränderung seiner persönlichen Verhältnisse nicht mehr nutzen zu können.4)
2) BGH 12. 1. 2011, VIII ZR 346/09. 3) BGH 11. 11. 2010, III ZR 57/10. 4) Http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document. py?Gericht=bgh&Art=pm&Datum=2010&Sort=3&nr=53938&pos=1&anz=216 5) OLG Frankfurt 17. 12. 2010, 1 Ws 29/09. 6) HG Wien, 39 Cg 75/10 p. 7) HG Wien, 10 Cg 115/10 g. 8) Vgl dazu auch die Anm von Mag. Dominik Hofmarcher (Wolf Theiss) in der e-center law survey 12/2010 (www.e-center.eu/newsletter).
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ZIVIL- UND UNTERNEHMENSRECHT BEARBEITET VON H. FRIEDL
RECHTSPRECHUNG
Mündelsichere Wertpapiere: Umfang der Prüfpflicht eines Gutachters nach § 230 e ABGB §§ 230 ff, 1295, 1300 ABGB OGH 4. 8. 2010, 3 Ob 79/10 d
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1. Die Vertragshaftung besteht zunächst nur gegenüber dem Besteller des Gutachtens, gegenüber Dritten aber dann, wenn der Besteller erkennbar auch die Interessen Dritter mitverfolgt. Die objektiv-rechtlichen Sorgfaltspflichten erstrecken sich auf einen Dritten, wenn der Sachverständige damit rechnen muss, dass sein Gutachten Dritten zur Kenntnis gelangen wird und eine Entscheidungsgrundlage darstellen soll. Der Sachverständige haftet bei drittgerichteten Aussagen für die geschaffene Vertrauenslage. Primär beantwortet der Zweck des Gutachtens die Frage, ob es (auch) drittgerichtet ist. 2. Das in § 230 Abs 1 ABGB verankerte Handlungsgebot, Geld eines Minderjährigen „möglichst fruchtbringend“ anzulegen, bewirkt die Gleichrangigkeit der in den §§ 230 a bis 230 e ABGB näher behandelten Anlegungsarten. Das PflegschaftsG ist somit dann verpflichtet, die Anlegung des Mündelgelds auf eine andere als der in den §§ 230 a bis 230 d ABGB umschriebenen Weise zu genehmigen, wenn dies den Grundsätzen einer wirtschaftlichen Vermögensverwaltung entspricht. Ob diese Voraussetzungen zutreffen, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Maßgebend wird dabei sein, ob auch ein Fachmann auf dem Gebiet der Vermögensverwaltung sein Geld auf die vom gesetzlichen Vertreter vorgeschlagene Weise anlegen würde. 3. Die Richtigkeit eines Gutachtens über den Erwerb von Wertpapieren zur Anlegung von Mündelgeld iSd § 230 e ABGB ist einer ex-ante-Prüfung zu unterziehen, sodass es auf die Vorhersehbarkeit des Wertverlusts der Aktien zum Zeitpunkt der Gutachtenserstellung ankommt. Bei der Beurteilung darf sich ein Sachverständiger auf öffentlich zugängliche Erkenntnisquellen (Jahresabschlüsse; Prüfberichte; Börsenstatistiken; Presseberichte) beschränken, solange keine begründeten Zweifel an deren Richtigkeit bestehen.
Der bekl SV erstattete in den Jahren 1999 bis 2007 im Auftrag einer Bank insgesamt sieben Gutachten bezüglich der grundsätzlichen Eignung der I-Aktien zur Veranlagung von Mündelgeld. Ihm war dabei bekannt, dass zwischen der Bank und der I-AG enge geschäftliche Beziehungen und auch personelle Verflechtungen bestanden. In seinen jeweiligen Gutachten stellte der SV fest, dass diese Aktien derzeit zur Veranlagung von Mündelgeld geeignet seien, sofern die Veranlagung im Rahmen eines sinnvollen Portfoliomix erfolgt. Die Gutachten wurden auszugsweise an Dritte weitergegeben und im Internet zum Download angeboten. Nach Genehmigung durch das PflegschaftsG kaufte eine Mutter, der ein Gutachten des SV auszugsweise vorgelegen war, I-Aktien für ihre beiden Kinder. Dadurch erlitten die Kinder hohe Verluste. Der Schadenersatzanspruch wurde dem VKI zum Inkasso abgetreten. Eine Haftung des SV wurde jedoch verneint. 300 ecolex 2011
Aus der Begründung (nur zu 2. und 3.): Die Haftung des Bekl ist nicht deswegen zu verneinen, weil das PflegschaftsG vor seiner Veranlagungsgenehmigung gem § 230 e Abs 1 ABGB einen SV für das Börsen- oder Bankwesen zu hören hat. Nach dieser Bestimmung reicht wohl ein dem PflegschaftsG vorgelegtes Privatgutachten für die Genehmigung des Erwerbs der Wertpapiere nicht aus, das Privatgutachten könnte aber durchaus als Entscheidungsgrundlage mit herangezogen werden, wenn ein anderer SV dem Gericht die Richtigkeit des Privatgutachtens bestätigt. Hier ist dem Standpunkt des Kl zu folgen, dass eine allfällige Amtshaftung die Haftung des bekl Gutachters nicht ausschließt, sondern nur zu dieser Haftung solidarisch hinzutritt. (…) Der Kl (Anm: der VKI) wirft dem Bekl unter Vorlage von Privatgutachten eine Fülle von Erhebungsmängeln vor. Da die Unrichtigkeit des Gutachtens nur auf diese Sachverhaltsbehauptungen gestützt wurde, seien diese hier wörtlich wiedergegeben (Anm: nur teilweise abgedruckt): Es „fand keine Prüfung und Analyse des Liegenschaftsbestandes bzw der -erwerbe durch die einzelnen Immobiliengesellschaften der I*****-Gruppe statt; erfolgte keine Prüfung der Lagequalität und sonstiger wertbestimmender Faktoren (Mieterstruktur, Bonität, Mietentgelte, Laufzeiten, Leerstände etc); erfolgte keine eingehendere Auseinandersetzung mit der tatsächlichen Nutzung oder von Verkehrswertermittlungen des Immobilienbestands, weshalb auch keine Aussagen zur Erfüllung des § 230 e Abs 2 ABGB getroffen werden konnten; (…) ist der Vergleich von Aktien der I***** mit der Rendite- und Risikoerwartung von Anleihen des Bundes oder der Länder oder von Pfandbriefen und Kommunalschuldverschreibungen iSd § 230 b Z 1 bis 3 ABGB im vorliegenden Fall völlig unzutreffend, weil deren Haftungsunterlegung in keiner Weise mit dem Deckungsstock in Immobilien oder sonstiger Sachwerte der I***** vergleichbar war/ist und im Übrigen ein solcher vom bekl SV auch gar nicht geprüft wurde; (…)“ Die aus den Jahren 2008 und 2009 stammenden, den Immobilienmarkt analysierenden Privatgutachten verweisen ua auf in der Branche zunächst (bis 2007) stattgefundene hohe Kurssteigerungen, auf unrealistische Zuschläge von bis zu 30% auf den „Net Asset Value“ und die ab 2007 einsetzenden überdurchschnittlichen Verluste von Immobilienaktien. Den Risken hätten die Unternehmen durch höhere Risikozuschläge Rechnung tragen müssen. „Bewertungs- und bilanzpolitische Gestaltungsspielräume“ seien genutzt worden. Zum Kursrückgang ab 2007 wird in den Privatgutachten ua auf die US-Hypothekenkrise, die rückläufige Wirtschaftsentwicklung in
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Osteuropa und später bekannt gewordene Kursmanipulationen einzelner Unternehmen verwiesen. In den Privatgutachten wird eine Fülle von Gutachtensgrundlagen angeführt (ua: Bau- und Ausstattungsbeschreibungen; Mietverträge; Zinslisten; Luftaufnahmen von den Objekten; Erhebungsunterlagen über gleichwertige Objekte; zusätzliche Fotodokumentationen; Online-Abfragen über Flächenwidmungs- und Bebauungspläne ua). (…) Die Richtigkeit des Gutachtens ist ex ante nach dem Zeitpunkt seiner Erstellung, also nach den damals zur Verfügung gestandenen Erkenntnisquellen, zu beurteilen: Zur Begründung der Fehlerhaftigkeit des Gutachtens aus dem Jahr 2003 kann die zumindest in ihrem Ausmaß und den Folgen notorischerweise die gesamte Welt überraschende US-Hypothekenkrise ebenso wenig ins Treffen geführt werden wie spätere Kursmanipulationen (also wohl auch strafrechtlich relevante, ex ante nicht vorhersehbare Sachverhalte). Mit dem heutigen Wissen ausgestattet kann sogar der Standpunkt vertreten werden, Aktien seien generell nicht mehr als sichere Anlagen zu bewerten (vgl die Probleme des milliardenschweren BP-Konzerns), ja nicht einmal mehr Staatsanleihen (vgl die Griechenlandkrise). Dessen ungeachtet lässt der Gesetzgeber die Anlegung von Mündelgeld in Wertpapieren zu. Nach § 230 Abs 1 ABGB ist das Vermögen nicht nur sicher, sondern auch „möglichst fruchtbringend“ anzulegen. Maßstab dabei ist, ob auch ein Fachmann auf dem Gebiet der Vermögensverwaltung sein Geld auf die vom gesetzlichen Vertreter vorgeschlagene Weise anlegen würde (RIS-Justiz RS0111790). Spekulative Veranlagungen sind allerdings nicht zu genehmigen (7 Ob 29/10 f). Den Aspekt der Sicherheit will der Gesetzgeber mit der Anhörung eines SV (§ 230 e Abs 1 ABGB) wahren. Zum Umfang der Prüfpflicht des SV ist Folgendes auszuführen: Auffällig ist zunächst, dass der Gesetzgeber nur eine Anhörung und nicht eine schriftliche Gutachtenserstattung anordnet und weiters, dass nur von einem SV für das Börsen- oder Bankwesen die Rede ist. Schon daraus ist zu schließen, dass nicht umfangreiche Bewertungsgutachten über den Wert der Aktiengesellschaft und den Wert ihres Gesellschaftsvermögens (Liegenschaften; Inventar; Beteiligungen) zu erstatten sind, dass vielmehr die gutachtliche Stellungnahme eines SV für Börsen- oder Bankwesen ausreicht, der im Ergebnis zu beurteilen hat, ob auch ein vorsichtiger Anleger solche Aktien kaufen würde. Für eine solche Auslegung spricht schon der Umstand, dass das anzulegende Mündelgeld im Normalfall nicht so groß ist, dass die Einholung der nach dem Standpunkt des Kl notwendigen umfangreichen Gutachten in Anbetracht deren hohen Kosten in Frage käme. Ein solcher Standpunkt führte vielmehr dazu, dass Aktien von großen, schon jahrezehntelang am Markt tätigen und eine gesunde Börsenentwicklung aufweisenden Aktiengesellschaften a priori für die Anlegung von Mündelgeld ausgeschieden werden müssten, der gesetzlichen Anordnung einer auch ertragrei-
chen Veranlagung (§ 230 Abs 1 ABGB) also gar nicht entsprochen werden könnte. Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass der SV seine Sorgfaltspflichten bei der Befundaufnahme nicht verletzt hat: a) Die festgestellten Erhebungen (Bilanzen, Prüfungsberichte über Jahresabschlüsse, Statistiken über die Aktienkursentwicklung und die Entwicklung des Immobilienmarkts) waren ausreichend, die Beischaffung von öffentlich nicht zugänglichen weiteren Erkenntnisquellen (vgl die Schwierigkeiten des Beschaffens wegen Geschäftsgeheimnissen) war ohne begründete Zweifel etwa an der Richtigkeit der veröffentlichten Bilanzen oder an einer günstigen künftigen Marktentwicklung entbehrlich. Relevante Zweifel hätten allenfalls aufgrund von Presseberichten oder einschlägigen Publikationen bestehen können. Derartiges wurde vom behauptungspflichtigen Kl aber nicht einmal vorgebracht. Festzuhalten bleibt also, dass sich ein SV bei der Beurteilung von Aktien iSd § 230 e ABGB bei der Befundaufnahme auf öffentlich zugängliche Erkenntnisquellen (Jahresabschlüsse; Prüfberichte; Börsenstatistiken; Branchenstatistiken; Presseberichte) beschränken darf. b) Neben dem nicht berechtigten Vorwurf ungenügender Stoffsammlung bei der Befundaufnahme führte der Kl im Verfahren erster Instanz zur Unrichtigkeit des Gutachtens nur den vom SV angestellten Sicherheitsvergleich mit Bundesanleihen und anderen im § 230 b Z 1 bis 3 ABGB angeführten Wertpapieren ins Treffen: Der SV (Anm: der Bekl) hat die Aktien nicht als „sicher wie Anleihen des Bundes“ bewertet, sondern abgeschwächt eine Sicherheit der Veranlagung „in annähernd gleichem Ausmaß“ als gewährleistet erachtet. (…) Zu seiner Kritik am Sicherheitsvergleich des SV (der Aktien mit Bundesanleihen) ist der Revisionswerber mit dem ErstG daran zu erinnern, dass die Richtigkeit des Gutachtens nach dem Zusammenhang der Äußerungen in seiner Gesamtheit zu beurteilen ist. Daraus geht aber klar hervor, dass es sich beim Gutachten um eine Beurteilung nach § 230 e ABGB handelt, bei der a priori nicht eine Sicherheit ebenso, wie sie für Bundesanleihen gegeben ist, attestiert wird und dass eben deshalb vom SV auch der Hinweis auf einen „sinnvollen Portfoliomix“ erfolgte.
Anmerkung: Der vorliegenden E ist, was das grundsätzliche Einstehenmüssen des SV für die Richtigkeit seines Gutachtens gegenüber Dritten betrifft, beizupflichten. Eine derartige Haftung hatte das ErstG noch mit der Begründung verneint, dass eine deliktische Haftung gegenüber Dritten für reine Vermögensschäden nur bei bedingtem Vorsatz des Bekl in Betracht käme. Der OGH hat demgegenüber völlig zutreffend in Einklang mit der hL und stRsp ausgesprochen, dass eine Haftung gegenüber Dritten bereits dann anerkannt werden muss, wenn der Besteller des Gutachtens – wie hier – für den SV erkennbar gerade auch die Interessen des Dritten mitverfolgt. Dies ist dann der Fall, wenn der SV damit rechnen muss, dass sein Gutachten Dritten zur Kenntnis gelangen und diesen als Grundlage für ihre Dispositionen dienen wird. Mangels ausdrücklicher Bestimmung im Vertrag kann sich ecolex 2011 301
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die Beurteilung nach der Verkehrsübung richten (8 Ob 51/08 w ecolex 2008/374; 2 Ob 191/06 m JBl 2007, 518; 6 Ob 39/06 p ecolex 2006/240; Kapsch, ecolex 2006, 578). Dass die von der hA aufgestellten Grundsätze im vorliegenden Fall zur Haftung des SV für die Richtigkeit seines Gutachtens gegenüber potenziellen Anlegern in I-Aktien führen, ist nur folgerichtig. Anders gesehen werden muss allerdings die Frage, ob dem SV in casu tatsächlich keine inhaltliche Unrichtigkeit seines Gutachtens nachgewiesen werden kann. In der rechtskräftigen E vom 3. 12. 2008, 30 Cg 21/08 s des LG für ZRS Wien wurde ein Amtshaftungsanspruch bejaht, weil das PflegschaftsG die Anlage von mehr als der Hälfte des Gesamtvermögens eines Mündels in Aktien der I-AG bewilligt hatte. Nach zutreffender Ansicht beruhte die Genehmigung des Erwerbs dieser Aktien durch das PflegschaftsG auf einer unvertretbaren Rechtsauffassung, weil es sich bei dieser Investition um keinen sinnvollen Portfoliomix handeln könne. Im vorliegenden Fall ist zu hinterfragen, ob die Relativierung im Gutachten – sofern die Veranlagung im Rahmen eines sinnvollen Portfoliomix erfolgt – tatsächlich ausreichend für die Freizeichnung des SV von jeglicher Haftung ist: Nach dem Gesetz bedürfen, sofern die Vermögensangelegenheit nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehört, ausschließlich die Veranlagung von Spareinlagen bei einem inländischen Kreditinstitut gem § 230 a ABGB und der Erwerb der im § 230 b ABGB taxativ aufgezählten Wertpapiere keiner pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung. I-Aktien zählen nicht dazu, weshalb hierfür grundsätzlich eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung
erforderlich ist. § 230 e ABGB stellt daher lediglich eine Auffangklausel/Generalklausel für die Anlage in Vermögensgegenstände dar, die nach dem Gesetz als derart riskant angesehen werden, dass sie der vorangehenden Genehmigung des PflegschaftsG bedürfen. Mit anderen Worten: Es mag in Einzelfällen auch eine Veranlagung von Mündelvermögen in höchstriskante Wertpapiere einer wirtschaftlichen Vermögensverwaltung entsprechen, wenn das übrige Mündelgeld entsprechend konservativ veranlagt ist. Dass daraus – wie der SV dies in seinem Gutachten getan hat – der Umkehrschluss gezogen werden kann, die Veranlagung in höchstriskante Wertpapiere, die ja auch durchaus fruchtbringend iSd § 230 Abs 1 ABGB sein kann, wäre zur Mündelgeldveranlagung geeignet, ist alles andere als bestechend. Bei der Beurteilung ist vielmehr auf das jeweilige Wertpapier an sich abzustellen und nicht auf ein – im Übrigen gar nicht näher beschriebenes – Portfolio. Durch die Verwendung des Qualifikationsmerkmals „geeignet“ unterstellt der SV der I-Aktie die Eigenschaft der Mündelsicherheit, die ihr aber nur in Ausnahmefällen zukommt, und verkehrt sohin das Regel-Ausnahme-Verhältnis. Nach den Urteilsfeststellungen war dem SV überdies bekannt, dass diese zentrale Gutachtensaussage als – marktschreierische – Werbeaussage verwendet wird, freilich ohne dass dies für einen Privatanleger gleich auf den ersten Blick erkennbar wäre (vgl 8 Ob 25/10 z ecolex 2010/380 [Wilhelm]). Ingo Kapsch RA Dr. Ingo Kapsch ist Partner bei HLMK Rechtsanwälte Hochedlinger Luschin Marenzi Kapsch Rechtsanwälte GmbH in Wien.
Verkehrsüberwachung mit Mitteln des Nachbarrechts nicht erzwingbar §§ 364, 364 a ABGB; § 1 AHG; § 1 JN; RL 2002/49/EG OGH 14. 9. 2010, 1 Ob 139/10 p
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1. Jene höchstgerichtliche Judikatur, die nachbarrechtliche (Ausgleichs-)Ansprüche bei Immissionen, die von öffentlichen Straßen ausgingen, bejahte, bezieht sich auf Maßnahmen der Gebietskörperschaften im Rahmen der Straßenerhaltung, also der Privatwirtschaftsverwaltung („übermäßige“ Salzstreuung; Baumaßnahmen auf öffentlichen Straßen; Windbruchschäden infolge der Rodung für den Straßenbau ua). Bei Immissionsschäden durch den öffentlichen Verkehr sind hingegen derartige Ausgleichsansprüche gegen den Straßenerhalter ausgeschlossen. 2. Geht es den Unterlassungsklägern im Endeffekt darum, dem bekl Rechtsträger Maßnahmen aufzutragen, die die (lückenlose) Einhaltung der höchstzulässigen Geschwindigkeit von 30 km/h garantieren sollen, so können derartige Maßnahmen der Hoheitsverwaltung aber mit den privatrechtlichen Mitteln des Nachbarrechts nicht erzwungen werden. Diese Regelung und Sicherung des Gemeingebrauchs an öffentlichen Straßen ist eindeutig der Hoheitsverwaltung zuzuordnen. 3. Der RL 2002/49/EG über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm lässt sich ein subjektives Recht des Einzelnen, dem Staat (bzw hier einer Gebietskörperschaft) konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung von Lärmemissionen aufzutragen, nicht entnehmen.
Die Kl bewohnen ein Einfamilienhaus in Wien. Entlang ihrer Liegenschaft verläuft auf einem Grundstück der bekl Stadt Wien (öffentliches Gut) eine Landes- bzw Gemeindestraße, die in beiden Fahrtrichtungen zu befahren ist und deren Aktivfahrbahn (ua) im Bereich der Liegenschaft der Kl aufgrund gepflasteter Parkflächen und vorgezogener Gehsteige auf 7,1 m reduziert wurde. Jenes Wohngebiet, in dem sich die Liegenschaft der Kl befindet, wurde 1990 durch Verordnung des Landes Wien zur sog Tempo 30-Zone erklärt. Die Beschränkung der höchstzulässigen Geschwindigkeit auf 30 km/h wurde ua unmittelbar bei der Liegenschaft der Kl als Piktogramm auf die Fahrbahnoberfläche gezeichnet. Die Kl begehren 1. die Unterlassung von Immissionen durch Straßenlärm, soweit dieser von Verkehrsteilnehmern durch die Überschreitung der Geschwindigkeit von 30 km/h auf der erwähnten Straße verursacht wird, 2. die Feststellung der Haftung der Bekl für jeden zukünftigen Schaden infolge derartiger Immissionen, und 3. die Zahlung von E 6.552,– wegen des Einbaus von Schallschutzfenstern und einer Klimaanlage.
Aus der Begründung: Wie sich schon aus der Formulierung des Unterlassungs- bzw Feststellungsbegehrens ergibt, geht es den Kl im Endeffekt darum, dem bekl Rechtsträger Maßnahmen aufzutragen, die die (lückenlose) Ein-
ZIVIL- UND UNTERNEHMENSRECHT
haltung der höchstzulässigen Geschwindigkeit von 30 km/h garantieren sollen. Diese Regelung und Sicherung des Gemeingebrauchs an öffentlichen Straßen ist eindeutig der Hoheitsverwaltung zuzuordnen. Derartige Maßnahmen der Hoheitsverwaltung können aber mit den privatrechtlichen Mitteln des Nachbarrechts nicht erzwungen werden (Spielbüchler in Rummel 3 § 364 ABGB Rz 6; Oberhammer in Schwimann, ABGB3 II § 364 Rz 14; RIS-Justiz RS0010522). Jene höchstgerichtliche Judikatur, die nachbarrechtliche (Ausgleichs-)Ansprüche bei Immissionen, die von öffentlichen Straßen ausgingen, bejahte, bezieht sich auf Maßnahmen der Gebietskörperschaften im Rahmen der Straßenerhaltung, also der Privatwirtschaftsverwaltung („übermäßige“ Salzstreuung: 4 Ob 239/08 p; 3 Ob 77/09 h; Baumaßnahmen auf öffentlichen Straßen: 7 Ob 66/02 k mwN; Windbruchschäden infolge der Rodung für den Straßenbau: JBl 1989, 646). Bei Immissionsschäden durch den öffentlichen Verkehr sind hingegen derartige Ausgleichsansprüche gegen den Straßenerhalter ausgeschlossen (6 Ob 548/81 SZ 55/55; vgl auch 3 Ob 534/90). Ob die Verordnung einer Tempo 30-Zone in einem Wohngebiet als Maßnahme der Verkehrsberuhigung tatsächlich nicht (auch) dem Schutz der Anrainer vor Lärmbelästigung dient und deshalb ein Amtshaftungsanspruch ausgeschlossen sein soll, wie die Vorinstanzen angenommen haben, kann dahingestellt bleiben: Die Kl, die im Amtshaftungsprozess das rechtswidrige Organverhalten als Ursache für die behaupteten (zukünftigen) Schäden darzulegen haben (1 Ob 68/09 w mwN), werfen der Bekl die rechtswidrige Unterlassung gebotener (hoheitlicher) Maßnahmen zur Einhaltung der Geschwindigkeitsbeschränkung (insb Verkehrsüberwachung im Rahmen der Verkehrspolizei) vor. Rechtswidriges Organverhalten kann zwar uU durch die Unterlassung zumutbarer
Maßnahmen im Rahmen der Verkehrspolizei begründet werden (vgl Koziol, Haftung der öffentlichen Hand wegen mangelhafter Verkehrsüberwachung, RdW 1985, 4; Schragel, AHG3 Rz 144). Die Auffassung des BerG, die Kl hätten keinen Anspruch auf Maßnahmen, die die von ihnen ja angestrebte Einhaltung der höchstzulässigen Geschwindigkeit durch sämtliche Verkehrsteilnehmer garantieren, wie die (lückenlose) Kontrolle verordneter Geschwindigkeitsbeschränkungen, ist aber keine aufzugreifende Fehlbeurteilung, entspricht sie doch auch dem allgemeinen Grundsatz, es bestehe grundsätzlich kein subjektives Recht auf gesetzmäßige Führung der gesamten Verwaltung (RIS-Justiz RS0049967). Der RL 2002/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. 6. 2002 über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm lässt sich ein subjektives Recht des Einzelnen, dem Staat (bzw hier einer Gebietskörperschaft) konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung von Lärmemissionen aufzutragen, nicht entnehmen. Ziel der RL ist nach ihrem Art 1 insb die Festlegung eines gemeinsamen Konzepts zur Verhinderung oder zur Reduktion von schädlichem Umgebungslärm. Dieses Ziel soll insb durch die in den Art 7 und 8 der RL festgelegten, den Mitgliedstaaten obliegenden Maßnahmen (Ausarbeitung strategischer Lärmkarten und Aktionsplänen) erreicht werden. Dass die zitierte RL entgegen dem klaren Wortlaut dem Einzelnen ein subjektives Recht einräumt, zur Bekämpfung von Umgebungslärm detaillierte, allenfalls in einem Aktionsplan iSd Art 8 der RL festgehaltene Maßnahmen zu verlangen (vgl 1 Ob 68/09 w zur RL 96/62 EG des Rates vom 27. 9. 1996 über die Beurteilung und Kontrolle der Luftqualität), behauptet die Revision gar nicht. Damit legt sie die Erheblichkeit der dem Zulassungsausspruch zugrunde liegenden Rechtsfrage nicht ausreichend dar.
Kündigungsrecht eines privaten monopolartigen Wasserversorgers 1. Die nach § 914 ABGB zu erforschende Parteienabsicht kann uU darauf gerichtet sein, die sonst freie Kündbarkeit eines unbefristeten Wasserbezugsvertrags (mit privatem Wasserversorger) nicht ohne Angabe von Gründen ohne weiteres zuzulassen. Die monopolartige Stellung einer privaten Wasserversorgerin ist ein wesentlicher Faktor bei der Beurteilung der Frage nach dem Zweck des Vertrags, der das maßgebliche Kriterium für die Absicht der Parteien darstellt, die freie Kündbarkeit auszuschließen. 2. Unterlaufene Fehleinschätzung der wirtschaftlichen bzw touristischen Entwicklung sowie die bei Abschluss des betroffenen Altvertrags unterlassene wirtschaftliche Kalkulation, die der Sphäre des Unternehmens zuzuordnen sind, rechtfertigen nicht unbedingt eine Vertragsauflösung aus wichtigem Grund. Immerhin schließt die Beteiligung am Geschäftsleben bei freier Marktwirtschaft ein spekulatives Element mit ein, dessen Folgen nicht auf den Vertragspartner überwälzt werden können. 3. Das bedeutet aber nicht, dass ein Versorgungsunternehmen (selbst wenn es Monopolstellung hat)
die Versorgung aufgrund der Altverträge fortsetzen muss, wenn das gesamte Unternehmen aus diesem Grund nur mehr defizitär geführt werden kann; ein Unternehmen muss nicht erst insolvent werden, um unwirtschaftlich gewordene Dauerschuldverhältnisse, die zur negativen Entwicklung geführt haben, auflösen zu können.
§§ 118, 879, 936 ABGB OGH 14. 9. 2010, 1 Ob 143/10 a
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Aus der Begründung: Der Wasserbezugsvertrag wurde auf unbestimmte Zeit geschlossen und enthielt – was unstrittig ist – keine Regelung zu Mindestbindungsfristen, Kündigungsterminen oder Kündigungsfristen. Richtig ist nun, dass mangels einer gegenteiligen Vereinbarung die freie Kündbarkeit eines derartigen Dauerschuldverhältnisses – und zwar unter Setzung einer angemessenen Frist – die Regel ist. Entscheidend ist aber immer die nach der Auslegungsregel des § 914 ABGB zu erforschende Parteienabsicht, die uU auch darauf gerichtet sein kann, die freie Kündbarkeit ohne Anecolex 2011 303
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gabe von Gründen nicht ohne weiteres zuzulassen (RIS-Justiz RS0018924). Im konkreten Fall ist die monopolartige Stellung der Kl ein wesentlicher Faktor bei der Beurteilung der Frage nach dem Zweck des Vertrags, der das maßgebliche Kriterium für die Absicht der Parteien darstellt, die freie Kündbarkeit auszuschließen (3 Ob 103/08 f mwN). Die Kl bezweifelt nicht ihre Verpflichtung als eine Art Monopolistin, in ihrem Versorgungsgebiet Wasserversorgungsverträge zu angemessenen Bedingungen abzuschließen (RIS-Justiz RS0030805), sie rechtfertigt aber die ordentliche Kündigung mit der in den letzten Jahren eingetretenen Unwirtschaftlichkeit eines Wasserbezugs durch Zweitwohnungsbesitzer ohne Verpflichtung einer Mindestabnahmemenge, also einer Versorgung zu nunmehr unangemessenen Bedingungen, was nicht von der Parteienabsicht umfasst gewesen sein könnte. Dabei vernachlässigt sie in ihren Argumenten die bei Vertragsabschluss vorhandene Interessenlage auf Seiten der Abnehmer, die bei Kauf der Grundstücke zum Abschluss von Wasserversorgungsverträgen mit der Verkäuferin bzw Rechtsvorgängerin der Kl praktisch gezwungen waren, und zwar zu den vom Wasserversorgungsunternehmen zum damaligen Zeitpunkt (1972) im Rahmen des Gesamtkonzepts (Schaffung eines Tourismusgebiets samt entsprechenden Einnahmequellen durch Grundstücksverkäufe und Errichtung bzw Betrieb von Schiliften) als angemessen angesehenen Bedingungen (ua Anschlusspreis von S 152.000,– „Exklusivbezug“). Ein jederzeit auszuübendes unbedingtes ordentliches Kündigungsrecht wäre aus der damaligen Sicht keine wirtschaftlich vernünftige Lösung gewesen. Für das Wasserversorgungsunternehmen konnten sich die getätigten Investitionen bei einem kurzfristigen Bestand des jeweiligen Versorgungsvertrags keinesfalls rentieren. Für die Abnehmerin war die Ausübung eines ordentlichen Kündigungsrechts deshalb nicht von Vorteil, weil – abgesehen vom Verlust des Anschlusspreises – sich im Nahbereich der Liegenschaft der Bekl keine andere Wasserversorgungsanlage befindet und der Wasserbedarf – sofern keine eigene Wasserquelle vorhanden ist – nur über die Rechtsvorgängerin der Kl gedeckt werden konnte (vgl dazu die im Verbandsprozess ergangene E 1 Ob 224/06 g). Dass auf den verkauften Grundstücken Appartementanlagen mit Ferienwohnungen errichtet werden sollten, war den damaligen Verkäufern auch bekannt, sie haben diese Entwicklung sogar selbst gefördert. Es wäre daher Sache der Rechtsvorgängerin der Kl gewesen, die Wirtschaftlichkeit des Wasserbezugs durch Zweitwohnsitze mit bekanntermaßen geringeren Nutzungsmengen durch eine zulässige Mindestabnahmemenge sicherzustellen, wie dies ab Mitte der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts auch der Fall war. Der Kl geht es letztlich darum, die für sie ungünstigen Altverträge zu beenden, um über das ordentliche Kündigungsrecht mit denselben Abnehmern neue Verträge zu für das Versorgungsunternehmen günstigeren Bedingungen abzuschließen, was sie selbst gar nicht in Abrede stellt. Den Abnehmern bliebe aber mangels anderweitiger Versorgungsmöglichkeit gar keine Wahl, als neue Verträge abzuschlie-
ßen und dann ein Vielfaches als bisher für den Wasserbezug, dessen Bedeutung für die Benutzung einer Wohnung evident ist, zu zahlen. Die Vereinbarung eines solchen Kündigungsrechts zu Gunsten eines Wasserversorgungsunternehmens mit Monopolstellung würde bedeuten, dass dieses nach dem Willen der Parteien seine faktische Übermacht zu Lasten der Abnehmer ausspielen kann, was nach der Judikatur einem Monopolisten allgemein verwehrt bleiben soll (RIS-Justiz RS0110808; vgl RS0018306). Diese ungleiche Gewichtung der jeweiligen Rechtsposition (Monopolist gegen Abnehmer) im Fall eines (auch) zu Gunsten des Unternehmens vereinbarten ordentlichen Kündigungsrechts zeigt sich eben insb darin, dass das Versorgungsunternehmen kaum mit der ordentlichen Kündigung des Wasserbezugsvertrags durch den jeweiligen Abnehmer rechnen musste, zumal ein Abnehmer einen nach damaligen Verhältnissen sehr hohen Anschlusspreis zahlen musste. Das Argument der Kl zur Unzulässigkeit einer ewig andauernden Vertragsbindung überzeugt deshalb nicht, weil ein zeitlich unbeschränkter Verzicht auf das ordentliche Kündigungsrecht eine Auflösung des Vertragsverhältnisses ja nicht überhaupt ausschließt (Iro in KBB2 § 1116 Rz 2; RIS-Justiz RS0018368). Haben die Vorinstanzen aufgrund des Geschäftszwecks, der nach den Verhältnissen im Jahr 1972 zu beurteilen ist, eine Vereinbarung über einen Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts des Wasserversorgungsunternehmens angenommen, so ist das kein bedenkliches Auslegungsergebnis. Ein außerordentliches Kündigungsrecht setzt einen wichtigen Grund voraus, der die Voraussetzung des Vertragsverhältnisses für die Kl unzumutbar machen würde (RIS-Justiz RS0027780). Wie schon das BerG an sich zutreffend ausgeführt hat, müssen die der Rechtsvorgängerin der Kl unterlaufene Fehleinschätzung der wirtschaftlichen bzw touristischen Entwicklung sowie die bei Abschluss des betroffenen Altvertrags unterlassene wirtschaftliche Kalkulation, die der Sphäre des Unternehmens zuzuordnen sind, nicht unbedingt eine Vertragsauflösung aus wichtigem Grund rechtfertigen. Immerhin schließt die Beteiligung am Geschäftsleben bei freier Marktwirtschaft ein spekulatives Element mit ein, dessen Folgen nicht auf den Vertragspartner überwälzt werden können (6 Ob 59/00 w SZ 73/180 mwN). Dasselbe gilt für die Änderung der Rahmenbedingungen durch Verschärfung hygienischer und technischer Vorschriften zu Wasserleitungen, die nicht einseitig zu Lasten des anderen Vertragspartners gehen können. Das bedeutet aber nicht, dass ein Versorgungsunternehmen (selbst wenn es Monopolstellung hat) die Versorgung aufgrund der Altverträge fortsetzen muss, wenn das gesamte Unternehmen aus diesem Grund nur mehr defizitär geführt werden kann (1 Ob 524/ 85). Anders formuliert: Ein Unternehmen muss nicht erst in Insolvenz verfallen, um unwirtschaftlich gewordene Dauerschuldverhältnisse, die zur negativen wirtschaftlichen Entwicklung geführt haben, auflösen zu können. Genau eine solche Gefahr behauptet aber die Kl in ihrem Vorbringen, aufgrund des Fortbestands der Altverträge vom wirtschaftlichen Ruin bedroht zu sein bzw den Betrieb nur wirtschaftlich füh-
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ren zu können, wenn in sämtlichen Wasserbezugsverträgen eine Mindestabnahmemenge von 150 m3 und ein höherer Wasserzins vereinbart werden. Die Einstellung der Wasserversorgung wegen Unwirtschaftlichkeit derselben läge nun keinesfalls im Interesse der jeweiligen Abnehmer, also auch nicht der Bekl. Das ErstG hat zwar für das Rumpfgeschäftsjahr 2007 und für das Geschäftsjahr 2008 – ziffernmäßig nicht konkretisierte – Verluste festgestellt, was aber
noch nichts darüber aussagt, ob der Fortbestand der Altverträge ohne Mindestabnahmemenge dieses negative Ergebnis verursacht hat. Im fortgesetzten Verfahren wird daher das ErstG konkrete Feststellungen zu treffen haben, ob das Unternehmen der Kl aufgrund der ungünstigen Altverträge defizitär arbeitet und das Aufrechterhalten des Betriebs zu den derzeitigen Bedingungen wirtschaftlich nicht zu rechtfertigen ist.
Verbot der Aufrechnung im Auftragsverhältnis (Reisebüro) bei Akontozahlungen 1. Die Frage, ob das Aufrechnungsverbot iSd § 1440 Satz 2 ABGB auf Auftrags- und Treuhandverhältnisse (analog) anwendbar ist (hier Verhältnis Reisebüro – Reiseveranstalter), wird in Rsp und Lehre uneinheitlich beantwortet. Nach der jüngeren Rsp ist die Aufrechnung jedenfalls in jenen Fällen zulässig, in denen der Rückforderungsgläubiger typischerweise mit Gegenansprüchen des Beauftragten (jedenfalls) aus demselben Rechtsverhältnis rechnen muss, sodass die Aufrechnung für ihn nicht überraschend kommt. Die Aufrechnung ist dann nicht zuzulassen, wenn dem Beauftragten die Sache bzw der betreffende Geldbetrag mit einem bestimmten Verwendungszweck, der sich auch durch Vertragsauslegung ergeben kann, übergeben wurde. 2. Wird eine mit einer Zweckbestimmung versehene Akontozahlung vom Beauftragten widmungswidrig verwendet, so kann sich der Übergeber auf das Aufrechnungsverbot nach § 1440 Satz 2 ABGB berufen und die Aufrechnung mit Gegenforderungen des Beauftragten verhindern, sofern er nicht aufgrund der konkreten Vertragslage mit Gegenansprüchen des Beauftragten aus demselben Rechtsverhältnis rechnen musste. 3. Der Ansicht, jeder Gläubiger einer auf Gattungssachen und damit auch auf Geld gerichteten Forderung müsse immer damit rechnen, dass sein Anspruch durch Kompensation mit einer gleichartigen Forderung ganz oder teilweise zum Erlöschen gebracht werde, kann in dieser allgemeinen Form nicht beigepflichtet werden. In diesem Sinn ist das Vertrauen des Auftraggebers auf unverzügliche Rückstel-
lung anzuerkennen, wenn ausnahmsweise Gegenansprüche in Frage stehen, die für den Auftraggeber geradezu überraschend sein müssten. Die Bekl (ein Reisebüro) hatte im Auftrag der Kl, einer russischen Reiseveranstalterin, im eigenen Namen und auf eigene Rechnung Buchungen von Hoteldienstleistungen in Österreich vorzunehmen. In Abhängigkeit vom Buchungsvolumen für die jeweils kommende Wintersaison waren Akontierungen der Kl auf die Winterbuchungen üblich. Die Stornomodalitäten wurden zwischen den Streitteilen nicht besprochen. Auch anlässlich der Fußballeuropameisterschaft 2008 nahm die Bekl für die Kl Hotelbuchungen (sog EURO-Buchungen) vor, die von der Kl teilweise wieder storniert wurden. Hinsichtlich der Zahlung der Hotel- bzw Stornokosten kam es zu Meinungsverschiedenheiten, in deren Zuge Rechnungen von der Bekl storniert wurden. Am 18. 8. 2008 stellte die Bekl eine neue Rechnung (über E 26.523,–) aus, worauf die Kl ihre Erleichterung über die Lösung des Problems ausdrückte und die Überweisung der für die Wintersaison 2009 geforderten Akontozahlung ankündigte. Die Akontozahlung wurde mit dem Vermerk „Winter 2009 Tourist Services“ geleistet. Da die Bekl nach erneuten Diskussionen über die Zahlung von Kosten aus EURO-Buchungen aus Eigenem Winterbuchungen für die Kl rückgängig machte, löste die Kl das Vertragsverhältnis auf und forderte die Akontobeträge zurück. Die Bekl verweigerte die Rückzahlung wegen Aufrechnung mit den Forderungen aus den EURO-Buchungen.
§§ 1002, 1440 ABGB OGH 22. 9. 2010, 8 Ob 94/10 x
2011/116
Erbschaftskauf kein Vorkaufsfall Der Erbschaftskauf löst, solange kein Umgehungsgeschäft vorliegt, das Vorkaufsrecht nicht aus. Die besonderen Wirkungen des Erbschaftskaufs für den Er-
werber gehen weit über die eines bloßen Kaufs hinaus.
OGH 18. 1. 2011, 4 Ob 218/10 b
Auflösungstatbestand „Aufgabe des Unternehmens“ in Leasing-AGB 1. Für den (wirksam) vereinbarten Auflösungstatbestand der „Aufgabe des Unternehmens“ in AGB für Leasingverträge kommt es auf die Einstellung der Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit, die zur Erreichung des Unternehmenszwecks typischerweise ausgeübt wird, an (hier auf die Aufgabe der anwaltlichen Vertretungstätigkeit infolge Verzichts auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft). 2. Der zu beurteilende Auflösungsgrund bezieht sich nämlich auf das Leasing zu Geschäftszwecken
§§ 1079, 1278 ABGB
und damit wird zum Ausdruck gebracht, dass der Leasinggegenstand dem Leasingnehmer solange zur Verfügung stehen und das Auflösungsrecht des Leasinggebers nicht bestehen soll, solange eine Nutzung des Leasinggegenstands zu Geschäftszwecken erfolgt. Die Vertragsgrundlage besteht somit in der einvernehmlich unterstellten Nutzung des Leasingobjekts für die unternehmerische Tätigkeit, die zur Erreichung des Unternehmenszwecks typischerweise ausgeübt wird.
2011/117 §§ 1090, 1118 ABGB OGH 3. 9. 2010, 9 Ob 52/10 b
2011/118
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ZIVIL- UND UNTERNEHMENSRECHT
3. Die den Leasingverträgen zugrunde gelegte Anwaltstätigkeit kann nach dem Sinn und Zweck der Verträge nicht auf Abrechnungen im Auflösungsstadium reduziert werden. Schon gar nicht kann auf die endgültige Betriebsstilllegung bzw Vollbeendigung des Unternehmens abgestellt werden.
In den Jahren 2004 und 2006 schloss der bekl ehemalige RA mit der U***** GmbH Leasingverträge über vier Fahrzeuge ab, die im Rahmen seiner RA-Kanzlei genutzt wurden. Diesen Verträgen liegen die Allgemeinen Vertragsbedingungen für KFZ- und Mobilien-Leasing zugrunde, die auszugsweise lauten: 13. Vorzeitige Vertragsauflösung: 13.1 Die LG (Leasinggeberin) ist zur sofortigen, vorzeitigen Auflösung des LV (Leasingvertrags) berechtigt,
wenn der LN (auch nur einer von mehreren LN oder ein Sicherstellung leistender Dritter) (…) c) stirbt oder handlungsunfähig wird, oder bei Leasing zu Geschäftszwecken sein Geschäft (Unternehmen) aufgibt oder veräußert, (…) g) sich die wirtschaftliche Lage des LN (eines von mehreren LN oder eines Sicherstellung leistenden Dritten) derart verschlechtert, dass eine regelmäßige Zahlung des Leasingentgelts gefährdet erscheint, insbesondere wenn der LN (…),“ Als der bekl RA in Untersuchungshaft genommen wurde und am 13. 9. 2007 auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft verzichtete, löste die Leasinggeberin bzw ihre Kooperationspartnerin den Leasingvertrag auf und begehrte den Nichterfüllungsschaden samt Spesen aus den aufgelösten Leasingverträgen.
Zwischen Kündigungsgrund und Kündigungsverzicht § 1118 ABGB; § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG OGH 4. 8. 2010, 3 Ob 87/10 f
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1. Die widmungswidrige Verwendung des Mietobjekts ist, ungeachtet ihres Ausmaßes, ein Kündigungsgrund, wenn sie wichtigen Interessen des Vermieters zuwiderläuft. 2. Blieb der Vermieter, der eine widmungswidrige Verwendung kennt, untätig, so kann daraus jedenfalls nicht auf seine Zustimmung zu einer Ausweitung der widmungswidrigen Verwendung geschlossen werden. 3. Die Nichterteilung der Kündigung wegen erheblich nachteiliger Verwendung in der Vergangenheit nimmt dem Vermieter nicht das Kündigungsrecht wegen Fortsetzung solcher Verwendung in der Zukunft. 4. Der Mieter, der den Vermieter mehrfach geohrfeigt hat, deshalb aber nicht gekündigt worden ist, darf daraus keinen Kündigungsverzicht für den Fall ableiten, dass er dem Vermieter auch in der Zukunft mehrfach Ohrfeigen erteilt.
Aus der Begründung: Erheblich nachteiliger Gebrauch gem § 1118 ABGB umfasst sowohl den nachteiligen Gebrauch iSd § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG als auch das unleidliche Verhaltens iSd § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG (RIS-Justiz RS0020956). Nach stRsp liegt erheblich nachteiliger Gebrauch auch in einem Verhalten des Bestandnehmers, das geeignet ist, den Ruf oder wichtige wirtschaftliche oder sonstige Interessen des Bestandgebers zu schädigen (RIS-Justiz RS0020940; 7 Ob 321/99 b SZ 73/29 mwN). Eine widmungswidrige Verwendung berechtigt den Vermieter gem § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG zur Kündigung bereits dann, wenn die mit der widmungswidrigen Verwendung zusammenhängenden Störungen zwar das übliche Ausmaß nicht übersteigen, die Nutzung aber die Interessen des Vermieters erheblich beeinträchtigt (5 Ob 501/92 wobl 1992/113; Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht22 § 30 MRG Rz 17 mwN). Falls hingegen der widmungswidrige Gebrauch nicht erheblich nachteilig ist, kann der Vermieter zwar Unterlassung begehren, nicht aber den 306 ecolex 2011
Bestandvertrag nach § 1118 erster Fall ABGB auflösen (3 Ob 248/75 SZ 48/132; 5 Ob 501/92). Eine Gesamtbetrachtung führt zu einer Bejahung der Verletzung wichtiger Interessen der Vermieterin (der ÖBB, deren Bahnhof ganz in der Nähe des Bestandobjekts liegt, Anm): Jedenfalls die spätestens seit dem Frühjahr 2007 in wöchentlichem bzw 14-tägigem Rhythmus stattfindenden (Live-)Musik- und Tanzveranstaltungen sind auch unter Zugrundelegung der Tatsache, dass dabei im Regelfall überdies Filme vorgeführt werden, nicht mehr mit dem vereinbarten Verwendungszweck „Kinobetrieb“ in Einklang zu bringen. (. . .) Dem ErstG ist darin beizupflichten, dass die Kl ein legitimes wirtschaftliches Interesse daran hat, im Interesse des reibungslosen Bahnbetriebs ein weiteres Absinken des Standorts zur Problemzone zu verhindern. Aber auch der Einwand, die Kl habe jahrelang von der geänderten Nutzungsart Kenntnis gehabt, daher auf die Geltendmachung des Auflösungsgrunds des § 1118 erster Fall ABGB verzichtet bzw der geänderten Nutzungsart stillschweigend zugestimmt, ist nicht stichhältig: Die Kl hat in der Vergangenheit alle Wünsche nach einer Nutzungsänderung abgelehnt. Ihr war seit 2000 die Abhaltung gelegentlicher Musikveranstaltungen – bis 2003 lediglich etwa vier Mal jährlich ohne Live-Musik – bekannt. Erst danach kam es zu vereinzelten Anzeigen, wobei die gravierenderen Lärmbelästigungen erst seit etwa 2006 auftreten und die Bekl Veranstaltungen (erst) seit dem Jahr 2005 weiter intensiviert hat und nunmehr in wöchentlichem bzw 14-tägigem Rhythmus Musikveranstaltungen abhält. Selbst wenn man darin die Zustimmung der Kl zu etwa vier Musikveranstaltungen jährlich sähe, kann diese nicht auf die nun in wöchentlichem bzw in 14-tägigem Rhythmus stattfindenden Musikveranstaltungen mit weitaus stärkerer Lärmbelästigung erstreckt werden. Bei Beurteilung der Frage, ob eine schlüssige Zustimmung iSd § 863 ABGB zu einer Änderung der bedungenen Verwendungsart vorliegt, ist ein strenger Maßstab
ZIVIL- UND UNTERNEHMENSRECHT
anzulegen (RIS-Justiz RS0014312). Von der in der Revision behaupteten, über siebenjährigen widerspruchslosen Duldung der geänderten Nutzungsart kann jedenfalls in Ansehung der erst seit 2005 intensivierten und mit erheblichen Belästigungen einhergehenden Veranstaltungen keine Rede sein. Eine Änderung des Verwendungszwecks wurde daher nicht vereinbart. Die Kl hat auf ihr Kündigungsrecht auch nicht verzichtet: Der Grundsatz, dass Auflösungs- und Kündigungsgründe ohne unnötigen Aufschub geltend gemacht werden müssen (RIS-Justiz RS0014427), gilt für Dauertatbestände nicht uneingeschränkt, weil bei diesen grundsätzlich nicht auf einen Verzicht auf die Geltendmachung des Kündigungsgrunds geschlossen werden kann (stRsp; RISJustiz RS0067134). Das gilt insb für § 30 Abs 2 Z 3 MRG (6 Ob 129/04 w; 4 Ob 1566/95 uva; Würth/Zingher/Kovanyi, § 30 MRG Rz 24), der § 1118 erster Fall ABGB entspricht; gleichsinnig 9 Ob 16/08 f mwN. Auch bei erheblich nachteiligem Gebrauch und unleidlichem Verhalten ist – wenngleich unter Anlegung des allgemein streng anzusetzenden Maßstabs –
ein stillschweigender Verzicht auf die Geltendmachung eines bereits verwirklichten Kündigungs(-auflösungs-)grunds möglich. Dieser Verzicht gilt jedoch nicht für zukünftiges weiteres vertragswidriges Verhalten. Das in der Revisionsbeantwortung selbst als „plastisch drastisch“ bezeichnete Beispiel des Mieters, der den Vermieter zunächst vier Mal jährlich und in der Folge acht Mal jährlich ohrfeigt, ohne dass der Vermieter Konsequenzen zieht, belegt dies eindrucksvoll: Selbstverständlich kann der Vermieter in diesem Beispielsfall das Mietverhältnis auflösen, wenn der Mieter ihn nun im achten Jahr 25 – 30 Mal jährlich ohrfeigt. Die Auffassung der Revisionsbeantwortung, die Duldung der Ohrfeigen in der Vergangenheit bewirke, dass der Vermieter sich auch in Zukunft und überdies weitaus häufiger ohrfeigen lassen müsse, ohne das Bestandverhältnis auflösen zu können, ist schlicht unhaltbar und mit der Rsp nicht in Einklang.
Anmerkung: Vgl zu dieser E erhellend noch das Editorial von Wilhelm, Wohnungsmiete: Zwischen Kündigungsgrund und Kündigungsverzicht, ecolex 2011, 185.
Haftung bei Vermittlung von „Mietkauf“ besonders günstiger fabrikneuer Kfz 1. Wer als selbständiger Vermittler von besonders günstigen Verträgen über den Erwerb von fabriksneuen Kfz tätig ist, nimmt für sich in Anspruch, über besondere Sachkunde auf dem Gebiet des Kfz-Vertriebs zu verfügen, die es ihm ermöglicht, wesentlich höhere Rabatte zu erwirken als im sonstigen Handel. Diese Sachkunde bezieht sich – anders als bei Anlagevermittlern und Immobilienmaklern – nicht auf das vermittelte Produkt, sondern auf wirtschaftliche Zusammenhänge, die einen günstigen Vertragsabschluss ermöglichen. 2. Der Vermittler ist zwar mangels ihm erkennbarer Anhaltspunkte für eine Insolvenz des dt „Großhändlers“ nicht verpflichtet, den Kunden vor dem grundsätzlich mit jeder Vorauszahlung verbundenen Insolvenzrisiko zu warnen (allgemeine Warnpflicht), jedoch darf er auf Bedenken gegenüber dem Geschäftsmodell nicht mit dem Hinweis reagieren, dieses sei abgesehen von einer Insolvenz des Herstellers der Kfz (Unternehmen im VW-Konzern) „sicher“. 3. Den Kunden trifft jedoch ein Mitverschulden, denn zum einen mussten der hohe Rabatt und die ungewöhnliche Geschäftsabwicklung, an der mehrere Unternehmen beteiligt waren, Zweifel an der Seriosität des Vertriebssystems erwecken und zum anderen ist die Aussage des Vermittlers, dass das Geschäft abgesehen von einer Insolvenz des Herstellers „sicher“ sei, angesichts der Vorauszahlung an ein anderes Unternehmen eine bloße Behauptung, für die er jede Begründung schuldig blieb. Vertraut die Kundin dieser Aussage unbesehen und überweist einen hohen Geldbetrag ohne jede Sicherheit an ein ihr unbekanntes Unternehmen, liegt darin eine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten. Diese wiegt jedoch deutlich geringer als das Verschulden des Vermittlers, der ob-
gleich gutgläubig, aber doch ohne fundierte Kenntnisse die Risikolosigkeit des Systems zusagte. Das Ausmaß des Mitverschuldens ist mit einem Viertel zu bemessen.
§ 1300 ABGB OGH 31. 8. 2010, 4 Ob 137/10 s
2011/120
Der Bekl vermittelte als selbständiger „Mobilitätsberater“ Verträge über den „Mietkauf“ von fabriksneuen Pkw. Für diese Tätigkeit war er – mit anderen – von einem Schweizer Unternehmen angeworben worden, das ihm das Vertriebskonzept bei einer Schulung erläutert hatte. Durch die Ausschaltung von Zwischenhändlern sollten Rabatte von 25% auf den Listenpreis ermöglicht werden. Vertragspartner des Kunden sollte ein dt Unternehmen werden, das die Fahrzeuge als „Großhändler“ günstig vom Hersteller erwarb. Für die Vermittlung sollte der Kl vom Schweizer Unternehmen eine Provision erhalten. Im Vertriebssystem traten die „Mobilitätsberater“ jeweils als eigene „Autovermittlungsagenturen“ auf; der Bekl war „Geschäftsführer“ der – offenkundig allein aus ihm bestehenden und auch nach ihm benannten – „Mihu Autopreis Agentur“. Die Kl nahm an zwei Veranstaltungen teil, bei denen der Bekl das Angebot vorstellte, und äußerte ihr Interesse am Erwerb eines Pkw. Der Bekl verwies sie zunächst auf die Website des Schweizer Unternehmens, auf der Interessenten die gewünschte Ausstattung des Pkw zusammenstellen konnten. Zu diesem Zeitpunkt war für die Kl noch nicht erkennbar, dass der Vertrag mit dem dt Unternehmen geschlossen werden sollte. Sie nahm vielmehr an, dass ihr Vertragspartner das Schweizer Unternehmen würde und dass sie den Kaufpreis direkt an den Hersteller zu überweisen hätte. Nachdem die Kl dem Bekl die gewünschte Ausstattung mitgeteilt hatte, suchte er sie im November 2007 mit den Vertragsunterlagen zu Hause auf. Dort war erstecolex 2011 307
ZIVIL- UND UNTERNEHMENSRECHT
mals das dt Unternehmen als Geschäftspartner genannt. Der Bekl teilte der Kl mit, dass sie im Voraus an dieses Unternehmen zahlen müsse, dieses würde das Geld dann an den Hersteller weiterleiten. Die Kl wünschte stattdessen eine treuhändische Abwicklung. Dies war jedoch zum damaligen Zeitpunkt im Vertriebssystem nicht möglich. Der Bekl stellte ihr das Vertriebssystem mit Ausnahme des Insolvenzrisikos des Herstellers als „sicher“ dar. Daraufhin unterzeichnete die Kl den Vertrag und überwies dem dt Unternehmen das gesamte Entgelt von E 18.742,98. Dieses Entgelt setzte sich nach der ihr gelegten Rechnung aus einer „Mietsonderzahlung“ sowie aus der „Vorauszahlung“ der „Monatsraten“ und der „Schlussrate“ zusammen. Das Schweizer Unternehmen bestätigte den Eingang dieses Betrags beim deutschen Unternehmen und gab „unverbindlich“ eine Lieferzeit von 22 bis 26 Wochen an. Für die Zwischenzeit stellte das dt Unternehmen der Kl „unentgeltlich“ ein von ihm angemietetes Fahrzeug zur Verfügung. Die Kl „musste“ dieses Fahrzeug jedoch noch vor der Auslieferung des gekauften Pkw zurückgeben. Im Juni 2008 wurde über das dt Unternehmen das Insolvenzverfahren eröffnet. Dem Bekl waren das Insolvenzrisiko oder (allfällige) betrügerische Machenschaften nicht bekannt gewesen, er wollte die Kl nicht „bewusst“ täuschen. Die Kl erhielt in weiterer Folge weder das Fahrzeug, noch wurde ihr das Entgelt rückerstattet. Der Bekl hatte für die Vermittlung des Geschäfts vom Schweizer Unternehmen eine Provision von E 400,– erhalten.
Aus der Begründung: Der Bekl wurde nach den Feststellungen der Vorinstanzen – was den vorliegenden Fall von jenem unterscheidet, der zu 7 Ob 76/10 t zu entscheiden ist – als selbständiger Vermittler von besonders günstigen Verträgen über den Erwerb von fabriksneuen Kraftfahrzeugen tätig. Damit nahm er für sich in Anspruch, über besondere Sachkunde auf dem Gebiet des Kfz-Vertriebs zu verfügen, die es ihm ermöglichte, wesentlich höhere Rabatte zu erwirken als im sonstigen Handel. Diese Sachkunde bezog sich zwar – anders als bei Anlagevermittlern und Immobilienmaklern – nicht auf das vermittelte Produkt, sondern auf wirtschaftliche Zusammenhänge, die einen günstigen Vertragsabschluss ermöglichten. Genau diese Sachkunde nahmen aber die Kunden des Bekl in Anspruch. Insofern trat er ihnen gegenüber als Sachverständiger auf. Der Bekl haftet – Kausalität vorausgesetzt – nach § 1300 Satz 1 ABGB. Die Haftung nach § 1300 Satz 1 ABGB setzt nach stRsp nicht Entgeltlichkeit voraus; es genügt, dass der Rat oder die – diesem gleichgehaltene (RIS-Justiz RS0026527) – Auskunft nicht aus bloßer Gefälligkeit (selbstlos) erteilt wurde (RIS-Justiz RS0044121; RS0026596; Karner in KBB2 § 1300 Rz 2; Harrer in Schwimann3 § 1300 Rz 2). Das trifft insb dann zu, wenn das beanstandete Verhalten iZm einer von dritter Seite erwarteten Leistung (insb einer Provision für die Vermittlung eines Geschäfts) gesetzt wird (8 Ob 532/83 JBl 1985, 38; RIS-Justiz RS0026596 [T 4]). Die Auskunft des Bekl, das beabsichtigte Geschäft sei abgesehen von einem allfälligen Insolvenzrisiko 308 ecolex 2011
des Herstellers sicher, erfolgte iZm der Vermittlung eines Vertrags, für dessen erfolgreichen Abschluss er eine Provision erhielt. Der Bekl handelte daher nicht aus bloßer Gefälligkeit, sondern verfolgte ein eigenes wirtschaftliches Interesse. Aus diesem Grund haftet er nach § 1300 Satz 1 ABGB auch dann, wenn er durch bloß fahrlässiges Verhalten einen reinen Vermögensschaden verursacht. Auf das Bestehen eines vom Bekl vermissten „Auskunftsvertrags“ – der allerdings in der Rsp gelegentlich allein aufgrund der Auskunftserteilung angenommen wurde (1 Ob 182/97 i SZ 70/ 147 mwN; vgl dazu aber Reischauer in Rummel 3 § 1300 Rz 6) – kommt es daher nicht an. Richtig ist, dass der Bekl mangels ihm erkennbarer Anhaltspunkte für eine Insolvenz des dt Unternehmens nicht verpflichtet war, die Kl vor dem grundsätzlich mit jeder Vorauszahlung verbundenen Insolvenzrisiko zu warnen. Um eine solche allgemeine Warnpflicht geht es hier aber nicht. Die Kl wirft dem Bekl vielmehr vor, dass er auf ihre Bedenken gegenüber dem Geschäftsmodell mit dem Hinweis reagiert habe, dieses sei abgesehen von einer Insolvenz des Herstellers „sicher“. Da es sich beim Hersteller um ein Tochterunternehmen des VW-Konzerns handelte, erweckte der Bekl damit den Eindruck völliger Risikolosigkeit. Zwar führte der Bekl nicht aus, aus welchen Gründen eine Insolvenz des dt Unternehmens unmöglich, äußerst unwahrscheinlich oder für die Kl unerheblich sei. Durch den Hinweis auf die „Sicherheit“ nahm er aber für sich in Anspruch, das Vertriebssystem zu durchschauen und auf der Grundlage dieser besonderen Sachkunde eine Einschätzung über die mit der Zahlung verbundenen Risiken abgeben zu können. Damit ist der Bekl durchaus mit einem Finanzdienstleister vergleichbar, der die Risikolosigkeit eines typischen Risikogeschäfts behauptet (RIS-Justiz RS0108074 [T 1, T 5]). Zwar bezog sich seine Auskunft nicht auf das vermittelte Produkt, sondern auf die Abwicklung des Geschäfts. Diese Abwicklung war aber für die Kl im konkreten Fall ähnlich undurchschaubar wie die Anlage in ein ungewöhnliches Finanzprodukt. Der Bekl hätte daher die Auskunft über die „Sicherheit“ dieser Abwicklung nur geben dürfen, wenn ihm entsprechende Tatsachen – etwa eine besondere wirtschaftliche Stärke des dt Unternehmens oder die Übernahme einer Haftung durch den Hersteller – bekannt gewesen wären. Der bloße Umstand, dass bis zu diesem Zeitpunkt anscheinend alle Fahrzeuge ausgeliefert worden waren, reichte als Grundlage für seine Aussage nicht aus. Der Bekl hat daher fahrlässig eine unrichtige Auskunft erteilt. Die Vorinstanzen haben allerdings – aufgrund ihrer Rechtsauffassung folgerichtig – keine Feststellungen zur Frage getroffen, ob diese Auskunft auch kausal für den Vertragsabschluss durch die Kl war. Aus diesem Grund kann derzeit nicht beurteilt werden, ob das Verhalten des Bekl den Schaden der Kl tatsächlich verursacht hat. Die Beweislast dafür trifft die Kl (RIS-Justiz RS0106890). Der Bekl hat vorgebracht, dass die Kl das Risiko der Insolvenz ihres Geschäftspartners selbst tragen müsse. Damit hat er in der Sache einen Mitverschuldenseinwand erhoben.
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Dieser Einwand ist berechtigt. Denn zum einen mussten der hohe Rabatt und die ungewöhnliche Geschäftsabwicklung, an der mehrere Unternehmen beteiligt waren, bei der Kl Zweifel an der Seriosität des Vertriebssystems erwecken. Zum anderen war die Aussage des Bekl, dass das Geschäft abgesehen von einer Insolvenz des Herstellers „sicher“ sei, angesichts der Vorauszahlung an ein anderes Unternehmen eine bloße Behauptung, für die er der Kl jede Begründung schuldig blieb. Dennoch hat sie dieser Aussage unbe-
sehen vertraut und einen hohen Geldbetrag ohne jede Sicherheit an ein ihr unbekanntes Unternehmen überwiesen. Darin liegt eine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten, die jedoch deutlich geringer wiegt als das Verschulden des Bekl, der zwar nach den Feststellungen gutgläubig war, aber doch ohne fundierte Kenntnisse die Risikolosigkeit des Systems zusagte. Das Ausmaß ihres Mitverschuldens ist mit einem Viertel zu bemessen.
Haftung des Anlageberaters bei fremdfinanzierter Veranlagung 1. Der Anlageberater ist nach stRsp verpflichtet, richtig und vollständig über diejenigen tatsächlichen Umstände zu informieren, die für den Anlageentschluss von Bedeutung sind, und hat für unzureichende Kenntnisse einzustehen, wenn er diese nicht offen legt. Der Anlageberater haftet auch dann für die unrichtige Aufklärung über die typischen Risiken, wenn er selbst von der Seriosität des Anlagegeschäfts überzeugt war. 2. Wenn bei begrenzter Risikobereitschaft des Anlageinteressenten zu einem durch einen Fremdwährungskredit finanzierten, in Relation zum Einkommen (hier Rentnerin mit monatl ca E 1.000,–) sehr hohen Veranlagungsvolumen (hier zunächst E 40.000,– und dann weitere E 38.000,–) ohne ent-
sprechende Risikostreuung geraten wird, ist von einem grob fahrlässigen Beratungsfehler auszugehen. 3. Finden sich in dem vom Anlageinteressenten unterfertigten Formular auch Risikohinweise, mit denen Privaten vom Kauf von Wertpapieren auf Kredit generell abgeraten und zum konkreten Wertpapier auch darauf hingewiesen wurde, dass das Risiko eines Teilverlusts bis zum Gesamtverlust des eingesetzten Kapitals bestehe, dann kann von einem Mitverschulden von einem Drittel ausgegangen werden.
§ 1300 ABGB OGH 4. 11. 2010, 8 Ob 9/10 x
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Anmerkung: Zur den erhöhten Pflichten des Anlageberaters bei Fremdfinanzierung der Veranlagung s 2 Ob 236/04 a ecolex 2005/277.
Eigenhaftung des Kapitalanlagevermittlers 1. Besteht kein ausgeprägtes wirtschaftliches Eigeninteresse des Anlagevermittlers am Zustandekommen des Vertrags – der bloße Entgeltanspruch im Innenverhältnis zum Geschäftsherrn genügt hiefür nicht – und wird auch kein besonderes Vertrauensverhältnis in Anspruch genommen, das über jenes hinausgeht, das jedermann seinem Vertrags- oder Verhandlungspartner entgegenbringt, ist eine eigene Haftung des Erfüllungsgehilfen (Anlagevermittlers) als Ausnahme von der abschließenden Regelung des § 1313 a ABGB anzunehmen, wenn der Anlageinteressent klar macht, er wolle – bezogen auf eine bestimmte Anlageentscheidung – die einschlägigen Kenntnisse und Verbindungen des Vermittlers in Anspruch nehmen. Nach der Rsp haftet nicht nur ein Anlageberater, sondern auch der Anlagevermittler für die Verletzung ihn treffender Auskunftspflichten, wenn vom schlüssigen Zustandekommen eines Auskunftsvertrags iSd § 1300 ABGB ausgegangen werden kann. Dass der Berater (Vermittler) nicht vom Kunden, sondern vom Emittenten entlohnt wird, spielt dabei keine Rolle. 2. Anlageberater und -vermittler müssen richtige und vollständige Information über jene tatsächlichen Umstände bieten, die für den Anlageentschluss des Interessenten von besonderer Bedeutung sind (hier stille Beteiligungen an US-Unternehmen). Um dieser Verpflichtung zu entsprechen, müssen sie sich vorher selbst auf zuverlässige Weise über die Wirtschaftlichkeit der Anlage und über die Bonität des Kapitalsuchenden informieren. Verfügt der Berater oder Vermittler nicht über objektive Daten und entspre-
chende Informationen, sondern nur über unzureichende Kenntnisse, muss er dies dem Anlageinteressenten zumindest offenlegen. Der Kunde darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass dem Anlageberater (Vermittler) der nötige Einblick in die angebotene Beteiligung gewährt worden ist. 3. Stille Beteiligungen an einem Unternehmen sind grundsätzlich ein risikoträchtiges Geschäft; auch im Fall betrügerischer Machenschaften ist der Risikozusammenhang anzunehmen, weil der stille Teilhaber keine Sicherheiten und damit keinen besseren Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen als Haftungsgrundlage hat als andere Gesellschaftsgläubiger auch. 4. Der Einwand, durch eigene Investition selbst einem Betrug aufgesessen zu sein, kann den Anlageberater oder -vermittler nicht exkulpieren.
§§ 1300, 1313 a ABGB OGH 24. 11. 2010, 9 Ob 5/10 s
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Der Bekl war selbständiger Vermögensberater und hatte die Vermittlung von stillen Beteiligungen an einer „S***** Inc.“ (im Folgenden kurz: S*****) übernommen. Wie auch andere Vermögensberater war der Bekl vom Schweizer Staatsbürger W***** damit beauftragt worden, stille Beteiligungen an dieser amerikanischen Gesellschaft zu verkaufen, deren Präsident er sei. Bis zum 31. 12. 2006 waren Veranlagungen über eine „H***** H*****“ erfolgt, hinter welcher ebenfalls R***** W***** gestanden war. Ab 2007 sollte die S***** die Veranlagungstätigkeiten übernehmen, wobei es den „H***** H*****“-Anlegern freistand, entweder ihre Einlagen samt vereinbarten Zinsen zurückzuverlangen oder aber in „S*****-Produkte“ zu investieren. Dem Bekl wurden ein Befähigungszeugnis, eine Reisepasskoecolex 2011 309
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pie, ein Strafregisterauszug und eine Meldebestätigung des in Vorarlberg wohnhaften W***** vorgelegt. Im angeführten Zeitraum gab es keine Warnhinweise der FMA bezüglich Tätigkeiten der S***** in Ö. Dem Bekl war bekannt, dass W***** als Präsident und daneben noch eine Sekretärin und ein Wirtschaftsprüfer für die S***** tätig waren. Von Jänner bis Oktober 2007 gab es rund 530 vermittelte Verträge mit einem Volumen von ca 5 Mio Euro. W***** stellte das Produkt (stille Beteiligungen an der S*****) seinen Vermittlern gegenüber als „relativ sicher“ dar, indem er angab, dass zum einen ein Depot mit Grundschuldbriefen zur Verfügung stehe, die auf 70 – 80% belehnt werden könnten und zum anderen er selbst persönlich hafte, sodass nach einem gewissen Zeitraum eine 100%ige Sicherheit der Einlagen garantiert sei. Der Bekl – der Kontakt wurde über die Lebensgefährtin des Kl hergestellt – trat dem Kl gegenüber nur als Vermittler für die S***** auf und erklärte diesem in zwei Beratungsgesprächen die Beteiligungsmöglichkeiten an der S*****, wobei in erster Linie die Rendite von ca 8% jährlich erörtert wurde. Über das Wesen einer stillen Beteiligung wurde nicht gesprochen, doch stellte der Bekl das Produkt als „relativ sicher und risikolos“ dar. Der Bekl wies im Zuge dieser Gespräche darauf hin, dass er selbst Beteiligungen an „H***** H*****“ bwz S***** halte und damit bislang gute Erfahrungen gemacht habe. Tatsächlich war es bis zu diesen Gesprächen im August 2007 zu Auszahlungen an Anleger (in nicht festgestellter Höhe) gekommen. Der Bekl sollte von S***** 5% an Provision für die vermittelten Verträge erhalten. Der Kl unterschrieb nach dem zweiten Gespräch zwei vorbereitete Vertragsformulare über stille Beteiligungen an der S*****, und zwar zu je E 15.000,–, wobei sich die Verträge im Wesentlichen nur dadurch unterschieden, dass einer auf unbestimmte Zeit, jedoch kündbar abgeschlossen war und der andere auf einen bestimmten Zeitraum lautete. Im Oktober oder November 2007 wurde W***** wegen des Verdachts des Anlagebetrugs in Untersuchungshaft genommen und in der Folge deshalb (nicht rechtskräftig) verurteilt. Da der Kl bis 28. 1. 2008 entgegen den Vereinbarungen keine monatlichen Auszahlungen erhalten hatte, erklärte er über Anraten des Bekl mit Schreiben von diesem Tage die „außerordentliche Kündigung“ beider Verträge. Zu einer Auszahlung der veranlagten Gelder kam es bisher nicht.
Aus der Begründung: Die Vereinbarung zwischen einem Anlagevermittler und seinem Geschäftsherrn entfaltet nach hM keine Schutzwirkung zu Gunsten des Kunden. Nach stRsp kann es jedoch zu einer eigenen Haftung des Erfüllungsgehilfen kommen, wenn sein Verhalten keinem Geschäftsherrn zugerechnet werden kann, wenn er ein ausgeprägtes eigenwirtschaftliches Interesse am Zustandekommen des Vertrags hatte oder wenn er bei den Vertragsverhandlungen im besonderen Maße persönliches Vertrauen in Anspruch nahm (1 Ob 182/97 i mwN). Stets muss die Eigenhaftung des Vertreters jedoch die seltene Ausnahme bleiben (6 Ob 249/07 x mwN). Nach den Feststellungen ist auszuschließen, dass ein ausgeprägtes wirtschaftliches Eigeninteresse des Bekl am Zustandekommen des Vertrags bestand; der bloße Entgeltanspruch im Innen310 ecolex 2011
verhältnis zum Geschäftsherrn genügt hiefür nicht (1 Ob 182/97 i). Auch ein besonderes Vertrauensverhältnis, das über jenes hinausgehen muss, das jedermann seinem Vertrags- oder Verhandlungspartner entgegenbringt, ist hier nicht zu erkennen (1 Ob 182/97 i). Eine weitere Ausnahme von der abschließenden Regelung des § 1313 a ABGB wird aber auch dann angenommen, wenn der Anlageinteressent klar macht, er wolle – bezogen auf eine bestimmte Anlageentscheidung – die einschlägigen Kenntnisse und Verbindungen des Vermittlers in Anspruch nehmen (1 Ob 182/97 i). Nach der Rsp haftet nicht nur ein Anlageberater, sondern auch der Anlagevermittler für die Verletzung ihn treffender Auskunftspflichten, wenn vom schlüssigen Zustandekommen eines Auskunftsvertrags iSd § 1300 ABGB ausgegangen werden kann. Regelmäßig wird der stillschweigende Abschluss eines Auskunftsvertrags angenommen, wenn die Umstände des Falls bei Bedachtnahme auf die Verkehrsauffassung und die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs den Schluss rechtfertigen, dass beide Teile die Auskunft zum Gegenstand vertraglicher Rechte und Pflichten machen, etwa wenn klar zu erkennen ist, dass der Auskunftswerber eine Vermögensdisposition treffen und der Berater durch die Auskunft das Zustandekommen des geplanten Geschäfts fördern will (1 Ob 182/97 i, 3 Ob 13/04 i jeweils in RIS-Justiz RS0108073 uva). Dass der Berater (Vermittler) nicht vom Kunden, sondern vom Emittenten entlohnt wird, spielt dabei keine Rolle (RISJustiz RS0026596). Ein solcher Auskunftsvertrag ist auch hier anzunehmen, wo der Bekl dem Kl ein diesem erkennbar völlig unbekanntes Anlageprodukt näher bringen wollte, nämlich die stille Beteiligung an einer unbekannten US-amerikanischen Gesellschaft, deren Bonität auch nicht einmal ansatzweise feststand. Anlageberater und -vermittler (Letzteres trifft auf den Bekl zu) sind daher regelmäßig zur Aufklärung ihrer Kunden über die Risikoträchtigkeit der in Aussicht genommenen Anlage verpflichtet. Sie müssen richtige und vollständige Information über jene tatsächlichen Umstände bieten, die für den Anlageentschluss des Interessenten von besonderer Bedeutung sind. Um dieser Verpflichtung zu entsprechen, muss sich der Anlageberater oder -vermittler vorher selbst auf zuverlässige Weise über die Wirtschaftlichkeit der Anlage und über die Bonität des Kapitalsuchenden informieren. Verfügt der Berater oder Vermittler – wie hier – nicht über objektive Daten und entsprechende Informationen, sondern nur über unzureichende Kenntnisse, muss er dies dem Anlageinteressenten zumindest offenlegen. Der Kunde darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass dem Anlageberater (Vermittler) der nötige Einblick in die angebotene Beteiligung gewährt worden ist (3 Ob 13/04 i; RISJustiz RS0108073). Dass der Berater (Vermittler) – wie hier der Bekl – selbst auf die ihm vom Organ der kapitalsuchenden (angeblich bestehenden) Gesellschaft gegebenen Zusicherungen vertraute, keine näheren Informationen einholte und selbst die Unrichtigkeit der von ihm gegebenen Zusage offenbar nicht zu erkennen vermochte, befreit im Hinblick auf sein
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insoweit fahrlässiges Verhalten nicht (3 Ob 13/04 i; RIS-Justiz RS0108074 [T 1]). Entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanzen kann daher der Einwand, selbst einem Betrug aufgesessen zu sein, den Bekl nicht exkulpieren. Stille Beteiligungen an einem Unternehmen sind grundsätzlich ein risikoträchtiges Geschäft (RIS-Justiz RS0025993); auch im Fall betrügerischer Machenschaften ist der Risikozusammenhang anzunehmen, weil der stille Teilhaber keine Sicherheiten und damit keinen besseren Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen als Haftungsgrundlage hat als andere Gesellschaftsgläubiger auch. Reicht bei risikoträchtigen Geschäften selbst der bloße Hinweis auf einen möglichen Totalverlust nicht aus (RIS-Justiz RS0108073 [T 10]), kann die Darstellung des Produkts als „relativ“ sicher bzw risikolos ohne weitere Aufklärung noch weniger genügen. Als professioneller Anlagevermittler hätte sich der Bekl mit der Zusicherung durch W***** nicht begnügen dürfen, zumal es sich bei der S***** weder um ein allgemein bekanntes noch sonst ausreichend ausge-
wiesenes Unternehmen handelte. Vielmehr wäre zu erwarten gewesen, dass sich der Bekl die für die Beurteilung der Existenz und der Bonität der emittierenden Gesellschaft erforderlichen Unterlagen vorlegen hätte lassen. Wenn dies nicht erfolgt wäre, hätte dies beim Bekl entsprechende Bedenken hervorrufen müssen, die er, wenn er nicht auf die Vermittlung der Beteiligungen überhaupt verzichtet hätte, dem Kl zumindest hätte mitteilen müssen. Dies hat der Bekl aber genauso verabsäumt wie eine Aufklärung über die allgemeinen Gefahren einer stillen Beteiligung. Damit ist seine Haftung gegenüber dem Kl grundsätzlich anzunehmen. Es fehlen aber noch Feststellungen über den vom Bekl bestrittenen Totalverlust der Einlage des Kl, der dafür genauso behauptungs- und beweispflichtig ist wie für die Umstände, die das Verlangen nach einem höheren als dem gesetzlichen Zinssatz rechtfertigen könnten. Außerdem bedarf auch der vom Bekl erhobene Einwand eines Mitverschuldens des Kl der Erörterung.
Sozialhilfeumlage: vermeintliches Anerkenntnis der Gemeinde 1. Ein Sozialhilfeverband iSd § 21 Abs 1 stmk SHG ist ein durch Gesetz geschaffener öffentlich-rechtlicher Rechtsträger. Dessen Anspruch gegenüber einer verbandsangehörigen Gemeinde auf Entrichtung der Sozialhilfeumlage gem § 21 Abs 15 Stmk SHG ist keine vor die ordentlichen Gerichte gehörige „bürgerliche Rechtssache“ iSv § 1 JN. 2. Nach der Rsp können Ansprüche öffentlichrechtlicher Natur dann im Klageweg durchgesetzt werden, wenn sie auf einem privatrechtlichen Rechtsgrund, wie etwa Anerkenntnis, Vergleich oder vertragliche Vereinbarung, gestützt werden. Ein konstitutives Anerkenntnis liegt aber nur vor, wenn der Gläubiger aufgrund eines bestimmen Sachverhalts ernstlich den Bestand einer Forderung behauptet und der Schuldner die Zweifel am Bestand der Forderung durch Anerkenntnis wie bei einem Vergleich beseitigt.
3. Lagen irgendwelche Zweifel über die Verpflichtung der bekl Gemeinde, die Sozialhilfeumlage zu bezahlen, überhaupt nicht vor, sondern bezahlte die bekl Gemeinde vielmehr wegen finanzieller Engpässe nicht, liegen die Voraussetzungen eines konstitutiven Anerkenntnisses nicht vor.
§ 1375 ABGB; § 21 Stmk SHG; § 1 JN OGH 2. 12. 2010, 2 Ob 203/10 g
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Die Kl, ein Sozialhilfeverband iSd § 21 Abs 1 Stmk Sozialhilfegesetz, LGBl 1998/29 in der geltenden Fassung (SHG), begehrt gem § 21 Abs 15 SHG von der bekl Gemeinde die dort geregelte sog Sozialhilfeumlage vorläufig für den Monat März 2010 in Höhe des Klagsbetrags. Die Bekl sei ihrer Zahlungsverpflichtung nach der zitierten Bestimmung nicht nachgekommen. Sie habe den Finanzierungsbedarf anerkannt, jedoch gleichzeitig mitgeteilt, dass es ihr aufgrund ihrer finanziellen Lage unmöglich sei, den Sozialhilferückstand zu begleichen.
Keine besondere Nachforschungspflicht eines (Immobilien-)Doppelmaklers 1. Das Verbot der sog Doppeltätigkeit besteht für Immobilienmakler nicht, weil im Geschäftszweig der Immobilienmakler ein abweichender Geschäftsgebrauch besteht (§ 5 Abs 1 MaklerG) 2. Aus § 3 Abs 1 iVm § 5 Abs 3 MaklerG lässt sich ableiten, dass im Fall der zulässigen Doppelbeauftragung anders als im Fall der Einzelbeauftragung die beiden Maklerverträge dahingehend zu interpretieren sind, dass der Makler zur Wahrung der Interessen der Auftraggeber lediglich im Rahmen des zu erwirkenden Interessenausgleichs verpflichtet ist. 3. Hat der Makler seine Pflichten gegenüber dem Auftraggeber verletzt, kann bei Vorliegen auch der übrigen Voraussetzungen nach allgemeinen Grundsätzen Schadenersatz verlangt werden. Insofern ver-
weist Satz 1 des § 3 Abs 4 MaklerG lediglich auf allgemeines Schadenersatzrecht. 4. Der Immobilienmakler ist Sachverständiger iSd § 1299 ABGB, weshalb von ihm erwartet werden kann, über einschlägige Probleme Bescheid zu wissen und richtige Auskünfte zu erteilen. Er hat daher den Auftraggeber jedenfalls über sämtliche Umstände zu unterrichten, die für die Beurteilung des zu vermittelnden Geschäfts wesentlich sind, er ist jedoch im Rahmen des zu erwirkenden Interessenausgleichs bei zulässiger Doppeltätigkeit nicht verpflichtet, dem Alter der Wohnung nicht entsprechenden Mängeln nachzuforschen, einen Kaufinteressenten im Rahmen der gemeinsamen Besichtigung einer Wohnung auf sichtbare Schäden am Kaufobjekt hinzuweisen und diesen – ohne besonderen Auftrag – von sich
§§ 3, 5 MaklerG; §§ 1295, 1299 ABGB OGH 18. 1. 2011, 4 Ob 186/10 x
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aus darüber aufzuklären, dass der begehrte Kaufpreis den Verkehrswert bei Berücksichtigung dem Makler unbekannter, dem Alter der Wohnung nicht entsprechender Mängel geringfügig übersteigt. Die Kl wusste (wenn auch nicht vom Bekl), dass der Bekl als Doppelmakler sowohl für die Verkäufer als auch für die kl Käuferin tätig ist. Dem Bekl erschien der Kaufpreis für das Objekt angemessen. Die Kl hat die Wohnung vor Kaufabschluss mehrmals besichtigt; ein Mal mit dem Bekl, ein anderes Mal mit einem Bekannten, der selbst Makler ist und sie in der Frage der Preisangemessenheit bestärkte. Zum Zeitpunkt der gemeinsamen Besichtigung durch die Streitteile wies die Wohnung ihrem Alter entsprechende Abnützungen auf; darüber hinausgehende Mängel wurden bei der Besichtigung nicht erkannt. Der Kaufpreis betrug
E 157.469,82 inkl Inventar. Die Bandbreite der tatsächlichen Kaufpreise derartiger Objekte bewegt sich zwischen +/- 15% des Verkehrswerts, der für das gegenständliche Objekt bei entsprechendem Erhaltungszustand E 141.000,– betragen hätte (Bandobergrenze demnach E 162.150,–). Die im Übergabezeitpunkt vorhandenen Mängel berücksichtigte der SV im Vorverfahren über die Provisionsforderung des Bekl mit einem Abschlag in Höhe von 5%. Damit ergibt sich ein Verkehrswert der Wohnung von E 133.950,–. Der Kaufpreis lag somit nur geringfügig (E 3.427,–) über der Obergrenze der Bandbreite tatsächlicher Kaufpreise vergleichbarer Objekte (E 154.042,–). Die Kl begehrte als Schadenersatz die Differenz zwischen Kaufpreis und Verkehrswert der Wohnung und die Feststellung der Haftung für alle Nachteile aus der Verletzung der Pflichten aus dem Maklervertrag.
Verdienstlichkeit des Immobilienmaklers: Flächenabweichung eines Raumes §§ 3, 5, 7 MaklerG OGH 24. 11. 2010, 9 Ob 14/10 i
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1. Eine Mäßigung des Provisionsanspruchs eines Immobilienmaklers nach § 30 b KSchG iVm § 3 Abs 4 MaklerG hat nur dann zu erfolgen, wenn die Verdienstlichkeit des Maklers durch einen Pflichtverstoß geringer als ohne diesen einzustufen ist. Dies ist immer im Einzelfall unter Berücksichtigung der dem Makler erkennbaren Interessen des Auftraggebers zu beurteilen. 2. Weiß der Immobilienmakler bei Übernahme der Vermittlung über ein im Garten vergrabenes
Kunststoffschwimmbad nicht Bescheid und wurde das Schwimmbad vor Abschluss des Kaufvertrags folgenlos entfernt, liegt ebenso wenig eine Minderung der Verdienstlichkeit vor, wie eine vor Kaufabschluss aufgeklärte geringe (ca 5,5%) Flächenabweichung eines Raumes, die den Abnehmer nicht dazu veranlasste, den Kaufpreis (mit Mängelrüge oder Irrtum) anpassen zu lassen.
Mängelbehebungskosten nicht nach PHG ersatzfähig §§ 1, 4 PHG; § 36 IPRG aF OGH 2. 12. 2010, 2 Ob 162/10 b
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1. Nach stRsp des OGH lässt die Verbindung einer beweglichen mit einer unbeweglichen Sache eine einmal gegebene Produkteigenschaft unberührt, sodass etwa der Hersteller oder Importeur fehlerhaften Baumaterials für den dadurch am (übrigen) Gebäude eingetretenen Schaden haftet. Unter Sachschaden ist nicht der am Produkt entstandene Schaden zu verstehen, sondern der sog Folgeschaden, den ein Fehler des Produkts an anderen Sachen als dem fehlerhaften Produkt verursacht hat. Ein bloßer („reiner“) Vermögensschaden, der schon im Rahmen der Produkt-Verschuldenshaftung prinzipiell außer Ansatz bliebe, scheidet aus dem Anwendungsbereich des PHG aus. Zu den bloßen Vermögensschäden zählen auch Mängelbehebungskosten. 2. Die Berufung auf den Vertrag (zwischen bekl Produzentin und erstem Händler) mit Schutzwirkung zugunsten Dritter versagt, wenn der Produzent seinen Sitz in Deutschland hat und somit auf diesen Vertrag (nach dem damals geltenden § 36 IPRG) dt Recht anzuwenden ist. Dort wird der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter als Anspruchsgrundlage für die Produzentenhaftung abgelehnt. Die in Deutschland ansässige Bekl war Herstellerin einer Unterspannbahn (Dachfolie) und brachte diese 1997 und 1998 in Deutschland auf den Markt. Derartige Folien wurden auch in Österreich im Baustoffhandel verkauft. Die Bekl wollte bei Verkauf der gegenständlichen
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Folie an Großhändler zwar das Produkt verkaufen und dafür den Kaufpreis einnehmen, sie wollte aber keine über die gesetzlichen Bestimmungen sowie die Garantieerklärung hinausgehenden Verpflichtungen eingehen, insb nicht einen ihr unbekannten Kreis von Endverbrauchern über die gesetzliche Verpflichtung bzw die Garantieerklärung hinausgehend schützen. Nach dieser Garantieerklärung beträgt die Garantiezeit fünf Jahre, die bei Bauabnahme, spätestens jedoch sechs Monate nach Auslieferung des Materials beginnt. Im Oktober 1998 kaufte der Kl 324 m2 der Dachfolie bei einer Zimmerei und verlegte sie fachgerecht auf seinem Einfamilienhaus. Danach wurde das Dach von einem Fachunternehmen eingedeckt. Durch den Sturm Kyrill am 18. und 19. 1. 2008 kam es zu einer Verrückung einzelner Dachziegel am Dach des Kl, sodass die Unterdachbahn erstmals frei sichtbar wurde. Dadurch entdeckte der Kl, dass sich die Dachfolie auflöste, und zwar war sie auf der besonnten Seite des Hauses völlig zerstört, im Übrigen schadhaft. Im gesamten Dachbereich hatte die Dachfolie die ursprüngliche Schutzwirkung (Abhaltung von Witterungseinflüssen) verloren, sodass Wasser von der Folie nicht vom Eindringen in unter der Folie liegende Teile des Daches abgehalten würde. Dennoch ist es bisher zu keinen Folgeschäden am Dach bzw anderen Gebäudeteilen gekommen, es ist lediglich die Dachfolie selbst schadhaft bzw zerstört. Die Dachfolie erfüllt nicht einmal annähernd die Eigenschaften, die dem jeder Rolle der Folie angeschlosse-
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nen Produktdatenblatt zu entnehmen sind, und zwar auch nicht an der Nordseite, wo die Folie weniger beeinträchtigt ist. Der Grund für diese Auflösungserscheinungen liegt in der mangelnden Hitzebeständigkeit. Zur Sanierung muss die schadhafte Folie durch eine neue Folie ersetzt werden, was voraussetzt, dass die Dachziegel abgenommen und nach dem Austausch der Folie wieder aufgelegt werden. Die Wiederherstellungskosten bei Beauftragung eines Fachunternehmens (Arbeitszeit für Facharbeiter und Helfer, Material in Form von Dachziegeln und neuer Dachfolie) für den Teil der Dachfläche, bei der die gegenständliche Dachfolie verwendet wurde, betragen E 24.379,16 (inkl USt). Materialanteil für die neue Dachfolie beträgt E 816,– (inkl USt).
Aus der Begründung: Wird durch den Fehler eines Produkts eine von dem Produkt verschiedene körperliche Sache beschädigt, so haftet für den Ersatz des Schadens gem § 1 Abs 1 PHG der Hersteller, der Inverkehrbringer oder der Importeur. Nach mittlerweile stRsp des OGH lässt die Verbindung einer beweglichen mit einer unbeweglichen Sache eine einmal gegebene Produkteigenschaft unberührt, sodass etwa der Hersteller oder Importeur fehlerhaften Baumaterials für den dadurch am (übrigen) Gebäude eingetretenen Schaden haftet (RIS-Justiz RS0071532). Unter Sachschaden ist nicht der am Produkt entstandene Schaden zu verstehen, sondern der sog Folgeschaden, den ein Fehler des Produkts an anderen Sachen als dem fehlerhaften Produkt verursacht hat. Ein bloßer „reiner“ Vermögensschaden, der schon im Rahmen der Produkt-Verschuldenshaftung prinzipiell außer Ansatz bliebe, scheidet aus dem Anwendungsbereich des PHG aus (RIS-Justiz RS0111170). Zu den bloßen Vermögensschäden zählen auch Mängelbehebungskosten (RIS-Justiz RS0111982 [T 2]). Entgegen der Auffassung des BerG ist der Fall 2 Ob 162/97 f mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Zum einen ist darauf zu verweisen, dass
dort die Frage, ob der Schaden an der Verfliesung des Schwimmbads, der durch das fehlerhafte Abdichtungsmaterial entstanden war, ein solcher sei, für den nach PHG gehaftet werde, nicht entscheidungsrelevant war. Zum anderen sind die abgefallenen Fliesen gegenüber dem Produktabdichtungsmaterial eine „verschiedene körperliche Sache“. Im vorliegenden Fall steht aber fest, dass am Dach des Hauses des Kl, von der das Produkt bildenden Dachfolie abgesehen, keinerlei Schaden aufgetreten ist. Schließlich ist darauf zu verweisen, dass das PHG einen verschuldensunabhängigen, va Konsumenten begünstigenden Mindestschutz gewährt, es aber nicht Aufgabe der Produkthaftung ist, alle nachteiligen Folgen auszugleichen (RIS-Justiz RS0111171). Auch die übrigen vom Kl ins Treffen geführten Anspruchsgrundlagen vermögen den geltend gemachten Anspruch nicht zu begründen: Die Berufung des Kl auf den Vertrag (zwischen bekl Produzentin und erstem Händler) mit Schutzwirkung zugunsten Dritter versagt, weil die Bekl ihren Sitz in Deutschland hat und (sofern der erste Händler nicht ohnehin ebenfalls in Deutschland seinen Sitz hatte) somit auf diesen Vertrag (gemäß dem damals geltenden § 36 IPRG) deutsches Recht anzuwenden ist. Danach wird aber der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter als Anspruchsgrundlage für die Produzentenhaftung abgelehnt (BGHZ 51, 91; Wagner in MünchKomm BGB5 [2009] § 823 Rz 592 mwN; Palandt, BGB68 § 328 Rz 27, § 15 ProdHaftG Rz 6; vgl auch Koziol, Haftpflichtrecht II2 94). Entsprechendes würde für die allfällige Verletzung einer vertraglichen Produktbeobachtungspflicht gelten (vgl hiezu 2 Ob 309/99 a; Welser/Rabl, PHG2 § 5 Z 57 ff mwN). Selbst bei einem deliktischen Ansatz (Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht; vgl Welser/Rabl, aaO Rz 59 aE; Wagner, aaO Rz 645 ff) ließe sich aus den vorinstanzlichen Feststellungen keine Pflichtverletzung der Bekl ableiten.
Verjährung nach AÖSp bei innerstaatlichen Transporten außerhalb Österreichs 1. Die Anwendung der CMR auch im Inland ist ein österreichisches Spezifikum. Die Anwendung der CMR kommt mangels eines grenzüberschreitenden oder inländischen (§ 439 a Abs 1 UGB) Transports nicht in Betracht. Die Annahme einer Regelungslücke in § 439 a UGB ist nicht gerechtfertigt. 2. Da die CMR auf Transporte im Ausland (der Schadensfall ereignete sich auf der letzten Teilstrecke von Durban nach Pretoria), die dort nicht grenzüberschreitend sind, nicht anwendbar sind, ist für den Teilstreckentransport auf die allgemeinen Bestimmungen des UGB zurückzugreifen. Nach § 439 iVm § 414 UGB verjähren zwar die Ansprüche aus dem Frachtvertrag innerhalb eines Jahres, doch kann die Verjährungsfrist durch Vereinbarung verkürzt werden. Durch die Vereinbarung der AÖSp, die in § 64 eine solche Verkürzung vorsehen, gilt daher eine sechsmonatige Frist.
Aus der Begründung: Die Revision gesteht ausdrücklich zu, dass auf das vorliegende Vertragsverhältnis österreichisches Recht anzuwenden ist (§ 65 lit c AÖSp), vertritt jedoch die Auffassung, der im Rahmen des multimodalen Transports auf der (letzten) Teilstrecke von Durban nach Pretoria eingetretene Transportschaden sei nach den zwingenden Bestimmungen der CMR zu beurteilen, welche nach § 439 a UGB für alle nicht grenzüberschreitenden Straßentransporte zu gelten hätten, die nach österreichischem Recht zu beurteilen seien, also auch für rein innerstaatliche Transporte außerhalb Österreichs. Der OGH habe sich mit dieser Frage noch nie beschäftigt. Demgegenüber hat der OGH in 7 Ob 235/09 y, die einen vergleichbaren Fall betraf (der nach österr Recht zu beurteilende Schadensfall trat bei einem
§ 439 a UGB; Art 1 CMR; § 64 AÖSp OGH 19. 1. 2011, 7 Ob 98/10 b
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Transport auf einer Teilstrecke innerhalb der USA ein), bereits ausgeführt, dass die Anwendung der CMR in einer solchen Konstellation schon mangels eines grenzüberschreitenden oder inländischen (§ 439 a Abs 1 HGB) Transports nicht in Betracht kommt (unter Hinweis auf de la Motte/Temme in Thume, CMR-Kommentar2 Art 1 Rn 21). Dies wurde in 7 Ob 145/10 i, die sich ebenfalls mit den hier maßgebenden Fragen befasst, näher begründet wie folgt: Nach österr Recht unterliegen den CMR Verträge über die entgeltliche Beförderung von Gütern auf der Straße mittels Fahrzeugen, wenn der Ort der Übernahme des Guts und der für die Ablieferung vorgesehene Ort in zwei verschiedenen Staaten liegen, von denen mindestens einer ein Vertragsstaat ist (Art 1 Z 1 CMR). Weiters sind auf eine derartige entgeltliche Beförderung mit hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen auch die CMR anzuwenden, sofern der vertragliche Ort der Übernahme oder der vertragliche Ort der Ablieferung des Guts im Inland liegt (§ 439 a UGB). Im vorliegenden Fall war der Transport auf der Teilstrecke, auf der der Schaden eingetreten ist, weder grenzüberschreitend noch ,,inländisch , weshalb die Anwendung der CMR nicht in Betracht kommt (7 Ob 235/09 y). Für diese Auslegung des § 439 a UGB spricht auch die klar dokumentierte Intention des Gesetzgebers, der das ,,Regelungsbedürfnis zur Einführung des § 439 a HGB (nunmehr UGB) ausdrücklich mit dem Fehlen zwingender Vorschriften für das Frachtgeschäft ,,im rein innerösterreichischen Straßengüterverkehr begründet hat (ErläutRV 1234 BlgNR 17. GP 3). Auch Jesser, Anmerkungen zum Binnen-Güterbeförderungsgesetz, ecolex 1990, 600 unterstellt dieses Verständnis. Ebenso gehen Schütz in Straube, HGB3 § 439 a Rz 7 und Csoklich in Jabornegg/Artmann, UGB2 § 439 a Rz 5 von einem Regelungsinhalt aus, der die Anwendung der CMR auf nicht grenzüberschreitende Transporte im Ausland verhindert. Schütz meint, es liege eine Regelungslücke vor. Sachgerechter wäre ein Wortlaut des § 439 a HGB, wonach die CMR (entsprechend eingeschränkt) auf alle näher beschriebenen Verträge anzuwenden seien, die nicht ohnedies schon nach Art 1 den CMR unterlägen. Csoklich will eine ungewollte Regelungslücke erkennen und tritt für eine Analogie ein. Die Meinung, dass eine ungewollte Regelungslücke vorliegt, kann schon im Hinblick auf die ErläutRV nicht geteilt werden. Der Gesetzgeber wollte demnach eindeutig nur den Transport für das (öster-
reichische) Inland regeln. Diese zunächst in das HGB eingefügte Bestimmung wurde auch in das UGB übernommen. Die Anwendung der CMR auch im Inland ist ein österr Spezifikum (diese Bestimmung fehlt zB im dt Recht), das sich aus den Motiven des Gesetzgebers erklären lässt. Eine durch Analogie zu schließende Regelungslücke ist nicht erkennbar. Da die CMR auf Transporte im Ausland, die dort nicht grenzüberschreitend sind, nicht anwendbar sind, ist für den Teilstreckentransport auf die allgemeinen Bestimmungen des UGB zurückzugreifen. Nach § 439 iVm § 414 UGB verjähren zwar die Ansprüche aus dem Frachtvertrag innerhalb eines Jahres, doch kann die Verjährungsfrist durch Vereinbarung verkürzt werden. Durch die Vereinbarung der AÖSp, die in § 64 eine solche Verkürzung vorsehen, gilt daher für den vorliegenden Schadensfall eine sechsmonatige Frist. Diese war im Zeitpunkt der Klagseinbringung abgelaufen. Der Anspruch ist daher, wie die Vorinstanzen zutreffend erkannten, verjährt. Da die Beurteilung, dass die Anwendbarkeit der CMR auf den vorliegenden Fall aus § 439 a UGB nicht abzuleiten ist, der zitierten Rsp des OGH entspricht, ist insoweit keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zu beantworten. Im Übrigen beruft sich die außerordentliche Revision auf eine Anwendbarkeit der Bestimmungen der CMR gem § 413 UGB. Auch damit wird jedoch keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt; ginge man nämlich – entgegen der Beurteilung der Vorinstanzen – davon aus, dass eine für die Annahme einer Fixkostenspedition erforderliche Vereinbarung zwischen Spediteur und Versender über einen „bestimmten Satz der Beförderungskosten“ getroffen wurde, würde dies lediglich bedeuten, dass der bekl Spediteur ausschließlich die Rechte und Pflichten eines Frachtführers hätte (§ 413 Abs 1 Satz 1 UGB). Auf den vorliegenden Schadensfall wäre dann (zwar) Frachtrecht anzuwenden; weiterhin jedoch nicht die CMR: Sind ihre Normen doch – wie bereits dargelegt – auf nicht grenzüberschreitende Transporte im Ausland unanwendbar, weshalb auf die allgemeinen Bestimmungen des UGB zurückgegriffen werden muss. Die Ansprüche aus dem Frachtvertrag verjähren zwar nach § 439 iVm § 414 UGB innerhalb eines Jahres, doch kann die Verjährungsfrist durch Vereinbarung verkürzt werden. Genau dies geschah durch § 64 AÖSp. Da auch die vorliegende Klage zwar innerhalb einer einjährigen, nicht jedoch innerhalb der sechsmonatigen Frist von § 64 AÖSp erhoben wurde, ist der Anspruch jedenfalls verjährt.
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Verschleierung Verhältnis Gewährleistung – Garantie in AGB § 6 Abs 3, §§ 28, 29 KSchG OGH 23. 11. 2010, 1 Ob 164/10 i
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Folgende gegenüber Verbrauchern in Vordrucken für Reparaturaufträge enthaltene Bestimmungen eines bundesweit im Handel im Bereich der Unterhaltungselektronik, Foto und Optik tätigen Unternehmens sind intransparent und verstoßen daher gegen § 6 Abs 3 KSchG (beanstandete Klauselteile kursiv): „Garantie-Antrag: Wenn die Kosten aus welchen Gründen auch immer vom Hersteller nicht gedeckt werden, werden die gesamten entstandenen Kosten vom Kunden übernommen (Klausel 1) (nicht beanstandeter
Klauselteile): Reparaturbedingungen: Reparaturen können nur gegen sofortige Bezahlung ausgefolgt werden. Reklamationen bitten wir innerhalb von drei Tagen bekannt zu geben, da diese sonst nicht mehr anerkannt werden können. Für die auf den Geräten gespeicherten Daten und Einstellungen übernehmen wir keine Haftung. Für nicht abgeholte Geräte müssen wir uns vorbehalten, diese nach 6 Monaten zu veräußern. Der Kunde bestätigt und akzeptiert die Bedingungen des L*****kaskos (Klausel 2). Eventuelle
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Selbstbehalte werden anerkannt oder die Reparatur/ der Ersatz nicht durchgeführt.“
Aus der Begründung: Zur Klausel 1: Voranzustellen ist, dass bei einer vertraglichen Garantie der Übergeber oder ein Dritter (zB der Hersteller oder Importeur) seine Verpflichtung erklärt, eine mangelhafte Sache zu verbessern, auszutauschen, den Kaufpreis zu ersetzen oder sonst Abhilfe zu schaffen (§ 9 b KSchG, dazu Eccher in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 9 b KSchG Rz 2 f). Die Verpflichtung aus der Garantie tritt zur gesetzlichen Gewährleistungsverpflichtung des Übergebers hinzu (4 Ob 96/89). Wenn der Verbraucher auf die ihm gegenüber der Bekl als Übergeber zustehenden Gewährleistungsrechte nicht hingewiesen wird, wird dem sich aus § 6 Abs 3 KSchG ergebenden Vollständigkeitsgebot nicht Rechnung getragen. Ohne diesen Hinweis bleibt für den Verbraucher unklar, ob die gesetzliche Gewährleistungspflicht der Bekl neben der vertraglichen Garantiezusage besteht oder durch diese eingeschränkt oder gar ausgeschlossen ist. Zwecks Vermeidung gerade dieser Irreführung normiert § 9 b Abs 1 KSchG ausdrücklich die Verpflichtung des Garanten, den Verbraucher auf dessen gegenüber dem Übergeber bestehende gesetzliche Gewährleistungsrechte sowie darauf hinzuweisen, dass diese durch die Garantie nicht eingeschränkt werden. Fehlt der Hinweis auf die gesetzliche Gewährleistungspflicht der Bekl, ist die Klausel geeignet, dem Kunden ein unzutreffendes Bild seiner Position als Gewährleistungsberechtigter zu vermitteln und den Eindruck zu erwecken, es werde neben der Garantie des Herstellers keine (zusätzliche) Mängelhaftung des Übergebers geboten; der Verbraucher kann so von der Durchsetzung seiner Gewährleistungsrechte abgehalten werden. Diese Auswirkungen ergeben sich selbst dann, wenn man davon ausgehen wollte, dass einem für die Vertragsart typischen Verbraucher der Unterschied zwischen Gewährleistung und Garantie bekannt ist. Das von der Bekl selbst der Klausel beigelegte Verständnis (nach dem auf ihr Schuldverhältnis zum Kunden die §§ 922 f ABGB und § 8 KSchG anzuwenden seien) ist im Verbandsprozess nicht maßgeblich (1 Ob 224/06 g). Aus diesen Gründen entspricht die Beurteilung der zweiten Instanz, es fehle der Klausel die erforderliche Transparenz iSd § 6 Abs 3 KSchG, der Rsp des OGH. Zur Klausel 2: Dass das BerG dem Einwand der Bekl, die Klausel stelle eine der Prüfung im Verbandsprozess nicht unterliegende „Tatsachenbestätigung“ dar, nicht folgte,
wirft schon deshalb, weil es auf der Hand liegt, dass die Erklärung des Kunden, Vertragsbedingungen zu „akzeptieren“, geeignet ist, Rechtsfolgen herbeizuführen, keine erheblichen Rechtsfragen auf. Auch in ihrer Revision gesteht die Bekl zu, dass im Reparaturauftrag auf die Bedingungen des „L*****kaskos“ verwiesen werde, ohne dass diese Bedingungen dem Kunden zwecks Kenntnisnahme zur Verfügung gestellt würden. Wird aber in einer Klausel auf eine andere (dem Kunden nicht vorliegende) Norm verwiesen, ist die Klausel grundsätzlich als unvollständig zu qualifizieren; sie entspricht nicht dem Erfordernis, dass sich der Inhalt einer Vertragsbestimmung aus dieser selbst ergeben muss (Schurr in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, aaO § 6 Abs 3 KSchG Rz 37 mwN). Für den Kunden bleibt gänzlich offen, welchen Inhalt die Bedingungen des „L*****kaskos“ haben. Die Auswirkungen seiner Erklärung sind wegen der Unbestimmtheit des Inhalts nicht absehbar, sodass für ihn die Tragweite der Klausel nicht „durchschaubar“ ist (RIS-Justiz RS0122169). Entgegen der Auffassung der Bekl wird die strittige Klausel auch nicht durch das Vorbringen klarer, sie finde ausschließlich dann Verwendung, wenn der Kunde angegeben habe, anlässlich des Kaufvertrags bereits ein „L*****kasko“ abgeschlossen zu haben. Wird nämlich eine an sich intransparente Klausel nur aufgrund zusätzlicher Darlegungen des Unternehmers ausreichend verständlich gemacht, hat dies keinen Einfluss auf die gerichtliche Beurteilung der Klausel aufgrund einer Verbandsklage. Im Verbandsprozess kann zudem auf individuelle Vereinbarungen, die zwischen dem Unternehmer und dem Verbraucher geschlossen wurden, keine Rücksicht genommen werden. Wie schon die Vorinstanzen aufgezeigt haben, bliebe außerdem offen, ob die Bedingungen des „L*****kaskos“ in jener Fassung gelten sollen, die zum Zeitpunkt des Ankaufs der Ware in Geltung stand oder in einer zwischenzeitig allenfalls geänderten Fassung. Dass – wie die Bekl vermeint – lediglich auf die bereits bei Ankauf der Ware abgeschlossenen Bedingungen in deren zum damaligen Zeitpunkt geltenden Fassung hingewiesen werde, ist für den mit der Klausel konfrontierten Kunden nicht erkennbar. Der Grundsatz, im Rahmen der Verbandsklage habe die Auslegung von Klauseln im „kundenfeindlichsten“ Sinn zu erfolgen (RIS-Justiz RS0016590), lässt eine Auslegung iS dieses Standpunkts der Bekl nicht zu. Die Ansicht des BerG, auch diese Klausel sei wegen Verstoßes gegen § 6 Abs 3 KSchG nichtig, hält sich somit im Rahmen der bisherigen Rsp.
Feststellungsklage auf Nichthaftung als Interzedent bzw Mäßigung 1. Steht fest, dass der Darlehensgeber den Interzedenten gemahnt hat und dass er beabsichtigt, diesen im Falle des Zahlungsverzugs mit Kreditraten als Bürgen und Zahler in Anspruch zu nehmen, genügt dies, um ein rechtliches Interesse am Feststellungsbegehren, dass die Zahlungsverpflichtung der Kl aus den Bürgschaftsverträgen nicht bestehe (§ 25 c KschG), zu begründen.
2. Für die Anwendung des richterlichen Mäßigungsrechts nach § 25 d KSchG besteht aber im Rahmen des Feststellungsbegehrens kein Raum. 3. Gelangt nämlich der ursprünglich einkommens- und vermögenslose Mithaftende später zu Einkommen oder Vermögen, so soll er mangels sozialen Bedarfs von der Schutzbestimmung nicht erfasst werden. Eine entsprechende teleologische Reduktion der Bestimmung ist daher geboten.
§§ 25 c, 25 d KSchG; § 228 ZPO OGH 19. 1. 2011, 7 Ob 219/10 x
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ZIVIL- UND UNTERNEHMENSRECHT § 31 WRG OGH 14. 9. 2010, 1 Ob 152/10 z
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Geschäftsführer haften nach § 31 WRG solidarisch mit der Gesellschaft 1. Von der Haftung des § 31 Abs 1 WRG wird nicht nur der Anlagenbetreiber, sondern auch der unmittelbare Verursacher erfasst, und zwar unabhängig davon, ob dessen schädliche Einwirkungen auf Gewässer durch organisatorische oder aber durch faktische Maßnahmen oder Unterlassungen verursacht wurden. Daher haften Geschäftsführer im Fall der Zurechnung der schädlichen Einwirkung gemeinsam mit der Anlagenbetreiberin als unmittelbare Täter solidarisch. 2. Der Gesetzgeber hat für die Bestimmung des nach § 31 Abs 1 WRG – und damit auch für den Anwendungsbereich von Abs 2 Satz 1 und Abs 3 – Verpflichteten eine sehr weitgehende Formulierung („jedermann“) gewählt. Sollte er ungeachtet dessen aus rechtspolitischen Gründen eine Beschränkung auf bestimmte Personen für sachgerechter halten, ist es seine Sache, für eine ausreichende Klarstellung zu sorgen und praktikable Abgrenzungskriterien zu statuieren. 3. Der Liegenschaftseigentümer haftet bei einer Mehrheit von Verursachern nur dann, wenn der Kostenersatz von allen solidarisch Haftenden nicht hereingebracht werden kann.
Aus der Begründung: § 31 Abs 1 WRG verpflichtet jeden, dessen Anlagen, Maßnahmen oder Unterlassungen eine Einwirkung auf Gewässer herbeiführen können, die Anlagen so herzustellen, instand zu halten und zu betreiben oder sich so zu verhalten, dass eine Gewässerverunreinigung vermieden wird. Mehrere Verursacher haften jedenfalls solidarisch (RIS-Justiz RS0111936). Diese primäre Verursacherhaftung schließt die in § 31 Abs 4 WRG geregelte subsidiäre Ersatzpflicht des Liegenschaftseigentümers (hier Antragstellerin) grundsätzlich aus (1 Ob 173/97 s SZ 70/222; RIS-Justiz RS0108335). Der Liegenschaftseigentümer haftet bei einer Mehrheit von Verursachern also nur dann, wenn der Kostenersatz von allen solidarisch Haftenden nicht hereingebracht werden kann (1 Ob 65/ 08 b RIS-Justiz RS0108335 [T 2]). Die Antragsgegnerin bezweifelt in ihrem Revisionsrekurs weder die Verursacherhaftung jener – in Konkurs verfallenen – GmbH, deren konsenswidrig gelagerte, in Brand geratene Abfälle sofortige Maßnahmen zur Vermeidung von Grundwasserverunreinigung erfordert hatten, noch den Grundsatz der subsidiären Ersatzpflicht des Liegenschaftseigentümers. Sie meint aber, nur die Kapitalgesellschaft zähle zu den durch § 31 Abs 1 WRG Verpflichteten, keinesfalls aber deren Geschäftsführer oder sonstige Mitarbeiter. Entgegen dieser Auffassung hat der OGH in seiner – auch schon von den Vorinstanzen zitierten – E 1 Ob 65/08 b klargestellt, dass nicht nur der Anlagenbetreiber, sondern auch der unmittelbare Verursacher von § 31 Abs 1 WRG erfasst wird, und zwar unabhängig davon, ob dessen schädliche Einwirkungen auf Gewässer durch organisatorische oder aber durch faktische Maßnahmen oder Unterlassungen verursacht wurden. Ausdrücklich genannt werden Geschäftsführer der Anlagenbetreiberin, die im Fall der 316 ecolex 2011
Zurechnung der schädlichen Einwirkung gemeinsam mit der Betreiberin als unmittelbare Täter solidarisch haften. Diese Mithaftung von Geschäftsführern wird auch in der Lehre (Oberleitner, WRG2 § 31 Rz 13) und der Judikatur des VwGH (VwGH 24. 4. 2003, 2002/07/0018 VwSlg 16.069 A/2003) befürwortet. Weder die im Revisionsrekurs erwähnte Kritik Wagners (Jahrbuch des österreichischen und europäischen Umweltrechts 2009, 83) an 1 Ob 65/08 b noch die ebenfalls zitierten ErläutRV 1152 BlgNR 17. GP 27 zwingen zu der von der Antragsgegnerin angestrebten Beurteilung, bereits die Insolvenz der Anlagenbetreiberin müsse zur Haftung des Grundeigentümers führen. Wagner sieht die in der zitierten E – in einem Beisatz – erwähnte Haftung anderer (als der Geschäftsführer) Mitarbeiter nach dem Konkurs der Betreibergesellschaft als zu weit. Ein Unternehmer hafte für die durch seinen Gehilfen verursachte Verunreinigung, während der Gehilfe selbst nicht Leistungspflichtiger nach § 31 WRG sei. Zunächst sind Geschäftsführer nicht „einfach nur Gehilfen“ eines Unternehmers, sie haben das Unternehmen zu leiten und zu führen. Der gewerberechtliche Geschäftsführer ist dabei insb für die Einhaltung gewerberechtlicher Vorschriften und Anordnungen verantwortlich. Die zitierten Materialien zählen drei Fälle auf, in denen die Beseitigungskosten dem Grundeigentümer auferlegt werden sollen: Ein Verursacher ist nicht bekannt, nicht mehr existent (liquidierte Gesellschaft oder Ähnliches) oder nicht (mehr) entsprechend leistungsfähig. Das heißt noch lange nicht, dass bei mehreren Verursachern, die nicht alle unbekannt (die Verantwortlichkeit auch ehemaliger Geschäftsführer ließe sich wohl ohne besonderen Aufwand feststellen), nicht mehr existent oder nicht mehr leistungsfähig sind, der Grundeigentümer haften muss. Eine derartige Interpretation widerspräche dem eindeutigen Gesetzestext des § 31 Abs 1 WRG, der die Verursacherhaftung eben nicht auf denjenigen beschränkt, der eine Anlage betreibt. Im konkreten Fall musste den Geschäftsführern das Problem der konsenswidrigen Lagerung ja auch deshalb bewusst sein, weil diese mehrfach von der Liegenschaftseigentümerin und auch von der zuständigen Behörde beanstandet wurde. Sie wären daher gem § 31 Abs 2 WRG verpflichtet gewesen, die zur Vermeidung einer Gewässerverunreinigung erforderlichen Maßnahmen zu treffen, zumal evident ist, dass die (konsenswidrige) Lagerung nicht ohne den Willen der Geschäftsführer vorgenommen (und aufrechterhalten) wurde. Die im Revisionsrekurs zitierte E des VwGH vom 21. 1. 2003, 2001/07/0105, verneint zwar die Haftung ehemaliger Komplementäre einer gelöschten Kommanditgesellschaft (Anlagenbetreiberin), bezieht sich dabei aber in der Begründung ausschließlich auf die persönliche Haftung der Komplementäre nach den §§ 128, 161 Abs 2 HGB, welche die Haftung der Gesellschafter für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch die Gesellschaft nicht erfasse. Sie spricht dabei mit keinem Wort eine Geschäftsführungsbefugnis der persönlich haftenden Gesellschaf-
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ter, also die ihnen mögliche Einflussnahme auf eine Gewässerverunreinigung oder deren Vermeidung, als Kriterium für ihre Stellung als Verpflichtete iSd § 31 Abs 1 WRG an. Die Auffassung der Vorinstanzen, insb die beiden – im erstinstanzlichen Beschluss auch benannten – Geschäftsführer zu den solidarisch haftenden Mitverursachern zu zählen und die subsidiäre Haftung der Antragsgegnerin davon abhängig zu machen, dass der Kostenersatz von allen solidarisch Haftenden nicht hereingebracht werden kann, entspricht damit
den von der höchstgerichtlichen Judikatur entwickelten Kriterien. Der Gesetzgeber hat für die Bestimmung des nach § 33 Abs 1 WRG – und damit auch für den Anwendungsbereich von Abs 2 Satz 1 und Abs 3 – Verpflichteten eine sehr weitgehende Formulierung („jedermann“) gewählt. Sollte er ungeachtet dessen aus rechtspolitischen Gründen eine Beschränkung auf bestimmte Personen für sachgerechter halten, ist es seine Sache, für eine ausreichende Klarstellung zu sorgen und praktikable Abgrenzungskriterien zu statuieren.
Verfall statt Abschöpfung der Bereicherung im österreichischen im Dezember 2010 verabschiedete strafrechtliche Strafrecht Das Kompetenzpaket (BGBl I 2010/108) führte ua zur
WIRTSCHAFTSSTRAFRECHT BETREUT VON G. WILHELM
Umgestaltung der Abschöpfung der Bereicherung (§ 20 StGB aF) und des Verfalls (§ 20 b StGB aF) in einen umfassenden Verfall neuen Typs (§§ 20 – 20 c StGB nF). Damit ging ein Wechsel vom bisher maßgeblichen Netto- zum Bruttoprinzip einher. Im Folgenden werden Anwendungsbereich und Rechtsnatur des Verfalls neuen Typs erörtert, ehe sich der Beitrag der Abgrenzung des Verfalls zur ebenfalls neu eingeführten Konfiskation (§ 19 a StGB)1) widmet. HUBERT HINTERHOFER
A. Anwendungsbereich 1. Verfall (§§ 20 – 20 a StGB) Nach § 20 Abs 1 StGB hat das Gericht alle Vermögenswerte, die für die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung oder durch sie erlangt wurden, für verfallen zu erklären. Der Begriff Vermögenswerte beinhaltet alle wirtschaftlichen Vorteile, die in Zahlen ausgedrückt werden können.2) Neben körperlichen Sachen (zB die Geld- oder Schmuckbeute) zählen auch Forderungen (Bankguthaben) und sonstige wirtschaftliche Werte, wie etwa geldwerte Dienstleistungen (zB betrügerisch erschwindelte Reise), dazu.3) Gem § 20 Abs 2 StGB erstreckt sich der Verfall auch auf Nutzungen (Zinsen, Dividenden, Miet- und Pachteinnahmen) und Ersatzwerte (zB der Verkaufserlös) jener Vermögenswerte, die nach § 20 Abs 1 StGB für verfallen zu erklären sind.4) Der Täter hat einen Vermögensvorteil iSd § 20 Abs 1 StGB durch die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung erlangt, wenn die Tat kausal für die eingetretene Vermögensvermehrung war.5) Dies gilt insb für die Beute zB bei einem Raub oder für Gewinne aus (sonstigen) Vermögensstraftaten.6) Ein Vermögensvorteil ist außerdem dann gem § 20 Abs 1 StGB für verfallen zu erklären, wenn der Täter diesen für die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung empfangen hat. Damit wird die Belohnung erfasst, die der Täter von dritter Seite für die Vornahme der Straftat erhält.
Schon durch den Wechsel von der Abschöpfung der (bloßen) Bereicherung (§ 20 StGB aF) hin zu einem umfassenden Verfall von Vermögenswerten (§ 20 StGB nF) wird deutlich, dass das bisherige Nettoprinzip durch das Bruttoprinzip ersetzt wird.7) Aufwendungen des Täters haben also nunmehr bei der Berechnung der für verfallen zu erklärenden Vermögenswerte außer Betracht zu bleiben. § 20 Abs 3 StGB normiert den sog Wertersatzverfall. Können dem Verfall nach § 20 Abs 1 oder 2 StGB unterliegende Vermögenswerte nicht sichergestellt oder beschlagnahmt werden (§§ 110 ff StPO), insb weil der betreffende Vermögenswert nicht aufgefunden wurde,8) hat das Gericht einen Geldbetrag für verfallen zu erklären, der den vom Täter erlangten Vermögenswerten entspricht. Primär für diesen Fall ist die Regelung des § 20 Abs 4 StGB relevant. DaDr. Hubert Hinterhofer ist Professor für Straf- und Strafverfahrensrecht (Schwerpunkt: Wirtschafts- und Europastrafrecht) an der Universität Salzburg. 1) Siehe zu dieser neuen Sanktion jüngst Hinterhofer Die Konfiskation – oder: Erweiterung des Sanktionensystems im österreichischen Strafrecht, ecolex 2011, 216. 2) ErläutRV 918 BlgNR 24. GP 7. 3) Siehe zu § 20 StGB aF Fuchs/Tipold, WK-StGB § 20 Rz 9. 4) Siehe ErläutRV 918 BlgNR 24. GP 7. 5) Zu § 20 StGB aF Fuchs/Tipold, WK-StGB § 20 Rz 11 f. 6) Fuchs/Tipold, WK-StGB § 20 Rz 17 ff. 7) ErläutRV 918 BlgNR 24. GP 7. 8) Das ist ein praktisch durchaus häufiger Fall (ErläutRV 918 BlgNR 24. GP 8).
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nach hat das Gericht den Umfang der für verfallen zu erklärenden Vermögenswerte nach seiner Überzeugung festzusetzen, soweit dieser nur mit unverhältnismäßigem Aufwand ermittelt werden kann (Schätzung). Vermögensrechtliche Anordnungen eines Strafgerichts, die auf einer bloßen Schätzung beruhen, sind allerdings bereits per se problematisch. Diese Möglichkeit sollte daher restriktiv gehandhabt werden.9) Der Verfall der Vermögenswerte kann sich auch gegen Dritte, also an der Tat nicht beteiligte Personen, richten. Denn die Vermögenswerte, die für verfallen erklärt werden, müssen nicht im Eigentum des Täters stehen. Allerdings ist der Verfall von Nutzungen und Ersatzwerten sowie der Wertersatzverfall gegenüber einem Dritten dann unzulässig, wenn dieser die Vermögenswerte in Unkenntnis der mit Strafe bedrohten Handlung erworben hat (§ 20 a Abs 1 StGB). Ein Verfall nach dem Grundtyp des § 20 Abs 1 StGB gegenüber einem Dritten ist hingegen nur dann ausgeschlossen, wenn dieser die Vermögenswerte in Unkenntnis der Straftat entgeltlich erworben hat (§ 20 a Abs 2 Z 1 StGB). Einen ahnungslosen Erben oder Schenkungsnehmer kann somit der Verfall jener straftatverfangenen Vermögenswerte treffen, die er geerbt bzw geschenkt bekommen hat.10) § 20 a Abs 2 StGB normiert eine Verhältnismäßigkeitsklausel. Nach dieser kann vom Verfall abgesehen werden, wenn der für verfallen zu erklärende Betrag oder die Aussicht auf dessen Einbringung außer Verhältnis zum Verfahrensaufwand steht, den der Verfall oder die Einbringung erfordern würde.
2. Erweiterter Verfall (§§ 20 b-20 c StGB) Die Bezeichnung „erweiterter“ Verfall bringt zum Ausdruck, dass es im Gegensatz zum Grundtyp des Verfalls nach § 20 StGB (oben A.1.) keines ausdrücklichen Nachweises bedarf, aus welcher konkreten mit Strafe bedrohten Handlung die Vermögenswerte stammen.11) § 20 b Abs 1 StGB ermöglicht es zunächst wie bisher, Vermögenswerte, die der Verfügungsmacht einer kriminellen Organisation (§ 278 a) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278 b) unterliegen oder als Mittel der Terrorismus-
Das Recht der österreichischen Berufsdetektive samt Vorbereitung auf die staatliche Befähigungsprüfung Von Peter Pokorny, Präsident des Europäischen Detektiv-Verbandes EURODET. 2010. 354 Seiten. Br. EUR 48,–. ISBN 978-3-214-00719-5 bestellen@manz.at 318 ecolex 2011
finanzierung (§ 278 d) bereitgestellt oder gesammelt wurden, für verfallen zu erklären.12) In § 20 b Abs 2 StGB wird nunmehr der erweiterte Verfall mit Bescheinigungslastumkehr normiert. Danach können im Fall der Begehung einer rechtswidrigen Tat nach § 165 (Geldwäscherei), § 278 (Kriminelle Vereinigung), § 278 c StGB (Terroristische Straftaten) auch jene Vermögenswerte für verfallen erklärt werden, die in einem zeitlichen Zusammenhang mit dieser Tat erlangt wurden, sofern die Annahme nahe liegt, dass sie aus einer rechtswidrigen Tat stammen. Zusätzliche Voraussetzungen eines solchen Vorfalls ist, dass der Betroffene die rechtmäßige Herkunft der Vermögenswerte nicht glaubhaft machen kann. Gleiches gilt, wenn die Vermögenswerte aus einem Verbrechen (§ 17 Abs 1 StGB) stammen oder für dessen Vornahme erlangt wurden. Wenn es dem Betroffenen also gelingt, die rechtmäßige Herkunft des Vermögenszuwachses glaubhaft zu machen (zB Erbschaft, realisiertes Sparguthaben), dürfen die Vermögensgegenstände nicht für verfallen erklärt werden.
B. Rechtsnatur Mit der Umstellung vom früheren Nettoprinzip bei der Abschöpfung der Bereicherung nach § 20 StGB aF auf das Bruttoprinzip beim Verfall nach § 20 StGB nF könnten Konsequenzen für die Rechtsnatur des Verfalls neuen Typs verbunden sein. Für die Abschöpfung der Bereicherung war es einhellige Auffassung, dass es sich um keine Strafe handelte, weil dem Täter „durch die Abschöpfung keine Nachteile wegen der Tat zugefügt (…), sondern ihm lediglich in einem contrarius actus (…) die unrechtmäßig erlangten Vorteile aus der Tat wieder abgenommen“ wurden.13) Vielfach wird jedoch eine auf dem Bruttoprinzip basierende Abschöpfungs- bzw Verfallsregelung als Strafe angesehen, weil dem Täter hier mehr entzogen werde, als er durch die Tat erlangt hat.14) Träfe dies zu, wäre die Neuregelung des Verfalls in mehrfacher Hinsicht problematisch: Zum einen läge wohl ein Verstoß gegen das Schuldprinzip vor und zum anderen ließe es sich nicht rechtfertigen, den Verfall auch gegenüber solchen Vermögenswerten zuzulassen, die im Eigentum einer an der Tat nicht beteiligten Person stehen. Allerdings erscheint es nicht zwingend, dass allein das Umstellen vom Netto- auf das Bruttoprinzip den Verfall neuen Typs zu einer (Neben-)Strafe macht. Der Umstand, dass dem Täter mehr Übel zugefügt wird als die bloße Abschöpfung des Gewinns aus der Straftat, genügt nämlich für sich genommen nicht, um von einer Strafe sprechen zu können. Richtig ist vielmehr, dass es sich auch bei einem auf dem 9) So schon für die frühere Regelung in § 20 Abs 3 StGB aF Fuchs/Tipold, WK-StGB § 20 Rz 107. 10) Schwaighofer, Anmerkungen zum strafrechtlichen Kompetenzpaket (sKp), JSt 2010, 203 (205). 11) ErläutRV 918 BlgNR 24. GP 8. 12) Ausführlich dazu zB Fuchs/Tipold, WK-StGB § 20 b Rz 1 ff. 13) ZB Fuchs/Tipold, WK-StGB Vor §§ 20 – 20 c Rz 12 mwN. 14) Schwaighofer, JSt 2010, 205; Fuchs/Tipold, WK-StGB Vor §§ 20 – 20 c Rz 16; ErläutRV StRÄG 1996, 27; ebenso die hL in Deutschland: zB Eser in Schönke/Schröder, StGB28 § 73 Rz 19 mwN.
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Bruttoprinzip basierenden Verfall um eine strafrechtliche Sanktion eigener Art,15) namentlich um einen quasi-kondiktionellen Ausgleichsanspruch handelt.16) Dafür spricht zum einen bereits der Wortlaut des § 20 StGB; denn dieser setzt für den Verfall (lediglich) die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung voraus. Anders als etwa bei der Konfiskation (§ 19 a StGB), welche die Begehung einer Straftat erfordert, genügt es somit, dass der Täter tatbestandsmäßig und rechtswidrig agiert hat; ein schuldhaftes Handeln ist dagegen nicht notwendig. Da es auf die Schuld nicht ankommt, kann der Verfall nach den §§ 20 – 20 c StGB somit keine Strafe sein.17) Hinzu kommt, dass die Anordnung des Verfalls kein – für die Einordnung als Strafe konstitutives – personales Unwerturteil über den Täter beinhaltet.18) Zu beachten ist außerdem, dass sich der Unterschied zwischen Brutto- und Nettoprinzip allein auf solche Vermögensaufwendungen des Täters beschränkt, die dieser zur Vorbereitung bzw Durchführung einer mit Strafe bedrohten Handlung eingesetzt hat. Diese Aufwendungen hat der Täter freiwillig und gezielt aus seinem Vermögen entäußert; anders als die Geldstrafe bewirkt daher der Verfall nach dem Bruttoprinzip keine originäre Vermögensverschiebung vom Betroffenen auf den Staat.19) Auch deshalb kann es sich beim Verfall neuen Typs um keine (Neben-)Strafe handeln. Die Anordnung des Verfalls unterscheidet sich ferner in ihren Wirkungen deutlich von einer Geldstrafe. Denn diese muss aus dem allgemeinen Vermögen des Täters erbracht werden (s § 19 Abs 2 StGB), während der Verfall grundsätzlich nur in Bezug auf solche Vermögensgegenstände möglich ist, die für bzw durch die mit Strafe bedrohte Handlung erlangt wurden.20)
C. Abgrenzung zur Konfiskation (§ 19 a StGB) Der Verfall ist von der Konfiskation (§ 19 a StGB) abzuschichten. Diese beiden Maßnahmen weisen zunächst abweichende Bezugspunkte auf: Die Konfiskation bezieht sich auf Gegenstände, die zur Begehung der Tat verwendet oder durch diese hervorgebracht wurden (instrumenta et producta sceleris), während der Verfall solche Vermögenswerte betrifft, die durch die Tat oder für deren Begehung erlangt wurden (oben A.1.). Zwischen Vermögensgegenständen, die durch die Tat hervorgebracht wurden, und solchen, die durch die Tat erlangt wurden, besteht ein Unterschied. Durch die Tat hervorgebracht werden nämlich nur Gegenstände, deren Entstehung oder gegenwärtige Beschaffenheit auf die Straftat zurückzuführen ist, wie zB erzeugtes Suchtgift, nicht aber zB die Beute.21) Ein vermögenswerter Gegenstand ist demgegenüber durch die Tat erlangt, wenn diese kausal für die beim Täter eingetretene Vermögensvermehrung war, wie insb die Beute (oben A.1.). Der Begriff des Erlangens ist also erheblich weiter als jener des Hervorbringens. Die Rechtsnatur beider Instrumente weicht ebenfalls voneinander ab: Die Konfiskation ist als eine Nebenstrafe einzustufen, während es sich beim Verfall um eine strafrechtliche Sanktion eigener Art, nament-
lich um einen quasi-kondiktionellen Ausgleichsanspruch handelt (oben B.). Dementsprechend setzt eine Konfiskation voraus, dass der Täter eine Vorsatzstraftat begangen, dh insb tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat.22) Der Verfall ist dagegen bereits bei der Verwirklichung einer mit Strafe bedrohten Handlung möglich; es genügt hier also, dass der Betroffene tatbestandsmäßig und rechtswidrig gehandelt hat, ein schuldhaftes Verhalten ist demgegenüber nicht erforderlich. Daher ist zB ein Verfall bei zurechnungsunfähigen (§ 11 StGB) Tätern denkbar, während eine Konfiskation – neben allen anderen Schuldmerkmalen – Zurechnungsfähigkeit voraussetzt. Im Gegensatz zum Verfall muss sich die Anordnung einer Konfiskation außerdem auf die zugleich im Strafurteil verhängte Geld- oder Freiheitsstrafe mindernd auswirken; dies ergibt sich zwingend aus der Einordnung der Konfiskation als Nebenstrafe. Schließlich ist eine Konfiskation immer nur gegen den Eigentümer des Gegenstands zulässig, sofern es sich bei diesem um den Täter der Vorsatzstraftat handelt.23) Im Gegensatz dazu ist der Verfall unter bestimmten Voraussetzungen auch gegen Dritte, also gegen Personen zulässig, die an der betreffenden Straftat nicht beteiligt waren (oben A.1.).
15) ErläutRV 918 BlgNR 24. GP 7. 16) Ebenso für die mit § 20 öStGB vergleichbare Verfallsregelung des § 73 dStGB BGH NJW 1995, 2235; Schmidt LK § 73 Rz 7, 12; Wallschläger, Die strafrechtlichen Verfallsvorschriften (2002) 28 ff. 17) ErläutRV 918 BlgNR 24. GP 7. 18) Joecks, MüKo § 73 Rz 14. 19) Wallschläger (FN 16) 28. 20) Wallschläger (FN 16) 28. 21) Hinterhofer, ecolex 2011, 216. 22) Hinterhofer, ecolex 2011, 216. 23) Hinterhofer, ecolex 2011, 216. 24) Siehe Schmoller, Stellungnahme zum Begutachtungsentwurf, 1/SN187/ME (24. GP) 3 (abrufbar unter www.parlament.gv.at/PAKT/ VHG/XXIV/ME/ME_00187_01/fname_195469.pdf. 2), der der Neuregelung des Verfalls in den §§ 20 – 20 c StGB ebenso grundsätzlich zustimmt.
SCHLUSSSTRICH
Der jüngst vom österreichischen Gesetzgeber vollzogene Wechsel vom Netto- zum Bruttoprinzip bei der vermögensrechtlichen Sanktion des Verfalls ist zu begrüßen: Der Umstand, dass der Täter für die Begehung der Straftat auch Aufwendungen erbracht hat, soll ihm nicht nachträglich durch Anrechnung zu Gute kommen.24) ecolex 2011 319
DISPUTE RESOLUTION GELEITET VON P. OBERHAMMER
Neues vom Kostenrecht Das Budgetbegleitgesetz 2011 (BGBl I 2010/111) änderte auch zahlreiche verfahrensrechtliche Bestimmungen. Der Autor stellt davon die Änderungen im Kostenrecht der ZPO vor und beleuchtet deren Bedeutung für die Praxis. JÜRGEN C. T. RASSI
A. Kostenvorbehalt 1. Normzweck Nach § 52 Abs 1 ZPO nF kann mit unanfechtbarem Beschluss die Entscheidung über die Kosten bis zur rechtskräftigen Erledigung der Streitsache vorbehalten werden. Die Bestimmung lehnt sich an § 78 Abs 1 Satz 2 AußStrG an und geht auf einen Vorschlag der Richterschaft zurück.1) Die Regelung ist zu begrüßen, weil bisher der Aufwand zahlreicher – mitunter sehr aufwändiger – Kostenentscheidungen frustriert ist, wenn das Urteil aufgehoben oder abgeändert wird und damit die Grundlage für die Kostenentscheidung wegfällt.2) Jede Kostenentscheidung steht stets unter der Bedingung, dass die Sachentscheidung rechtskräftig wird. Auch wenn eine erstgerichtliche Kostenentscheidung einwandfrei getroffen wurde, musste bisher über die Kosten desselben Verfahrensabschnitts nach einer Abänderung oder Aufhebung des Urteils mehrfach entschieden werden. Dem beugt der Kostenvorbehalt vor, der zudem auch Kostenrekurse bzw Berufungen im Kostenpunkt verhindert, die ex post betrachtet (bei Abänderung oder Aufhebung des Urteils) überflüssig waren. Nach den Mat würde die gesonderte Kostenentscheidung auch dazu führen, dass die Sachentscheidungen rascher gefällt werden könnten, weil der rechnerische Aufwand auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werde.3) Allerdings muss dem der höhere Gesamtaufwand im Fall einer bestätigten Entscheidung entgegengehalten werden, weil der Kostenvorbehalt die Gerichte dazu zwingt, den Akt nach Rechtskraft der Sachentscheidung neuerlich zu bearbeiten. Insg ist (bei Anwendung des bloß fakultativen Vorbehalts in der Praxis) durch die mit dem Vorbehalt verbundene Reduzierung frustrierter Kostenentscheidungen und Rechtsmittel eine moderate Entlastung der Gerichte zu erwarten.
2. Zuständigkeit und Anwendungsbereich Nach dem Regelfall wird ein Kostenvorbehalt bereits durch das ErstG erfolgen. In diesem Fall haben auch die Rechtsmittelgerichte keine Kostenentscheidung zu treffen, weder über die Kosten erster Instanz noch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens.4) Sofern kein Kostenvorbehalt durch das ErstG erfolgt ist, kann der Vorbehalt aber auch erstmalig durch die Instanz erfolgen. Unabhängig davon, ob sich das Erst- oder das ZweitG die Kostenentscheidung vorbehalten hat, hat – nach rechtskräftiger Erledigung der Streitsache 320 ecolex 2011
– über alle Kosten immer das ErstG zu entscheiden (§ 52 Abs 3 ZPO nF). Vor dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens ist im weiteren Rechtsgang keine Entscheidung über die (von der Hauptsache abhängigen) Kosten zu treffen.5) Ist die Kostenersatzpflicht vom Ausgang der Hauptsache unabhängig, so erfolgt nach dem inhaltlich unverändert gebliebenen § 52 Abs 1 (nunmehr) S 3 ZPO eine sofortige Kostenentscheidung. Der Anwendungsbereich für einen schon nach dem bisherigen Recht möglichen Vorbehalt bei einem Teil- oder Zwischenurteil bzw Aufhebungsbeschluss wird durch das BBG 2011 nicht eingeschränkt. Ein Kostenvorbehalt nach § 52 Abs 1 S 1 ZPO nF ist nicht ausgeschlossen, wenn bei einem Teilurteil eine sofortige Kostenentscheidung möglich wäre.6) Als Entgegenkommen gegenüber der den Vorbehalt ablehnenden Anwaltschaft7) macht § 52 Abs 2 ZPO nF8) (im Gegensatz zum Ministerialentwurf) den Kostenvorbehalt davon abhängig, dass dieser aufgrund der Komplexität der zu treffenden Kostenentscheidung aus Gründen der Verfahrensökonomie zweckmäßig ist. Nach den Mat ist das dann der Fall, wenn für die Kostenentscheidung eingehende Berechnungen erforderlich sind, die einen unverhältnismäßigen Aufwand verursachen, mehrfache Einschränkungen oder Ausdehnungen des Klagebegehrens erfolgt sind, unterschiedliche Obsiegensquoten in mehreren Verfahrensabschnitten gegeben sind, sich mehrere Parteien im Verfahren beteiligen, eine kombinierte Anwendung von § 43 Abs 1 und 2 ZPO erforderlich ist udgl.9) Das erinnert an die jüngste Rsp des OGH zum Auftrag zur Kostenberechnung an das BerG.10) Die in den Mat erwähnten Beispiele sind dahin zu ergänzen, dass die geforderte Komplexität auch bei langer Verfahrensdauer,11) Dr. Jürgen C. T. Rassi ist Richter am OLG Wien und Lehrbeauftragter an der Universität Wien. 1) Beran et al, RZ 2002, 126. 2) ErläutRV 981 BlgNR 24. GP 80 (im Folgenden: Mat). 3) Mat 80. 4) Mat 81. 5) Mat 81. 6) Mat 81. 7) Vgl etwa M. Bydlinski, § 54 Abs 1 a ZPO – Ein gelungener Versuch der Ressourcenoptimierung im Kostenverfahren? Jahrbuch Zivilverfahrensrecht 10 (2010) 217 oder die unter www.parlament.gv.at/ PAKT/VHG/XXIV/ME/ME_00233_03/index.shtml abrufbare Stellungnahme des ÖRAK zum Ministerialentwurf. 8) Anders noch der Ministerialentwurf. 9) Mat 81. 10) RIS-Justiz RS0124588. 11) Etwa bei Anwendung unterschiedlicher Fassungen des RATG.
DISPUTE RESOLUTION
bei einem mehrbändigen Akt, bei einer Prozessverbindung oder bei bereits gefassten Teilentscheidungen vorliegen kann. Das Erfordernis der Komplexität schwächt die verfahrensökonomischen Aspekte des Modells ab, zumal mit dem Kostenvorbehalt nicht nur überflüssige Kostenentscheidungen, sondern auch Kostenrekurse vermieden werden können. Ein Vorbehalt ist bei einem Zahlungsbefehl, Wechselzahlungsauftrag12) oder einem Versäumungs-, Verzichts- oder Anerkenntnisurteil ausgeschlossen (§ 52 Abs 2 Satz 2 ZPO nF); hier wird die fehlende Komplexität generell unterstellt. In Anknüpfung an den Zweck der Bestimmung legt § 52 Abs 2 Satz 1 ZPO nF fest, dass ein Vorbehalt nur dann möglich ist, wenn die Sachentscheidung noch angefochten werden kann. Der „Kostenvorbehalt neu“ kann daher nicht durch den OGH (erstmals) erfolgen. Das ZweitG darf sich die Kosten dann nicht vorbehalten, wenn die Revision jedenfalls unzulässig ist. Hingegen ist der Kostenvorbehalt durch das BerG nicht ausgeschlossen, wenn die o Revision oder auch nur die ao Revision zulässig ist. Kann die Entscheidung bei einem Entscheidungsgegenstand über E 5.000,– bis E 30.000,– nur mehr über den Umweg des Abänderungsantrags nach § 508 ZPO bekämpft werden, schließt das Gesetz einen Kostenvorbehalt durch die Instanz nicht aus, weil die Berufungsentscheidung iZm dem Abänderungsantrag noch angefochten werden kann. Eine derartige Vorgangsweise des BerG wäre aufgrund des Zulassungsausspruchs allerdings sinnwidrig und inkonsequent. § 52 ZPO nF gilt für Verfahren, in denen der Verhandlungsschluss nach dem 30. 6. 2011 liegt.
3. Ausblick Es bleibt abzuwarten, inwieweit der bloß fakultative Charakter der Norm deren verfahrensvereinfachenden Zweck aushöhlt, zumal § 78 Abs 1 Satz 2 AußStrG von der Praxis nur sehr sparsam angewendet wird.13) Die Bedenken der Erstrichter, auch über die Kosten eines allfälligen Instanzverfahrens entscheiden und den Akt nach Abschluss des Verfahrens noch einmal in die Hand nehmen zu müssen, lassen den Kostenvorbehalt als unpraktisch erscheinen. Freilich ist das von Billigkeit geprägte außerstreitige Kostenrecht als Testballon für den Kostenvorbehalt nur bedingt geeignet. Dessen ungeachtet hätte sich unter Berücksichtigung der bisherigen Erfahrungen ein größerer Wurf angeboten, etwa ein zwingender Vorbehalt.14) Dies würde eine strukturelle Entkoppelung der Haupt- von der Kostenentscheidung erleichtern und damit das eigentliche Verfahren entlasten. Als flankierende Maßnahme müsste normiert werden, dass die Kostenentscheidung nur nach auf Antrag zu fassen ist. In vielen Fällen ist nämlich nach rechtskräftigem Abschluss der Hauptsache zu erwarten, dass die Frage der Kosten im Korrespondenzweg zwischen den beteiligten Anwälten ohne weitere Befassung des Gerichts geklärt werden kann.15)
B. Einwendungen gegen das Kostenverzeichnis 1. Allgemeines Das BBG 2009 bescherte mit § 54 Abs 1 a ZPO eine in Rsp und Lit16) heftig diskutierte Bestimmung, wonach die verzeichneten Kosten der Kostenentscheidung zu Grunde zu legen sind, wenn gegen das Kostenverzeichnis keine begründeten Einwendungen erhoben wurden. Diese Regelung hat die Gerichte zum einen entlastet, weil viele Kostenentscheidungen mangels Einwendungen erleichtert wurden.17) Zum anderen hat die Bestimmung in der Praxis allerdings zahlreiche Fragen aufgeworfen.18) Etwa die Frage des konkreten sachlichen Anwendungsbereichs, die Auswirkung auf Unvertretene, der Umfang der Einschränkung der Prüfungspflicht bei unterlassenen Einwendungen, die Auswirkung einer unterlassenen (oder verspäteten) Übergabe des Kostenverzeichnisses an den Gegner, die Wirkung von unterlassenen Einwendungen auf das Rekursrecht und die Frage der Kostenersatzpflicht. Der mit der Klärung der Probleme verbundene Aufwand und die durch die Bestimmung ausgelöste Rechtsunsicherheit stehen zu den Vorteilen der Regelung in keinem Verhältnis, weshalb diese zu einer Mehrbelastung der Gerichte führte. Der Versuch der Ressourcenoptimierung im Kostenverfahren ist gescheitert.19) Mit dem BBG 2011 sollen nun drei bisher offene Fragen geklärt werden.20)
2. Einschränkung auf den Anwaltsprozess Nach § 54 Abs 1 a Satz 3 ZPO nF gilt die Obliegenheit zur Erhebung von Einwendungen nur für eine durch einen Anwalt vertretene Partei. Diese Einschränkung ist zu begrüßen, zumal dadurch der Anwendungsbereich der eher verunglückten Norm verringert wird. Den Gerichten bleibt eine allfällige An12) Richtig: Zahlungsauftrag (§ 555 Abs 1 ZPO). 13) Nach einem (informellen) österreichweiten Rundruf des Verfassers unter erfahrenen Rechtsmittel- bzw Außerstreitrichtern wird die Bestimmung von der Praxis nicht bzw nur äußerst selten angewandt. 14) Ausgenommen davon müssten allerdings Zahlungsbefehle, Zahlungsaufträge, Versäumungs-, Verzichts- oder Anerkenntnisurteile sein. 15) Deshalb sollte für den Antrag eine ausreichende Frist eingeräumt werden; vgl Beran et al, RZ 2002, 126. 16) Vgl etwa (mwN): Höllwerth, ÖJZ 2009, 743; Salficky, AnwBl 2009; Fucik, ÖJZ 2009, 791; Woller, ecolex 2009, 567; Mayr, ecolex 2009, 662; Reisenhofer, JAP 2009/2010/13; Obermaier, Zak 2010, 150; ders, Kostenhandbuch2 Rz 52 ff; Kolmasch, Zak 2010/152; M. Bydlinski, aaO 217. 17) Der positive Aspekt der Regelung ist insoweit beschränkt, weil die Einwendungen nur den unproblematischen Teil der Kostenprüfung betreffen. Die mitunter komplizierte Anwendung des § 43 ZPO (voller oder teilweiser Ersatz bei teilweisem Obsiegen, Ermittlung der Quoten, Abschnittsbildung, kombinierte Anwendung des § 43 Abs 1 und 2 ZPO), die Prüfung der Kosten bei verschiedenen Erfolgen von Streitgenossen oder bei Prozessverbindungen ist von der Einwendungsobliegenheit nicht umfasst. 18) M. Bydlinski, aaO 195 und Obermaier, aaO Rz 52 ff je mwN. 19) M. Bydlinski, aaO 212. 20) In den Mat 82 wird klargestellt, dass die Bestimmung ausschließlich für das am Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz gelegte Kostenverzeichnis gelten soll. Hier war eine Klarstellung im Gesetz nicht geboten, weil sich diese Auslegung auf den Wortlaut des § 54 Abs 1 a Satz 1 ZPO stützen kann.
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DISPUTE RESOLUTION
leitung21) der unvertretenen Partei oder die Bearbeitung von Verfahrenshilfeanträgen zwecks Beigebung eines Rechtsanwalts zur Erhebung von Einwendungen erspart.22)
3. Verbot der amtswegigen Überprüfung Nach § 54 Abs 1 a Satz 3 ZPO nF sind die verzeichneten Kosten der Entscheidung „ungeprüft“ zu Grunde zu legen. Die Mat betrachten diese Bestimmung als authentische Interpretation und führen aus, dass eine amtswegige Wahrnehmung von unrichtig verzeichneten Leistungen schon nach dem BBG 2009 nicht vorgesehen gewesen wäre.23) Der von Teilen der Lehre und Rsp vertretenen Ansicht,24) dass die Positionen des Kostenverzeichnisses auch ohne Vorliegen einer begründeten Bestreitung auf ihre Schlüssigkeit, ihre Übereinstimmung mit dem Akteninhalt sowie auf zwingende gesetzliche Bestimmungen zu überprüfen seien, halten die Mat zum BBG 2011 – gestützt auf den Wortlaut der ursprünglichen Fassung und die Mat zum BBG 200925) – „die unmissverständliche Intention des Gesetzgebers“ entgegen. Nur so könne eine tatsächliche Entlastung der Gerichte erreicht werden. Eine weitere Erörterung kann dahinstehen, weil das Wort „ungeprüft“ eine amtswegige Überprüfung der Kostennote kategorisch ausschließt. Die neue Fassung steht unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes in seiner Ausprägung als allgemeines Sachlichkeitsgebot26) und verglichen mit ähnlichen Normen unter dem Verdacht der Verfassungswidrigkeit. In der Tat sind ein Verbot der amtswegigen Überprüfung und der damit verbundene mögliche Zuspruch von zu Unrecht verzeichneten Kosten unsachlich. Das Verbot kann auch nicht mit der „Dispositionsmaxime“ erklärt werden.27) In den unterlassenen Einwendungen zum (öffentlich-rechtlichen) Kostenersatzanspruch liegt (anders als bei einem Vergleich, Verzicht oder Anerkenntnis) keine Disposition der Partei! Vielmehr handelt es sich um eine Untätigkeit der passiven Partei. Auch bei einer bewussten Unterlassung von Einwendungen läge keine Disposition vor, weil eine Partei, die eine unrichtige Entscheidung gegen sich ergehen lässt, damit nicht über den Prozessgegenstand verfügt.28) Dazu wurde in der Lit bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass die Verfahrensgesetze in vergleichbaren Fällen eine richterliche Prüfung zulassen.29) Ein Versäumungsurteil ist nicht zu erlassen, wenn das Vorbringen des Klägers durch vorliegende Beweise widerlegt wird bzw unschlüssig ist.30) Auch ein ausdrückliches oder schlüssiges Geständnis bindet nach der Rsp in zahlreichen Konstellationen nicht.31) Nach der hL wird eine solche Bindung sogar generell abgelehnt.32) Im Exekutionsverfahren ist bei einer nach § 56 EO anzunehmenden fiktiven Zustimmung des Gegners ein entsprechender Antrag nur nach Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen zu bewilligen.33) Ähnliches gilt für § 17 AußStrG, wonach Anträge mangels rechtlicher Voraussetzungen für eine Stattgebung selbst bei unterlassenen Einwendungen abzuweisen sind.34) Auch im Gebührenrecht kann der Gebührenantrag auch ohne Einwendungen nach § 39 GebAG auf seine Schlüssigkeit, seine Übereinstimmung mit dem Akteninhalt sowie auf zwingende 322 ecolex 2011
gesetzliche Bestimmungen überprüft werden.35) All das zeigt, dass eine Bindung an eine falsche Kostennote systemwidrig, unsachlich und damit auch verfassungswidrig ist. Jüngst hatte der VfGH § 54 Abs 1 a ZPO aF zu prüfen36) und verneinte die Verfassungswidrigkeit, weil die Wendung „seiner Entscheidung zu Grunde zu legen“ verfassungskonform dahin auszulegen sei, dass das Gericht durchaus in der Lage sei, „offenbare Unrichtigkeiten“ (auch ohne Einwendungen) zu korrigieren. Die in den Mat zum BBG 2009 vorgenommene Interpretation37) qualifizierte der VfGH freilich als unsachlich. Eine derartige Auslegung hätte ein verfassungswidriges Ergebnis zur Folge. Durch die nunmehrige „Klarstellung“ im BBG 2011 ist eine verfassungskonforme Interpretation der Regelung schwer denkbar, weil jegliche Überprüfung der Kostennote ausgeschlossen ist (arg „ungeprüft“). Das Verbot der Prüfung umfasst auch „offenbare Unrichtigkeiten“, weil auch solche Positionen einer (wenngleich einfacheren) Prüfung unterzogen werden müssten. Um einer monatelangen Rechtsunsicherheit bis zum nächsten VfGH-Erk vorzubeugen, wäre eine rasche Reparatur der Bestimmung durch den Gesetzgeber zu empfehlen. Gegen eine ersatzlose Streichung des § 54 Abs 1 a ZPO hätten die Praktiker aufgrund der bisherigen Erfahrungen wohl wenig Widerstand entgegenzusetzen. Als Alternative kämen die Streichung des dritten Satzes38) und die Anordnung einer Begründungserleichterung nach dem Vorbild des § 39 GebAG in Betracht. Dies hätte – wie im Gebührenrecht – verfahrensvereinfachende Effekte zur Folge. Langfristig bietet sich eine Einbettung eines allfälligen Äußerungsverfahrens in ein kostenrechtliches Annexverfahren an.
4. Ausschluss des Kostenersatzes Die kontrovers geführte Diskussion, ob für Einwendungen ein Kostenersatz zusteht,39) wurde mit § 54 21) In der Praxis wird eine allfällige Anleitungspflicht mit Blick auf § 182 a Satz 2 ZPO bzw § 432 Abs 1 ZPO nicht einheitlich bejaht. 22) Obermaier, aaO Rz 62. 23) Mat 81. 24) Dazu und zur Gegenmeinung: Obermaier, aaO Rz 64. 25) 113 BlgNR 24. GP 31: „Nicht begründet bestrittene Positionen sind der Entscheidung ungeprüft zu Grunde zu legen“. 26) VfSlg 14.362; Berka, Verfassungsrecht2 Rz 1650 [„Es ist hier kein Vergleich der geprüften Regelung mit anderen Normen notwendig. Es wird vielmehr das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel losgelöst von einer vergleichbaren Regelung auf seine Vertretbarkeit (Legitimität des Zieles, Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel) geprüft.“]. 27) IdS die Mat zum BBG 2009. 28) IdS bereits Bernhardt in FS Rosenberg (1949) 30. 29) Obermaier, aaO Rz 64. 30) Rechberger in Rechberger3 § 396 Rz 7. 31) Vgl Rechberger in Rechberger3 § 266 Rz 2 mwN. 32) Rechberger in Rechberger3 § 266 Rz 2 mwN. 33) Rassi in Burgstaller/Deixler-Hübner § 56 EO Rz 16. 34) Fucik/Kloiber § 17 AußStrG Rz 3. 35) Krammer/Schmidt3 § 39 GebAG E 42. 36) E vom 3. 12. 2010 zu G 280/09 – 7. 37) FN 25. 38) Und eine Einschränkung auf den Anwaltsprozess. 39) Obermaier, aaO Rz 66 ff und M. Bydlinski, aaO 204 ff jeweils mwN
DISPUTE RESOLUTION
Abs 1 a Satz 4 ZPO nF iS eines ausdrücklichen Ausschlusses des Kostenersatzes gelöst. Die Mat berufen sich hier auf § 39 Abs 1 und § 41 Abs 3 Satz 2 GebAG.40) Die neue Regelung wird wohl nicht dazu führen, dass die Parteien deshalb auf Einwendungen verzichten, zumal die bestrittenen Kosten idR ein allfälliges Honorar für die Einwendungen beträchtlich übersteigen. Dessen ungeachtet entlastet die neue Fassung die Gerichte, weil zB bei den Einwendungen der obsiegenden Partei eine Überprüfung des hypothetischen Erfolgs entfällt.41)
5. Fristhemmung Aufgrund des Umstands, dass die Fristenhemmung nach § 222 ZPO nF (ehemals verhandlungsfreie Zeit) nur mehr Notfristen im Rechtsmittelverfahren betrifft, konnte die bisherige Ausnahme einer Fristhemmung für Einwendungen gegen die Kosten entfallen.42)
chen“ auf Amtshaftungsverfahren.46) Freilich war schon die bisherige Rekursmöglichkeit kein Schutz vor Amtshaftungsverfahren. Es war zwar möglich, eine falsche Kostenentscheidung in der Instanz zu sanieren. Die dadurch entstandenen Rekurskosten konnten in der Folge aber über das AHG gefordert werden.47)
40) 41) 42) 43) 44) 45)
Mat 82. Vgl M. Bydlinski, aaO 207. Mat 81. Kodek in Rechberger3 § 482 Rz 12; RIS-Justiz RS0106868. Mat 88. § 517 ZPO ist – mit Ausnahmen (§ 65 Abs 2 EO) – auch im Exekutionsverfahren anwendbar (§ 78 EO). 46) Kodek, Zak 2011/8. 47) Dagegen bietet auch § 11 RATG keinen Schutz, weil der Entlohnungsanspruch gegenüber der eigenen Partei unverändert bleibt.
6. Inkrafttreten Nach Art 39 Abs 2 BBG 2011 trat die neue Fassung des § 54 Abs 1 a ZPO mit 1. 1. 2011 in Kraft. § 54 Abs 1 a Satz 4 ZPO nF (nicht aber § 54 Abs 1 a Satz 3 ZPO nF) ist in Verfahren anzuwenden, in denen der Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz nach dem 31. 12. 2010 lag (Art 39 Abs 10 a BBG 2011). Diese Übergangsbestimmungen verwirren insofern, weil nach den Mat mit § 54 Abs 1 a Satz 4 ZPO nF nur „klargestellt“ werden sollte, dass für die Einwendungen keine Kosten gebühren. Das suggeriert, dass bereits die bisherige Fassung nach der Ansicht des Gesetzgebers einen Kostenersatzanspruch ausschließt. Unklar bleibt daher, warum § 54 Abs 1 a Satz 4 ZPO nF für Verfahren mit einem Verhandlungsschluss vor dem 1. 1. 2011 nicht gelten soll. Weder aus dem Gesetz noch aus den Mat geht hervor, dass es sich bei der Ausnahme für Unvertretene um eine Klarstellung handeln sollte. Dessen ungeachtet ist § 54 Abs 1 a Satz 3 ZPO nF ohne Unterschiede bereits mit 1. 1. 2011 anwendbar, unabhängig vom Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung. Das betrifft auch das Verbot der amtswegigen Überprüfung (vgl aber Art 89 Abs 2 B-VG). Die Rechtsmittelgerichte haben auf § 54 Abs 1 a Satz 3 ZPO nF auch dann Bedacht zu nehmen, wenn der angefochtene Beschluss bereits vor Inkrafttreten des BBG 2011 gefasst wurde.43)
C. Rekursbeschränkung beim Kostenrekurs Nach § 517 Abs 3 ZPO nF ist ein Kostenrekurs dann nicht statthaft, wenn der Betrag, dessen Zuspruch oder Aberkennung beantragt wird, E 50,– nicht übersteigt (vgl auch § 41 Abs 1 GebAG). Die mit der Bagatellgrenze durchaus zu erwartende Entlastung der Rechtsmittelgerichte44) dürfte sich im Zivilprozess in Grenzen halten. Ein deutlicher Rückgang der Kostenrekurse ist hingegen im Exekutionsverfahren zu erwarten,45) bedenkt man die umfangreiche Rsp zu Barauslagen und Drittschuldnerkosten. Kodek befürchtet durch die Einschränkung ein „Auswei-
SCHLUSSSTRICH
Die neuen Kostenbestimmungen können nur zum Teil begrüßt werden. Eine Entlastung ist lediglich in einem eingeschränkten Ausmaß zu erwarten. Für einen zukünftigen Gesetzwerdungsprozess empfiehlt sich eine umfassende Einbindung von Lehre und Vertretern der Praxis. Statt der hastigen Verabschiedung zivilverfahrensrechtlicher Bestimmungen im Rahmen von umfangreichen Budgetbegleitgesetzen sollten angemessene Begutachtungsfristen gewährt werden. ecolex 2011 323
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Die Internationalisierung von Handelssachen an Zivilgerichten Im internationalen Wirtschaftsverkehr stehen auch die staatlichen Gerichte im Wettbewerb. In diesem Wettbewerb versuchen sich Frankreich und Deutschland neu zu positionieren, indem sie spezialisierte Kammern für internationale Handelssachen einrichten, vor denen etwa auch die Verhandlung in englischer Sprache möglich sein soll. Daraus ergeben sich auch für Österreich interessante Perspektiven. MAXI SCHERER / FRANZ SCHWARZ
A. Deutschland In Deutschland wurde ein Pilotprojekt am 1. 1. 2010 im Oberlandesgerichtsbezirk Köln mit der Einsetzung von drei Kammern für internationale Handelssachen gestartet. Dieses Projekt ermöglicht es derzeit, vor diesen Kammern in englischer Sprache zu verhandeln, ohne jedoch Schriftsätze in fremder Sprache austauschen zu können. In den Geschäftsverteilungsplänen wurden entsprechende Kammern eingesetzt, deren Richterinnen bzw Richter über vertiefte englische (Rechts-)Sprachkenntnisse verfügen. Erste Verhandlungen haben am Landgericht Bonn bereits stattgefunden. Am 16. 6. 2010 hat der Bundesrat dem Bundestag einen weitergehenden Gesetzesentwurf1) vorgelegt, der unter Mitwirkung des Deutschen Richterbundes und des Deutschen Anwaltsvereins erarbeitet worden ist. Danach ist § 184 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)2) nF insofern abgeändert worden, dass Verfahren vor den internationalen Kammern in Englisch geführt werden. Eine Fortführung des Verfahrens in Deutsch bleibt aber jederzeit möglich. Erforderlich ist nach § 114 b GVG3) nF allein, dass der Rechtsstreit einen internationalen Bezug aufweist und Kläger und Beklagter sich auf die Verhandlungsführung in englischer Sprache geeinigt haben. Somit können sowohl Schriftsätze, Protokolle und sogar das Urteil in englischer Sprache abgefasst werden. Dafür ist eine ergänzende Fortbildung der Richterinnen und Richter vorgesehen.4) Nach positiver Stellungnahme der Regierung5) ist mit der Gesetzesverabschiedung zu rechnen, welches zwölf Monate nach der Verkündung in Kraft treten würde.6)
B. Frankreich In Frankreich besteht schon seit einiger Zeit eine ,,internationale Kammer am Handelsgericht in Paris. Am 17. 1. 2011 wurde diese Kammer, in Anlehnung an den deutschen Gesetzesentwurf, durch offiziellen Einsetzungsakt ermächtigt, von nun an Plädoyers in englischer, deutscher oder spanischer Sprache anzuhören und schriftliche Beweise in diesen Sprachen der Entscheidung ohne Übersetzung zu Grunde zu legen.7) Der Kammer sollen neun Richter bzw Laienrichter angehören, die die erforderlichen Sprachkenntnisse in einer der drei Sprachen besitzen. ,,
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Einer Gesetzesänderung bedurfte es nicht, da Art 23 des Code de Procedure Civile (CPC) dem Richter im Rahmen der Verhandlung erlaubt, auf einen Dolmetscher zu verzichten, wenn er die Fremdsprache „kennt“.8) Diese Vorschrift wurde nun für die Kammer generell und nicht nur als Ausnahmevorschrift für anwendbar erklärt. Voraussetzung dafür ist ebenfalls das Einverständnis der Parteien. Im Unterschied zum deutschen Gesetzesentwurf soll es aber noch nicht möglich sein, in der Fremdsprache Schriftsätze einzureichen. Zudem müssen die Entscheidungen weiter ausschließlich in französischer Sprache verfasst werden.
C. Ausblick und Anregung In Deutschland und Frankreich hat man den Weg einer internationalen Gerichtsbarkeit sehr bewusst gewählt, um sich als Alternative zum Gerichtsstand England anzubieten, der in internationalen Handelssachen die Gerichtsstandswahlstatistiken anführt. Auch für Österreich – immerhin ein Dreh- und Angelpunkt im zentral- und osteuropäischen Wirtschaftsleben – böten sich diesbezüglich Perspektiven Dr. Maxi Scherer ist als Counsel der Sozietät tätig. Sie ist deutsche Juristin, als Advocat al la Court in Paris zugelassen, und derzeit Fellow des Transnational Law Centers der New York University School of Law. Rechtsanwalt Franz Schwarz ist Partner der internationalen Sozietät Wilmer Cutler Pickering Hale and Dorr LLP und Vice-Chair der International Arbitration Practice Group, die sich mit etwa 70 Anwälten in Europa, Asien und den USA auf Handelsschiedsgerichtsbarkeit und Investitionsschutz spezialisiert. 1) Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Kammern für internationale Handelssachen (KfiHG). 2) BT-Drucks 17/2163, 5. 3) BT-Drucks 17/2163, 5. 4) Den Neuerungen wird vorgeworfen, dass durch die Verhandlung in einer Fremdsprache der Öffentlichkeitsgrundsatz nicht mehr gewahrt bleibt. Dem ist entgegenzusetzen, dass es bereits jetzt genügend Richter gibt, die in ausländischen Rechtsordnungen qualifiziert sind und sich dementsprechend übergreifend, ggf in mehreren Sprachen ausdrücken können. Eine zusätzliche Ausbildung wird dem Grundsatz nach und nach gerecht werden. 5) BT-Drucks 17/2163, 15. 6) BT-Drucks 17/2163, 14. 7) Communiqué du Tribunal de Commerce de Paris du 17. janvier 2011. 8) Art 23 CPC selon lequel “le juge n’est pas tenu de recourir à un interprète lorsqu’il connaît la langue dans laquelle s’expriment les parties”.
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an. Viele, wenn nicht die meisten, der Verträge österreichischer Unternehmen mit Unternehmen aus der Region werden in englischer Sprache geschlossen. Hier könnte eine internationale Abteilung mit entsprechender Flexibilität in der Verfahrensführung und -sprache den österreichischen Gerichten einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil verschaffen. Dies gilt insb auch für die Rolle der österreichischen Gerichte in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit auf österreichischem Boden: hier treten die österrei-
chischen Gerichte insb im Aufhebungsverfahren nach § 611 ZPO in Erscheinung – regelmäßig in englischsprachigen Schiedsverfahren und in Bezug auf Schiedssprüche, deren Bearbeitung durch spezialisierte Abteilungen in einem ebenfalls englischsprachigen Verfahren Beschleunigung und Effizienz erfahren würde. Denn, so sollte man meinen, was unsere bundesdeutschen Nachbarn können, können wir schon lange. RECHTSPRECHUNG
Nebenintervention – bloßes Interesse am Erzielen bestimmter Beweisergebnisse? 1. Bei der Beurteilung, ob die Nebenintervention zulässig ist, ist kein strenger Maßstab anzulegen. Das Interventionsinteresse ist zu bejahen, wenn der Rechtsstreit die Rechtssphäre des Nebenintervenienten berührt. 2. Das Interesse am Erzielen bestimmter Beweisergebnisse reicht zur Begründung eines rechtlichen Interesses nicht aus. Der Kl begehrte vom Bekl Schadenersatz wegen ärztlicher Fehlbehandlung. In einer weiteren Klage nahm er den Nebenintervenienten ebenso auf Schadenersatz wegen eines Behandlungsfehlers während einer der Nachoperationen in Anspruch. Dieser erklärte, dem ersten Verfahren auf Seiten des Bekl als Nebenintervenient beizutreten. Das ErstG wies den Antrag auf Zulassung der Nebenintervention zurück, das RekG bejahte hingegen das rechtliche Interesse und wies den Antrag auf Zurückweisung der Nebenintervention ab.
Aus der Begründung: Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das RekG im Einzelfall von der höchstgerichtlichen Rsp abgewichen ist; er ist auch berechtigt. 1. Voranzustellen ist, dass die Bestimmung des § 18 Abs 4 ZPO, nach der die Zulassung der Nebenintervention nicht durch ein abgesondertes Rechtsmittel angefochten werden konnte, mit der Zivilverfahrens-Novelle 2009, BGBl I 2009/30, mit Wirkung vom 1. 4. 2009 aufgehoben wurde. (…) 3. Die Rsp ist in Bezug auf die Zulassung der Nebenintervention großzügig, indem betont wird, dass bei der Beurteilung, ob die Nebenintervention zulässig ist, kein strenger Maßstab anzulegen ist. Es genügt, dass der Rechtsstreit die Rechtssphäre des Nebenintervenienten berührt (RIS-Justiz RS0035638).
Die Nebenintervention ist aber dann zurückzuweisen, wenn schon aus den vorgebrachten Tatsachen kein rechtliches Interesse zu erkennen ist (RIS-Justiz RS0035638 [T 6]). In diesem Sinn hat der Beitretende sein rechtliches Interesse iSd § 18 Abs 1 ZPO zu spezifizieren, insbesondere auch dahingehend, dass es am Obsiegen derjenigen Prozesspartei besteht, auf deren Seite der Nebenintervenient beitritt (hier also auf Seite des Bekl). 4. Nach dem Inhalt des Beitrittsschriftsatzes stützt der Nebenintervenient sein rechtliches Interesse am Obsiegen der bekl Partei auf Auswirkungen auf der Sachverhaltsebene. Wie der OGH bereits mehrmals dargelegt hat, reicht das Interesse am Erzielen bestimmter Beweisergebnisse zur Begründung eines rechtlichen Interesses nicht aus (7 Ob 725/80 SZ 53/168 [für einen „Musterprozess“]; 2 Ob 12/ 09 t unter Berufung auf 2 Ob 132/60 JBl 1961, 91; zuletzt 3 Ob 73/10 x; RIS-Justiz RS0035724 [T 4]; ebenso Schubert in Fasching/Konecny, ZPO2 § 17 Rz 1 mwN). Selbst die Feststellung eines möglichen Eigenverschuldens des Kl im Verfahren gegen den Bekl würde keine Bindungswirkung für den Prozess gegen den Nebenintervenienten entfalten. 5. Mangels entsprechender Darlegung eines rechtlichen Interesses am Obsiegen des Bekl hat das ErstG den Beitritt zu Recht zurückgewiesen; diese E ist wiederherzustellen. 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 iVm § 41 ZPO. Im Zwischenstreit über die Zulassung des Nebenintervenienten wird auch dieser kostenersatzpflichtig (RIS-Justiz RS0035436). Kosten für die Rekursbeantwortung wurden vom Kl nicht verzeichnet.
BEARBEITET VON CH. KOLLER M. SONINA A. WALL §§ 17 f ZPO OGH 14. 12. 2010, 3 Ob 211/10 s
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Zweiseitigkeit des Verfahrens über die Richterablehnung 1. Nach § 521 a Abs 1 ZPO idF der ZVN 2009 ist auch das Rekursverfahren über die Abweisung des gegen einen Richter gestellten Ablehnungsantrags zweiseitig. Da die Ablehnung eines Richters nicht nur die Belange des Ablehnungswerbers berührt, sondern auch das verfassungsrechtlich garantierte Recht der anderen Partei auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B-VG), erfordert der Eingriff in dieses Recht zwingend die Gewährung rechtlichen Gehörs.
2. Der Anschein der Befangenheit besteht insb bei persönlichen Beziehungen zwischen dem Richter und einer Partei, die über ein kollegiales oder beruflich bedingtes Verhältnis hinausgehen.
§§ 19, 24 JN; § 521 a Abs 1 ZPO; Art 87 B-VG; Art 6 EMRK
Im vorliegenden Fall gab der abgelehnte Richter an, den Erstbekl seit etwa 15 Jahren persönlich zu kennen und während seiner Konzipiententätigkeit von 1996 bis 2001 regelmäßig Kontakt mit beiden Bekl gehabt zu ha-
OGH 18. 1. 2011, 4 Ob 143/10 y
2011/132 ecolex 2011 325
DISPUTE RESOLUTION
ben; später habe er den Erstbekl zumindest einmal im Jahr in einem Sportverein getroffen. Im Jahr 2005 habe der Erstbekl beim Verkauf einer Wohnung des Richters auf Veranlassung der Käufer die Treuhandabwicklung und die Beglaubigung der Unterschriften übernommen. Kontakte mit der Zweitbekl seien seltener gewesen, seine Frau habe deren Sohn aber von 2003 bis 2006 Nachhilfe gegeben. Der OGH gab dem Ablehnungsantrag statt, obwohl die häufigeren Kontakte schon länger zurück lagen. Begründet wurde diese E ua damit, dass es
sich bei der gegen den Notar eingebrachten Haftungsklage um eine offenkundig heikle Angelegenheit handelt, die bei einem hohen Streitwert den Kern der Standespflichten des Erstbekl betrifft. Hier ist nicht auszuschließen, dass bei der rechtsschutzsuchenden Bevölkerung der Eindruck entsteht, mehrfache Berührungspunkte und gemeinsame Interessen im außerberuflichen Bereich (Sportverein) könnten zu einer gewissen Voreingenommenheit des Richters führen.
Oppositionsklage gegen einen Europäischen Vollstreckungstitel Art 20, 24 EuVTVO OGH 14. 12. 2010, 3 Ob 231/10 g
2011/133
Forderungen, die bereits vor dem Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs, der im Ursprungsstaat als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt wurde, zur Aufrechnung zur Verfügung gestanden wären, können in Österreich als Vollstreckungsstaat dem betriebenen Anspruch nicht mittels Oppositionsklage entgegengesetzt werden.
Aus der Begründung: (…) 3.1. Richtig ist, dass nach der Rsp des OGH bei Oppositionsklagen gegen vollstreckbare Notariatsakte und gerichtliche Vergleiche beachtet werden muss, dass diesen die Rechtskraftwirkung fehlt; deshalb ist die Geltendmachung der Aufrechnung mittels Oppositionsklage auch dann noch möglich, wenn zwar die Aufrechenbarkeit schon bei Errichtung des Notariatsakts bzw bei Abschluss des Vergleichs gegeben war, die Aufrechnungseinwendung aber erst nach Titelschaffung erhoben wurde (RIS-Justiz RS0107709). 3.2. Diese dem innerstaatlichen Verständnis entspringende Rsp lässt sich jedoch nicht unbesehen auf Konstellationen übertragen, in denen die Exekutionsführung auf einem ausländischen gerichtlichen Vergleich beruht, der als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt wurde. Der OGH hat in der E 3 Ob 12/10 a mit ausführlicher Begründung dargelegt, dass auch bei Oppositionsklagen der unionsrechtliche Kontext zu beachten ist. Insofern ist für den Kl aus dem von ihm relevierten Gleichheitssatz nichts zu gewinnen: Dass ein als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigter Vergleich, der vor einem ausländischen Gericht abgeschlossen wurde, unter den gleichen Bedingungen zu vollstrecken ist wie ein im Vollstreckungsstaat geschlossener Vergleich (Art 20 Abs 1 Satz 2 iVm Art 24 Abs 3 EuVTVO) besagt nicht, dass auch alle innerstaatlichen Rechtsbehelfe gegen den Anspruch und die Exekutionsfüh-
rung in gleicher Weise zur Verfügung stehen wie in Bezug auf einen innerstaatlichen Titel (vgl etwa McGuire, Rechtsbehelfe des Schuldners gegen den EU-Vollstreckungstitel, ecolex 2006, 83 ff, und Oberhammer, Der Europäische Vollstreckungstitel: Rechtspolitische Ziele und Methoden, JBl 2006, 477 [499 ff]). Auch wenn die Ansicht, der Verpflichtete könne Oppositionsgründe im Anwendungsbereich der EuVTVO nur mit Oppositionsgesuch, nicht aber mit Oppositionsklage geltend machen (in diesem Sinn McGuire, ecolex 2006, 85, und Jakusch in Angst2 § 35 Rz 70 c; aA etwa Burgstaller/Neumayr, Der Europäische Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen, ÖJZ 2006, 179 [190]; Höllwerth in Burgstaller/Neumayr, IZVR [6. Lfg 2006] Art 20 EuVTVO Rz 14; König, Der Europäische Vollstreckungstitel: Haben wir gehörig vorgesorgt? in König/Mayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht in Österreich [2007] 113 [126]), nicht herrschend geworden ist, ist doch zu beachten, dass nach Art 24 Abs 2 EuVTVO die Vollstreckbarkeit eines Vergleichs im Vollstreckungsstaat nicht mehr angefochten werden darf. Damit ist gemeint, dass die Berechtigung des Titels im Zeitpunkt seiner Schaffung nicht angreifbar ist (Pabst in Rauscher, EuZPR/EuIPR [2010] Art 20 EuVTVO Rz 36), woraus abzuleiten ist, dass Ansprüche, die bereits vor Titelschaffung zur Aufrechnung zur Verfügung standen, nicht mittels Oppositionsklage dem betriebenen Anspruch entgegengesetzt werden können. Ihre selbständige Geltendmachung wird dadurch aber nicht ausgeschlossen, worauf auch schon das BerG hingewiesen hat. Die vom Kl angesprochene „faktische Unmöglichkeit“ der Geltendmachung der Gegenforderung im Verfahren im Ursprungsstaat kann eine Zulassung als Oppositionsgrund keineswegs rechtfertigen.
Sauer ∙ Reiter-Zatloukal
Advokaten 1938 2010. XIV, 386 Seiten. Geb. mit Schutzumschlag. EUR 39,– ISBN 978-3-214-04194-6
326 ecolex 2011
CHECKLISTE
A
DISPUTE RESOLUTION
Zivilverfahrensrechtliche Bestimmungen des Budgetbegleitgesetzes 2011
Das Budgetbegleitgesetz (BGBl I 2010/111) ließ auch den Bereich der Zivilrechtspflege nicht unberührt. Diese Checkliste stellt die geänderten Gesetzesbestimmungen und die Übergangsvorschriften übersichtlich dar und soll der Praxis eine klare und einfache Handhabung der Neuerungen ermöglichen. ANDREA WALL
Änderungen nach dem 31. 12. 2010 / ab dem 1. 1. 2011 1.
§ 54 Abs 1 a ZPO
Das Gericht hat die Positionen eines Kostenverzeichnisses, gegen die vom vertretenen Gegner keine Einwendungen erhoben wurden, ungeprüft seiner Entscheidung zu Grunde zu legen.1) Satz 4: Kein Kostenersatz für die Einwendungen zum Kostenverzeichnis. & Anknüpfungspunkt (nur Satz 4): Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz
A
2.
§ 80 Z 2 EO
Die Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung setzt nicht mehr voraus, dass das verfahrenseinleitende Schriftstück dem Verpflichteten im Inland zu eigenen Handen zugestellt wurde. Dadurch wird den durch das Budgetbegleitgesetz 2009 (BGBl I 2009/ 52) erfolgten Änderungen der Klagezustellung entsprochen. & Anknüpfungspunkt: Zustellung der (ausländischen) Ladung und Verfügung nach dem 30. 6. 2009
A
Änderungen nach dem 30. 4. 2011 / ab dem 1. 5. 2011 3.
§ 87 ZPO
Gerichtliche Zustellungen erfolgen primär nach den Regeln der ZPO, subsidiär nach den §§ 89 a ff GOG und – soweit diese keine Regelungen treffen – nach dem Zustellgesetz.
A
4.
§ 222 ZPO
Die verhandlungsfreie Zeit entfällt. Zwischen 15. 7. und 17. 8. sowie 24. 12. und 6. 1. werden die Notfristen im Rechtsmittelverfahren gehemmt. Die Fristenhemmung gilt nicht in den im Abs 2 genannten Verfahren. Nach Abs 3 leg cit gilt ein rechtzeitig bekannt gegebener Urlaub der unvertretenen Partei oder des Vertreters der Partei in dieser Zeit als Erstreckungsgrund nach § 134 Z 1 ZPO. Die §§ 223 bis 225 ZPO werden aufgehoben.
A
5.
§ 23 Abs 1 AußStrG; § 78 Die Fristenhemmung gem § 222 ZPO kommt im Außerstreit-, ExeEO; § 254 Abs 1 Z 4 IO; kutions-, Insolvenz- und Europäischen Bagatellverfahren sowie im Verfahren in Arbeits- und Sozialrechtssachen nicht zur Anwendung. § 548 Abs 1 ZPO; § 39 Abs 4 ASGG
A
6.
§ 277 ZPO
Die unmittelbare Beweisaufnahme unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung (sog „Videoeinvernahme“ ) ist der Einvernahme durch einen ersuchten Richter vorzuziehen, sofern nicht Zweckmäßigkeitserwägungen dagegen sprechen.
A
7.
§ 393 Abs 4 ZPO
Der Verweis auf § 52 Abs 2 wird auf § 52 Abs 4 geändert.2)
A
1) Vgl hierzu die (zu Recht) kritischen Ausführungen von Rassi, in diesem Heft 320 ff. 2) Auch der Verweis auf § 52 Abs 2 in § 392 Abs 2 hätte richtigerweise durch § 52 Abs 4 ersetzt werden müssen.
ecolex 2011 327
DISPUTE RESOLUTION
A
Über den Einwand der Verjährung des Anspruchs kann das Gericht durch Zwischenurteil entscheiden. Ist der Anspruch verjährt, hat ein abweisendes Endurteil zu ergehen.
8.
§ 393 a ZPO
9.
§ 461 Abs 2; § 465; § 467 Die Möglichkeit, Rechtsmittel zu Protokoll zu geben, entfällt. Z 5; § 468; § 469 Abs 1; & Anknüpfungspunkt: Datum der Entscheidung erster Instanz § 473 a Abs 4; § 520 Abs 1; § 521 a Abs 1 ZPO; § 47 AußStrG; § 39 Abs 2 Z 2 ASGG
A A
10. § 517 Abs 3 ZPO
Ein Kostenrekurs ist unzulässig, wenn der strittige Betrag € 50,– nicht übersteigt. & Anknüpfungspunkt: Datum der Entscheidung erster Instanz
A
11. § 8 a JN
Über Rechtsmittel gegen Entscheidungen über die Sachverständigenund Dolmetschergebühren entscheidet der Einzelrichter. & Anknüpfungspunkt: Datum der Entscheidung erster Instanz
A
12. § 11 Abs 3, 4 RpflG
Über Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Rechtspflegers entscheidet das Gericht zweiter Instanz. & Anknüpfungspunkt: Datum der Entscheidung erster Instanz
A
13. § 70 Abs 2 IO
Der Antrag eines Gläubigers auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist dem Schuldner nicht mehr zu eigenen Handen zuzustellen. Dadurch wird die bereits mit dem Budgetbegleitgesetz 2009 (BGBl I 2009/52) eingeleitete Abschaffung der Eigenhandzustellung fortgeführt. & Anknüpfungspunkt: Abfertigung des Schriftstücks
A
Änderungen nach dem 30. 6. 2011 / ab dem 1. 7. 2011 14. § 52 ZPO
Sowohl das Erst- als auch das InstanzG können durch unanfechtbaren Beschluss die Kostenentscheidung vorbehalten. Das ErstG entscheidet nach rechtskräftiger Erledigung der Streitsache über den Kostenersatz.3) & Anknüpfungspunkt: Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz
A
15. § 86 a ZPO
Nach Abs 1 leg cit sind beleidigende Schriftsätze nach erfolglosem Verbesserungsversuch zurückzuweisen und weitere derartige Schriftsätze dieser Partei ohne inhaltliche Behandlung zu den Akten zu nehmen, worauf im Verbesserungsauftrag hinzuweisen ist. Nach Abs 2 leg cit sind verworrene, unklare, sinn- oder zwecklose Schriftsätze ohne Verbesserungsversuch zurückzuweisen und weitere derartige Schriftsätze dieser Partei ohne inhaltliche Behandlung zu den Akten zu nehmen, worauf im Zurückweisungsbeschluss hinzuweisen ist. & Anknüpfungspunkt: Einbringen des Schriftsatzes bei Gericht
A
16. § 10 AußStrG
§ 86 a ZPO gilt im außerstreitigen Verfahren sinngemäß.
17. § 92 ZPO
Ist die Zustellung an eine juristische Person an der im Firmenbuch eingetragenen Abgabestelle nicht möglich und keine andere Abgabestelle bekannt, hat die Zustellung auf Antrag des Kl ohne Bestellung eines Kurators durch Mitteilung in der Ediktsdatei zu erfolgen. & Anknüpfungspunkt: Anbringung der Klage bei Gericht
A A
18. § 469 Abs 3 ZPO
Der Nichtigkeitsberufung gem § 477 Abs 1 Z 4 ZPO gegen ein Versäumungsurteil kann das Gericht, dessen Urteil angefochten wird, selbst stattgeben. & Anknüpfungspunkt: Datum des Versäumungsurteils
A
19. § 12 Abs 6 ASGG
Die Gründe für die Änderung der Senatszusammensetzung sind nicht mehr im Akt festzuhalten.
A
20. § 38 ASGG
Die verpflichtende Anhörung des Kl vor Überweisung an das zuständige Gericht entfällt.
A
3) Ausführlich dazu Rassi, in diesem Heft 320 ff.
328 ecolex 2011
&
A
DISPUTE RESOLUTION
Anknüpfungspunkt: Anbringung der Klage bei Gericht
21. § 75 ASGG
In Sozialrechtssachen sind primär „justizinterne“ Dolmetscher zu bestellen.
A
22. § 90 Abs 2 ASGG
Im sozialgerichtlichen Verfahren erfolgt insb dann keine Zurückverweisung an das ErstG, wenn die Beweisergänzung nur die Einholung eines Gutachtens erfordert. & Anknüpfungspunkt: Datum der Entscheidung erster Instanz
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23. § 46 AußStrG
Abs 3 leg cit, der die Anfechtung von Beschlüssen auch nach Ablauf der Rekursfrist ermöglicht, entfällt. & Anknüpfungspunkt: Datum der Entscheidung erster Instanz
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24. § 249 Abs 3 EO
Bei der Fahrnisexekution muss die im vereinfachten Bewilligungsverfahren ergangene Exekutionsbewilligung dem Verpflichteten nicht vorweg zugestellt werden, wenn die hereinzubringende Forderung weniger als € 500,– beträgt und die Zahlung aufgrund der Zustellung nicht zu erwarten ist. & Anknüpfungspunkt: Einlangen des Exekutionsantrags bei Gericht
A
Voreinzahlungen auf Kapitaleine Kapitalgesellschaft weiteres Eigenkapital, erhöhungen Benötigt besteht der klassische Weg der Kapitalaufbringung in einer
GESELLSCHAFTSRECHT GELEITET VON J. REICH-ROHRWIG
Kapitalerhöhung. Die dafür notwendigen Schritte sind im Gesetz klar vorgegeben. In den meisten Fällen ist es auch unproblematisch, diesen Ablauf einzuhalten. Schwierigkeiten ergeben sich aber dann, wenn die Gesellschaft das frische Geld sehr rasch benötigt. In diesen Fällen stellt sich die Frage, ob es zulässig ist, auf die Kapitalerhöhung Vorauszahlungen zu leisten. CHRISTOPHER SCHRANK / GERNOT WILFLING
A. Einleitung In Folge der Finanzkrise ist va für finanzschwache Unternehmen die Aufnahme von Fremdkapital schwieriger geworden, weshalb in letzter Zeit die Unternehmenssanierung durch Zuführung von frischem Eigenkapital an Bedeutung gewonnen hat. Zur Ausstattung von Kapitalgesellschaften mit Eigenkapital stehen im Wesentlichen zwei Alternativen zur Verfügung, nämlich die Leistung eines (nicht rückzahlbaren) Gesellschafterzuschusses oder die Zeichnung einer Kapitalerhöhung. Die Zuführung von frischem Eigenkapital mittels Gesellschafterzuschuss ist – weil es zu keiner Firmenbucheintragung kommt – einfach. Es reicht aus, dass der Gesellschafter das Geld an die Gesellschaft überweist und erklärt, diese Zahlung als nicht rückzahlbaren Gesellschafterzuschuss zu tätigen. Da keine neuen Anteile ausgegeben werden, ist der Gesellschafterzuschuss in Folge der sonst eintretenden Verwässerung in der Regel aber nur bei Gesellschaften mit einem Alleingesellschafter oder dort, wo alle Gesellschafter im Ausmaß ihrer Beteiligung neues Kapital zuführen, ein taugliches Mittel der Kapitalausstattung.
Immer dann, wenn lediglich einzelne Gesellschafter oder ein Dritter der Gesellschaft (weiteres) Eigenkapital zur Verfügung stellen, erfordert die Ausgabe neuer Anteile – von hier nicht zu behandelnden Ausnahmen abgesehen – eine ordentliche Kapitalerhöhung unter Einhaltung der dafür gesetzlich vorgesehenen Regelungen (§§ 149 ff AktG, §§ 52 ff GmbHG). Bereits durch die einzuhaltenden Fristen für die Einberufung der Haupt- bzw Generalversammlung1) geht daher (sofern keine Vollversammlung möglich ist) wertvolle Zeit verloren, was den Zufluss des frischen Kapitals verzögert. Dies kann va in Zeiten der Krise der Gesellschaft zu Schwierigkeiten führen. Es stellt sich daher die Frage, ob eine Durchbrechung des gesetzlich vorgezeichneten Ablaufs bei der Kapitalerhöhung dahingehend möglich ist, dass die Einlage eines Gesellschafters auch dann schuldtilMMag. Dr. Christopher Schrank ist Rechtsanwalt und Mag. Gernot Wilfling Rechtsanwaltsanwärter der Brandl & Talos Rechtsanwälte GmbH, 1070 Wien, Mariahilfer Straße 116, office@btp.at, www.btp.at 1) Diese betragen – sofern die Satzung nicht längere Fristen vorsieht – bei der GmbH zumindest sieben Tage (§ 38 Abs 1 GmbHG), bei der AG aber zumindest 21 Tage (§ 107 AktG).
ecolex 2011 329
GESELLSCHAFTSRECHT
gend erfolgt, wenn sie bereits vor dem förmlichen Kapitalerhöhungsbeschluss an die Gesellschaft geleistet wurde und im Zeitpunkt der Beschlussfassung allenfalls nicht mehr (vollständig) im Gesellschaftsvermögen vorhanden ist.
punkt der förmlichen Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung bereits verbraucht ist.8)
B. Aktuelle Rechtslage
Die Bestimmungen in den §§ 10 GmbHG und 29 AktG dienen dem Gläubigerschutz bei der Kapitalaufbringung. Der Gläubigerschutz soll ua durch die Erklärung der Geschäftsführung und die Bestätigung eines Kreditinstituts sowie der damit einhergehenden Haftung der Geschäftsführung bzw des Kreditinstituts für Falscherklärungen erreicht werden.9) Der Schutz der Gläubiger bei der Kapitalaufbringung erfordert es jedoch nicht unbedingt, Voreinzahlungen auf künftig zu beschließende Kapitalerhöhungen die schuldtilgende Wirkung in jedem Fall zu versagen, wenn die Voreinzahlung im Zeitpunkt der Beschlussfassung bereits verbraucht wurde. Weder im GmbHG noch im AktG gibt es gesetzliche Bestimmungen, die das Leisten von Voreinzahlungen explizit verbieten.10) Die nach herrschender Lehre und Rsp zwingende gesetzliche Abfolge (die bei der Voreinzahlung durchbrochen wird) sieht jedoch zuerst einen Kapitalerhöhungsbeschluss vor, auf den dann die Übernahmeerklärung hinsichtlich der neuen Einlagen folgt;11) erst danach sollen die Leistung der Einlagen erbracht und die Anmeldung beim Firmenbuchgericht eingebracht werden.12) Dennoch gibt es gute Gründe dafür, eine Durchbrechung des gesetzlich vorgesehenen Ablaufs zuzulassen, wenn dies zum Wohl der Gesellschaft erforderlich ist (zB wenn die Gesellschaft sofort frisches Eigenkapital benötigt, um den Fortgang des Geschäftsbetriebs zu gewährleisten). Dringender Kapitalbedarf kann auch zur Sanierung von Tochtergesellschaften, für Akquisitionen, für dringend erforderliche Investitionen oder in sonstigen Fällen, in denen der Gesellschaft ein Schaden entstehen kann, wenn nicht schnell frisches Kapital in die Gesellschaft gelangt, gegeben sein.
Weder im AktG noch im GmbHG ist explizit festgeschrieben, bis zu welchem Zeitpunkt ein Kapitalerhöhungsbetrag unvermindert im Vermögen der Gesellschaft zur Verfügung stehen muss. Bei Gesellschaftsgründungen gilt nach § 29 AktG bzw § 10 GmbHG, dass die Geschäftsführung den Nachweis zu erbringen hat, dass die Einzahlungsbeträge geleistet wurden und die Geschäftsführung in der Verfügung über die eingezahlten Beträge nicht, namentlich nicht durch Gegenforderungen, beschränkt ist. Dieser Nachweis ist durch Vorlage einer Bankbestätigung zu erbringen. Die Firmenbuchpraxis verlangt eine Bankbestätigung, welche zum Zeitpunkt der Anmeldung nicht älter als ein bis zwei Wochen ist.2) Überdies muss die Geschäftsführung bei der Bargründung in der Firmenbuchanmeldung erklären, dass das Kapital im vorgesehenen Ausmaß bar eingezahlt ist und sich der eingezahlte Betrag in der freien und unbeschränkten Verfügung der Geschäftsführung befindet (vgl § 10 Abs 3 GmbHG). Die Literatur leitet daraus ab, dass bei Gesellschaftsgründungen die Bareinzahlungsbeträge zumindest zum Zeitpunkt der Anmeldung der Gesellschaft zum FB noch unvermindert vorhanden sein müssen.3) Die Rsp hat bisher einen etwas strengeren Ansatz vertreten: Es wird verlangt, dass sich der Bareinzahlungsbetrag auch noch zum Zeitpunkt des Einlangens der Anmeldung beim Gericht auf dem Konto befindet.4) Seit Firmenbuchanträge via web-ERV eingebracht werden, ist dieser Zeitpunkt freilich identisch mit dem Zeitpunkt der Anmeldung, sodass die Differenzierung hinfällig wird. Für Kapitalerhöhungen gelten § 29 AktG bzw § 10 GmbHG grundsätzlich analog.5) Die Frage, wie lange der Kapitalerhöhungsbetrag real vorhanden sein muss, wird hier jedoch weniger streng gesehen als bei der Gründung. Die überwiegende Lehre6) vertritt dem BGH7) folgend, dass die freie Verfügung der Geschäftsführung über den Erhöhungsbetrag zu irgendeinem Zeitpunkt nach der Beschlussfassung genügt. Mit anderen Worten: Bei Kapitalerhöhungen ist anerkannt, dass die Gesellschaft das Geld gleich nach Beschlussfassung verbrauchen kann und nicht die Eintragung im Firmenbuch abwarten muss. Besonders brisant sind bei der Kapitalerhöhung jedoch jene Situationen, in denen Gesellschafter den Erhöhungsbetrag bereits vor der förmlichen Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung auf ein Gesellschaftskonto einzahlen („Voreinzahlung“). Dies ist zwar dann unproblematisch, wenn der Einzahlungsbetrag zum Zeitpunkt der Anmeldung der Kapitalerhöhung beim FB oder zumindest nach der Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung noch unvermindert vorhanden ist. Umstritten ist jedoch, ob einer Voreinzahlung schuldtilgende Wirkung zukommen kann, wenn der Voreinzahlungsbetrag im Zeit330 ecolex 2011
C. Schuldtilgende Wirkung von Voreinzahlungen
2) Gruber, ÖBA 2003, 735. 3) Reich-Rohrwig, GmbH-Recht I2 Rz 1/593, 606; weitere Nachweise bei Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 10 Rz 17, die jedoch selbst der Ansicht sind, dass es ausreicht, wenn das Kapital zum Zeitpunkt der Anmeldung wertmäßig (also entweder in bar oder in Vermögenswerten) noch vorhanden ist. 4) OGH ecolex 1994, 819; OGH RdW 1990, 13; auf den Zeitpunkt der Anmeldung abstellend OLG Wien 20. 5. 1994, 6 R 22/94. 5) Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 53 Rz 4; Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 155 Rz 18 mwN. 6) Nagele/Lux in Jabornegg/Strasser, AktG5 § 155 Rz 3; Winner in Doralt/ Nowotny/Kalss, AktG § 155 Rz 21; Pfeifer in Kropff/Semmler, MünchKomm AktG2 § 188 Rz 15. 7) BGH 18. 3. 2002, ZIP 2002, 799; Rechtsprechung des OGH zu dieser Frage gibt es soweit ersichtlich nicht. 8) Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 155 Rz 24. 9) Van Husen in Straube, Wiener Komm GmbHG § 10 Rz 52 ff. 10) Für die vergleichbare deutsche Rechtslage Ulmer, Die Voreinzahlung auf Barkapitalerhöhungen im GmbH-Recht – Von Fallstricken und Fußangeln, in FS Westermann 1576. 11) OGH 25. 9. 1997, 6 Ob 264/97 k; BGH GmbHR 1995, 113 f; Karollus, DStR 1995, 1065 f; Groß, GmbHR 1995, 848. 12) Ähnlich Karollus, DStR 1995, 1065; Ehlke, ZGR 1995, 427 f; Wülfing, GmbHR 2007, 1124.
GESELLSCHAFTSRECHT
Aus den Gesetzesmaterialien geht nicht hervor, dass der Gesetzgeber bei der Festlegung des gesetzlichen Ablaufs solche Fälle bedacht hätte, weshalb insofern vom Vorliegen einer Regelungslücke ausgegangen werden kann.13) Diese Lücke ist durch zweckmäßige Interpretation im Hinblick auf einen effektiven Gläubigerschutz zu schließen. Um einen effektiven Gläubigerschutz zu gewährleisten, ist in Situationen, in denen die Gesellschaft einen dringenden Kapitalbedarf hat (sei es aufgrund einer Krisensituation oder aus anderen Gründen), Voreinzahlungen schuldtilgende Wirkung zuzuerkennen.14) Das starre Einhalten des gesetzlich vorgezeichneten Ablaufs auch in solchen Situationen würde nämlich die Zufuhr von Liquidität erschweren und zu einer (nachhaltigen) Schädigung der Gesellschaft führen. Für Gläubiger ist es daher regelmäßig besser, es kommt Geld vor der förmlichen Beschlussfassung in die Gesellschaftskasse und wird zur Deckung des dringenden Kapitalbedarfs (schon vor der Beschlussfassung) verwendet, als die Gesellschafter halten sich an den vorgegebenen Ablauf und treiben die Gesellschaft dadurch allenfalls in die Insolvenz. Gerade die im Zeitpunkt der Voreinzahlung bereits bestehenden Gläubiger werden an einer möglichst raschen Zahlung interessiert sein. Die Einhaltung der gesetzlichen Abfolge ist daher zum Schutz von Altgläubigern keinesfalls erforderlich. UE erfordert auch der Schutz der Neugläubiger nicht, Ausnahmen vom gesetzlichen Ablauf abzulehnen. Potenzielle Neugläubiger werden in der Regel (wenn überhaupt) erst nach Eintragung im FB von der Kapitalerhöhung Kenntnis erlangen. Wie bereits erwähnt, kommt es nach der herrschenden Meinung jedoch darauf an, dass der Kapitalerhöhungsbetrag zu irgendeinem Zeitpunkt nach der Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung vorhanden ist. Ein potenzieller Neugläubiger kann daher ohnedies nicht darauf vertrauen, dass der Kapitalerhöhungsbetrag zum Zeitpunkt der Eintragung der Kapitalerhöhung in das FB noch vorhanden ist, sondern lediglich darauf, dass in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung ein Mittelzufluss erfolgt ist.15) Es besteht daher schon deshalb auch kein schutzwürdiges Interesse der Neugläubiger. Diese Auffassung wird dadurch gestützt, dass Kapitalerhöhungen auch bei schlechter Vermögenslage der Gesellschaft zulässig sind. Ein Gläubiger kann sich daher nicht auf eine bestimmte Vermögenslage oder Liquidität der Gesellschaft verlassen, nur weil diese gerade eine Kapitalerhöhung durchgeführt hat. In diesem Punkt weicht die Situation bei der Kapitalerhöhung auch erheblich von der Situation bei der Gründung ab, weshalb eine großzügigere Behandlung der Kapitalerhöhung geboten ist.16) Während Voreinzahlungen die Interessen der Gesellschaftsgläubiger somit nicht beeinträchtigen, sprechen die Interessen der Übernehmer der Kapitalerhöhung klar für die Anerkennung der Voreinzahlung. Beim voreinzahlenden Gesellschafter handelt es sich in aller Regel um einen Gesellschafter, welcher im Interesse der Gesellschaft (und daher auch im Interesse der Gesellschaftsgläubiger) handelt.17) Dieser müsste aber – würde man die Voreinzahlung nicht anerkennen – den Kapitalerhöhungsbetrag noch einmal leis-
ten, während er gegenüber der Gesellschaft nur einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung wegen der rechtsgrundlosen Zahlung geltend machen könnte.18) Letzterer ist jedoch in der Insolvenz (Voreinzahlungen werden in der Regel in der Insolvenz durch den Masseverwalter aufgedeckt) Konkursforderung und würde daher nur mit der Konkursquote bedient.19) Aus all diesen Gründen steht das Gebot des Gläubigerschutzes der Anerkennung von schuldtilgender Wirkung von Voreinzahlungen in Fällen, in denen die Gesellschaft ein dringendes Bedürfnis nach frischem Kapital hat, nicht entgegen.20) Die Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung muss jedoch ohne schuldhafte Verzögerung nachgeholt werden.21) Es ist uE aber nicht notwendig, dass die Kapitalerhöhung im Zeitpunkt der Voreinzahlung – insb durch Einberufung der Haupt- bzw Generalversammlung – bereits in die Wege geleitet ist.22) Freilich ist es notwendig, die Voreinzahlung gegenüber dem Firmenbuchgericht offen zu legen. Dies allein deshalb, weil es wegen des erfolgten (teilweisen) Verbrauchs des Geldes nicht möglich sein wird, dem FB eine nach der Beschlussfassung ausgestellte förmliche Bankbestätigung vorzulegen. Die Geschäftsführer werden daher gegenüber dem Firmenbuchgericht zu bestätigen haben, dass der Kapitalerhöhungsbetrag im Leistungszeitpunkt unbeschränkt, namentlich nicht durch Gegenforderungen beschränkt, zur Verfügung stand. Zusätzlich wäre es sinnvoll, durch Vorlage einer Überweisungsbestätigung bzw einer gesonderten Bestätigung der Bank zu dokumentieren, dass das Geld – wenn auch vor dem Kapitalerhöhungsbeschluss – geleistet worden ist. Weitere Voraussetzungen für die schuldtilgende Wirkung einer Voreinzahlung bestehen uE nicht. Insbesondere sollte man sich nicht auf das Bestehen einer Krise versteifen, sondern – wie zuvor erwähnt – jede Art von dringendem Kapitalbedarf anerkennen.23) Überdies wäre es nicht sachgerecht, die Voreinzahlung nur dann anzuerkennen, wenn die Sanierung ohne derselben scheitern würde. Dies schon deshalb, weil es für die handelnden Akteure im Zeit13) Ebenso zum dGmbHG Priester, Voreinzahlung auf Stammeinlagen bei sanierender Kapitalerhöhung, in FS Fleck 237. 14) Ebenso Fellner/Kaindl, ÖBA 2006, 114; Winner, AktG § 155 Rz 24; Lutter in Zöllner, Kölner Komm AktG2 § 188 Rz 25; Hüffer, AktG9 § 188 Rz 8; ähnlich Ulmer in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG Großkomm § 56 a Rz 33, 33 a. 15) Vgl nur Ulmer in FS Westermann 1583. 16) Ähnlich Lutter in Zöllner, Kölner Komm AktG2 § 188 Rz 24. 17) Ebenso Ehlke, ZIP 2007, 752. 18) Ebenso Pfeifer in Kropff/Semmler, MünchKomm AktG2 § 188 Rz 19. 19) Groß, GmbHR 1995, 846; Ehlke, ZIP 2007, 752. 20) Ebenso auf das Erfordernis des dringenden Kapitalbedarfs abstellend Lutter/Hommelhof/Timm, DB 1980, 750. 21) BGH ZIP 2006, 2216. 22) Ebenso Ehlke, ZGR 1995, 446; Groß, GmbHR 1995, 849; Kort, DStR 2002, 1226; aA BGH ZIP 2006, 2216; Priester in FS Fleck 231, 237 ff; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 63 Rz 22 a; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG16 § 56 a Rz 6 a. 23) AA der BGH (ZIP 2006, 2216) und die hL, vgl nur Winner in Doralt/ Nowotny/Kalss, AktG § 155 Rz 24; Karollus, DStR 1995, 1065; Pfeifer in Kropff/Semmler, MünchKomm AktG2 § 188 Rz 18 f; Veil in Schmidt/Lutter, AktG § 188 Rz 14.
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GESELLSCHAFTSRECHT
punkt der Einzahlung oft nicht erkennbar ist, ob die Sanierung tatsächlich scheitern würde, wenn sie mit der Einzahlung noch zuwarten würden.24) Ebenso kann es nicht auf eine objektive Sanierungsfähigkeit und Eignung der Voreinzahlung zur durchgreifenden Sanierung ankommen.25) Aus der Sicht des einzahlenden Gesellschafters werden diese Kriterien in aller Regel erfüllt sein, da er andernfalls nicht bereit wäre, frisches Geld in die Gesellschaft einzuzahlen. Die Einholung einer objektiven Meinung, wie bspw das Gutachten eines Unternehmensberaters, wird in Konstellationen wie der hier fraglichen jedenfalls am zeitlichen Faktor scheitern.26)
D. Abgrenzung zur verdeckten Sacheinlage Sofern eine Zahlung im engen zeitlichen Zusammenhang vor dem Kapitalerhöhungsbeschluss mit dem Zahlungszweck erfolgt, eine Bareinlage an die Gesellschaft zu leisten, liegt keine (verdeckte) Einlage von Forderungen vor.27) Dies ist damit zu begründen, dass es bei der Voreinzahlung gar nicht erst zum Entstehen einer Forderung des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft kommt. Mangels Vorliegen einer Forderung kann eine solche auch nicht als Sacheinlage eingebracht werden.28) Wird jedoch eine Zahlung ohne zeitlichen Zusammenhang zur Kapitalerhöhung zuerst als Darlehen geleistet, auf das der Gesellschafter dann im Hinblick auf die geplante Kapi-
C
talerhöhung verzichtet, besteht eine (wenn auch vielleicht nicht fällige) Forderung des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft. Die Einbringung dieser Forderung wäre als Sacheinlage zu qualifizieren.29)
24) Ebenso Ehlke, ZIP 2007, 750. 25) Ebenso Priester in FS Fleck 249; Ehlke, ZIP 2007, 750; aA BGH ZIP 2006, 2216. 26) Ähnlich Ehlke, ZIP 2007, 750. 27) Lutter/Hommelhof, GmbHG15 § 56 Rz 19; ähnlich Priester in FS Fleck 240; Groß, GmbHR 1995, 847; aA Wiedemann, GmbHR 1967, 146 (147). 28) Groß, GmbHR 1995, 849; ähnlich Ulmer in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG Großkomm § 56 Rz 30; ders in FS Westermann 2578. 29) Vgl nur Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 63 Rz 15. SCHLUSSSTRICH
Hat eine Gesellschaft dringenden Kapitalbedarf, kommt einer Voreinzahlung auf eine künftig zu beschließende Kapitalerhöhung auch dann schuldtilgende Wirkung zu, wenn der Voreinzahlungsbetrag im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung bereits verbraucht war, sofern ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Voreinzahlung und Kapitalerhöhungsbeschluss besteht. Aus praktischen Gründen wird eine Offenlegung der Voreinzahlung beim Firmenbuchgericht erforderlich sein.
Memo: Einlagenrückgewähr durch Besicherung ALEXANDER TAIYO SCHEUWIMMER
Eine der zentralen Bestimmungen des Kapitalerhaltungsrechts1) für die GmbH findet sich in § 82 GmbHG: jene über das Verbot der Einlagenrückgewähr. Nach dieser Bestimmung können Gesellschafter Stammeinlagen nicht zurückfordern und haben nur Anspruch auf den Bilanzgewinn (sofern nicht von der Verteilung ausgeschlossen). Die Gesetzesstelle präzisiert den Tatbestand der Einlagenrückgewähr noch weiter; im Zusammenspiel mit anderen Bestimmungen und der Judikatur ergibt sich daraus:2) Verboten ist jede vermögensmindernde Leistung von der Gesellschaft an den Gesellschafter, ausgenommen: & Verteilung von Bilanzgewinn & Liquidationserlös & gesetzliche Ausnahmefälle (Einziehung von Geschäftsanteilen gem § 58 GmbHG, ordentliche Kapitalherabsetzung gem §§ 54 ff GmbHG, Sonderfälle im Verschmelzungsrecht)3) & drittübliche Austauschgeschäfte (der in § 82 Abs 4 genannte Fall ist in Wahrheit nur ein Beispiel hierfür) Als verdeckte Einlagenrückgewähr werden nun vermögensmindernde Leistungen an Gesellschafter bezeichnet, bei denen es zu keiner direkten Vermögenszuwendung kommt.4) Geradezu klassische Fälle sind die
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Miete oder der Kauf einer Immobilie durch die Gesellschaft zu einem überhöhten Preis, Miete oder der Kauf einer Immobilie durch den Gesellschafter zu einem zu niedrigen Preis, unentgeltliche Nutzung von Einrichtungen der Gesellschaft durch den Gesellschafter5) sowie überhöhte Vergütungen an einen GesellschafterGeschäftsführer.6) Ein etwas „exotischerer“ Fall von Einlagenrückgewähr erfolgt durch Besicherung:7) Hier bestellt die Gesellschaft eine Sicherheit (Bürgschaft, Pfand, Garantie)8) zugunsten des Gesellschafters. Das Rechtsverhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter Dr. Alexander Taiyo Scheuwimmer, M.B.A. (Tokyo), ist RAA bei DLA Piper Weiss-Tessbach Rechtsanwälte in Wien und Gründer von J Law-Japan Juristen (www.j-law.at). 1) Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 52 Rz 57. 2) Reich-Rohrwig, Verbotene Einlagenrückgewähr bei Kapitalgesellschaften, ecolex 2003, 152. 3) § 2 Abs 2 Z 3 UmwG, §§ 9, 11 SpaltG. 4) Reich-Rohrwig, ecolex 2003, 154. 5) OGH 26. 4. 2000 ecolex 2001/19. 6) OGH SZ 7/328. 7) MwN Bauer/Zehetner in Straube, Wiener Kommentar zum GmbHGesetz § 82 Rz 110. 8) Siehe Artmann in Jabornegg/Strasser, AktG4 Rz 18 mwN.
wird in aller Regel nur konkludent begründet und wird rechtlich wie ein Auftrag gem §§ 1002 ff ABGB behandelt. Die verpönte Leistung an den Gesellschafter besteht in der Tatsache, dass dieser einen Kredit, allenfalls zu besseren Bedingungen, aufnehmen kann.9) Fraglich ist in diesem Zusammenhang der Zeitpunkt der Vermögensverminderung bei der Gesellschaft. In Frage kommt der Abschluss der Vereinbarung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter.10) Ebenso denkbar ist die allenfalls zeitlich nachfolgende Bestellung der Sicherheit. Schließlich kann aber auch die Ansicht vertreten werden, dass erst die Verwertung der Sicherheit durch den Besicherten die Vermögensverminderung auslöst.11) An dieser Stelle ist ein Exkurs in die Finanzierung innerhalb eines Konzerns allgemein angebracht: Man unterscheidet grundsätzlich individuelle von koordinierter Unternehmensfinanzierung. Erstere liegt vor, wenn jedes Unternehmen des Konzerns einzeln, also unabhängig von den anderen, finanziert wird. Bei der koordinierten Unternehmensfinanzierung hingegen kann man weiter unterscheiden:12) & Finanzierungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft können entweder Down-stream (Kapitalerhöhung, Zuschuss, Darlehen) erfolgen; diesfalls liegt kein Problem der Einlagenrückgewähr jedoch allenfalls eines des Eigenkapitalersatzes vor;13) sie können aber auch Up-Stream geschehen; hier können sich durchaus Einlagenrückgewährfragen stellen. & Finanzierungen zwischen Schwestergesellschaften können in vielen verschiedenen Formen auftreten; beim (effektiven oder fiktiven) Cash-Pooling zB wird auf eine optimale Nutzung der konzerninternen Liquidität abgezielt, indem Liquiditätsüberschüsse bei der einen Gesellschaft einen entsprechenden Mangel bei einer anderen ausgleichen. & Zentrale Konzernfinanzierung existiert ebenfalls in zahlreichen Ausgestaltungen. Am häufigsten anzutreffen sind Konstellationen, bei denen die Mutteroder eine eigens geschaffene Finanzierungsgesellschaft die Finanzierung abwickelt und koordiniert. Bei der zuletzt genannten Konstellation leisten in der Regel andere Konzerngesellschaften einen Beitrag, indem sie eine Sicherheit bestellen. An dieser Stelle treten Probleme mit der Einlagenrückgewähr auf. Unterschieden wird je nach Sicherheit: & Entspricht die Sicherheitenbestellung jenem Teilbetrag der Gesamtfinanzierung, welcher der besichernden Gesellschaft zukommt, liegt keine Einlagenrückgewähr vor.14) Ausgenommen sind freilich Fälle, in denen die besichernde Gesellschaft ihren Teilbetrag als Kapitalerhöhung oder für Gewinnauszahlung verwendet. Ebenfalls aufgepasst muss werden, wenn der Teilbetrag der besichernden Gesellschaft durch ein Gesellschafterdarlehen zukommt: Zwar gilt dies nicht als Einlagenrückgewähr, da eine Aufrechnung möglich ist;15) jedoch muss jede Rückzahlung auch die Sicherheitenbestellung um denselben Betrag vermindern. & Steht der Besicherung eine andere angemessene Gegenleistung gegenüber, liegt ebenfalls keine Einlagenrückgewähr vor.
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GESELLSCHAFTSRECHT
Eine Besicherung, bei der die besichernde Gesellschaft durch die Besicherung in ihrer Existenz gefährdet wird, ist nie zulässig. Hier ist keine angemessene Gegenleistung möglich.16) Darüber, was – außer einem Anteil an der Gesamtfinanzierung – alles eine angemessene Gegenleistung für die Besicherung sein kann, herrscht Uneinigkeit: & Ein Teil der Lehre nimmt an, dass durch die Eingliederung in den Konzern bereits eine Gegenleistung erfolgt. Insbesondere bei arbeitsteiliger Gliederung (zB wenn reine Produktions- und Vertriebsgesellschaften vorliegen) und anderen engen Beziehungen soll dies als angemessene Gegenleistung ausreichen.17) & Anerkannt ist, dass eine Avalprovision eine angemessene Gegenleistung darstellen kann.18) Freilich muss diese einem Drittvergleich standhalten. Dazu wird wohl eine Bonitätsprüfung erforderlich sein.19) & Eine Besicherung kann einlagenrückgewährrechtlich aber auch zulässig sein, wenn der Geschäftsführer der besichernden Gesellschaft dem Maßstab des sorgfältig handelnden Geschäftsführers entsprechend handelt und die Besicherung aus anderen betrieblichen Gründen im Interesse der Gesellschaft ist.20) & Schließlich ist noch der Fall denkbar, in dem die besichernde Gesellschaft ihrerseits besichert wird oder realistische Regressmöglichkeiten hat.21) Wird keines dieser Kriterien erfüllt, ist die Besicherung absolut nichtig. Dies gilt auch für einen entsprechenden Weisungsbeschluss der Gesellschafter und für mittelbare Gesellschafter.22) Fraglich ist allenfalls, wie die Rückabwicklung zu erfolgen hat. Die herrschende Meinung geht von einer bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung aus. Vereinzelt wurde aber auch vertreten, dass der Anspruch mit Eigentumsklage geltend &
9) Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung bei AG, GmbH sowie GmbH & Co KG (2004) 177 f. 10) Siehe Bauer/Zehetner in Straube, Wiener Kommentar zum GmbHGesetz § 82 Rz 120. 11) Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung bei AG, GmbH sowie GmbH & Co KG 179. 12) Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung bei AG, GmbH sowie GmbH & Co KG 187. 13) Dann nämlich wenn die Finanzierung iZm einer Krise erfolgt. 14) Bauer/Zehetner in Straube, Wiener Kommentar zum GmbH-Gesetz § 82 Rz 115 ff. 15) Bauer/Zehetner in Straube, Wiener Kommentar zum GmbH-Gesetz § 82 Rz 118. 16) MwN Bauer/Zehetner in Straube, Wiener Kommentar zum GmbHGesetz § 82 Rz 108 und Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 52 Rz 65. 17) Bauer/Zehetner in Straube, Wiener Kommentar zum GmbH-Gesetz § 82 Rz 112; Karollus, ecolex 1999, 326; Saurer, RdW 1998, 596 f; Saurer, D/K/N, AktG § 52 Rz 66 ff; Koppensteiner/Rüffler, GesRZ 1999, 98. 18) Anders Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 52 Rz 70. 19) Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 52 Rz 63. 20) OGH 1. 12. 2005, 6 Ob 271/05 d; s auch Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung bei AG, GmbH sowie GmbH & Co KG 180 ff und Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 52 Rz 66 ff. 21) Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 52 Rz 64. 22) OGH 22. 10. 2003, 3 Ob 287/02 f.
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gemacht werde bzw ein solcher sui generis sei.23) Die Gesellschaft hat ein Leistungsverweigerungsrecht; sowohl gegenüber dem Gesellschafter wie auch gegenüber wissenden (oder grob fahrlässig nicht wissenden) Kreditgebern.24) Neben den zivilrechtlichen Folgen werden uU auch insolvenzrechtliche und mitunter sogar straf-
rechtliche Tatbestände erfüllt. Steuerrechtlich liegt wohl Einkommensverwendung vor.25)
23) Großkomm AktG2 (1961) § 56 Anm 17, 19, § 52 Anm 11. 24) OGH 5. 8. 2009, 9 Ob 25/08 d. 25) Siehe Reich-Rohrwig, ecolex 2003, 157 f.
RECHTSPRECHUNG
Bürgschaft der Gesellschaft für einen dem Gesellschafter nahestehenden Dritten ist Einlagenrückgewähr, wenn keine betriebliche Rechtfertigung vorliegt
§ 879 ABGB; § 82 GmbHG; § 52 AktG OGH 29. 9. 2010, 7 Ob 35/10 p
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1. Ein Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften kann auch in der auf Veranlassung eines Gesellschafters erfolgten Bestellung von Sicherheiten für einen dem Gesellschafter nahestehenden Dritten, so zB an eine Ges, an der der Gesellschafter selbst beteiligt ist, liegen (RIS-Justiz RS0105534; RS0105518 [T 1]). 2. Eine Bestellung von Sicherheiten für einen dem Gesellschafter nahestehenden Dritten kann damit gerechtfertigt werden, dass besondere betriebliche Gründe im Interesse der Ges vorliegen, wenn dies nach der Formel des Fremdvergleichs dahin gedeckt ist, dass das Geschäft, das mangels objektiver Wertäquivalenz ein Vermögensopfer der Ges bedeutet, auch mit einem Außenstehenden geschlossen worden wäre (RIS-Justiz RS0120438 6 Ob 271/05 d = SZ 2005/178 = ÖBA 2006, 293 [zust Karollus] = JBl 2006, 388 [zust Artmann]; vgl auch Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung, 178). Es ist auf alle Vorteile abzustellen, die der Ges zukommen; diese können in einer monetären Gegenleistung, aber auch in sonstigen Vorteilen liegen, die sich aus der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Gesellschafter ergeben (Artmann, JBl 2006, 388 [EBesprechung]). 3. Nur ausnahmsweise sind in Fällen verbotener Einlagenrückgewähr Dritte rückgabepflichtig oder ist ihnen gegenüber die Ges zur Leistungsverweigerung berechtigt; Normadressaten des Verbots der Einlagenrückgewähr gem § 82 GmbHG und § 52 AktG sind die Ges und der Gesellschafter oder Aktionär. Solche Ausnahmefälle liegen vor bei Kollusion, aber auch in jenen Fällen, in denen der Gesellschafter bewusst zum Nachteil der Ges handelt und der Dritte davon wusste oder sich der Missbrauch ihm geradezu aufdrängen musste, dessen Unkenntnis somit auf grober Fahrlässigkeit beruht. 4. Eine allgemeine Erkundigungs- und Prüfpflicht des Kreditgebers besteht nicht für alle Fälle denkmöglicher Einlagenrückgewähr, sondern ist dort zu fordern, wo sich der Verdacht schon so weit aufdrängt, dass er nahezu einer Gewissheit gleichkommt (RIS Justiz RS0105537 [T 4]; 6 Ob 271/05 d SZ 2005/ 178 = ÖBA 2006, 293 [zust Karollus] = JBl 2006, 388 [zust Artmann]).
Aus der Begründung: 1.3 Entgegen der Ansicht des BerG vermag daran weder eine hervorragende Bonität des Ing S als begünstigter Gesellschafter, die den Rückgriffsanspruch gegen ihn als vollwertig erscheinen ließe, noch fehlende Existenzgefährdung der Bekl bei Rückgriff auf ihre Bürgschaften oder marktübliche Kreditkonditionen etwas zu ändern. Solche Umstände bewirken nämlich allenfalls nur eine Reduzierung des Risikos, verschaffen der besichernden Ges aber dadurch keinen Vorteil, der zur Annahme einer betrieblichen Rechtfertigung führen könnte. Unabhängig von diesen Kriterien wird nämlich durch die Sicherheitenbestellung das Gesellschaftsvermögen vermindert, wobei diese Wertverschiebung bereits zum Zeitpunkt der Rechtsverbindlichkeit der Besicherung zu Lasten der Ges eintritt (vgl Nowotny in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht Rz 4/ 417 mwN; Artmann in Jabornegg/Strasser, AktG4 § 52 Rz 18 mwN) und damit den Verstoß gegen die Kapitalerhaltungspflicht verwirklicht. 1.4 Wesentlich bleibt nur, ob ein sorgfältig handelnder Gf die Sicherheit auch für einen Dritten gestellt hätte, was nur der Fall ist, wenn der Sicherheitenleistung ein gleichwertiger betrieblicher Vorteil der besichernden Ges gegenübersteht. (…) Von der Lehre wird die neuere Rsp zur Erkundigungspflicht einer kreditgebenden Bank – zutreffend – dahin interpretiert (Artmann, JBl 2006, 388 und Karollus, ÖBA 2006, 300 [je E-Besprechung]), dass in jenen Fällen, in denen das Vorliegen einer betrieblichen Rechtfertigung schon bei erstem Anschein plausibel erscheint und in denen keine Verdachtsmomente gegeben sind, die den Kreditgeber am Vorliegen einer betrieblichen Rechtfertigung zweifeln lassen müssten, kein weiterer Überprüfungsbedarf in diese Richtung besteht; schon von vornherein hoch verdächtige Fälle lösen hingegen Erkundigungspflichten aus. Der Kreditgeber hat bei den Beteiligten nach der Gegenleistung nachzufragen, wobei er sich auf nicht offenkundig unrichtige Auskünfte verlassen darf. (…)
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Änderung der Judikatur: Keine Notariatsaktspflicht bei nachträglicher Änderung von Aufgriffsrechten im GmbH-Vertrag 1. Die nachträgliche Begründung statutarischer Aufgriffsrechte in einer GmbH bedarf nicht der Notariatsaktsform. Eine notarielle Beurkundung als Formerfordernis ist ausreichend. Bei Aufgriffsrechten handelt es sich zumeist um materielle Satzungsbestandteile, die nach § 49 GmbHG eines Gesellschafterbeschlusses bedürfen. 2. Der Formpflicht des § 76 Abs 2 GmbHG entspricht die Funktion der Immobilisierung von Geschäftsanteilen, des Übereilungsschutzes des Erwerbers und der Publizität der Gesellschafterstellung. Bei der Begründung von Aufgriffsrechten kommt keiner dieser Funktionen eine wesentliche Bedeutung zu. 3. Auch für die Klarstellung, wer Gesellschafter ist, bedarf es bei Begründung des Aufgriffsrechts nicht der Form des Notariatsakts.
Aus der Begründung: Auch nach Auffassung des erk 6. Sen sprechen die besseren Gründe dafür, bei der nachträglichen Begründung statutarischer Aufgriffsrechte in einer GmbH eine notarielle Beurkundung als Formerfordernis ausreichen zu lassen. Dies ergibt sich einerseits daraus, dass es sich bei Aufgriffsrechten meist um materielle Satzungsbestandteile (nach Frizberg/Frizberg „echte Satzungsbestimmungen“) handeln wird, die nach § 49 GmbHG eines Gesellschafterbeschlusses, der bloß notariell beurkundet werden muss, bedürfen, und va aus dem Normzweck: Wenn man der Formpflicht des § 76 Abs 2 GmbHG die Funktionen Immobilisierung, Übereilungsschutz des Erwerbers und Publizität der Gesellschafterstellung zuerkennt, so wird deutlich, dass bei der Begründung von Aufgriffsrechten keiner dieser Funktionen eine wesentliche Bedeutung zukommen kann. Die Immobilisierung soll den börsenartigen Handel mit den Geschäftsanteilen, also den Erwerb Dritter, verhindern, jedoch nicht den Erwerb durch einen Gesellschafter. Der Funktion des Übereilungsschutzes kann in diesem Zusammenhang ebenfalls keine Bedeutung zukommen; immerhin ist zum Zeitpunkt der Statuierung oftmals nicht klar, wer überhaupt der Erwerber sein wird bzw ob dieser überhaupt schon Gesellschafter ist und zu welchem Zeitpunkt diesem das Aufgriffsrecht zustehen wird. Auch für die Klarstellung, wer Gesellschafter ist, bedarf es keiner Notariatsaktsform zur Begründung des Aufgriffsrechts. Dies ergibt sich aus der stRsp des OGH, wonach Aufgriffsrechte nicht dazu führen
können, dass die Geschäftsanteile eines verstorbenen Gesellschafters mit dessen Todesfall eo ipso auf die übrigen Gesellschafter übergehen, sondern dass dafür noch ein Abtretungsvertrag mit den Erben geschlossen werden muss (RIS-Justiz RS0007884). Dieser Abtretungsvertrag ist als Verpflichtungsgeschäft (richtig wohl: Verfügungsgeschäft [Anm des Verfassers]) aber ohnehin notariatsaktspflichtig. (…)
§ 4 Abs 3, § 49 Abs 1, § 76 Abs 2 GmbHG OGH 17. 12. 2010, 6 Ob 63/10 y
2011/135
Anmerkung: Mit dieser Entscheidung des 6. Senats wird den Argumenten der Lehre Rechnung getragen und aufbauend auf eine jüngere Rsp mancher OLG eine unnötig formalistische Rechtsprechungslinie revidiert. Die die doppelte Formpflicht statuierende E 1 Ob 510/95 erscheint dem Betrachter im Nachhinein als Notlösung, um im damals vorliegenden Fall eine sachgerechte Entscheidung herbeizuführen. Sie vermag aber nicht jene Argumente zu entkräften, die in weiterer Folge seitens der Lehre, insbesondere von Frizberg/Frizberg, gegen sie vorgebracht wurden. Keiner der drei von der Rsp anerkannten Zwecke des Notariatsakts wird durch die „bloße“ Beurkundung von Generalversammlungsbeschlüssen untergraben, da im Fall der nachträglichen Satzungsänderung die Schutzzwecke Immobilisierung, Übereilungsschutz und Sicherheit der Gesellschafteridentifikation nicht gefährdet erscheinen. Die Immobilisierung soll den börsenartigen Handel mit Dritten verhindern, nicht aber den Erwerb eines Anteils durch Gesellschafter selbst. Auch der Übereilungsschutz ist bei Personen, die bereits Gesellschafter sind, wohl kaum gefährdet. Da die Verfügung im Falle der Geltendmachung eines Aufgriffsrechtes ohnehin eines Notariatsaktes bedarf, ist auch der Telos der Identifizierbarkeit der Gesellschafter nicht gefährdet. Wenngleich der Beschluss der Gesellschafter den Rechtstitel für eine spätere Verfügung in Ausübung des Aufgriffsrechtes schafft, unterliegt der Beschluss der Gesellschafter als organschaftlicher Akt dem I. Hauptstück des GmbHG und den dort für die Änderung des Gesellschaftsvertrages vorgesehenen Formen. Eine weitere Form der Beurkundung in Form eines Notariatsaktes ist überschießender Formalismus. Für die Praxis bedeutet diese zu begrüßende E eine deutliche Erleichterung in der Handhabung von Aufgriffsrechten für alle Beteiligten. Es bleibt zu hoffen, dass sich die übrigen Senate des OGH dieser E anschließen. Stephan Verweijen Dr. Stephan Verweijen ist öffentlicher Notar in Wien-Margareten.
Unterdeckung einer nominellen Kapitalerhöhung: Keine Differenzhaftung der Gesellschafter 1. Stellen sich die zu einer „nominellen Kapitalerhöhung“ herangezogenen Rücklagen als nicht werthaltig heraus, haften die Gesellschafter nicht im Rahmen einer „Differenzhaftung“ für den nicht gedeckten Teil der Stammeinlage. (Vgl dazu Ettmayer/Lahnsteiner in Wiener Kommentar zum GmbH-Gesetz Anh KapBG Rz 20; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 Anh
KapBG § 53 § 3 Rz 6, mit der wesentlichen Begründung, dass die Gesellschafter die Einlage nicht schuldeten. Diese Auffassung wird auch für Kapitalberichtigungen von AG von mehreren Autoren vertreten, ua Nagele in Jabornegg/Strasser, AktG Anh KapBG § 173 § 2 Rz 10; Tichy in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG Anh KapBG § 17 § 2 Rz 18; aA Reich-Rohrwig, Das öster-
§§ 6, 6 a, 10, 10 a, 52 ff, 72 GmbHG; §§ 52, 149 ff AktG; §§ 1– 8 KapBG OGH 29. 9. 2010, 3 Ob 86/10 h
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GESELLSCHAFTSRECHT
reichische GmbH-Recht [1983] 500; Kastner/Doralt/ Nowotny, Grundriß des österreichischen Gesellschaftsrechts 310 FN 27; zur selben Problematik in D, eine Differenzhaftung ablehnend: Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG17 [2009] § 57 i Rz 15; Ulmer in Ulmer, GmbHG Groß-Kommentar § 57 i Rz 30; Roth in Altmeppen/Roth, GmbHG6 § 57 i Rz 13; eine Differenzhaftung annehmend: Priester in Scholz, GmbHG10 § 57 i Rz 21; Hermanns in Michalski, GmbHG2 [2010] § 57 i Rz 21). Gegen eine planwidrige Gesetzeslücke spricht die Definition der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln, bei der der Ges keine zusätzlichen Mittel zugeführt werden. Die Gläubiger der Ges erleiden durch eine inhaltlich falsche Kapitalerhöhung (wegen Überbewertung der Rücklagen) gegenüber dem vor der Kapitalerhöhung bestehenden Zustand keinen Schaden. 2. Im Ergebnis läuft die Annahme einer Differenzhaftung bei unterdeckter nomineller Kapitalerhöhung entgegen den Wertungen des § 72 GmbHG auf eine Nachschusspflicht ohne Deckung in der Satzung hinaus. Die in Kapitalerhöhungsbeschluss und der Satzungsänderung deklarierte Absicht der Gesellschafter, keine zusätzlichen Einlagen leisten zu wollen, aus schadenersatzrechtlichen Erwägungen ins Gegenteil zu verkehren und die analoge Anwendung von Sacheinlagevorschriften zu fordern, ignoriert die fehlende Ähnlichkeit der beiden Arten der Kapitalerhöhung und überspannt den Kapitalaufbringungsgrundsatz.
Aus der Begründung: Ettmayer/Lahnsteiner in Straube (Wiener Komm GmbHG § 1 KapBG Rz 3 bis 5) beschreiben das Charakteristische der nominellen Kapitalerhöhung treffend wie folgt: „Auch aus dem vom österr Gesetzgeber im Kurztitel verwendeten Ausdruck ,Kapitalberichtigung geht hervor, dass bei der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln nicht neues Kapital zugeführt, sondern dieses nur berichtigt wird. Die Gesellschafter erhalten durch die Kapitalberichtigung allerdings auch nichts, was sie nicht schon zuvor hatten (vgl den insofern irreführenden Ausdruck ,Gratisaktien im Aktienrecht), da sie an den Rücklagen schon bisher entsprechend ihren Geschäftsanteilen beteiligt waren. Der Wert der Geschäftsanteile bleibt unverändert, es erfolgt nur eine Erhöhung des Nennbetrags. Obwohl der GmbH bei einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln kein neues Kapital zugeführt wird, so erhöht die Kapitalberichtigung doch die Kreditwürdigkeit der GmbH, da durch die bilanzmäßige Umwandlung von Rücklagen in Stammkapital ein erhöhtes Vermögen dem Zugriff der Gesellschafter entzogen und für die Gläubiger reserviert ist. Entsprechend erleiden die Gläubiger im Zuge einer nominellen Kapitalerhöhung keinen Nachteil, sondern erlangen einen Vorteil: die in Stammkapital umgewandelten Rücklagen können nicht mehr nach Belieben aufgelöst und ausgeschüttet, sondern nur mehr im Wege der Kapitalherabsetzung unter Einhaltung der Gläubigerschutzbestimmungen an die Gesellschafter ausgezahlt werden.“ (…) ,
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1. a) Im dt Schrifttum treten für eine Einlagenverpflichtung der Gesellschafter und deren Differenzhaftung va Priester (in Scholz, GmbHG10 § 57 i Rz 21) und Hermanns (in Michalski, GmbHG2 [2010] § 57 i Rz 21) ein. Priester räumt zwar ein, dass es Einlagepflichten bei der nominalen Kapitalerhöhung nicht gebe. Gleichwohl müsse wegen einer Vergleichbarkeit der Interessenlagen die in § 9 geregelte Differenzhaftung des Sacheinlegers entsprechend eingreifen. Diese Haftung sei nicht Ausfluss etwaiger Einlageverpflichtungen. Es liege deshalb auch kein Rückgriff auf die frühere Konstruktion der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln als Doppelmaßnahme vor. Vielmehr handle es sich um eine Haftung für die reale Deckung des Kapitals. Das rechtfertige die analoge Anwendung des § 9. Vorrangig seien allerdings Schadenersatzansprüche gegen Bilanzprüfer und Gf. Die Gesellschafter könnten ihre Haftung dadurch vermeiden, dass sie das Stammkapital herabsetzten. Verpflichtet seien sie dazu freilich nicht. Unzureichend sei das bloße Stehenlassen von Gewinnen. Hermanns vertritt die Ansicht, dass die Gesellschafter entsprechend § 9 verpflichtet seien, die Differenz der Unterdeckung durch ergänzende Einlage auszugleichen. Zwar sei es richtig, dass hiedurch eine bislang nicht bestehende Einlageverpflichtung begründet werde. Dies geschehe indes auch im unmittelbaren Anwendungsfall von § 9, indem der Gesellschafter eine von ihm nicht zugesagte Geldeinlage zu erbringen habe. Auch die Ausfallshaftung nach § 24 (dGmbHG) treffe die Gesellschafter ungeachtet der Frage, ob sie an der Kapitalerhöhung durch Übernahme von Einlagen teilgenommen haben. Dies belege, dass das Gesetz dem Gebot der realen Kapitalaufbringung Vorrang einräume vor dem Interesse der Gesellschafter, keine weitergehenden Einlagepflichten auferlegt zu bekommen. Richtigerweise seien die Gesellschafter daher im Falle einer Unterdeckung in Rechtsanalogie zu §§ 9 und 24 verpflichtet, die Unterdeckung im Wege der ergänzenden Baroder Sacheinlage zu beseitigen, sofern sie nicht das Stammkapital um die Differenz herabsetzten. b) Überwiegend wird in der dt Lehre aber die Differenzhaftung abgelehnt: Nach Lutter (in Lutter/Hommelhoff, GmbHG17 [2009] § 57 i Rz 15) gebe es weder eine Ersatzeinlagepflicht noch eine Differenzhaftung der Gesellschafter, da es bei einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln weder Einlagen noch Übernahmeerklärungen gebe. Der Ausgleich werde hier durch § 30 (dGmbHG), der das Stehenlassen künftiger Gewinne bis zum Ausgleich des Verlusts erbringe, oder durch eine Kapitalherabsetzung erreicht. Nach Ulmer (in Ulmer, GmbHG Groß-Kommentar § 57 i Rz 30) sei die Frage, ob die Gesellschafter für den Fehlbetrag anteilig analog §§ 9, 24 haften oder ob die Unterbilanz nur entweder durch eine vereinfachte Kapitalherabsetzung nach § 58 a oder durch nach § 30 (dGmbHG) einzubehaltende Gewinne auszugleichen sei, iS einer Ablehnung der Differenzhaftung der Gesellschafter zu entscheiden. Gegen eine Differenzhaftung der Gesellschafter spreche der auf Umwandlung von Rücklagen in Stammkapital ge-
GESELLSCHAFTSRECHT
richtete Normzweck des § 57 c und das Fehlen jeder Art von Übernahmeerklärungen oder sonstigen Einlagepflichten im Fall der nominellen Kapitalerhöhung. Diese das Rechtsinstitut kennzeichnende Rechtsgrundlage stehe auch der Heranziehung des Rechtsgedankens der Differenzhaftung (§§ 9, 24) entgegen. Die gegenteilige Ansicht von Priester bedeute der Sache nach einen Rückfall in die schon seit dem KapErhG 1959 überwundene Theorie der nominellen Kapitalerhöhung als Doppelmaßnahme (mit Letzterem meint Ulmer die Umwandlung freier Rücklagen in Haftkapital nicht als Einheit zu begreifen, sondern als Doppelmaßnahme, bestehend aus der Ausschüttung der Rücklagen als Gewinne an die Gesellschafter und die Einbringung der daraus resultierenden Gesellschafterforderungen als Sacheinlagen). Die Ablehnung der Differenzhaftung (auch Unterbilanzhaftung) wird im dt Schrifttum überwiegend vertreten (etwa auch von Roth in Altmeppen/Roth, GmbHG6 § 57 i Rz 13), was auch Hermanns (aaO) einräumt. (…) Die Gläubiger der Ges erleiden durch eine inhaltlich falsche Kapitalerhöhung (wegen Überbewertung der Rücklagen) gegenüber dem vor der Kapitalerhöhung bestehenden Zustand keinen Schaden. Ein solcher könnte nur durch die infolge der Kapitalberichtigung irrig angenommene höhere Kreditwürdigkeit der Ges entstehen, wenn diese in der Folge zahlungsunfähig wird und die Gläubiger mit einer „kleinen GmbH“ nicht kontrahiert hätten. Der Schaden entstünde aber (zunächst) nicht der Ges, sondern den Gläubigern, die nach Schadenersatzrecht gegen den
Gf oder Abschlussprüfer vorgehen können und sich auf deren unrichtige Angaben im Zuge der nominellen Kapitalerhöhung berufen können, allenfalls auch gegen den Gesellschafter, wenn ihm eine rechtswidrige Mitwirkung (etwa durch Weisung an den Gf) bei der bilanziell unrichtigen nominellen Kapitalerhöhung vorgeworfen werden kann. (…) In diesem Zusammenhang überzeugt das Argument Hermanns (aaO) nicht, dass der Gesetzgeber mit der Ausfallshaftung nach § 24 dGmbHG eine Zahlungspflicht auch des Gesellschafters vorsehe, der an der effektiven Kapitalerhöhung nicht teilnehme (also keine Einlageverpflichtung übernommen hat). In diesem Fall liegt immerhin ein Kapitalerhöhungsbeschluss der übrigen Gesellschafter samt Übernahmeerklärungen vor. Die Ausfallshaftung des der Kapitalerhöhung nicht zustimmenden Gesellschafters beruht hier auf den gesetzlichen Mehrheitsvoraussetzungen für den Beschluss auf Kapitalerhöhung. Bei der nominellen Kapitalerhöhung hingegen gibt kein einziger Gesellschafter zu einer zusätzlichen Einlage aus Gesellschaftervermögen eine Verpflichtungserklärung ab. Im Gegensatz zu Hermanns, der von einer im Analogieweg (zu den §§ 9 und 24 dGmbHG) begründeten Einlageverpflichtung ausgeht, spricht Priester (aaO) nur von einer Haftung für die reale Deckung des Kapitals und schwächt dies weiters insofern ab, dass Schadenersatzansprüche gegen Gf und Bilanzprüfer vorrangig seien und die Gesellschafter überdies ihre Haftung durch eine Herabsetzung des Stammkapitals vermeiden könnten. (…)
Gerichtliche Abberufung eines Fremdgeschäftsführers – Klage ist gegen Mitgesellschafter zu richten; Nebenintervention des Fremdgeschäftsführers 1. Bekl der Zustimmungsklage auf Abberufung eines Fremd-Gf (§ 16 Abs 2 Satz 3 GmbHG) ist jeder Gesellschafter, der gegen die Abberufung gestimmt hat (Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 16 Rz 30 c; Straube/Ratka in Straube, WK zum GmbHG § 16 Rz 57). 2. Der Fremd-Gf ist nicht Bekl, selbst wenn er Alleingesellschafter einer Gesellschafterin der GmbH ist. 3. Dem Fremd-Gf ist lediglich gerichtlich der Streit zu verkünden, sodass er vom Verfahren erfährt, dem er als (streitgenössischer) Nebenintervenient beitreten kann (Koppensteiner/Rüffler, aaO § 16 Rz 30 e; Straube/Ratka, aaO § 16 Rz 59 mwN). 4. Wird der Abberufungsklage rechtskräftig stattgegeben, gelten die Stimmen der bekl Gesellschafter als im Sinn der Abberufung abgegeben. Sachlegitimiert können nur Gesellschafter sein, denn diese sind an der Willensbildung der Generalversammlung kraft eigenen Rechts beteiligt (vgl Eckert, Die Abberufung des GmbHG-Gf 61).
Aus der Begründung: § 16 Abs 2 GmbHG regelt die gerichtliche Abberufung eines Gf. Ein Gf kann aus einem wichtigen
Grund durch gerichtliche E abberufen werden (Satz 1). Ist er zugleich Gesellschafter, so sind die §§ 117 und 127 UGB sinngemäß anzuwenden (Satz 2). Sonst können jene Gesellschafter, die nicht für die Abberufung des Gf gestimmt haben, auf die Zustimmung geklagt werden (Satz 3). Dem Gf ist gerichtlich der Streit zu verkünden (Satz 4). Die Klage auf Abberufung eines Ges-Gf ist gegen den abzuberufenden Ges-Gf zu erheben, wobei es nach der Rsp (6 Ob 695/87 SZ 60/285; RIS-Justiz RS0059607) nicht darauf ankommt, ob der Gf schon allein durch Ausübung seines Stimmrechts seine Abberufung durch die anderen Gesellschafter verhindern kann (aA Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 16 Rz 23 mwN; Straube/Ratka in Straube, WK zum GmbHG § 16 Rz 46). (…) Ein Gf, der nicht Gesellschafter ist (Fremd-Gf) und für dessen Abberufung sich keine Gesellschaftermehrheit findet, kann aus wichtigem Grund gem § 16 Abs 2 Satz 3 GmbHG durch eine Klage gegen den oder die Gesellschafter, die nicht für die Abberufung gestimmt haben, auf Zustimmung zur Abberufung geklagt werden. Bekl dieser Zustimmungsklage ist jeder Gesellschafter, der gegen den Antrag auf Abberufung gestimmt hat (Koppensteiner/Rüffler, aaO § 16 Rz 30 c; Straube/Ratka, aaO § 16 Rz 57). Der
§ 16 Abs 2 GmbHG; §§ 117, 127 UGB OGH 17. 11. 2010, 6 Ob 212/10 k
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GESELLSCHAFTSRECHT
Fremd-Gf selbst ist nicht Bekl; ihm ist lediglich vom Gericht der Streit zu verkünden (§ 16 Abs 2 Satz 4 GmbHG), sodass er vom Verfahren erfährt, dem er als (streitgenössischer) Nebenintervenient beitreten kann. (…) Die Abberufung von Fremd-Gf, die von der Gesellschaftermehrheit gestützt werden und ansonsten nicht abberufen werden könnten, aus wichtigem Grund durch gerichtliche E wurde erst durch das IRÄG 1997 im Gesetz geregelt. Zuvor bestimmte § 16 Abs 2 idF der GmbHG-Novelle 1980: „Ein Gf, der Gesellschafter ist, kann aus einem wichtigen Grund durch gerichtliche Entscheidung abberufen werden. Dabei sind die §§ 117, 127 HGB sinngemäß anzuwenden“ (zur Rechtslage vor dem IRÄG 1997 s Eckert, Abberufung des GmbH-Gf 59 ff mwN). Nach hA war diese Bestimmung (wie auch jetzt § 16 Abs 2 Satz 2 GmbHG) auf Fremd-Gf nicht, auch nicht analog anwendbar (3 Ob 549/86 SZ 61/ 99; Koppensteiner/Rüffler, aaO § 16 Rz 23; Straube/ Ratka, aaO § 16 Rz 48 je mwN). Eine Ausnahme machte die Rsp in dem Fall, dass ein Gf zwar mangels Beteiligung an der Gesellschaft „formell“ Fremd-Gf ist, wegen der „tatsächlichen wirtschaftlichen Identität“ mit einem Gesellschafter der GmbH aber denselben beherrschenden Einfluss wie der Gesellschafter selbst ausüben kann. Als Ges-Gf sieht diese Rsp daher auch einen Gf einer GmbH an, der beherrschender Gesellschafter jener GmbH ist, die ihrerseits Gesellschafterin der erstgenannten GmbH ist, aber auch denjenigen an, der die Geschäftsführerfunktion nur als Strohmann eines beherrschenden Gesellschafters ausübt (3 Ob 549/86, SZ 61/99; vgl 8 Ob 515/86 SZ 59/43; 6 Ob 549/92; abl schon Koppensteiner,
GmbHG1 § 16 Rz 12; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 16 Rz 23). Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 16 Rz 23, führen gegen die zuletzt referierte Rsp ins Treffen, den von ihr gemachten Ausnahmen sei nicht zu folgen, liege doch keine Gesetzeslücke vor, weil Fremd-Gf stets auf dem von § 16 Abs 2 Satz 3 GmbHG vorgezeichneten Weg abberufen werden könnten. Diesem Argument vermag sich der erk Sen nicht zu verschließen. Die referierte Rsp ist zur Rechtslage vor dem IRÄG 1997 ergangen und vor dem Hintergrund zu sehen, dass diese Rsp eine Abberufung eines Fremd-Gf gegen den Willen der Gesellschaftermehrheit durch das Gericht für nicht möglich ansah. Da nach der jetzigen Rechtslage Fremd-Gf aus wichtigen Gründen durch gerichtliche Entscheidung nach § 16 Abs 2 Satz 3 GmbHG abberufen werden können, gibt es unter Rechttschutzaspekten keinen Grund, diese Rsp aufrechtzuerhalten. Die Wirkung des der Klage nach § 16 Abs 2 Satz 3 GmbHG stattgebenden und rechtskräftigen Urteils besteht darin, dass die Stimmen des bekl Gesellschafters iS der Abberufung als abgegeben gelten (§ 367 EO; Koppensteiner/Rüffler, aaO § 16 Rz 30 f; Straube/Ratka, aaO § 16 Rz 60 mwN). Das Urteil greift in den Kompetenzbereich der GV ein. Folgerichtig können sachlegitimiert nur Gesellschafter sein, denn diese sind an der Willensbildung der GV kraft eigenen Rechts beteiligt (vgl Eckert, Die Abberufung des GmbHG-Gf 61). Hinzu kommt, dass es im Einzelfall schwierig sein kann festzustellen, ob ein Gf, der Nichtgesellschafter ist, „lediglich Strohmann“ eines beherrschenden Gesellschafters ist oder ob zwischen ihm und einem Gesellschafter der GmbH „wirtschaftliche Identität“ besteht.
Aktienrecht: Antrag des OLG Wien auf Aufhebung des § 225 c Abs 3 Z 2 AktG wegen Verfassungswidrigkeit beim VfGH § 225 c Abs 3 Z 2 AktG OLG Wien 8. 11. 2010, 28 R 146/10 m
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Die Einschränkung des Antragsrechts von Minderheitsaktionären gem § 225 c Abs 3 Z 2 AktG durch Vorschreibung einer Erheblichkeitsschwelle (lit a: 1% vom Grundkapital oder Aktien im anteiligen Betrag von zumindest E 70.000,–) oder durch Nominierung des Mindestbesitzes nach lit b ist verfassungsrechtlich bedenklich. Auch unter dem Blickwinkel des Eigentumsschutzes bestehen Zweifel an der Verfassungskonformität der angefochtenen Entscheidung. I. Das OLG Wien stellt gem Art 89 Abs 2 Satz 2 iVm Art 140 B-VG an den VfGH den Antrag, im § 225 c Abs 3 AktG idF BGBl I 2009/71 die Wortfolge „ , und 2. entweder a) bei einer der beteiligten Gesellschaften, sei es auch nur gemeinsam, insgesamt jeweils über mindestens eines
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vom Hundert des Grundkapitals oder über Aktien im anteiligen Betrag von mindestens 70.000 Euro oder b) gemeinsam über alle Aktien verfügen, für die die Voraussetzungen gemäß Z 1 erfüllt sind“ als verfassungswidrig aufzuheben. II. Gem § 62 Abs 3 VfGG wird mit der Fortführung des Verfahrens bis zur Zustellung der Entscheidung des VfGH innegehalten.
Anmerkung: Das OLG Wien nimmt in seiner Entscheidungsbegründung auf eine spaltungsrechtliche E des VfGH (16. 6. 2005, G 129/04 ua VfSlg 17.584/2005) Bezug, wonach die in § 9 Abs 2 SpaltG enthaltene Wortfolge „§ 225 c Abs 3 und 4 sowie“ als verfassungswidrig aufgehoben wurde.
CHECKLISTE
Ärzte-Website 1)
A
WETTBEWERBSUND IMMATERIALGÜTERRECHT GELEITET VON G. KUCSKO H. WOLLMANN
Ärzte unterhalten vermehrt eigene Internetauftritte, um ihre Leistungen zu bewerben. Die Richtlinie „Arzt und Öffentlichkeit“ gestattet es Ärzten auch ausdrücklich, eigene Websites einzurichten oder sich an Websites Dritter zu beteiligen; gleichzeitig unterliegen Ärzte aber strengen standesrechtlichen Werbebeschränkungen, die sich auf die Gestaltung ihrer Webpräsenz unmittelbar auswirken. Ziel dieses Leitfadens ist eine Darstellung der geltenden Ordnungsvorschriften und Werbebeschränkungen, die es bei der Einrichtung einer Ärzte-Website zu beachten gilt. ROLAND MARKO / DOMINIK HOFMARCHER
A. Allgemeine Rechtsgrundlagen 2) 1. Impressum- und Offenlegungspflicht3)
A Regelmäßig sind auch Ärzte Diensteanbieter iSd § 3 Z 2 ECG (kommerzielle Online-Werbung, Online-Informationsangebot), jedenfalls aber Medieninhaber iSd MedienG. Zu beachten sind daher: & Impressumpflicht gem § 5 ECG; Informationen sind „ständig und leicht zugänglich“ zur Verfügung zu stellen, & Offenlegungspflicht gem § 25 MedienG; bei bloßer Selbstdarstellung des Arztes bzw seiner Ordination idR nur beschränkte Offenlegungspflicht gem § 25 Abs 5 MedienG, & Impressumpflicht gem § 24 MedienG, wenn auch Newsletter oÄ verschickt werden. A Musterimpressum gem § 5 ECG unter Berücksichtigung der Offenlegungspflicht für „kleine Websites“ (§ 25 Abs 5 MedienG) bspw wie folgt: Impressum Information gemäß § 5 E-Commerce-Gesetz und Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz: Diensteanbieter und Medieninhaber: Dr. Max Mustermann Mustergasse 1 1010 Wien Tel.: +43 (0)1 XXXXX Fax.: +43 (0)1 XXXXX E-Mail: praxis@mustermann.at Homepage: www.mustermann.at Mitglied der Ärztekammer Wien Berufsbezeichnung: Arzt für Allgemeinmedizin (verliehen in Österreich) Tätigkeit unterliegt dem Ärztegesetz 1998 www.Link-zur-Rechtsvorschrift-im-RIS.bka.gv.at Firmenbuchnummer: FN XXXXX (sofern vorhanden) Firmenbuchgericht: FN XXXXX (sofern vorhanden) UID-Nr.: XXXXX 2. Urheberrechte und Kennzeichenrechte
A Einholung der erforderlichen Verwertungsrechte für Bilder, Texte, Tabellen, Studien etc im Rahmen der Website. A Wird der Name des Arztes als Domainname verwendet, & ist dieser für gewöhnlich unterscheidungskräftig und genießt Namens- und Kennzeichenschutz;4) Mag. Roland Marko, LL. M., ist Rechtsanwalt, Mag. Dominik Hofmarcher Rechtsanwaltsanwärter bei Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH in Wien. 1) Diese Checkliste ist eine Ergänzung und Zusammenfassung des in RdM 2011/Heft 3 erscheinenden Beitrags „Werben im Internet – Ärzte ohne Grenzen?“ derselben Autoren. 2) Vgl auch Mitteilung der Ärztekammer von Tirol Nr 2/06, www.aekwien.at/media/Gestaltung_Arzt-Homepage.pdf (8. 2. 2011). 3) Dazu ausführlicher Zankl, ecolex 2004, 711. 4) Aicher in Rummel3 § 43 Rz 3 a.
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A
bei Gleichnamigkeit mit Kollegen kann unterscheidungskräftiger Zusatz nötig sein.5) A Bei Verwendung anderer Domainnamen sind fremde Namens- und Kennzeichenrechte zu beachten. &
3. Linksetzung
A Das Setzen von Links auf andere Websites ist grds erlaubt. A Fremde Inhalte sollten niemals als eigene Inhalte dargestellt werden, um & eine direkte Leistungsübernahme iSd § 1 UWG zu vermeiden und & Rechtsverletzungen auf fremden Websites nicht auch zu eigenen zu machen.6) A Gem § 17 ECG besteht keine Haftung (strafrechtlich oder wegen Verstoßes gegen das UWG, das UrhG oder sonstige Gesetze) für verlinkte Seiten, wenn & der Linksetzer von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information keine Kenntnis hat, & dem Linksetzer die Rechtswidrigkeit nicht hätte auffallen müssen (die Rechtswidrigkeit muss „offensichtlich“ sein; es müssen also keine komplexen juristischen Überlegungen getroffen werden) und & der Linksetzer den Link, sobald ihm die Rechtswidrigkeit bewusst wird, unverzüglich entfernt. & Dieser Haftungsausschluss betrifft nicht auch Unterlassungsansprüche. 4. Disclaimer
A Haftungsausschlüsse in Websites sind nicht zwingend notwendig, aber empfehlenswert, um Haftungen für Richtigkeit und Vollständigkeit des Inhalts sowie für mögliche Schäden durch die Nutzung der Website auszuschließen. Umfang und Rechtswirksamkeit eines Haftungsausschlusses sind im Einzelfall zu prüfen. A „Copyright-Disclaimer“ haben keinen Einfluss auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines urheberrechtlichen Schutzes der Website. Dennoch empfiehlt es sich, Nutzer der Seite auf den (möglichen) urheberrechtlichen Schutz der Website hinzuweisen, um die „Hemmschwelle“ für urheberrechtswidrige Handlungen zu erhöhen. 5. Sonstiges
A Bei Verarbeitung personenbezogener oder sensibler Daten sind die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes 2000 zu beachten. A Soweit in Ausnahmefällen über die Ärzte-Website auch Verträge abgeschlossen werden können, sind die entsprechenden Bestimmungen des ECG und des KSchG (Informationspflichten, Rücktrittsrecht etc) zu beachten.7) A Abgesehen von den speziellen Werbebeschränkungen für Ärzte muss eigene Werbung oder Werbung Dritter (zB Werbebanner) gem § 6 ECG & als solche erkennbar sein, & den Auftraggeber erkennen lassen, & Angebote zur Absatzförderung wie etwa Zugaben und Geschenke sowie Preisausschreiben und Gewinnspiele als solche erkennen lassen und einen einfachen Zugang zu den entsprechenden Bedingungen enthalten (vgl aber Punkt B. unten). A Bei Werbung mittels Anrufen oder elektronischer Post sind auch § 7 ECG und § 107 Telekommunikationsgesetz 2003 (Spam-Mailing) zu beachten. A Nach dem Fall des standesrechtlichen Preisnennungsverbots für Ärzte können auch Honorarinformationen zur Verfügung gestellt werden. Gem § 5 ECG müssen Preise diesfalls & leicht lesbar und zuordenbar sein, & eindeutig erkennen lassen, ob es sich um Brutto- oder Nettopreise handelt (allgemeine Pflicht zur Bruttopreisauszeichnung; ärztliche Leistungen unterliegen aber regelmäßig nicht der USt).
B. Werbebeschränkungen Art 4 lit d der Richtlinie „Arzt und Öffentlichkeit“ (kurz „RL“) gestattet ausdrücklich die „Einrichtung einer eigenen Homepage“ oder die „Beteiligung an einer fremden Homepage“. Da die Website aber per se eine Form der Werbung darstellt, müssen die geltenden Werbebeschränkungen beachtet werden: 1. Werbebeschränkungen
A Gem § 53 Abs 1 ÄrzteG haben sich Ärzte jeder unsachlichen, unwahren oder das Standesansehen beeinträchtigenden Information iZm der Ausübung ihres Berufs zu enthalten. Konkretisiert wird dieses Verbot durch die RL. 5) Aicher in Rummel3 § 43 Rz 3 a. 6) OGH 18. 11. 2003, 4 Ob 219/03 i MR 2004, 46. 7) Dazu ausführlich Zankl, ecolex 2004, 711.
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A
A Die RL ist für alle niedergelassenen Ärzte verbindlich, gleichgültig ob der Arzt im Rahmen einer Gruppenpraxis8) oder Ärzte-GmbH9) tätig ist, nicht aber für Krankenanstalten.10) Zunächst galt die RL auch für Zahnärzte.11) Für diese gilt nunmehr seit dem 1. 7. 2009 aber ausschließlich die Werberichtlinie der Österreichischen Zahnärztekammer (,,WR-ÖZÄK ).12) A Die RL untersagt: & Unsachliche und unwahre Informationen (Art 2): & Unsachlich ist eine medizinische Information dann, wenn sie wissenschaftlichen Erkenntnissen oder medizinischen Erfahrungen widerspricht. & Unwahr ist eine Information, wenn sie nicht den Tatsachen entspricht. & Der OGH ergänzt die beiden von der RL aufgezählten Fälle generell um Informationen, die in keinem Zusammenhang mit Eigenschaften der angebotenen Leistung stehen.13) & Informationen, die das Ansehen der Ärzteschaft beeinträchtigen (Art 3), jedenfalls: & herabsetzende Äußerungen über ÄrztInnen, ihre Tätigkeit und ihre medizinischen Methoden, & Darstellung einer wahrheitswidrigen medizinischen Exklusivität, & Selbstanpreisung der eigenen Person oder Leistungen durch aufdringliche bzw marktschreierische Darstellung, & Werbung für Arzneimittel, Heilbehelfe und sonstige medizinische Produkte sowie für deren Hersteller oder Verkäufer,14) & Fernbehandlungen (Art 5 lit c),15) & Veröffentlichungen mit Name und/oder Bildern von bzw mit Patienten, ohne die gegenüber dem Arzt erklärte Zustimmung des Patienten (Art 5 lit d). A Die RL erlaubt gem Art 4 (demonstrativ): & Informationen über die eigenen medizinischen Tätigkeitsgebiete, die der Arzt aufgrund seiner Aus- und Fortbildung beherrscht, & Einladung eigener Patienten zu Vorsorge- und Kontrolluntersuchungen, Impfungen und dgl (Recall-System) und & Informationen über die Ordinationsnachfolge. A Der Arzt muss gem Art 5 lit a RL in zumutbarer Weise dafür sorgen, dass standeswidrige Information durch Dritte, insb durch Medien, unterbleibt. Ärzte bleiben daher trotz Überbindung der Einhaltung der RL zB an einen Werbedienstleister oder Webdesigner standesrechtlich verantwortlich.16)
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2. Fallbeispiele – Website 17)
Bei der Beurteilung eines Internetauftritts ist auf den Gesamtzusammenhang und das Gesamtbild abzustellen.18) Bild und Text sind in ihrer Gesamtheit zu beurteilen.19) A Webdesign: & nicht „reißerisch“ bzw marktschreierisch (zB mittels Leuchtschrift, blinkender Reklame etc), & sachlich und angemessen, zumal der Gesamteindruck zählt. A Darstellung des Arztes: & Selbstdarstellung zulässig (Werdegang, besondere Qualifikationen etc), & keine Übertreibungen, & keine Kumulierung von Superlativen (medizinische Exklusivität),20) & Vorsicht bei nicht medizinischen Informationen zB über Promi-Patienten (möglicherweise unsachlich iSd Art 2 RL). A Darstellung der Ordination: & Adresse und Öffnungszeiten unproblematisch, & Darstellung der Lage/Räumlichkeiten und deren Vorzüge (zB Ausblick) nicht in den Vordergrund der Präsentation stellen (Gefahr verbotener unsachlicher Information),21) 8) 9) 10) 11) 12) 13) 14) 15) 16) 17) 18) 19) 20) 21)
Vgl § 53 Abs 3 ÄrzteG. Disziplinarsenat der ÖÄK beim BMSG 17. 9. 2001, Ds 5/2001 RdM 2003/17. OGH 9. 11. 2010, 4 Ob 169/10 x. OGH 20. 1. 2009, 4 Ob 199/08 f RdM-LS 2009/49. Vgl Werberichtlinie der Österreichischen Zahnärztekammer idF vom 5./6. 6. 2009. Diese Werberichtlinie wurde durch die Werberichtlinie der Österreichischen Zahnärztekammer idF vom 4. 12. 2009 novelliert, wobei die Novelle seit 22. 12. 2009 in Kraft ist. OGH 20. 6. 2006, 4 Ob 88/06 d RdM 2007/58 = MR 2006, 324, Botoxbehandlung. Ebenso schon OGH 8. 2. 2005, 4 Ob 258/04 a MR 2005, 392 und 20. 1. 2009, 4 Ob 199/08 f wbl 2009/140, Zahn-Oase. Dazu ausführlich Karollus, RdM 2006/2. Siehe aber Thiele, RdM 2003/33. Disziplinarsenat der ÖÄK beim BMSG 5. 12. 2000, Ds 5/2000 RdM 2001, 157. Im Folgenden wurden nur jene Beschränkungen für Websites berücksichtigt, die sich aus der RL ergeben; die zahnarztspezifischen Beschränkungen wurden dagegen nicht berücksichtigt. Disziplinarsenat der ÖÄK beim BMSG 7. 11. 2000, Ds 2/2000 RdM 2001/11, Werbung auf Website. Disziplinarsenat der ÖÄK beim BMFG 6. 12. 2004, Ds 14/2004 RdM 2005/44, Beinverschönerung. Disziplinarsenat der ÖÄK beim BMSG 23. 4. 2001, Ds 1/2001 RdM 2003/103; ders beim BMG 16. 3. 2009, Ds 6/2008 RdM 2010/183. OGH 20. 6. 2006, 4 Ob 88/06 d RdM 2007/58 = MR 2006, 324, Botoxbehandlung.
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sachliche Information über medizinische bzw technische Geräte, die in der Ordination verwendet werden, zulässig.22) A Verwendung von Patientenfotos: & Patientenfotos nur mit gegenüber dem Arzt abgegebener Zustimmung, & Verwendung nur in sachlicher, nicht-marktschreierischer Weise, & keine Erweckung unrichtiger Eindrücke oder falscher Erwartungen,23) & Zurückhaltung bei der Verwendung von Fotos „prominenter“ Patienten, & Vorher-Nachher-Fotos regelmäßig zulässig, wenn sie der Patienteninformation dienen. A Gästebücher und Erfahrungsberichte von Patienten: & Vorsicht vor standeswidriger Werbung durch Dritte (zB „Lobeshymnen“ von Patienten), & Inhalte von Gästebucheinträgen regelmäßig prüfen, um Haftung als Host-Provider zu vermeiden. A Kein Bewerben von Arzneimitteln oder Arzneimittelherstellern. &
22) Disziplinarsenat der ÖÄK beim BMSG 7. 11. 2000, Ds 2/2000 RdM 2001/11, Werbung auf Website. 23) Disziplinarsenat der ÖÄK beim BMFG 6. 12. 2004, Ds 14/2004 RdM 2005/44, Beinverschönerung.
RECHTSPRECHUNG
Zur Verjährung des Verwendungsanspruchs §§ 1041, 1478 f, 1486 Z 1 ABGB OGH 5. 10. 2010, 4 Ob 117/10 z
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Der Verwendungsanspruch nach § 1041 ABGB verjährt auch im urheberrechtlichen Zusammenhang erst nach 30 Jahren. Die kurze Verjährungsfrist des § 1486 Z 1 ABGB ist nicht anwendbar.
Aus der Begründung: Es bildet nach Ansicht des erk Sen (…) keinen Wertungswiderspruch, den Anspruch auf angemessenes Entgelt nach § 86 UrhG entsprechend § 90 Abs 1 UrhG nach drei Jahren als verjährt anzusehen, mangels urheberrechtlicher Ansprüche nach § 1041 ABGB zu beurteilende Verwendungsansprüche hin-
gegen erst nach 30 Jahren verjähren zu lassen. Die Regelungen des UrhG sehen für die Ansprüche des Schöpfers bestimmter Leistungen von den allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts abweichende Bestimmungen vor, die in ihrer Gesamtheit ein System bilden. Das Herausgreifen einzelner Bestandteile dieses Systems – hier etwa die besondere Verjährungsbestimmung des § 90 Abs 1 UrhG – und deren (wertende) Gegenüberstellung mit einzelnen Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Rechts ist daher nicht zulässig.
Kumulation von Superlativen § 2 UWG OGH 9. 11. 2010, 4 Ob 111/10 t – A-Fenster –
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Durch Kumulation von Superlativen kann Werbung eine Alleinstellungswerbung darstellen; jedenfalls aber eine Werbung mit der Zugehörigkeit zu einer Spitzengruppe. Mögen auch einzelne Aussagen im Zusammenhang mit „Top-Qualität“ oder „Spitzentechnologie“ vom Verkehr nicht wörtlich aufgefasst werden, so erwecken sie doch bei den angesprochenen Verkehrskreisen die Vorstellung, dass die angepriesenen Fenster von überdurchschnittlicher, ja sogar erstklassiger Qualität seien. Die Parteien vertreiben Fenster mit derselben Bezeichnung. Die Bekl bewarb ihre Fenster mit Superlativen wie „Top-Qualität“; „Ein Produkt von höchster Qualität“; „Immer am neuesten Stand der Technik“; „Beste Isolierung und Dichtheit“; „Spitzentechnologie minimiert den Wärmeverlust“; „Optimale Dämmergebnisse“; „Optimale Fenstertechnik“; „Optimale Dichtheit“; „Perfekte Isolierung“; „Nach den neuesten technischen Forschungsergebnissen entwickelt und gebaut“. Während das ErstG und das RekG dem Antrag auf EV nur bezüglich „Beste Isolierung“, „Optimale Dämmergebnisse“ sowie „Perfekte Isolierung“ Folge ga-
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ben, erließ das Höchstgericht die EV antragsgemäß bezüglich aller Superlativaussagen der Bekl und führte aus, dass die Bekl bezüglich der Eigenschaften nicht einmal bescheinigen konnte, dass ihre Fenster von überdurchschnittlicher oder gar erstklassiger Qualität wären.
Anmerkung: Nach stRsp des OGH kann sich ein Unternehmen nur dann allgemeiner Superlative bedienen, wenn es seiner Konkurrenz wirklich nachhaltig überlegen ist, weshalb man in der Beratungspraxis schon bisher bei der Beurteilung von Alleinstellungs- oder Spitzengruppenwerbungen besonders kritische Rückfragen stellen musste. Darüber hinaus können nach gegenständlicher E auch Werbeaussagen, die für sich gesehen von den beteiligten Verkehrskreisen als marktschreierisch nicht wörtlich aufgefasst würden, im Gesamtzusammenhang mit anderen Werbeaussagen im Kern ernst genommen werden, was sie unlauter machen kann. Bernhard Tonninger Dr. Bernhard Tonninger ist Rechtsanwalt bei Tonninger Schermaier Riegler Maierhofer, Wien.
Keine Irreführung über Kapitalgaranten Enthält die Werbung für ein Finanzprodukt mit Kapitalgarantie, Risikolosigkeit etc keinerlei Hinweis auf die Identität des Garanten, ist sie von vornherein nicht geeignet, falsche Vorstellungen über das in diesem Fall beanstandete Verhältnis zwischen dem Emittenten des Finanzprodukts und dem davon verschiedenen Garanten hervorzurufen. Die Bekl bewarb ein Finanzprodukt mit Kapitalgarantie. Garantin war die Muttergesellschaft der Emittentin. In der Werbung wurde zwar die Kapitalgarantie erwähnt, zur Person der Garantin aber keinerlei Angabe gemacht. Der Kl sah in dieser Werbung eine Irreführung über das Risiko eines Kapitalverlusts, da nicht offengelegt wurde, dass Garantin und Emittentin konzernrechtlich verflochten sind bzw der Eindruck entstehen könne, die Emittentin gewähre selbst die Garantie. Das BerG wies die Klage ab. Der OGH bestätigte.
Aus der Begründung: Enthält die Werbung für ein Finanzprodukt mit Kapitalgarantie, Risikolosigkeit etc keinerlei Hinweis auf die Identität des Garanten, ist sie von vornherein nicht geeignet, falsche Vorstellungen über das in diesem Fall beanstandete Verhältnis zwischen dem Emittenten des Finanzprodukts und dem davon verschiedenen Garanten hervorzurufen. (. . .) Die beanstandete Werbebroschüre weist deutlich und ausdrücklich auf die Person der Emittentin hin und nennt deren (zum damaligen Zeitpunkt) als völlig unproblematisch angesehene Bonität (Rating). Dies bedeutet eine Information der Anleger über das Insolvenzrisiko der Emittentin. Dass dieses Rating falsch gewesen wäre, behauptet der Kl nicht. Da nach den getroffenen Feststellungen das offengelegte Bonitätsrisiko (zum damaligen Zeitpunkt) von bloß theoretischer, vernachlässigbarer Natur war, bestand zwischen der in der Werbebroschüre beworbenen Sicherheit des Finanzprodukts und den tatsächlichen Verhältnissen (zu diesem Zeitpunkt) kein Widerspruch. Der für die Beurteilung der Richtigkeit einer Werbeankündigung maßgebende Zeitpunkt ist jener, in dem sie gemacht wurde.
Anmerkung: Mit der Finanzkrise und den dadurch verursachten erhöhten Zahlungsausfällen bei Anlageprodukten stieg die Anzahl der Klagen wegen angeblich irreführender Werbung für solche Produkte. Hauptthema war, ob Verbrauchern eine Sicherheit der Veranlagung vorgetäuscht wurde, welche die Produkte tatsächlich nicht hatten. Die Sicherheit eines Finanzprodukts ist neben der Rendite wohl der entscheidende Faktor für die Kaufentscheidung.
Die wettbewerbliche Relevanz von Werbung mit der Anlagesicherheit ist deshalb ohne jeden Zweifel gegeben. Um die Sicherheit eines Produkts zu erhöhen, wird häufig eine Kapitalgarantie gewährt. Dabei kann der Garant identisch mit dem Emittenten sein, zum selben Konzern gehören oder auch ein völlig unabhängiger Dritter sein. Tendenziell erhöht sich für den Kunden die Sicherheit, wenn keine wirtschaftliche Verbindung zwischen Emittenten und Garanten besteht, da er in den Genuss eines zusätzlichen Haftungsfonds gelangt. Unrichtige Vorstellungen über die Person des Garanten können somit ebenfalls wettbewerblich relevant sein. Gefährlich ist Werbung mit Kapitalgarantien va deshalb, da der Durchschnittsverbraucher nur sehr vage Vorstellungen über die Struktur des Finanzprodukts und der Garantie hat. Für viele Verbraucher ist eine „Kapitalgarantie“ gleichbedeutend mit dem Ausschluss jeglichen Verlustrisikos, vergleichbar zB mit der staatlichen Einlagensicherung bei Sparbüchern. Über ein Insolvenzrisiko des Emittenten oder eines – mehr oder weniger unabhängigen – Garanten haben viele Verbraucher gar keine Vorstellung. Viele Anleger wurden durch die Finanzkrise eines Besseren belehrt. Es erscheint deshalb fraglich, ob diese E tatsächlich den Kern des Problems trifft. Eine Werbeangabe, die den Eindruck erweckt, eine Kapitalgarantie schütze vor jeglichem Verlust des angelegten Vermögens, täuscht über das nicht vermeidbare Insolvenzrisiko von Emittent und/oder Garant und ist irreführend. Ob der Anleger außerdem noch falsche Vorstellungen über die Person des Garanten hatte, ist in einem solchen Fall nicht mehr entscheidend. Auch wenn auf dieses Risiko ausreichend deutlich hingewiesen wird, so kann sich dennoch eine Irreführung aus unzutreffenden Angaben über die Person des Garanten und die damit verbundene Höhe des Risikos eines Totalausfalls ergeben. Nach dem hier wiedergegebenen Leitsatz wäre es für Anbieter von Finanzprodukten sicherer, grds keine Angabe zur Person des Garanten zu machen. Dies halte ich in dieser Allgemeinheit für unzutreffend. Gerade wenn ein konzerninterner Garant wirtschaftlich kein Plus an Sicherheit bringt, kann eine fehlende Angabe über die Identität des Garanten irreführend sein. Um Verbrauchern informierte Entscheidungen zu ermöglichen, sollte möglichst vollständig über ein Produkt informiert werden. Voraussetzung ist natürlich, dass die gewährten Informationen für den Durchschnittsverbraucher auch verständlich sind, was für den Gestalter der Werbung keine leichte Aufgabe darstellt. Michael Horak
§ 2 UWG OGH 15. 12. 2010, 4 Ob 176/10 a – 100% Kapitalgarantie –
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RA Dr. Michael Horak, LL. M. (LSE), ist Partner bei Salomonowitz Horak Rechtsanwälte, Wien.
Prüfpflichten von Werbepartnern Für ein wettbewerbswidriges Verhalten eines anderen hat jeder einzustehen, der den Wettbewerbsverstoß durch sein eigenes Verhalten fördert oder überhaupt erst ermöglicht hat. Gehilfe ist jedoch nur, wer den Täter bewusst fördert. Der Gehilfe muss den Sachver-
WETTBEWERBSUND IMMATERIALGÜTERRECHT
halt kennen, der den Vorwurf gesetzwidrigen Verhaltens begründet, oder zumindest eine diesbezügliche Prüfpflicht verletzt haben. Seine Kenntnis, dass das Verhalten gesetzwidrig ist, ist keine Voraussetzung wettbewerbswidrigen Handelns.
§§ 1, 14 UWG; § 11 TabakG OGH 5. 10. 2010, 4 Ob 159/10 a – Camelbase II –
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WETTBEWERBSUND IMMATERIALGÜTERRECHT
Die Bekl führte Aufträge zur Bewerbung der Bezeichnung „Camelbase“ im Auftrag eines Zigarettenherstellers und des von diesem beauftragten Werbeunternehmens aus. Das RekG verbot der Bekl mittels EV, Werbung für Tabakerzeugnisse (insb der Marke „Camel“), indem sie einen Internetdienst unter der Bezeichnung www.camelbase.at betreut, zu organisieren und Eventpromotionaktivitäten durchzuführen. Strittig war die Haftung der Bekl als Gehilfin für die vom Zigarettenhersteller und seinem Werbeunternehmen begangenen Wettbewerbsverstöße.
Aufgrund der Offenkundigkeit des Verstoßes gegen das Tabakwerbeverbot durch jene Tätigkeiten, an denen die Bekl mitwirkte bzw die sie förderte, kann sie sich von vornherein nicht darauf berufen, sie habe von den die Gesetzwidrigkeit begründenden Tatumständen keine Kenntnis gehabt und eine allfällige Prüfpflicht wäre auf grobe und auffällige Wettbewerbsverstöße beschränkt. Das Vertrauen auf das Vorliegen eines Ausnahmetatbestands ohne konkrete Anhaltspunkte oder vorangegangene eigene Prüfung – beides behauptet die Bekl nicht einmal – genügt nicht.
Aus der Begründung:
Anmerkung:
Für ein wettbewerbswidriges Verhalten eines anderen hat jeder einzustehen, der den Wettbewerbsverstoß durch sein eigenes Verhalten fördert oder überhaupt erst ermöglicht hat. Das Handeln eines selbständigen Unternehmers im (entgeltlichen) Auftrag eines anderen schließt seine wettbewerbsrechtliche Haftung als Gehilfe für Handlungen des auftraggebenden Störers grds nicht aus. Gehilfe ist jedoch nur, wer den Täter bewusst fördert. Der Gehilfe muss den Sachverhalt kennen, der den Vorwurf gesetzwidrigen Verhaltens begründet, oder zumindest eine diesbezügliche Prüfpflicht verletzt haben. Seine Kenntnis, dass das Verhalten gesetzwidrig ist, ist keine Voraussetzung wettbewerbswidrigen Handelns. Der Kenntnis der Tatumstände kommt ein vorwerfbares Nichtkennen gleich. Die Prüfpflicht ist nach der Rsp auf grobe und auffällige Wettbewerbsverstöße beschränkt. (. . .)
Die Unzulässigkeit der „Camelbase-Werbung“ nach dem TabakG und des daraus resultierenden unlauteren Rechtsbruchs war bereits Gegenstand der E OGH 23. 2. 2010, 4 Ob 14/10 b, Camelbase-Events, ÖBl 2010, 224. Im dortigen Verfahren war Bekl das Werbeunternehmen, das die Werbung inhaltlich entwarf. Im hier besprochenen Parallelverfahren war Bekl die Auftragnehmerin dieses Werbeunternehmens, die ihre Werbekonzepte technisch umsetzte, ohne auf die inhaltliche Gestaltung Einfluss zu nehmen. Das ErstG wies die EV ab, da die Rechtsverletzung für die Bekl nicht offensichtlich war. Das RekG erließ die beantragte EV. Der OGH wies den RevRekurs zurück. An Wettbewerbsverstößen sind häufig mehrere Unternehmen oder Personen mit verschiedenen Beitragshandlungen beteiligt. Einem Kl eröffnet dies grds ein breites Spektrum an potenziellen Bekl. Insb wenn der eigentlich Werbende und Hauptverantwortliche im Aus-
Österreichische Blätter für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht
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344 ecolex 2011
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land niedergelassen ist, kann es vorteilhaft sein, gegen inländische Vertriebspartner oder Werbeunternehmen vorzugehen, da es idR genügt, ein Glied der (Vertriebs-) Kette zu unterbrechen, um einen Verstoß abzustellen. Dabei stellt sich natürlich die Frage, ob tatsächlich jeder, der irgendwie entfernt an einem Verstoß beteiligt ist, dafür haften soll, da dies nicht zuletzt schnell zu beträchtlichen Kostenersatzpflichten führen kann. Der Unterlassungsanspruch, dem im gewerblichen Rechtsschutz die größte Bedeutung zukommt, ist grds verschuldensunabhängig. Demnach würde bereits jeder noch so kleine kausale Tatbeitrag zur Haftung eines Gehilfen führen. Dies erscheint unbillig, weshalb zB die Verantwortung eines Zeitungsvertriebsunternehmens (OGH 12. 2. 1991, 4 Ob 1/91, Einstandsgeschenk, ÖBl 1991, 101) abgelehnt wurde, da dieses keine Kenntnis von den wesentlichen Umständen des Verstoßes hatte und eine Prüfungspflicht mit dem Wesen des Zeitungsvertriebs nicht vereinbar und unzumutbar ist. Die Rsp beschränkt die Haftung auf bewusste Rechtsverletzungen, bei denen der Gehilfe Kenntnis von den wesentlichen Tatumständen hatte bzw schuldhaft nicht hatte. Im Ergebnis führt dies zu einer Haftung für (grob) fahrlässiges Verhalten (Kodek/Leupold in Wiebe/G. Kodek, UWG § 14 Rz 13). Diese Haftungsbeschränkungen setzen bereits bei der fehlenden Kenntnis des Sachverhalts ein. Darüber hinaus schließt der OGH bereits seit längerem die Haftung auch dann aus, wenn ein eigenverantwortlich handelnder Dritter willentlich und adäquat kausal in irgendeiner Weise an der Herbeiführung einer Rechtsverletzung mitgewirkt hat. Als Störer haften vielmehr nur Dritte, die gegen eine sie treffende Pflicht zur Prüfung auf mögliche (vgl für Pressevertriebsunternehmen: OGH 18. 1. 2000, 4 Ob 316/99 w, FormatSchecks, ÖBl 2000, 216) oder offenkundige, auch für einen juristischen Laien erkennbare Rechtsverletzungen verstoßen haben (vgl für Domain-Vergabestelle: OGH 13. 9. 2000, 4 Ob 166/06 s, fpo.at; für Suchmaschinenbetreiber: OGH 19. 12. 2005, 4 Ob 194/05 s,
Google). Bei letzteren Fällen kann es sich nur um die Frage nach dem Vorliegen eines entschuldbaren Rechtsirrtums handeln. Für die Kenntnis des Sachverhalts ist es nicht von Bedeutung, ob jemand Jurist oder Laie ist, sondern nur für die darauf aufbauende rechtliche Würdigung. Im konkreten Fall wurde bezüglich des Unternehmens, das die Camelbase-Werbung technisch durchführte und die Werbesujets natürlich inhaltlich kannte, angenommen, dass ihm ein Verstoß gegen das Tabakwerbeverbot bekannt war bzw es eine Prüfung auf das Vorliegen allfälliger Ausnahmen hätte vornehmen müssen. Dies dürfte in der Praxis kaum durchführbar sein. Eine umfassende rechtliche Prüfung kann vom Werbenden und allenfalls seiner Werbeagentur erwartet werden. Anderen beteiligten Personen, die Werbung nur technisch verbreiten oder umsetzen (zB Grafiker, Promotoren, Druckereien etc), auf ihren Inhalt aber keinen Einfluss haben, ist eine rechtliche Prüfung in jedem Einzelfall nicht zumutbar und wirtschaftlich in den meisten Fällen schlicht unmöglich. Auch bei der Beurteilung der Haftung eines Zeitungsvertriebsunternehmens oder der Domain-Vergabestelle spielten wirtschaftliche Überlegungen bei der Zumutbarkeit von Prüfungen im Einzelfall zu Recht eine Rolle. Für die Praxis lässt sich leider keine klare Grenze ziehen, wer neben dem Werbenden als unmittelbarem Täter für mehr oder weniger entfernte Beitragshandlungen haften soll. Als Faustregel kann allenfalls gelten, dass eine automatisierte, massenweise und anonyme Bearbeitung eher von der Haftung befreien kann als persönlicher Kundenkontakt. Jedem, der an Werbung und ihrer Verbreitung in irgendeiner Form beteiligt ist, kann aber nur größte Vorsicht angeraten werden. Wer aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke dazu in der Lage ist, sollte unbedingt seinem Auftraggeber vertraglich die Schad- und Klagloshaltung auferlegen. Michael Horak (als BV am Verfahren beteiligt)
EuGH-Vorlageverfahren zum Verletzungsgerichtsstand bei Markenverletzung im Internet 1. Ist die Formulierung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“ in Art 5 Nr 3 der VO (EG) 2001/44 (Brüssel I-VO) bei einem behaupteten Eingriff einer in einem anderen MS ansässigen Person in eine Marke des Gerichtsstaats durch Verwendung eines mit dieser Marke identischen Schlüsselworts (AdWord) in einer Internet-Suchmaschine, die ihre Leistungen unter verschiedenen länderspezifischen Top-Level-Domains anbietet, dahin auszulegen, 1.1. dass die Zuständigkeit nur dann begründet ist, wenn das Schlüsselwort auf jener Suchmaschinen-Website verwendet wird, deren Top-Level-Domain jene des Gerichtsstaats ist; 1.2. dass die Zuständigkeit allein dadurch begründet ist, dass jene Website der Suchmaschine, auf der das Schlüsselwort verwendet wird, im Gerichtsstaat abgerufen werden kann; 1.3. dass die Zuständigkeit davon abhängt, dass neben der Abrufbarkeit der Website weitere Erfordernisse erfüllt sein müssen?
2. Wenn Frage 1.3. bejaht wird: Nach welchen Kriterien ist zu bestimmen, ob bei Verwendung einer Marke des Gerichtsstaats als AdWord auf einer Suchmaschinen-Website mit einer anderen länderspezifischen Top-Level-Domain als jener des Gerichtsstaats die Zuständigkeit nach Art 5 Nr 3 Brüssel I-VO begründet ist?
Art 5 Nr 3 VO (EG) 2001/44 (Brüssel I-VO) OGH 5. 10. 2010, 17 Ob 8/10 s (EuGH C-523/10) – Wintersteiger –
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Anmerkung: In einem Verfahren betreffend Keyword-Advertising (AdWord) strebt der OGH die Klärung der Rechtsfrage an, wo eine Markenrechtsverletzung stattfindet, wenn die Benutzung einer fremden Marke im Internet erfolgt. Dazu sind bereits zwei Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH anhängig (verb Rs C-509/09 und C-161/ 10 betreffend Persönlichkeitsverletzungen). In der E BOSS-Zigaretten I (OGH 29. 5. 2001, 4 Ob 110/01 g ecolex 2001/318 [G. Schönherr]) hatte der OGH für einen Markeneingriff in Österreich darauf abgestellt, dass die Website (auch) auf Österreich ausgeecolex 2011 345
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richtet ist. Dies gelte auch dann, wenn die Domain im Ausland registriert ist, weil der Inlandsbezug bereits dadurch hergestellt wird, dass die Website von einem Internetzugang in Österreich aus angewählt werden kann. Der OGH hatte jedoch offen gelassen, ob die bloße Aufrufbarkeit einer Website in Österreich für einen Markeneingriff in Österreich ausreicht. In diesem Zusammenhang ist die WIPO Joint Recommendation Concerning Provisions on the Protection of Marks, and Other Industrial Property Rights in Signs, on the Internet (Doc 845[E]),1) ebenfalls aus dem Jahr 2001, zu erwähnen. Nach dieser Empfehlung soll sich eine Benutzung nur dann auf einen Staat beziehen, wenn die Benutzung in diesem Staat kommerzielle Auswirkungen
hat (Art 2); das Dokument enthält in der Folge (Art 3) eine Reihe von Faktoren für die Beurteilung kommerzieller Auswirkungen. Eigentlich ist es bemerkenswert, dass die weitere Klärung dieser Frage erst im Jahr 2010 notwendig wurde (und andererseits nunmehr gleichzeitig mehrere Vorabentscheidungsverfahren anhängig sind), obwohl das Internet inzwischen bereits seit vielen Jahren umfassend für Werbung für Waren und Dienstleistungen verwendet wird. Christian Schumacher
1) Abrufbar unter www.wipo.int/about-ip/en/development_iplaw/
Haustiere im Arbeitsrecht Tiere sind gem § 285 a ABGB zwar keine Sachen, die für Sachen geltenden Vorschriften sind auf sie aber insoweit anzuwenden, als keine abweichenden Regelungen bestehen. Obwohl das Arbeitsrecht keine derartigen Sondervorschriften enthält, erscheint die undifferenzierte Anwendung sachenrechtlicher Bestimmungen auf sämtliche arbeitsrechtliche Problemstellungen, die iZm Tieren auftreten können, inadäquat. Der Beitrag versucht, die wichtigsten Fragestellungen anzureißen. ANDREAS GERHARTL
A. Mitnahme von Tieren auf den Arbeitsplatz 1. Interessenabwägung Die Frage, ob bzw unter welchen Voraussetzungen der Arbeitnehmer dazu berechtigt ist, (s)ein Haustier auf den Arbeitsplatz mitzunehmen, ist mE unter dem Fokus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers zu lösen.1) Aufgrund der auch durch die Rechtsordnung insb durch das Verbot der Tierquälerei geschützten, emotionalen Beziehung zwischen Mensch und Haustier ist dabei mE auch das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers zu berücksichtigen.2) Wie der OGH betont, schützt die Fürsorgepflicht die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers nicht nur punktuell, sondern in ihren diversen Ausstrahlungen schlechthin.3) Die zur Rechtfertigung eines Verbots erforderlichen Arbeitgeber-Interessen müssen daher umso gewichtiger sein, je intensiver ein Verbot daher in die Persönlichkeit des Arbeitnehmers eingreift.4) Im Ergebnis ist daher eine Interessenabwägung durchzuführen.5) Dabei sind insb die potenzielle Gefährdung (für Sachen und/ oder Menschen), die durch die Mitnahme des Tieres hervorgerufen würde,6) und der Umstand, inwieweit der Arbeitnehmer durch die Mitnahme des Tieres bei der Erbringung seiner Arbeitsleistung eingeschränkt würde, zu berücksichtigen. Das Ergebnis der Interessenabwägung hängt somit maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls (insb von Art, Größe und Erziehung des Tieres sowie der konkreten Ausgestaltung des Arbeitsplatzes) ab. So kann der Arbeitgeber aufgrund der mit diesen 346 ecolex 2011
Tieren einhergehenden überdurchschnittlichen Gefahrengeneigtheit mE etwa das Mitbringen einer Riesenschlange oder eines Kampfhundes auch bei Treffen der verkehrsüblichen Schutzvorkehrungen (Maulkorb, Käfig) ohne Weiteres untersagen. Gleiches gilt mE bei konkreten Gefährdungssituationen (zB unter Tierallergien leidende Arbeitskollegen) oder bei Inkompatibilität mit den am Arbeitsplatz zu beachtenden Hygienevorschriften (zB Tiere in einer Küche). Die (durch Studien nachgewiesenen) positiven Effekte der Mitnahme von Tieren auf den Arbeitsplatz (angenehmeres Betriebsklima, Hebung der Stimmung, Ab-
Dr. Andreas Gerhartl ist Mitarbeiter des Büros der Landesgeschäftsführung beim AMS Niederösterreich. 1) Vgl dazu Pačić, Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers im Lichte der Rechtsprechung, ZAS 2010, 144 (150 ff) mwN. 2) Vgl insbes § 5 TSchG, § 220 a, 222 StGB; Methling/Unshelm (Hrsg), Umwelt- und tiergerechte Haltung 519 mwN; Götschel/Bollinger, Auswirkungen der neuen Rechtsstellung von Tieren auf das Mietrecht, Zeitschrift für schweizerisches Mietrecht 2003, 91. 3) OGH 17. 3. 2004, 9 ObA 143/03 z. Vgl zur Differenzierung zwischen identitätsstiftenden und schlichten Persönlichkeitsrechten Grabenwarter, EMRK3 195; Frowein in Frowein/Peukert, EMRK2 Art 8 Rz 7. 4) Gerhartl, Persönlichkeitsschutz im Arbeitsverhältnis 27 ff; Felten, Arbeitsrechtlicher Schutz für Raucher? ZAS 2009, 204 (204 ff) mwN. 5) Posch in Schwimann, ABGB I5 § 16 Rz 3; Aicher in Rummel, ABGB I3 § 16 Rz 10; Schnorr, Arbeitsvertragliche Pflichten und Persönlichkeitsschutz, in FS Strasser 108. 6) Dazu gehört mE auch die Verschmutzungsgefahr und/oder die Lärmbelästigung.
ARBEITSRECHT
bau von Stress)7) können an diesem Ergebnis mE nichts ändern. Auch ein besonderes (allenfalls bloß temporäres) Interesse an der Mitnahme des Tieres ist zu berücksichtigen (zB das Bedürfnis eines blinden Arbeitnehmers einen Blindenhund an den Arbeitsplatz mitzubringen).8) Da die Möglichkeit, dem Arbeitnehmer die Mitnahme des Haustiers an den Arbeitsplatz zu untersagen, und das Treffen von Vorkehrungen für einen allfälligen Schadensfall9) voraussetzt, dass der Arbeitgeber von dieser Absicht Kenntnis hat, trifft den Arbeitnehmer mE im Normalfall die Verpflichtung, den Arbeitgeber von der beabsichtigten Mitnahme eines Haustiers auf den Arbeitsplatz zu unterrichten.10)
2. Regelung durch Arbeitsvertrag oder Betriebsvereinbarung Wird die Mitnahme von Tieren an den Arbeitsplatz im Arbeitsvertrag geregelt (etwa auch durch Verweis auf Richtlinien des Arbeitgebers wie Hausordnung oä), so kann eine derartige Bestimmung nach Maßgabe des § 879 Abs 1 ABGB bei einem Verstoß gegen die guten Sitten nichtig sein.11) Eine solche Sittenwidrigkeit käme mE bei Vereinbarung eines absoluten Verbots der Mitnahme von Tieren in Betracht, wenn die Interessenabwägung eindeutig zu Gunsten des Arbeitnehmers ausfällt, also etwa bei Kleinsttieren, von denen keinerlei Gefahr ausgeht und deren Mitnahme an den Arbeitsplatz weder Komplikationen für den Arbeitgeber mit sich bringt, noch den Arbeitnehmer in der Erbringung seiner Arbeitsleistung einschränkt.12) Die Zulässigkeit der Mitnahme von Tieren an den Arbeitsplatz kann auch Gegenstand einer BetrV iSd § 97 Abs 1 Z 1 ArbVG sein.13) Fraglich ist aber, ob dies auch für Regelung der näheren Modalitäten der Betreuung bzw Beaufsichtigung des mitgebrachten Tieres durch den Arbeitnehmer gilt (zB Pausenregelungen zur Ermöglichung der Betreuung des Tieres, Betreuung des Tieres während der Durchführung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit), da in diesem Fall nicht nur das Verhalten des Arbeitnehmers im Betrieb, sondern auch die Erbringung der Arbeitsleistung reglementiert wird.14) Unproblematisch wäre demnach bspw eine BetrV, die bloß regelt, wo an den Arbeitsplatz mitgebrachte Tiere abzugeben bzw aufzubewahren sind (zB Zurverfügungstellung einer Betreuungsperson durch den Arbeitgeber, Einrichtung von Räumlichkeiten, an denen die Tiere untergebracht werden können).
3. Aufwendungen des Arbeitgebers Die Mitnahme eines Haustiers an den Arbeitsplatz setzt voraus, dass dies faktisch möglich ist (also die benötigten Unterbringungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz zur Verfügung stehen). Ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, derartige Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen, hängt mE ebenfalls von einer im Einzelfall durchzuführenden Interessenabwägung ab. So wird der Arbeitnehmer etwa berechtigt sein, leerstehende Räumlichkeiten, die der Arbeitgeber nicht für andere Zwecke benötigt, für die Unterbringung seines an den Arbeitsplatz mitgebrachten Haustieres zu nützen. Der Arbeitgeber ist mE aber idR nicht verpflichtet,
zusätzliche Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen.15)
B. Freizeit zur Betreuung von Haustieren 1. Zusätzliche Arbeitspausen Zusätzliche Arbeitspausen sieht das AZG nur bei besonders anstrengenden oder gefährlichen Arbeiten vor.16) Ein Recht auf weitere (unbezahlte) Arbeitspausen kann sich aber aufgrund der Fürsorgepflicht ergeben.17) Demnach kann eine Interessenabwägung mE auch einen Anspruch auf zusätzliche Arbeitspausen begründen, wenn dies zur artgerechten Haltung des an den Arbeitsplatz mitgebrachten Haustieres erforderlich ist (zB „Gassigehen“ mit jungem Hund). Ein Anspruch auf Bezahlung der zusätzlichen Arbeitspausen lässt sich mE aus der Fürsorgepflicht allerdings nicht ableiten, da die Wertung der zusätzlichen Pausen als bezahlte Arbeitszeit zum einen zur Wahrnehmung der Interessen des Arbeitnehmers nicht erforderlich ist und da andernfalls eine Privilegierung (Arbeitszeitverkürzung) gegenüber Arbeitnehmern ohne Haustiere einträte.18) Der Arbeitgeber kann mE folglich vom Arbeitnehmer auch verlangen, die zusätzlichen (unbezahlten) Pausen aufzuzeichnen.19)
2. Vorliegen einer Dienstverhinderung § 8 Abs 8 AngG bzw § 1154 b Abs 5 ABGB räumen dem Arbeitnehmer bei Vorliegen eines aus der Sphäre des Arbeitnehmers stammenden Dienstverhinderungsgrunds einen befristeten („für verhältnismäßig kurze Zeit“) Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts 7) Vgl Tiere im Büro: Der Lieblingskollege, FAZ 9. 9. 2006, 52; Götschel/Bollinger, Das Tier im Recht 284 ff mwN. 8) Vgl zur Verpflichtung des Arbeitgebers, im Rahmen der Fürsorgepflicht auch auf besondere Umstände (zB eine Behinderung des Arbeitnehmers) Rücksicht zu nehmen, OGH 22. 2. 2006, 9 ObA 142/05 f RdW 2006/418. 9) Siehe unter C.1. 10) Keine derartige Informationspflicht wird allerdings für die kurzfristige Mitnahme unauffälliger und harmloser Tiere bestehen (zB in der Kleidung aufbewahrter Hamster). 11) Vgl zur Bedeutung des Persönlichkeitsschutzes bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit Rebhahn/Kietaibl in ZellKomm § 879 ABGB Rz 14 ff. 12) Vgl BGH 20. 1. 1993, VIII ZR 10/92, wonach ein pauschales Heimtierhaltungsverbot in einem Formularmietvertrag eine unangemessene Benachteiligung des Mieters darstellt und daher unwirksam ist. 13) Reissner in ZellKomm § 97 ArbVG Rz 18. 14) Vgl Tomandl, Die Schlichtung von Regelungsstreitigkeiten gem § 97 Abs 2 ArbVG, ZAS 1979, 209; Rauch, Sind Rauch- bzw Alkoholverbote im Betrieb zulässig? ASoK 2002, 87; Hainz, Die Rechtsstellung von Rauchern im Arbeitsrecht, in FS Tomandl 109 (125); Binder in Tomandl (Hrsg), ArbVG § 97 Rz 11. 15) Anderes könnte mE bei Vorliegen besonderer Situationen (zB Blindenhund) oder bei einem bloß minimalen Aufwand (zB Schaffung der Möglichkeit, Hunde auf einem bereits vorhandenen Außenstand anzuleinen) gelten. 16) Vgl § 11 Abs 3, 4 und 6, § 21 AZG. 17) Felten, ZAS 2009, 210. 18) Bezahlte Pausen könnten allerdings (allenfalls auch konkludent) vereinbart werden. Vgl zum Problem in Bezug auf Rauchpausen Rauch, Besteht ein arbeitsrechtlicher Anspruch auf Rauchpausen? ASoK 2001, 274; ders, Gewohnheitsrecht auf Rauchpausen? ASoK 2003, 2. 19) Die Grenze bildet mE das Schikaneverbot.
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ARBEITSRECHT
ein. Der Verhinderungsgrund muss nach Recht, Herkommen oder Sitte wichtig genug sein, um den Arbeitnehmer berechtigterweise an der Erfüllung seines Arbeitsvertrags zu hindern.20) Unstrittigerweise erfasst diese Bestimmung (schwere) Erkrankungen naher Familienmitglieder des Arbeitnehmers, deren notwendige Pflege seine Anwesenheit unbedingt erforderlich macht.21) Fraglich ist, ob auch die notwendige Pflege eines erkrankten Haustiers darunter subsumierbar ist. ME ist dies insb aufgrund der Anerkennung von Tieren als Mitgeschöpfe durch den Gesetzgeber, der Verankerung der besonderen Verantwortung des Menschen für den Schutz des Wohlbefindens des Tieres und der gesetzlichen Verpflichtung zur Versorgung von erkrankten oder verletzten Tieren zu bejahen.22) Die den Tierhalter demnach treffenden Verpflichtungen sind mE ausreichend, um einen Verhinderungsgrund iSd § 8 Abs 8 AngG bzw § 1154 b Abs 5 ABGB darstellen zu können.23) Die (gewöhnliche) Betreuung eines gesunden Haustiers (egal, ob dieses an den Arbeitsplatz mitgebracht wurde oder nicht) wird mE aus zwei Gründen im Allgemeinen keinen Dienstverhinderungsgrund iS der zitierten Bestimmungen darstellen. Zum einen überwiegt die Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Betreuung eines gesunden Haustiers mE nicht das Interesse des Arbeitgebers an der Erbringung der Arbeitsleistung.24) Dies folgt mE aus einem Größenschluss: Wenn grds nicht einmal die Betreuung eines erkrankten Kleinkinds im Krankenhaus durch die Eltern einen gerechtfertigten Dienstverhinderungsgrund iS der Bestimmungen bildet,25) kann die Betreuung eines gesunden Tieres mE umso weniger einen derartigen Grund abgeben. Zweitens setzt das Bestehen eines Entgeltanspruchs voraus, dass der Hinderungsgrund nicht vom Arbeitnehmer verschuldet wurde. Diese Voraussetzung wird so verstanden, dass ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung nur besteht, wenn der Arbeitnehmer alle zumutbaren Vorkehrungen zur Abwendung des Dienstverhinderungsgrunds getroffen hat.26) Da die Betreuung eines gesunden Haustiers im Normalfall kein unvorhersehbares und überraschendes Ereignis darstellt, ist es dem Arbeitnehmer aber zumutbar, entsprechende Vorkehrungen zur Sicherstellung der Betreuung zu treffen.27)
C. Haftungsfragen 1. Haftung des Arbeitgebers a) Haftung gegenüber dem Arbeitnehmer Die Fürsorgepflicht beinhaltet auch die Verpflichtung zum Schutz des Vermögens des Arbeitnehmers.28) So haftet der Arbeitgeber bei Verletzung seiner Verpflichtung zur Sicherung für den Verlust von vom Arbeitnehmer eingebrachten Gegenständen.29) Übt der Arbeitnehmer eine besonders gefahrengeneigte Tätigkeit aus, ist der Arbeitgeber aufgrund der erhöhten Betriebsgefahr sogar zur Versicherung des Arbeitnehmereigentums verpflichtet.30) ME lässt sich daraus jedoch keine Haftung des Arbeitgebers für Verletzungen oder den Verlust eines vom Arbeitnehmer an den Arbeitsplatz mitgebrachten Tieres ableiten. Es handelt sich eben um keine 348 ecolex 2011
Tiere, die zur Erbringung der Arbeitsleistung benötigt werden, sondern um Tiere, die der Arbeitnehmer aus privaten Gründen (idR zur Erhöhung seines Wohlbefindens) an den Arbeitsplatz mitnimmt. Insofern kommt mE der Grundsatz zum Tragen, dass den Arbeitgeber keine Haftung bzw Ersatzpflicht für durch höhere Gewalt zerstörtes, privates, am Arbeitsplatz verwendetes Eigentum des Arbeitnehmers trifft.31) Eine allfällige Schadenersatzpflicht des Arbeitgebers tritt daher mE nur nach Maßgabe des allgemeinen Schadenersatzrechts ein. b) Haftung gegenüber einem geschädigten Dritten Verursacht das an den Arbeitsplatz mitgebrachte Tier einen Schaden (zB ein ins Büro mitgebrachter Hund beißt einen Kunden), so stellt sich die Frage, ob (auch) der Arbeitgeber als Halter des Tieres anzusehen ist und dem Geschädigten gegenüber daher iSd § 1320 Satz 2 ABGB haftet.32) Nach der Rsp ist als Halter (ua) anzusehen, wer unabhängig von Anordnungen Dritter darüber zu entscheiden hat, wie das Tier zu verwahren und zu beaufsichtigen ist. Auf eine bestimmte rechtliche Beziehung zum Tier kommt es nicht an, weshalb auch die Eigentumsverhältnisse am Tier nicht für die Haltereigenschaft entscheidend sind.33) Unter Zugrundelegung dieser Kriterien wird die Haltereigenschaft des Arbeitgebers mE zu bejahen sein, da dieser die Möglichkeit hat, die Mitnahme des Tieres an den Arbeitsplatz im Rahmen der durchzuführenden Interessenabwägung (in die auch die Gefährlichkeitsprognose mit einzubeziehen ist) zu untersagen bzw im Rahmen der Ausübung des Hausrechts 20) Drs, Sonstige Dienstverhinderungsgründe, in Resch (Hrsg), Fragen der Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers 39; Ettmayr, Die Risikoverteilung bei Verhinderung aus persönlichen Gründen, DRdA 2007, 193; Heinz-Ofner, Andere wichtige Dienstverhinderungsgründe des Arbeitnehmers, DRdA 2008, 114; OGH 12. 10. 1988, 9 ObA 227/ 88 DRdA 1993/7 (Ritzberger-Moser). 21) Drs in ZellKomm § 8 AngG Rz 125 ff mwN. 22) Vgl §§ 1, 15 TSchG; Götschel (Hrsg), Recht und Tierschutz: Hintergründe – Aussichten 217. 23) Zur Informations- und Nachweispflicht des an der Dienstleistung verhinderten Arbeitnehmers vgl Schima/Schedle, Rechtsfolgen verspäteter Rückkehr zur Arbeit, ZAS 2010, 288 (290 f). 24) Vgl zu dieser Interessenabwägung Drs, Sonstige Dienstverhinderungen 42. 25) Vgl OGH 24. 11. 1993, 9 ObA 231/93. 26) ZB Laminger, Sonstige Dienstverhinderungen von A-Z 37; Lindmayr, Entgelt ohne Arbeit Rz 269. 27) Anderes könnte etwa bei kurzfristiger Übernahme der Betreuung eines fremden Haustiers gelten; das Vorliegen eines Dienstverhinderungsgrunds würde aber auch in diesem Fall (bereits) am Fehlen eines überwiegenden Interesses an der Betreuung scheitern. 28) ZB Karner in Mazal/Risak (Hrsg), Das Arbeitsrecht Kap VI Rz 108. 29) OGH 12. 10. 1982, 4 Ob 117/82; 5. 5. 2004, 9 ObA 48/04 f; 6. 10. 2005, 8 ObS 17/05 s. 30) OGH 8. 2. 1966, 4 Ob 2/66; 11. 6. 1968, 4 Ob 25/68; 30. 5. 1969, 4 Ob 35/69. 31) OGH 18. 9. 2003, 8 ObA 81/03 z. 32) Die Haltereigenschaft des Arbeitnehmers wird idR unproblematisch sein. Aufgrund der in § 1320 Satz 2 ABGB enthaltenen Beweislastumkehr geht diese Haftung mE über die Haftung des Arbeitgebers gem §§ 1313 a, 1315 ABGB hinaus. 33) Vrba/Lampelmayer/Wulff-Gegenbaur, Schadenersatz in der Praxis2 Kap B.XIII, 3 mN.
ARBEITSRECHT
die Modalitäten der Unterbringung bzw Beaufsichtigung des Tieres näher zu determinieren.
2. Haftung des Arbeitnehmers Fraglich ist weiters, ob auf die Haftung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber (entweder für Schäden, die das mitgebrachte Haustier dem Arbeitgeber verursacht hat oder für Regressansprüche im Innenverhältnis bei Schädigung eines Dritten durch das mitgebrachte Haustier) das DHG anzuwenden ist. Für die Beantwortung dieser Frage ist entscheidend, ob die zur Schädigung führende Tätigkeit des Arbeitnehmers (also die mangelnde Verwahrung bzw Beaufsichtigung des Tieres) als Erbringung der Dienstleistung iSd DHG zu werten ist. Nach der Rsp ist dies wohl zu bejahen, da demnach der geforderte Zusammenhang zwischen der Schadenszufügung und der Dienstleistung nicht dadurch aufgehoben wird, dass ein erlaubtes, übliches oder sozialadäquates Verhalten, das mit der eigentlichen Dienstleistung nichts zu tun hat, als unmittelbare Schadensursache anzusehen ist.34) Demnach fällt auch ein Arbeitnehmer, der sich während seiner Dienstleistung oder in kurzfristiger Unterbrechung derselben „privaten“ Tätigkeiten widmet (Rauchen, Essen, Trinken, Einnahme von Medikamenten, Aufsuchen des WC, gymnastische Lockerungsübungen, …), weiterhin in den Anwendungsbereich des DHG.35) So wurde die Anwendbarkeit des DHG etwa auch bei Verursachung einer Feuersbrunst durch
Rauchen am Arbeitsplatz bejaht.36) Der OGH führte dazu aus, dass nicht entscheidend sei, ob die konkrete Schadensursache in einem Verhalten liege, das im Interesse und zum Nutzen des Arbeitgebers gesetzt werde. Vielmehr komme es darauf an, ob zum fraglichen Zeitpunkt die Haupttätigkeit des Arbeitnehmers der Erfüllung des Dienstvertrags, somit primär dem Interesse des Arbeitgebers, gewidmet war. Dass der Arbeitnehmer darüber hinaus zugleich private Interessen befriedigt, könne jedenfalls dort nicht schaden, wo dies mit der Dienstleistung grds ohne weiteres vereinbar sei und das Privatinteresse nicht (für einen nicht ganz unerheblichen Zeitraum) eindeutig die Oberhand über das dienstliche Interesse gewinne. 34) Oberhofer, Das DHG und die Nutzung betrieblicher Einrichtungen, ZAS 1988, 150; OGH 22. 12. 1994, 8 ObA 327/94 DRdA 1995, 397 (Dirschmied). 35) Kerschner, DHG2 § 1 Rz 23 mwN; OGH 29. 5. 1991, 9 ObA 70/91. 36) OGH 12. 7. 2006, 9 ObA 34/06 z DRdA 2007, 227 (Kerschner) = ZAS 2007, 129 (Ettmayr). SCHLUSSSTRICH
Im Zusammenhang mit Tieren im Arbeitsrecht stellt sich nicht nur die Frage, ob diese an den Arbeitsplatz mitgebracht werden dürfen, sondern es ergeben sich auch andere Probleme (zB Haftungsfragen, Recht auf Freistellung zur Pflege eines Tieres), die bislang noch einer Klärung durch die Judikatur harren.
Neue Kompetenzen der Betriebspartner im Entgeltbereich ALEXANDER BURZ
A. Neue BV-Tatbestände in § 97 Abs 1 Z 16 Mit der ArbVG-Novelle 20101) wurden neue BVTatbestände für die Gestaltung von leistungs- und erfolgsbezogenen Entgeltmodellen eingeführt. Damit soll eine Grenzziehung zwischen der immer noch bestehenden notwendigen Mitbestimmung des Betriebsrats bei Akkordlöhnen und akkordähnlichen Prämien und Entgelten2) einerseits und der fortan möglichen, aber nur fakultativ disponiblen Mitbestimmung bei den sonstigen, generell eingeführten, leistungs- und erfolgsbezogenen Prämien und Entgelten3) erfolgen. Zur Einschränkung des Vetorechts des Betriebsrats haben sich bereits Winter/Wolf geäußert.4) Der Gesetzgeber hat mit der Novellierung des § 96 Abs 1 Z 4 offensichtlich auf die E des OGH 9 ObA 144/07 b5) reagiert6) und wollte klarstellen, dass leistungsbezogene Entgeltmodelle, die keine dem Akkordlohn ähnlichen Eigenschaften aufweisen, nicht (mehr) der zwingenden Mitbestimmung unterliegen. Weiterhin bleibt jedoch zu prüfen, welche zusätzlichen Entgeltsysteme im Zuge der Novellierung des
§ 97 Abs 1 Z 16 ArbVG durch fakultative BV eingeführt werden können. Die Klärung dieser Frage ist deshalb wichtig, weil ohne Ermächtigung geschlossene „Betriebsvereinbarungen“ zwar nichtig sind, ihr Inhalt über allgemeine zivilrechtliche Grundsätze der (konkludenten) Vertragsergänzung als „freie BV“ jedoch Rechtswirkungen entfalten kann. Eine kollektive Beendigung derart zustande gekommener Regelungen ist nach hM7) jedoch nicht möglich.
Mag. Alexander Burz ist Assistent am Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien. 1) BGBl I 2010/101. 2) § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG. 3) § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG. 4) Winter/Wolf, Kein Vetorecht des Betriebsrats bei leistungsbezogenem Entgelt, ecolex 2010, 1178. 5) Vgl OGH 9 ObA 144/07 b DRdA 2009, 307 (Jabornegg) = ZAS 2009/23 (Risak) = ZAS 2009/38 (Schrank). 6) Vgl Winter/Wolf, Kein Vetorecht 1179. 7) Vgl Schrammel in Tomandl/Schrammel, Betriebsvereinbarungen 84 ff, mit einer differenzierenden Darstellung der Änderungsmöglichkeiten „freier BVen“.
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B. Regelungskompetenz der Betriebspartner Voraussetzung für eine gültige Betriebsvereinbarung ist die Ermächtigung der Betriebsparteien durch Gesetz oder Kollektivvertrag. § 29 ArbVG regelt dabei den Rahmen der Zulässigkeit von BVen. Nur generell-abstrakte Regelungen von Arbeitsbedingungen dürfen Inhalt einer BV sein. Maßgeblich ist dabei nicht die Formulierung der Regelung, sondern deren Auswirkung.8) IZm dem generell-abstrakten Charakter der BV ist zu prüfen, ob Entgeltmodelle mit Zielvereinbarungen, Performance Management-Konzepte, Aktienoptionspläne oder Provisionen tatsächlich unter § 97 subsumierbar sind. Gerade im Bereich des „Performance Management“ wurde die individuelle Leistungskomponente von einigen Autoren9) iZm der E des OGH 9 ObA 144/07 b hervorgehoben. Ein generelles System, das objektive Bewertungsmaßstäbe für variable Entgeltteile vorsieht und für eine abstrakt umschriebene Gruppe von Arbeitnehmern vorgesehen ist, kann auf Grundlage von § 97 Abs 1 Z 16 eingeführt werden. Die Vereinbarung der konkreten, personalisierten Zielvorgaben durch BV macht jedoch weder Sinn, noch kann sie rechtlich zulässig sein. Die bisherige Judikatur war diesbezüglich nicht eindeutig. Nach Meinung des OGH genügte schon die Transparenz eines leistungsbezogenen Entgeltsystems (anstelle der Objektivität des Bewertungsverfahrens) für die Mitbestimmungspflicht nach § 96 Abs 1 Z 4,10) obwohl für die Berechnung der tatsächlichen Entgelthöhe individuelle Zielvorgaben zwischengeschaltet wurden11) und außerdem ein nicht zu unterschätzender Erfolgsbezug gegeben war – die Leistung der AN also mediatisiert wurde. Diese umstrittene Judikatur zur notwendigen Mitbestimmung verleitete in der Praxis zur Einführung intransparenter und willkürlicher Entgeltformen. Die Rechtsunsicherheit scheint beseitigt zu sein, da der Gesetzgeber mit der Eliminierung der „Arbeits-(Persönlichkeits)bewertungsverfahren“ aus § 96 Abs 1 Z 4 klargestellt hat, dass Entgeltfindungssysteme, die stark subjektive Elemente einfließen lassen, um die Arbeitnehmer zu beurteilen, nicht mehr mitbestimmungspflichtig sind. Zudem ergibt sich durch § 97 Abs 1 Z 16 neu, der nur eine Ermächtigung, aber keine Verpflichtung für den Abschluss einer BV vorsieht, ein wesentlich weiterer Anwendungsbereich für BVen. Nicht nur leistungsbezogene, sondern auch erfolgsbezogene Prämien und Entgelte können durch BV geregelt werden. Die Regelungskompetenz der Betriebsparteien wurde damit stark aufgewertet. Die Prüfung, welche „sonstigen“ Entgelte darunter fallen, bleibt dem Rechtsanwender aber auch weiterhin nicht erspart. Schrank12) vertrat (zur alten Rechtslage), dass die in § 96 Abs 1 Z 4 gemeinten „sonstigen Entgelte“ nur als Restmenge zu verstehen seien. Die Wertungen, die aus den Begriffen „Prämie“, „Akkordlohn“, „Stück- und Gedingelohn“ abgeleitet werden können, waren sE auch für diese Restmenge relevant. Nach grammatikalischer und systematischer Auslegung musste man laut Schrank zum Ergebnis kommen, dass „sonstige leistungsbezogene Prämien“ ein beson350 ecolex 2011
deres inhaltliches Naheverhältnis zu den Akkord-, Stück- und Gedingelöhnen sowie zu akkordähnlichen Prämien haben müssen.13) ME war dieses Erfordernis für die alte Rechtslage tatsächlich relevant, die Neuregelung in § 97 kann hier aber extensiver verstanden werden.14) Der Zusatz „soweit diese Prämien nicht unter § 96 Abs 1 Z 4 fallen“ nimmt explizit eine Abgrenzung zur notwendigen Mitbestimmung und ihren Voraussetzungen vor. Auch die von Schrank verlangte Kurzfristigkeit der Entgeltschwankung dürfte für § 97 Abs 1 Z 16 kein Kriterium darstellen, weil nach der Neuregelung auch erfolgsbezogene Entgelte umfasst sind.15) Folgende gängige Entgeltformen können mE durch BV geregelt werden. & Die Einführung und generelle Ausgestaltung von Provisionssystemen Schon Strasser16) hat vertreten, dass ein fakultativer BV-Tatbestand für Provisionssysteme sinnvoll wäre. Bei Provisionen handle es sich zwar, aufgrund ihrer besonderen Erfolgsbezogenheit, um ein „aliud“ zum Leistungslohn (die Subsumierung unter § 96 schloss die hL deshalb aus), eine einschlägige kollektivarbeitsrechtliche Regelung hielt er jedoch für sinnvoll. & Zielvereinbarungen/Performance ManagementKonzepte Hier muss auf die konkrete Ausgestaltung geachtet werden. Diese Entgeltmodelle stellen im Regelfall stark auf individuelle Zielvorgaben ab. Nur die Einführung und generelle Ausgestaltung, nicht aber die individuelle Vereinbarung17) können durch BV geregelt werden. Ob Leistung oder Erfolg für das Modell maßgeblich ist, spielt jedoch keine Rolle mehr. & Aktienoptionspläne Bisher hat die Frage, ob es sich bei Aktienoptionen um Gewinnbeteiligungen iSd § 97 Abs 1 Z 16 alt handelte, in der Literatur kaum Beachtung gefunden.18) Preiss19) nimmt Beteiligungssysteme am Unternehmen „ohne Anknüpfung an eine bestimmte Gewinnbeteiligung“ aus dem Anwendungsbereich der Z 16 aus. Nachdem es sich bei Aktienoptionen lediglich 8) Vgl Kietaibl in Tomandl (Hrsg), Arbeitsverfassungsgesetz § 29 Rz 5, 31. 9) Vgl Risak, Innovative Entlohnungsmodelle, ZAS 2009, 141; Schrank, Jahreszielerreichungsprämien, ZAS 2009, 245. 10) Der OGH folgte hier den Ausführungen Reissners, „Performance Management“-Konzepte und betriebliche Mitbestimmung, DRdA 2003, 503 ff. 11) Krit Risak, ZAS 2009/23; Schrank, ZAS 2009/38. 12) Schrank, Betriebsvereinbarungen über die Leistungsentgelte, in Tomandl, Probleme des Einsatzes von Betriebsvereinbarungen 80. 13) Vgl Schrank, Jahreszielerreichungsprämien 246. 14) Vgl auch ErläutRV 901 BlgNR 24. GP 6. 15) Die Arbeit-Entgelt-Relation und damit verbundene (kurzfristige) Entgeltschwankungen sind dafür mE für die Ermittlung der Akkordähnlichkeit nach § 96 Abs 1 Z 4 umso wichtiger geworden. 16) Vgl Strasser, Geltung des § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG, DRdA 1993, 95. 17) Die Frage, wie weit eine auf § 97 Abs 1 Z 16 fußende BV auch konkrete Entgelthöhen, Werteinheiten oder Entgeltsätze regeln kann, bedarf noch einer eingehenden Untersuchung. 18) Dehn/Wolf/Zehetner, Aktienoptionsrecht 107 nennen § 97, ohne weitere Begründung, als „einschlägigen Betriebsvereinbarungstatbestand“. 19) Preiss in Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller, Arbeitsverfassungsrecht4 § 97 Erl 22.
ARBEITSRECHT
C. Weiterführende Gedanken Noch nicht diskutiert wurde, ob der Verweis in § 97 auf § 96 auch den Vorrang des KV vor einer allfälligen BV erfasst. Behält man den Schutzgedanken des § 96 im Auge, der eine mitbestimmungspflichtige BV nur für den Fall vorsieht, dass kein KV besteht, so wird die Einschränkung wohl entfallen. Eine günstigere BV in Angelegenheiten des § 97 kann also auch für den Fall abgeschlossen werden, dass bereits eine Regelung durch KV besteht. Die Frage, ob vor der Novelle abgeschlossene „freie BVen“, die vermeintlich den Tatbestand des
§ 96 Abs 1 Z 4 erfüllten, deren Inhalt jetzt aber jedenfalls unter § 97 Abs 1 Z 16 fällt, geheilt wurden und ob demnach eine kollektive Änderung oder Beendigung20) möglich ist, kann in diesem Kurzbeitrag nicht erörtert werden. 20) Vgl schon die Rsp zu Änderungs- und Widerrufsvorbehalten in ,,freien BVen OGH 8 ObA 99/04 y ZAS 2006/40 (Runggaldier); OGH 9 ObA 89/06 p DRdA 2009/13 (Drs). ,,
um eine Beteiligungsmöglichkeit handelt und die Wertschöpfung für den Arbeitnehmer über die Kursentwicklung und den Kapitalmarkt, nicht aber über Gewinnkennzahlen erfolgt, handelt es sich mE bei Aktienoptionen nicht um Gewinnbeteiligungen iSd § 97 Abs 1 Z 16. Erst nach Ziehen der Option wird der Arbeitnehmer (je nach Modell) direkter Aktionär. Im Hinblick auf Dividenden, die den Eigentümern ausgeschüttet werden, kann dann von einer Gewinnbeteiligung gesprochen werden. Durch die Novellierung fallen jetzt jedenfalls auch Aktienoptionen unter die „erfolgsbezogenen Entgelte“ des § 97 Abs 1 Z 16.
SCHLUSSSTRICH
Die ArbVG-Novelle eröffnet eine ganze Palette an Mitbestimmungsmöglichkeiten auf Betriebsebene im Entgeltbereich. Sie führt damit zur Stärkung der Betriebspartner. Das traditionelle Monopol der KV-Parteien in Entgeltfragen wird dadurch einen Schritt zurückgedrängt, auch wenn die BV-Parteien weiterhin nur Grundsätze und Einführung von leistungs- und erfolgsbezogenen Entgeltmodellen regeln dürfen. In Zukunft werden „versehentlich“ geschlossene „freie BVen“ weitestgehend verhindert. Einmal eingeführte Modelle können in Folge auch kollektiv beendet werden. In der Praxis muss dennoch darauf geachtet werden, ob die gewünschten Regelungen durch die Ermächtigung in § 97 ArbVG tatsächlich Deckung finden. RECHTSPRECHUNG
Doppelte Prüfung der Kündigung eines begünstigten Behinderten 1. Der Bescheid des Bundessozialamts hat keinen unmittelbaren Einfluss auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, ist aber insoweit konstitutiver Natur, als dem AG die Erlaubnis zur Ausübung seines Kündigungsrechts gegeben und so eine neue Rechtslage begründet wird. 2. Mit Hilfe der aufschiebenden Wirkung können bereits gesetzte Vollzugshandlungen nicht rückgängig gemacht werden. Ist im Zeitpunkt des Ausspruchs der aufschiebenden Wirkung durch den VwGH die Kündigung bereits zugegangen, ist sie daher wirksam geworden. 3. Gründet sich der Kündigungsschutz des Dienstnehmers auf die Bestimmung eines KV (hier: Kollektivvertrag Post AG), hat das Gericht die Kündigungsgründe selbständig zu prüfen, selbst wenn im Verfahren nach § 8 BEinstG ein gleichartiger Kündigungsgrund bereits von der Verwaltungsbehörde bejaht und der Zustimmung zur Kündigung zu Grunde gelegt wurde. Das Bundessozialamt stimmte der Kündigung eines begünstigten Behinderten zu. Fraglich war, ob das Gericht darüber hinaus die Kündigungsbeschränkungen des KV zu berücksichtigen hat.
Aus der Begründung: Mit der Zustimmung des Behindertenausschusses bzw (im vorliegenden Fall) der Berufungskommission wird das im § 8 Abs 2 BEinstG normierte Kündigungsverbot aufgehoben. Der Arbeitgeber erhält damit konstitutiv die nach den Bestimmungen des Privatrechts zustehende Befugnis zur Kündigung des Ar-
beitsverhältnisses zurück. Der Bescheid hat also keinen unmittelbaren Einfluss auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, er ist aber insoweit konstitutiver Natur, als dem Arbeitgeber die Erlaubnis zur Ausübung seines Kündigungsrechts gegeben und so eine neue Rechtslage begründet wird. Zunächst ist der Ansicht des ErstG entgegenzutreten, dass die Möglichkeit zur Erhebung einer Bescheidbeschwerde an den VwGH den Eintritt der Rechtskraft verhindere. Die „formelle Rechtskraft“, die regelmäßig mit der materiellen Rechtskraft des Bescheids (Unwiderrufbarkeit) zusammenfällt (Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts8 Rz 461), bedeutet, dass der Bescheid durch ordentliche Rechtsmittel nicht mehr bekämpft werden kann. Die Möglichkeit, eine Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zu erheben, hindert den Eintritt der formellen Rechtskraft (= Unanfechtbarkeit) nicht (Walter/ Mayer, aaO Rz 454; Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3 581 mit jeweils weiteren Zitaten aus Schrifttum und Judikatur). Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, dass die Zustellung des Bescheids der Berufungskommission vor dem Ausspruch der Kündigung durch die Bekl erfolgt ist, sodass bei Ausspruch und Zugang der Kündigung ein rechtskräftiger Bescheid vorlag. Zu der vom VwGH gem § 30 Abs 2 VwGG zuerkannten aufschiebenden Wirkung kann im Wesentlichen auf die zutreffenden Ausführungen des BerG verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO). Ergänzend ist den Ausführungen in der Revision entgegenzuhalten:
BEARBEITET VON M. WINDISCHGRAETZ § 8 Abs 2 BEinstG OGH 22. 12. 2010, 9 ObA 42/10 g
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Beschwerden vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts kommt kraft Gesetzes eine aufschiebende Wirkung nicht zu (Puck, Die aufschiebende Wirkung bei Beschwerden vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts, ZfV 1982/4, 359). Im Rahmen einer Beschwerde an den VwGH kann daher die aufschiebende Wirkung nur dadurch erzielt werden, dass der VwGH einem darauf gerichteten Antrag gem § 30 Abs 2 VwGG stattgibt. Wird der Beschwerde eines Dritten die aufschiebende Wirkung gegen eine Berechtigung zuerkannt, so darf der Inhaber der Berechtigung davon keinen Gebrauch mehr machen (Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit 125; Puck, aaO 365). Eine bereits ausgeübte Berechtigung ist allerdings einem Aufschub nicht zugänglich (Puck, aaO 464 mw Judikaturnachweisen; 9 ObA 88/05 i). Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung bedeutet nur die Pflicht, mit dem Vollzug oder der Berechtigungsausübung nicht zu beginnen bzw darin innezuhalten. Insofern ist der Aufschiebungsumfang durch den im Verwaltungsverfahren jeweils eingetretenen Stand der Umsetzung des Verwaltungsakts in die Wirklichkeit begrenzt (Puck, aaO 365). So hat der VfGH (B 952/ 04 ua) unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Judikatur des VwGH zu § 30 Abs 2 VwGG ausgesprochen, dass mit Hilfe der aufschiebenden Wirkung im Sinne dieser Bestimmung bereits gesetzte Vollzugshandlungen nicht rückgängig gemacht werden können. So hat auch der VwGH (AW 2004/11/0023) einem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung eine Absage erteilt, wenn der Dienstgeber von der ihm vom Behindertenausschuss eingeräumten Kündigungsmöglichkeit bereits Gebrauch gemacht hat; ein bereits gekündigtes Dienstverhältnis sei einer Gestaltung nicht mehr zugänglich. Diese Erwägungen müssen auch im vorliegenden Fall gelten. Im Zeitpunkt des Ausspruchs der aufschiebenden Wirkung durch den VwGH war die Kündigung bereits zugegangen und daher wirksam geworden (RIS-Justiz RS0013923). Darauf, dass die Kündigungsfrist noch nicht abgelaufen war, kann es indes nicht ankommen, weil seitens der berechtigten AG keine Schritte mehr für die Beendigung des Dienstverhältnisses zu setzen waren, sondern dieses von selbst mit dem Ende der Kündigungsfrist auslief. Insoweit ist daher die Begründung des angefochtenen Urteils zutreffend und der Revision nicht zu folgen. Sollte die Zustimmung nachträglich beseitigt werden, könnte dies nur einen Grund zur Wiederaufnahme des Verfahrens geben (RIS-Justiz RS0044621 [T 1]). Zu prüfen bleibt daher, ob die Zustimmung des Behindertenausschusses bzw der Berufungskommission zur Kündigung den ordentlichen Gerichten die materielle Prüfung dort verwehrt, wo schon unabhängig von der Behinderteneigenschaft eines AN durch Gesetz, KV oder Einzelvertrag ein besonderer Bestandschutz gewährt wird. Im vorliegenden Fall genießt der Kl gem § 18 Abs 2 iVm § 19 Abs 4 PTSG 1996 den Kündigungsschutz des § 48 des KV Post AG (Dienstordnung). Sinngleich mit § 32 Abs 2 Z 2 VBG bestimmt § 48 Abs 2 lit b der Dienstordnung, dass ein Grund, der den Dienstgeber zur Kündigung berechtigt, insb vor352 ecolex 2011
liegt, wenn der Bedienstete sich für eine entsprechende Verwendung als geistig und körperlich ungeeignet erweist. Im vorliegenden Fall hat die Berufungskommission ihre Zustimmung zur Kündigung des Kl auch auf dessen Unfähigkeit für die im Dienstvertrag vereinbarte Arbeit gegründet, sodass der AG eine Weiterverwendung gem § 8 Abs 4 lit b BEinstG nicht zumutbar sei. Das BerG vertritt im Anschluss an Schrank (Der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses als Schutzobjekt der Rechtsordnung) die Auffassung, dass nach der positiven Entscheidung durch den Behindertenausschuss (Berufungskommission) eine neuerliche materielle Überprüfung durch das Arbeits- und Sozialgericht nicht mehr zulässig sei. Zusammengefasst meint Schrank (aaO 232 f), dass dann, wenn Kündigungsgründe verschiedener Gesetze konkurrieren, der jeweils schutzintensivere Grund den schwächeren verdränge. Im Vergleich zwischen dem Invalideneinstellungsgesetz – also der Vorgängerbestimmung des Behinderteneinstellungsgesetzes – und dem VBG meint Schrank (aaO 234), dass, wenn auch der Kündigungsschutz des VBG durch die weitergehende, für den Vertragsbediensteten sehr günstige Determinierung (§ 32 Abs 2 VBG) jenem des Invalideneinstellungsgesetzes überlegen sei, die Verfahrensbindung des Invalideneinstellungsgesetzes mangels einzelfunktionellen Gegenstücks dennoch aufrecht bleibe, das heißt, dass die E des Invalidenausschusses der des Gerichts vorgehe. Allerdings habe der Invalidenausschuss den durch § 32 Abs 2 VBG gewährten Inhaltsschutz bei seiner Entscheidung wahrzunehmen. Schrank muss in seinem Résumé jedoch selbst zugestehen, dass im Einzelfall schwierige Wertungen hinsichtlich der Stärke oder Kongruenz des Schutzes nicht erspart bleiben und erhebliche Unsicherheitsfaktoren zurückbleiben. An diese Lehrmeinung schließt Schrammel (in Tomandl/Schrammel, Arbeitsrecht 26, 36 4 d) an: Der Gesetzgeber habe regelmäßig Doppelgleisigkeiten vermeiden wollen und nur den jeweils stärkeren Kündigungsschutz wirksam werden lassen wollen. Die jeweils stärkere Kündigungsschutzbestimmung (zB der enger formulierte Kündigungsgrund) verdränge die funktionsgleiche schwächere; seien die verschiedenen Kündigungsschutzbestimmungen jedoch nicht funktionsgleich (zB die eine sieht die behördliche Zustimmung, die andere Schriftlichkeit der Kündigungserklärung vor), seien sie kumulativ anzuwenden. Der OGH vertrat zu 8 ObA 99/97 k die Auffassung, dass nach Zustimmung des Behindertenausschusses zu einer Kündigung nicht neuerlich vom Gericht zu prüfen sei, ob ein wegen Dienstunfähigkeit gekündigter Landesvertragsbediensteter die im § 35 Abs 2 lit b und c des Steiermärkischen Gemeindevertragsbedienstetengesetzes genannten Kündigungsgründe erfüllt habe. Ernst/Haller (BEinstG6 303) sowie K. Mayr (ZellKomm § 8 BEinstG Rz 2 mw Literaturnachweisen) haben an dieser von Schrank begründeten Meinung Bedenken angemeldet und führen als Bsp an, dass im Falle des Zusammentreffens des besonderen Kündigungsschutzes des BEinstG mit dem des MuttSchG eine doppelte Prüfung zu erfolgen habe und daher beide Verfahren einzuhalten seien.
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§ 8 Abs 5 BEinstG sieht vor, dass gesetzliche Bestimmungen, die die Beendigung des Dienstverhältnisses an zusätzliche Voraussetzungen knüpfen, unberührt bleiben. Ob dies bedeutet, dass den Arbeitsund Sozialgerichten eine neuerliche materielle Prüfung schon vom Behindertenausschuss geprüfter Kündigungsgründe versagt ist und nur die Einhaltung zusätzlich erforderlicher Schritte des Kündigungsvorgangs, wie zB besondere Formerfordernisse, vom Gericht geprüft werden darf, bedarf aber hier keiner abschließenden Klärung. § 8 Abs 5 BEinstG bezieht sich nämlich ausdrücklich nur auf gesetzliche Bestimmungen. Vorliegend ergibt sich der besondere neben dem BEinstG bestehende Kündigungsschutz aus einem KV. Dem Gesetzgeber kann aber nicht unterstellt werden, mit der vorerwähnten Regelung auch Bestandschutzregelungen in KV erfassen zu wollen oder auf solche „vergessen“ zu haben. Somit besteht auch keine Gesetzeslücke, die zu schließen wäre. Daraus folgt, dass zumindest dann, wenn sich der Kündigungsschutz des Dienstnehmers auf die Bestimmung eines KV (hier: Kollektivvertrag Post AG) gründet, das Gericht die Kündigungsgründe selbständig zu prüfen hat, selbst wenn im Verfahren nach § 8 BEinstG ein gleichartiger Kündigungsgrund bereits
von der Verwaltungsbehörde bejaht und der Zustimmung zur Kündigung zu Grunde gelegt wurde. Die Bekl kann sich aber nicht auf eine allgemeine Bindung des Gerichts an die E der Verwaltungsbehörde in dem Sinn berufen, dass die von dieser im Zustimmungsbescheid angenommenen Kündigungsgründe jedenfalls vorliegen: Nach Lehre (Schragel in Fasching/Konecny2 II/2 § 190 ZPO Rz 14; Fucik in Rechberger3 § 190 Rz 5) und stRsp (SSV-NF 5/49; MietSlg 47.626; RIS-Justiz RS0037051 ua) ist für die Gerichte nur der Spruch über den Bescheidgegenstand bindend, nicht jedoch dessen Begründung bzw rechtliche Beurteilung. Der Spruch der Berufungskommission umfasst nur „die Zustimmung zur Kündigung des Antragsgegners“, nicht aber etwa die Feststellung, dass bestimmte Kündigungsgründe vorliegen. Entgegen der Auffassung des BerG sind daher im vorliegenden Fall Feststellungen des Gerichts zum behaupteten Kündigungsgrund nicht nur zulässig, sondern auch erforderlich. Da das ErstG – ausgehend von seiner durch den OGH nicht geteilten Rechtsauffassung – keine Feststellungen zum Kündigungsgrund der Arbeitsunfähigkeit getroffen hat, erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig.
Motivkündigung wegen Geltendmachung nicht offenbar unberechtigter Ansprüche 1. Macht der AN glaubhaft, dass die Benachteiligung auf das verpönte Motiv zurückzuführen ist, dann ist eine unzulässige Benachteiligung anzunehmen, sofern nicht der AG seinerseits glaubhaft macht, dass ein anderes Motiv mit höherer Wahrscheinlichkeit ausschlaggebend war. 2. Das „andere Motiv“ iSd § 105 Abs 5 ArbVG, das als für die Kündigung ausschlaggebend vom AG eingewendet werden kann, muss zumindest erlaubt sein. Gesetzwidrige und sittenwidrige Motive scheiden als „andere Motive“ des AG iSd § 105 Abs 5 ArbVG aus.
Aus der Begründung: Die Kündigung kann bei Gericht angefochten werden, wenn sie wegen der offenbar nicht unberechtigten Geltendmachung vom AG in Frage gestellter Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis durch den AN erfolgt ist (§ 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG). Insoweit sich der Kl im Zuge des Verfahrens auf einen Anfechtungsgrund iSd § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG beruft, hat er diesen glaubhaft zu machen. Die Anfechtungsklage ist abzuweisen, wenn bei Abwägung aller Umstände eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass ein anderes vom AG glaubhaft gemachtes Motiv für die Kündigung ausschlaggebend war (§ 105 Abs 5 ArbVG). Beim Kündigungsanfechtungsgrund des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG geht es darum, dass der AG nach Meinung des AN bestehende Ansprüche nicht erfüllt, dass der AN diese nicht erfüllten Ansprüche dem AG gegenüber geltend macht und dass der AG den AN wegen dieser Geltendmachung kündigt. Vom Schutzzweck sind nicht nur schon entstandene
Ansprüche, sondern zusätzlich Ansprüche auf Wahrung der Rechtsposition aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis gegen einseitige Eingriffe erfasst. Weder dem Wortlaut des Gesetzes noch dem Zweck der Bestimmung, die arbeitsrechtliche Stellung des AN zu schützen (RIS-Justiz RS0104686 ua), lässt sich entnehmen, dass davon nur Ansprüche des AN auf (Geld-)Leistungen des AG umfasst seien. Dass sich der Anspruch letztlich als unberechtigt erweist, schließt die Berechtigung der Anfechtung ebenfalls nicht aus. Für den Schutz des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG reicht es aus, dass die Geltendmachung des Anspruchs „offenbar nicht unberechtigt“ war. Unklarheiten oder unterschiedliche Auffassungen über den Bestand von Ansprüchen schließen daher den Anfechtungsgrund nicht aus (RIS-Justiz RS0051666 ua). Für die Anfechtung von Kündigungen genügt es, dass das verpönte Motiv für die Kündigung wesentlich war; es ist nicht notwendig, dass das Motiv ausschließlicher Beweggrund war (RIS-Justiz RS0051661 ua). Macht der AN glaubhaft, dass die Benachteiligung auf das verpönte Motiv zurückzuführen ist, dann ist eine unzulässige Benachteiligung anzunehmen, sofern nicht der AG seinerseits glaubhaft macht, dass ein anderes Motiv mit höherer Wahrscheinlichkeit ausschlaggebend war. Ob das vom AG geltend gemachte Motiv geeignet ist, iSd § 105 Abs 5 ArbVG das vom Anfechtungskl ebenfalls glaubhaft gemachte verpönte Motiv des AG zur Kündigung in den Hintergrund zu drängen, ist eine Folge der Abwägung aller festgestellten Umstände bei der objektiven Ermittlung der erhöhten Wahrscheinlichkeit des einen oder des anderen Motivs. Meistens wird es unmöglich sein,
§ 105 Abs 3 Z 1, § 105 Abs 5 ArbVG OGH 22. 12. 2010, 9 ObA 27/ 10 a
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ARBEITSRECHT
Motive lückenlos zu beweisen. Es kommt stets auf das Gesamtbild an, das für die betriebliche Situation vor der Kündigung maßgeblich gewesen ist. Es ist darauf Bedacht zu nehmen, dass es sich bei den Normen über die Anfechtung wegen eines unzulässigen Motivs um Schutzbestimmungen zugunsten des AN handelt. Der Schutz ist schon dann gerechtfertigt, wenn die Erfüllung der entsprechenden Tatbestände nach den konkreten Umständen des Einzelfalls glaubwürdig ist. Ein strenger Nachweis der Rechtsverletzung in einer jeden Zweifel ausschließenden Form ist vom Gesetz nicht gefordert. Die Frage, welches Motiv als bescheinigt angenommen werden kann, ist eine Frage der unüberprüfbaren Beweiswürdigung (RISJustiz RS0052037 ua). Im Rekursverfahren ist nun strittig, welches „andere Motiv“ iSd § 105 Abs 5 ArbVG als für die Kündigung ausschlaggebend vom AG eingewendet werden darf. Der Gesetzeswortlaut schränkt die in Frage kommenden anderen Motive nicht näher ein. Die einzige Vorgabe lautet dahin, dass es sich um ein „anderes“ Motiv als jenes verpönte Motiv handeln muss, das der AN seiner Kündigungsanfechtung zugrundelegt. Lehre und Rsp stimmen aber darin überein, dass das andere Motiv des AG zumindest „erlaubt“ (vgl Gahleitner in Cerny/Gahleitner/Preiss/ Schneller, ArbVG XXXIV § 105 Erl 68; Schrank, Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht 496; ders in Tomandl, ArbVG § 105 Rz 128; 9 ObA 9/02 t DRdA 2003/12 [Trost] ua) bzw „zulässig“ (vgl Tinhofer in Mazal/Risak, Arbeitsrecht Kap XVIII Rz 33 ua) sein muss und „nicht missbilligt“ (vgl Floretta in Floretta/Strasser, ArbVG-Handkommentar 692) oder „nicht verpönt“ (vgl Schrammel, Arbeitsrecht II6 258; 9 ObA 40/01 z ua) sein darf. Eine besondere Begründung wird dafür – soweit überblickbar – nicht gegeben. Die Beschränkung auf „erlaubte“ Motive ist aber so selbstverständlich, dass ihre dogmatische Rechtfertigung nur in einer teleologischen Reduktion des weiten Wortlauts des § 105 Abs 5 Satz 2 ArbVG gesehen werden kann. Die Zulassung „nicht erlaubter“ Motive zur Widerlegung einer Anfechtungsklage wegen eines (anderen) verpönten Motivs liefe dem Gesetzeszweck diametral zuwider (s allgemein zur teleologischen Reduktion P. Bydlinski in KBB2 § 7 ABGB Rz 5 mwN ua). Ausgeschlossen sind damit auch alle anderen verpönten Motive aus dem Katalog des § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG. Der Senat hält an der einhelligen Auffassung von Lehre und Rsp fest. Zusammenfassend scheiden also gesetzwidrige und sittenwidrige Motive als „andere Motive“ des AG iSd § 105 Abs 5 ArbVG aus (vgl zur ähnlichen Problematik bei § 12 Abs 12 GlBG Hopf/Mayr/Eichinger, GlBG § 12 Rz 134 ua). Eine weitere Einschränkung der „anderen Motive“, als dass sie im vorstehenden Sinn „erlaubt“ sein müssen, kann dem ArbVG nicht entnommen werden. Insbesondere gibt es keine zwingenden Anhaltspunkte für die Auffassung des BerG, dass sich der AG wie bei der Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit (§ 105 Abs 3 Z 2 ArbVG) nur darauf stützen könne, dass die Kündigung durch Umstände, die in der Person des AN gelegen sind und die betrieblichen Interessen nachteilig berühren, oder durch betriebli354 ecolex 2011
che Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des AN entgegenstehen, begründet sei. Gegen diese Auslegung sprechen schon gesetzessystematische Erwägungen, weil die vom BerG genannten Gründe nur bei § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG, nicht aber bei § 105 Abs 3 Z 1 bzw § 105 Abs 5 ArbVG angeführt sind. Die praktische Bedeutung dieser Frage ist aber ohnehin gering, weil (im Rahmen des Erlaubten) andere als personen- oder betriebsbezogene Kündigungsmotive üblicherweise keine Rolle spielen. Für eine weitere teleologische Einschränkung des § 105 Abs 5 ArbVG über die bloße Erlaubtheit des Motivs hinaus besteht keine Veranlassung. Worauf das BerG aber offenbar hinaus will, wird an seiner zweiten Frage ersichtlich, wegen der der Rekurs an den OGH ebenfalls zugelassen wurde. Dabei geht es darum, ob bereits die gutgläubige Annahme eines erlaubten Motivs ausreiche oder ob – wie das BerG annimmt – das tatsächliche Vorliegen des dem erlaubten Motiv zugrundeliegenden Sachverhalts vom Anfechtungsgegner nachgewiesen werden müsse. Der Fragestellung liegt offenbar ein Missverständnis des BerG zugrunde. Zur Verdeutlichung sei nochmals der Wortlaut des § 105 Abs 5 ArbVG vorangestellt: „Insoweit sich der Kl im Zuge des Verfahrens auf einen Anfechtungsgrund iSd Abs 3 Z 1 beruft, hat er diesen glaubhaft zu machen. Die Anfechtungsklage ist abzuweisen, wenn bei Abwägung aller Umstände eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass ein anderes vom AG glaubhaft gemachtes Motiv für die Kündigung ausschlaggebend war.“ Vorauszuschicken ist auch, dass § 105 Abs 3 Z 1 und Abs 5 ArbVG nicht auf Kündigungsgründe, sondern auf (verpönte oder erlaubte) Motive abstellt, die der Kündigung zugrundeliegen. Die Bestimmung ressortiert zum „allgemeinen Kündigungsschutz“. Danach kann eine Kündigung, die keines Grundes bedarf, unter bestimmten Voraussetzungen angefochten werden. Gelingt es dem AN, einen Anfechtungsgrund des § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG glaubhaft zu machen (§ 105 Abs 5 Satz 1 ArbVG), dann ist seiner Anfechtungsklage stattzugeben, es sei denn, der AG kann seinerseits das Gericht durch Glaubhaftmachung überzeugen, dass bei Abwägung aller Umstände eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass ein anderes vom AG geltend gemachtes Motiv für die Kündigung ausschlaggebend war (§ 105 Abs 5 Satz 2 ArbVG). Abgewogen wird somit, welches Kündigungsmotiv mit höherer Wahrscheinlichkeit der Kündigung zugrundelag. Nach § 105 Abs 5 ArbVG muss der AG nicht den Nachweis bezüglich eines bestimmten Sachverhalts führen; er muss nur das wahrscheinlichere Kündigungsmotiv dartun. Dabei wird der AG mit seiner Version gegen ein vom AN glaubhaft gemachtes Motiv nur dann reüssieren, wenn seine Version überzeugender ausfällt als jene des AN. Je glaubwürdiger der AN im Einzelfall ist, umso höher sind die Anforderungen an die Überzeugungskraft des AG. Dennoch sei aber nochmals betont, dass § 105 Abs 5 ArbVG weder vom AN noch vom AG den Nachweis eines bestimmten Sachverhalts verlangt. Es genügt grundsätzlich auf beiden Seiten die Glaubhaftmachung eines bestimmten Motivs.
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Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden 1. Die von einem schadenersatzrechtlichen Feststellungsbegehren umfassten künftigen Schadenersatzansprüche sind im Konkurs als bedingte Konkursforderung (§ 16 KO) mit dem Schätzwert zur Zeit der Konkurseröffnung (§ 14 Abs 1 KO) anzumelden. 2. Schon die bloße Möglichkeit künftiger Unfallschäden rechtfertigt die Erhebung der Feststellungsklage, die nicht nur dem Ausschluss der Gefahr der Verjährung, sondern auch der Vermeidung späterer Beweisschwierigkeiten und der Klarstellung der Haftungsfrage dem Grund und dem Umfang nach dient. 3. Das Feststellungsinteresse ist schon dann zu bejahen, wenn nur die Möglichkeit offen bleibt, dass das schädigende Ereignis den Eintritt eines künftigen Schadens verursachen könnte.
Aus der Begründung: Im Revisionsverfahren geht es um die von der Kl begehrte Feststellung der Haftung des Bekl für sämtliche künftige Schäden, die sie aufgrund des Unfalls vom 11. 9. 2006 erleide. Nach den Ergebnissen des Berufungsverfahrens und der bloß teilweisen Anfechtung der Berufungsentscheidung durch die Kl ist vom Alleinverschulden des Bekl am gegenständlichen Unfall auszugehen, bei dem die Kl eine schwere Fußverletzung und die im Ersturteil näher festgestellten Schmerzen erlitten hat. Der Unfall führte zu einer bleibenden körperlichen Behinderung der Kl. Spätfolgen können bloß „mit größter Wahrscheinlichkeit“ ausgeschlossen werden. Nach jüngerer Rsp sind die von einem schadenersatzrechtlichen Feststellungsbegehren umfassten künftigen Schadenersatzansprüche im Konkurs als bedingte Konkursforderung (§ 16 KO) mit dem Schätzwert zur Zeit der Konkurseröffnung (§ 14 Abs 1 KO) anzumelden (2 Ob 287/08 g; Konecny, Feststellungsprozess über die Haftung für künftige Schäden und Beklagtenkonkurs, ZIK 2009, 110; Nunner-Krautgasser, „Feststellungsansprüche“, zukünftige Leistungsansprüche und Insolvenzverfahren, Zak 2009, 387; EvBl 2009/119 [Fellerer] ua). Dem trug die Kl Rechnung, als während des Berufungsverfahrens am 29. 6. 2009 das Schuldenregulierungsverfahren über das Vermögen des Bekl eröffnet wurde. Die Kl bezifferte den Schätzwert der festzustellenden Haftung des Bekl für künftige Schäden mit E 5.000,– und meldete ihre bedingte Forderung im Schuldenregulierungsverfahren an. Dem Schätzwert gem § 14 Abs 1 KO kommt nur beschränkte Bedeutung zu (vgl Konecny, ZIK 2009, 110 [111] ua). So ermöglicht § 16 KO bei aufschiebend bedingten Forderungen, dass das Begehren auf Sicherstellung der Zahlung gestellt werden kann (2 Ob 287/08 g ua). Nach stRsp rechtfertigt schon die bloße Möglichkeit künftiger Unfallschäden die Erhebung der Feststellungsklage, die nicht nur dem Ausschluss der Gefahr der Verjährung, sondern auch der Vermeidung späterer Beweisschwierigkeiten und der Klarstellung der Haftungsfrage dem Grund und dem Umfang nach dient (RIS-Justiz RS0038976 ua). Davon ausgehend erweiterte die Kl nach Vorliegen des medizinischen Sachverständigengutachtens ihr erstinstanzli-
ches Leistungsbegehren um ein Feststellungsbegehren des Inhalts, dass ihr der Bekl für sämtliche künftige Schäden, die sie aufgrund des gegenständlichen Unfalls vom 11. 9. 2006 erleide, hafte und ersatzpflichtig sei. Die Kl begründete das Feststellungsbegehren damit, dass laut medizinischem Sachverständigen bei ihr Unfallfolgen verblieben seien, die zu einer bleibenden körperlichen Behinderung führen; künftige Schäden seien daher möglich. So könne es bei einer bleibenden körperlichen Behinderung später zum Verlust oder zu einer Einschränkung der Arbeitsfähigkeit kommen, es könnten auch Behandlungen oder Heilbehelfe notwendig werden. Es bestehe daher ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung. Da der vom ErstG bestellte medizinische Sachverständige Spätfolgen zwar für unwahrscheinlich hielt, aber nicht schlechthin und absolut ausgeschlossen hat, wäre mit einer substantiierten Bestreitung des Bekl zu rechnen gewesen, wenn er dem Feststellungsbegehren der Kl hätte ernsthaft entgegentreten wollen. Der Bekl beschränkte sich jedoch auf eine schlichte Bestreitung des Feststellungsbegehrens und erhob keine substantiierten Einwände gegen das Feststellungsbegehren. Nach Lage des Falls ging daher das ErstG offenbar vom Vorliegen eines schlüssigen Geständnisses des Bekl bezüglich der tatsächlichen Grundlagen des Feststellungsbegehrens aus (§ 267 ZPO; RIS-Justiz RS0039927 ua), als es ohne besondere Erörterungen iS der von der Kl begehrten Feststellung erkannte. Demgegenüber hielt das BerG eine Verbreiterung der Tatsachengrundlage für geboten und traf ergänzende Feststellungen aus dem medizinischen Sachverständigengutachten. Da das BerG vom selben als unbedenklich qualifizierten Gutachten wie die Kl ausging, ergaben sich naturgemäß dieselben tatsächlichen Schlussfolgerungen, die vom Bekl nicht weiter bestritten wurden. Nicht gefolgt werden kann jedoch den rechtlichen Schlussfolgerungen des BerG aus den ergänzenden Feststellungen. Wie der OGH bereits in zahlreichen E ausgesprochen hat, genügt zur Bejahung des Feststellungsinteresses iSd § 228 ZPO bereits der allgemeine Hinweis, dass weitere Schäden aus dem Schadensereignis nicht mit Sicherheit (oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit; vgl 2 Ob 162/ 05 w) auszuschließen sind. Das Feststellungsinteresse ist daher schon dann zu bejahen, wenn nur die Möglichkeit offen bleibt, dass das schädigende Ereignis den Eintritt eines künftigen Schadens verursachen könnte (2 Ob 29/05 m; 2 Ob 30/05 h; 2 Ob 83/ 09 h; RIS-Justiz RS0038976 ua). Dass künftige Schäden „nicht zu erwarten“ sind, reicht nach der Rsp des OGH nicht aus, um ein Feststellungsbegehren zu entkräften, solange künftige Schäden nicht mit Sicherheit (oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) ausgeschlossen werden können (2 Ob 29/05 m; 7 Ob 87/07 f ua). Wenn hier nun – dem Sachverständigen folgend – feststeht, dass der Unfall zu einer bleibenden körperlichen Behinderung der Kl führte und Spätfolgen (bloß) „mit größter Wahrscheinlichkeit“ ausgeschlossen werden können, dann bedeutet dies vom Sinngehalt der Feststellung
§§ 14, 16 KO; § 228 ZPO OGH 22. 12. 2010, 9 ObA 22/10 s
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nichts anderes, als dass der Eintritt von Spätfolgen „nicht zu erwarten“ ist, aber nicht schlechthin und absolut ausgeschlossen werden kann. Bei einer solchen oder ähnlichen Prognose hat der OGH das Feststellungsinteresse bisher aber stets bejaht (vgl 2 Ob STEUERRECHT GELEITET VON J. SCHUCH
29/05 m; 2 Ob 30/05 h; 7 Ob 149/06 x; 7 Ob 87/ 07 f; 2 Ob 83/09 h ua). Daran hält der Senat fest. Dies führt daher auch im vorliegenden Fall zur Stattgebung des Feststellungsbegehrens wie aus dem Spruch ersichtlich.
Finanzstrafrecht 2011: Der Steuerpflichtige – Kaninchen vor Novelle zum Finanzstrafgesetz, die mit 1. 1. 2011 der Schlange? Die in Kraft getreten ist, bringt eine Reihe von Neuerungen. Neue Wege eröffnen sich nunmehr vor allem für den präsumtiven Steuersünder, insbesondere die Regelungen betreffend die strafaufhebende Selbstanzeige (§ 29 FinStrG) wurden neu gefasst. KLAUS GAEDKE / STEFAN LAUSEGGER
A. Die Novelle – hervorzuhebende Neuerungen Vorab werden kurz die wesentlichsten Änderungen, die durch die Finanzstrafgesetz-Novelle 20101) eingeführt wurden, in Erinnerung gerufen.2) & Es wurden neue Tatbestände betreffend die bandenmäßige Begehung oder Begehung unter Gewaltanwendung (§ 38 a FinStrG) und den Abgabenbetrug (§ 39 FinStrG) eingeführt. & Die Regelungen betreffend die strafaufhebende Selbstanzeige wurden geändert und präzisiert (§ 29 FinStrG). & Die Möglichkeit einer Strafaufhebung in besonderen Fällen (Verkürzungszuschlag) wurde geschaffen (§ 30 a FinStrG). & Auch bei gerichtlichen Finanzstrafverfahren muss nunmehr ein Teil der Geldstrafe unbedingt verhängt werden. Eine Geldstrafe darf nur bis zur Hälfte bedingt nachgesehen werden, der nicht bedingt nachgesehene Teil muss mindestens 10% des strafbestimmenden Wertbetrags betragen (§ 26 Abs 1 FinStrG). & Die neu geschaffenen Tatbestände zielen nunmehr zwingend auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe ab.3) & Diverse Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung wurden implementiert (ua Erhöhung der zuständigkeitsbegründenden Wertbeträge, vereinfachte Erkenntnisausfertigung gem § 141 Abs 3 FinStrG, Wegfall der Bekämpfbarkeit des Einleitungsbescheides gem § 83 FinStrG etc).4) Nicht Gesetz wurde demgegenüber die geplante Einschränkung des „Beraterprivileges“. Rechtliche und steuerliche Berater selbst sind daher auch weiterhin nur bei einem sie treffenden schweren Verschulden strafbar. Mit der Einschränkung der Strafbarkeit auch im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte trägt der Gesetzgeber dem besonderen Risiko, dem Berater ausgesetzt sind, Rechnung. 356 ecolex 2011
B. Neuklassifikation der Steuerdelikte Das System der Steuerdelikte wurde grundsätzlich unverändert gelassen. Ausgangspunkt der Sanktion ist nach wie vor der „strafbestimmende Wertbetrag“. Neu hinzu kommen die Delikte des § 38 a FinStrG (Begehung als Mitglied einer Bande oder unter Gewaltanwendung) und des § 39 FinStrG (Abgabenbetrug). Im Einzelnen stellen sich die Delikte des Finanzstrafgesetzes daher nunmehr simplifiziert5) wie folgt dar: & Im Falle der fahrlässigen Abgabenverkürzung (§ 34 FinStrG) ist eine Geldstrafe bis zu 100% des Verkürzungsbetrags zu verhängen (§ 34 Abs 4 FinStrG).6) & Im Falle der Abgabenhinterziehung (§ 33 FinStrG) ist eine Geldstrafe von bis zu 200% des Verkürzungsbetrags zu verhängen. In Abhängigkeit vom Verkürzungsbetrag sind Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren denkbar (§ 33 Abs 5 iVm § 15 FinStrG). & Liegt eine gewerbsmäßige Abgabenhinterziehung (§ 38 FinStrG) vor, beträgt die Geldstrafe maxiMag. Klaus Gaedke ist Steuerberater und Partner der Steuer-Beratung Gaedke & Partner GmbH in Graz, Dr. Stefan Lausegger ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Daghofer Kaufmann Lausegger Rechtsanwälte in Graz. 1) BGBl I 2010/104. 2) Siehe für eine umfassende Darstellung Brandl/Leitner/Schrottmeyer/ Toifl, Die Finanzstrafgesetznovelle 2010, 7 f. 3) Nach den parlamentarischen Materialien sollen dadurch „vorsätzliche Finanzvergehen, die mit besonderer krimineller Energie begangen werden, mit einer entsprechenden Strafdrohung belegt werden“; s ErläutRV 874 BlgNR 24. GP 10, wiedergegeben in ÖStZ 2010/1068, 535. 4) Siehe weiterführend Reger, FinStrG-Novelle 2010 – Die wesentlichen Änderungen, ÖStZ 2010/1068, 550. 5) Für eine detaillierte, tabellarische Darstellung s Brandl/Leitner/Schrottmeyer/Toifl, Die Finanzstrafgesetznovelle 2010, 7 f. 6) Auf eine gesonderte Darlegung der Höhe der Verbandsgeldbußen wird aus Platzgründen verzichtet, s dazu § 28 a, § 38 a Abs 2 lit a, § 39 Abs 3 lit a FinStrG.
STEUERRECHT
mal das Dreifache des wertbestimmenden Betrags, eine Freiheitsstrafe von längstens fünf Jahren ist gegebenenfalls zu verhängen (§ 38 Abs 1 iVm § 15 FinStrG). & In den Fällen des § 38 a FinStrG (Bandenmäßige Begehung oder Begehung unter Gewaltanwendung) droht im finanzstrafbehördlichen Verfahren eine Geldstrafe von 300% der Verkürzung (§ 38 a Abs 2 lit b iVm § 15 FinStrG), im Verfahren vor dem Strafgericht eine Geldstrafe von höchstens 1,5 Mio Euro (§ 38 a Abs 2 lit a iVm § 15 FinStrG).7) Daneben sind im finanzstrafbehördlichen Verfahren Freiheitsstrafen von bis zu drei Monaten zu verhängen (§ 38 a Abs 2 lit b iVm § 15 FinStrG). Im Falle der gerichtlichen Zuständigkeit sind in Hinkunft primär Freiheitsstrafen zu verhängen (bis zu fünf Jahre, § 38 a Abs 2 lit a iVm § 15 FinStrG). & Neu eingeführt wurde der Tatbestand des Abgabenbetrugs. Dieser ist definiert als Abgabenhinterziehung, Schmuggel, Hinterziehung von Eingangs- oder Ausgangsabgaben oder Abgabenhehlerei nach § 37 Abs 1 FinStrG, wenn ein Verkürzungsbetrag von mehr als E 100.000,– gegeben ist, und wenn das jeweilige Grunddelikt entweder p (§ 39 Abs 1 lit a FinStrG) unter Verwendung falscher oder verfälschter Urkunden, falscher oder verfälschter Daten oder anderer solcher Beweismittel mit Ausnahme unrichtiger nach abgaben-, monopol- oder zollrechtlichen Vorschriften zu erstellenden Abgabenerklärungen, Anmeldungen, Anzeigen, Aufzeichnungen und Gewinnermittlungen, oder p (§ 39 Abs 1 lit b FinStrG) unter Verwendung von Scheingeschäften oder Scheinhandlungen (§ 23 BAO) begangen wurde. Ebenso ist ein Abgabenbetrug gegeben (§ 39 Abs 2 FinStrG), wenn Vorsteuerbeträge geltend gemacht wurden, denen keine Lieferungen oder sonstigen Leistungen zugrunde lagen, um dadurch eine ungerechtfertigte Abgabengutschrift zu erlangen. Voraussetzung ist auch diesfalls die Zuständigkeit des Gerichts, sohin gem § 53 FinStrG ein Verkürzungsbetrag von E 100.000,–. In diesen Fällen ist primär eine Freiheitsstrafe zu verhängen, die bis zu zehn Jahre betragen kann, sowie zusätzlich gegebenenfalls eine Geldstrafe vorzuschreiben (§ 39 Abs 3 FinStrG).
C. Selbstanzeige Neu 1. Neuerungen im Überblick Die Bestimmungen über die Selbstanzeige (§ 29 FinStrG) wurden in Bezug auf Zuständigkeit der Behörde (§ 29 Abs 1 FinStrG), Schadensgutmachung (§ 29 Abs 2 FinStrG), objektiver Tatbestand und Täterbenennung (§ 29 Abs 3 lit b FinStrG) und Nennung des Täters (§ 29 Abs 5 FinStrG) überarbeitet. Eine zusätzliche Bestimmung für wiederholte Selbstanzeigen desselben Abgabenanspruchs wurde in § 29 Abs 6 FinStrG aufgenommen.
2. Zuständigkeit der Behörde Um Selbstanzeigen nicht wie in der Vergangenheit daran scheitern zu lassen, dass diese bei unzuständigen Behörden eingebracht werden, können Selbstanzeigen nunmehr bei einem FA, einer Finanzstrafbehörde (in Bezug auf ESt, USt, KÖSt etc) oder einem Zollamt (in Bezug auf Zoll, EUSt, Verbrauchsteuern etc) eingebracht werden. Keine Straffreiheit erlangt der Anzeiger durch Erstattung der Selbstanzeige vor Abgabenbehörden höherer Instanz,8) Polizei, Gericht oder Staatsanwaltschaft.9) Die Selbstanzeige kann schriftlich (auch mittels Finanz-Online) oder mündlich erstattet werden, hierbei sollte allerdings eine Niederschrift verlangt werden. Die Einbringung per E-Mail wird von der Finanzverwaltung nicht anerkannt.
3. Schadensgutmachung Im Vordergrund der Anpassung dieser Bestimmung steht die tatsächliche Schadensgutmachung durch den Anzeiger. Zukünftig soll insb bei nachgelagerten Insolvenzverfahren die Entrichtung der in der Selbstanzeige offengelegten Beträge, die vom Anzeiger geschuldet oder für die er zur Haftung herangezogen werden kann, Voraussetzung für die Straffreiheit bedeuten.10) Nicht als Entrichtung gelten die Löschung und Nachsicht von Abgabenschulden und die Entlassung aus der Gesamtschuld gem § 235 BAO.11) Jedenfalls hat die Entrichtung bei selbst zu berechnenden Abgaben binnen Monatsfrist ab Selbstanzeige, in allen anderen Fällen ab Bekanntgabe des geschuldeten Betrags an den Anzeiger zu erfolgen.12) Alternativ dazu besteht weiterhin die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Zahlungserleichterungsansuchens (§ 212 BAO), das die Dauer von zwei Jahren (beginnend wie oben ausgeführt) nicht überschreiten darf. Vorsicht geboten ist zukünftig bei bestehenden Zahlungserleichterungsansuchen aufgrund einer Selbstanzeige und Berufungen iVm der Aussetzung der Einhebung nach § 212 a BAO: ungeachtet der Einbringung des Rechtsmittels sind die Abgaben sofort nach Maßgabe des § 29 Abs 2 FinStrG zu entrichten.13) Im Falle einer Anfechtung nach den §§ 27 ff IO muss der Abgabengläubiger die entrichteten Beträge an die Insolvenzmasse zurückzahlen. Damit verbun7) Gemäß § 53 FinStrG ist die gerichtliche Zuständigkeit ab einem strafbestimmenden Wertbetrag von E 100.000,– gegeben, dies mit Ausnahme des Schmuggels und der Hinterziehung von Eingangs- oder Ausgangsabgaben und der Abgabenhehlerei, in welchen Fällen bereits ab einem strafbestimmenden Wertbetrag von E 50.000,– eine gerichtliche Zuständigkeit vorliegt. Alle anderen Finanzvergehen sind von den Finanzstrafbehörden zu ahnden (§ 53 Abs 6 FinStrG). 8) Siehe Reger/Hacker/Kneidinger, FinStrG I § 29 FinStrG Rz 10. 9) Siehe auch Bergmann/Rebisant, Die neue Selbstanzeige nach der FinStrG-Novelle 2010, SWK 2010, 375 (376). 10) ErläutRV 874 BlgNR 24. GP 7; Bergmann/Rebisant, Die neue Selbstanzeige nach der FinStrG-Novelle 2010, SWK 2010, 375 (376). 11) ErläutRV 874 BlgNR 24. GP 7. 12) Siehe auch Brandl/Leitner/Schrottmeyer/Toifl, Die Finanzstrafgesetznovelle 2010, 38 ff. 13) Siehe zutreffend Brandl/Leitner/Schrottmeyer/Toifl, Die Finanzstrafgesetznovelle 2010, 40.
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den ist ein Wiederaufleben der Strafbarkeit, sofern die Tat nicht bereits verjährt ist.14)
4. Objektiver Tatbestand und Täterbenennung Durch die Neufassung wird klargestellt, dass Straffreiheit durch Erstattung einer Selbstanzeige jedenfalls dann nicht eintritt, wenn das objektive Tatbestandsmerkmal bereits entdeckt war bzw die Entdeckung unmittelbar bevorstand und der Anzeiger davon Kenntnis hatte. Somit kommt es nicht mehr auf subjektive Tatbestandsmerkmale oder die Kenntnis über die Identität des Täters für die Tatentdeckung an. Unverändert bleibt in diesem Zusammenhang die Beweislast der Behörden.15) Bei vorsätzlichen Finanzvergehen ist bis zum Beginn einer abgabenbehördlichen Prüfung eine Selbstanzeige möglich. Unter Prüfungsbeginn versteht man in diesem Zusammenhang die Übermittlung bzw Übergabe von Büchern und Aufzeichnungen nach Aufforderung zur Vorlage durch die Behörde. Bei fahrlässigen Finanzvergehen ist eine Selbstanzeige auch während einer abgabenbehördlichen Prüfung noch möglich, sofern das Vergehen noch nicht entdeckt ist. Wird dieses Vergehen während der Prüfungshandlung entdeckt, reichen objektive Tatbestandsmerkmale für die Sperrwirkung des § 29 Abs 3 lit b FinStrG aus.16)
5. Nennung des Täters In der Vergangenheit wurden vielfach Selbstanzeigen im Namen der Gesellschaft, jedoch nicht für das Organ selbst erstattet. Dadurch kam es zwar zu einer Strafbefreiung für die Gesellschaft, jedoch nicht für den Geschäftsführer.17) Die Änderung in diesem Abschnitt stellt nun klar, dass Selbstanzeigen für den Anzeiger und die Personen, für die sie erstattet werden, wirken. Die Selbstanzeige kann natürlich auch von Dritten (Bevollmächtigten) für bestimmte Personen erstattet werden.
6. Neuerliche Selbstanzeige Als Strafzuschlag (iHv 25% bezogen auf die nachzuzahlende Abgabenschuld) kann die Regelung für neuerliche Selbstanzeigen betreffend denselben Abgabenanspruch bezeichnet werden. Nach den parlamentarischen Materialien sollen Selbstanzeiger dazu angeregt werden, eine vollständige Offenlegung ihrer Verfehlungen bereits bei der ersten Selbstanzeige vorzunehmen.18) Explizit ausgenommen sind Vorauszahlungen der Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer. Somit sind neuerliche Selbstanzeigen in diesem Bereich im Rahmen der Jahressteuererklärung weiterhin möglich.
D. Verkürzungszuschlag Neu Der neu geschaffene (10%ige) Verkürzungszuschlag des § 30 a FinStrG stellt eine ebenso wesentliche Neuerung dar. Darauf wurde in diesem Medium bereits instruktiv eingegangen.19) Den Ausführungen von Hilber ist grundsätzlich nichts hinzuzufügen. In 358 ecolex 2011
Erinnerung gerufen werden sollen nur die Eckpunkte der Anwendbarkeit des § 30 a FinStrG, der als Strafaufhebungsgrund nach dem Willen des Gesetzgebers im Übrigen allen Beteiligten zugutekommen soll:20) Die Verkürzungen dürfen jährlich nicht mehr als E 10.000,– und insgesamt nicht mehr als E 33.000,– betragen. Die Festsetzung eines Verkürzungsbetrags muss, wenn sie nicht vom Abgabenpflichtigen selbst beantragt wurde, von diesem binnen 14 Tagen akzeptiert werden. Auf ein Rechtsmittel muss verzichtet werden. Der Abgabenerhöhungsbetrag ist binnen eines Monats zu entrichten. Ein Zahlungsaufschub darf nicht gewährt werden. Ausgeschlossen ist ein Vorgehen nach § 30 a FinStrG in Fällen, in denen eine Selbstanzeige vorliegt oder es einer Bestrafung bedarf, um den Täter von der Begehung weiterer Finanzvergehen abzuhalten (§ 30 a Abs 6 FinStrG, Vorliegen spezialpräventiver Erwägungen). Wie diese Bestimmung in der Praxis von den Prüforganen gehandhabt wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls verbunden ist damit eine Entkriminalisierung von Delikten untergeordneter Bedeutung.21)
E. Conclusio Wie dem Vorblatt zur Regierungsvorlage zur Änderung des Finanzstrafgesetzes wörtlich zu entnehmen ist, soll durch die gesetzliche Anpassung die „Treffsicherheit und Effektivität des Finanzstrafrechtes verbessert werden“. Dass in manchen Fällen aus spezialbzw generalpräventiven Gründen die Abkehr vom bisherigen System der Entkriminalisierung im Steuerrecht zur „Kriminalisierung“ erfolgt, muss dennoch begrüßt werden, da einzelne Steuersünder – auf Kosten der Gesamtheit – die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen oft in großem Stil, und auch bewusst, negieren. Hier wurde bisweilen auch unbewusst von der Finanzverwaltung Vorschub geleistet, da bspw UID-Nummer-Vergaben beim kleinen Handwerksbetrieb unter Hinweis auf Betrugsbekämpfung oder Nachbescheidkontrollen iZm Steuerberatungshonoraren gelegentlich vordringlicher erscheinen als Antrittsbesuche bei meist unvertretenen Mantelgesellschaften. Auch zeitnähere Prüfungen würden professionellen Steuerbetrügern (Stichwort Vorsteuerschwindel) das Leben schwerer machen. Die Bereinigung und Vereinfachung der Behördenzuständigkeit im Rahmen einer Selbstanzeige ist jedenfalls zu begrüßen. Insbesondere dem Abgabenpflichtigen, aber auch dem Berater, werden dadurch formale „Stolpersteine“ aus dem Weg geräumt, die 14) Bergmann/Rebisant, Die neue Selbstanzeige nach der FinStrG-Novelle 2010, SWK 2010, 375 (378). 15) Siehe auch Brandl/Leitner/Schrottmeyer/Toifl, Die Finanzstrafgesetznovelle 2010, 42. 16) Siehe auch Brandl/Leitner/Schrottmeyer/Toifl, Die Finanzstrafgesetznovelle 2010, 42. 17) UFS 9. 2. 2010, FSRV/0116-W/09. 18) ErläutRV 874 BlgNR 24. GP 8. 19) Siehe Hilber, Verkürzungszuschlag – Fluch oder Segen? ecolex 2011, 71. 20) Erläut RV 874 BlgNR 24. GP 8. 21) Siehe auch ErläutRV 874 BlgNR 24. GP 8.
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in der Vergangenheit zu gut gemeinten, aber im Ergebnis verunglückten Selbstanzeigen geführt haben. Die Schaffung einer Strafaufhebung in besonderen Fällen (§ 30 a FinStrG) ist dagegen kritisch zu betrachten. Den Betriebsprüfer zu ermächtigen, eine Abgabenerhöhung festzusetzen, wenn der Verdacht eines Finanzvergehens besteht, ist ein untauglicher Weg. Nunmehr hat nicht ein erfahrener Mitarbeiter der Finanzstrafbehörde das Vorliegen einer finanzstrafrechtlich relevanten Verkürzung zu beurteilen, sondern der Betriebsprüfer, mit dem der Abgabenpflichtige zuvor um den Ansatz von Betriebsausgaben oder Zuschätzungen gerungen hat und dessen Auffassung der Abgabenpflichtige – uU aus Beweisnotstandsgründen – zugestimmt hat. Unmittelbar daran schließt der ungleich kontroversiellere Diskurs zwischen denselben Gesprächspartner an, ob nunmehr ein Verdacht des Vorliegens einer finanzstrafrechtlich relevanten Verkürzung gegeben sei, der allenfalls mittels Zahlung eines Verkürzungszuschlags aus der Welt geschafft werden kann. Ob dieser Ablauf die eingangs erwähnte „Treffsicherheit und Effektivität“ insb bei kleineren Verfahren erhöht, mag dahingestellt bleiben.
Natürlich muss der Abgabenpflichtige dem Verkürzungszuschlag nicht zustimmen, er wird sich aber überlegen, ob nicht die Kosten eines immer unsicheren weiteren Strafverfahrens höher als der Zuschlag sein werden. Es riecht daher eher nach „Körberlgeld für den Finanzminister“.22) 22) Steuerinsider, SWK 2011, T 39. SCHLUSSSTRICH
Die Neuregelung der finanzstrafrechtlichen Selbstanzeige ist durchwegs gelungen. Andere Neuerungen werden wohl zumindest positive budgetpolitische Wirkungen zeitigen. Insgesamt trägt die Novelle dazu bei, Delikte von untergeordneter Bedeutung zu entkriminalisieren, solche mit höherem deliktischem Gehalt härter zu bestrafen, und schließlich die Finanzstrafbehörden in die Lage zu versetzen, sich ressourcenmäßig auf letztere Aufgabe zu fokussieren. Dies ist uneingeschränkt zu begrüßen.
Grundlagen der neuen dem Budgetbegleitgesetz 2011, Kapitalbesteuerung Mit BGBl I 2011/111 wurde die Besteuerung von Kapitalvermögen in § 27 EStG 1988 neu geregelt. Die wichtigsten Änderungen wurden in einer BMF-Info, welche diesem Beitrag zugrunde liegt, im Überblick dargestellt. Das Wesentliche vorab: Veräußerungsgewinne aus Finanzvermögen werden generell steuerpflichtig. KLAUS HILBER
A. Kapitaleinkünfte anstatt Spekulationsgeschäfte § 27 Abs 1 EStG 1988 idF BBG 2011 nennt drei Gruppen von Kapitaleinkünften: & Einkünfte aus der Überlassung von Kapital (laufende „Früchte“) gem Abs 2, & Einkünfte aus realisierten Wertsteigerungen gem Abs 3 und & Einkünfte aus Derivaten gem Abs 4, soweit alle diese nicht zu den Einkünften iSd § 2 Abs 3 Z 1 bis 4 (also zu den sog Haupteinkunftsarten) gehören. Bislang werden Veräußerungsgewinne aus Aktien und anderem Finanzvermögen nur besteuert, wenn die Veräußerung innerhalb eines Jahres nach Anschaffung erfolgt (sog „Spekulationseinkünfte“ gem § 30 EStG 1988) oder der Investor in den letzten fünf Jahren zu mindestens 1% an der Körperschaft beteiligt war (dies führte nach alter Rechtslage zur Veräußerung von Beteiligungen iSd § 31 EStG 1988). Ab 1. 10. 2011 werden Veräußerungsgewinne aus Finanzvermögen generell (also unabhängig von Behaltedauer und Beteiligungsausmaß) steuerpflichtig. Der
Veräußerungsgewinn ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem Veräußerungserlös und den Anschaffungskosten des Steuerpflichtigen. Die Einlösung eines Wertpapiers wird genauso wie die Veräußerung behandelt. Zu beachten ist, dass Aufwendungen iZm dem Finanzvermögen (zB Depotgebühren) nach § 20 EStG 1988 (wegen des Zusammenhangs mit endbesteuerten Einkünften) nicht abgezogen werden dürfen und – außer im betrieblichen Bereich – Nebenkosten auch nicht aktiviert werden dürfen (zB trading fees, Beratungskosten). Beispiel: A erwirbt bei seiner österreichischen Hausbank Aktien um E 1.000,– für die Anschaffung werden ihm Gebühren in Höhe von E 5,– verrechnet. Bis zur Veräußerung fallen zudem Depotgebühren in Höhe von E 20,– an. A veräußert um E 1.200,–. Der Veräußerungsgewinn beträgt E 200,– (Veräußerungserlös in Höhe von E 1.200,– abzüglich Anschaffungskosten von E 1.000,–). Die Gebühren für die Anschaffung
MMag. Dr. Klaus Hilber ist Steuerberater, allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger und geschäftsführender Gesellschafter einer StB-Kanzlei in Mutters bei Innsbruck.
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STEUERRECHT
gehören nicht zu den Anschaffungskosten, und die Depotgebühren dürfen nicht abgezogen werden.
Auch Einkünfte aus Derivaten werden von der neuen Kapitalertragsteuer erfasst (s § 27 Abs 4 EStG 1988). Wichtige Beispiele sind Optionsprämien, der Differenzausgleich sowie die Veräußerung des Derivats selbst.
B. Die Besteuerung erfolgt durch KESt-Abzug Bisher werden nur Zinsen und Dividenden, dh die Früchte1) aus dem Finanzvermögen, durch den Kapitalertragsteuerabzug besteuert. Mit 1. 10. 2011 tritt das erweiterte KESt-System in Kraft, auch die Veräußerungsgewinne unterliegen dann einem 25%igen Kapitalertragsteuerabzug. Voraussetzung dafür ist grundsätzlich, dass das Finanzvermögen auf einem inländischen Depot gehalten wird. Fortsetzung des Beispiels: Die Hausbank des A hat vom Veräußerungsgewinn KESt in Höhe von E 50,– (= 200*25%) einzubehalten.
C. Nur Neuanschaffungen werden erfasst Die Kapitalertragsteuer auf Veräußerungsgewinne soll grundsätzlich nur für Neuanschaffungen gelten. Dabei unterscheiden die Inkrafttretensbestimmungen des § 124 b Z 185 lit a EStG 1988 folgende Fallgruppen:
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Anteile an Körperschaften – also Aktien und GmbH-Anteile – und Fondsanteile unterliegen der neuen Kapitalertragsteuer, wenn sie nach dem 31. 12. 2010 angeschafft werden. Beteiligungen, die vorher angeschafft wurden, werden nur dann generell steuerpflichtig, wenn sie zum 30. 9. 2011 noch mindestens 1% betragen. & Anderes Finanzvermögen – wie insb Anleihen, Derivate – wird nur von der neuen Kapitalertragsteuer erfasst, wenn es nach dem 30. 9. 2011 angeschafft wird. Für vor den jeweiligen Zeitpunkten angeschafftes Finanzvermögen laufen die Spekulationsbesteuerung und die maßgeblichen Fristen weiter.2) &
Beispiele: B hat am 1. 12. 2010 einzelne Aktien erworben. Die Spekulationsfrist des § 30 EStG 1988 läuft für die Aktien bis 30. 11. 2011 weiter; danach sind sie nicht mehr steuerhängig und werden auch nicht im neuen KESt-System erfasst. C hat am 5. 1. 2011 einzelne Aktien erworben. Bis zum 30. 9. 2011 wäre eine Veräußerung nach § 30 EStG 1988 zu erfassen, danach bereits im Rahmen des neuen KESt-Systems. D hat am 3. 11. 2010 ein Aktienpaket im Ausmaß von 5% erworben und hält dieses nach wie vor am 30. 9. 2011. Die Beteiligung ist ab 1. 10. 2011 im neuen KESt-System generell steuerhängig.
Aber auch für neu angeschafftes Finanzvermögen besteht eine wichtige Ausnahme:3) Substanzgewinne aus Kapitalvermögen (bzw Derivaten) bleiben steuerfrei, wenn dieses im Rahmen eines vor dem 1. 11. 2010 abgeschlossenen Tilgungsplans erworben wurde. Der Tilgungsplan muss nachweislich iZm einem Darlehen stehen, das dem Erwerb eines Eigenheimes, der Wohnraumschaffung oder Wohnraumsanierung dient. Die Befreiung gilt nur, soweit die Darlehensvaluta den Betrag von E 200.000,– nicht übersteigt.
D. Schenkungen führen nicht zu einer Veräußerungsbesteuerung Um Umgehungen der neuen Kapitalertragsteuer auf Veräußerungsgewinne zu verhindern, werden4) Depotentnahmen künftig grundsätzlich zu einem KESt-Abzug führen. Unentgeltliche Übertragungen – wie insbesondere Schenkungen und Erbschaften – sind davon aber ausgenommen. Dass eine unentgeltliche Übertragung stattgefunden hat, kann dem Abzugsverpflichteten (idR Bank) anhand geeigneter Unterlagen, wie zB Notariatsakt, Einantwortungsbeschluss, Schenkungsmeldung), nachgewiesen werden. Alternativ kann der Abzugsverpflichtete ermächtigt werden, dem Finanzamt die unentgeltliche Übertragung anzuzeigen. In beiden Fällen unterbleibt ein KESt-Abzug. Selbstverständlich kann die unentgeltli1) Nunmehr genannt „Einkünfte aus der Überlassung von Kapitalvermögen“. 2) Siehe dazu § 124 b Z 184 EStG 1988. 3) § 124 b Z 185 lit d EStG 1988 spricht leider vom unbestimmten Gesetzesbegriff „Tilgungsplan“. 4) § 27 Abs 6 EStG 1988 sieht daher Ersatztatbestände vor.
STEUERRECHT
che Übertragung aber auch noch im Wege der Veranlagung nachgewiesen werden. Auch führen unentgeltliche Übertragungen nicht dazu, dass Altanschaffungen plötzlich zu Neuanschaffungen werden und der neuen Kapitalertragsteuer unterliegen. Beispiel: E hat im Jahr 1999 Aktien erworben und hält diese auf dem Depot seiner Hausbank. Im Dezember 2011 will er sie seinem Enkel F schenken. Zu diesem Zweck werden die Aktien auf das Depot des F übertragen. Weist E seiner Hausbank die Schenkung zB anhand einer erfolgten Schenkungsmeldung nach, unterbleibt der KESt-Abzug.
E. Bei neuen Lebensversicherungen muss die Laufzeit mindestens 15 Jahre betragen Bisher waren Einkünfte aus Lebensversicherungen nur einkommensteuerpflichtig, wenn weder laufende, im Wesentlichen gleich bleibende Prämienzahlungen vereinbart worden sind, noch die Laufzeit der Versicherung weniger als zehn Jahre beträgt. Für seit dem 1. 1. 2011 abgeschlossene Lebensversicherungen wird diese Höchstlaufzeit auf 15 Jahre erhöht. Für davor abgeschlossene Verträge ändert sich nichts. RECHTSPRECHUNG
Nachhaltigkeit einer Erfindertätigkeit Einkünfte aus einer selbständigen, nachhaltigen Erfindertätigkeit, die mit Gewinnabsicht unter Beteiligung am wirtschaftlichen Verkehr unternommen wird, sind den Einkünften aus Gewerbebetrieb zuzurechnen. Von Nachhaltigkeit ist auszugehen, wenn umfangreiche und planmäßige Maßnahmen zur Auswertung der Erfindung getroffen werden.
zusehen. Nach allgemeiner Auffassung kommt die Zufallserfindung deshalb in der Praxis kaum vor.“ Der VwGH hält diese Ausführungen des deutschen BFH zur Zufallserfindung auch für die österreichische Rechtslage für zutreffend.
Der Bf entwickelte neben seiner unselbständigen Tätigkeit Patente aus dem Bereich von Windkraftanlagen. 1994 wurden drei Patente, 1997 ein weiteres angemeldet und in einer Vielzahl weiterer Länder validiert. Die Patente wurden im September 2000 an die W-GmbH, deren Gesellschafter und Geschäftsführer der Bf bis zu diesem Zeitpunkt war, verkauft. Der Bf qualifizierte diesen Vorgang als Verkauf einer außerbetrieblichen Einkunftsquelle, der nicht der Einkommensteuer unterliegt. Im Rahmen einer abgabenbehördlichen Prüfung gelangte das FA zur Auffassung, es liege eine planmäßig ausgeübte Erfindertätigkeit vor. Der Erlös aus den Patentverkäufen sei daher seinen Einkünften aus selbständiger Arbeit zuzurechnen.
Die Erfindertätigkeit zählt bei Vorliegen von Selbständigkeit, Nachhaltigkeit, Gewinnabsicht sowie der Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gem § 23 EStG. In vielen Fällen wird eine Erfindertätigkeit auch eine wissenschaftliche Tätigkeit darstellen und daher gem § 22 Z 1 a EStG zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit zu zählen sein. In einer Reihe von E sprach der VwGH bereits aus, dass Erfinden und Konstruieren eine freiberufliche Tätigkeit darstelle, ohne diese Subsumtion jedoch näher zu erläutern (vgl Hofstätter/Reichel, Einkommensteuer-Kommentar § 22 Tz 17). In der hier besprochenen E argumentiert der VwGH, es würden Einkünften aus selbständiger Arbeit vorliegen, sofern die Erfindertätigkeit einer der in § 22 EStG aufgezählten Tätigkeiten entspricht. Eine der Voraussetzungen einer betrieblichen Tätigkeit ist, wie bereits eingangs erwähnt, die Nachhaltigkeit der Betätigung. Diese ist insb anzunehmen, wenn mehrere aufeinander folgende gleichartige Handlungen unter Ausnützung derselben Gelegenheit und derselben Verhältnisse ausgeführt werden. Weiters kann von betrieblicher Betätigung ausgegangen werden, wenn die tatsächlichen Umstände auf den Beginn oder die Fortsetzung dieser Tätigkeit hinweisen. Auch eine durch längere Zeit ausgeübte Tätigkeit ist nachhaltig, selbst wenn sie nur gegenüber einem Auftraggeber erfolgt. Weiters ist nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise ebenso die Erfüllung eines einzigen Auftrags eine nachhaltige Tätigkeit, wenn einerseits die lange Dauer der damit verbundenen Arbeiten und andererseits deren Zusammensetzung aus einer Fülle von Einzelleistungen diesen Schluss zulässt (vgl Hofstätter/Reichel, Einkommensteuer-Kommentar § 23 Tz 10). Demzufolge ist der Begriff der Nachhaltigkeit weit zu interpretieren. Genauso wird eine Erfindertätigkeit wohl in der Regel eine nachhaltige Tätigkeit sein, sofern umfangreiche und planmäßige Maßnahmen zur Auswertung der Erfindung getroffen werden. Nur Zufallserfindungen füh-
Aus der Begründung: Die Erfindertätigkeit kann zu Einkünften aus Gewerbebetrieb führen, wenn eine selbständige, nachhaltige Betätigung vorliegt, die mit Gewinnabsicht unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt. Zufallserfindungen führen für sich nicht zu betrieblichen Einkünften, es sei denn, der Erfinder trifft umfangreiche und planmäßige Maßnahmen zur Auswertung der Erfindung (vgl Doralt, EStG8 § 22 Tz 94 f und Hofstätter/Reichel, § 22 Tz 17 und die dort zitierte Rsp). Der deutsche BFH hat in seinem Urteil vom 18. 6. 1998, BStBl 1998 II 567 = RdW 1999, 565, ua ausgeführt: „Nicht jede ,Blitzidee führt zu einer Zufallserfindung iS der eingangs zitierten Rechtsprechung. Bedarf es nämlich nach einem spontan geborenen Gedanken einer weiteren Tätigkeit, um die Erfindung bis zur Verwertungsreife zu fördern, liegt eine planmäßige Erfindertätigkeit vor, die nicht mehr als ,gelegentlich anzusehen ist (…). Eine Tätigkeit, die nicht nur gelegentlich ausgeübt wird, ist als nachhaltig an-
BEARBEITET VON E. HÜTTER §§ 22, 23 EStG VwGH 28. 10. 2010, 2007/15/0191
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Anmerkung:
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ren hingegen nicht zu betrieblichen Einkünften (vgl Doralt, EStG8 § 22 Tz 94 f). In seiner Berufung bezieht sich der Bf im Wesentlichen auf die fehlende Nachhaltigkeit seiner Erfindertätigkeit. Der Bf argumentiert, bloß die Patentideen skizziert und beim Patentamt eingereicht zu haben. Die weitere Entwicklung der Patentideen sei durch die später gegründete GmbH erfolgt (wobei der Bf während der Zeit der Patententwicklung sowohl Mehrheitsgesellschafter als auch Geschäftsführer war). In seiner E zitiert der Gerichtshof betreffend der Interpretation der Nachhaltigkeit die Rsp des deutschen BFH, welche der VwGH auch für die österreichische Rechtslage für zutreffend erachtet. Diesem Urteil zufolge führt etwa die Tatsache, dass im Laufe von mehr als zwei Jahren vier Patente auf den Namen des Kl angemeldet wurden zu einer Nachhaltigkeit seiner ErfinderBEARBEITET VON M. LAUDACHER
Art 23 OECD-MA UFS 18. 2. 2011, RV/0686-L/10
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Mag. Elisabeth Hütter ist Berufsanwärterin in einer Wirtschaftsprüfungsund Steuerberatungskanzlei.
RECHTSPRECHUNG DES UFS
Anrechnung von Quellensteuern aus Vorjahren auf die Körperschaftsteuer Die Bw stellt in ihrer Berufung gegen den Körperschaftsteuerbescheid Gruppe 2005 den Antrag, ausländische Quellensteuern aus 1998 bis 2003 (Bezug von Kreditzinsen, Wertpapierzinsen, Lizenzzahlungen und Dividenden) iHv E 189.270,56 anzurechnen (Anrechnungsvortrag ausländische Quellensteuer). Die Bw habe in den Vorjahren negative Einkünfte ausgewiesen, sodass die Quellensteuern nicht anrechenbar gewesen seien. Dass für die Anrechnung eine konkrete inländische Rechtsnorm fehle, sei nicht schädlich. Die Anrechnung ergebe sich aus dem Abkommensrecht: DBA seien abkommensautonom auszulegen. Die Anrechnung „auf die vom Einkommen zu erhebende Steuer“ könne nur in Richtung eines Anrechnungsvortrags ausgelegt werden. Andernfalls würde eine Doppelbesteuerung eintreten. Auch habe der VwGH im Erk v 25. 9. 2001, 99/ 14/0217 festgehalten, dass die Anrechnungsmethode eine periodenübergreifende Wirkung habe. Dies werde durch jüngste Entwicklungen auf OECD-Ebene unterstützt. Auch das Gemeinschaftsrecht gebiete einen Anrechnungsvortrag.
Aus der Begründung: 1. Strittig ist ausschließlich, ob Quellensteuern aus 1998 bis 2003 auf die Körperschaftsteuer 2005 anrechenbar sind. 2. Eine innerstaatliche Rechtsvorschrift, der zwingend eine Anrechnung zu entnehmen wäre, liegt nicht vor. Anrechnungen sind in jenen Zeiträumen vorzunehmen, in denen die ausländischen Einkünfte erzielt wurden (VwGH 21. 10. 2004, 2001/13/0017; UFS 14. 12. 2005, RV/4438-W/02). 3. Rsp und Verwaltungspraxis lehnen bei Quellensteuern einen Anrechnungsvortrag ab. Der VwGH stellt in stRsp fest, dass es in der Hand der Abkommensparteien liegt, bis zu welchem Ausmaß sie das Ziel verwirklichen wollen (VwGH 20. 4. 1999, 99/ 14/0012 zu Lizenzeinkünften; ebenso VwGH 28. 2. 2007, 2003/13/0064). Der VwGH hat dabei nicht nur bestimmte Wortfolgen der DBA herangezogen, sondern allgemein den Anrechnungsvortrag ver362 ecolex 2011
tätigkeit. Der BFH ist auch der Ansicht, dass es nicht entscheidend sein kann, ob der Erfinder die bis zur Patentreife erforderlichen Arbeiten selbst durchführt oder von einem anderen für sich durchführen lässt. In diesem Sinne erkannte der VwGH, dass die Entwicklung und das schriftliche Festhalten der Patentidee nicht getrennt von der planmäßigen Betreibung der Patentverfahren im In- und Ausland gesehen werden kann. Das Erfassen der Entwicklung in Form von Zeichnungen und schriftlichen Beschreibungen sei gerade im Hinblick auf die Patentverfahren erfolgt. Nach Ansicht des VwGH erfüllte diese Gesamtbetätigung des Bf daher ohne Zweifel das Tatbestandsmerkmal der Nachhaltigkeit. Die Beschwerde wurde als unbegründet abgewiesen. Elisabeth Hütter
neint, weil er nicht auf Art 23 OECD-MA gestützt werden kann (UFS 14. 12. 2005, RV/4438-W/02). In EAS 2021 vom 26. 3. 2002 (zu Lizenzgebühren) wird ausgeführt, ein Anrechnungsvortrag könne nicht von der Abgabenverwaltung durch Nichtbeachtung eines klaren und eindeutigen Wortlauts der DBA herbeigeführt werden (ebenso in EAS 2591 vom 24. 3. 2005 zu Zinsquellensteuern). 4. Die der Rechtsauffassung von Rsp und Finanzverwaltung konträr gegenüberstehenden Auffassungen der Lehre stützen sich einerseits auf Zielsetzungen der DBA, bei grenzüberschreitenden Konstellationen dieselbe Besteuerung anzustreben wie bei innerstaatlichen Sachverhalten, und andererseits auf das Erfordernis einer abkommensautonomen Auslegung (s Gassner, SWI 1999, 59; Kühbacher, SWI 9/2008, 387; Schuch, Verluste im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen 163 ff). Danach darf der Abkommensschutz nicht „ins Leere laufen“ und die Steuer darf erst in jenem Zeitraum erhoben werden, in dem kein Verlustvortrag mehr zur Verfügung steht. 5. Ungeachtet der Frage nach der Auslegung der DBA bildet zunächst das innerstaatliche Recht eine Schranke in bestimmten Bereichen. Gelingt zudem die autonome Auslegung der DBA nicht, besteht ein „non liquet“ und der Mitgliedstaat kann nach Art 3 Abs 2 OECD-MA die Bestimmung nach seinem nationalen Recht auslegen, „wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert“. Eine unterschiedliche Auslegung der Vertragsstaaten wird damit in Kauf genommen. 6. Letztlich ist die Interpretation von Art 23 OECD-MA aus dem Kontext heraus vorzunehmen, mit Berücksichtigung von Ziel und Zweck des Abkommens. Die Frage nach dem Anrechnungsvortrag reduziert sich darauf, ob dieser von den Vertragsstaaten gewollt und geregelt ist. Der Schluss, der Anrechnungsvortrag sei dem allgemeinen Ziel der DBA entnehmbar, wonach der Abkommensschutz in der Vermeidung der Doppelbesteuerung liege, die wiederum der Nichtanwendung des Anrechnungsvortrags ent-
STEUERRECHT
springe, geht fehl. Die Lehre setzt damit nämlich das in den DBA voraus, was sie darin zu finden hofft, und gerät in einen Zirkelschluss. Es obliegt der Privatautonomie der Mitgliedstaaten, welche Sachverhalte in den DBA geregelt sind und in welchem Ausmaß Doppelbesteuerungen ausgeschlossen werden sollen. Ein genereller Ausschluss von Doppelbesteuerungen kann nicht von vorneherein jedem DBA unterstellt werden. Daher wendet der überwiegende Teil der Mitgliedstaaten das Instrument des Anrechnungsvortrags bei Quellensteuern auch nicht an. Staaten die den Anrechnungsvortrag zulassen, stützen sich auf innerstaatliche (verfahrensrechtliche) Mittel (wie zB § 48 BAO). Der Absicht der DBA, Doppelbesteuerungen zu vermeiden, kann für den speziellen Fall nichts entnommen werden. Im OECD-MK sind Zweifelsregelungen aufgezählt, deren Anführung sinnlos wäre, wenn Doppelbesteuerungen durch bloße Auslegung der DBA vermieden werden könnten. In OECDMK zu Art 23 findet sich in Rz 66 Folgendes: „Die erwähnten Probleme werden weitgehend vom innerstaatlichen Recht und der innerstaatlichen Verwaltungspraxis bestimmt und daher ist die Lösung jedem Staat überlassen. Bemerkt sei in diesem Zusammenhang, dass einige Staaten bei der Anwendung der Anrechnungsmethode sehr großzügig verfahren. Manche Staaten erwägen auch die Möglichkeit des Übertrags nicht in Anspruch genommener Anrechnungsbeträge oder haben diesen Übertrag
bereits zugelassen. Die Vertragsstaaten können selbstverständlich den Artikel in bilateralen Verhandlungen ändern, um jeglichen der erwähnten Probleme zu begegnen.“ Solchen und ähnlichen Passagen kann man entnehmen, dass sich der Übertrag von Anrechnungsbeträgen nicht den DBA selbst entnehmen lässt. 7. Eine gemeinschaftsrechtliche Anrechnungsverpflichtung von Quellensteuern aus Dividenden hat der EuGH im Urteil vom 10. 2. 2011, C-436/08, Haribo/Saline, verneint. Der UFS kann auch nicht erkennen, dass für anrechenbare Steuern aus anderen Quellen (zB Lizenzen) anderes gelten sollte. 8. Spezifisch verfassungsrechtliche Fragen waren nicht zu prüfen. Die Berufung war aus den bezeichneten Gründen abzuweisen.
Anmerkung: Die Ausführungen der Lehre haben den UFS nicht überzeugt. Den DBA kann in genereller Form ein Anrechnungsvortrag für Quellensteuern nicht entnommen werden. Dieser ist auch unionsrechtlich nach EuGH C-436/ 08 ausdrücklich nicht geboten. Er müsste daher innerstaatlich (generell) normiert werden, womit nach derzeitiger Sachlage wohl nicht zu rechnen ist. Marco Laudacher Mag. Marco Laudacher ist Mitglied des UFS, Außenstelle Linz.
Von Abfallbesitzern und AWG 2002 hat mit seiner Definition des Abfallerzeugern Das „Abfallbesitzers“ Verwirrung gestiftet. Die am
ÖFFENTLICHES WIRTSCHAFTSRECHT GELEITET VON CH. SCHMELZ
16. 2. 2011 in Kraft getretene AWG-Novelle 2010 lässt die Legaldefinition unverändert, die Erläuterungen unternehmen aber Klarstellungsversuche. Eine Bestandsaufnahme. ALEXANDER GRAU
A. Problem Den „Abfallbesitzer“ treffen umfangreiche Entsorgungs-, Aufzeichnungs- und Meldepflichten. Va ist er nach §§ 15 f AWG 2002 für die ordnungsgemäße Behandlung des Abfalls verantwortlich; widrigenfalls drohen Verwaltungsstrafen1) und Behandlungsaufträge.2) Umso wichtiger wäre Klarheit darüber, wer Abfallbesitzer ist. In der Praxis hat die Legaldefinition des § 2 Abs 6 Z 1 AWG 2002, die neben dem Abfallerzeuger auch jeden bloßen Inhaber erfasst, allerdings zu erheblichen Unsicherheiten geführt: &
&
In der Baupraxis stellt sich etwa die Frage, ob Bauherren und/oder Bauunternehmer als Abfallbesitzer anzusehen sind. Bestandgeber fürchten, für vom Bestandnehmer hinterlassene Abfälle/Kontaminationen verantwortlich gemacht zu werden.
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Dasselbe gilt für Liegenschaftseigentümer, die von unbekannten Dritten mit illegalen Ablagerungen „beglückt“ werden.
B. Die Regelung des AWG 2002 1. Die Legaldefinition in § 2 Abs 6 „Abfallbesitzer“ ist nach § 2 Abs 6 Z 1 AWG 2002 sowohl der Abfallerzeuger (lit a) als auch jede Person, welche die Abfälle innehat (lit b). Unter dem „Abfallerzeuger“ versteht Z 2 primär denjenigen, durch dessen Tätigkeit Abfälle anfallen („Abfallersterzeuger“, lit a). Der Begriff „Inhaber“ wird vom Gesetz dagegen nicht näher definiert. Dr. Alexander Grau ist Rechtsanwalt bei Doralt Seist Csoklich in Wien. 1) § 79 Abs 1 Z 2 und Abs 2 Z 4 AWG 2002. 2) § 73 AWG 2002.
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2. Die Gesetzesmaterialien Die Gesetzesmaterialien zum AWG 2002 ) enthielten dazu nur sehr knappe Erläuterungen: Inhaber sei „diejenige Person, welche die Sachherrschaft über [die] Sache hat“. Bei einer Anlage sei dies „in erster Linie der Betreiber“. Bei Maßnahmen nach LKW-Unfällen träfen die Pflichten des Abfallbesitzers die anordnende Beh und nicht die von ihr beauftragten Hilfsorgane (Feuerwehr) oder Unternehmen. 3
C. Historischer Hintergrund 1. Stammfassung des AWG Die Stammfassung des alten AWG (BGBl 1990/325) enthielt noch gar keine Definitionen dieser Begriffe. Aus § 20 AWG ging lediglich indirekt hervor, dass der Transporteur grds nicht als Abfallbesitzer anzusehen sein konnte; die Verwertungs- und Behandlungspflichten des Abfallbesitzers (§ 17 AWG) trafen ihn nämlich explizit nur im Fall einer Beförderung ohne Papiere. Naheliegenderweise zog der VwGH daher den traditionellen Besitzbegriff des § 309 ABGB heran, der neben der faktischen Sachherrschaft (Gewahrsame, corpus) auch den Willen erfordert, die Sache als eigene zu behandeln (Besitzwille, animus rem sibi habendi). Der Transporteur wurde dementsprechend nicht als Abfallbesitzer qualifiziert; ebenso wenig der Abbruchunternehmer; wohl aber der Liegenschaftseigentümer, der den Abbruchauftrag erteilt hat (und schon dadurch zu erkennen gab, mit dem Bauwerk wie mit einem eigenen verfahren zu wollen).4)
2. Novellen zum AWG Erste Legaldefinitionen wurden durch Novellen zum AWG eingefügt.5) Im Unterschied zu heute wurde darin noch auf Besitz und nicht auf Innehabung abgestellt. Der VwGH sah damit seine Judikatur, wonach Besitzwille erforderlich sei, bestätigt.6) Diese Auslegung stand im Einklang mit den Materialien, die zum Besitzbegriff auf die „zivilrechtlichen Vorschriften“ verwiesen; die Absicht des Gesetzgebers war allerdings auch auf Umsetzung der RL 75/ 442/EWG über Abfälle gerichtet.7)
D. Unionsrechtliche Grundlagen 1. Autonomer Besitzbegriff Diese RL stellt nun tatsächlich darauf ab, in wessen Besitz sich die Abfälle befinden; ebenso die aktuelle RL 2008/98/EG über Abfälle („AbfallrahmenRL“). „Besitz“ darf hier freilich nicht automatisch mit dem Besitz iSd § 309 ABGB gleichgesetzt werden. Denn erklärter Zweck der Definitionen war die Schaffung einer „gemeinsamen Terminologie“;8) erforderlich ist also eine einheitliche („autonome“) Auslegung.9) Dabei darf (nur) insoweit auf das Recht der MS zurückgegriffen werden, als sich aus dem Unionsrecht keine Anhaltspunkte für den konkreten Begriffsinhalt ergeben.10) 364 ecolex 2011
Der Besitzbegriff der MS ist aber unterschiedlich. ZB erfordert der Besitz iSd § 854 BGB nicht den Willen des Besitzers, die Sache „als ihm gehörend“ zu besitzen (Eigenbesitz iSd § 872 BGB), sondern versteht sich als Oberbegriff für Eigenbesitz (mit animus rem sibi habendi) und Fremdbesitz (mit animus rem alteri habendi).11) Er wird daher oft mit der bloßen Innehabung iSd § 309 ABGB gleichgesetzt (vgl auch Art 5 der 4. EVHGB).
2. EuGH-Urteil Der EuGH versteht unter dem „Abfallbesitzer“ jedenfalls – in einem obiter dictum – nicht nur den Eigenbesitzer, sondern auch den Fremdbesitzer.12)
E. Klarstellungsversuche anlässlich der AWG-Novelle 2010 1. Erläuterungen ohne Gesetzesänderung Vielleicht vor diesem Hintergrund ist das AWG 2002 in seiner Definition des „Abfallbesitzers“ auf bloße Innehabung umgeschwenkt. Die Erläut zur AWG-Novelle 201013) meinen jedenfalls, die Definitionen des AWG 2002 entsprächen bereits denen der neuen AbfallrahmenRL und sollten daher nicht geändert werden. Trotzdem enthalten die Erläut – zur „Vorbeugung von Auslegungsschwierigkeiten“ – eine Reihe von Klarstellungsversuchen:
2. „Klarstellung“ zum Besitzwillen Zur Definition des „Abfallbesitzers“ wird zunächst betont, ein Besitzwille sei im Unterschied zum ABGB „nicht erforderlich“; Voraussetzung für die Innehabung sei (allein?), dass sich die Abfälle im Herrschaftsbereich der betreffenden Person befänden. Das ist freilich missverständlich. Richtig ist, dass bloße Innehabung keinen Besitzwillen iSd § 309 ABGB erfordert, also keinen animus rem sibi habendi. Schon zivilrechtlich ist jedoch stets ein Detentionswille 3) RV 984 BlgNR 21. GP 87. 4) VwGH 29. 8. 1995, 95/05/0005; 27. 5. 1997, 94/05/0087; jeweils unter Ablehnung der von Mayer, ecolex 1994, 128, befürworteten Anlehnung an das Sonderabfallgesetz BGBl 1983/186. Ähnlich wie Mayer auch OGH in 8 Ob 7/94, 8 Ob 8/94 (aus dem Sonderabfallgesetz schließend, es komme nicht auf einen Besitzwillen an). 5) Siehe § 2 Abs 8 a AWG idF der EU-Novelle 1996 zum AWG, BGBl 1996/434; § 2 Abs 8 b AWG idF der AWG-Nov 1998, BGBl I 1998/ 151. 6) VwGH 27. 6. 2002, 2001/07/0091; 7. 7. 2005, 2002/07/0111, 2002/07/0112. 7) RV 149 BlgNR 20. GP 15; RV 1201 BlgNR 20. GP 20. 8) ErwGr 3 der RL 91/156/EWG, auf die die einschlägigen Definitionen zurückgehen. 9) Grundlegend EuGH Rs 49/71, Hagen, Slg 1972, 23; Rs 50/71, Wünsche, Slg 1972, 53. 10) EuGH Rs 327/82, Ekro, Slg 1984, 107; EuG Rs T-43/90, Díaz García, Slg 1992, II-2619; uvm. 11) Palandt/Bassenge, BGB68 Überbl v § 854 Rz 2; Erman/O. Werner, BGB II10 Vor § 854 Rz 5. 12) EuGH C-1/03, Van de Walle e.a., Slg 2004, I-7613 Rn 55. Dazu auch UVS Burgenland 25. 8. 2009, 020/11/08008. 13) RV 1005 BlgNR 24. GP 14.
ÖFFENTLICHES WIRTSCHAFTSRECHT
erforderlich, auch wenn dafür ein genereller, auf einen bestimmten Herrschaftsbereich oder auf Sachen bestimmter Art bezogener Wille genügt.14) Dasselbe gilt für den Besitz iSd BGB.15) Außerdem dient der Begriff abfallrechtlich dem Zweck, den für die Abfallbehandlung Verantwortlichen festzulegen (vgl Art 15 AbfallrahmenRL; §§ 15 f AWG 2002). Eine Zuweisung der Verantwortung an jeden, in dessen Herrschaftsbereich Abfälle völlig ohne, ja vielleicht sogar gegen seinen Willen geraten sind, würde auf willkürliche Inanspruchnahme nach dem reinen Zufallsprinzip hinauslaufen. Dagegen sprechen grundrechtliche und systematische Überlegungen, für das österr Recht insb schon ein Umkehrschluss aus § 74 AWG 2002:16) Dort ist nämlich eine bloß subsidiäre Haftung des Liegenschaftseigentümers bzw seiner Rechtsnachfolger vorgesehen, und auch das nur bei Vorliegen subjektiver Zurechnungsgründe (Zustimmung, Duldung etc); fehlen diese, hat die Allgemeinheit für die Behandlung zu sorgen (Abs 4 – 6). Neben der Zuordnung zum Herrschaftsbereich ist also auch ein Detentionswille zu fordern.
3. „Klarstellung“ zur Durchführung von Arbeiten Weiter erfährt man aus den Erläut, in leicht gebrochenem Deutsch: „Derjenige, nach dessen Anweisungen bzw Vorstellungen die Arbeiten durchgeführt werden und bestimmt, welche Arbeiten wie durchgeführt werden, übt den faktischen Einfluss aus und hat nach der Verkehrsauffassung Gewahrsame an den Materialien und den daraus entstandenen Abfällen.“ Daraus ergibt sich zunächst – wenig überraschend –, dass der Bauherr idR als Abfallbesitzer anzusehen sein wird; ebenso derjenige, der sonstige Arbeiten veranlasst, bei denen Abfälle anfallen (zB Rodungsarbeiten). Die wirklich interessierende Frage ist aber, ob auch der Bauunternehmer, Handwerker oder sonstige Gehilfe als Abfallbesitzer anzusehen ist. Sie wird va dann virulent, wenn für die Entsorgung kein entsprechendes Entgelt vereinbart wurde.17) Die Erläut geben darauf keine Antwort. Die im Ministerialentwurf 18) noch enthaltenen – aber völlig unausgegorenen – Beispiele wurden nach Kritik in der Begutachtung ersatzlos gestrichen.
4. „Klarstellung“ zur Abfallerzeugereigenschaft Erhalten geblieben ist jedoch der kryptische Satz, für die Beurteilung der Abfallerzeugereigenschaft seien „ebenfalls die oben“ – dh zur Innehabung – „genannten Kriterien (insbesondere Sachherrschaft, allgemeine Verkehrsauffassung, Verfügungsgewalt) heranzuziehen“. Gemeint ist offenbar, dass derjenige, „nach dessen Anweisungen bzw Vorstellungen die Arbeiten durchgeführt werden“, auch als Abfallerzeuger gelten soll. Das kann aber nur so verstanden werden, dass nicht schon jeder abhängige Gehilfe (Dienstnehmer etc) Abfallerzeuger sein soll, sondern nur der verantwortliche Unternehmer. Dass dieser seinerseits „nur im Auftrag“ eines anderen tätig wird, ist nach der Legaldefi-
nition dagegen irrelevant: So gibt etwa der Bauherr zwar vertraglich vor, welche Arbeiten auszuführen sind, durch seine Tätigkeit fallen aber keine Abfälle an. Im Übrigen wäre der Tatbestand des § 2 Abs 6 Z 1 lit a AWG 2002 sinnlos, wäre er genauso zu verstehen wie lit b.
F. Schlussfolgerungen 1. Kein Besitz ohne Wille Der „Abfallbesitzer“ muss also entweder „Abfallerzeuger“ oder „Inhaber“ des Abfalls sein. Innehabung iSd § 309 ABGB erfordert aber – wie der Besitz iSd BGB – zumindest einen Detentionswillen (wenn auch keinen animus rem sibi habendi). Der Grundinhaber ist daher nur dann Abfallbesitzer, wenn der am Grundstück befindliche Abfall zumindest von seinem generellen Gewahrsamswillen19) erfasst wird. Für die Behandlung von Abfällen, die von Dritten ohne oder gar gegen seinen Willen hinterlassen werden, ist er nicht verantwortlich; umso weniger der bloße Liegenschaftseigentümer (dieser haftet jedoch uU nach § 74 AWG 2002 subsidiär). Konkrete Kenntnis ist allerdings nicht erforderlich: Ist eine Vorrichtung zur Aufnahme von Sachen bestimmter Art vorgesehen, erwirbt der Inhaber Gewahrsame an allen bestimmungsgemäß eingebrachten Sachen auch dann, wenn er von diesen nicht im Einzelnen Kenntnis hat,20) zB der Inhaber einer Deponie an den eingebrachten Abfällen. Der Verlust des Innehabungswillens entbindet – selbstverständlich – nicht automatisch von den Abfallbesitzerpflichten. Zwar gehen zivilrechtlich durch Dereliktion Besitz und Innehabung verloren (§ 349 ABGB), mit dem Zweck des AWG 2002 wäre es jedoch klarerweise unvereinbar, damit die Behandlungspflicht enden zu lassen; diese besteht vielmehr, wie sich aus § 15 Abs 5 AWG 2002 ergibt, bis zur Übergabe an einen zur Sammlung oder Behandlung Berechtigten.21) 14) Iro, Besitzerwerb durch Gehilfen (1982) 34 ff. 15) Siehe Palandt/Bassenge, BGB68 § 854 Rz 4; Erman/O. Werner, BGB II10 § 854 Rz 10. 16) Vgl Huber-Medek, RdU-UT 2009/2, 4 f; Leszkovics, RdU-UT 2009/ 3, 7. 17) Die Pflicht zur Entsorgung der bei der Arbeit anfallenden Abfälle wird sich, auch ohne explizite Vereinbarung, meist schon aus Vertragszweck und Verkehrssitte, zumindest aber aus ergänzender Vertragsauslegung ergeben (vgl Rummel in Rummel3 § 914 Rz 18). Problematisch sind insb jene Fälle, in denen sie in das vereinbarte Entgelt nicht einkalkuliert wurden. Da Kalkulationsirrtümer idR unbeachtlich sind (s Rummel in Rummel 3 § 871 Rz 12), bleibt dann nur ein Regress nach § 896 ABGB. Dieser wird aber – je nach dem „besonderen Verhältnis“ zwischen den Beteiligten – oft nicht auf eine volle Abgeltung hinauslaufen. 18) 156/ME 24. GP. 19) Siehe oben bei FN 14. 20) Iro, Besitzerwerb 35. 21) Nach dem durch die AWG-Novelle 2010 eingefügten § 15 Abs 5 a soll der Abfallbesitzer dabei die umweltgerechte Verwertung oder Beseitigung „explizit“ beauftragen müssen. Da es völlig unsachlich wäre, konkludente Erklärungen auszuschließen, wird man dies – wie so oft – nur iS von „deutlich“ oder „unzweifelhaft“ interpretieren können (vgl Bollenberger in KBB3 § 863 Rz 2).
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2. Bestandgeber und Leasinggeber als Abfallbesitzer An vom Bestandnehmer eingebrachten Sachen erlangt der Bestandgeber idR keine Gewahrsame, da der Bestandnehmer üblicherweise keinen Willen hat, selbige für den Bestandgeber innezuhaben, was aber Voraussetzung für Gewahrsame des Bestandgebers wäre.22) Derelinquiert der Bestandnehmer solche Sachen anlässlich seines Auszugs, wird diesbezüglich, soweit es um Abfälle geht, idR wiederum kein – noch so genereller – Gewahrsamswille des Bestandgebers bestehen; dieser kann also nicht per „Zwangsbeglückung“ zum Abfallbesitzer gemacht werden,23) in Betracht kommt höchstens eine subsidiäre Haftung nach § 74 AWG 2002. Anders kann es sich im Einzelfall bei zurückbleibenden Kontaminationen verhalten, wenn das Grundstück zum Betrieb eines bestimmten Unternehmens in Bestand gegeben wurde. Führt der vereinbarte Bestandzweck typischerweise zu solchen Kontaminationen (Bsp: Tankstelle), wird man diese als vom generellen Gewahrsamswillen des Bestandgebers in Bezug auf das Grundstück umfasst ansehen müssen, wenn nicht für den Fall der Beendigung des Bestandverhältnisses eine Dekontaminierung durch den Bestandnehmer vereinbart war. Analoges wird für andere Abfälle gelten, die bei dem vereinbarten Bestandzweck typischerweise zurückbleiben. Werden geleaste oder gemietete Geräte selbst zu Abfall, ist nicht nur der Bestandnehmer, sondern
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auch der Bestandgeber Abfallbesitzer; denn Ersterer hat(te) das Gerät für Letzteren inne (Bsp: Der Leasingnehmer entledigt sich der defekten Baumaschine). Beim Betrieb des Geräts anfallende Abfälle stehen hingegen grds nur im Abfallbesitz des Bestandnehmers; der Bestandgeber erzeugt sie nicht durch eigene Tätigkeit, und der Bestandnehmer hat sie idR auch nicht für ihn inne.
3. Bestandnehmer, Verwahrer und Transporteure als Abfallbesitzer Besitzmittler sind selbst auch Inhaber.24) Daher ist, in Bezug auf den in seiner Gewahrsame befindlichen Abfall, der Bestand- oder Leasingnehmer als Abfallbesitzer anzusehen; ebenso der Entlehner, Verwahrer, Fruchtnießer oder Transporteur. Letzteren nimmt das AWG 2002 allerdings von einzelnen Pflichten aus (zB § 17 Abs 2 AWG 2002).25) Eine theoretisch weitreichende Ausnahme davon möchte eine E des UVS Burgenland26) machen: Personen, die lediglich im Auftrag handeln, seien mangels Dispositionsfreiheit nicht als Abfallbesitzer anzusehen. Damit wären etwa Verwahrer und Transporteure, aber wohl auch die meisten Werkunternehmer und Dienstleister, völlig aus dem Schneider. Das geht aber sicher zu weit: Schließlich beruhen vertragliche Beschränkungen der Dispositionsfreiheit auf privatautonomer Vereinbarung. Den Transporteur von seinen Pflichten nach dem AWG 2002 bloß deshalb befreien zu wollen, weil er mit irgendjemandem vereinbart hat, mit dem Abfall auf bestimmte Weise zu verfahren (im Extremfall: ihn im Wald zu „entsorgen“), würde das Gesetz ad absurdum führen. Richtigerweise muss wohl derjenige, der aufgrund eines Vertrags Abfall übernimmt, beim Vertragsabschluss darauf achten, dass der Vertrag ihm die Erfüllung der Abfallbesitzer-Pflichten gem AWG 2002 erlaubt. Anderes könnte höchstens für bloße Besitzdiener 27) gelten, ev auch für Gehilfen der Beh.28)
4. Werkunternehmer und Dienstleister als Abfallbesitzer Da der „Abfallerzeuger“ schon per definitionem als „Abfallbesitzer“ gilt, sind Werkunternehmer und Dienstleister kraft § 15 AWG 2002 zur ordnungsgemäßen Behandlung aller Abfälle verpflichtet, die iSd § 2 Abs 6 Z 2 AWG 2002 durch ihre Tätigkeit anfallen (lit a) oder die von ihnen iSd lit b (vor)behandelt oder vermischt werden.29) Eine (gewollte) Innehabung ist dafür nach dem klaren Gesetzeswortlaut gar nicht 22) Vgl Iro, Besitzerwerb 35 f. 23) Vgl VfGH 3. 12. 2008, B 1702/07 VfSlg 18.631; 8. 10. 2009, B 508/ 09. Danach kann der Bestandgeber nicht als „Inhaber der Behandlungsanlage“ iSd § 62 Abs 4 AWG 2002 angesehen werden, wenn diese bei Beendigung des Bestandverhältnisses ohne seinen Willen zurückbleibt. 24) ZB Spielbüchler in Rummel 3 § 309 Rz 2. 25) Siehe Wolfslehner/Hochholdinger, RdU 2002/2. 26) 25. 8. 2009, 020/11/08008. 27) Siehe unten bei Pkt F.5. 28) Vgl das Bsp des LKW-Unfalls oben unter Pkt B.2. 29) Abw UVS Burgenland 25. 8. 2009, 020/11/08008 (dazu oben unter Pkt F.3).
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erst erforderlich (andernfalls wäre auch die Erwähnung des Abfallerzeugers neben dem Inhaber in § 2 Abs 6 Z 1 AWG 2002 überflüssig). Hinzu kommen alle sonstigen Abfälle, die der Werkunternehmer oder Dienstleister im Zuge seiner Tätigkeit (willentlich) in seine Gewahrsame übernimmt (§ 2 Abs 6 Z 1 lit b AWG 2002). Bsp: Der Bauunternehmer ist Abfallbesitzer hinsichtlich des Abbruch- und Aushubmaterials, ebenso hinsichtlich der Abfälle aus von ihm auf die Baustelle verbrachten Materialien. Zur Entsorgung von sonstigen vorgefundenen Abfällen (zB Bodenkontaminationen im Umkreis der Baugrube) ist er hingegen nicht verpflichtet, solange er sie nicht in seine Gewahrsame übernimmt. In Bezug auf das Abbruch- und Aushubmaterial ist freilich auch der Bauherr Abfallbesitzer. Ob selbiges für die Abfälle aus auf die Baustelle verbrachte Materialien gilt, hängt primär davon ab, ob der Bauunternehmer diese Materialien bereits für den Bauherrn innehat (was üblicherweise durch Verwendung zur Bauausführung zum Ausdruck kommen wird).
5. Gehilfen, Stellvertreter und Besitzdiener als Abfallbesitzer Nach dem Gesetz ist auch Abfallbesitzer, wer den Abfall bloß als Gehilfe oder Stellvertreter innehat.30) Ob dies auch für abhängige Gehilfen (sog Besitzdiener 31) wie Dienstnehmer oder in familiärem Abhängigkeitsverhältnis stehende Personen) gilt, ist zweifelhaft. Denn der Besitzbegriff der AbfallrahmenRL dürfte dem des BGB näherstehen als jenem des
ABGB.32) Auch vom Telos des Abfallwirtschaftsrechts her erschiene es unnötig weitgehend, bloße Besitzdiener öffentlich-rechtlich für die Abfallbehandlung verantwortlich zu machen.33) Da nach österr Zivilrecht auch Besitzdiener Inhaber sind,34) sind sie vom Wortlaut der Legaldefinition aber jedenfalls umfasst, wenngleich die Erläut zur AWG-Novelle 2010 gegen ihre Einbeziehung sprechen dürften.35) 30) Zum Besitzerwerb durch Gehilfen und Stellvertreter vgl Iro, Besitzerwerb 11. 31) Vgl § 855 BGB. 32) Vgl oben Pkt D.2. 33) Vgl UVS Burgenland 25. 8. 2009, 020/11/08008, wonach überhaupt schon jeglicher Beauftragte vom Abfallbesitzerbegriff ausgenommen sein soll. Zur völlig unterschiedlichen Behandlung von Dienstnehmern nach § 31 WRG 1959 und nach B-UHG durch die hM vgl Grau, ecolex 2010, 93 (97). 34) Spielbüchler in Rummel 3 § 309 Rz 2; Kodek in Kletečka/Schauer, ABGB-ON 0.03 § 309 Rz 2 und § 344 Rz 3; Klicka in Schwimann3 § 309 Rz 3 und § 319 Rz 1. 35) Siehe oben Pkt E.4. SCHLUSSSTRICH
Zur Klärung des Begriffs des „Abfallbesitzers“ hat die AWG-Novelle 2010 wenig beigetragen. Der Besitzbegriff der AbfallrahmenRL dürfte indes dem des BGB näherstehen als dem des ABGB. Auch das AWG 2002 wird idS auszulegen sein. Bis zu einer echten Klärung durch den EuGH werden die anwendenden Beh damit aber weiterhin überfordert sein.
Neue Erlaubnispflicht für Abfallsammler und -behandler Aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben wurde nunmehr mit der AWG-Nov 2010 auch für die Tätigkeit als Abfallsammler oder -behandler nicht gefährlicher Abfälle eine Erlaubnispflicht eingeführt. Der folgende Beitrag gibt einen kurzen Überblick über die Erlaubnispflicht, ihre Voraussetzungen und etwaige Ausnahmen. THOMAS WIMMER
A. Neue europarechtliche Anforderungen Die EU-Abfallrahmenrichtlinie (AbfRRL)1) normiert, dass nicht nur Abfallbehandlungsanlagen, sondern auch Unternehmen, die beabsichtigen, Abfallbehandlungen durchzuführen, einer Genehmigung bedürfen.2) Mit einer bloßen Anzeigepflicht für die Sammlung oder Behandlung nicht gefährlicher Abfälle blieb das Abfallwirtschaftsgesetz 20023) vor der AWG-Nov 20104) hinter den unionsrechtlichen Anforderungen zurück.5) Die AWG-Nov 2010 beseitigt nunmehr dieses Umsetzungsdefizit, indem sie eine „Erlaubnispflicht“ auch für den Bereich der nicht gefährlichen Abfälle einführt.
B. Erlaubnispflicht für die Sammlung und Behandlung nicht gefährlicher Abfälle Während die Vorgaben für die Sammlung oder Behandlung von gefährlichen Abfällen im Wesentlichen gleich geblieben sind, ist seit dem Inkrafttreten der Mag. DI Thomas Wimmer ist RAA der Schönherr Rechtsanwälte GmbH. 1) RL 2008/98/EG über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter RL, ABl L 2008/312, 3. 2) Art 23 AbfRRL. 3) AWG 2002, BGBl I 2002/102 idF BGBl I 2009/115 (AWG aF). 4) AWG-Nov 2010, BGBl I 2011/9. 5) Vgl § 24 AWG aF.
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ÖFFENTLICHES WIRTSCHAFTSRECHT
AWG-Nov 2010 am 16. 2. 2011 die Sammlung oder Behandlung nicht gefährlicher Abfälle erlaubnispflichtig. Für die Erteilung der Erlaubnis ist der LH zuständig, in dessen Bundesland der Abfallsammler oder -behandler seinen Sitz hat.6) Der Antrag kann über das EDM-Register gestellt werden.7) Über den Antrag hat der LH innerhalb von drei Monaten mit Bescheid abzusprechen.8) Um eine entsprechende Erlaubnis zu erlangen, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein (§ 24 a Abs 3): & Fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten hinsichtlich der beantragten Abfälle (Z 4): Diese sind laut den Gesetzesmaterialien9) jedenfalls erfüllt, wenn entweder eine 5-jährige einschlägige Berufserfahrung vorliegt oder eine einschlägige Schulung, der Abschluss einer einschlägigen Schule (zB Umwelttechnik-HTL) oder eines Studiums nachgewiesen werden kann. Eine zusätzliche Prüfung – wie sie für die Sammlung oder Behandlung gefährlicher Abfälle vorgesehen ist – ist nicht erforderlich. & Verlässlichkeit (Z 5): Keinesfalls als verlässlich gilt eine Person, der die Erlaubnis als Abfallsammler oder -behandler oder als abfallrechtlicher Geschäftsführer innerhalb der letzten fünf Jahre entzogen wurde oder die dreimal wegen bestimmter Verwaltungsübertretungen (insb GewO, WRG) bestraft worden ist.10) Vergleicht man jedoch die Anforderungen mit jenen für Sammler oder Behandler gefährlicher Abfälle,11) so sind die Maßstäbe für Sammler oder Behandler nicht gefährlicher Abfälle wesentlich weniger streng. & (Zwischen-)Lagerung in geeigneten genehmigten (Zwischen-)Lagern (Z 6): Der Besitz bzw die Genehmigung eines eigenen Zwischenlagers ist nicht erforderlich. Vielmehr muss laut Gesetzesmaterialien vertraglich sichergestellt sein, dass die Möglichkeit der Zwischenlagerung jederzeit und in einem ausreichenden Ausmaß besteht. & Behandlung in einer geeigneten genehmigten Behandlungsanlage oder an einem für diese Behandlung geeigneten Ort (Z 7): Der Betrieb einer geeigneten genehmigten Behandlungsanlage ist für nicht gefährliche Abfälle nicht unbedingt erforderlich. Die Gesetzesmaterialien betonen, dass gleichzeitig mit dem Erlaubnisantrag ein Antrag auf Genehmigung einer Behandlungsanlage gestellt werden kann.
C. Verantwortliche Person Wird die Tätigkeit von einer nicht natürlichen Person ausgeübt, besteht die Pflicht, dem LH eine „verantwortliche Person“ namhaft zu machen. Diese Person muss über die persönlichen Voraussetzungen für die Erlaubnis (fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten, Verlässlichkeit) verfügen.12) Als verantwortliche Person wird idR der handelsrechtliche Geschäftsführer oder ein verantwortlicher Beauftragter gem § 9 VStG fungieren. Für juristische Personen, die bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der AWG-Nov 2010 die Tä368 ecolex 2011
tigkeit der Sammlung und Behandlung nicht gefährlicher Abfälle rechtmäßig ausgeübt haben, gilt eine Übergangsfrist: Die verantwortliche Person ist bis zum 31. 1. 2012 namhaft zu machen.13)
D. Ausnahmen von der Erlaubnispflicht Das AWG nützt die von der AbfRRL vorgegebenen Spielräume und sieht ua folgende Ausnahmen von der Erlaubnispflicht14) vor: & Personen, die ausschließlich im eigenen Betrieb anfallende Abfälle behandeln. Diese Ausnahme gilt jedoch nicht für die Verbrennung und Ablagerung von Abfällen; & Transporteure, soweit sie Abfälle im Auftrag des Abfallbesitzers nur befördern; & Gebietskörperschaften und Gemeindeverbände, soweit sie zur Sammlung und Abführung nicht gefährlicher Abfälle gesetzlich verpflichtet sind; & Deponieinhaber hinsichtlich der Übernahme von Abfällen, für die er eine Einzelchargen- oder Prozessausstufung gem § 7 Abs 5 anzeigt; & Sammel- und Verwertungssysteme; & Personen, die erwerbsmäßig Produkte abgeben in Bezug auf die Rücknahme von Abfällen gleicher oder gleichwertiger Produkte, die dieselbe Funktion erfüllen, zur Weitergabe an einen berechtigten Abfallsammler oder -behandler.15)
E. Bestehende Berechtigungen Abfallsammler und -behandler mit einer aufrechten Berechtigung zur Sammlung oder Behandlung von gefährlichen oder nicht gefährlichen Abfällen können beruhigt ihre Tätigkeiten fortsetzen, gelten doch ihre derzeit bestehenden Berechtigungen nunmehr als Erlaubnis iSd § 24 a AWG.16) Die durch die AWG-Nov 2010 bewirkte Umstellung bietet jedoch eine gute Gelegenheit, den Umfang bestehender Berechtigungen zu überprüfen und ggf entsprechende Ergänzungen vorzunehmen.
6) 7) 8) 9) 10) 11) 12) 13) 14) 15)
§ 24 a Abs 4 AWG. § 24 a Abs 1 AWG. § 25 a Abs 1 AWG. ErläutRV 1005 BlgNR 24. GP. Vgl § 25 a Abs 3 AWG. Vgl § 25 a Abs 4 AWG. § 26 Abs 6 AWG. § 78 Abs 16 AWG. § 24 a Abs 2 AWG. Die Rücknahme und Weitergabe der genannten Abfälle umfasst nach den Gesetzesmaterialien die Entgegennahme, die Zwischenlagerung und die Weitergabe dieser Abfälle an einen befugten Abfallsammler oder -behandler. Diese Ausnahme umfasst damit zB einen Dachdecker im Hinblick auf Abfälle von Dachziegeln. Nicht relevant ist dabei die Art der Dachziegel bzw aus welchem Material diese bestehen. Handwerker gelten idR als erlaubnisfreie Rücknehmer. 16) § 78 Abs 15 AWG.
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Mit der AWG-Nov 2010 wurde auch für die Tätigkeit als Abfallsammler oder -behandler nicht gefährlicher Abfälle eine Erlaubnispflicht eingeführt. Abfallsammler und -behandler mit einer aufrechten
Berechtigung können jedoch erleichtert aufatmen, ihre derzeit bestehenden Berechtigungen sind weiterhin gültig.
RECHTSPRECHUNG
Kostenfolgen der Ersatzvornahme und Schonungsprinzip 1. Die ursprünglich eingeräumte Wahlmöglichkeit zwischen mehreren Arten der Realisierung der aufgetragenen Leistung wird dem Verpflichteten durch die zwangsweise Vollstreckung aus der Hand genommen; ein Einfluss auf die Durchführung der Ersatzvornahme steht dem Verpflichteten nicht zu (vgl VwGH 20. 3. 1972, 1812/71; 13. 12. 1983, 83/05/0144; 30. 6. 1992, 89/07/0155). 2. Es steht dem Verpflichteten frei, vor Beginn der Ersatzvornahme durch das von der Beh beauftragte Unternehmen die im Titelbescheid vorgeschriebene Leistung selbst zu erbringen und so die Notwendigkeit der Ersatzvornahme mit ihren Kostenfolgen zu vermeiden (vgl VwGH 19. 3. 2002, 2000/10/0015 ua). 3. In den Anwendungsfällen des § 4 Abs 1 VVG trägt der Verpflichtete insoweit das Risiko erhöhter Aufwendungen, als er es als Folge seiner Säumnis hinnehmen muss, wenn die Kosten der Vollstreckung im Wege der Ersatzvornahme für nach dem Titelbescheid erforderliche und auch tatsächlich verrichtete Arbeiten sich insgesamt auf einen höheren Betrag belaufen, als dies der Fall gewesen wäre, wenn sich die Notwendigkeit eines behördlichen Einschreitens nicht ergeben hätte (vgl VwGH 21. 5. 1992, 92/06/ 0025; 23. 2. 1995, 94/06/188; 20. 12. 2002, 2002/ 05/0770). 4. Bei Erlassung eines Vorauszahlungsauftrags gem § 4 Abs 2 VVG ist die wirtschaftliche Lage eines Verpflichteten nicht zu berücksichtigen (vgl VwGH 29. 5. 2000, 2000/10/0074). 5. Die Erlassung eines Kostenvorauszahlungsauftrags sieht lediglich das Vorliegen einer Androhung der Ersatzvornahme, nicht aber deren Anordnung voraus (vgl VwGH 30. 3. 1992, 91/10/0102). Grds müssen sich aus der Begründung schon wegen der nachprüfenden Kostenschätzung ganz konkret die vorzunehmenden Maßnahmen ergeben; eine Bindung für die Ersatzvornahme tritt dadurch jedoch nicht ein (vgl VwGH 12. 6. 1990, 89/05/0186, 0187).
Anmerkung: Das vorliegende Erk rekapituliert wissenswerte Grundsätze aus der bisherigen Rsp zur Ersatzvornahme, zur begrenzten Einflussmöglichkeit und zum wirtschaftlichen Risiko des Verpflichteten sowie zum Verhältnis zwischen
Kostenvorauszahlungsauftrag und Anordnung der Ersatzvornahme. Der Bf brachte vor, es widerspreche dem Schonungsprinzip gem § 2 Abs 1 VVG, wenn die Beh bei einer bescheidmäßig eingeräumten Wahlmöglichkeit zwischen mehreren Arten der Realisierung der aufgetragenen Leistung (hier: entweder Entsorgung oder ordnungsgemäße Verwertung konsenslos geschütteter Baurestmassen) nicht jene Art der Ersatzvornahme wähle, die das gelindeste noch zum Ziel führende Zwangsmittel darstelle. Nach Ansicht des Bf hätte die Vollstreckungsbehörde die Kostenschätzung nicht von einem Konkurrenzunternehmen und insb nicht auf Basis der teureren Entsorgung, sondern auf einer solchen der wesentlich kostengünstigeren Wiederverwertung einholen und dem Kostenvorauszahlungsauftrag zugrunde legen müssen. Demgegenüber folgerte der – die Beschwerde gem § 42 Abs 1 VwGG abweisende – VwGH, es könne keine Rede davon sein, dass die Beh im vorliegenden Fall eine schonendere Variante der Ersatzvornahme hätte wählen müssen. Der Titelbescheid räume nämlich keine gänzlich freie Wahlmöglichkeit zwischen mehreren Methoden der Behebung eines Missstands ein, zumal nicht jeder zu beseitigende Abfall auch auf zulässige Weise entsorgt werden könne. Erst im Zuge der Vollstreckung – nach Auskofferung des Materials und Feststellung seiner Zusammensetzung – könne im Detail beurteilt werden, ob eine Verwertung überhaupt möglich ist. Die bel Beh hätte nur dann eine Kostenschätzung im Hinblick auf eine Verwertung des gesamten Materials vornehmen können, wenn es Indizien für eine gänzliche Verwertbarkeit des Materials gegeben hätte. Vor dem Hintergrund der Ermittlungsergebnisse im Titelverfahren sei es jedoch zulässig, wenn die Kostenschätzung lediglich von einem geringen Anteil an wiederverwertbarem Material ausgehe. Die Begründung des angefochtenen Kostenvorauszahlungsauftrags stütze sich auf das „bei der Vollstreckung aller Wahrscheinlichkeit nach vorliegende Szenario“. Eine Bindung für die Ersatzvornahme bestehe dadurch freilich nicht. Sollte das wiederverwertbare Material entgegen der derzeitigen Annahme einen höheren Anteil aufweisen, wäre – so der VwGH in einem Obiter Dictum – „der überhöht angenommene Teil der Kostenvorauszahlung an den Bf rückzuerstatten“. Edmund Primosch
§ 2 Abs 1, § 4 VVG VwGH 18. 11. 2010, 2010/07/0119
2011/149
Dr. Edmund Primosch arbeitet beim Amt der Kärntner Landesregierung (Abt 1 – Landesamtsdirektion) in Klagenfurt am Wörthersee.
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ÖFFENTLICHES WIRTSCHAFTSRECHT
Gewerbsmäßige Kfz-Transporte von Kranken und Menschen mit Behinderung § 2 Abs 1 GelVerkG; § 1 Abs 2 und 6 GewO 1994 VwGH 20. 12. 2010, 2009/03/0028
2011/150
1. Nach § 2 Abs 1 GelVerkG bedarf auch die gewerbsmäßige Beförderung von Kranken und Behinderten mit Kfz im Umfang des § 1 Abs 1 GelVerkG einer entsprechenden Gewerbeberechtigung (Konzession). 2. Nach stRsp des VwGH kommt es bei Beurteilung der Frage, ob die von einem nach dem VereinsG 2002 (früher VereinsG 1951) konstituierten Verein entfaltete Tätigkeit der GewO 1994 unterliegt, nicht darauf an, ob der Verein tatsächlich Gewinn erzielt. Entscheidend ist vielmehr, ob die Absicht besteht, einen Ertrag oder sonstigen wirtschaftlichen Vorteil zu erzielen. 3. Ist die Gebarung eines Vereins mit dem Bemühen verbunden, Auslagen gering zu halten oder unter Umständen zu vermeiden, und im Übrigen dahin ausgerichtet, Einnahmen lediglich in der Höhe der aus der Verwirklichung der ideellen Vereinszwecke zwangsläufig erwachsenden Auslagen zu erzielen, so liegt eine solche Ertragserzielungsabsicht nicht vor. Umgekehrt mangelt aber nicht jeder Vereinstätigkeit, deren Erträgnisse der Verminderung des Gesamtaufwands eines Vereins dienen, schon allein im Hinblick auf diese Eigenschaft die Gewerbsmäßigkeit. Entscheidend ist vielmehr, ob jene Vereinstätigkeit, in deren Rahmen Einkünfte erzielt werden, in der Absicht betrieben wird, einen mit dieser Tätigkeit im Zusammenhang stehenden Aufwand übersteigenden Ertrag zu erzielen. Bei Beurteilung der Ertragsabsicht ist also unter dem Gesichtspunkt des § 1 Abs 2 GewO 1994 nicht die Gesamtgebarung des Vereins, sondern nur die mit dem jeweils in Rede stehenden Aspekt der Vereinstätigkeit verbundene diesbezügliche Absicht zu berücksichtigen (arg: Ertragsabsicht „im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit“ in § 1 Abs 2 GewO). Sollen mit den für die Leistungen des Vereins eingehobenen Entgelten auch Kosten des Vereins iZm anderen Vereinstätigkeiten abgedeckt werden, so liegt die Ertragsabsicht vor (vgl etwa VwGH 23. 10. 1995, 93/04/0110 mwN; idS auch Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur GewO 19942 [2002] § 1 Rz 14). In Fällen, in denen Vereine durch die Entfaltung einer (wirtschaftlichen) Tätigkeit Einnahmenüberschüsse erzielen wollen, die dann zur Finanzierung anderer – rein ideeller – Aktivitäten verwendet werden sollen, bedarf es dementsprechend einer Gewerbebe-
rechtigung (vgl auch Schulev-Steindl, Idealvereine und Gewerberecht, ecolex 1994, 10).
Anmerkung: Im Beschwerdefall wurde es dem Obmann eines Vereins als Verwaltungsübertretung nach dem GelVerkG zur Last gelegt, gewerbsmäßig Kranken- und Behindertentransporte durchgeführt zu haben, ohne über die hiefür erforderliche Gewerbeberechtigung zu verfügen. Für die im Schnitt täglich etwa 25 bis 30 Fahrten seien Beförderungsentgelte tariflich mit den Sozialversicherungsanstalten abgerechnet worden. Diese hätten die einzige Einnahmequelle des Vereins dargestellt, welcher statutengemäß die „Durchführung von humanitären und anderen Hilfeleistungen gegenüber allen Menschen, die der Hilfe bedürfen, ohne Ansehen ihrer politischen, rassischen, nationalen oder religiösen Zugehörigkeit“ mit einer Bandbreite an Vereinstätigkeiten bezwecke. Im Deliktzeitraum habe der Verein nach den von ihm vorgelegten Saldenlisten und der Einnahmen- und Ausgabenrechnung einen Gewinn erzielt. Der Bf bestritt die Gewerbsmäßigkeit der Beförderungsleistungen unter Hinweis darauf, dass der Verein keine Ertragsabsicht habe. Es werde lediglich kostendeckend gearbeitet; allfällige Überschüsse würden investiert, um Kosten von anderen Vereinstätigkeiten abzudecken. Demgegenüber geht der – die Beschwerde als unbegründet abweisende – VwGH davon aus, dass die Ertragsabsicht fallbezogen zu bejahen sei, weil mit den Einnahmen aus den Kranken- und Behindertentransporten Kosten des Vereins iZm anderen Vereinstätigkeiten beglichen werden sollen. Daran ändere auch nichts, dass zurzeit tatsächlich keine Einnahmen erzielt werden, die für andere Vereinszwecke genützt werden können. Der VwGH merkt an, dass sich aus der gesetzlichen Vermutung des § 1 Abs 6 GewO 1994, aus den entsprechenden Gesetzesmaterialien und aus der E OGH 12. 11. 1997, 4 Ob 216/97 m, kein „allgemein gültiger Rechtssatz ableiten lässt, wonach einem Verein, dessen Tätigkeit sich tatsächlich in (mit den Sozialversicherungsanstalten tariflich abgerechneten) Kranken- und Behindertentransporten erschöpft, offenkundig die Ertragsabsicht fehlt. Eine solche Sichtweise wäre daher unzutreffend und mit dem G nicht in Einklang zu bringen“. Edmund Primosch
Barrierefreiheit einer Außenaufzugsanlage § 4 Z 5, § 13 Abs 8 Stmk BauG VwGH 23. 11. 2010, 2009/06/0081
2011/151
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Von einer barrierefrei ausgebildeten Außenaufzugsanlage kann nur gesprochen werden, wenn auch ihr Zugang barrierefrei möglich ist.
Z 5 Stmk BauG definiert „Barrierefreiheit“ als bauliche Gestaltung, die notwendig ist, um die unterschiedlichen physischen Möglichkeiten aller Menschen in der gebauten Umwelt besser berücksichtigen zu können.
Anmerkung:
Zweck und systematischer Zusammenhang dieser Best sind nach Ansicht des VwGH dahin zu verstehen, dass der Begriff der barrierefrei ausgebildeten Außenaufzugsanlage, die ein Nachbar im Abstandsbereich hinnehmen muss, auch auf ihre Zugänglichkeit zu beziehen ist. Es könne nämlich dem Gesetzgeber nicht zugesonnen
Nach § 13 Abs 8 Stmk BauG idF Nov LGBl 2008/27 kann die Beh geringere Abstände von den Nachbargrundgrenzen und Nachbargebäuden ua für barrierefrei ausgebildete Außenaufzugsanlagen zur Personenbeförderung als Zubau zu bestehenden Gebäuden zulassen. § 4
ÖFFENTLICHES WIRTSCHAFTSRECHT
werden, gewollt zu haben, dass eine Aufzugsanlage nur theoretisch eine Größe zur Beförderung eines behinderten Menschen mit Rollstuhl aufweist, jedoch diesem nicht zugänglich ist. Im Beschwerdefall erwies sich das Vorbringen der Nachbarn, eine Barrierefreiheit der Aufzugsanlage sei zum Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung nicht
gegeben gewesen, als zielführend. Der angefochtene Bescheid, der das Nachbarrecht auf Einhaltung des Grenzabstands gem § 13 Stmk BauG verletzt, wurde gem § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben. Der dem Leitsatz zugrunde liegende Gedanke erscheint verallgemeinerungsfähig. Edmund Primosch
D
NEUES AUS EUROPA Aktuelle Rechtsetzung und Entscheidungen der EU
EUROPA GELEITET VON B. ZÖCHLING-JUD
WOLFGANG URBANTSCHITSCH / EDITH HOFER
Zahlungsverkehr RL 2011/7/EU des EP und des Rates vom 16. 2. 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, ABl L 2011/48, 1 D Die RL 2000/35/EG zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr1) wird in wesentlichen Punkten geändert und nun neu gefasst. Sie ist auf alle Zahlungen, die als Entgelt im Geschäftsverkehr zu leisten sind, anzuwenden und hat zum Ziel, zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts beizutragen. Die MS haben sicherzustellen, dass im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen der Gläubiger Anspruch auf Verzugszinsen hat, ohne dass es einer Mahnung bedarf. Voraussetzung dafür ist, dass der Gläubiger seine vertraglichen und gesetzlichen Verpflichtungen erfüllt und er den fälligen Betrag nicht rechtzeitig erhalten hat, es sei denn, dass der Schuldner für den Zahlungsverzug nicht verantwortlich ist. Der Gläubiger hat Anspruch auf Verzugszinsen ab dem Tag, der auf den vertraglich festgelegten Zahlungstermin oder das vertraglich festgelegte Ende der Zahlungsfrist folgt. Für den Fall, dass der Zahlungstermin oder die Zahlungsfrist nicht vertraglich festgelegt ist, hat der Gläubiger Anspruch auf Verzugszinsen nach Ablauf von in der RL näher bestimmten Fristen (vgl dazu Art 3 Abs 3 lit b RL). Als Bezugszinssatz dient der am 1. 1. bzw am 1. 7. geltende Zinssatz. Sonderregelungen gibt es für den Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen. Unberührt bleibt die Möglichkeit der Vertragsparteien, Ratenzahlungen zu vereinbaren. Sie haben überdies sicherzustellen, dass in Fällen, in denen im Geschäftsverkehr Verzugszinsen zu zahlen sind, der Gläubiger gegenüber dem Schuldner einen Anspruch auf Zahlung eines Pauschalbetrags von mindestens E 40,– hat. Weitere Regelungen betreffen nachteilige Vertragsklauseln und Praktiken, den Eigentumsvorbehalt sowie Beitreibungsverfahren für unbestrittene Forderungen.
Die Mehrzahl der Regelungen ist bis zum 16. 3. 2013 umzusetzen.
Unternehmensrecht
Europaweite Verknüpfung der Unternehmensregister wird grenzübergreifenden Handel beleben und alljährlich Einsparungen von bis zu 70 Mio Euro ermöglichen, IP/11/221 D Die Kom hat einen Vorschlag zur Verknüpfung der Unternehmensregister in der EU vorgelegt. Der RLVorschlag2) wird den grenzübergreifenden elektronischen Zugriff auf Unternehmensinformationen erleichtern, indem sie sicherstellt, dass Unternehmensregister auf aktuellem Stand gehalten werden und Unternehmensinformationen leichter und schneller verfügbar sind. Diese Veränderungen sind für Unternehmen, die in der EU Zweigniederlassungen errichten, grenzübergreifend Handel treiben oder Dienstleistungen erbringen, von zentraler Bedeutung.
Dr. Wolfgang Urbantschitsch leitet die Abteilung Recht der Energie-Control GmbH in Wien. Mag. Edith Hofer arbeitet als Nationale Expertin in der Generaldirektion Energie der Europäischen Kommission. 1) RL 2000/35/EG des EP u des Rates v 29. 6. 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, ABl L 2000/200, 35. 2) Vorschlag für eine RL des EP und des Rates zur Änderung der RL 89/ 666/EWG, 2005/56/EG und 2009/101/EG in Bezug auf die Verknüpfung von Zentral-, Handels- und Gesellschaftsregistern.
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Der Austritt aus der Europäischen den Vertrag von Lissabon wurde der Austritt aus der Union Union Durch primärrechtlich geregelt. Der vorliegende Beitrag bietet einen ersten Überblick über die neue Bestimmung. JENS BUDISCHOWSKY
B. Austrittsmitteilung
nen ist, ist mE die Prüfung, ob das nach nationalem Verfassungsrecht zuständige Organ die Erklärung abgegeben hat, jedenfalls zulässig.6) Die in Art 50 Abs 2 EUV angesprochene „Absicht“ aus der Union auszutreten ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, dh ihre Rechtsfolgen (zB der Beginn der zweijährigen Frist gem Art 50 Abs 3 EUV) treten ein, wenn sie beim Europäischen Rat eingegangen ist.7) Im Übrigen ist die Austrittserklärung mangels einer anders lautenden Vorschrift formfrei. Die Austrittserklärung ist nicht an Voraussetzungen und Bedingungen gebunden; den austretenden Staat treffen keine Begründungspflichten, die Erfüllung von Kündigungsgründen ist ebenso wenig erforderlich wie das Durchlaufen eines Schlichtungsverfahrens. Auch der Abschluss eines Austrittsabkommens ist für den Austritt nicht notwendig: Dies ergibt sich aufgrund Art 50 Abs 3 EUV, dem zufolge die Verträge zwei Jahre nach der Mitteilung keine Anwendung auf den betroffenen Staat finden, und zwar auch dann, wenn ein Austrittsabkommen nicht zustande kommt (sog „sunset-clause“). Versuche von Teilen der Lehre, aufgrund der Rechtsstellung der Bürger, der Unionstreue und der Solidarität dieses Austrittsrecht an das Vorliegen von Kündigungsgründen oder an den Abschluss des Austrittsabkommens zu binden,8) scheitern am diesbezüglich eindeutigen Wortlaut des Art 50 EUV, am Willen des historischen Gesetzgebers und an der Systematik des Primärrechts: & Die Konventsmitglieder haben die Verankerung von Beschränkungen des Austrittsrechts diskutiert (zB Bindung des Austritts an den Abschluss eines Austrittsabkommens, Beschränkung des Austritts-
Art 50 EUV bezieht sich nur auf Mitgliedstaaten. Das Ausscheiden von Gebietsteilen von Mitgliedstaaten aus dem Geltungsbereich der Verträge (zB Grönland 1985) gilt ebenso wenig als Austritt iSd Art 50 EUV wie die Gründung eines unabhängigen Staates auf dem Territorium eines Mitgliedstaates (zB Algerien 1962).3) Der Beschluss eines Staates, aus der Union auszutreten, muss „im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften“ stehen. Wie weit der Union die Befugnis zusteht, die Einhaltung dieser Voraussetzungen zu prüfen, ist in der Lit umstritten: Die Ansichten reichen dabei von einer umfassenden Befugnis – die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Bestimmungen wäre für die Gültigkeit des Austritts beachtlich4) – bis hin zur generellen Verneinung diesbezüglicher Kompetenzen der Union.5) Um sicherzustellen, dass die Austrittserklärung dem jeweiligen MS zuzurech-
DDr. Jens Budischowsky ist Jurist am österreichischen Rechnungshof. Die Ausführungen geben die persönliche Meinung des Autors wieder. 1) ABl C 2010/83, 13 (43); eine entsprechende Regelung hatte der Vertragsentwurf über eine Verfassung für Europa (Art I-60, ABl C 2004/ 310, 40) enthalten. 2) ZB Hummer, Zum weiteren Schicksal des Vertrags über eine Verfassung für Europa, JRP 2005, 269 ff mwN. 3) Booß in Lenz/Borchardt (Hrsg), EU-Verträge5 (2009) Art 50 EUV Rz 7. 4) Zur vergleichbaren Bestimmung bei Vertragsänderungen: Meng in Groeben/Schwarze (Hrsg), Kommentar zum EUV und EGV6 (2003) Art 48 EUV Rz 77. 5) BVerfGE 123, 267 (396). 6) Calliess in Calliess/Ruffert (Hrsg), Verfassung der EU I (2006) Art I-60 VVE Rz 11. 7) Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3 (1984) § 665. 8) Gold, Voraussetzungen des freiwilligen Austritts aus der Union nach Art I-60 Verfassungsvertrag, in Niedobitek/Ruth (Hrsg), Die neue Union (2007) 59 ff.
A. Allgemein Im Rahmen des Vertrags von Lissabon wurde eine Bestimmung über den Austritt eines Mitgliedstaats aus der Union in Art 50 EUV eingefügt.1) Damit wurde eine Regelung über eine in der Lit lange umstrittene Frage getroffen.2) Gem Art 50 EUV kann jeder Mitgliedstaat im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der Union auszutreten. Zu diesem Zweck teilt der austrittswillige Staat dem Europäischen Rat seine Absicht mit. Dieser erarbeitet Leitlinien, auf deren Grundlage die Union „mit diesem Staat ein Abkommen über die Einzelheiten des Austritts (aushandelt) und schließt das Abkommen, wobei der Rahmen für die künftigen Beziehungen dieses Staates zur Union berücksichtigt wird“. Das Abkommen wird gem Art 218 Abs 3 AEUV ausgehandelt; es wird im Namen der Union vom Rat geschlossen, der mit qualifizierter Mehrheit nach Zustimmung des EP beschließt. Das Unionsrecht findet auf den betroffenen Staat ab dem Inkrafttreten des Austrittsabkommens oder zwei Jahre nach der Austrittsmitteilung keine Anwendung mehr, wobei diese Frist vom Europäischen Rat – der Beschluss darüber ist einstimmig zu fassen – im Einvernehmen mit dem betroffenen Mitgliedstaat verlängert werden kann. Ein Staat, der aus der Union ausgetreten ist und erneut Mitglied werden möchte, muss dies nach dem Verfahren des Art 49 EUV beantragen. Das Austrittsverfahren lässt sich in drei Teile gliedern: Mitteilung, Vollzug und Folgen des Austritts.
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rechts auf Ausnahmesituationen), letztlich allerdings darauf verzichtet.9) & Die Annahme derartiger Pflichten setzt zudem voraus, dass „unwichtigere“ Bestimmungen (hier: Art 50 EUV) „wichtigeren“ (zB die Unionstreue oder das Solidaritätsprinzip) entsprechen müssten. Ein derartiger Stufenbau nach der derogatorischen Kraft innerhalb des Primärrechts lässt sich aus dem positiven Recht allerdings nicht ableiten.10) Zudem wäre das Recht der Mitgliedstaaten, das Unionsrecht in jede Richtung abzuändern („Herrn der Verträge“), in Frage gestellt. Der Austritt muss freiwillig, dh vom Willen des jeweiligen Staates getragen sein. Damit unterscheidet sich der Austritt gem Art 50 EUV von Ausschluss (der nach der hL europarechtlich nicht zulässig ist).11) Dass einem bestimmten Mitglied das Ausscheiden aus der Union nahe gelegt wird, schließt die Freiwilligkeit nicht aus. Eine Grenze ist jedenfalls dort zu ziehen, wo Zwang gegen Staaten oder Staatenvertreter ausgeübt wird (Art 51 und 52 WVRK). Art 50 EUV lässt die Frage offen, ob eine einmal abgegebene Kündigung wieder zurückgenommen werden kann. Dies ist mE zu verneinen: hätten die Mitgliedstaaten eine einseitige Rücknahme12) oder einen Widerruf im Konsens mit der Union ermöglichen wollen, hätten sie zumindest Zuständigkeits- und Verfahrensregelungen getroffen. Das Schweigen der zit Bestimmung zu diesen wesentlichen Fragen lässt den Schluss zu, dass die Mitgliedstaaten die Rücknahme einer Kündigung nicht zulassen wollten. Eine einmal abgegebene Kündigung führt somit jedenfalls zum Ausscheiden des jeweiligen Staates aus der Union.13) Art 50 EUV sieht zwei Rechtsfolgen der Austrittsmitteilungen vor: Die Zwei-Jahresfrist für das Wirksamwerden der Kündigung beginnt zu laufen; das Mitglied des Europäischen Rates bzw Rates, das den austretenden Mitgliedstaat vertritt, nimmt an den diesen betreffenden Beratungen und der Beschlussfassung des Europäischen Rates bzw Rates nicht teil. E contrario bedeutet dies, dass der austretende Staat in allen anderen Angelegenheiten sein Mitbestimmungsrecht behält (ob allerdings von diesem Staat eine konstruktive Mitwirkung erwartet werden kann, muss offen bleiben). Unberührt bleiben zudem die Rechte anderer „Funktionäre“, die dem austrittswilligen Staat zuzurechnen sind, zB die Mitglieder des Europäischen Parlaments. Durch den Austritt wird Primärrecht geändert: jedenfalls betroffen ist die Bestimmung über den geografischen Anwendungsbereich der Verträge (Art 52 EUV). Im Stufenbau nach der derogatorischen Kraft ist daher die Austrittserklärung als Teil des Primärrechts anzusehen.
C. Vollzug des Austritts 1. Austrittsfrist Die Kündigung muss zwar nicht begründet werden, sie wird allerdings erst nach einer bestimmten Frist wirksam. Art 50 Abs 3 EUV normiert eine Kündigungsfrist, die – sofern ein Austrittsabkommen nicht
abgeschlossen wird – grundsätzlich zwei Jahre beträgt. Diese Frist kann abgeändert werden: & Das Austrittsabkommen kann sein Inkrafttreten selbst regeln und damit die Dauer zwischen Austrittserklärung und Wirksamkeit des Austritts festlegen. Voraussetzung ist allerdings, dass das Abkommen innerhalb der Zweijahresfrist oder einer allenfalls verlängerten Frist abgeschlossen wird, weil sonst der Austritt ohne Abkommen wirksam würde. & Der Europäische Rat und der betroffene Mitgliedstaat beschließen im Einvernehmen, die Zweijahresfrist zu verlängern. Der Rat beschließt dabei einstimmig, faktisch bedarf die Fristverlängerung daher der Zustimmung aller Mitgliedstaaten.
2. Austrittsabkommen Das Austrittsabkommen regelt gem Art 50 Abs 2 EUV „die Einzelheiten des Austritts“ und den „Rahmen für die künftigen Beziehungen dieses Staates zur Union“. Nachdem der Austritt jedenfalls zwei Jahre nach der Austrittsmitteilung an den Europäischen Rat wirksam wird, ist klargestellt, dass er des Abschlusses eines Austrittsabkommens nicht bedarf. Das Abkommen ist somit nicht actus contrarius des Beitritts zur Union. Aufgrund der sehr rudimentären Regelung der Austrittsfolgen in Art 50 Abs 3 EUV ist ein Abkommen zur Regelung der Details der Austrittsfolgen allerdings de facto unumgänglich (siehe unten). Das Austrittsabkommen bezieht sich auf das bilaterale Verhältnis zwischen der Union und dem ausgetretenen Staat, es ist daher konsequent, dass ausschließlich die Union und der austrittswillige Staat Vertragspartner werden, während die übrigen Mitgliedstaaten, die Vertragspartner des Beitrittsvertrags, nicht beteiligt sind. Über die Inhalte des Austrittsabkommens besteht in der Lehre keine Einigkeit. Dabei ist insb die Frage umstritten, ob es auch Änderungen des Primärrechts enthalten darf: & Aus der Perspektive der Rechtssicherheit sollte das Austrittsabkommen möglichst umfassend sein und alle Aspekte des Ausscheidens eines Staates aus der Union regeln. Dazu zählen etwa auch institutionelle Anpassungen (Zusammensetzung der Organe, Stimmgewichte, Quoren etc) oder Details des Ausscheidens aus gemischten Abkommen 9) CONV 672/03, 3, 10 ff; 696/03, 10; 779/03, 31 f; vgl Haratsch, Titel IX: Zugehörigkeit zur Union, in Höreth/Janowski/Kühnhardt (Hrsg), Die Europäische Verfassung (2005) 281. 10) Zutr Nettesheim, Normenhierarchien im EU-Recht, EuR 2006, 737 (740). 11) Booß in Lenz/Borchardt, EU-Verträge Art 50 EUV Rz 6; aA Schweitzer/Hummer/Obwexer, Europarecht (2007) Rz 145. 12) Art 68 WVRK, der eine einseitige Rücknahmemöglichkeit von Kündigungserklärungen vorsieht, ist mangels Ratifikation der Konvention durch alle Mitgliedstaaten auf Revisionsverträge gem Art 48 EUV nicht anwendbar: Haratsch/Schmahl, Die Anwendung ratione temporis der Wiener Konvention über das Recht der Verträge, ZÖR 58 (2003) 119 ff. 13) Der ehemalige Mitgliedstaat kann seine Wiederaufnahme in die Union gem Art 49 EUV beantragen (Art 50 Abs 5 EUV).
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der Union und ihrer Mitgliedstaaten mit Drittstaaten und Internationalen Organisationen.14) & Das Austrittsabkommen bezieht sich auf das bilaterale Verhältnis zwischen der Union und dem ausgetretenen Staat. Regelungen, die sich nicht auf dieses Verhältnis, sondern auf das Verhältnis der verbliebenen Mitgliedstaaten untereinander oder zur Union beziehen, dürften in das Abkommen nicht aufgenommen werden. Dazu zählen insb Änderungen der Verträge, diese sind einem Revisionsvertrag gem Art 48 EUV vorbehalten.15) Während hinsichtlich des Austritts „die Einzelheiten“ zu regeln sind, ist hinsichtlich der Beziehungen des ausgetretenen Staates zur Union nur „der Rahmen“ zu regeln. In der Lit wurde deshalb die Meinung vertreten, dass Details der Beziehungen des ausgetretenen Staates zur Union in separaten Abkommen festzulegen sind.16) Über die Beziehungen des ausgetretenen Staates zur Union schweigt Art 50 EUV. Möglich sind daher ua Assoziationen wie der EWR, bilaterale Vertragsverhältnisse nach dem Vorbild der Schweiz oder Abkommen über die Nachbarschaft (Art 8 EUV).17)
D. Rechtsfolgen des Austritts Art 50 Abs 3 EUV umschreibt die Rechtsfolgen des Austritts ohne Abschluss eines Austrittsabkommens knapp:18) „Die Verträge finden auf den betroffenen Staat (. . .) keine Anwendung mehr.“ & Explizit angesprochen ist nur das Primärrecht (arg „Verträge“), erfasst ist allerdings auch das aufgrund der Verträge erlassene Sekundärrecht: Das Europarecht braucht von den nationalen Organen nicht mehr beachtet zu werden. Personen, die im ausgetretenen Staat leben, können sich diesem gegenüber nicht mehr auf die Grundsätze der unmittelbaren Wirkung des Europarechts und des Vorrangs vor nationalem Recht berufen. & Alle Kompetenzen, die im Zuge des Beitritts sowie der nachfolgenden Vertragsänderungen auf die Union übergegangen sind, fallen an den ausgetretenen Staat zurück. & Völkerrechtliche Verträge, die ausschließlich die Union abgeschlossen hat, gelten iSd Grundsatzes der beweglichen Vertragsgrenzen für den ausgetretenen Staat nicht mehr. Eine Notwendigkeit des Abkommens zur Anpassung besteht grundsätzlich nicht, kann sich jedoch aus dem Vertrag selbst ergeben.19) & Gemischte Verträge bleiben dagegen auch für den ausgetretenen Staat in Geltung: Die Vertragspartner brauchen den Austritt aus der Union nicht gegen sich gelten lassen. Es ist daher eine eigene Kündigung nach den Regeln des jeweiligen Abkommens erforderlich (zB Art 127 EWR-Abkommen), es sein denn, es existierte eine Klausel, die ein automatisches Ausscheiden vorsieht. & Unberührt bleibt das nationale Recht, das aufgrund von europarechtlichen Verpflichtungen erlassen worden ist. Es ist allerdings unionsrechtlich nicht mehr determiniert und kann im Rahmen der Verfassungs- und Rechtsordnung des ausgetretenen Staates in jede Richtung abgeändert werden. 374 ecolex 2011
Formal unberührt bleiben auch die Verträge im Verhältnis der verbleibenden Mitgliedstaaten untereinander. Sie müssen jedoch in Bezug auf den ausgetretenen Staat angepasst werden, Bestimmungen, die sich nur auf den ausgetretenen Staat beziehen, können gestrichen werden. Mit der Regelung des Art 50 Abs 3 EUV lassen sich somit grundlegende Aussagen über die rechtlichen Folgen des Austritts aus der Union treffen. Zahlreiche Detailfragen bleiben jedoch unbeantwortet. Dazu zählt etwa das Schicksal von Angehörigen des ausgetretenen Staates, die als „Funktionäre“ (zB Generalanwälte, Richter des EuGH) oder Beamte der Union tätig sind, die Teilnahme von Angehörigen des ausgetretenen Staates an Programmen der Union, die Verfahren gegen den ausgetretenen Staat vor den europäischen Gerichten, die Auflassung oder der Weiterbestand von Unionsbehörden, die im ausgetretenen Staat ihren Sitz haben, oder die Zahlung von ausstehenden Beiträgen durch den ausgetretenen Staat an die Union. Das Fehlen von einschlägigen Regelungen kann man aus der Sicht der Rechtsklarheit kritisieren.20) Die Konventsmitglieder waren sich der Problematik allerdings bewusst21) und haben offensichtlich mit Absicht auf eine Regelung verzichtet: Die Union und der austrittswillige Staat sollten aufgrund der rechtlichen Unwägbarkeiten eines Austritts unter Inanspruchnahme der sunset-clause zum Abschluss eines Austrittsabkommens bewogen werden, die Frist sollte lediglich die Ernsthaftigkeit der Verhandlungen auf beiden Seiten sicherstellen.
&
E. Exkurs: Austritt nur aus der EAG? Durch den Vertrag von Lissabon wurde das sog „Drei-Säulen-Modell“ aufgelöst, die Union wurde mit der EG fusioniert und deren Rechtsnachfolgerin; die Europäische Atomgemeinschaft (EAG) besteht seither neben der Union als internationale Organisation weiter. Gem Art 106 a EAGV22) gilt ua Art 50 EUV sinngemäß für die EAG. Ein Vorschlag des Juristischen Dienstes des Rates, die beiden Austrittsklauseln miteinander zu verbinden – ein Staat, der aus der Union austritt, würde automatisch auch aus der EAG austreten –, wurde nicht umgesetzt.23) Ein Austritt nur aus der EAG wurde aus politischen Gründen immer wieder gefordert, die Diskussion da14) Kumin, Vertragsänderungsverfahren und Austrittsklausel, in Hummer/ Obwexer (Hrsg), Der Vertrag von Lissabon (2010) 319. 15) Calliess, Die neue Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon (2010) 101 f; Heintschel von Heinegg in Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg), Europäischer Verfassungsvertrag (2008) Art I-60 VVE Rz 6. 16) Längle, Revisionsverfahren und Austritt, in Hummer/Obwexer (Hrsg), Der Vertrag über eine Verfassung für Europa (2007) 246. 17) Kumin, Vertragsänderungsverfahren 320. 18) Zu den Rechtsfolgen des Austritts allgemein vgl Waltemathe, Austritt aus der EU (2000) 199 f. 19) Vgl zum Beitritt Vedder in Grabitz/Hilf (Hrsg), Das Recht der Europäischen Union Art 49 EUV Rz 43. 20) Friel, Providing a Constitutional Framework for Withdrawal from the EU, International and Comparative Law Quarterly 2004, 426. 21) Zeh, Recht auf Austritt, ZEuS 2004, 206 f. 22) ABl C 2010/84, 43 idF Art 3 Protokoll Nr 2 des Vertrags von Lissabon (ABl C 2007/306, 199). 23) CIG 4/03, 544; vgl Längle, Revisionsverfahren 248 FN 38.
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rüber dürfte durch die neue Regelung intensiviert werden. Unproblematisch ist der Austritt aus der EAG ohne Austritt aus der Union im Wege eines Austrittsabkommens. Ob die Union eine derartige Vereinbarung akzeptiert, muss allerdings dahingestellt bleiben. Formal sind die Austrittsregelungen des EUV und des EAGV voneinander unabhängig, nach dem Wortlaut wäre daher auch ein einseitiger Austritt nur aus der EAG ohne Abschluss eines Austrittsabkommens zulässig. Unstrittig ist jedoch, dass ein solcher „Austritt à la carte“ ebenso wenig politisch gewollt ist, wie ein „Beitritt à la carte“.24) Gegen einen einseitigen Austritt nur aus der EAG bestehen Einwände: & Ein Teil der Lehre hält ein derartiges Vorgehen zwar für rechtlich zulässig, aufgrund der engen Verflechtung der Union und der EAG im Bereich der Institutionen, der Finanzen und des Personals jedoch für praktisch nicht durchführbar.25) & Eine Gegenmeinung hält einen einseitigen Austritt nicht nur praktisch für undurchführbar, sondern auch für rechtlich unzulässig: Der Verweis des Art 106 a EAGV auf Art 50 EUV verfolge lediglich den Zweck, den gleichzeitigen Austritt aus der
Union und der EAG zu ermöglichen.26) Belegen lässt sich diese These allerdings nicht, die Tatsache, dass ein in dieser Frage eindeutiger Regelungsvorschlag aus 2003 nicht umgesetzt wurde, spricht gegen sie. 24) Obwexer, Der Vertrag von Lissabon: Auswirkungen auf das öffentliche Recht Österreichs, in Öffentliches Recht. Jahrbuch 2008 (2008) 87; zum Beitritt nur zur Union Budischowsky in Mayer (Hrsg), Kommentar zu EUV, AEUV (2010 ff) Art 49 EUV Rz 17. 25) Längle, Revisionsverfahren 249 f. 26) Kumin, Vertragsänderungsverfahren 321 f. SCHLUSSSTRICH
Durch den Vertrag von Lissabon wurde eine Regelung über den Austritt von Mitgliedstaaten aus der Union durch einseitige Kündigung in das Primärrecht aufgenommen. Zur Lösung zahlreicher rechtlicher Probleme dürfte jedoch der Abschluss eines Austrittsabkommens erforderlich sein. Art 50 EUV lässt wesentliche Zweifelsfragen offen, wie etwa den möglichen Inhalt des Austrittsabkommens, die Zulässigkeit eines Widerrufs der Austrittsmitteilung oder den separaten Austritt aus der EAG ohne Austritt aus der Union.
Rechtsprechungsübersicht Europäische Gerichte Der Berichtszeitraum für die folgende Übersicht der wichtigsten Urteile in den Bereichen Freizügigkeit, Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit und Sozialpolitik ist August 2010 bis Januar 2011. SEBASTIAN BOHR / SUSANNE KÄMPFER
A. Freizügigkeit von Arbeitnehmern 1. Anerkennung von Diplomen Herr Koller (Kl) war nach Abschluss seines Studiums der Rechtswissenschaften mit dem Magistergrad nach Spanien gegangen, wo ihm nach Durchführung von Ergänzungsprüfungen sein österreichischer Titel als mit dem spanischen Titel gleichwertig anerkannt wurde. Die Rechtsanwaltskammer Madrid stellte ein Jahr später fest, dass er berechtigt sei, die Bezeichnung „abogado“ zu führen. Sein Antrag in Österreich, zur Eignungsprüfung für den Beruf des Rechtsanwalts zugelassen zu werden und sämtliche Prüfungsfächer erlassen zu bekommen, wurde abgelehnt. Der Gerichtshof hatte in der Rs C-118/09, Robert Koller v 22. 12. 2010 zu klären, ob im vorliegenden Fall die RL 89/48 über die Anerkennung von Hochschuldiplomen, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen,1) anwendbar ist. Er entschied, dass der Kl Inhaber eines Diploms iSd RL sei; er verfüge über die beruflichen Voraussetzungen, die für den Zugang zu einem reglementierten
Beruf in Spanien erforderlich sind.2) Der EuGH fügte hinzu, dass es den Behörden des AufnahmeMS verwehrt ist, den Kl nicht zur Eignungsprüfung zuzulassen, weil er die in diesem MS geforderte praktische Verwendung nicht absolviert hat.
2. Berufserfahrung Ein anderer Fall betraf den Umfang der Ausgleichsmaßnahmen iSd Art 4 der RL 89/48. Konkret stellte sich die Frage, wieweit Behörden des AufnahmeMS praktische Erfahrung berücksichtigen müssen, welche die Unterschiede zwischen der vom Antragsteller erworbenen und der im AufnahmeMS erforderlichen Ausbildung ganz oder teilweise ausgleichen kann. Der Gerichtshof führte in den Rs C-422/09, C-425/09 und C-426/09, Vassiliki Stylianou Dr. Sebastian Bohr ist Mitarbeiter der Europäischen Kommission, Susanne Kämpfer ist Richterin am Landgericht Bonn. 1) ABl L 1989/19, 16 idF v RL 2001/19/EG, ABl L 2001/206, 1. 2) Vgl C-311/06, Consiglio Nazionale degli Ingegneri, Slg 2009, I-415 RN 50.
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Vandrou, Vassilios Alexandrou Giankoulis, Ioannis Georgiou Askoxilakis/Ypourgos Ethnikis Paideias kei Thriskevmaton v 2. 12. 2010 aus, dass Erfahrung vor Erlangung des Diploms, das den Antragsteller zur Ausübung des reglementierten Berufs berechtigt, nicht die Ausübung des reglementierten Berufs einschließen kann. Dies gelte auch für Arbeitsleistungen, die in einem MS erbracht werden, in welchem der Antragsteller noch keine Berechtigung zur Ausübung eines Berufs erlangt hat. Zum Umfang der Ausgleichsmaßnahmen verwies der EuGH auf seine fr Rsp3) hin. Die zuständige Behörde habe jede praktische Erfahrung, die für die Berufsausübung nützlich ist, zu berücksichtigen, was auch praktische Erfahrungen in der Ausübung verwandter Tätigkeiten einschließen kann.
B. Dienstleistungsfreiheit 1. Glücksspiele Der Gerichtshof hatte sich erneut4) zum Monopol von Sportwetten, Lotterien und Glücksspielen in Spielbanken zu äußern. Mehrere Verfahren betrafen die Rechtslage in Deutschland. In den Rs C-316/07, C-358/08 bis C-360/08, C-409/07 und C-410/07, Markus Stoß, Avalon Service-Online-Dienste GmbH, Olaf Amadeus Wilhelm Happel/Wetteraukreis, Kulpa Automatenservice Asperg GmbH, SOBO Sport & Entertainment GmbH, Andreas Kunert/Land BadenWürttemberg und C-46/08, Carmen Media Group Ltd/Land Schleswig-Holstein, Innenminister des Landes Schleswig-Holstein v 8. 9. 2010 ging es ua um die Tragweite der Rs Gambelli.5) In diesem Verfahren hatte der Gerichtshof hervorgehoben, dass Beschränkungen der Spieltätigkeiten durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein können, soweit die Beschränkungen geeignet sind, dazu beizutragen, dass die Wetttätigkeiten in kohärenter und systematischer Weise begrenzt werden. Zu diesem Erfordernis führte er in den vorliegenden Urteilen aus, eventuell durchgeführte Werbung müsse maßvoll und auf das Erforderliche beschränkt sein. Solche Werbung dürfe nicht den natürlichen Spieltrieb der Verbraucher dadurch fördern, dass sie zu aktiver Teilnahme am Spiel angeregt werden. In dieser Situation sei ein Monopol nicht zu rechtfertigen. In der Rs C-409/06, Winner Wetten GmbH/ Bürgermeisterin der Stadt Bergheim v 8. 9. 2010 ging es um die Frage, ob eine staatliche Regelung über ein staatliches Monopol, welche das BVerfG für mit der Dienstleistungsfreiheit für unvereinbar erklärt hatte, während einer Übergangszeit weiter angewendet werden kann (bis eine neue Regelung in Kraft tritt). Der EuGH berief sich auf die Vorrangwirkung des Unionsrechts und verneinte die Frage.6) Der Gerichtshof stellte in der Rs C-64/08, Ernst Engelmann v 9. 9. 2010 fest, dass ein Sitzerfordernis im AufnahmeMS gegen Art 43 EG verstößt.7) Es bestünden weniger beschränkende Mittel, die Tätigkeit und die Konten der Wirtschaftsteilnehmer zu kontrollieren. Die Begrenzung der Spielbankkonzessio376 ecolex 2011
nen in Österreich in Zahl (zwölf Orte) und Dauer (15 Jahre) hielt er für gerechtfertigt. Es verstoße jedoch gegen Art 43 EG und das damit verbundene Transparenzgebot, wenn die Konzessionen nicht ausgeschrieben wurden.
2. Entsendung von Arbeitnehmern Der Gerichtshof bestätigte seine fr Rsp8) in der Rs C-515/08, Vitor Manuel dos Santos Palhota, Mario de Moura Gonçalves, Fernando Luis das Neves Palhota, Termisio Limitada v 7. 10. 2010, welche die Entsendung portugiesischer AN nach Belgien betraf. Das in Belgien vorgesehene Verfahren stelle sich als Genehmigungsverfahren durch die Verwaltung dar.9) Ein solches Verfahren beschränke die Dienstleistungsfreiheit und sei unverhältnismäßig, weil ein reines Mitteilungsverfahren zum Schutz der entsandten AN ausreichend ist.
C. Niederlassungsfreiheit 1. Konzession Ein in einem anderen MS niedergelassenes Unternehmen beantragte eine Konzession, im Stadtgebiet von Wien Personen in Autobussen zu befördern. Der Antrag wurde zurückgewiesen. In der Rs C-338/09, Yellow Cab Verkehrsbetriebs GmbH/Landeshauptmann von Wien v 22. 12. 2010 erklärte der EuGH zunächst, dass die vorliegende Dienstleistung, weil die Beförderung nicht grenzüberschreitend erfolgt, nicht unter den freien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet des Verkehrs fällt. Daher sei sie anhand der Niederlassungsfreiheit zu prüfen. Der Gerichtshof hielt fest, dass das Erfordernis, vor der Erteilung einer Konzession einen Sitz im AufnahmeMS zu besitzen, eine ungerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt. Ein Sitzerfordernis nach Erteilung der Konzession und vor Aufnahme der Tätigkeit sei dagegen gerechtfertigt. Überdies lasse es Art 49 EG nicht zu, dass die Bewilligung allein auf Grund von Angaben des einzigen Konkurrenzunternehmens beurteilt wird.
3) Vgl C-340/89, Vlassopoulou, Slg 1991, I-2357; C-313/01, Morgenbesser, Slg 2003, I-13467. 4) Vgl zuletzt C-447/08 und C-448/08, Sjöberg, ecolex 2010, 1013. 5) C-243/01, Gambelli, Slg 2003, I-13031. Zu den neuen Urteilen s auch Talos/Stadler, EuGH kippt österreichisches Glücksspielmonopol, ecolex 2010, 1006 ff. 6) Siehe Stadler/Arzt, EuGH: Winner-Wetten-Urteil zur Frage der Suspendierung des Anwendungsvorrangs, ecolex 2010, 1114 f. 7) Vgl C-243/01, Gambelli, FN 5, RN 74. 8) Vgl C-244/04, Kommission/Deutschland, Slg 2006, I-885; ecolex 2006, 341. 9) Vgl C-168/04, Kommission/Österreich, Slg 2006, I-9041 RN 41; ecolex 2007, 309.
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D. Sozialpolitik 1. Gleichbehandlung von Männern und Frauen – Kündigung bei Anspruch auf Alterspension Die Kündigung von Arbeitnehmern, die einen Anspruch auf Alterspension erworben haben, stellt eine verbotene unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar, wenn Frauen diesen Anspruch auf Alterspension mit 60 Jahren, Männer hingegen mit 65 Jahren erwerben (EuGH, U v 18. 11. 2010, Rs C-356/09, Pensionsversicherungsanstalt/Christine Kleist).10) Frau Kleist war bei der Pensionsversicherungsanstalt als leitende Ärztin angestellt. Die Pensionsversicherungsanstalt fasste den Beschluss, alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die die Voraussetzungen für eine Versetzung in den Ruhestand nach der DO.B (Dienstordnung B für die Ärzte und Dentisten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs) erfüllen, zu kündigen. Frau Kleist teilte ihrem Arbeitgeber mit, dass sie nicht die Absicht habe, nach Vollendung des 60. Lebensjahrs in Pension zu gehen, sondern bis 65 weiterarbeiten wolle. Der Arbeitgeber teilte ihr daraufhin mit, dass er ihre Versetzung in den Ruhestand zum 1. 7. 2008 beschlossen habe. Gem § 134 Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 1 der DO.B dürfen unkündbare Ärzte doch gekündigt werden, wenn sie einen Anspruch auf Alterspension gem § 253 ASVG erworben haben. Nach § 253 Abs 1 ASVG haben Männer diesen Anspruch, wenn sie das Alter von 65 Jahren, und Frauen, wenn sie das Alter von 60 Jahren erreicht haben. Folglich dürfen Arbeitnehmer weiblichen Geschlechts gekündigt werden, wenn sie das Alter von 60 Jahren erreicht haben, während Arbeitnehmer männlichen Geschlechts erst im Alter von 65 Jahren gekündigt werden dürfen. Der EuGH hebt in seiner E hervor, dass die Situation von Männern und Frauen in der Altersgruppe 60 bis 65 Jahre in Bezug auf die Kündigung vergleichbar sei und diese Vergleichbarkeit nicht dadurch in Frage gestellt werde, dass Frauen – im Gegensatz zu Männern – in diesem Alter über eine soziale Absicherung in Form der gesetzlichen Alterspension verfügen. Die Ungleichbehandlung kann auch nicht durch das Ziel, die Beschäftigung junger Menschen zu fördern, gerechtfertigt werden.
2. Zusätzlicher Elternurlaub bei Zwillingen Im Urteil des EuGH v 16. 9. 2010, Rs C-149/10, Zoi Chatzi/Ypourgos Oikonomikon ging es um die Entscheidung des Direktors des Finanzamts Thessaloniki (Griechenland), Frau Chatzi keinen zusätzlichen Elternurlaub wegen der Geburt von Zwillingen zu gewähren. Frau Chatzi beantragte nach Geburt ihrer Zwillinge zunächst den nach griechischem Recht möglichen neunmonatigen bezahlten Elternurlaub für eines ihrer Kinder und im Anschluss weitere neun Monate bezahlten Elternurlaub für das zweite der Zwillingskinder. Auf Grundlage von § 2 Nr 1 der Rahmenvereinbarung über Elternurlaub11) hat der EuGH entschieden, dass die Geburt von Zwillingen kein Recht auf
eine der Zahl der geborenen Kinder entsprechende Zahl von Elternurlauben eröffnet. Im Licht des Grundsatzes der Gleichbehandlung verpflichtet dieser Paragraf den nationalen Gesetzgeber jedoch, ein System des Elternurlaubs zu schaffen, das Eltern von Zwillingen eine Behandlung gewährleistet, die ihren besonderen Bedürfnissen gebührend Rechnung trägt. Der EuGH hat klargestellt, dass § 2 Nr 1 der Rahmenvereinbarung über Elternurlaub dem Kind selbst kein individuelles Recht auf Elternurlaub verleiht.
3. Gleichbehandlung von Männern und Frauen – „Stillurlaub“ für Männer Es ist mit der GleichbehandlungsRL 76/207/EWG12) unvereinbar, wenn weibliche Arbeitnehmer in den ersten neun Monaten nach der Geburt eines Kindes Urlaub in verschiedenen Formen beanspruchen können, während männliche Arbeitnehmer mit einem Kind diesen Urlaub nur beanspruchen können, wenn auch die Mutter des Kindes eine abhängige Erwerbstätigkeit ausübt (EuGH, U v 30. 9. 2010, Rs C 104/ 09, Pedro Manuel Roca Álvarez/Sesa Start Espana ETT SA). Die fragliche spanische Vorschrift in der Auslegung durch die spanischen Gerichte sah vor, dass der sog „Stillurlaub“ (der jedoch losgelöst von der biologischen Tatsache des Stillens allein als Kinderbetreuungszeit gewährt wird) grundsätzlich der Kindesmutter vorbehalten war, während der Vater eines Kindes diesen Urlaub nur dann beanspruchen konnte, wenn beide Elternteile Arbeitnehmer sind. Daraus folgt, dass Mütter, die eine abhängige Erwerbstätigkeit ausüben, stets Anspruch auf den sog „Stillurlaub“ haben, während Väter, die eine abhängige Erwerbstätigkeit ausüben, diesen Urlaubsanspruch nur dann haben, wenn die Mutter ihres Kindes ebenfalls eine abhängige Erwerbstätigkeit ausübt. Die Eigenschaft als Elternteil reicht also für männliche Arbeitnehmer nicht aus, um diesen Urlaub zu nehmen, wohl aber für weibliche Arbeitnehmer. Die darin liegende Ungleichbehandlung ist nicht durch besondere Vorschriften zum Schutz der Frau (weder in Bezug auf Schwangerschaft und Mutterschaft noch in Bezug auf die Förderung der Chancengleichheit) gerechtfertigt. Denn der „Stillurlaub“ ist nicht mehr an das Stillen geknüpft, sondern wird als reine Zeit der Kinderbetreuung und als eine Maßnahme angesehen, um Berufs- und Familienleben in 10) Siehe dazu Mazal, Kündigung von Frauen zum gesetzlichen Pensionsalter europarechtswidrig! ecolex 2010, 1221. 11) Rahmenvereinbarung über Elternurlaub im Anhang der RL 96/34/ EG v 3. 6. 1996 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung in der durch die RL 97/75/EG v 15. 12. 1997 geänderten Fassung. 12) Konkret Art 2 Abs 1, 3 und 4 sowie Art 5 der RL 76/207/EWG v 9. 2. 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl L 1976/39, 40. Diese RL wurde durch die RL 2002/73/EG v 23. 9. 2002 (ABl L 2002/269, 15) geändert und durch die RL 2006/54/EG v 5. 7. 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung) (ABl L 2006/204, 23) aufgehoben.
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Einklang zu bringen. Wäre Inhaberin des Anspruchs allein die abhängig beschäftigte Mutter, während der Vater, der dieselbe Voraussetzung erfüllt, diesen Anspruch nur wahrnehmen könnte, ohne selbst Anspruchsinhaber zu sein, würde dies zu einer Verfestigung der herkömmlichen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau führen, indem den Männern weiterhin eine im Hinblick auf die Wahrnehmung ihrer Elternschaft subsidiäre Rolle gegenüber den Frauen zugewiesen wird.
4. Verbot der Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin Im Urteil v 11. 11. 2010, Rs C-232/09, Dita Danosa/LKB Lizings SIA, ging es um die Frage, ob die Abberufung der schwangeren alleinigen Geschäftsführerin einer Kapitalgesellschaft gegen Unionsrecht verstößt. Maßstab sind insoweit sowohl die Vorschriften zum Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen13) als auch die GleichbehandlungsRL.14) Zunächst kommt es dabei auf die Arbeitnehmereigenschaft der Geschäftsführerin an. Der EuGH hat entschieden, dass die Arbeitnehmereigenschaft eines Mitglieds der Unternehmensleitung einer Kapitalgesellschaft, das dieser gegenüber Leistungen erbringt und in sie eingegliedert ist, zu bejahen ist, wenn es seine Tätigkeit für eine bestimmte Zeit nach der Weisung oder unter der Aufsicht eines anderen Organs dieser Gesellschaft ausübt und als Gegenleistung für die Tätigkeit ein Entgelt erhält. Dies zu prüfen ist Sache des nationalen Gerichts. Sofern die Arbeitnehmereigenschaft zu bejahen ist, verstößt die Abberufung der Geschäftsführerin gegen Art 10 der RL 91/ 85/EWG, wenn die Abberufungsentscheidung im Wesentlichen auf der Schwangerschaft beruht. Selbst wenn die Arbeitnehmereigenschaft zu verneinen ist, kann gleichwohl die Abberufung der Geschäftsführerin wegen Schwangerschaft nur Frauen treffen und stellt daher eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar, die gegen die GleichbehandlungsRL15) verstößt.
5. Überschreitung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit im Feuerwehrdienst Zwei Urteile des EuGH befassen sich mit der Überschreitung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit im Feuerwehrdienst (U v 14. 10. 2010, Rs C-243/09, Günter Fuß/Stadt Halle; U v 25. 11. 2010 und Rs C-429/09, ebenfalls Günter Fuß/Stadt Halle). Herr Fuß ist seit 1982 bei der Stadt Halle beschäftigt. Bis zum 4. 1. 2007 wurde er im Einsatzdienst „abwehrender Brandschutz“ der Feuerwehr der Stadt Halle als Fahrzeugführer verwendet. Sein Dienstplan sah eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 54 Stunden vor, obwohl die wöchentliche Höchstarbeitszeit nach der ArbeitszeitRL16) 48 Stunden beträgt. Bei einer Anfang 2006 durchgeführten Personalversammlung wurde den Mitarbeitern des Einsatzdienstes durch die Leitung der Stadt Halle mitgeteilt, dass Umsetzungen in das Einsatzleitzentrum der Feuerwehr erfolgten, wenn die Einhaltung der ArbeitszeitRL gewünscht werde. Herr Fuß bean378 ecolex 2011
tragte, dass seine wöchentliche Arbeitszeit künftig die durch die ArbeitszeitRL vorgeschriebene durchschnittliche Höchstgrenze von 48 Stunden nicht mehr überschreitet. Gleichzeitig machte er Ausgleichsansprüche für die rechtswidrig geleisteten Mehrarbeitsstunden geltend. Herr Fuß wurde daraufhin gegen seinen Willen in das Einsatzleitzentrum der Feuerwehr umgesetzt. Er wendet sich nun mit zwei unterschiedlichen Klagen zum einen gegen die zwangsweise Umsetzung und zum anderen begehrt er Ersatz des Schadens, der ihm durch den Verstoß gegen die Höchstarbeitszeit entstanden ist. Der EuGH hat klar entschieden, dass die Umsetzung des Feuerwehrmanns gegen dessen Willen aus dem Einsatzdienst in einen anderen Dienst mit der Begründung, dass dieser die Einhaltung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit verlangt hat, gegen die ArbeitszeitRL verstößt – selbst wenn dem Feuerwehrmann durch die Umsetzung neben dem Nachteil, der sich aus dieser Verletzung ergibt, kein spezifischer Nachteil entstanden ist. Darüber hinaus steht Herrn Fuß auch dem Grunde nach ein Ausgleichsanspruch zu, der sich direkt aus dem Unionsrecht herleiten lässt. Ein Verschulden des Arbeitgebers, das über eine hinreichend qualifizierte Verletzung des Unionsrechts hinausgeht, darf hierfür nicht verlangt werden. Ebenso wenig darf der Ersatzanspruch von einem Antrag auf Einhaltung der entsprechenden Bestimmung des Unionsrechts abhängig gemacht werden. Die Höhe des Schadensersatzes regelt das Unionsrecht nicht. Diese muss jedoch dem erlittenen Schaden angemessen sein.
6. „Übergang“ von Unternehmen bei Reinigungstätigkeiten Mit Urteil v 20. 1. 2011, Rs C-463/09, CLECE SA/ Maria Socorro Martin Valor, Ayuntamiento de Cobisa, hat der EuGH klargestellt, dass allein die Übernahme einer Tätigkeit (hier: Reinigungstätigkeit) – ohne damit verbundene Übernahme wesentlicher materieller oder immaterieller Betriebsmittel und ohne Übernahme einer Gesamtheit von Arbeitnehmern – nicht in den Anwendungsbereich der BetriebsübergangsRL17) fällt. Im zugrunde liegenden Fall hatte eine spanische Gemeinde ursprünglich ein privates Unternehmen mit der Reinigung ihrer Räumlichkeiten betraut 13) RL 92/85/EWG v 19. 10. 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte EinzelRL iSd Art 16 Abs 1 der RL 89/391/EWG). 14) RL 76/207/EWG v 9. 2. 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen in der durch die RL 2002/73/EG v 23. 9. 2002 geänderten Fassung. 15) So FN 14. 16) RL 2003/88/EG v 4. 11. 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl L 2003/299, 9). 17) RL 2001/23/EG v 12. 3. 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (ABl L 2001/82, 16).
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und später beschlossen, diese Reinigungstätigkeiten selbst durchzuführen und hierfür neues Personal einzustellen. Hierin liegt kein „Übergang“ iSd Art 1 Abs 1 lit b der BetriebsübergangsRL, weil keine wirtschaftliche Einheit übergeht, die nach dem Inhaberwechsel ihre Identität wahrt. Bei der Prüfung, ob eine solche Einheit ihre Identität bewahrt, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeiten. Diese Umstände sind jedoch nur Teilaspekte der vorzunehmenden Gesamtbewertung und dürfen deshalb nicht isoliert betrachtet werden.18) Vorliegend war jedoch das Einzige, das eine Verbindung zwischen den von dem privaten Unternehmen CLECE ausgeübten Tätigkeiten und den von der Gemeinde übernommenen Tätigkeiten herstellt, der Gegenstand dieser Tätigkeiten, nämlich die Reinigung von Räumlichkeiten.
7. Diskriminierung wegen des Alters Die Urteile v 12. 10. 2010, Rs C-45/09, Gisela Rosenbladt/Oellerking Gebäudereinigungsges. mbH, und v 18. 11. 2010, verb Rs C-250/09 und C-268/09, Vasil Ivanov Georgiev/Tehnicheski universitet – Sofia, filial Plovdiv, befassen sich mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen bei Erreichen des Rentenalters. Rechtlicher Maßstab ist jeweils die GleichbehandlungsRL.19) Zusammenfassend hat der EuGH entschieden, dass die Beendigung von Arbeitsverhältnissen bei Erreichen des Rentenalters nicht gegen Unionsrecht verstößt, sofern die zugrunde liegende Vorschrift objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Der EuGH weist in C-45/09 darauf hin, dass die automatische Beendigung der Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten, die das Alter und die die Beitragszahlung betreffenden Voraussetzungen für den Bezug einer Altersrente erfüllen, seit Langem Teil des Arbeitsrechts zahlreicher Mitgliedstaaten und in den Be-
ziehungen des Arbeitslebens weithin üblich ist. Dieser Mechanismus beruht auf einem Ausgleich zwischen politischen, wirtschaftlichen, sozialen, demografischen und/oder haushaltsbezogenen Erwägungen und hängt von der Entscheidung ab, die Lebensarbeitszeit der Arbeitnehmer zu verlängern oder, im Gegenteil, deren früheren Eintritt in den Ruhestand vorzusehen. Die Ausführungen geben die persönliche Meinung der Autoren wieder und nicht jene der Institutionen, denen sie angehören. 18) Vgl ua EuGH C-24/85, Spijkers, Slg 1986, 1119 RN 13; C-29/91, Redmond Stichting, Slg 1992, I-3189 RN 24; C-340/01, Abler ua, Slg 2003, I-14023 RN 33. 19) RL 2000/78/EG v 27. 11. 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl L 2000/303, 16).
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