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ÖSTERREICHISCHES LEBENSMITTELBUCH ( C O D E X A L I M E N TA R I U S A U S T R I A C U S ) Das Österreichische Lebensmittelbuch (Codex Alimentarius Austriacus) ist aus rechtlicher Sicht als „objektiviertes Sachverständigengutachten“ einzustufen, und dient zur Verlautbarung von Sachbezeichnungen, Begriffsbestimmungen, Untersuchungsmethoden und Beurteilungsgrundsätzen sowie von Richtlinien für das Inver-

kehrbringen von Waren (§ 76 Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz – LMSVG). Zur Vorbereitung des Österreichischen Lebensmittelbuches ist eine Kommission gemäß § 77 LMSVG eingerichtet (Codexkommission).

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[AKTUELLES]

ÖJZ aktuell ÖJZ 2011/41

Nationalrat beschließt Fremdenrechtspaket Migration und Integration sind ein gesellschaftspolitisches Dauerthema; das Fremden- und Asylrecht ist dementsprechend eine fast schon permanente legistische Großbaustelle. Fast punktgenau zum Amtsantritt der neuen Bundesministerin für Inneres und des ihr beigegebenen Staatssekretärs, der sich besonders Integrationsfragen widmen soll, hat der Nationalrat das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 (FrÄG 2011) beschlossen, mit dem ein wesentliches Vorhaben des Regierungsprogramms umgesetzt werden soll: ab 1. 7. dieses Jahres soll ein „kriteriengeleitetes Zuwanderungssystem“ den Zuzug qualifizierter Personen entsprechend dem österreichischen Bedarf gewährleisten. Zugleich wird im Fremdenpolizeigesetz (FPG) ein neues System aufenthaltsbeendender Maßnahmen eingeführt und im AsylG die Mitwirkungspflicht von Asylwerbern durch eine Verpflichtung, sich „in der Erstaufnahmestelle zur Verfügung zu halten“, erweitert. „Rot-Weiß-Rot-Karte“ Das System der Aufenthaltstitel im Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) wird neu strukturiert, um vorrangig qualifizierten Zuwanderern den Zuzug entsprechend dem Bedarf am österreichischen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Dazu werden die sogenannte „Rot-Weiß-Rot-Karte“ und – in der Terminologie eher an Kunden- oder Kreditkarten erinnernd – die „Rot-Weiß-RotKarte plus“ als neue Aufenthaltstitel eingeführt; die bisherigen Niederlassungsbewilligungen „beschränkt“, „unbeschränkt“ und „Schlüsselkraft“ entfallen. In Umsetzung der „Blue Card“-RL 2009/50/EG über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung wird überdies der Aufenthaltstitel „Blaue Karte EU“ eingeführt, mit dem vor allem Erleichterungen im Hinblick auf die Mobilität innerhalb der EU verbunden sind. Parallel zu den Änderungen im NAG wird mit einer Novelle zum AuslBG, die ebenfalls am 1. 7. in Kraft treten wird, das auf einer Sozialpartnereinigung beruhende „3-Säulen-Modell“ eingeführt, nach dem für den Zugang zum Arbeitsmarkt zwischen „besonders Hochqualifizierten“, „Fachkräften in Mangelberufen“ und „sonstigen Schlüsselkräften und Studienabsolventen“ unterschieden wird. Die Einstufung erfolgt nach einem in den Anlagen zum AuslBG enthaltenen Punktekatalog, in dem vor allem Ausbildung, Berufserfahrung, früheres Einkommen, Alter und Sprachkenntnisse bewertet werden (Extrapunkte gibt es übrigens für Profisportler und Profisporttrainer). Deutsche Sprachkenntnisse der Zuwanderer werden nicht nur im Punktesystem nach dem AuslBG bewertet, sondern müssen – mit wenigen Ausnahmen – in Hinkunft bereits bei Antragstellung auf einen Aufenthaltstitel nachgewiesen werden; verlangt werden Kenntnisse der deutschen Sprache „zumindest zur elementaren Sprachverwendung auf einfachstem Niveau“, diese müssen allerdings durch ein Diplom oder Kurszeugnis von anerkannten Einrichtungen nachgewiesen werden. Rückkehrentscheidung statt Ausweisung In Umsetzung der RückführungsRL 2008/115/EG wurde im FPG das System der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen neu

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gefasst; anstelle von Ausweisung und Aufenthaltsverbot tritt eine einheitliche „Rückkehrentscheidung“. Diese ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, zu erlassen und verpflichtet ihn zur unverzüglichen Ausreise in den Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat (eine Frist für die freiwillige Ausreise kann eingeräumt werden). Mit der Rückkehrentscheidung ist zwingend auch ein Einreiseverbot – in der Regel für mindestens 18 Monate und höchstens fünf Jahre – zu erlassen, das für das gesamte Gebiet der Mitgliedstaaten gilt; bei schwerwiegenden Gefahren für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit kann das Einreiseverbot auch bis zu zehn Jahren dauern oder – vor allem bei Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren oder Gefährdung der nationalen Sicherheit – auch unbefristet ausgesprochen werden. Über Berufungen gegen Rückkehrentscheidungen werden die Unabhängigen Verwaltungssenate zu entscheiden haben, denen dafür eine Frist von nur drei Monaten gesetzt wird. Diese in der Regierungsvorlage noch nicht enthaltene Zuständigkeitsregelung spiegelt – so der Ausschussbericht (1160 BlgNR 24. GP 7) – „den Art 13 Abs 1 der RückführungsRL wider, der im Lichte der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes auszulegen und insbesondere in einer Zusammenschau mit Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union [. . .] zu sehen ist.“ „Internierung light“ für Asylwerber? Heftig umstritten war auch die Verschärfung der „Mitwirkungspflichten“ von Asylwerbern im Zuge des Asylverfahrens. Da eine mit Zwangsgewalt durchzusetzende Anhaltung in den Erstaufnahmestellen weder mit dem BVG zum Schutz der persönlichen Freiheit noch mit Art 5 EMRK vereinbar wäre, wurde nun die Pflicht für Asylwerber eingeführt, sich ab Einbringen des Antrags bis zum Abschluss der wesentlichsten ersten Verfahrens- und Ermittlungsschritte (von der erkennungsdienstlichen Behandlung bis zur Durchführung gesundheitlicher Untersuchungen) für einen Zeitraum von längstens 120 Stunden „durchgehend in der Erstaufnahmestelle zur Verfügung zu halten“; die Frist kann im Einzelfall zur Durchführung von Einvernahmen vor einem Organ des Bundesasylamts um höchstens 48 Stunden verlängert werden. Da Asylwerber nicht durch physischen Zwang am Verlassen der Erstaufnahmestelle gehindert werden, sondern nur „sonstige Rechtsnachteile“ drohen (vor allem die Einstellung des Asylverfahrens), handelt es sich, so die RV (1078 BlgNR 24. GP 6), „mangels unmittelbarer Durchsetzbarkeit um keine Freiheitsentziehung“. Nächstes Projekt: Bundesamt für Migration Die Umbaumaßnahmen im Fremdenrecht gehen weiter: Nächstes Projekt, das auch in einem Entschließungsantrag des Nationalrats anlässlich der Beschlussfassung über das aktuelle Fremdenrechtspaket angesprochen wird, ist die Einrichtung eines bundesunmittelbaren Bundesamts für Asyl und Migration nach dem Vorbild des Bundesasylamts. Für die neue Ministerin bleibt auf der Großbaustelle Fremdenrecht also genug zu tun. Hans Peter Lehofer

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[I N H A L T ]

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Beiträge Ü Verdeckte Sacheinlagen: Fallstricke für die Beratungspraxis. . . . . . . . . . . . . . . . 389 In vielen gesellschaftsrechtlichen Gestaltungen lauert die Gefahr einer verdeckten Sacheinlage. Nicht zu Unrecht wird sie daher in Deutschland als meistdiskutierter und fehlerträchtigster Themenkreis des gesamten GmbH-Rechts bezeichnet. Im Beitrag werden die praktisch bedeutsamsten Fälle beleuchtet, die für Berater zu Haftungsfallen werden können. Von Michael Taufner

Ü Grundfragen strafbaren Unterlassens bei der Abgabenverkürzung . . . . . . . . . . . 397 Eine Abgabenhinterziehung oder -verkürzung wird häufig durch eine Unterlassung (insb Nichtabgabe einer Steuererklärung) begangen. Allerdings enthält das FinStrG keine Vorschrift über eine „Begehung durch Unterlassen“ wie etwa § 2 StGB. Im Beitrag wird deshalb der Bereich der Unterlassungsdelikte im Finanzstrafrecht näher erörtert. Dabei wird auch zur aktuellen Judikatur des OGH Stellung genommen. Von Kurt Schmoller

Evidenzblatt Ü Europäisches Zivilverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 OGH 28. 1. 2011, 6 Ob 261/10 s

57: Das „Ausrichten“ gewerblicher Tätigkeit im Internet im Sinne der EuGVVO Mit Anmerkung von Thomas Garber

Ü Gewährleistungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 OGH 11. 11. 2010, 3 Ob 109/10 s

58: Keine Vorteilsausgleichung bei Gewährleistung

Ü Grundbuchsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 OGH 2. 12. 2010, 5 Ob 139/10 t

59: Grunddienstbarkeit und Miteigentum

Ü Schuldrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 OGH 11. 11. 2010, 3 Ob 137/10 h

60: Unwirksame Klagsänderung führt nicht zur Verjährungsunterbrechung

Ü Sozialversicherungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 OGH 30. 11. 2010, 10 ObS 136/10 p

61: Erneuter Wochengeldanspruch im gesetzlichen Karenzurlaub

Ü Strafprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 OGH 13. 4. 2011, 15 Os 172/10 y

62: „Stammdatenabfrage“ bezüglich dynamischer IP-Adressen weiterhin zulässig

Ü Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 OGH 25. 1. 2011, 14 Os 129/10 t

63: Verjährung richtet sich nach dem Recht im Entscheidungszeitpunkt 386

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[INHALT]

EvBl-Leitsätze Ü Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 OGH 22. 12. 2010, 9 ObA 6/10 p

65: Geltung des AngG für Landes- und Gemeindebedienstete OGH 25. 1. 2011, 8 ObA 82/10 g

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424

66: Streit mit dem Arbeitskollegen als Austrittsgrund

Ü Familienrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 OGH 25. 1. 2011, 8 Ob 91/10 f

67: Pensionsvorschuss: Anspannung des Unterhaltsschuldners

Ü Sachenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 OGH 23. 11. 2010, 1 Ob 191/10 k

68: Verjährung beginnt mit Rückstellung der Sache

Ü Schadenersatzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 OGH 15. 12. 2010, 4 Ob 193/10 a

69: Bei entgangener Betriebseinnahme ist die Umsatzsteuer zu ersetzen

Ü Sozialversicherungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 OGH 1. 2. 2011, 10 ObS 183/10 z

70: Nebenintervention im sozialgerichtlichen Verfahren

Ü Strafprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 OGH 20. 1. 2011, 11 Os 172/10 v

71: Vorprüfung des Strafantrags nach Maßgabe des Akteninhalts, nicht nach der rechtlichen Beurteilung des Anklägers

Ü Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 OGH 23. 12. 2010, 14 Os 143/09 z

72: Der Vermögensnachteil der Untreue besteht im Mittelabfluss

Forum Ü Vorsicht am 15. Juli! – Zur Neufassung des § 222 ZPO durch das Budgetbegleitgesetz 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 Von Reinhard Hinger

Bericht Ü Kontrollamt der Stadt Wien – quo vadis? Ein Rechnungshof für Wien als Land? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 Wiener Juristische Gesellschaft

Von Walter Barfuß

Standards Ü Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 Ü Buchbesprechungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 ÖJZ [2011] 09

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[I M P R E S S U M ] ÖSTERREICHISCHE JURISTEN-ZEITUNG Sigrun Reininghaus (Hrsg)

Unternehmensmobilität im Binnenmarkt – zwischen Sitzverlegung und neuen europäischen Gesellschaftsformen 22. Europäische Notarentage 2010

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Für und Wider neuer europäischer Gesellschaftsformen 2011. X, 88 Seiten. Br. EUR 23,80 ISBN 978-3-214-08941-2

Sigrun Reininghaus (Hrsg)

Unternehmensmobilität im Binnenmarkt Die 22. Europäischen Notarentage fanden im April 2010 unter dem Titel „Unternehmensmobilität im Binnenmarkt – zwischen Sitzverlegung und neuen europäischen Gesellschaftsformen“ in Salzburg statt. Die Europäischen Notarentage 2010 leisteten mit Fachvorträgen und Podiumsdiskussionen einen Beitrag zu diesen Vorhaben: • Sitz und Sitzverlegung im europäischen Gesellschaftsrecht • Sitzverlegung: Besteht Bedarf für eine europäische Richtlinie? • Auf dem Weg zu neuen europäischen Gesellschaftsformen: Solide Grundlage für europäisches Wirtschaften während und nach der Krise? • Besteht Bedarf für die Europäische Privatgesellschaft und wie könnte die EPG aussehen? • Wege in die Zukunft: Vorschläge für das europäische Gesellschaftsrecht M ANZ’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung GmbH tel + 43 1 531 61 100 fax + 43 1 531 61 455 bestellen@manz.at Kohlmarkt 16 ∙ 1014 Wien www.manz.at

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66. Jahrgang 2011 Medieninhaber (Verleger) und Herausgeber: MANZ'sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung GmbH. Sitz der Gesellschaft: A-1014 Wien, Kohlmarkt 16, FN 124 181 w, HG Wien. Unternehmensgegenstand: Verlag von Büchern und Zeitschriften. Verlagsadresse: A-1015 Wien, Johannesgasse 23 (verlag@manz.at). Geschäftsführung: Mag. Susanne Stein-Dichtl (Geschäftsführerin) sowie Prokurist Dr. Wolfgang Pichler (Verlagsleitung). Redaktion: Sekt.-Chef im BMJ i. R. Hon.-Prof. Dr. Gerhard Hopf (Chefredakteur), LStA im BMJ Dr. Robert Fucik, HR d. OGH Hon.-Prof. Dr. Kurt Kirchbacher, HR d. VwGH Hon.-Prof. Dr. Hans Peter Lehofer; Evidenzblatt: HR d. OGH Dr. Christoph Brenn, HR d. OGH Dr. Helge Hoch, Vize-Präs. d. OGH Hon.-Prof. Dr. Eckart Ratz, Vize-Präs. d. OGH Dr. Ronald Rohrer; MRK-Entscheidungen: Sekt.-Chef im BKA i. R. Dr. Wolf Okresek. Autoren dieser Ausgabe: Walter Barfuß, Thomas Garber, Reinhard Hinger, Hans Peter Lehofer, Kurt Schmoller, Michael Taufner. Verlagsredaktion: MMag. Judith Gerngross-Langthaler, E-Mail: judith.gerngross-langthaler@ manz.at Druck: Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H., 3580 Horn. Verlags- und Herstellungsort: Wien. Grundlegende Richtung: Veröffentlichung rechtswissenschaftlicher Abhandlungen und gerichtlicher Entscheidungen aus allen Rechtsgebieten. Zitiervorschlag: ÖJZ 2011/Artikelnummer. Anzeigen: Heidrun Engel, Tel: (01) 531 61310, Fax: (01) 531 61-181, E-Mail: heidrun.engel@manz.at Bezugsbedingungen: Die Österreichische Juristen-Zeitung erscheint in 14-tägigen Abständen mit insgesamt 24 Heften im Jahr (2 Doppelhefte). Der Bezugspreis beträgt jährlich EUR 396,– inklusive Versandspesen im Inland und Einbanddecke. Einzelheft EUR 20,60. Auslandspreise auf Anfrage. Nicht rechtzeitig vor ihrem Ablauf abbestellte Abonnements gelten für ein weiteres Jahr als erneuert. Abbestellungen sind schriftlich 6 Wochen vor Jahresende an den Verlag zu senden. Manuskripte und Zuschriften erbitten wir an folgende Adresse: E-Mail: judith.gerngross-langthaler@manz.at. Wir bitten Sie, die Formatvorlagen zu verwenden (zum Download unter www.manz.at/formatvorlagen) und sich an die im Auftrag des Österreichischen Juristentages herausgegebenen „Abkürzungs- und Zitierregeln der österreichischen Rechtssprache und europarechtlicher Rechtsquellen (AZR)“, 6. Aufl (Verlag MANZ, 2008), zu halten. Urheberrechte: Mit der Einreichung seines Manuskriptes räumt der Autor dem Verlag für den Fall der Annahme das übertragbare, zeitlich und örtlich unbeschränkte ausschließliche Werknutzungsrecht (§ 24 UrhG) der Veröffentlichung in dieser Zeitschrift, einschließlich des Rechts der Vervielfältigung in jedem technischen Verfahren (Druck, Mikrofilm etc) und der Verbreitung (Verlagsrecht) sowie der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen, einschließlich des Rechts der Vervielfältigung auf Datenträgern jeder Art, auch einschließlich CD-ROM, der Speicherung in und der Ausgabe durch Datenbanken, der Verbreitung von Vervielfältigungsstücken an die Benutzer, der Sendung (§ 17 UrhG) und sonstigen öffentlichen Wiedergabe (§ 18 UrhG), ein. Gemäß § 36 Abs 2 UrhG erlischt die Ausschließlichkeit des eingeräumten Verlagsrechts mit Ablauf des dem Erscheinen des Beitrags folgenden Kalenderjahrs; dies gilt für die Verwertung durch Datenbanken nicht. Der Nachdruck von Entscheidungen ist daher nur mit ausdrücklicher schriftlicher Bewilligung des Verlags gestattet. Haftungsausschluss: Sämtliche Angaben in dieser Zeitschrift erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren, der Herausgeber sowie des Verlags ist ausgeschlossen. Grafisches Konzept: Michael Fürnsinn für buero8, 1070 Wien. Covergestaltung: bauer – konzept & gestaltung, erwinbauer.com Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier.

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[GESELLSCHAFTSRECHT]

Verdeckte Sacheinlagen: Fallstricke für die Beratungspraxis In vielen gesellschaftsrechtlichen Gestaltungen lauert die Gefahr einer verdeckten Sacheinlage. Nicht zu Unrecht wird sie daher in Deutschland als meistdiskutierter und fehlerträchtigster Themenkreis des gesamten GmbH-Rechts bezeichnet.1) Im Folgenden werden die praktisch bedeutsamsten Fälle beleuchtet, die für Berater zu Haftungsfallen werden können.2) Von Michael Taufner

Inhaltsübersicht: A. Einleitung 1. Allgemeines 2. Jüngste Entwicklungen B. Einzelne Gefahrenquellen 1. Grundfall 2. Treuhandkonstruktionen und Beteiligung Dritter 3. Verdeckte Sacheinlage im Konzern 4. Fremdkapital und freiwillige Zuzahlungen in die freie Kapitalrücklage 5. Gemischte Sacheinlage 6. Einbringungen 7. Cash Pooling 8. Keine Ausnahme für gewöhnliche Umsatzgeschäfte C. Heilung

A. Einleitung 1. Allgemeines Sollen angehende Gesellschafter anlässlich der Gründung oder einer Kapitalerhöhung einer Aktiengesellschaft3) oder GmbH Einlagen übernehmen, so stehen ihnen zwei Möglichkeiten offen: Bareinlage und Sacheinlage.4) Oftmals besitzt einer der Gesellschafter bereits Sachen, die in Zukunft dem Gesellschaftsvermögen gewidmet werden sollen.5) Für diesen Gesellschafter würde sich nach der Konzeption des Gesetzes eine Sacheinlage anbieten. Rechtstatsächlich sind Sacheinlagen jedoch nicht besonders beliebt.6) Das Gesetz verlangt für sie nämlich die Offenlegung bestimmter Informationen7) sowie grundsätzlich eine objektive Prüfung der Werthaltigkeit der Gegenstände.8) Vor allem aufgrund dieser Verpflichtung zur externen, unabhängigen Bewertung der Sache treffen die Gesellschafter im Vergleich zur Bareinlage höhere Kosten und ein größerer Zeitaufwand.9) Zudem birgt die Sacheinlage für den Inferenten das Risiko einer späteren Differenzhaftung, falls sich nachträglich herausstellt, dass die Sacheinlage doch nicht den veranschlagten Wert erreicht hat. In diesem Fall hat er den Unterschiedsbetrag in bar nachzuzahlen (obwohl er seine Leistungspflicht eigentlich auf den Sachgegenstand beschränken wollte).10) All diese Vorschriften dienen dem Postulat einer ordnungsgemäßen Kapitalaufbringung und dem Schutz von Gläubigern und Mitgesellschaftern. „Unredliche Gesellschafter“11) umgehen diese Publizitäts- und Bewertungsvorschriften durch eine verÖJZ [2011] 09

deckte Sacheinlage. Vereinfacht gesagt vereinbaren sie im Gesellschaftsvertrag bzw Kapitalerhöhungsbeschluss eine Bareinlage, kommen in einer Nebenabrede aber gleichzeitig überein, dass die Gesellschaft dem Gesellschafter den gewünschten Einlagegegenstand nach Eintragung der Gesellschaft im Wege eines Kaufvertrags abnimmt. Sobald die Gesellschaft den Kaufpreis leistet, fließt die ursprünglich vom Gesellschafter einbezahlte Bareinlage an den Gesellschafter zurück und das Ergebnis einer „wirtschaftlichen Sacheinlage“12) ist erreicht. Gleichzeitig wurden die unliebsamen Sacheinlagevorschriften vermieden.13) So elegant diese Vorgehensweise scheinen mag, so eindeutig wird sie mittlerweile als unzulässiges Umgehungsgeschäft beurteilt.14) Der OGH fasst das gesamte Sammelsurium der möglichen Fallgestaltungen15) von verdeckten Sacheinlagen in folgender Definition zusammen: „Unter dem

ÖJZ 2011/42 §§ 6, 6 a, 35 GmbHG; §§ 20, 45 AktG OGH 6 Ob 132/00 f; 6 Ob 81/02 h; 6 Ob 192/09 f Verdeckte Sacheinlage; MoMiG; Konzern; Fremdkapital; Nachgründung

1) Frhr. v. Schnurbein, Verdeckte Sacheinlage im Konzern – Vereinfachung durch das MoMiG? GmbHR 2010, 568 (568). 2) Vgl zur Beraterhaftung Pentz in MünchKommAktG3 (2008) § 27 Rz 103 mwN. 3) Vgl Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 150 Rz 15. 4) Flume, Die Kapitalerhöhung unter Verwendung der Dividende nach Handelsrecht und Kapitalverkehrsteuerrecht, DB 1964, 21 (21): „tertium non datur“. 5) Am häufigsten wird es sich wohl um Unternehmen, Anteile an einer bestehenden Kapitalgesellschaft, Lizenzen, Maschinen oder Liegenschaften handeln. 6) Im ersten Halbjahr 2007 waren 98% aller GmbH-Neugründungen reine Bargründungen, vgl Traar/Kantner, Der rechtstatsächliche Befund: Empirische Erhebungen, in Bachner, GmbH-Reform (2008) 53 (67); vgl bereits Sudhoff/Sudhoff, Die Sacheinlage bei Gründung einer GmbH, NJW 1982, 129 (129). 7) Vgl dazu § 6 Abs 4 GmbHG, § 20 Abs 1 AktG: Offenzulegen sind etwa die Person des Inferenten, der Gegenstand der Sacheinlage und der Gegenwert, für den er nach der Vereinbarung der Gesellschafter angesetzt wird. 8) Vgl § 6 a Abs 4 GmbHG, § 25 Abs 2 AktG. 9) Im GmbHG gilt dies gem § 6 a IV freilich nur dann, wenn mehr als die Hälfte des Stammkapitals durch Sacheinlagen aufgebracht wird. 10) Vgl dazu § 10 a GmbHG sowie Zehetner in Jabornegg/Strasser, AktG4 § 39 Rz 24 mwN zum Aktienrecht. 11) Schopper, Fallgruppen zur Lehre von der verdeckten Sacheinlage, NZ 2009, 257. 12) Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 150 Rz 15 mwN; Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht (2008) Rz 3/209; Ettel in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 20 Rz 26 f; Heidinger in Jabornegg/Strasser, AktG4 § 20 Rz 23. 13) Die verdeckte Sacheinlage scheint somit im Firmenbuch als normale Bareinlage auf. Mutmaßlich stellt ein signifikanter Prozentsatz der jährlich 9.254 GmbH-Bargründungen (Stand 2007, vgl Traar/ Kantner in Bachner, GmbH-Reform 53 [55]) in Wahrheit eine verdeckte Sachgründung dar. 14) Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 150 Rz 17 mwN; Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht (2008) Rz 3/218; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG-Kommentar3 (2007) § 63 Rz 16. 15) Vgl dazu jüngst Schopper, Fallgruppen zur Lehre von der verdeckten Sacheinlage, NZ 2009, 257.

Ü Michael Taufner Ü Verdeckte Sacheinlagen: Fallstricke für die Beratungspraxis

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[G E S E L L S C H A F T S R E C H T ] Begriff „verdeckte (verschleierte) Sacheinlage“ werden Bareinlagen verstanden, die mit einem Rechtsgeschäft zwischen der Kapitalgesellschaft und dem einlegenden Gesellschafter in zeitlicher und sachlicher Hinsicht derart gekoppelt sind, dass – unter Umgehung der Sachgründungsvorschriften – wirtschaftlich der Erfolg einer Sacheinlage erreicht wird, etwa weil die Barmittel umgehend als Entgelt für eine Leistung des Gesellschafters an diesen zurückfließen.“16) Früher war man der Auffassung, für die Annahme einer verdeckten Sacheinlage sei ein rein objektiver zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen der Übernahme der Bareinlage und dem Austauschgeschäft erforderlich.17) Im Anschluss an die deutsche hM sieht die mittlerweile herrschende österr Lehre jedoch eine sog Abrede über den wirtschaftlichen Erfolg einer Sacheinlage, iS einer gewollten Verknüpfung von Bareinlage und Austauschgeschäft,18) als entscheidendes Kriterium an.19) Damit ging einher, dass der zeitliche (ca 6 Monate) und der sachliche Zusammenhang (objektive Möglichkeit der vorherigen Einbringung als Sacheinlage) auf Indizien für das Vorliegen einer Abrede reduziert wurden. Liegt der Zusammenhang vor, so wird eine Abrede vermutet und den (verdeckten) Einleger trifft die Last für den Beweis des Gegenteils.20) Die österr Rsp stellt bislang nicht auf eine Abrede ab. Ist der „Umgehungstatbestand“ erfüllt, so treffen den Einleger ausgesprochen harte Rechtsfolgen.21) Einerseits ist der Kaufvertrag (oder allgemeiner: das Austauschgeschäft) nichtig, mit welchem der Einlagegegenstand an die Gesellschaft übertragen und die Bareinlage zurückgezahlt wird, was noch dem juristischen Instinkt entspricht. Zusätzlich soll jedoch auch die Bareinlageschuld nicht erfüllt und nach wie vor fällig sein, obwohl auf diese ja ursprünglich sehr wohl geleistet wurde.22) Während diese Rechtsfolgen im going concern noch einigermaßen zu bewältigen sind, kosten sie den betroffenen Gesellschafter in der Insol16) OGH RIS-Justiz RS0114160; zuletzt OGH 15. 4. 2010, 6 Ob 162/09 f. 17) OGH 30. 8. 2000, 6 Ob 132/00 f; vgl dazu ausführlich Taufner, Die verdeckte Sacheinlage (2010) 28 ff. 18) Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4 (2002) 888; bei der Einmanngründung soll nach der dt Rsp ein entsprechendes Vorhaben des Gesellschafters genügen, vgl BGH 11. 2. 2008, II ZR 171/06. 19) Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 150 Rz 18 mwN; Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht (2008) Rz 3/218; Ettel in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 20 Rz 38; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG-Kommentar3 (2007) § 63 Rz 17; Mädel/Nowotny, Einbringung und verdeckte (verschleierte) Sacheinlage im GmbH-Recht, in FS Wiesner (2004) 274; aA Konwitschka, Kapitalerhöhung durch Verrechnung von Gesellschafterforderungen (1998) 321; ausführlich Taufner, Sacheinlage 34 ff, 108 ff. 20) Koppensteiner/Rüffler, GmbHG-Kommentar3 § 6 Rz 24; Luschin, Ausnahmen von der verdeckten Sacheinlage oder: Privilegierung von Banken? RdW 2004, 715; BGH 20. 11. 2006, II ZR 176/05 ZIP 2007, 178. 21) Dies obwohl die verdeckte Sacheinlage sicherlich oftmals nur zur Vermeidung „unnötiger“ Gründungskosten und keineswegs zwangsläufig deswegen vereinbart wird, weil man die Sacheinlagevorschriften wegen mangelnder Werthaltigkeit der Einlage unterlaufen möchte; vgl Pentz in MünchKommAktG3 § 27 Rz 84. 22) Pentz in MünchKommAktG3 § 27 Rz 98; Hermanns in Michalski, GmbHG § 56 Rz 9, 23 ff; Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung 37; Schopper, Fallgruppen zur Lehre von der verdeckten Sacheinlage, NZ 2009, 257 (265); Koppensteiner, Über verdeckte Sacheinlagen, unzulässige Zuwendungen aus dem Gesellschaftsvermögen und freie Verfügung, GeS 2007, 280 (290); OGH 30. 8. 2000, 6 Ob 132/00 f SZ 73/130; van Husen/Krejci in Straube, GmbHG § 6 Rz 233; Ettel in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 20 Rz 40; Heidinger in Jabornegg/Strasser, AktG4 § 20 Rz 26.

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Ü Michael Taufner Ü Verdeckte Sacheinlagen: Fallstricke für die Beratungspraxis

venz der Gesellschaft unter Umständen sogar den doppelten Betrag seiner Einlage.23)

2. Jüngste Entwicklungen Die drakonischen Rechtsfolgen der verdeckten Sacheinlagen stießen vor allem in der Praxis seit jeher auf Unverständnis. Denn warum ein Verstoß gegen die ordnungsgemäße Kapitalaufbringung dazu führen kann, dass der Gesellschafter schlussendlich den doppelten Betrag seiner zugesagten Einlage an die Gesellschaft leisten muss, lässt sich mit Gerechtigkeitsgefühl allein nicht begreifen. Umso weniger, als die Rechtsfolgen unabhängig von den Wertverhältnissen sind24) und somit auch eintreten, wenn die Gesellschaft vermögensmäßig durch die verdeckte Einlage nicht geschädigt wurde. Wenig überraschend übt die Lehre gleichermaßen an der Dogmatik der verdeckten Sacheinlage wie auch an ihren Rechtsfolgen Kritik.25) In Deutschland wurden diese Konsequenzen mittlerweile durch Novellen beseitigt.26) Nach der neuen Rechtslage erfüllt eine verdeckte Sacheinlage zwar nach wie vor nicht die Einlageschuld, doch wird ihr Wert auf die Bareinlageschuld angerechnet, sodass es im Ergebnis zu einer Differenzhaftung kommt. Diese Anrechnungskonstruktion verbiegt zwar schuldrechtliche Grundsätze und ist daher in der Lehre dogmatisch umstritten,27) im Ergebnis aber dennoch zu begrüßen. 23) Vereinfacht gesagt, ergibt sich dieses Ergebnis daraus, dass der Gesellschafter auf die bereicherungsrechtliche Forderung, die ihm aufgrund der nicht schulderfüllend wirkenden ersten Zahlung der Bareinlage entsteht, nur die Insolvenzquote erhält und den Bareinlagebetrag gleichzeitig erneut leisten muss. Vgl dazu ausführlich Taufner, Sacheinlage 43 ff. 24) Pentz in MünchKommAktG3 § 27 Rz 97; BGH 20. 11. 2006, II ZR 176/05 ZIP 2007, 178 (182); Pilgerstorfer, Betriebseinbringungen mit unbaren Entnahmen – ein Problem der verdeckten Sacheinlage, wbl 2004, 353. 25) Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4 1122; ders in Blaurock, Das Recht der Unternehmen in Europa 103 (118 f); folgend Winter/Westermann in Scholz, GmbHG I10 § 5 Rz 80 d; Grunewald, Rechtsfolgen verdeckter Sacheinlagen, in FS Rowedder (1994) 111 (114), hinterfragt die „drakonischen Rechtsfolgen“; Kritik auch bei Lutter in KölnKommAktG § 183 Rz 75; Röhricht in Hopt/Wiedemann, GroßKomm AktG4 § 27 Rz 193; Brandner, Verdeckte Sacheinlage: Eine Aufgabe für den Gesetzgeber, in FS Boujong (1996) 37 (42); Winner, Die Rechtsfolgen verdeckter Sacheinlagen – ein Fall für den Gesetzgeber, RdW 2010, 467 (468); Kalss/Schauer, Die Reform des Österreichischen Kapitalgesellschaftsrechts, in 16. ÖJT Bd II/1, 339 ff; Roth, Reform des Kapitalgesellschaftsrechts: Kapitalverfassung, in 16. ÖJT Bd II/2, 109 f; Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung (2004) 37; vgl auch Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 (2007) § 63 Rz 18 b. Dogmatische Widersprüche melden an Loos, Zur verschleierten Sacheinlage bei der Aktiengesellschaft, AG 1989, 381; Meilicke, Die verschleierte Sacheinlage – Eine deutsche Fehlentwicklung (1989); Knobbe-Keuk, Umwandlung eines Personenunternehmens in eine GmbH und verschleierte Sachgründung, ZIP 1986, 885 (886); Bergmann, Die verschleierte Sacheinlage bei AG und GmbH, AG 1987, 57 (66 f); Mildner, Bareinlage, Sacheinlage und ihre „Verschleierung“ im Recht der GmbH (1989) 13; Wilhelm, Kapitalaufbringung und Handlungsfreiheit der Gesellschaft nach Aktien- und GmbH-Recht, ZHR 152 (1988), 333 (350). Bedenken auch bei Kalss/Eckert, Zentrale Fragen des GmbH-Rechts (2005) 267; Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung (2004) 37; Ch. Nowotny, Verdeckte Sacheinlagen und Erhaltung von Bareinzahlungen, RdW 2004, 392; J. P. Gruber, Unbare Entnahmen und verdeckte Sacheinlagen, GesRZ 2004, 315 (316). 26) Für das GmbHG: „Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG)“ v 23. 10. 2008, BGBl I 2008, 48; für die AG: „Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrichtlinie (ARUG)“ v 29. 5. 2009, BT-Drucks 512/09, BGBl I 2009/ 2479. 27) Vgl Winner, RdW 2010, 467 (469) mit Verweisen auf Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG § 19 Rz 47; Veil in Scholz, GmbHG10 (2010) Nachtrag MoMiG § 19 Rz 19; Goette, Aktuelle Entwicklungen im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht im Lichte der höchstrichterlichen Rechtsprechung, ÖBA 2009, 18 (20 f). Zu den dogmatischen Einordnungsproblemen ausführlich Taufner, Sacheinlage 273 f

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[GESELLSCHAFTSRECHT] In Österreich ist man von einer solchen Neuregelung noch deutlich entfernt. In den letzten Jahren haben sich die österr Rsp28) und Lehre29) der deutschen „Lehre von der verdeckten Sacheinlage“ zum alten Recht jedoch vollauf angeschlossen. Daraus folgt, dass die in Deutschland entwickelten Grundsätze und Fallgruppen zur verdeckten Sacheinlage derzeit auch für die österr Beratungspraxis berücksichtigt werden sollten.30)

B. Einzelne Gefahrenquellen 1. Grundfall Den klassischen Fall eines schädlichen Rechtsgeschäfts verwirklicht ein Gesellschafter, der seiner Sozietät im Anschluss an seine bare Einlagenzahlung direkt eine in seinem Eigentum stehende Sache übereignet.31) Erfüllt die Gesellschaft sodann die in dem Vertrag übernommene Schuld und bezahlt den Kaufpreis, so fließt die zunächst eingezahlte Stammeinlage wieder an den Inferenten zurück, während die Gesellschaft anstatt des Bargelds nur mehr die übereignete Sache im Vermögen hat. Oft findet sich diese Vorgehensweise bei Einzelunternehmern, die kurz nach der Unternehmensgründung eine GmbH errichten und dieser sodann, wie bereits bei Unterzeichnung der Errichtungserklärung beabsichtigt, Betriebsgegenstände verkaufen. Für die Leistung der Bareinlage in einem ähnlichen Grundfall verwendete der BGH das anschauliche Sprachbild eines „geworfenen Balles, der an einem Gummiband hängt und sofort wieder zurückschnellt“.32)

2. Treuhandkonstruktionen und Beteiligung Dritter Eine unzulässige verdeckte Sacheinlage kann auch dann vorliegen, wenn mit der Bareinlage Vermögensgegenstände von einem Dritten erworben werden. In einem Aufsehen erregenden Fall in Deutschland hatte die IBH-AG gegenüber ihrer Lieferantin L Kreditschulden in Höhe von 5 Mio DM. L wollte die IBH-AG mit einem Debt Equity Swap33) sanieren. Darum schlossen L und die Bank B einen Treuhandvertrag, wonach B im Zuge einer Kapitalerhöhung Aktien gegen eine Bareinlage von 5 Mio DM übernehmen sollte. Die von B eingezahlten Mittel wurden daraufhin zur Glattstellung des Kredits zugunsten der L verwendet.34) Hintergrund dieser umständlichen Konstruktion war die Tatsache, dass es jedenfalls als verdeckte Sacheinlage angesehen worden wäre, hätte sich L unmittelbar an der Kapitalerhöhung beteiligt und mit den als Bareinlage eingezahlten Mitteln ihren eigenen Lieferantenkredit erfüllt. Doch auch die Treuhandkonstruktion scheiterte, der BGH beurteilte auch diesen Kunstgriff als verdeckte Sacheinlage. In einem anderen Fall eines Debt Equity Swaps finanzierte eine Bank B die Sanierung der angeschlagenen Beton und Monierbau AG mit einem Kredit über 30 Mio DM. Diesen Kredit löste die Drittbank D ab. Daraufhin übernahm die B im Zuge einer Kapitalerhöhung eine Bareinlage in Höhe der Kreditforderung. Die AG verwendete die empfangene Einlagenzahlung der B dann wiederum zur Befriedigung der Kreditforderung der D.35) Nach Ansicht der deutschen Rsp wäre in beiden Fällen die Kreditforderung als Sacheinlage einzubringen gewesen,36) durch die gewählten Konstruktionen sei ÖJZ [2011] 09

diese Pflicht unzulässigerweise umgangen worden. Der BGH erkannte in beiden Fällen eine verdeckte Sacheinlage. Er führte aus, der Tatbestand der verdeckten Sacheinlage könne selbst dann erfüllt sein, wenn Einlagenschuldner und Vertragspartner des Rechtsgeschäfts auseinanderfallen, sofern nur eine für eine Umgehung ausreichende Verknüpfung zwischen den beiden Personen bestehe.37) Insb wenn zwischen ihnen eine Verbindung in Form eines Treuhandverhältnisses bestehe, müssten derartige Fälle gleich wie ein zweipersonales Verhältnis behandelt werden.38) Im Allgemeinen stellt der BGH in mehrpersonalen Verhältnissen also darauf ab, ob die Einlage zumindest mittelbar an den Inferenten zurückfließt.39)

3. Verdeckte Sacheinlage im Konzern Vor diesem Hintergrund sind drei Konzernsachverhalte zu betrachten, die der BGH ebenfalls zu entscheiden hatte.40) Im ersten Fall gründet eine Konzernholding eine Tochtergesellschaft im Wege der Bargründung. Nachdem die Bareinlage geleistet und die Gesellschaft eingetragen wurde, gründet die Tochter ihrerseits eine weitere Gesellschaft (die Enkelin im Konzern) und leistet die Bareinlage. Wie von Anfang an beabsichtigt, schließt die Mutter als Verkäuferin kurz nach ihrer Eintragung mit der Enkelin als Käuferin einen Vertrag

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mwN; zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Rückwirkung dieser Lösung BGH 22. 3. 2010, II ZR 12/08 GmbHR 2010, 700; Pentz, Die Anrechnung bei der verdeckten (gemischten) Sacheinlage, GmbHR 2010, 673. Vgl OGH 30. 8. 2000, 6 Ob 132/00 f; 15. 2. 2001, 8 Ob 24/01 i; 23. 1. 2003, 6 Ob 81/02 h; 23. 10. 2003, 6 Ob 196/03 x; 27. 11. 2003, 6 Ob 219/03 d; 15. 4. 2010, 6 Ob 162/09 f. Van Husen/Krejci in Straube, GmbHG § 6 Rz 224; Koppensteiner/ Rüffler, GmbHG3 (2007) § 6 Rz 24; J. P. Gruber, Unbare Entnahmen und verdeckte Sacheinlagen, GesRZ 2004, 315 (317); Thurnher, Die Vermeidung verschleierter Sacheinlagen bei der Einbringung von Betrieben mit Entnahmen nach § 16 Abs 5 UmgrStG, GesRZ 2005, 10 (17); im Grundsatz auch Schopper, Fallgruppen zur Lehre von der verdeckten Sacheinlage, NZ 2009, 257 (258). Die deutsche Rechtslage vor der Reform entsprach der geltenden österreichischen; vgl Winner, RdW 2010, 467 (468). Vgl für Deutschland etwa BGH II ZR 272/05 ZIP 2007, 528; für Österreich OGH 6 Ob 132/00 f SZ 73/130. BGH 10. 11. 1958, II ZR 3/57 BGHZ 28, 314 (319 f). Über Debt Equity Swaps wird Fremdkapital in Eigenkapital umgewandelt. Dadurch wird der stakeholder zum shareholder und kann (gerade in Sanierungsphasen) gesellschaftsrechtliche Mitspracherechte ausüben. Vgl Konwitschka, Verdeckte Sacheinlagen bei sanierenden Kapitalerhöhungen und deren Heilung, ecolex 2001, 183. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4 887; BGH 15. 1. 1990, II ZR 164/88 BGHZ 110, 47. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4 887; BGH 13. 4. 1992, II ZR 277/90 BGHZ 118, 83. Auch Gesellschafterforderungen können Gegenstand von verdeckten Sacheinlagen sein; vgl ausführlich Konwitschka, Kapitalerhöhung durch Verrechnung von Gesellschafterforderungen (1998). Vgl zu den möglichen Konstellationen detailliert Heidinger in Spindler/ Stilz, Kommentar zum dAktG § 27 Rz 160 ff mit Nachweisen aus der deutschen Rsp; sowie Lenz, Die Heilung verdeckter Sacheinlagen bei Kapitalgesellschaften (1996) 17 jeweils mwN; ablehnend Ebenroth/Neiß, Zur Vereinbarkeit der Lehre von der verdeckten Sacheinlage mit EG-Recht, BB 1992, 2085 (2086 f). BGH 15. 1. 1990, II ZR 164/88 BGHZ 110, 47 (66 ff); Ulmer in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG § 19 Rz 130; Heidinger in Jabornegg/Strasser, AktG4 § 20 Rz 23 mwN. Vgl BGH 20. 11. 2006, II ZR 176/05 BB 2007, 458; BGH 12. 2. 2007, II ZR 272/05 ZIP 2007, 528. Zur verdeckten Sacheinlage im Konzern vgl van Husen/Krejci in Straube, GmbHG § 6 Rz 227. Im Detail abweichend Pentz in MünchKommAktG3 § 27 Rz 121. Zur verdeckten Sacheinlage im Konzern vgl van Husen/Krejci in Straube, GmbHG § 6 Rz 227.

Ü Michael Taufner Ü Verdeckte Sacheinlagen: Fallstricke für die Beratungspraxis

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[G E S E L L S C H A F T S R E C H T ] über die Lieferung bestimmter Vermögensgegenstände. Für die Erfüllung der Kaufpreisforderung verwendet sie die Bareinlage.41) Die Bareinlage fließt folglich von der Mutter durch die Tochter hindurch in die Enkelin und wieder zurück. Auch in diesem Fall soll nach der Rsp eine verdeckte Sacheinlage vorliegen. Dabei mache es keinen Unterschied, dass die von der Konzernholding einbezahlte Bareinlage nicht direkt von der Tochter, sondern erst von der Enkelin zurückfließt.42) In einem anderen Fall errichteten insgesamt 18 Gründer eine AG mit einem bar aufzubringenden Stammkapital von knapp E 700.000,–. Wie schon zuvor mittels einer allumfassenden Abrede vereinbart, wurden von der Gesellschaft kurz nach der Bargründung Warenlager angekauft. Es gab zwei Verkäufer: einerseits die H-GmbH, an welcher ein Gründer 75% und ein weiterer 25% hielt; andererseits die S-GmbH, an welcher ein dritter Gründer 85% besaß. Der Kaufpreis für die Warenlager überstieg die jeweilige Bareinlage des Anlegers deutlich.43) Nach Ansicht des BGH würden die Gründer durch den „Rückfluss“ der Einlage an ihre GmbH in gleicher Weise begünstigt, als ob ihnen der Betrag selbst zugeflossen wäre. Auch hier nahm er (offenbar ungeachtet des Beteiligungsausmaßes) eine verdeckte Sacheinlage an (s Abbildung 1).

A

B

C

H

S

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s ei pr uf Ka

Sachleistung

re is

Bareinlagen

Sachleistung

D Abbildung 1

4. Fremdkapital und freiwillige Zuzahlungen in die freie Kapitalrücklage Aus den bisherigen Ausführungen könnte sich prima vista der Schluss ergeben, der Rückfluss der Einlage sei entscheidend für das Vorliegen einer verdeckten

M

T2

Sachleistung

T1 E Kaufpreis

Bareinlage

UE

Abbildung 2

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Im dritten Fall hielt die M-GmbH sämtliche Anteile an der T1-GmbH. Die T1-GmbH hielt wiederum alle Anteile an der E-GmbH und diese sämtliche Anteile der UE-GmbH. Die E beschloss, das Kapital der UE in Barem von DM 100.000,– auf DM 9.000.000,– zu erhöhen, und zahlte die Mittel ein. Mit diesen Geldern wurde wenig später ein Gießereibetrieb von einer weiteren Gesellschaft, der T2-AG, erworben. Die T2 war ebenso wie die T1 100%ige Tochter der M-GmbH und damit ihre Schwester im Konzern (s Abbildung 2).44) In diesem Urteil erläuterte der BGH, es läge keine verdeckte Sacheinlage vor, denn an die Inferentin E würde nichts zurückfließen.45) Tatsächlich liegt in dieser Konstellation ein feiner Unterschied zu den beiden vorangehend beschriebenen Fällen. Denn aus dem ersten Fall kann man den Schluss ziehen, dass auch der „Durchfluss“ der Bareinlage durch eine Tochtergesellschaft zu einer verdeckten Sacheinlage führt, wenn Gegenstände direkt von der Konzernmutter als Erstinferentin erworben werden. Aufgrund der zweiten Entscheidung kann man annehmen, dass dieser „Durchfluss“ selbst dann schädlich wäre, wenn nicht direkt von der Mutter, sondern von einer anderen Tochter erworben wird, wenn die Mutter durch diesen Rückfluss in gleicher Weise begünstigt wird. Der entscheidende Unterschied zum dritten Fall liegt mE darin, dass die Konzernmutter M selbst im zeitlichen Zusammenhang keine Bareinlage in die T1 und die T1 keine Bareinlage in die E erbracht hat. Denn nur in dieser Konstellation würde ihre Bareinlage durch den Sacherwerb der UE von T2 mittelbar an die Konzernmutter zurückfließen. Dann wäre der Kreislauf des Kapitalflusses nämlich geschlossen gewesen und hätte der BGH mE wohl eine verdeckte Sacheinlage angenommen. Zusammenfassend ist auch im Falle des Auseinanderfallens von Vertragspartner und Einlagenschuldner zu größter Vorsicht zu mahnen. Die in der Praxis regelmäßig geübte Zwischenschaltung von verschiedenen Gesellschaften zur Vermeidung von verdeckten Sacheinlagen, von welcher Winner berichtet, ändert jedenfalls regelmäßig nichts am Ergebnis einer verdeckten Sacheinlage.46)

Ü Michael Taufner Ü Verdeckte Sacheinlagen: Fallstricke für die Beratungspraxis

41) Frhr. v. Schnurbein, Verdeckte Sacheinlage im Konzern – Vereinfachung durch das MoMiG? GmbHR 2010, 568 (571) in Anlehnung an BGH 26. 5. 1997, II ZR 69/96 GmbHR 1997, 788; LG Mainz 30. 9. 1988, 11 HO 3/86 WM 1989, 1053. 42) Frhr. v. Schnurbein, GmbHR 2010, 568 (571). 43) Vgl BGH 20. 11. 2006, II ZR 176/05 BB 2007, 458. 44) Vgl BGH 12. 2. 2007, II ZR 272/05 ZIP 2007, 528; vgl auch Koppensteiner, Über verdeckte Sacheinlagen, unzulässige Zuwendungen aus dem Gesellschaftsvermögen und freie Verfügung, GeS 2007, 280. 45) AA Koppensteiner, GeS 2007, 280; wohl auch Pentz in MünchKommAktG2 § 27 Rz 121, der einen tatbestandsbegründenden Rückfluss der Bareinlage annimmt, wenn die Mutter aufgrund eines Konzernverhältnisses über die an die Schwester geleisteten Mittel verfügen kann. 46) Winner, RdW 2010, 467 (468 FN 5); vgl auch Koppensteiner/Rüffler, GmbHG-Kommentar3 § 6 Rz 24.

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[GESELLSCHAFTSRECHT] Sacheinlage47) und man müsse in der Transaktionsberatung lediglich darauf achten, dass es zu keinem solchen Rückfluss komme. Schon die Definition der verdeckten Sacheinlage des OGH räumt jedoch ein, dass nicht bei jeder verdeckten Sacheinlage ein Einlagenrückfluss geschehen muss. Denn der Rückfluss ist seiner Umschreibung nach nur ein möglicher Fall einer wirtschaftlichen Sacheinlage.48) Daher ist insb vor der Annahme zu warnen, eine verdeckte Sacheinlage sei ausgeschlossen, sofern die eingelegten Barmittel in der Gesellschaft verbleiben. Unter dieser Prämisse würde sich nämlich anbieten, den Erwerb vom Gesellschafter einfach über einen Bankkredit fremdzufinanzieren. Wird die Kreditvaluta zusätzlich noch mittels einer Anweisungskonstruktion direkt von der finanzierenden Bank an den Gesellschafter geleistet, so werden die eingezahlten Barmittel in der Gesellschaft nicht berührt und fließen keinesfalls zurück. Dennoch kann in diesem Fall eine verdeckte Sacheinlage vorliegen. Die deutsche Lehre behandelt derartige Sachverhaltskonstellationen unter dem Schlagwort der „Nämlichkeit der Mittel“. In diesem Zusammenhang wird die Frage erörtert, ob die im Wege der Bareinlage zugeflossenen Mittel mit jenen identisch sein müssen, die als Entgelt für den Sacherwerb an den Gesellschafter abfließen.49) Heidinger verneint diese Frage, seiner Ansicht nach könne das Vorliegen einer verdeckten Sacheinlage auch bei absprachegemäßen Rückzahlungen in Form von fremdfinanzierten Gegenleistungen nicht ausgeschlossen werden.50) Auch in diesem Fall würden seiner Ansicht nach die Kapitalaufbringungsvorschriften verletzt, wenn die Bareinlage durch eine entsprechende Verbindlichkeit „belastet“ wird. Diese Belastung besteht wohl darin, dass nach Tilgung des Kredits dasselbe Ergebnis gegeben ist, wie wenn der Vermögensgegenstand ohne den Einsatz von Fremdmitteln direkt aus der Kassa bezahlt worden wäre. Denn die Fremdmittel, die zunächst bar vorhanden waren, wurden im Wege des Kaufvertrags durch den vom Gesellschafter übernommenen Vermögensgegenstand ersetzt (Aktivtausch). Durch die Tilgung des Kredits wurden die baren Einlagemittel für die Bedienung des Kredits aufgewendet (Bilanzverkürzung; zumindest, sofern die Tilgungsraten nicht aus Gewinnen bestritten werden können). Schlussendlich stellt sich (bei vereinfachter Betrachtung) bilanziell dieselbe Situation dar, als ob der Vermögensgegenstand schon ursprünglich aus der Einlage finanziert worden wäre. Reich-Rohrwig/Größ51) stellen bei der Frage der Fremdfinanzierung auf den zeitlichen Zusammenhang ab, den sie mit zwei Jahren bemessen. In Konsequenz dieser Ansicht halten sie den fremdfinanzierten Erwerb vom Gesellschafter für zulässig, sofern der Kredit frühestens nach zwei Jahren endfällig vereinbart wurde. Denn dann würde es am zeitlichen Zusammenhang fehlen. Für Konwitschka und Mädel/Nowotny scheint die Nämlichkeit der hin- und hergezahlten Mittel sehr wohl eine Voraussetzung des Tatbestands einer verdeckten Sacheinlage zu sein; fehlt es an ihr, so soll keine verdeckte Sacheinlage vorliegen.52) Die deutsche Rechtsprechung erörterte die Bedeutung der Nämlichkeit der Mittel für eine wirksame Einlagenleistung weniger unter dem Aspekt der verdeckten Sacheinlage als vielmehr unter jenem des gesetzlichen ErforÖJZ [2011] 09

dernisses, dass Einlagen zur (endgültig) freien Verfügung zu leisten sind.53) Das OLG München vertrat beispielsweise die Auffassung, das Kriterium der Zahlung zur freien Verfügung könne grundsätzlich verletzt und die Einlagenleistung folglich unwirksam sein, obwohl keine Nämlichkeit zwischen ein- und zurückgezahlten Mittel vorliege. Auch Zahlungen an den Einleger, die nicht aus der Einlagesumme stammen, könnten als Rückfluss anzusehen sein und die freie Verfügbarkeit ausschließen.54) In dem Fall, welcher dem OLG zur Entscheidung vorlag, war unmittelbar vor einer Kapitalerhöhung verabredet worden, dass aus einem Teil der im Zuge der Kapitalerhöhung vereinnahmten Beträge bestehende Forderungen eines Gesellschafters getilgt würden. Die Tilgung erfolgte allerdings nicht aus den als Ausgabepreis vereinnahmten Beträgen (Einlage einschließlich Agio), sondern aus zusätzlich vereinbarten, freiwilligen Zuzahlungen in die freie Kapitalrücklage.55) Der BGH bestätigte die Ansicht des OLG, welches folgerte, es läge weder ein Verstoß gegen die freie Verfügung noch eine verdeckte Sacheinlage vor. Denn für beide Themenkreise sei entscheidend, dass es zu keinem Rückfluss der Bareinlage gekommen sei.56) Fasst man den skizzierten Stand von Lehre und Rsp zusammen, so scheint die Finanzierung eines Sacherwerbs vom Gesellschafter im Zusammenhang mit einer Bareinlage über Fremdkapital aufgrund der „Belastung“ der Bareinlage unzulässig zu sein, während die Finanzierung aus schuldrechtlich vereinbarten, freiwilligen Zuzahlungen in die Kapitalrücklage keine verdeckte Sacheinlage darstellt, weil die Bareinlage nicht berührt wird. Wenn dabei in der Praxis auch große Vorsicht geboten ist,57) so muss dies mE dennoch eine grundsätzlich zulässige Möglichkeit der bewussten Vermeidung der Kosten einer Sachgründung/-kapitalerhöhung bilden (sofern man der Logik der verdeckten Sacheinlage überhaupt folgen will).58) Ü 47) So Habersack, Verdeckte (gemischte) Sacheinlage, Sachübernahme und Nachgründung im Aktienrecht, ZGR 2008, 48 (54). 48) OGH RIS-Justiz RS0114160; zuletzt OGH 15. 4. 2010, 6 Ob 162/ 09 f. 49) Vgl Mayer, NJW 1990, 2593 (2598); Henze, Verdeckte Sacheinlagen im Aktien- und GmbH-Recht, ZHR 154 (1990), 105 (108); Kutscher, GmbHRdSch 1987, 297 (299). 50) In Spindler/Stilz, AktG § 27 Rz 147 entgegen den dortigen wN jedoch zustimmend Pentz in MünchKommAktG2 § 27 Rz 92. 51) Einbringung eines durch unbare Entnahmen überschuldeten Unternehmens in eine GmbH, ecolex 2003, 680 (683). 52) Anm Konwitschka zu OGH 23. 1. 2003, 6 Ob 81/02 h ecolex 2003/ 279: Sei die Bedienung der unbaren Entnahme aus dem eingebrachten Bargeld möglich, so komme es zu keiner verdeckten Sacheinlage; ähnlich Mädel/Nowotny in FS Wiesner 281. Vgl dazu unten 6. Einbringungen und 7. Cash Pooling. 53) Vgl hierzu § 10 Abs 2 f GmbHG, § 28 Abs 2 Z 1, § 49 Abs 3 AktG. 54) OLG München 27. 9. 2006, 7 U 1857/06, ZIP 2007, 127 (129). 55) Es erfolgte eine sonstige Zuzahlung iSd § 272 Abs 2 Z 4 dHGB; vgl hierzu § 229 Abs 2 Z 5 UGB. 56) BGH 15. 10. 2007, II ZR 249/06 ZIP 2008, 26; OLG München ZIP 2007, 127 (130). 57) Insb fehlt der BGH-Entscheidung, mit welcher das OLG München bestätigt wurde, eine eindeutige und generelle Absegnung der Variante der Finanzierung aus der freien Kapitalrücklage und es bleibt fraglich, ob der OGH dieser Entscheidung überhaupt folgen würde. 58) Allein auf den Einlagenrückfluss abzustellen wird zB dann fragwürdig, wenn die um 1.000 erworbene Sache voll aus der freien Rücklage finanziert wird, im nächsten Jahresabschluss aber plötzlich auf einen wesentlich niedrigeren Teilwert (600) abgeschrieben werden muss. Man könnte dann meinen, die Sache sei schon ursprünglich zu teuer gekauft worden, es hätte ein Einlagenrückfluss iHv 400 an den Gesellschafter stattgefunden und läge daher eine verdeckte Sacheinlage vor.

Ü Michael Taufner Ü Verdeckte Sacheinlagen: Fallstricke für die Beratungspraxis

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[G E S E L L S C H A F T S R E C H T ] 5. Gemischte Sacheinlage Wie oben ausgeführt, liegt die Rechtfertigung der verdeckten Sacheinlage vor allem darin, dass das Ergebnis einer „wirtschaftlichen Sacheinlage“ in jedem Fall den Publizitäts- und Bewertungsvorschriften für Sacheinlagen unterliegen muss. Liegt der Preis, den die Gesellschaft für eine nach der Gründung übernommene Sache an einen Gesellschafter zahlt, wesentlich über dem Betrag der Einlage, so könnte man vielleicht meinen, darin läge ein entscheidendes Indiz gegen die Annahme, dass es den Beteiligten auf eine wertmäßige Umwandlung der Bar- in eine Sacheinlage angekommen sei. Tatsächlich kann nach der deutschen Rechtsprechung aber auch darin eine verdeckte Sacheinlage liegen. Für derartige Vorgänge hat sich in Deutschland mittlerweile der Begriff der verdeckten gemischten Sacheinlage etabliert. Allgemein liegt eine gemischte Sacheinlage begrifflich dann vor, wenn der Wert einer einzubringenden Sache dem Einleger nicht ausschließlich mit Gesellschaftsanteilen, sondern zusätzlich auf andere Weise abgegolten wird.59) Die gemischte Sacheinlage spielt in der Transaktionspraxis eine wichtige Rolle, zB bei der Einbringung von Geschäftsanteilen als Sacheinlage.60) Sie bietet den Vorteil, dass ein Gründer eine hochwertige Sacheinlage leisten kann (etwa ein Unternehmen), davon jedoch nur ein Teil als Einlage gewidmet werden muss und der andere Teil in bar abgegolten werden kann. Dieses Barentgelt kann entweder fremdfinanziert werden oder auch aus den Bareinlagen anderer Gründer stammen. Solange derartige Gestaltungen offengelegt werden, steht ihnen aus dem Gesichtspunkt der Kapitalaufbringung grundsätzlich nichts im Wege.61) Der BGH hat in mehreren Entscheidungen62) jedoch keinen Zweifel daran gelassen, dass die gemischte Sacheinlage in ihrer Gesamtheit den Vorschriften über Sacheinlagen unterliegt. Die Anwendung der Regeln über die verdeckte Sacheinlage sei keineswegs deswegen ausgeschlossen, weil zwischen der übernommenen Bareinlageschuld und dem Kaufpreis für den später (verdeckt) übernommenen Gegenstand eine große Wertdifferenz liege.63) Im Ergebnis heißt das, dass stets der gesamte Leistungsgegenstand im Gesellschaftsvertrag bzw im Kapitalerhöhungsbeschluss offengelegt werden muss und auch die gesamte Vergütung anzugeben ist.64) Eine formlose Durchführung eines solchen Erwerbs nach Abschluss des Barkapitalaufbringungsvorgangs würde hingegen eine verdeckte Sacheinlage darstellen.

6. Einbringungen Auf den Rückfluss der Bareinlage stellte der OGH auch bei seinen Entscheidungen zur verdeckten Sacheinlage im Zusammenhang mit Einbringungen nach Art III UmgrStG ab. In einer Entscheidung aus dem Jahr 2003 sprach er nämlich aus, eine verdeckte Sacheinlage könne grundsätzlich auch im Zusammenhang mit unbaren Entnahmen gem § 16 Abs 5 Z 2 UmgrStG entstehen.65) Unbare Entnahmen stellen Passivposten in der Einbringungsbilanz dar, die vorsorglich für zukünftige Entnahmen gebildet werden können.66) So kann das Einbringungskapital gemindert werden, obwohl die Liquidität, aus der die Verbindlichkeiten befriedigt werden, erst in Zukunft (und schon in der Kapitalgesellschaft) generiert wird. Weil dieser Vorgang nicht als 394

Ü Michael Taufner Ü Verdeckte Sacheinlagen: Fallstricke für die Beratungspraxis

Gewinnausschüttung besteuert wird, liegt eine steuerliche Begünstigung vor, die einen zusätzlichen Anreiz zur Einbringung geben soll.67) Diese ist freilich nicht völlig schrankenlos möglich, vielmehr sind unbare Entnahmen gem Z 2 leg cit mit einem bestimmten Prozentsatz des positiven Verkehrswerts des Einbringungsvermögens begrenzt.68) Wird eine Gesellschaft nun zunächst bar gegründet und sodann im engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang eine Einbringung durchgeführt, so kommt es durch die Erfüllung der in die Einbringungsbilanz eingebuchten unbaren Entnahme zu einem Rückfluss der anlässlich der Gründung einbezahlten Bareinlage an den Gesellschafter. Darin erkannte der OGH eine verdeckte Sacheinlage. Auch hier stellte er, quasi saldiert, allein auf das Ergebnis ab, wonach die Gesellschaft niemals wirklich eine Bareinlage, sondern vielmehr eine wirtschaftliche Sacheinlage erhalten habe.69) Bei dem Einbringungsvorgang, welcher dieser ersten Entscheidung zugrunde lag, handelte es sich um eine Einbringung unter Verzicht auf Anteilsgewährung gem § 19 Abs 2 Z 5 UmgrStG, wie sie nach dem Bericht von Pilgerstorfer in der firmenbuchgerichtlichen Praxis tagtäglich vorkommt.70) Diese hat gesellschaftsrechtlich zur Folge, dass entgegen dem Normalfall keine neuen Anteile zu gewähren sind und eine Kapitalerhöhung folglich unterbleiben kann. Zivilrechtlich betrachtet handelt es sich bei einer solchen Einbringung grundsätzlich um eine unentgeltliche Zuwendung des Gesellschafters an die Gesellschaft und nicht um eine Sacheinlage im gesellschaftsrechtlichen Sinn.71) Werden unbare Entnahmen getätigt, so ändert sich dieses Bild allerdings. Denn in unbaren Entnahmen ist zweifellos ein (teilweises) Entgelt der Gesellschaft für den übernommenen Vermögensgegenstand zu sehen.72) In einem solchen Fall handelt es sich mE folglich um eine gemischte Schenkung.73) 59) Reich-Rohrwig, GmbH-Recht I2 Rz 1/192 mwN. 60) Stiller/Redeker, Aktuelle Rechtsfragen der verdeckten gemischten Sacheinlage, ZIP 2010, 865 (865). 61) Reich-Rohrwig, GmbH-Recht I2 Rz 1/192; vgl auch van Husen/Krejci in Straube, GmbHG § 6 Rz 206 mwN. 62) BGH 20. 11. 2006, II ZR 176/05 ZIP 2007, 178; 9. 7. 2007, II ZR 222/06 ZIP 2007, 751; 18. 2. 2008, II ZR 132/06 ZIP 2008, 788. 63) Vgl insb BGH ZIP 2007, 178 (180). 64) BGH II ZR 176/05 ZIP 2007, 178; vgl auch Habersack, ZGR 2008, 48 (50). 65) OGH 23. 1. 2003, 6 Ob 81/02 h. 66) Doralt/Ruppe, Steuerrecht I8 Rz 1149. 67) Kritisch Doralt, Steuermissbrauch bei Umgründungen, RdW 2001, 761; vgl dazu Wiesner, Die unbare Entnahme gemäß § 16 Abs 5 Z 2 UmgrStG – Fehlkonstruktion oder Systembaustein, ÖStZ 2002, 35. 68) Diese Grenze wurde zuletzt geändert durch das AbgÄG 2005, und zwar auch wegen der Problematik der verdeckten Sacheinlage; s hierzu Wiesner/Mayr, UmgrStG: Aktuelles zur Einbringung, RdW 2007, 628 (631). 69) Koppensteiner/Rüffler, GmbHG-Kommentar3 § 6 Rz 24; vgl Pilgerstorfer, wbl 2004, 353. 70) Pilgerstorfer, wbl 2004, 353. 71) OGH 26. 4. 2001, 6 Ob 5/01 f. 72) Denn trotz der Konstruktion der Einbuchung einer Verbindlichkeit in die Einbringungsbilanz kann diese Verbindlichkeit nicht vom Einbringenden an die aufnehmende Gesellschaft übertragen werden, sondern entsteht erst originär bei der Kapitalgesellschaft. Das folgt schon aus § 1445 ABGB, wonach niemand gegen sich selbst eine Forderung haben und so sein eigener Schuldner sein kann; so schon J. P. Gruber, Verdeckte Sacheinlagen, RdW 2004, 390 FN 23. 73) Anders wohl J. P. Gruber, Unbare Entnahmen und verdeckte Sacheinlagen, GesRZ 2004, 315 (317); ders, Verdeckte Sacheinlagen, RdW 2004, 390 (391 f); vgl auch Pilgerstorfer, wbl 2004, 353. Um

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[GESELLSCHAFTSRECHT] Für den OGH war offenbar gerade dieses Unterbleiben einer Kapitalerhöhung ein entscheidendes Kriterium der verdeckten Sacheinlage, wie sich aus einer Folgeentscheidung ergibt.74) In diesem Fall wurden zwei Betriebe in eine kurz davor gegründete GmbH eingebracht, wobei ebenfalls hohe unbare Entnahmen in die Einbringungsbilanz gebucht wurden. Diese Einbringung erfolgte jedoch unter Beachtung der Hälfteklausel gem § 6 a Abs 1 GmbHG, weshalb eine Kapitalerhöhung um E 20.000,– durchgeführt wurde, wobei der Gesellschafter neben den (mit E 10.000,– bewerteten) Unternehmen auch eine Bareinlage (in Höhe von ebenfalls E 10.000,–) leistete.75) Der OGH nahm in diesem Fall keine verdeckte Sacheinlage an, da aufgrund der Einlage im Wege der Kapitalerhöhung der sachliche Zusammenhang mit der Bareinlagenleistung anlässlich der Gründung fehle.76) Zusammenfassend kann nach dem OGH folglich auch dann eine verdeckte Sacheinlage vorliegen, wenn im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Bargründung eine Einbringung durchgeführt wird, in deren Zuge es nicht zu einer Gewährung von neuen Anteilen kommt. Wird die Sacheinbringung hingegen offengelegt und die Einbringung unter Beachtung der Hälfteklausel durchgeführt, so soll keine verdeckte Sacheinlage vorliegen.77)

7. Cash Pooling Durch Cash-Pool-Vereinbarungen wird die gesamte Liquidität eines Konzerns in einer Gesellschaft gebündelt, regelmäßig in der Konzernmutter. Bildlich gesprochen führt dies zu einer gemeinsamen Kasse im Konzern. Aus dieser Kasse wird der jeweilige Finanzierungsbedarf der Konzerngesellschaften zentral gedeckt. Der ökonomische Sinn hinter der Einrichtung eines Cash Pools liegt in der konzernweiten Optimierung des Finanzergebnisses, weil im Idealfall die Liquiditätsbedürfnisse der einen Gesellschaft durch den Cash-Überschuss der anderen gedeckt werden. So entfallen zusätzliche Kosten einer externen Finanzierung (Unterschied zwischen Soll- und Habenzinsen).78) Bei einem effektiven Cash Pooling werden die Salden der Töchter arbeitstäglich mit dem Cash-PoolKonto der Mutter saldiert.79) Hatte eine Tochter nun einen negativen Saldo zu verbuchen, so kommt es durch den Saldenausgleich zu einem Darlehen der Mutter an die Konzerntochter. Wird bei der Konzerntochter in dieser Konstellation eine Barkapitalerhöhung durchgeführt, kann eine verdeckte Sacheinlage vorliegen, wenn die aufgebrachten Barmittel ebenfalls in den Cash Pool einbezogen und somit umgehend wieder an die Muttergesellschaft zurückgeleitet werden. Durch den Saldenausgleich kann es dann nämlich zur verdeckten Einbringung einer (sacheinlagepflichtigen) Darlehensforderung kommen.80)

fende Geschäftsbeziehung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter, ist nach überwiegender Meinung eine (einen Umgehungszusammenhang begründende) Abrede nicht zu vermuten.81) Dahinter steht die Wertung, dass es auf ein generelles Verbot, entgeltliche Sachleistungen an die eigene Gesellschaft zu erbringen, hinausliefe, wenn für solche Fälle keine Ausnahme gemacht würde.82) Diese Ausnahme ist für den Umgehungsschutz der Nachgründung bereits in § 46 Abs 4 AktG niedergelegt.83) Zu betonen ist jedoch erstens, dass eine exakte Abgrenzung des gewöhnlichen Umsatzgeschäfts bislang noch nicht gelungen ist,84) und zweitens, dass eine verdeckte Sacheinlage selbst unter den Voraussetzungen eines gewöhnlichen Umsatzgeschäfts angenommen wird, sofern das Bestehen einer Abrede nachgewiesen werden kann.85)

C. Heilung Soweit ersichtlich ist man sich einig, dass vor der Insolvenz der Gesellschaft eine Heilung der verdeckten Sacheinlage jedenfalls offenstehen muss. Vor Eintragung der Gesellschaft in das Firmenbuch ist eine Heilung durch die Nachholung der Sachgründungsverpflichtungen, insb die Aufnahme der Sacheinlage in die Satzung, noch möglich.86) Für die Zeit nach erfolgter Eintragung sind die Heilungsmöglichkeiten noch ungeklärt.87) Vertreten wird einerseits die Heilbarkeit durch eine nachträgliche Satzungsänderung. Auch in diesem Fall müsste die Einla-

74) 75)

76)

77) 78)

79) 80) 81)

8. Keine Ausnahme für gewöhnliche Umsatzgeschäfte Wird nach einer Bargründung/-kapitalerhöhung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter ein vom Unternehmensgegenstand gedecktes Geschäft vorgenommen, das zum normalen Unternehmensbetrieb gehört (sog „gewöhnliches Umsatzgeschäft“) und besteht eine lauÖJZ [2011] 09

82) 83) 84) 85) 86) 87)

eine gemischte Sacheinlage handelt es sich deswegen nicht, weil keine Anrechnung auf eine Einlageschuld stattfindet, eine Einlage aber genau dieses Synallagma zwischen Gesellschaftsanteilen und Gegenleistung voraussetzt; vgl dazu Koppensteiner/Rüffler, GmbHG-Kommentar3 § 6 Rz 22 mwN. Das bedeutet freilich noch nicht, dass die Wirksamkeit der Einbringung bis zur Übergabe zwangsläufig auch von der Einhaltung der Notariatsaktpflicht abhinge; dazu Reich-Rohrwig, GmbH-Recht I2 (1997) Rz 1/392. OGH 23. 10. 2003, 6 Ob 196/03 x ecolex 2004, 95 (Konwitschka). Wegen der unbaren Entnahmen lag gesellschaftsrechtlich somit eine gemischte Sacheinlage vor, wie Pilgerstorfer, wbl 2004, 353 richtig folgert. Zustimmend Koppensteiner/Rüffler, GmbHG-Kommentar3 § 6 Rz 24; mE zu Unrecht kritisch J. P. Gruber, Unbare Entnahmen und verdeckte Sacheinlagen, GesRZ 2004, 315 (317); Pilgerstorfer, wbl 2004, 353. Vgl Anm Konwitschka zu OGH 23. 10. 2003, 6 Ob 196/03 x ecolex 2004/95. Vgl Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung (2004) 192 f mwN; Meusburger, Kapitalaufbringungsvorschriften und Cash-Pooling: Ein Überblick über diskutierte Gestaltungsvarianten und die Lösungsansätze des deutschen MoMiG, GesRZ 2008, 216 (216) mwN. Schmidt/Riegler, Das Verbot der Einlagenrückgewähr beim CashPooling, RWZ 2007, 97 (98). Vgl BGH 20. 7. 2009, II ZR 273/07; 16. 1. 2006, II ZR 76/04; ausführlich Meusburger, GesRZ 2008, 216 (217) mwN. Koppensteiner/Rüffler, GmbHG-Kommentar3 § 6 Rz 24 mwN; näher Luschin, RdW 2004, 715 (716 mwN); Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 150 Rz 18; vgl auch Ettel in Doralt/Nowotny/ Kalss, AktG § 20 Rz 35; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG17 § 19 Rz 30 b mwN; Ulmer in Ulmer, GmbHG I (2005) § 5 Rz 171 a, nach dem in diesem Fall auch bei Vorliegen des sachlichen und zeitlichen Zusammenhangs keine Beweislastumkehr eintritt; vorsichtiger jedoch BGH 20. 11. 2006, II ZR 176/05 ZIP 2007, 178. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht3 (1997) 1120 mwN. Vgl Geist in Jabornegg/Strasser, AktG4 § 46 Rz 5 f. Heidinger in Spindler/Stilz, Kommentar zum dAktG § 27 Rz 122, 142 mwN. BGH 20. 11. 2006, II ZR 176/05 ZIP 2007, 178 (181 f) mwN. Heidinger in Jabornegg/Strasser, AktG4 § 20 Rz 27 mwN. Winner, RdW 2010, 467 (468).

Ü Michael Taufner Ü Verdeckte Sacheinlagen: Fallstricke für die Beratungspraxis

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[G E S E L L S C H A F T S R E C H T ] gepflicht von einer Bar- in eine Sacheinlage geändert werden, damit die tatsächlich eingebrachte Sacheinlage zumindest im Nachhinein die erforderliche Publizität erfährt. Zusätzlich wären auch die Bewertungsvorschriften nachzuholen.88) Dieser Ansicht folgte die deutsche hM für die GmbH.89) Vor kurzem hat sich ihr auch das OLG Graz angeschlossen,90) sodass diese Auffassung mittlerweile auch in Österreich als herrschend angesehen wird.91) So begrüßenswert eine Heilungsmöglichkeit für die verdeckte Sacheinlage ist, so deutlich spricht jedoch gegen die Zulässigkeit dieses Heilungswegs, dass bis vor kurzem eine nachträgliche Satzungsänderung zur Abänderung von Einlagen stets als unstatthaft angesehen wurde92) und dieser Gedanke in § 20 Abs 3 letzter Satz AktG sogar ausdrücklich gesetzlich niedergelegt ist.93) Aufgrund dieser ausdrücklichen Anordnung scheint die herrschende österr Meinung im Aktienrecht die Heilbarkeit der verdeckten Sacheinlage durch (analoge) Anwendung der Nachgründungsvorschriften gem §§ 45 ff AktG zu befürworten.94) Diese Ansicht wurde auch im deutschen Recht vertreten.95) Gegen diesen Weg spricht jedoch der Gesetzeswortlaut, da eine Nachgründung nur der Heilung des Austauschgeschäfts dient und grundsätzlich ungeeignet ist, eine nachträgliche Erfüllung der Einlageschuld zu bewirken.96) Grundvoraussetzung für eine Aussage über die Heilbarkeit von verdeckten Sacheinlagen ist mE das Verständnis des gesetzlich positivierten Instituts der Nachgründung (vgl §§ 45 ff AktG, § 35 Abs 1 Z 7 GmbHG). Dieses bezweckt nämlich ebenso wie die richterrechtlich entwickelte Figur der verdeckten Sacheinlage unbestrittenermaßen Umgehungsschutz, weswegen sich Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben. Der Versuch einer Abgrenzung führt bis an die Anfänge des Aktienrechts im 19. Jahrhundert. Aus dem damaligen Auslegungsmaterial ergibt sich aber mE eindeutig, dass die Nachgründung keine planwidrige Lücke im gesetzlichen System des Umgehungsschutzes für die Sacheinlagevorschriften belässt.97) Das bedeutet aber weiter, dass es in Wahrheit an der für die Zulässigkeit einer Rechtsfortbildung entscheidenden Voraussetzung fehlt und das Modell der verdeckten Sacheinlage abzulehnen ist.98) Dasselbe Ergebnis folgt auch aus einer Analyse der hL zu Umgehungsgeschäften. Aus der objektiven Umgehungsdoktrin lässt sich nämlich zwar ein Umgehungsschutz nach der Systematik der Nachgründung ableiten, nicht aber nach der Systematik der verdeckten Sacheinlage.99)

Für die Frage der Heilung ergibt dies den Schluss, dass der österr hM jedenfalls insofern zuzustimmen ist, als nach Vornahme einer formellen Nachgründung100) auch den Sacheinlagevorschriften Genüge getan ist. Weiter zu präzisieren ist jedoch, dass selbst, wenn keine Nachgründung erfolgt ist, die Bareinlageschuld regelmäßig insoweit erloschen ist, als tatsächlich auf sie gezahlt wurde. Und zwar selbst dann, wenn die Umgehung der Sacheinlagevorschriften schon von vornherein verabredet war.101) In diesem Fall ist nur das verabredete Austauschgeschäft schuld- und sachenrechtlich unwirksam. Denn der Normzweck der Sacheinlagevorschriften, Publizität und objektive Bewertung von Vermögen sicherzustellen, welches von ihren Gesellschaftern in eine Kapitalgesellschaft eingebracht wird, ist schon hierdurch gewahrt.102)

88) Gellis/Feil, GmbHG § 10 Rz 6; Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung (2004) 37; Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht Rz 3/220; Heidinger in Jabornegg/Strasser, AktG4 § 20 Rz 27; Mädel/Nowotny in FS Wiesner 278 f. 89) Ausführlich Taufner, Sacheinlage 53 ff mwN. 90) OLG Graz 15. 5. 2008, 4 R 60/08 p. 91) Vgl Koppensteiner/Rüffler, GmbHG-Kommentar3 § 6 Rz 20 mwN; zu den Nachteilen dieses Heilungswegs vgl Taufner, Sacheinlage 56 f mwN. 92) Vgl nur Umfahrer, GmbH-Handbuch6 (2008) Rz 114 mwN. 93) Vgl Nagele/Lux in Jabornegg/Strasser, AktG5 (2010) § 150 Rz 31 mwN; Doralt/Diregger/Winner in MünchKommAktG3 § 27 Rz 150; Reich-Rohrwig, GmbH-Recht I2 § 6 GmbHG Rz 1/189; zweifelnd auch Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 6 Rz 20. 94) Ettel in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 20 Rz 40; Heidinger in Jabornegg/Strasser, AktG4 § 20 Rz 27; Ch. Nowotny, Hundert Jahre GmbH-Gesetz, RdW 2006, 483 (484); Doralt/Diregger/Winner in MünchKommAktG3 § 27 Rz 150; Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht Rz 3/220. 95) Vgl ausführlich Taufner, Sacheinlage 55 f mwN. 96) Bröcker, Nachgründung, Sachgründung und Kapitalschutz (2006) 165 ff; folgend Heidinger in Spindler/Stilz, AktG § 27 Rz 165; ebenso Pentz in MünchKommAktG3 § 27 Rz 82 f, 108; Theusinger, Anm zu OLG Düsseldorf 1 – 18 U 25/08, BB 2009, 180 (185). 97) Die Nachgründungsvorschriften wurden genau für denselben Sachverhalt geschaffen, der heute als verdeckte Sacheinlage bezeichnet wird. Weil diese Sacherwerbe der Gesellschaft von einem Gesellschafter kurz nach Gründung in Wahrheit „präsumtiv konstituierender Natur“ seien, wählte man auch den Begriff Nachgründung; vgl Gutachten des Reichsoberhandelsgerichts, abgedruckt in Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht (1985) 197; ausführlich Taufner, Sacheinlage 202 ff. 98) Vgl Taufner, Sacheinlage 194 ff mwN. 99) Taufner, Sacheinlage 79 ff. 100) Zu den Einzelheiten bei der GmbH vgl Taufner, Sacheinlage 258 ff. 101) Für die Frage der Umgehung der Sacheinlagevorschriften ist das Vorliegen einer Abrede nämlich in Wahrheit irrelevant, vgl Taufner, Sacheinlage 108 ff. 102) So im Ergebnis wohl auch OGH 15. 4. 2010, 6 Ob 162/09 f; vgl Taufner, Sacheinlage 104 ff, 251 ff.

Ü In Kürze

Ü 396

Gegen die Existenzberechtigung der ursprünglich aus Deutschland stammenden, richterrechtlich entwickelten Figur der verdeckten Sacheinlage sprechen schwerwiegende Argumente. Bislang hat sich die österr Rsp jedoch weitgehend der deutschen angeschlossen, sodass das Risiko einer verdeckten Sacheinlage in der Beratungspraxis auf der Tagesordnung steht. Verdeckte Sacheinlagen treten bei Einmanngesellschaften auf, im Rahmen von Konzernumstrukturierungen, im Zusammenhang mit Cash Pools, Treuhändern, bei Einbringungen mit unbaren Entnahmen, gemischten Sacheinlagen, und zwar sowohl bei Gründung als auch bei Kapitalerhöhungen. Wird dieser Makel nicht rechtzeitig

Ü Michael Taufner Ü Verdeckte Sacheinlagen: Fallstricke für die Beratungspraxis

geheilt, bewirkt dies für den betroffenen Gesellschafter schmerzhafte Rechtsfolgen und für den Rechtsberater unter Umständen eine Haftung. Zur Abwendung dieser Konsequenzen im Aktienrecht empfiehlt sich die Durchführung einer Nachgründung. Im GmbH-Recht sprechen sich das OLG Graz und die hL für den Weg einer nachträglichen Satzungsänderung aus. Dogmatisch wäre jedoch auch hier die Durchführung einer (analog erweiterten) Nachgründung gem § 35 Abs 1 Z 7 GmbHG angezeigt.103)

103) Vgl Taufner, Sacheinlage 258 ff mwN.

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[FINANZSTRAFRECHT] Ü Zum Thema Über den Autor: Mag. Dr. Michael Taufner ist Rechtsanwaltsanwärter in Wien und hat für seine kürzlich im Manz Verlag erschienene Dissertation den Kurt-Wagner-Preis 2010 erhalten. Literatur: Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht (2008); Taufner, Die verdeckte Sacheinlage – Sachgründung und Umgehungsgeschäfte (2010).

Ü Literatur-Tipp Taufner, Die verdeckte Sacheinlage – Sachgründung und Umgehungsgeschäfte (2010) MANZ Bestellservice: Tel: (01) 531 61-100, Fax: (01) 531 61-455, E-Mail: bestellen@manz.at Besuchen Sie unseren Webshop unter www.manz.at

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Grundfragen strafbaren Unterlassens bei der Abgabenverkürzung*) Eine Abgabenhinterziehung oder -verkürzung wird häufig durch eine Unterlassung (insb Nichtabgabe einer Steuererklärung) begangen. Allerdings enthält das FinStrG keine Vorschrift über eine „Begehung durch Unterlassen“ wie etwa § 2 StGB. Im folgenden Beitrag wird deshalb der Bereich der Unterlassungsdelikte im Finanzstrafrecht näher erörtert. Dabei wird auch zur aktuellen Judikatur des OGH Stellung genommen. Von Kurt Schmoller

Inhaltsübersicht: A. Ausgangssituation B. Vorklärung 1. Echte und unechte Unterlassungsdelikte 2. Schlichte und erfolgsbezogene Unterlassungsdelikte 3. Spezifische Voraussetzungen unechter Unterlassungsdelikte (§ 2 StGB) 4. Übergreifende Aspekte (Handlungsmöglichkeit, Zumutbarkeit) C. Unechte Unterlassungsdelikte im FinStrG? 1. Kein Rückgriff auf § 2 StGB 2. Unechte Unterlassungsdelikte ohne gesetzliche Regelung? 3. Eingeschränkte Relevanz im FinStrG D. §§ 33, 34 FinStrG als „echtes“ Unterlassungsdelikt 1. Ausdrückliche Unterlassungsvariante 2. Keine gesonderte Garantenstellung und Gleichwertigkeitsprüfung 3. Handlungsmöglichkeit, Zumutbarkeit 4. Versuch – Vollendung (Kritik an OGH EvBl 2009/152) 5. Abgabenverkürzung nach bereits bewirkter Abgabenverkürzung? E. §§ 33, 34 FinStrG als „unechtes“ Unterlassungsdelikt 1. Verwirklichung einer Begehungsvariante durch Unterlassen 2. Garantenstellung, Gleichwertigkeit F. Zusammenfassung

A. Ausgangssituation Eine Abgabenhinterziehung (§ 33 FinStrG) sowie eine fahrlässige Abgabenverkürzung (§ 34 FinStrG) werden ÖJZ [2011] 09

häufig durch Nichterklärung (zB von steuerpflichtigen Einkünften) begangen. In diesen Fällen besteht das tatbestandsmäßige Verhalten in einem Unterlassen, die Abgabenhinterziehung bzw -verkürzung wird somit als „Unterlassungsdelikt“ begangen. Unterlassungsdelikte spielen im Bereich der §§ 33, 34 FinStrG somit in der Praxis eine erhebliche Rolle.

ÖJZ 2011/43 §§ 33, 34 FinStrG; § 2 StGB; § 139 BAO Abgabenhinterziehung; Abgabenverkürzung; echtes Unterlassungsdelikt; unechtes Unterlassungsdelikt; Versuch

In dieser Situation verwundert, dass man im Allgemeinen Teil des FinStrG eine Regelung über die „Begehung durch Unterlassen“ (vgl § 2 StGB, ferner § 13 dStGB und Art 11 schwStGB) vergebens sucht. Als der Gesetzgeber im Jahr 1975 den Allgemeinen Teil des FinStrG mit jenem des damals neuen StGB harmonisiert hat, war vielmehr § 2 StGB eine der wenigen Regelungen, die – gezielt – nicht ins FinStrG übernommen wurden. Somit besteht eine ähnliche Diskrepanz wie bei der Beteiligung an Sonderdelikten: Obwohl Finanzstraftaten häufig Sonderdelikte sind, hat der Gesetzgeber die in § 14 StGB enthaltene Regelung der Beteiligung an Sonderdelikten bei der Angleichung des FinStrG ans StGB ausgespart;1) ebenso wurde, obwohl Finanzstraftaten häufig durch Unterlassen begangen werden, von einer Übernahme des § 2 StGB ins Finanzstrafrecht abgesehen. Ü *) Erweiterte Fassung eines Vortrags bei der 15. Finanzstrafrechtlichen Tagung in Linz am 11. 3. 2010, ursprünglich veröffentlicht im Tagungsband Leitner (Hrsg), Finanzstrafrecht 2010 (2011) 25. – Dem Organisator der Tagung und Herausgeber des Tagungsbands, Hon.-Prof. Dr. Roman Leitner, danke ich für die Anregung des Themas sowie für viele wertvolle Hinweise. Ihm und dem Linde-Verlag gilt ferner mein Dank für die Zustimmung zur Publikation auch in der ÖJZ. 1) Zu dieser Problematik Schmoller, Grundfragen der Beteiligung an Abgabenhinterziehung und fahrlässiger Abgabenverkürzung, in Leitner (Hrsg), Finanzstrafrecht 2008 (2009) 11 (21 ff). Ü Kurt Schmoller Ü Grundfragen strafbaren Unterlassens bei der Abgabenverkürzung

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[F I N A N Z S T R A F R E C H T ] Die Problematik des Fehlens einer Vorschrift über Unterlassungsdelikte im FinStrG trotz deren offenkundiger praktischer Bedeutung wurde bisher nur wenig erörtert. Beispielsweise erstaunt, dass im umfangreichen Kommentar zum FinStrG von Seiler/Seiler das Stichwort „Unterlassen“ (oder ein verwandtes Stichwort wie zB „Garantenstellung“) im Sachregister überhaupt nicht vorkommt.2) Im Folgenden soll deshalb den Besonderheiten der Unterlassungsdelikte im Finanzstrafrecht, insb bei den praktisch bedeutsamen §§ 33, 34 FinStrG, nachgegangen werden. Dabei erweist es sich als sinnvoll, einige allgemeine Klärungen zu den Unterlassungsdelikten voranzustellen (unten B.). Danach wird die Frage erörtert, ob es trotz Fehlens einer dem § 2 StGB entsprechenden Regelung „unechte“ Unterlassungsdelikte im Finanzstrafrecht gibt (unten C.). Im Anschluss an diese allgemeinen Fragen wird sich zeigen, dass speziell die §§ 33, 34 FinStrG in vielen Fällen als „echte“ Unterlassungsdelikte begangen werden (unten D.). Allerdings bleibt auch Raum für eine Verwirklichung der §§ 33, 34 FinStrG als „unechtes“ Unterlassungsdelikt (unten E.).

B. Vorklärung 1. Echte und unechte Unterlassungsdelikte

Als „echte“ Unterlassungsdelikte werden hier jene Straftatbestände bezeichnet, bei denen schon der Tatbestandswortlaut explizit auf eine Verwirklichung durch Unterlassen hinweist.3) Dies kann durch ausdrückliche Verwendung des Wortes „Unterlassen“ (zB §§ 94, 95, 159 Abs 1 iVm Abs 5 Z 4, § 286 StGB) oder durch sinnentsprechende andere Umschreibungen erfolgen (zB § 92 Abs 2 StGB: „gröblich vernachlässigt“, § 153 a StGB: „pflichtwidrig nicht abführt“, § 153 c StGB: „dem . . . Versicherungsträger vorenthält“, § 198 StGB: „Unterhaltspflicht gröblich verletzt“). Da bei diesen Straftatbeständen die Möglichkeit einer Verwirklichung durch Unterlassen im Tatbestandswortlaut selbst zum Ausdruck kommt, besteht bei ihnen für eine ergänzende Vorschrift über die Begehung durch Unterlassen kein Bedarf. Dagegen liegt ein „unechtes“ Unterlassungsdelikt dann vor, wenn der Tatbestandswortlaut nicht explizit auf ein Unterlassen, sondern primär auf ein aktives Tun gerichtet ist, wie bei den meisten Straftatbeständen (zB § 75 StGB: „einen anderen tötet“, § 99 StGB: „die persönliche Freiheit entzieht“, § 125 StGB: „zerstört, beschädigt, verunstaltet oder unbrauchbar macht“, § 223 StGB: „eine falsche Urkunde . . . herstellt“). Die Begehungsmöglichkeit durch Unterlassen erscheint in diesen Fällen nicht selbstverständlich. Zur Klarstellung, dass und unter welchen Voraussetzungen eine Verwirklichung durch Unterlassen in Betracht kommt, ist deshalb eine ergänzende Regelung im Allgemeinen Teil des Strafrechts hilfreich, wie sie etwa in § 2 StGB getroffen wurde. Leider ist die Terminologie nicht einheitlich. Eine verbreitete Meinung bezeichnet Unterlassungsdelikte dann als „echt“, wenn für die Vollendung kein zusätzlicher Erfolgseintritt erforderlich ist, hingegen dann als „unecht“, wenn die Vollendung von einem aus der Untätigkeit resultierenden Erfolg abhängt.4) Diese Unterscheidung wird jedoch mit der Unterteilung in 398

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„schlichte“ und „erfolgsbezogene“ Unterlassungsdelikte besser zum Ausdruck gebracht (unten B.2.). Denn das Begriffspaar „echt“ und „unecht“ lässt sprachlich keinen Bezug zur Erfolgskomponente erkennen. Dagegen bringt der Begriff „echt“ sprachlich gut zum Ausdruck, dass die Verwirklichung durch Unterlassen im Tatbestandswortlaut explizit verankert ist. Auch erscheint es sinnvoll, eine eigene Bezeichnung genau für diesen Kreis von Delikten verfügbar zu haben. Somit gibt es auch „echte“ Unterlassungsdelikte, bei denen die Vollendung von einem Erfolgseintritt abhängt, wenn nämlich bei einem Erfolgsdelikt der Tatbestandswortlaut ausdrücklich auf ein Unterlassen hinweist.5) Die Unterscheidung zwischen „echten“ und „unechten“ Unterlassungsdelikten stößt freilich auch auf Grenzfälle. So ist etwa bei der den Amtsmissbrauch gem § 302 StGB kennzeichnenden Formulierung „Befugnis . . . Amtsgeschäfte vorzunehmen, . . . missbraucht“ umstritten, ob der „Befugnismissbrauch“ bereits explizit ein Unterlassen einschließt, sodass es sich um ein „echtes“ Unterlassungsdelikt handelt (und § 2 StGB insoweit bedeutungslos ist), oder ob für einen Amtsmissbrauch durch Unterlassen als „unechtes“ Unterlassungsdelikt auf die Voraussetzungen des § 2 StGB abzustellen ist.6)

2. Schlichte und erfolgsbezogene Unterlassungsdelikte Die Einteilung in „schlichte“ und „erfolgsbezogene“ Unterlassungsdelikte orientiert sich daran, ob für die Vollendung ein „Erfolg“, also ein zeitlich und örtlich vom Unterlassen selbst trennbares Ereignis, eintreten muss. Bei „schlichten“ Unterlassungsdelikten wird kein Erfolgseintritt verlangt, sie sind allein mit dem Unterlassen der geforderten Handlung vollendet und bilden somit das Pendant zu den schlichten Tätigkeitsdelikten im Bereich des aktiven Tuns. „Echte“ Unterlassungsdelikte können danach entweder „schlicht“ oder „erfolgsbezogen“ sein, je nachdem, ob ein Erfolgseintritt verlangt wird. „Echte“ und gleichzeitig „erfolgsbezogene“ Unterlassungsdelikte sind etwa § 92 Abs 2, § 159 Abs 1 iVm Abs 5 Z 4 und § 198 StGB. „Unechte“ Unterlassungsdelikte (zB Mord durch Unterlassen, Sachbeschädigung durch Unterlassen) sind in aller Regel „erfolgsbezogene“ Unterlassungsdelikte, weil § 2 StGB auf Erfolgsdelikte zugeschnitten ist. Nur in Ausnahmefällen ist § 2 StGB auf schlichte Tätigkeitsdelikte anwendbar.7) 2) Seiler/Seiler, Finanzstrafgesetz. Kommentar2 (2009). – Als Mangel empfindet dies auch E. Steininger in seiner Buchbesprechung von Seiler/Seiler, JSt 2009, 99. 3) In diesem Sinn zB Fuchs, AT I7 9/3 und 37/1 ff; Stree/Bosch in Schönke/Schröder28 Vor § 13 Rz 134 ff; Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht AT I3 § 14 Rz 4 ff; Sympathie für diese Begriffsbildung auch bei Hilf in WK-StGB2 § 2 Rz 10 ff (die allerdings zur Vermeidung von Missverständnissen die Bezeichnung als „unmittelbar vertypte“ Unterlassungsdelikte vorschlägt) und Triffterer, AT2 14/ 17 ff. 4) Nachweise für diese Ansicht bei Hilf in WK-StGB2 § 2 Rz 9. Dieser abweichenden Terminologie folgt auch Reger, Echte Unterlassungsdelikte im Finanzstrafrecht, in Leitner (Hrsg), Finanzstrafrecht 2010 (2011) 53 (56). 5) Vgl zu Beispielen unten B.2. 6) Näher Kienapfel/Schmoller, StudB BT III2 § 302 Rz 37 ff, mit Präferenz für die Einordnung als „unechtes“ Unterlassungsdelikt. 7) ZB ist eine Beteiligung durch Unterlassen auch bei schlichten Tätigkeitsdelikten möglich, weil die Tatausführung durch den unmittelba-

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[FINANZSTRAFRECHT] 3. Spezifische Voraussetzungen unechter Unterlassungsdelikte (§ 2 StGB) Ein primär auf aktives Tun zugeschnittener Straftatbestand kann nur unter besonderen Voraussetzungen als unechtes Unterlassungsdelikt begangen werden. Für das allgemeine Strafrecht erfordert § 2 StGB insoweit Ü eine rechtliche Pflicht zur Erfolgsabwendung (= Garantenstellung) sowie Ü die Gleichwertigkeit des Unterlassens mit einer Tatbestandsverwirklichung durch aktives Tun. Beide Voraussetzungen geben allerdings nur einen Rahmen vor, die nähere Ausgestaltung erfolgt durch Rechtsprechung und Lehre. Die Garantenstellung kann sich nach allgemeiner Ansicht unmittelbar aus einer gesetzlichen Regelung, aus einem Vertrag oder aus Ingerenz, dh aus einem gefährlichen Vorverhalten, ergeben. Inhaltlich kann zwischen Überwachungsgaranten (die zur Sicherung einer bestimmten Gefahrenquelle verpflichtet sind) und Beschützergaranten (die einen bestimmten Wert vor Gefahren zu schützen haben) unterschieden werden. In Grenzfällen ist durch Auslegung bzw juristische Schlussfiguren zu klären, wie weit die „Verpflichtung durch die Rechtsordnung“ iSd § 2 StGB reicht. Die zusätzliche Voraussetzung, dass „die Unterlassung der Erfolgsabwendung einer Verwirklichung des gesetzlichen Tatbildes durch ein Tun gleichzuhalten“ sein muss („Gleichwertigkeitskorrektiv“), ist nach wie vor nicht endgültig geklärt. Nach einer Ansicht soll dieses Korrektiv nur bei „verhaltensgebundenen“ Delikten, bei denen die Tathandlung näher umschrieben und daher eingegrenzt ist (zB als „Misshandlung“, „Drohung“, „Täuschung“ etc) zur Anwendung kommen, nicht bei reinen Verursachungsdelikten wie Mord, Körperverletzung oder Sachbeschädigung.8) Nach überwiegender Meinung ist das Gleichwertigkeitskorrektiv dagegen als „Sicherheitsventil“ bei allen unechten Unterlassungsdelikten anwendbar.9) Weitgehende Einigkeit besteht ferner darin, dass der Inhalt der Gleichwertigkeit nicht übergreifend, sondern deliktsspezifisch durch Interpretation des jeweiligen Tatbestands zu bestimmen sei. Aber auch bei der Durchsicht einzelner Delikte wird man nur sehr eingeschränkt fündig. Beispielsweise wird beim Amtsmissbrauch gem § 302 StGB (sofern man § 2 StGB bei diesem Straftatbestand für anwendbar hält)10) die Ansicht vertreten, die Gleichwertigkeit sei nur gegeben, wenn ein Beamter gezielt untätig bleibt, um einen bestimmten Effekt zu erreichen, nicht dagegen, wenn dies aus Bequemlichkeit oder Überlastung geschehe.11) Stellungnahmen zum Betrug gem § 146 StGB gehen dahin, dass das Unterlassen dem Erklärungswert einer Täuschung gleichkommen müsse, etwa bei Nichtverhinderung der Täuschungshandlung eines anderen (= Beitrag durch Unterlassen) oder bei einem Unterlassen mit selbständigem Erklärungswert; das Nichtaufklären eines Irrtums oder das bloße Nichtmelden reichen dagegen nicht aus.12) Teilweise wird das „Gleichwertigkeitskorrektiv“ auch als Sitz einer besonderen Zumutbarkeitsprüfung interpretiert: Die Gleichwertigkeit des Unterlassens mit einem aktiven Tun sei unter anderem dann zu verneinen, wenn besondere Gründe im Einzelfall ein TäÖJZ [2011] 09

tigwerden unzumutbar erscheinen lassen (näher im Folgenden B.4.).

4. Übergreifende Aspekte (Handlungsmöglichkeit, Zumutbarkeit) Neben den in § 2 StGB genannten spezifischen Voraussetzungen der unechten Unterlassungsdelikte sind zudem für alle Unterlassungsdelikte zusätzliche übergreifende Strafbarkeitsanforderungen zu beachten. Diese gelten nach hM für echte und unechte, schlichte und erfolgsbezogene Unterlassungsdelikte gleichermaßen. Erstens setzt die Strafbarkeit wegen eines Unterlassungsdelikts voraus, dass die betreffende Person die faktische Möglichkeit hatte, eine entsprechende Handlung vorzunehmen. Eine Handlung, zu der man überhaupt nicht fähig ist oder der im konkreten Fall unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen, wird nicht „unterlassen“; begriffliche Voraussetzung ist vielmehr, dass eine solche Handlung faktisch möglich gewesen wäre.13) Wenn zB weit und breit kein Fahrzeug verfügbar ist, kann man nicht sagen, jemand habe es „unterlassen“, einen Verunglückten ins Krankenhaus zu fahren. Zweitens geht die hM davon aus, dass bei Unterlassungsdelikten stets die Zumutbarkeit entsprechenden Tätigwerdens eigens zu prüfen ist. Während es grundsätzlich zumutbar ist, eine tatbestandmäßige aktive Handlung zu unterlassen und einfach untätig zu bleiben (enge Einschränkungen der Zumutbarkeit gelten hier nur im Rahmen des entschuldigenden Notstands gem § 10 StGB), ist es weniger leicht zumutbar, zur Rettung eines Rechtsguts tätig zu werden. Der Gesetzgeber hat deshalb bei einigen Unterlassungsdelikten ausdrückliche „Zumutbarkeitsklauseln“ vorgesehen (§ 94 Abs 3, § 95 Abs 1 und 2, § 286 Abs 2 Z 1 StGB). Für die unechten Unterlassungsdelikte ist in § 2 StGB zwar keine eigene „Zumutbarkeitsklausel“ enthalten, es wird aber vorgeschlagen, die Zumutbarkeit im „Gleichwertigkeitskorrektiv“ verankert zu sehen, weil ein unzumutbares Verhalten einer Tatbestandsverwirklichung durch aktives Tun nicht gleichzuhalten sei.14) Darüber hinaus ist das Erfordernis der Zumutbarkeit, da der Grundgedanke für alle Unterlassungsdelikte gilt, analog auch auf echte Unterlassungsdelikte, die keine eigene Zumutbarkeitsklausel enthalten, zu übertragen, etwa auf § 92 Abs 2 oder auf § 198 StGB.15)

C. Unechte Unterlassungsdelikte im FinStrG? Wendet man sich nach den allgemeinen Vorklärungen spezifisch den Unterlassungsdelikten des Finanzstrafrechts zu, lässt sich unzweifelhaft feststellen, dass das

8) 9) 10) 11) 12) 13) 14) 15)

ren Täter insoweit als ein „Erfolg“ erscheint. Für die Anwendung auch auf „kupierte Erfolgsdelikte“ (bei denen sich nur der erweiterte Vorsatz auf einen Erfolg erstrecken muss), obwohl diese strukturell schlichte Tätigkeitsdelikte sind, vgl zB Kienapfel/Schmoller, StudB BT III2 § 302 Rz 40. Ausführliche Nachweise zB bei Hilf in WK-StGB2 § 2 Rz 129 ff. ZB Hilf in WK-StGB2 § 2 Rz 128; E. Steininger in SbgK § 2 Rz 119; beide mwN. Vgl oben bei FN 6. Nachweise bei Kienapfel/Schmoller, StudB BT III2 § 302 Rz 45. ZB Kirchbacher in WK-StGB2 § 146 Rz 30; Fuchs, AT I7 37/66. Für die hM zB Hilf in WK-StGB2 § 2 Rz 46 ff mwN. Zum diesbezüglichen Meinungsstand Hilf in WK-StGB2 § 2 Rz 131 und 149 mwN. Vgl für § 198 StGB zB Kienapfel/Schmoller, StudB BT III2 § 198 Rz 34; ebenso Ramsauer in SbgK § 198 Rz 79.

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[F I N A N Z S T R A F R E C H T ] FinStrG „echte“ Unterlassungsdelikte enthält, bei denen sich die Möglichkeit einer Verwirklichung durch Unterlassen bereits explizit aus dem Tatbestand ergibt. Beispiele sind (aus dem Bereich der Finanzordnungswidrigkeiten) § 49 Abs 1 lit a FinStrG („Vorauszahlungen . . . nicht spätestens am fünften Tag nach Fälligkeit entrichtet oder abführt“) oder § 49 a FinStrG („unterlässt, . . . anzeigepflichtige Vorgänge anzuzeigen“).16) Fraglich erscheint jedoch, ob es im Finanzstrafrecht auch „unechte“ Unterlassungsdelikte gibt, ob also ein primär auf aktives Tun zugeschnittener Finanzstraftatbestand unter bestimmten Umständen auch durch Unterlassen verwirklicht werden kann. Dies ist deshalb zweifelhaft, weil – wie eingangs dargestellt – die Regelung der unechten Unterlassungsdelikte in § 2 StGB ausdrücklich nicht ins FinStrG übernommen worden ist.17)

1. Kein Rückgriff auf § 2 StGB Auf den ersten Blick könnte man überlegen, das Fehlen einer dem § 2 StGB entsprechenden Vorschrift im FinStrG dadurch zu überbrücken, dass § 2 StGB direkt auch im FinStrG angewandt wird. Immerhin sieht Art I Abs 1 StRAG18) vor, dass der Allgemeine Teil des StGB auch auf Strafvorschriften in Nebengesetzen anzuwenden ist, „soweit diese Gesetze nichts anderes bestimmen“. Bei finanzbehördlicher (nicht gerichtlicher) Strafbarkeit müsste § 2 StGB analog zur Anwendung kommen.19) Nach zutreffender Ansicht des OGH ist dieser Weg aber versperrt: Denn mit dem eigenen Allgemeinen Teil des FinStrG hat der Gesetzgeber eine abschließende Regelung getroffen, wobei zu dieser Regelung auch die gezielte Nichtübernahme einzelner Vorschriften gehört. Wenn aber eine abschließende Regelung getroffen wurde, ist für Art I Abs 1 StRAG kein Raum.20) Deshalb ist es etwa auch nicht zulässig, § 14 StGB (Beteiligung an Sonderdelikten) im Finanzstrafrecht anzuwenden,21) gleiches gilt für § 2 StGB. Aus denselben Gründen kommt auch eine analoge Anwendung des § 2 StGB im Finanzstrafrecht nicht in Betracht, weil dadurch die gezielte Nichtübernahme des § 2 StGB umgangen würde.

2. Unechte Unterlassungsdelikte ohne gesetzliche Regelung? Allerdings erscheint fraglich, ob daraus der radikale Schluss gezogen werden muss, unechte Unterlassungsdelikte seien durch das Finanzstrafrecht generell nicht erfasst. Denn es ist zu berücksichtigen, dass § 2 StGB für die Strafbarkeit unechter Unterlassungsdelikte in Wahrheit mehr eine klarstellende als eine konstitutive Bedeutung hat. Auch wenn ein Straftatbestand seiner Formulierung nach primär auf aktives Tun zugeschnitten ist, bedeutet dies nämlich nicht stets, dass jedes Unterlassen außerhalb der Wortlautgrenze liege. Vielmehr kann eine sinnvolle Auslegung ergeben, dass auch eine solche Formulierung ein Unterlassen nicht gänzlich ausschließt, sondern zumindest besondere Fälle einer (gleichwertigen) Untätigkeit miterfasst. Vor allem dann, wenn die „Herbeiführung eines Erfolgs“ mit Strafe bedroht ist, kann der Wortlaut auch Fälle erfassen, in denen der Erfolg als Folge unterlassener Abwendung eintritt. Dabei kann gerade das Unterlassen eines Garanten, der rechtlich verpflichtet wäre, den Erfolg abzuwenden, am ehesten rechtlich als „Herbeiführung 400

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des Erfolgs“ gewertet werden. Ein Fehlen des § 2 StGB würde deshalb der Anerkennung unechter Unterlassungsdelikte im allgemeinen Strafrecht nicht entgegenstehen, soweit der primär auf ein aktives Tun zugeschnittene Tatbestandswortlaut so ausgelegt werden kann, dass er auch ein gleichwertiges Unterlassen (insb das eines Garanten) mitumfasst.22) Diese Sicht wird insb durch einen historischen Rückblick gestützt. Denn im allgemeinen Strafrecht (sowohl in Österreich als auch in Deutschland und der Schweiz) war die Begehungsmöglichkeit als „unechtes“ Unterlassungsdelikt auf der Basis einer Interpretation des jeweiligen Tatbestandswortlauts schon allgemein anerkannt, bevor der Gesetzgeber klarstellende Regelungen über die „Begehung durch Unterlassen“ in den Allgemeinen Teil des jeweiligen StGB eingefügt hat. § 2 StGB sowie der in Deutschland entsprechende § 13 dStGB traten erst im Jahr 1975 in Kraft,23) eine vergleichbare Regelung gab es zuvor nicht. In der Schweiz steht Art 11 schwStGB überhaupt erst seit dem Jahr 2007 in Geltung.24) Diese Vorschriften brachten zwar eine erwünschte Klarstellung. Allerdings war in Österreich und Deutschland bereits vor 1975, in der Schweiz vor 2007 die Strafbarkeit unechter Unterlassungsdelikte in ähnlichen Grenzen wie heute anerkannt.25) Die Nichtübernahme des § 2 StGB ins FinStrG lässt somit zwar darauf schließen, dass der Gesetzgeber im Finanzstrafrecht kein hinreichendes Bedürfnis für eine klarstellende Regelung gesehen hat, wohl weil er davon ausging, dass unechten Unterlassungsdelikten in diesem Rechtsbereich keine große Bedeutung zukommt. Es trifft auch zu, dass die Konstellation eines unechten Unterlassungsdelikts im Finanzstrafrecht selten vorkommt, echte Unterlassungsdelikte dagegen erhebliche praktische Bedeutung entfalten. Allerdings lässt sich aus dem fehlenden Regelungsbedürfnis nicht zwingend ableiten, dass der Gesetzgeber bei primär auf aktives Tun zugeschnittenen Straftatbeständen die Begehungsmöglichkeit durch ein Unterlassen generell ausschlie16) Zur zusätzlichen Einordnung einzelner Tatbestandsvarianten der §§ 33, 34 FinStrG als „echtes“ Unterlassungsdelikt vgl unten D. 17) Allein der Klammereinschub in § 1 Abs 1 FinStrG, demzufolge Finanzvergehen gem §§ 33 bis 52 FinStrG „Handlungen oder Unterlassungen“ sein können, hilft für die „unechten“ Unterlassungsdelikte nicht weiter, weil auch denkbar wäre, dass sich die „Unterlassungen“ allein auf die „echten“ Unterlassungsdelikte – die es ja im Finanzstrafrecht unzweifelhaft gibt – beziehen sollten. 18) BGBl 1974/422. 19) So früher zB OGH EvBl 1983/177 (vgl jedoch nunmehr FN 20); früher auch Leitner/Toifl/Brandl, Österreichisches Finanzstrafrecht3 Rz 2 und 144 (vgl jedoch nunmehr Leitner/Plückhahn, Finanzstrafrecht kompakt [2009] Rz 2). Eine subsidiäre Anwendung des AT des StGB im Finanzstrafrecht befürworten auch Harbich, Gerichtliches und verwaltungsbehördliches Finanzstrafrecht, AnwBl 1984, 419; Seiler/Seiler, Finanzstrafgesetz2 § 1 Rz 3 f und § 3 Rz 2 f. 20) OGH JSt 2008/36 = RZ-EÜ 2009/50; ebenso Leitner/Plückhahn (FN 19) Rz 2; E. Steininger, JSt 2009, 99 f; Schmoller (FN 1) 22 f; in diese Richtung auch Medigovic, Qualifizierte Finanzdelikte als Verbrechen iSd § 17 StGB? RdW 2008, 369 ff. 21) Näher Schmoller, aaO. 22) Auf die Reichweite des Tatbestandswortlauts stellen insoweit auch ab E. Steininger, JSt 2009, 100; Reger/Hacker/Kneidinger, Das Finanzstrafgesetz3 § 1 Rz 12. 23) § 13 dStGB wurde durch das 2. StrafrechtsreformG 1969 eingeführt, das am 1. 1. 1975 in Kraft trat. 24) Vgl zur Reform in der Schweiz zB Schwarzenegger, Schweizerisches Strafgesetzbuch4 XI ff. 25) Für Österreich zB Rittler, AT2 113 und 128 ff; für Deutschland zB Schönke/Schröder, StGB17 Vorbem zum AT Rz 99 ff; für die Schweiz zB Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht AT I3 § 14 Rz 8 ff.

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[FINANZSTRAFRECHT] ßen und dadurch die Strafbarkeit doch erheblich einschränken wollte. Leider findet sich in den Gesetzesmaterialien keine Erwähnung, warum § 2 StGB letztlich nicht übernommen wurde.26) Aber gerade dieses Schweigen spricht gegen eine Überbewertung. Denn hätte der Gesetzgeber unechte Unterlassungsdelikte im Finanzstrafrecht gezielt und generell ausschließen wollen, wäre diese einschneidende Entscheidung wohl eine Erwähnung in den Gesetzesmaterialien wert gewesen.

3. Eingeschränkte Relevanz im FinStrG Mit dem Fehlen einer ausdrücklichen Regelung für unechte Unterlassungsdelikte im FinStrG korreliert, dass die zentralen Abgabendelikte ohnehin so formuliert sind, dass sie als echte Unterlassungsdelikte begangen werden können (näher zur Abgabenhinterziehung und -verkürzung unten D.). Als Beispiel für einen primär auf aktives Tun zugeschnittenen Straftatbestand lässt sich allerdings etwa der Schmuggel gem § 35 Abs 1 lit a FinStrG anführen („wer . . . Waren . . . in das Zollgebiet . . . verbringt oder der zollamtlichen Überwachung entzieht“). Im Normalfall wird diese Verhaltensumschreibung durch aktives Tätigwerden erfüllt. Wenn allerdings zB ein Dienstgeber oder Geschäftsführer bemerkt, dass ein Angestellter im Rahmen seiner Tätigkeit für das Unternehmen Waren schmuggelt, und nicht verhindernd tätig wird, ist ein „Schmuggel durch Unterlassen“ (zumindest in Form eines Beitrags) als „unechtes“ Unterlassungsdelikt verwirklicht; aus der Eigenschaft als Dienstgeber bzw Geschäftsführer ergibt sich eine Garantenstellung, und das Unterlassen der Verhinderung erscheint einem aktiven Schmuggel gleichwertig. Der Tatbestandswortlaut „wer . . . Waren . . . in das Zollgebiet . . . verbringt“ ist weit genug, um auch das pflichtwidrige Nichteinschreiten des Dienstgebers oder Geschäftsführers zu erfassen. Auch ohne eine dem § 2 StGB entsprechende allgemeine Vorschrift ist deshalb eine Subsumtion unter § 35 Abs 1 lit a FinStrG vertretbar.

D. §§ 33, 34 FinStrG als „echtes“ Unterlassungsdelikt Bei den hier näher zu betrachtenden §§ 33, 34 FinStrG legt der Wortlaut nahe, zwischen den einzelnen Tatbestandsvarianten zu differenzieren:27) Ü Einzelne Tatbestandsvarianten deuten nämlich bereits nach ihrem Wortlaut explizit auf ein Unterlassen hin, insoweit handelt es sich um ein „echtes“ Unterlassungsdelikt, bei dem ein Unterlassen unproblematisch den Tatbestand erfüllt. Ü Dagegen sind andere Tatbestandsvarianten primär auf ein aktives Tun zugeschnitten (dazu unten E.); diese können durch ein bloßes Unterlassen nicht ohne Weiteres erfüllt werden, sondern nur nach den Regeln der „unechten“ Unterlassungsdelikte. Der Umstand, dass §§ 33, 34 FinStrG in weiten Bereichen ohnehin als „echtes“ Unterlassungsdelikt ausgestaltet sind, mag mit ein Grund dafür sein, dass der Gesetzgeber im Finanzstrafrecht zu wenig Bedarf für eine Regelung der unechten Unterlassungsdelikte nach dem Muster des § 2 StGB gesehen hat. ÖJZ [2011] 09

1. Ausdrückliche Unterlassungsvariante In § 33 Abs 1 FinStrG wird darauf abgestellt, dass der Täter „unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht“ gehandelt hat; § 34 FinStrG verweist auf § 33 Abs 1 FinStrG. Diese Formulierung umschreibt in den ersten beiden Varianten, nämlich soweit auf die „Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige- und Offenlegungspflicht“ abgestellt wird, explizit ein Unterlassen. Denn eine Anzeigepflicht wird typischerweise durch Nichtanzeige, eine Offenlegungspflicht durch Nichterklärung verletzt.28) Da die Verletzung einer Anzeige- bzw Offenlegungspflicht somit inhaltlich auf eine Nichtanzeige bzw Nichtoffenlegung abstellt und der Tatbestandswortlaut deshalb explizit ein Unterlassen erfasst, handelt es sich somit insoweit um ein „echtes“ Unterlassungsdelikt.29) Die Auslegung dieser Tatbestandsvariante als echtes Unterlassungsdelikt wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass neben der Verletzung einer Anzeige- bzw Offenlegungspflicht die Formulierung „eine Abgabenverkürzung bewirkt“ verwendet wird. Zwar ist einzuräumen, dass das Wort „bewirken“, würde man es isoliert betrachten und als Handlungsumschreibung verstehen, eher auf ein aktives Tun hindeutet. Im gegebenen Kontext, in dem durch die „Verletzung einer Anzeige- oder Offenlegungspflicht“ ausdrücklich klargestellt wird, dass ein „Bewirken“ auch durch Nichtanzeige bzw Nichtoffenlegung erfolgen kann, ergibt sich jedoch, dass das „Bewirken“ nicht als aktives Bewirken gemeint ist, sondern verhaltensneutral einfach die Verursachung eines Erfolgs (der Abgabenverkürzung) umschreiben soll. In diesem Sinn kann auch ein Unterlassen einen Erfolg „bewirken“. Die zusätzliche Voraussetzung, dass „eine Abgabenverkürzung bewirkt“ werden muss, macht §§ 33, 34 FinStrG zu einem Erfolgsdelikt. Soweit der Tatbestand durch Unterlassen verwirklicht wird, handelt es sich somit um ein „erfolgsbezogenes“ Unterlassungsdelikt. Dies ändert allerdings nichts an der Einordnung der ausdrücklichen Unterlassungsvarianten (Verletzung einer Anzeige- oder Offenlegungspflicht) als „echtes“ Unterlassungsdelikt;30) es handelt sich eben um ein „erfolgsbezogenes echtes“ Unterlassungsdelikt.

2. Keine gesonderte Garantenstellung und Gleichwertigkeitsprüfung

Die Einordnung der Tatbestandsvariante „Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige- oder Offenlegungspflicht“ als echtes Unterlassungsdelikt hat zur Folge, dass insoweit die besonderen Voraussetzungen der unechten Unterlassungsdelikte (Garantenstellung sowie Gleichwertigkeit) keine selbständige Bedeutung entfal26) Die ErläutRV FinStrG-Nov 1975 (1130 BlgNR 13. GP) hüllen sich insoweit in Schweigen. 27) Vgl zu dieser Differenzierung bereits Schmoller (FN 1) 16 und 18. 28) Vgl Schmoller (FN 1) 16. 29) Soweit im Schrifttum insoweit von einem „unechten“ Unterlassungsdelikt gesprochen wird (zB Reger/Hacker/Kneidinger, Das Finanzstrafgesetz3 § 1 Rz 27), geht dies idR auf eine abweichende Terminologie zurück, nach der alle erfolgsbezogenen Unterlassungsdelikte als „unecht“ bezeichnet werden. Vgl oben B. 1. mit Ablehnung dieser Terminologie. 30) Zur Terminologie näher oben B. 1.

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[F I N A N Z S T R A F R E C H T ] ten; denn bei echten Unterlassungsdelikten ergibt sich die Unterlassungsstrafbarkeit bereits aus der Erfüllung des Tatbestandswortlauts. Der Entfall einer gesonderten Prüfung der Garantenstellung wirkt sich bei diesem Straftatbestand allerdings wenig aus, weil die nach dem Tatbestandswortlaut stets erforderliche „abgabenrechtliche Verpflichtung“ ohnehin eine Garantenstellung impliziert; die abgabepflichtigen Personen sind gewissermaßen „Garanten“ zur Leistung der Abgabe. Eine darüber hinausgehende Garantenstellung ist nicht zu prüfen. Bedeutsamer erscheint in diesem Zusammenhang, dass auch die Gleichwertigkeit des Unterlassens mit einem aktiven Tun (vgl § 2 StGB) nicht gesondert geprüft werden muss. Denn wenn der Gesetzgeber (wie bei der Verletzung einer Anzeige- oder Offenlegungspflicht) ausdrücklich ein Unterlassen mit Strafe bedroht, bringt er unmittelbar zum Ausdruck, dass dieses einem aktiven Tun gleichwertig ist.31) Demgegenüber wird im Schrifttum teilweise auch bei den hier als echtes Unterlassungsdelikt eingeordneten Tatbestandsvarianten eine „Gleichwertigkeit“ erörtert und für bestimmte Konstellationen verneint. Zwar erscheint die Argumentation über das Kriterium der Gleichwertigkeit bei einem echten Unterlassungsdelikt, wie dargelegt, nicht schlüssig. Allerdings ergibt sich in jenen Konstellationen, die als Beispiele für eine Verneinung der Gleichwertigkeit angeführt werden, die Straflosigkeit oft aus anderen, vorgelagerten Aspekten, insb weil bereits der Vorsatz, die objektive Erfolgszurechnung, in Sonderfällen auch die Zumutbarkeit (zu dieser unten B.3.) zu verneinen sind. Beispielsweise nehmen Leitner/Toifl/Brandl an, dass die Nichtabgabe der Einkommenssteuererklärung durch eine Person, die zur Einkommenssteuer veranlagt ist und bei der die Abgabenbehörde auch die Einkunftsart kennt, einer Abgabenhinterziehung durch aktives Tun nicht gleichwertig sei, weil ohnehin eine – idR meist nachteilige – Schätzung der Einkommenssteuer zu erwarten sei.32) Dagegen sei Gleichwertigkeit anzunehmen, wenn die Abgabenbehörde über eine Einkunftsquelle gar keine Kenntnis hat, weil dann nicht mit einer entsprechenden Schätzung zu rechnen sei.33) Anstelle des – bei echten Unterlassungsdelikten nicht anwendbaren – Gleichwertigkeitskorrektivs lassen sich in derartigen Fällen angemessene Ergebnisse über andere Strafbarkeitsvoraussetzungen erzielen: Zunächst liegt kein Vorsatz auf Abgabenhinterziehung vor, wenn der Täter ernsthaft mit einer Schätzung rechnet, die seiner tatsächlichen Steuerschuld entspricht oder diese übersteigt.34) Wenn er hingegen eine Einkunftsart gezielt verschweigt, rechnet er mit einer zu niedrigen Schätzung und handelt insofern mit Hinterziehungsvorsatz. Sofern – wegen der erwarteten entsprechend hohen Schätzung – ein Hinterziehungsvorsatz fehlt, dann aber doch zu niedrig geschätzt wird, hängt die Bejahung einer fahrlässigen Abgabenverkürzung davon ab, ob nach den konkreten Umständen mit einer zu niedrigen Schätzung gerechnet werden musste. War nach den der Abgabenbehörde bekannten Informationen mit einer zu niedrigen Schätzung nicht zu rechnen, hat der Täter kein diesbezügliches Risiko geschaffen; ihm kann daher die Abgabenverkürzung

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objektiv nicht zugerechnet werden, sodass auch ein Fahrlässigkeitsvorwurf entfällt. Auf ein „Gleichwertigkeitskorrektiv“ braucht in solchen Fällen also nicht zurückgegriffen zu werden.

3. Handlungsmöglichkeit, Zumutbarkeit Auch bei echten Unterlassungsdelikten sind allerdings die allen Unterlassungsdelikten gemeinsamen Strafbarkeitseinschränkungen zu beachten, insbesondere jene der faktischen Handlungsmöglichkeit sowie der gesondert zu prüfenden Zumutbarkeit.35) In den – seltenen – Fällen eines Ausschlusses der faktischen Möglichkeit zur Vornahme der geforderten Handlung (also der Anzeige bzw Offenlegung) liegt zum einen gar kein „Unterlassen“, zum anderen auch kein „Verstoß gegen eine abgabenrechtliche Pflicht“ vor, weil niemand zu faktisch Unmöglichem verpflichtet ist. Hat beispielsweise jemand vor, am letzten Tag der Frist die Steuererklärung abzugeben und wird er an diesem Tag nach einem schweren Unfall bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert, „unterlässt“ er nicht bzw verstößt er gegen keine „abgabenrechtliche Pflicht“. Schwieriger ist die Abgrenzung, soweit dem Täter die Erfüllung der Anzeige- bzw Offenlegungspflicht zwar nicht unmöglich war, aber die Zumutbarkeit in Frage steht. Diese kann zB – über die Fälle des entschuldigenden Notstands hinaus – dann zu verneinen sein, wenn jemand gleichzeitig einer Fülle von Pflichten nachkommen muss (und daraus eine gewisse Überforderung resultiert) oder wenn er sich in einer emotional belastenden Situation befindet, die seine Aufmerksamkeit vollständig in Anspruch nimmt. So kann etwa in krisenhaft zugespitzten Lebenssituationen, in denen eine leistungsmäßige oder emotionale Überforderung verständlich ist, wie etwa bei eigener schwerer Krankheit oder Verletzung, Krankheit oder Tod naher Angehöriger, Geburt eines Kindes, Scheidungssituation, beruflicher Kündigung oder massiver beruflicher Krisensituation, die nicht rechtzeitige abgabenrechtliche Anzeige oder Erklärung unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten entschuldigt sein. Hat jemand etwa vor, seine Steuererklärung am letzten Tag der Frist abzugeben, und stirbt an diesem Tag ein naher Angehöriger, ist die Abgabe der Erklärung möglicherweise unzumutbar. In diesem Fall kann der Straftatbestand allerdings zu einem späteren Zeitpunkt verwirklicht werden, in dem der Grund für die Unzumutbarkeit weggefallen ist, der Täter jedoch weiterhin unterlässt, die Abgabe seiner Steuererklärung nachzuholen. Besondere Aufmerksamkeit ist der Zumutbarkeitsprüfung bei fahrlässigen Unterlassungsdelikten zu schenken, weil alle Fahrlässigkeitsdelikte nach der ausdrückli31) In EvBl 1983/177 spricht der OGH in diesem Zusammenhang zwar die Gleichwertigkeit an, misst ihr aber offenbar ebenfalls keine selbständige Bedeutung bei: „Mit der . . . Verletzung seiner Offenbarungspflicht . . . hat er durchaus schon eine strafrechtlich relevante Handlung, und zwar eine . . . der . . . Herbeiführung des deliktischen Verkürzungserfolges durch ein positives Tun gleichwertige Unterlassung . . . begangen“. 32) Leitner/Toifl/Brandl, Österreichisches Finanzstrafrecht3 Rz 879. 33) Leitner/Toifl/Brandl, aaO. 34) Ebenso Leitner/Toifl/Brandl, Finanzstrafrecht3 Rz 244; OGH EvBl 1983/10; ÖStZB 1999, 493. 35) Vgl oben B. 4.

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[FINANZSTRAFRECHT] chen Regelung in § 8 Abs 2 FinStrG (ebenso wie in § 6 StGB) ohnehin einer gesonderten Zumutbarkeitsprüfung unterliegen. Bei einem fahrlässigen Unterlassungsdelikt treffen somit zwei Komponenten, die eine gesonderte Prüfung der Zumutbarkeit nahelegen, zusammen (bloße Fahrlässigkeit und bloßes Unterlassen). Beide Komponenten verschmelzen zwar zu einer einheitlichen Zumutbarkeitsprüfung, tendenziell muss das Zusammentreffen beider Komponenten aber dazu führen, den Bereich der Unzumutbarkeit großzügiger zu bestimmen.

4. Versuch – Vollendung (Kritik an OGH EvBl 2009/152) Seit der Neufassung des § 33 Abs 3 lit a FinStrG durch das AbgabenänderungsG 1998 ist nicht zufriedenstellend geklärt, wann eine durch Unterlassen begangene Abgabenhinterziehung versucht oder bereits vollendet ist. Weniger Schwierigkeiten bereitet die Festlegung des Versuchsbeginns: Bei einem Unterlassungsdelikt beginnt die Versuchsstrafbarkeit allgemein dann, wenn der Täter die letzte Möglichkeit, die geforderte Handlung vorzunehmen, versäumt. Dementsprechend beginnt der Versuch einer Abgabenhinterziehung durch Unterlassen, sobald der Täter die letzte Möglichkeit einer fristgerechten Anzeige bzw Erklärung versäumt, also in jenem Zeitpunkt, in dem feststeht, dass es dem Täter nicht mehr möglich sein wird, eine fristgerechte Anzeige bzw Erklärung einzubringen. Da beim Versuch der Schwerpunkt des Vorwurfs auf dem deliktischen Vorsatz liegt, ist auf diesen besonderes Augenmerk zu richten: In dem bereits erwähnten Fall, dass ein Täter zwar die Frist für eine Abgabenerklärung verstreichen lässt, aber davon ausgeht, die Finanzbehörde werde infolge der ihr vorliegenden Informationen die Abgaben durch Schätzung ohnehin in zutreffender Höhe oder darüber festsetzen, fehlt der für den Versuch erforderliche Vorsatz. Der Grund für ein solches Verhalten kann darin bestehen, dass der Betreffende einen gewissen Steuernachteil in Kauf nimmt, um sich den Aufwand einer Abgabenerklärung zu sparen. Dasselbe gilt, wenn der Täter zwar die Erklärungspflicht verstreichen lässt, aber in Erwartung einer ansonsten erfolgenden Schätzung vorhat, die Erklärung noch rechtzeitig vor der Schätzung (vollständig und wahrheitsgemäß) nachzuholen. Aus dem versuchten wird ein vollendetes Delikt, wenn der tatbestandsmäßige Erfolg eintritt, bei § 33 Abs 1 FinStrG somit, wenn eine „Abgabenverkürzung bewirkt“ worden ist. Eine nähere Konkretisierung, wann eine „Abgabenverkürzung bewirkt“ ist, hat der Gesetzgeber in § 33 Abs 3 FinStrG vorgenommen. Die praktisch wichtigste Festlegung betrifft dabei den Vollendungszeitpunkt bei bescheidmäßig festzusetzenden Abgaben in § 33 Abs 3 lit a FinStrG. Im ursprünglichen FinStrG 1957 war der Vollendungszeitpunkt für bescheidmäßig festzusetzende Abgaben relativ einfach umschrieben: Vollendung trat ein, wenn die Abgaben „nicht oder verkürzt festgesetzt wurden“ (§ 33 Abs 1 lit a FinStrG idF 1957). Der Nachteil dieser Umschreibung lag in der Offenheit, ab welchem Zeitpunkt gesagt werden könne, dass die Abgaben „nicht festgesetzt“ wurden. Mit der FinStrG-Nov 1985 nahm der Gesetzgeber deshalb eine Präzisierung dahin ÖJZ [2011] 09

vor, dass entscheidend sei, ob die Abgaben „infolge Unkenntnis der Abgabenbehörde von der Entstehung des Abgabenanspruches nicht innerhalb eines Jahres ab dem Ende der gesetzlichen Erklärungsfrist (Anmeldefrist, Anzeigefrist) festgesetzt wurden“ (§ 33 Abs 3 lit a FinStrG idF 1985). Diese – bestimmte und klare – Regelung wurde mit dem AbgabenänderungsG 1998 noch einmal (in wenig glücklicher Weise) geändert. Anlass war anscheinend die (dogmatisch jedoch gar nicht schlüssige) Befürchtung, bei Aufdeckung des Versuchs binnen Ablauf des Jahres könnte ein strafloser absolut untauglicher Versuch angenommen werden.36) Der Gesetzgeber wollte deshalb den Vollendungszeitpunkt um das gesamte Jahr vorverlegen und stellt nunmehr darauf ab, ob die Abgaben zu niedrig festgesetzt wurden oder „infolge Unkenntnis der Abgabenbehörde von der Entstehung des Abgabenanspruches mit dem Ablauf der gesetzlichen Erklärungsfrist (Anmeldefrist, Anzeigefrist) nicht festgesetzt werden konnten“ (§ 33 Abs 3 lit a FinStrG). Somit enthält die aktuelle Formulierung zwei Vollendungsalternativen, die nicht leicht zueinander in Beziehung zu setzen sind, nämlich, dass die Abgaben Ü zu niedrig festgesetzt wurden oder Ü infolge Unkenntnis der Abgabenbehörde von der Entstehung des Abgabenanspruchs mit dem Ablauf der gesetzlichen Erklärungsfrist (Anmeldefrist, Anzeigefrist) nicht festgesetzt werden konnten. Kürzlich hat der OGH in einer Aufsehen erregenden Entscheidung zum Verhältnis dieser beiden Vollendungsalternativen Stellung genommen und dabei eine überraschende, bisher nicht vertretene Auslegung befürwortet:37) Nach Ansicht des OGH hängt im Fall der „Nichtabgabe von Abgabenerklärungen“ die „Anwendbarkeit des ersten oder des zweiten Falles des § 33 Abs 3 lit a FinStrG . . . ausschließlich davon ab, ob es zur – idR auf Schätzungen basierenden – Festsetzung durch die Abgabenbehörde kommt oder nicht“. Sofern noch keine Abgabenfestsetzung stattgefunden hat, sei danach bei unterlassener Abgabenerklärung regelmäßig § 33 Abs 3 lit a zweiter Fall FinStrG anwendbar. Die dafür erforderliche „Unkenntnis der Abgabenbehörde“ ergebe sich idR schon aus der Unterlassung der Abgabenerklärung selbst, weil durch die Unterlassung der Erklärung die Abgabenbehörde hinsichtlich der betreffenden Abgabenart im jeweiligen Veranlagungsjahr in Unkenntnis gelassen werde und dies für § 33 Abs 3 lit a zweiter Fall FinStrG ausreiche. Das Merkmal „Unkenntnis der Abgabenbehörde“ entfaltet somit in den Fällen einer unterlassenen Abgabenerklärung kaum mehr eine Einschränkungswirkung. Eine durch Unterlassen der Abgabenerklärung begangene vorsätzliche Abgabenhinterziehung38) oder fahrlässige 36) Vgl 1471 BlgNR 20. GP 31. Demgegenüber hat Scheil, Die Finanzstrafgesetznovelle 1998, in Leitner (Hrsg), Finanzstrafrecht 1996 – 2002 (2006) 974 (981 f), nachgewiesen, dass diese Befürchtung keinen realistischen Hintergrund hatte, weil die Annahme eines absolut untauglichen Versuchs dogmatisch fernlag und ohnehin von niemandem befürwortet wurde. 37) EvBl 2009/152; ausführlich analysiert von Leitner, Grundsatzjudikatur des OGH zum FinStrG, SWK 2010, 345 ff. – Die Darstellung von Nordmeyer, Versuch und Vollendung der Hinterziehung (wiederkehrend) veranlagter Abgaben, ÖJZ 2010, 945, ist erst während der Drucklegung des vorliegenden Beitrags erschienen. 38) Hinterziehungsvorsatz wäre gegeben, wenn der Täter entweder ein gänzliches Unterbleiben der Abgabenfestsetzung oder zwar eine

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[F I N A N Z S T R A F R E C H T ] Abgabenverkürzung39) sei somit in der Praxis regelmäßig bereits mit dem Ablauf der Erklärungsfrist vollendet. Nach Ansicht des OGH gilt dies allerdings nur so lange, als noch kein – zB auf einer Schätzung beruhender – Abgabenbescheid ergangen ist. Ergeht später ein solcher, sei ab diesem Zeitpunkt § 33 Abs 3 lit a erster Fall FinStrG anwendbar, dh das Delikt sei nun (rückwirkend?) erst mit der Bescheiderlassung vollendet oder aber bezüglich jenes Betrags, in dem die Abgabenfestsetzung die tatsächliche Steuerpflicht abdeckt, auf Dauer wieder unvollendet (weil insoweit der Abgabenverkürzungserfolg auf Dauer nicht eintritt). Im letzten Fall werde das Delikt bei vorsätzlicher Begehung mit Erlass des Abgabenbescheids in das Stadium des Versuchs „zurückversetzt“.40) Bei fahrlässiger Begehung wäre die Konsequenz, dass das vollendete Delikt wieder in ein „straffreies“ Stadium zurückversetzt würde, weil dann ja kein Erfolg eingetreten ist und eine dem Versuch entsprechende Konstellation (Strafbarkeit ohne Vollendung) bei Fahrlässigkeitsdelikten nicht existiert.41) Die Annahme des OGH, eine bereits vollendete Straftat könne durch ein nachfolgendes Ereignis (hier: Bescheiderlassung) wieder in das Stadium des Versuchs (bzw bei Fahrlässigkeit in ein straffreies Stadium) „zurückversetzt“ werden,42) steht im krassen Widerspruch zur Strafrechtsdogmatik und ist deshalb abzulehnen: Sind alle Tatbestandsmerkmale erfüllt, ist ein Delikt vollendet. Der Zustand der Vollendung ist nicht reversibel, denn nachfolgende Ereignisse können aus logischen Gründen nicht mehr bewirken, dass doch nicht alle Tatbestandsmerkmale verwirklicht wurden. Das begriffliche Wesen des Versuchs liegt in einer unvollständigen Tatbestandsverwirklichung; diese kann durch ein zusätzliches Ereignis (der Verwirklichung der restlichen Tatbestandsmerkmale) in das Stadium der Vollendung gelangen, ein vollständig verwirklichter Straftatbestand kann allerdings nicht durch zusätzliche Ereignisse wieder „unvollständig“ verwirklicht werden. Zwar ist auch beim vollendeten Delikt eine nachträgliche Strafaufhebung (zB Tätige Reue gem § 167 StGB, Selbstanzeige gem § 29 FinStrG), eine teilweise Strafaufhebung (zB § 102 Abs 4 StGB) oder ein nachträglicher Eintritt von Strafmilderungsumständen möglich. Begrifflich kann sich aber nichts mehr daran ändern, dass das Delikt vollendet war; die Strafmilderung des Versuchs kann daher nicht mehr eingreifen. Eine „Zurückversetzung“ in ein Stadium vor der Deliktsvollendung würde das begriffliche Verhältnis von Versuch und Vollendung auf den Kopf stellen. Der Konzeption des OGH ist ferner entgegenzuhalten, dass nach bisher unbestrittener Ansicht stets das vollendete Delikt Vorrang vor dem versuchten hat, der Versuch also hinter der Vollendung als subsidiär zurücktritt. Selbst wenn man also die Ansicht des OGH teilen würde, dass die Abgabenhinterziehung vor der bescheidmäßigen Abgabenfestsetzung bereits vollendet war, anschließend dagegen als versucht anzusehen sei, müsste es somit dabei bleiben, dass das vollendete Delikt das versuchte verdrängt; der nachträglich vorliegende Versuch würde somit keine Wirkung mehr entfalten (bei fahrlässiger Begehung müsste ebenso die einmal eingetretene Vollendungsstrafbarkeit durchschlagen).

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Die Unvereinbarkeit der Ansicht des OGH mit der traditionellen Strafrechtsdogmatik legt nahe, nach einer Auslegung des § 33 Abs 3 lit a FinStrG zu suchen, die es ermöglicht, am bisherigen Verständnis von Versuch und Vollendung festzuhalten: Ansatzpunkt für die Auslegung sollte mE ein – vom OGH zu wenig beachteter – Formulierungsunterschied in der Rechtslage vor und nach dem AbgabenänderungsG 1998 sein: Während in allen Fassungen vor 1998 die Alternative zur bescheidmäßigen Abgabenfestsetzung dahin formuliert war, dass die Abgaben „nicht . . . festgesetzt wurden“, stellt die aktuelle Gesetzesfassung darauf ab, dass die „Abgaben . . . nicht festgesetzt werden konnten“.43) Nach dieser Formulierung soll es also offenbar gerade nicht darauf ankommen, ob die Abgaben festgesetzt wurden, sondern ob eine bescheidmäßige Festsetzung der Abgaben durch die Behörde aufgrund der ihr vorliegenden Informationen möglich – und deshalb zu erwarten – war. Daran anknüpfend erscheint es sinnvoll, folgendermaßen zu unterscheiden: Ü Liegen der Finanzbehörde bereits – aus den Vorjahren oder aus sonstigen Abgabenerklärungen – hinreichende Informationen vor, sodass auch ohne Abgabe einer Erklärung hinsichtlich der jeweiligen Steuerart im Veranlagungsjahr eine auf einer Schätzung beruhende Festsetzung möglich und deshalb zu erwarten ist, kommt § 33 Abs 3 lit a erster Fall FinStrG zur Anwendung, dh die Vollendung tritt erst mit Erlass des Abgabenbescheids ein.44) Bis dahin ist bei entsprechendem Vorsatz eine Abgabenhinterziehung lediglich versucht, ein allfälliges fahrlässiges Verhalten straflos. Ü Liegen der Finanzbehörde dagegen für eine bestimmte Steuerart im Veranlagungsjahr keine hinreichenden Informationen vor, sodass die Finanzbehörde nicht auf die konkrete Steuerpflicht schließen kann und deshalb mit einer Abgabenfestsetzung nicht zu rechnen ist, kommt § 33 Abs 3 lit a zweiter Fall FinStrG zur Anwendung, dh die Abgabenhinterziehung bzw -verkürzung ist bereits mit dem Ende der Erklärungsfrist vollendet. Sollte die Abgabenbehörde aufgrund später neu auftauchender Informationen doch noch eine Abgabenfestsetzung vornehmen, ändert dies an der bereits vollendeten Verkürzung nichts mehr. Ob der Finanzbehörde hinreichende Informationen vorliegen, sodass eine Abgabenfestsetzung „möglich ist“, hängt – insofern ist dem OGH zuzustimmen –

39) 40) 41) 42)

43) 44)

durch Schätzung erfolgende, aber zu geringe Festsetzung ernstlich für möglich gehalten und sich mit ihr abgefunden hat. Bei Voraussehbarkeit einer unterbleibenden oder zu geringen Abgabenfestsetzung. Leitner, SWK 2010, 347 FN 3, spricht insofern zu Recht von „sonderbaren Konsequenzen“. Auf diese eigenartige Konsequenz weist ebenfalls Leitner, SWK 2010, 347, hin. Dass die Entscheidung EvBl 2009/152 tatsächlich in diesem Sinn zu verstehen ist, wurde in der Diskussion anlässlich der Finanzstrafrechtlichen Tagung 2010 in Linz von den in die Entscheidung involvierten Richtern des OGH ausdrücklich bestätigt. Vgl nunmehr auch Nordmeyer, ÖJZ 2010, 949 ff. Auf diese Divergenz hat bisher – soweit ersichtlich – allein Leitner, SWK 2010, 347, aufmerksam gemacht. Die hier vorgenommene Abgrenzung dürfte sich weitgehend mit jener von Reger/Hacker/Kneidinger, Finanzstrafgesetz3 § 33 Rz 41, decken.

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[FINANZSTRAFRECHT] nicht allein davon ab, ob der Täter steuerlich erfasst ist, ihm also eine Steuernummer zugeteilt wurde.45) Denn auch wenn eine Person grundsätzlich steuerlich erfasst ist, können der Finanzbehörde Hinweise auf eine konkrete Steuerpflicht im jeweiligen Veranlagungsjahr fehlen. Die steuerliche Erfassung schließt damit die Anwendbarkeit des § 33 Abs 3 lit a zweiter Fall FinStrG nicht generell aus. Vielmehr ist darauf abzustellen, ob der Finanzbehörde hinsichtlich einer konkreten Steuerpflicht (bestimmte Steuerart im Veranlagungsjahr) genügend Anhaltspunkte vorlagen, um mit einer Abgabenfestsetzung zu rechnen.46) Einzuräumen ist, dass die Beurteilung, ob eine bescheidmäßige Abgabenfestsetzung „zu erwarten“ war, gewisse prognostische Unsicherheiten beinhaltet. Allerdings gibt es doch eine gängige Schätzungspraxis der Finanzbehörden, an der man sich orientieren kann. Insofern ist die Unbestimmtheit nicht größer als bei vielen anderen Delikten, etwa wenn im allgemeinen Vermögensstrafrecht der Eintritt eines „Vermögensschadens“ davon abhängt, ob die Erfüllung der einer Person zustehenden Forderung realistisch erscheint.47) Jedenfalls ist ein gewisser verbleibender Ermessensspielraum das kleinere Übel im Vergleich zu dem mit der Lösung des OGH verbundenen krassen Bruch mit der Strafrechtsdogmatik.48)

5. Abgabenverkürzung nach bereits bewirkter Abgabenverkürzung? Eine spezifische Frage geht dahin, ob bzw in welchen Fällen trotz bereits eingetretener Abgabenverkürzung eine nachfolgende weitere Untätigkeit erneut eine Abgabenverkürzung bewirken kann. Diese Frage stellt sich deshalb, weil abgabenrechtliche Erklärungspflichten verschiedentlich auch nach erfolgter Verkürzung (fort)bestehen. Ein Beispiel bildet die Berichtigungspflicht gem § 139 BAO: Erkennt ein Abgabepflichtiger, dass er zuvor in einer Abgabenerklärung oder einem sonstigen Anbringen (fahrlässig oder ohne Verschulden) unvollständige oder unrichtige Angaben gemacht hat und dass dies zu einer Abgabenverkürzung geführt hat oder führen kann, so ist er gem § 139 BAO verpflichtet, dies der Abgabenbehörde unverzüglich mitzuteilen.49) Mit der hM ist auch diese Berichtigungspflicht als eine „abgabenrechtliche Anzeige- oder Offenlegungspflicht“ iSd §§ 33, 34 FinStrG einzuordnen, sodass eine unterlassene Berichtigung grundsätzlich geeignet ist, eine Abgabenhinterziehung bzw -verkürzung durch Unterlassen auszulösen.50) Die Berichtigungspflicht besteht ausdrücklich auch nach bereits eingetretener Abgabenverkürzung fort. Daneben ist die sog „Nacherklärungspflicht“ zu erwähnen. Während die Berichtigungspflicht gem § 139 BAO nur eingreift, wenn der Täter zuvor unvollständige oder unrichtige Angaben gegenüber der Finanzbehörde gemacht hat, bezieht sich die „Nacherklärungspflicht“ auf Fälle, in denen der Täter während einer vorgeschriebenen Erklärungsfrist keine Erklärung abgegeben hat. Die sog „Nacherklärungspflicht“ baut dabei auf der Überlegung auf, dass dann, wenn das Gesetz eine Erklärung innerhalb einer gewissen Frist vorschreibt, die Pflicht zur Erklärung idR nicht mit dem ÖJZ [2011] 09

Ablauf der Frist endet, sondern weiterhin – eben als „Nach-Erklärungspflicht“ – fortbesteht.51) Auch eine solche „Nacherklärungspflicht“ ist grundsätzlich eine „abgabenrechtliche Anzeige- oder Offenlegungspflicht“ iSd §§ 33, 34 FinStrG. Da die §§ 33, 34 FinStrG als Erfolgsdelikte ausgestaltet sind, ist für eine Verwirklichung dieser Delikte freilich erforderlich, dass die Verletzung der Berichtigungsoder Nacherklärungspflicht zu einer (der Pflichtverletzung nachfolgenden) Abgabenverkürzung geführt hat (oder beim Versuch zumindest der Vorsatz darauf gerichtet war). Dies ist etwa erfüllt, wenn der Täter kurz nach Abgabe seiner Einkommenssteuererklärung und vor der bescheidmäßigen Festsetzung eine (fahrlässige oder unverschuldete) Unvollständigkeit der Erklärung erkennt, aber dennoch (vorsätzlich) untätig bleibt und deshalb die Steuer anschließend zu niedrig festgesetzt wird.52) Fraglich erscheint aber, ob eine Strafbarkeit 45) Ausdrücklich OGH EvBl 2009/152; ebenso Fellner, Finanzstrafgesetz. Kommentar I6 § 33 Rz 52; nunmehr auch Leitner, SWK 2010, 348 (anders Leitner/Toifl/Brandl, Finanzstrafrecht3 Rz 877). 46) Vgl auch Reger/Hacker/Kneidinger (wie FN 44). 47) ZB Kienapfel/Schmoller, StudB BT II § 146 Rz 129, 131, 132 mwN. 48) In der Diskussion anlässlich der Finanzstrafrechtlichen Tagung 2010 wurde zur Unterstützung der Ansicht des OGH auch vorgebracht, die danach generell früh eintretende Vollendung ermögliche eine tätergünstigere Beurteilung der Verjährung. Dazu ist indes Folgendes anzumerken: – Der Beginn der Verjährungsfrist bestimmt sich nach der hier vertretenen Ansicht gleich wie nach jener des OGH: Zwar ist der Verjährungsbeginn beim Versuch eines Erfolgsdelikts nach § 31 FinStrG nicht eindeutig geregelt. Die Formulierung „Gehört zum Tatbestand ein Erfolg, so beginnt die Verjährungsfrist erst mit diesem zu laufen“ (§ 31 Abs 1 zweiter Satz FinStrG) könnte zu dem Schluss verleiten, dass der Versuch eines Erfolgsdelikts, solange kein Erfolg eintritt, überhaupt nicht verjährt. Die sich daraus ergebende Konsequenz, dass zB ein untauglicher oder fehlgeschlagener Versuch generell unverjährbar wäre, erscheint aber kaum tragbar. Zu Recht legt die hM § 31 FinStrG deshalb nicht anders aus als die insoweit klarere Regelung in § 57 Abs 2, § 58 Abs 1 StGB: Danach beginnt auch beim Versuch einer Finanzstraftat die Verjährungsfrist stets mit dem Abschluss der Versuchshandlung; vgl VwGH 22. 9. 2005, 2000/14/ 0001 ÖJZ 2007, 166 = ecolex 2006/154; OGH 4. 7. 1996, 15 Os 53/96 ÖStZB 1997, 273; Leitner/Toifl/Brandl, Finanzstrafrecht3 Rz 502 f; Reger/Hacker/Kneidinger, Finanzstrafgesetz3 § 31 Rz 9. Wenn man daher, wie hier vorgeschlagen, die unterlassene Abgabenerklärung bei einer zu erwartenden bescheidmäßigen Festsetzung durch Schätzung lediglich als versuchte Abgabenhinterziehung bewertet, beginnt die Verjährungsfrist entsprechend der hM ebenfalls bereits mit dem Ende der Erklärungsfrist. – Hinsichtlich des Ablaufs der Verjährungsfrist besteht ein gewisser Unterschied darin, dass sich nach der Ansicht des OGH, nach der die Vollendung generell bereits mit dem Ende der Erklärungsfrist eintreten soll, die spätere bescheidmäßige Abgabenfestsetzung (und allenfalls „Zurückversetzung“ ins Versuchsstadium) offenbar nicht mehr auf den Ablauf der Verjährungsfrist auswirkt; vgl Nordmeyer, ÖJZ 2010, 950 f. Nach der hier vertretenen Ansicht schiebt dagegen idR die bescheidmäßige Festsetzung als „Erfolgseintritt“ den Ablauf der Verjährungsfrist hinaus; denn diese muss gem § 31 FinStrG auch vom Erfolg verstrichen sein. Eine solche Auswirkung der bescheidmäßigen Festsetzung erscheint jedoch sehr sachgerecht, während das Ergebnis des OGH, dass sich die bescheidmäßige Festsetzung – eine in Wahrheit wesentliche Erfolgskomponente – überhaupt nicht auf die Verjährung auswirken soll, eher merkwürdig anmutet. 49) Die gegen diese Vorschrift im Schrifttum teilweise erhobenen Bedenken unter dem Gesichtspunkt des nemo-tenetur-Grundsatzes (insb bei vorangehenden fahrlässig unrichtigen Angaben) werden hier nicht weiter verfolgt; vgl dazu zB Leitner/Toifl/Brandl, Finanzstrafrecht3 Rz 824; Scheil, Das Erkenntnis des VfGH zur Wiener Abgabenordnung und die Selbstanzeige, Finanzstrafrecht 1996 – 2002 (2006) 185 ff; Brandl/Toifl, Tax Due Diligence und Finanzstrafrecht, in Baumann/Waitz-Ramsauer (Hrsg), Handbuch Unternehmenskauf & Due Diligence II (2010) 311 (322); jeweils mwN. 50) Nachweise zB bei Schmoller (FN 1) 17. 51) Vgl zB Stoll, Bundesabgabenordnung, Kommentar II (1994) 1575. 52) ZB Leitner/Toifl/Brandl, Finanzstrafrecht3 Rz 825; Reger/Hacker/ Kneidinger, Finanzstrafgesetz3 § 33 Rz 17; Brandl/Toifl (FN 49) 326 f.

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[F I N A N Z S T R A F R E C H T ] nach §§ 33, 34 FinStrG uU auch dann noch in Betracht kommt, wenn ein Verkürzungserfolg bereits eingetreten ist und erst anschließend eine Berichtigungs- oder Nacherklärungspflicht verletzt wird. Kann dann durch die unterlassene Berichtigung ein erneuter Verkürzungserfolg eintreten? Auf den ersten Blick könnte man argumentieren, dass dieselbe Abgabenverkürzung nur einmal eintreten kann. Die nachträgliche Verletzung einer abgabenrechtlichen (Berichtigungs- oder Nacherklärungs-) Pflicht könne daher nicht noch einmal eine Abgabenverkürzung bewirken. Die Verletzung der abgabenrechtlichen Pflicht sei dann zwar eine Finanzordnungswidrigkeit gem § 51 Abs 1 lit a FinStrG, aber nicht mehr tatbestandmäßig iSd §§ 33, 34 FinStrG.53) Bei näherer Betrachtung lässt sich diese Argumentation allerdings angesichts der weiten Vorverlagerung des Verkürzungserfolgs in § 33 Abs 3 lit a zweiter Fall FinStrG nicht aufrechterhalten; denn dieser vorverlagerte Erfolgseintritt schließt nicht aus, dass anschließend noch Umstände eintreten, die die Erfolgsseite weiter verändern und deshalb als erneute „Verkürzung“ erscheinen. Wenn jemand zB eine fristgerechte Abgabenerklärung (fahrlässig oder ohne Verschulden) verabsäumt hat und die Behörde daher mangels entsprechender Information die Steuer „nicht festsetzen konnte“,54) ist die Abgabenverkürzung nach der ausdrücklichen Regelung in § 33 Abs 3 lit a zweiter Fall FinStrG bereits mit dem Ablauf der Erklärungsfrist eingetreten. Da der staatliche Steueranspruch aber fortbesteht, ist nicht ausgeschlossen, an diesem eine erneute (zB nunmehr vorsätzliche) Verkürzung zu bewirken, insb, indem eine zu niedrige bescheidmäßige Abgabenfestsetzung bewirkt wird. Denn die zu geringe bescheidmäßige Steuerfestsetzung ist ein über die ursprüngliche (bloße) Nichterklärung hinausgehender Erfolgssachverhalt und deshalb ein erneuter Verkürzungserfolg (im Differenzbetrag zwischen der tatsächlichen und der zu niedrig festgesetzten Steuer).55) Eine solche erneute Verkürzung kann entweder durch aktives Tun erfolgen (zB nachträgliche Abgabe einer unrichtigen oder unvollständigen Abgabenerklärung) oder auch durch Unterlassen (zB wenn die Abgabenbehörde aufgrund neuer Informationen von dritter Seite später doch ein Abgabeverfahren einleitet, der Abgabepflichtige in diesem aber wiederum die notwendige Erklärung unterlässt und die Behörde deshalb infolge Schätzung zu einer zu niedrigen Abgabenfestsetzung gelangt).56) Die grundsätzlich mögliche „Verkürzung nach bereits bewirkter Verkürzung“ hat eine gewisse Parallele im allgemeinen Vermögensstrafrecht: Nimmt jemand fahrlässig dem Eigentümer eine Sache weg, erleidet der Eigentümer bereits einen Vermögensschaden (der Täter ist freilich mangels Vorsatzes nicht strafbar). Forscht der Eigentümer später den Täter aus und fordert er die Sache zurück, täuscht der Täter aber nun vor, die Sache gar nicht genommen zu haben, und vereitelt er dadurch den Rückforderungsanspruch, so tritt der Schaden (am Rückforderungsanspruch) erneut ein, sodass der Täter nunmehr (vorsätzlichen) Betrug verantwortet. Eine letzte Grenze für die Bewirkung eines tatbestandsmäßigen Verkürzungserfolgs bildet allerdings – mit der in Österreich hM – die (endgültige)57) bescheid-

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Ü Kurt Schmoller Ü Grundfragen strafbaren Unterlassens bei der Abgabenverkürzung

mäßige Festsetzung.58) Nach dieser ist eine weitere Verkürzung desselben Steueranspruchs nicht mehr möglich, weil sich die Erfolgsseite nicht mehr verändert: Mit dem normativen Akt der Abgabenfestsetzung bringt die Finanzbehörde formalisiert zum Ausdruck, dass das Abgabenverfahren abgeschlossen ist und als dessen Ergebnis kein höherer Abgabenanspruch besteht. Solange diese normative Festlegung anhält (dh keine Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgt), ist ein allfälliger tatsächlich höherer Abgabenanspruch nicht mehr aktuell, sodass er nicht mehr verkürzt werden kann. Auch insoweit kann ein Vergleich mit dem allgemeinen Vermögensstrafrecht angestellt werden: Erklärt ein Gläubiger (wenngleich irrtümlich) ausdrücklich, der Schuldner habe eine Forderung erfüllt, und geht er deshalb davon aus, keine weitere Forderung zu haben, so kann er an einer allfälligen tatsächlich weitergehenden Forderung nicht erneut geschädigt werden. Die bescheidmäßige Abgabenfestsetzung entspricht einer solchen Erklärung des Gläubigers. Die Verletzung einer Berichtigungs- oder Nacherklärungspflicht nach bereits erfolgter bescheidmäßiger Abgabenfestsetzung führt deshalb zu keiner weiteren Abgabenverkürzung (sondern vereitelt nur die Möglichkeit der Erhebung weiterer Abgabenforderungen) und erfüllt somit nicht mehr §§ 33, 34 FinStrG, sondern ist allenfalls nach § 51 Abs 1 lit a FinStrG zu beurteilen.59) Eine weitere Grenze der Deliktsverwirklichung ist im Bereich der Steuervoranmeldungen zu erwägen, bei denen es ja für sich generell zu keiner bescheidmäßigen Abgabenfestsetzung kommt. In diesem Bereich geht es nicht darum, dass eine Steuer überhaupt gezahlt wird, sondern darum, dass sie bis zu einem bestimmten Ter53) In diese Richtung zB Kneidinger, Konkurrenzfragen bei Finanzvergehen – Mitbestrafte Vor- und Nachtaten – Verletzung der Berichtigungspflicht, in Leitner (Hrsg), Finanzstrafrecht 2004 (2005) 9 (23 f). 54) Dazu näher oben vor FN 46. 55) Der erneute Verkürzungserfolg ist in diesem Fall betragsmäßig geringer als der ursprüngliche, weil er nur mehr den in der Erklärung verschwiegenen Teilbetrag erfasst, während sich die ursprüngliche Verkürzung auf den gesamten Abgabenanspruch erstreckte. Hinsichtlich des Teilbetrags hat sich die Verkürzung jedoch intensiviert, weil sie in den Abgabenbescheid Eingang gefunden hat; in der Intensivierung liegt der erneute Verkürzungserfolg. 56) Der Zeitraum des tatbestandsmäßigen Unterlassens wäre in diesem Fall – insb im Hinblick auf die Verjährung – folgendermaßen zu beurteilen: Die erste Phase des tatbestandsmäßigen Unterlassens ist mit dem Ablauf der ursprünglichen Erklärungsfrist (= erster Eintritt eines Verkürzungserfolgs) abgeschlossen. Zwar besteht eine Nacherklärungspflicht unmittelbar anschließend weiter, diese ist aber nicht tatbestandsmäßig iSd §§ 33, 34 FinStrG, weil die weitere Unterlassung den bereits eingetretenen Erfolg unverändert lässt. Mit dem Ablauf der ursprünglichen Erklärungsfrist beginnt daher zunächst die Verjährungsfrist zu laufen. Wenn die Abgabenbehörde allerdings – insb aufgrund neuer Informationen – ein Abgabenverfahren einleitet, kann das weitere Unterlassen einer Erklärung wieder tatbestandsmäßig iSd §§ 33, 34 FinStrG sein, weil es sich nun erfolgsseitig auf den Inhalt des zu erwartenden Bescheids auswirkt. Für diese zweite Phase tatbestandsmäßigen Unterlassens beginnt die Verjährungsfrist erst mit dem Ablauf der von der Behörde gesetzten Frist bzw mit der Ausstellung des Abgabenbescheids zu laufen. 57) Vgl § 200 BAO. 58) ZB Leitner/Toifl/Brandl, Finanzstrafrecht3 Rz 826 und 828 mwN; Brandl/Toifl (FN 49) 326 f; Fellner, Finanzstrafgesetz6 § 33 Rz 19; Kneidinger (FN 53) 23 f; Plückhahn, Über den vermeintlichen Zwang zur finanzstrafrechtlichen Selbstbeschuldigung durch Erfüllung der abgabenrechtlichen Offenlegungs- und Wahrheitspflicht, ÖStZ 1992, 237; Reger/Hacker/Kneidinger, Das Finanzstrafgesetz3 § 33 Rz 14; Seiler/Seiler, Finanzstrafgesetz2 § 33 Rz 20 f. 59) Ein tatbestandsmäßiges Unterlassen iSd §§ 33, 34 FinStrG endet somit stets spätestens mit der bescheidmäßigen Abgabenfestsetzung. Spätestens ab diesem Zeitpunkt beginnt deshalb die Verjährungsfrist zu laufen.

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[FINANZSTRAFRECHT] min vorweg gezahlt wird. Wurde dieser Zeitpunkt versäumt, so ist die Abgabenverkürzung eingetreten; die vom Gesetzgeber gewünschte rechtzeitige Vorauszahlung kann dann auch durch eine nachträgliche Berichtigung keinesfalls mehr bewirkt werden, die Verkürzung bleibt in jedem Fall aufrecht. Diese Sachlage spricht dafür, dass die Verletzung einer allfälligen Berichtigungs- oder Nacherklärungspflicht bei Steuervoranmeldungen keine eigenständige Verkürzung bewirkt, weil es bei der bereits eingetretenen Verkürzung bleibt, aber keine weitere Verkürzung hinzukommt. Wenn also zB ein Abgabepflichtiger (fahrlässig oder unverschuldet) einen zu geringen Steuerbetrag voranmeldet, dies später erkennt, aber dennoch keine Berichtigung vornimmt, ist die unterlassene Berichtigung allein nach § 51 Abs 1 lit a FinStrG zu beurteilen, dagegen keine vorsätzliche Abgabenhinterziehung (durch Unterlassen der Berichtigung).60) Ist der Voranmeldungszeitpunkt versäumt, geht es später allein darum, ob die Steuer letztlich hinreichend entrichtet wird. Im Hinblick auf die endgültige Besteuerung kann deshalb eine erneute Abgabenhinterziehung (zB durch unrichtige oder unzureichende Jahressteuererklärung) bewirkt werden.

E. §§ 33, 34 FinStrG als „unechtes“ Unterlassungsdelikt 1. Verwirklichung einer Begehungsvariante durch Unterlassen Neben der bisher erörterten Begehung der §§ 33, 34 FinStrG als echtes Unterlassungsdelikt kommt – allerdings nur in Ausnahmefällen und deshalb mit geringerer praktischer Bedeutung – auch eine solche als unechtes Unterlassungsdelikt in Betracht. Diese Möglichkeit entsteht daraus, dass § 33 FinStrG auch Tatbestandsvarianten enthält, die primär auf ein aktives Tun zugeschnitten sind und idR auch durch ein solches verwirklicht werden. Bei diesen Tatbestandsvarianten kann eine Untätigkeit allenfalls unter den besonderen Voraussetzungen eines unechten Unterlassungsdelikts (Garantenstellung, Gleichwertigkeit) Strafbarkeit begründen. Vorbedingung ist freilich, dass – trotz Fehlens einer dem § 2 StGB entsprechenden Regelung im FinStrG – die Begehungsmöglichkeit als „unechtes“ Unterlassungsdelikt auch im Finanzstrafrecht grundsätzlich anerkannt wird, was oben befürwortet wurde.61) Eine derartige Tatbestandsvariante enthält zum einen § 33 Abs 1 FinStrG insoweit, als auf die „Verletzung einer Wahrheitspflicht“ abgestellt wird. Denn eine „Wahrheitspflicht“ kann nicht einfach durch Untätigkeit, sondern stets nur durch unrichtige oder unvollständige Angaben verletzt werden.62) Primär auf ein aktives Tun zugeschnitten ist ferner die Tatbestandsvariante des § 33 Abs 4 FinStrG, nach der es strafbar ist, eine Sache, für die zweckgerichtet eine Abgabenbegünstigung gewährt wurde, zu einem anderen als zu diesem Zweck zu verwenden (ohne dies der Abgabenbehörde anzuzeigen). Eine „zweckwidrige Verwendung“ erfolgt idR durch aktives Tun. Da es sich bei diesen beiden Tatbestandsvarianten somit um „Begehungsdelikte“ handelt, ist eine Verwirklichung durch Unterlassen nur möglich, sofern man unechte Unterlassungsdelikte auch ohne eine dem § 2 ÖJZ [2011] 09

StGB entsprechende Regelung im Finanzstrafrecht anerkennt und die besonderen Voraussetzungen einer Garantenstellung sowie der Gleichwertigkeit vorliegen.

2. Garantenstellung, Gleichwertigkeit Beispielsweise wäre aufgrund der zu bejahenden Garantenstellung und Gleichwertigkeit eine Verwirklichung von § 33 Abs 4 FinStrG als unechtes Unterlassungsdelikt (in Form der Beitragstäterschaft) anzunehmen, wenn der über eine abgabenbegünstigte Sache verfügungsberechtigte Dienstgeber zusieht, wie sein Angestellter diese Sache im Rahmen des Dienstverhältnisses zweckwidrig verwendet, und dabei untätig bleibt. Die Garantenstellung ergibt sich in diesem Fall aus der Position als Abgabepflichtiger und weisungsbefugter Dienstgeber, und ebenso erscheint der Gesamtunwert einer eigenhändigen zweckwidrigen Verwendung gleichwertig. Ferner wäre beispielsweise § 33 Abs 1 FinStrG in Form der „Verletzung einer Wahrheitspflicht“ als unechtes Unterlassungsdelikt verwirklicht, wenn ein Abgabepflichtiger zusieht, wie sein Dienstnehmer die (betriebliche) Abgabenerklärung wahrheitswidrig ausfüllt und einreicht, ohne in irgendeiner Weise einzuschreiten.

F. Zusammenfassung 1. „Echte“ Unterlassungsdelikte sind (nach der hier vertretenen Terminologie) solche Straftatbestände, bei denen die Möglichkeit einer Begehung durch Unterlassen ausdrücklich im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck kommt. Bei „unechten“ Unterlassungsdelikten geht es dagegen um Straftatbestände, die ihrem Wortlaut nach primär auf ein aktives Tun zugeschnitten sind, aber in Ausnahmefällen auch durch Unterlassen begangen werden können. Im Finanzstrafrecht gibt es sowohl echte als auch unechte Unterlassungsdelikte, den ersten kommt eine deutlich größere Bedeutung zu. 2. Die Strafbarkeit unechter Unterlassungsdelikte ergibt sich im allgemeinen Strafrecht aus § 2 StGB; danach hängt die Strafbarkeit vom Vorliegen einer „Garantenstellung“ sowie von der „Gleichwertigkeit“ mit einem aktiven Tun ab. Trotz des Fehlens einer entsprechenden Regelung im FinStrG sind unechte Unterlassungsdelikte auch im Finanzstrafrecht anzuerkennen, weil § 2 StGB eine primär klarstellende, keine konstitutive Bedeutung für die Strafbarkeit hat. 3. Soweit in § 33 Abs 1 FinStrG auf die „Verletzung einer Anzeige- oder Offenlegungspflicht“ abgestellt wird, handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt, weil der Tatbestandswortlaut idR durch Nichtanzeige bzw durch Nicht-Offenlegung erfüllt wird. Zusätzliche Voraussetzungen einer Garantenstellung oder Gleichwertigkeit sind deshalb nicht gesondert zu prüfen. Allerdings sind – neben einer genauen Prüfung von Vorsatz bzw Fahrlässigkeit – jedenfalls die allen Unterlassungsdelikten gemeinsamen Strafbarkeitsvoraussetzungen zu 60) Anderer Meinung allerdings BGH 17. 3. 2009 BGHSt 53, 210, wonach auch die unterlassene Berichtigung einer Umsatzsteuervoranmeldung für sich eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen begründen könne. 61) Oben C. 2. 62) Die Vollständigkeitspflicht wird hierbei als Teilaspekt der Wahrheitspflicht verstanden. Vgl dagegen § 119 BAO, der „vollständig und wahrheitsgemäß“ nebeneinander nennt.

Ü Kurt Schmoller Ü Grundfragen strafbaren Unterlassens bei der Abgabenverkürzung

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[F I N A N Z S T R A F R E C H T ] berücksichtigen: erstens die faktische Möglichkeit und zweitens die spezifische Zumutbarkeit eines entsprechenden Tätigwerdens. Bei einem Unterlassungsdelikt kann die Strafbarkeit daher in Ausnahmefällen – auch außerhalb der Grenzen des entschuldigenden Notstands – infolge Unzumutbarkeit entfallen. 4. Hinsichtlich des Eintritts des tatbestandsmäßigen Erfolgs der „Abgabenverkürzung“ sind die beiden in der Legaldefinition des § 33 Abs 3 lit a FinStrG enthaltenen Varianten – abweichend von der jüngsten Judikatur des OGH – folgendermaßen gegeneinander abzugrenzen: Liegen der Abgabenbehörde trotz der unterlassenen Anzeige bzw Offenlegung genügend Informationen vor, sodass mit einer Abgabenfestsetzung im Wege der Schätzung zu rechnen ist, tritt die Verkürzung erst mit der zu niedrigen Abgabenfestsetzung ein. Nur dann, wenn aufgrund fehlender Informationen der Abgabenbehörde zu erwarten ist, dass gar keine Abgabenfestsetzung erfolgen wird, tritt der Verkürzungserfolg bereits mit dem Ablauf der gesetzlichen Verjährungsfrist (§ 33 Abs 3 lit a zweiter Fall FinStrG) ein. Entgegen der Konzeption des OGH ist es in diesem Fall nicht mehr möglich, dass aus einer vollendeten Abgabenhinterziehung durch nachträgliche Ereignisse (etwa eine doch erfolgende Ab-

Ü

gabenfestsetzung durch die Behörde) wieder eine versuchte Abgabenhinterziehung wird. 5. Eine Abgabenhinterziehung bzw -verkürzung kann unter Umständen auch durch Verletzung einer Berichtigungspflicht gem § 139 BAO oder einer „Nacherklärungspflicht“ (= fortbestehende Erklärungspflicht nach Ablauf der vorgesehenen Frist) begangen werden. Bei bescheidmäßig festzusetzenden Abgaben kann allerdings nach bescheidmäßiger Festsetzung keine (erneute) Abgabenverkürzung mehr eintreten, sodass nur eine Verletzung der Berichtigungs- oder Nacherklärungspflicht vor Festsetzung den Straftatbestand erfüllt. Auch soweit es um eine Steuervoranmeldung geht, wurde vorgeschlagen, ein weiteres Unterlassen nach Ablauf der Voranmeldungsfrist mangels erneuter Abgabenverkürzung nicht mehr als tatbestandsmäßig iSd §§ 33, 34 FinStrG einzuordnen. 6. In den Tatbestandsvarianten der „Verletzung einer Wahrheitspflicht“ (§ 33 Abs 1 FinStrG) oder der zweckwidrigen Verwendung einer abgabenbegünstigten Sache (§ 33 Abs 4 FinStrG) können die §§ 33, 34 FinStrG, sofern Garantenstellung und Gleichwertigkeit zu bejahen sind, auch als unechtes Unterlassungsdelikt verwirklicht werden.

Ü In Kürze

Ü Zum Thema

Eine Abgabenhinterziehung oder -verkürzung kann als „echtes“ Unterlassungsdelikt begangen werden, weil der Tatbestandswortlaut (insb „Verletzung einer Anzeige- oder Offenlegungspflicht“) ausdrücklich ein Unterlassen miteinbezieht. In Einzelfällen ist aber auch eine Begehung als „unechtes“ Unterlassungsdelikt möglich, obwohl eine dem § 2 StGB entsprechende Regelung im FinStrG fehlt. Näher erörtert wurden insb Versuchsbeginn, Vollendungszeitpunkt und Verjährung, ferner Konsequenzen einer Verletzung der Berichtigungs- oder Nacherklärungspflicht.

Über den Autor: O. Univ.-Prof. Dr. Kurt Schmoller ist Professor für Strafrecht und Strafverfahrensrecht an der Universität Salzburg. Kontaktadresse: Kapitelgasse 5 – 7, 5010 Salzburg. E-Mail: kurt.schmoller@sbg.ac.at Vom selben Autor erschienen: Grundfragen der Beteiligung an Abgabenhinterziehung und fahrlässiger Abgabenverkürzung, in Leitner (Hrsg), Finanzstrafrecht 2008 (2009) 11; Kienapfel/Schmoller, StudB Strafrecht BT II (2003) und BT III2 (2009).

[EUROPÄISCHES

ZIVILVERFAHREN]

Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen 79. Jahrgang – Nr 57 – 63 EvBl 2011/57 Art 15 EuGVVO (Art 16 Abs 1 EuGVVO) OGH 28. 1. 2011, 6 Ob 261/10 s (LG Krems a d Donau 1 R 38/08 f; BG Krems a d Donau 9 C 940/07 v)

Christoph Brenn, Helge Hoch, Eckart Ratz, Ronald Rohrer

Ü Das „Ausrichten“ gewerblicher Tätigkeit im Internet im Sinne der EuGVVO Art 15 EuGVVO (Art 16 Abs 1 EuGVVO) Ein Vertrag über eine Frachtschiffreise stellt einen Reisevertrag, der für einen Pauschalpreis kombinierte Beförderungs- und Unterbringungsleistungen vorsieht, iSv Art 15 Abs 3 EuGVVO dar. Für die Feststellung, ob ein Gewerbetreibender, dessen Tätigkeit auf seiner Website oder der eines Vermittlers präsentiert wird, als ein Gewerbetreibender angesehen werden kann, der seine Tätigkeit auf den Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Ver-

braucher seinen Wohnsitz hat, iSv Art 15 Abs 1 lit c EuGVVO „ausrichtet“, ist zu prüfen, ob vor einem möglichen Vertragsschluss mit dem Verbraucher aus diesen Websites und der gesamten Tätigkeit des Gewerbetreibenden hervorgeht, dass dieser mit Verbrauchern, die in einem oder mehreren Mitgliedstaaten, darunter dem Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers, wohnhaft sind, in dem Sinne Geschäfte zu tätigen beabsichtigte, dass er zu einem Vertragsschluss mit ihnen bereit war.

Sachverhalt: Der Kl hat bei der Bekl eine Frachtschiffreise von Triest nach Ostasien mit Abfahrtstermin Ende Jänner 2007 zum Gesamtpreis von E 8.510,– für zwei Personen ge408

Ü Das „Ausrichten“ gewerblicher Tätigkeit im Internet im Sinne der EuGVVO

bucht. Vermittelt wurde diese Reise durch eine GmbH. Diese bietet derartige Reisen am österr Markt in Form einer Homepage an. ÖJZ [2011] 09


[EUROPÄISCHES Der Kl begehrt von der Bekl E 5.294,– sA Dazu bringt er im Wesentlichen vor, auf der Homepage des Vermittlers sei folgende Schiffsbeschreibung enthalten gewesen: „deutsche Schiffsführung, Sportraum, Außenschwimmbad, Salon, Video/TV“. Außerdem seien drei Doppelkabinen mit Dusche und WC, separatem Wohnraum, sehr guter Ausstattung mit Sitzgruppe, Schreibtisch, Teppichboden und Kühlschrank sowie Landgänge mit einer Liegezeit von ca 12 bis 36 Stunden zur Stadterkundung angegeben gewesen. Der Kl und seine Ehegattin haben den Antritt der Reise verweigert. Es sei lediglich eine Einzelkabine zur Verfügung gestellt worden. Entgegen der Reisebeschreibung sei weder ein Außenschwimmbad noch ein Sportraum, noch eine funktionierende TV-Anlage, noch eine Sitz- bzw Liegemöglichkeit an Deck vorhanden gewesen. Landgänge wären nur vereinzelt in Europa und Shanghai möglich gewesen. Die Bekl habe bereits eine Teilrückzahlung geleistet; sie sei aber verpflichtet, den gesamten Klagsbetrag zu erstatten. Die Bekl wandte Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ein. Sie entfalte keinerlei berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in Österreich. Das ErstG verwarf die Einrede der Unzuständigkeit. Das RekG änderte diese E ab und wies die Klage zurück. Der OGH hat ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet. Der OGH hob die E der Vorinstanzen auf und trug dem ErstG die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Aus der Begründung:

[Vorabentscheidung] Der EuGH hat mit U v 7. 12. 2010, C-585/08, die vom OGH gestellten Fragen wie folgt beantwortet: „1. Ein Vertrag über eine Frachtschiffreise wie der im Ausgangsverfahren der Rechtssache C-585/08 fragliche stellt einen Reisevertrag, der für einen Pauschalpreis kombinierte Beförderungs- und Unterbringungsleistungen vorsieht, im Sinne von Art 15 Abs 3 der Verordnung (EG) Nr 44/2001 des Rates vom 22. 12. 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen dar. 2. Für die Feststellung, ob ein Gewerbetreibender, dessen Tätigkeit auf seiner Website oder der eines Vermittlers präsentiert wird, als ein Gewerbetreibender angesehen werden kann, der seine Tätigkeit auf den Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, im Sinne von Art 15 Abs 1 Buchstabe c der Verordnung Nr 44/2001 „ausrichtet“, ist zu prüfen, ob vor einem möglichen Vertragsschluss mit dem Verbraucher aus diesen Websites und der gesamten Tätigkeit des Gewerbetreibenden hervorgeht, dass dieser mit Verbrauchern, die in einem oder mehreren Mitgliedstaaten, darunter dem Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers, wohnhaft sind, in dem Sinne Geschäfte zu tä-

ZIVILVERFAHREN]

tigen beabsichtige, dass er zu einem Vertragsschluss mit ihnen bereit war. Die folgenden Gesichtspunkte, deren Aufzählung nicht erschöpfend ist, sind geeignet, Anhaltspunkte zu bilden, die die Feststellung erlauben, dass die Tätigkeit des Gewerbetreibenden auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers ausgerichtet Der in der E des OGH wieist, nämlich der internationale Charakter dergegebenen Vorabentder Tätigkeit, die Angabe von Anfahrtsbescheidung des EuGH schreibungen von anderen Mitgliedstaaten kommt nicht nur wegen der aus zu dem Ort, an dem der GewerbetreiDefinition der Buchung sog bende niedergelassen ist, die Verwendung eiFrachtschiffreisen als Verner anderen Sprache oder Währung als der brauchersachen Bedeuin dem Mitgliedstaat der Niederlassung des tung zu, sondern vor allem wegen der ausführlichen Gewerbetreibenden üblicherweise verwendeDarstellung zur Frage, was ten Sprache oder Währung mit der Möglichunter „Ausrichten“ der gekeit der Buchung und Buchungsbestätigung werblichen Tätigkeit iSd in dieser anderen Sprache, die Angabe von Art 15 Abs 1 lit c EuGVVO Telefonnummern und internationaler Vorzu verstehen ist. wahl, die Tätigung von Ausgaben für einen Internetreferenzierungsdienst, um in anderen Mitgliedstaaten wohnhaften Verbrauchern den Zugang zur Website des Gewerbetreibenden oder seines Vermittlers zu erleichtern, die Verwendung eines anderen Domänenamens oberster Stufe als desjenigen des Mitgliedstaats der Niederlassung des Gewerbetreibenden und die Erwähnung einer internationalen Kundschaft, die sich aus in verschiedenen Mitgliedstaaten wohnhaften Kunden zusammensetzt. Es ist Sache des nationalen Richters, zu prüfen, ob diese Anhaltspunkte vorliegen. Hingegen ist die bloße Zugänglichkeit der Website des Gewerbetreibenden oder seines Vermittlers in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, nicht ausreichend. Das Gleiche gilt für die Angabe einer elektronischen Adresse oder anderer Adressdaten oder die Verwendung einer Sprache oder Währung, die in dem Mitgliedstaat der Niederlassung des Gewerbetreibenden die üblicherweise verwendete Sprache und/oder Währung sind.“

[Vermittelnde Gesellschaft] Der Umstand, dass es sich bei der Website um diejenige einer vermittelnden Gesellschaft und nicht diejenige des Gewerbetreibenden handelt, steht der Annahme eines „Ausrichtens“ iSd Art 15 Abs 1 lit c EuGVVO nicht entgegen (RN 89 des U des EuGH), wenn die vermittelnde Gesellschaft im Namen und für Rechnung dieses Gewerbetreibenden tätig wurde. Damit wird das ErstG im fortgesetzten Verfahren Feststellungen dahingehend zu treffen haben, ob die Bekl wusste oder hätte wissen müssen, dass die Tätigkeit der vermittelnden Gesellschaft eine internationale Dimension aufweist, und welche Verbindung zwischen der vermittelnden Gesellschaft und dem Gewerbetreibenden bestand sowie ob Anhaltspunkte im angeführten Sinne für ein internationales Ausrichten der Geschäftstätigkeit der Bekl vorliegen.

Praxishinweis: Art 15 EuGVVO entspricht im Wesentlichen Art 13 EuGVÜ/LGVÜ. In Art 15 Abs 3 EuGVVO sind

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Beförderungsverträge von den Verbraucherverträgen ausgenommen. Die im hier behandelten Fall an-

Ü Das „Ausrichten“ gewerblicher Tätigkeit im Internet im Sinne der EuGVVO

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[G E W Ä H R L E I S T U N G S R E C H T ]

gewandte Gegenausnahme für Pauschalreiseverträge wurde neu eingefügt. EvBl Redaktion

Anmerkung:

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Die Frage, inwieweit durch die Verwendung einer Website die Tätigkeit eines Unternehmers auf einen anderen Mitgliedstaat der EU ausgerichtet wird und dadurch die internationale Zuständigkeit dieses Mitgliedstaats nach Art 15 Abs 1 lit c EuGVVO begründet wird, ist Gegenstand heftiger literarischer Kontroversen. In der vorliegenden Rechtssache wurde diese Frage dem EuGH (C-585/08) zur Vorabentscheidung vorgelegt (6 Ob 192/08 s). Entgegen einem Teil der Lehre und Rsp (s die Nachweise bei Simotta in Fasching/Konecny V/12 [2008] Art 15 EuGVVO Rz 57 ff) differenziert der EuGH nicht zwischen aktiven und passiven Websites, vielmehr ist der Tatbestand des Ausrichtens einer gewerblichen Tätigkeit auf einen anderen Mitgliedstaat iSd Art 15 Abs 1 lit c EuGVVO erfüllt, wenn der Unternehmer durch die Verwendung einer Website – ausdrücklich oder konkludent – seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, Geschäftsbeziehungen zu Verbrauchern eines anderen Mitgliedstaats herzustellen. Dieser Wille muss sich auf den konkreten

Wohnsitzstaat des Verbrauchers beziehen. Aus der Verwendung einer Website allein kann daher, wie der EuGH zutreffend feststellt, noch nicht geschlossen werden, dass der Unternehmer seine gewerbliche Tätigkeit auch auf andere Mitgliedstaaten ausrichtet – andernfalls wäre ein Unternehmer aufgrund der globalen Reichweite des Internets in allen Mitgliedstaaten der EuGVVO gerichtspflichtig –, sondern es müssen weitere Kriterien, aus denen geschlossen werden kann, dass der Unternehmer seine gewerbliche Tätigkeit auf andere Mitgliedstaaten ausrichtet, vorliegen. Als solche Kriterien nennt der EuGH etwa die Angabe einer Telefonnummer mit internationaler Vorwahl oder die Abbildung einer Anfahrtsskizze mit Einbeziehung internationaler Routen. Auch die verwendete Sprache und Währung kann – entgegen der gemeinsamen Erklärung

des Rates und der Kommission (IPRax 2001, 261) – Anhaltspunkt für die internationale Ausrichtung der Tätigkeit sein (Garber, jusIT 2010, 181 [EAnm]). Nach Auffassung des EuGH ist auch der DomainEndung Indizwirkung beizumessen. Dies kann nach zutreffender Ansicht (Clausnitzer, EuZW 2011, 104 [EAnm]; Leible/Müller, Die Bedeutung von Websites

EvBl 2011/58 §§ 472, 480, 932 ABGB OGH 11. 11. 2010, 3 Ob 109/10 s (OLG Wien 12 R 208/09 k; LG für ZRS Wien 5 Cg 244/04 w)

ternehmer die internationale Ausrichtung der Website kannte oder hätte kennen müssen. Dem ist mE

zuzustimmen; andernfalls könnte die Anwendung des Art 15 Abs 1 lit c EuGVVO verhindert werden, indem ein anderes Unternehmen beauftragt wird, Werbemaßnahmen in einem anderen Staat durchzuführen. Kausalität: Der EuGH musste die Frage, ob zwischen der Ausrichtung der gewerblichen Tätigkeit und dem Vertragsabschluss ein Zusammenhang besteht, nicht beantworten. Der OGH hat das Erfordernis der Kausalität kürzlich bejaht (EvBl 2009/136 [Clavora] = jusIT 2009, 180 [Garber]; so auch BGH IPRax 2009, 258 [Mankowski 238]). Dem ist zuzustimmen; für diese Auffassung kann nicht nur die Parallele zur Rom I-VO (s ErwGr 25), sondern es können auch teleologische Erwägungen angeführt werden: War das Ausrichten der Tätigkeit nicht kausal für den Abschluss, mangelt es an der Schutzwürdigkeit des Verbrauchers. Thomas Garber Universität Graz

Ü Keine Vorteilsausgleichung bei Gewährleistung § 932 ABGB; §§ 472, 480 ABGB Im Gewährleistungsrecht gilt die Vorteilsausgleichung, die eine Beschränkung von Schadenersatzansprüchen auf den unter Berücksichtigung allfälliger Vorteile wirklich erlittenen Nachteil bezweckt, nicht.

Bei Übereignung nur einer von zwei Liegenschaften desselben Eigentümers, von denen eine offenkundig der anderen dient und weiterhin dienen soll, entsteht auch ohne Verbücherung eine Dienstbarkeit, und zwar unmittelbar durch den Übertragungsakt.

Sachverhalt:

Masseverwalter. In der Folge verkaufte sie diese Liegenschaften an die beiden Bekl jeweils zur Hälfte. Der Kaufpreis für die Liegenschaft Nr 43 betrug 1,4 Mio Euro.

Die Rechtsvorgängerin der klP erwarb zwei Liegenschaften im Zuge der kridamäßigen Verwertung durch einen 410

für die internationale Zuständigkeit in Verbrauchersachen, NJW 2011, 495 [497]) allerdings nur dann gelten, wenn der Unternehmer eine andere Länderkennung als die seines Sitzstaats verwendet (zB „ .de“ anstelle von „ .at“). Aus der Verwendung einer neutralen DomainEndung (zB „ .com“, „ .eu“ oder „ .info“) kann grds nicht auf eine internationale Ausrichtung der Tätigkeit geschlossen werden; der Unternehmer könnte diese Endung nämlich auch nur deshalb gewählt haben, um den Eindruck eines besonders professionellen Images zu erwecken, obgleich er seine Tätigkeit nur auf seinen eigenen (Wohn-)Sitzstaat beschränkt. Demgegenüber kann aus der Angabe der elektronischen oder geografischen Adresse nicht entnommen werden, dass der Unternehmer mit Verbrauchern aus anderen Mitgliedstaaten kontrahieren möchte, da sie keinerlei Bezug zu einem anderen Mitgliedstaat erkennen lassen. Zudem sind solche Angaben bei bestimmten Dienstleistungen verpflichtend (vgl Art 5 Abs 1 lit c der RL über den elektronischen Geschäftsverkehr), und zwar auch dann, wenn die Tätigkeit nur auf den Heimatstaat des Unternehmers ausgerichtet ist. Zurechnung von Aktivitäten Dritter: Ist der Unternehmer nicht Betreiber der Website, muss sich nach Auffassung des EuGH der Unternehmer die internationale Ausrichtung der Website zurechnen lassen, sofern der Betreiber der Website im Namen und für die Rechnung des Unternehmers auftritt und der Un-

Ü Keine Vorteilsausgleichung bei Gewährleistung

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[GEWÄHRLEISTUNGSRECHT] Als Kaufpreis für die Liegenschaft Nr 41 wurden E 850.000,– vereinbart, davon fällig E 100.000,– fünf Banktage nach Abschluss des Kaufvertrags und E 750.000,– am 31. 12. 2003. Grund für dieses lange, ein Jahr übersteigende Zahlungsziel war, dass die Bekl die Absicht hatten, die Liegenschaft Nr 41 weiterzuveräußern. Am 30. 1. 2003 zahlten die Bekl für die Liegenschaft Nr 41 E 50.000,– und für die Liegenschaft Nr 43 E 950.000,–. Am 31. 12. 2003 erfolgte die Restzahlung von E 800.000,– für die Liegenschaft Nr 41. Auf jeder der beiden Liegenschaften ist ein Stadtpalais errichtet, die miteinander verbunden sind. Im gemeinsamen Hofbereich ist ein zweigeschoßiger Zubau errichtet, im darunter befindlichen Souterraingeschoß der Liegenschaft Nr 41 wurde in diesem Zubau eine Garage für zwei freiwillig geschaffene Stellplätze eingebaut. Diese Garage ist mit der Garage der Liegenschaft Nr 43 dadurch verbunden, dass in der Feuermauer der Liegenschaften eine Durchfahrtsöffnung hergestellt wurde. Auf jeder der Liegenschaften bestehen je zwei Stellplätze. Die Rampe für die gemeinsamen Garageneinund -ausfahrt befindet sich auf der Liegenschaft Nr 43. Die klP begehrt einen restlichen Kaufpreis von je E 225.000,–. Die Bekl wendeten im Wesentlichen ein, dass ihnen nach Unterfertigung der Kaufverträge die Verpflichtungserklärung vom 14. 7. 2000 sowie zwei Baubescheide vom 28. 11. 2002 übermittelt worden seien. Aus diesen habe sich entgegen den ausdrücklichen Zusicherungen ergeben, dass eine Servitut einzuverleiben sei und diverse Auflagen und Bauaufträge zu erfüllen seien. Die Übergabe der vereinbarten detaillierten Dokumentation der Gebäude sei nicht erfolgt. Diese Mängel stellten eine erhebliche Belastung und Wertminderung, insbes der Liegenschaft Nr 43 dar, weshalb Kaufpreisteile zurückzubehalten seien. Sie hätten der klP die Notwendigkeit des Weiterverkaufs der Liegenschaft Nr 41 zwecks Deckung des Kaufpreises offengelegt. Eine Weiterveräußerung sei wegen der unerfüllten Bauaufträge und Auflagen sowie der verschwiegenen Servitut nicht möglich gewesen. Das ErstG sprach der klP gegenüber jeder der Bekl E 143.528,– zu. Das BerG gab der Ber der Bekl nicht Folge. Hingegen gab es der Ber der klP teilweise dahin Folge, dass es die Klagsforderung gegen die beiden Bekl mit jeweils E 197.500,– als zu Recht bestehend erkannte. Durch die Verpflichtung zur Einverleibung der Servitut im Fall der getrennten Veräußerung der Liegenschaften bzw der Überbindung dieser Verpflichtungen im Falle der gemeinsamen Weiterveräußerung liege schon für die Dauer der Eigentümeridentität ein Rechtsmangel vor, der im Weg der Preisminderung zu berücksichtigen sei. Die Höhe der Wertminderung sei nach der relativen Berechnungsmethode zu ermitteln. Die Wertminderung von 7,5% laut SV-GA sei nach dem Prinzip der Erhaltung der subjektiven Äquivalenz nicht vom Verkehrswert der Liegenschaft Nr 43, sondern vom Kaufpreis iHv 1,4 Mio Euro zu berechnen, was nach § 273 Abs 1 ZPO eine Wertminderung von E 105.000,– ergebe. Es erscheine aber unbillig, der den Bekl im Zusammenhang mit der Servitut bei der Liegenschaft Nr 43 entstehenden Wertminderung nicht die ebenfalls ÖJZ [2011] 09

mit der Servitut einhergehende Wertsteigerung der Liegenschaft Nr 41 iHv E 50.000,– gegenüberzustellen. Der gewollte Zusammenhang des Erwerbs der beiden Liegenschaften sei zu eng, um diesen außer Acht lassen zu können. Der OGH nahm die aoRev der Bekl an Der OGH stellt in dieser E und gab dieser teilweise statt, indem er die ausdrücklich klar, dass bei Klagsforderung jeweils mit E 172.500,– als Berechnung der Preisminzu Recht bestehend erkannte.

Aus den Entscheidungsgründen:

[Gewährleistungsrechtsbehelfe]

derung eine Vorteilsanrechnung nicht stattzufinden hat.

Richtig ist, dass dem Übernehmer gegen den gesamten Entgeltsanspruch (beim Kaufvertrag oder Werkvertrag) bis zur vollständigen Mängelbehebung die Einrede des nicht erfüllten Vertrags zusteht (P. Bydlinski in KBB3 § 932 Rz 14 mwN). Anders als früher verwendet § 932 ABGB in der geltenden Fassung (BGBl I 2001/48) den Begriff der Behebbarkeit nicht mehr (näher s 8 Ob 108/06 z SZ 2006/184). Vielmehr kann nach dessen Abs 2 der Übernehmer zunächst nur die Verbesserung (Nachbesserung oder Nachtrag des Fehlenden) oder den Austausch der Sache verlangen, es sei denn, dass die Verbesserung oder der Austausch unmöglich ist oder für den Übergeber, verglichen mit der anderen Abhilfe, mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden wäre. Auch noch in dritter Instanz beharren die Bekl darauf, dass der Mangel, der darin liege, dass die Liegenschaft Nr 43 mit einer außerbücherlichen Servitut zugunsten der Liegenschaft Nr 41 (Gewährung der Garagenzufahrt) belastet sei, durch eine Beseitigung der rechtlichen Hindernisse verbessert werden könnte.

[Keine Eigentümerservitut] Sowohl die Vorinstanzen als auch die Parteien gehen davon aus, dass entsprechend der Klarstellung im Berufungsurteil eine Eigentümerservitut vorliegt. Demnach bleibt in der Folge die denkbare Variante außer Betracht, dass in Wahrheit die Verhältnisse gerade umgekehrt lägen und in Wahrheit die Liegenschaft Nr 43 herrschendes Grundstück im Hinblick auf eine Dienstbarkeit sei, nämlich die Verpflichtung der jeweiligen Eigentümer des Hauses Nr 41, einerseits einen Durchbruch in der fremden Wand zu öffnen, und andererseits die Benützung der Garagenplätze unter dem Haus durch die Eigentümer der Nachbarliegenschaft zu dulden (s § 475 Abs 1 Z 3 und Abs 2 ABGB). Dann wäre wohl von einem Mangel der Liegenschaft Nr 41 und nicht einem der Liegenschaft Nr 43 auszugehen. Die Sicht des BerG steht auch im Einklang mit der Verpflichtungserklärung der seinerzeitigen Eigentümer aus dem Jahr 2007. Ungeachtet ihres Beharrens auf der Möglichkeit der Verbesserung für die klP unterlassen es die Bekl darzulegen, in welcher Weise dies geschehen sollte. Auszugehen ist zunächst davon, dass dem ABGB die Möglichkeit der Begründung einer Grunddienstbarkeit an zwei im Eigentum derselben Person stehenden Liegenschaften fremd ist (5 Ob 118/07 z SZ 2007/113 unter Ablehnung gegenteiliger Lehrmeinungen; 5 Ob 157/08 m [dort zur Zulässigkeit einer Personaldienstbarkeit zugunsten eines Miteigentümers]). Ü Ü Keine Vorteilsausgleichung bei Gewährleistung

411


ÖJZ

[G E W Ä H R L E I S T U N G S R E C H T ] [Keine Verbesserung] Während bei der Realteilung einer Liegenschaft § 842 ABGB die Einräumung einer Servitut durch Schiedsmann oder Richter ermöglicht, wenn für eine der neu entstandenen Liegenschaften eine solche Dienstbarkeit notwendig ist, kommt es dann zu einer stillschweigenden Servitutseinräumung, wenn eine von zwei ursprünglich demselben Eigentümer gehörenden Liegenschaften übereignet wird, von denen die eine zu diesem Zeitpunkt offenkundig der anderen gedient hat und auch weiter dienen soll (Koch in KBB3 § 480 Rz 1 mwN und unter Hinweis auf jeweils unterschiedliche Begründungswege). Zutreffend sah das BerG einen latenten Mangel darin, dass bei einer Veräußerung einer der beiden ggst Liegenschaften eine derartige Servitut entstehen müsste. Es kann nun dahingestellt bleiben, ob tatsächlich mit dem Abmauern des Durchbruchs durch die Feuermauern zwischen beiden Liegenschaften dieser Mangel wegfiele. Es ergibt sich auch aus dem Vorbringen der Bekl selbst, in deren Hand allein diese Änderung am Baubestand läge, eine solche Maßnahme, zu der sie auf keinen Fall verpflichtet wären, nicht vornehmen zu wollen. Anders als in Fällen fehlender behördlicher Genehmigung ist es aus den dargelegten privatrechtlichen Gegebenheiten rechtlich nicht möglich, den Baubestand wie gegeben beizubehalten und dennoch den Rechtsmangel zu beheben. Damit sind jedenfalls im Ergebnis die Vorinstanzen zu Recht davon ausgegangen, dass eine Verbesserung im vorliegenden Fall nicht möglich ist. Demgemäß hat auch die zweite Instanz den Bekl ein Leistungsverweigerungsrecht (Zurückbehaltungsrecht für Mängel an der Liegenschaft Nr 43) zu Recht aberkannt.

[Preisminderung ohne Vorteilsausgleich] Zu Recht wenden sich die Bekl gegen die Verringerung der Preisminderung der Liegenschaft Nr 43 mit der Begründung, es sei durch die latente Eigentümerservitut

Praxishinweis:

Ü 412

Eine Mangelhaftigkeit iS einer Vertragswidrigkeit besteht in einer qualitativen oder quantitativen Abweichung der Leistung vom vertraglich Geschuldeten. Die Gewährleistung soll Störungen der subjektiven Äquivalenz abhelfen (vgl 1 Ob 113/02 b). Aus diesem Grund hat der Gewährleistungspflichtige den Minderwert seiner Leistung zu vertreten. Der geschuldete Vertragsgegenstand wird durch die gewöhnlich vorausgesetzten oder die ausdrücklich oder stillschweigend zugesicherten Eigenschaften bestimmt. Ob eine Eigenschaft als zugesichert anzusehen ist, hängt nicht davon ab, was der Erklärende wollte, sondern was der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben aus der Erklärung des Vertragspartners erschließen durfte. Seine berechtigte Erwartung ist an der Verkehrsauffassung zu messen. Der Kaufgegenstand muss auch der Natur des Geschäfts oder der geschlossenen Verabredung entsprechend benützt und verwendet werden können (9 Ob 50/10 h). Nach § 932 Abs 1 ABGB idF BGBl I 2001/48 kann der Übernehmer wegen eines Mangels die Verbesserung (Nachbesserung oder Nachtrag des Fehlenden), den

Ü Keine Vorteilsausgleichung bei Gewährleistung

zugleich eine Wertsteigerung der Liegenschaft Nr 41 entstanden. In materiell-rechtlicher Hinsicht würde dies auf eine Erhöhung des Kaufpreises für die Liegenschaft Nr 41 hinauslaufen. Dafür gibt es aber keine Rechtsgrundlage. Die §§ 922 ff ABGB sehen auch in der seit 1. 1. 2002 geltenden Fassung eine Vorteilsausgleichung oder -anrechnung nicht vor. Auch im Schadenersatzrecht kann es zu einer solchen nur bei subjektiv-konkreter Schadensberechnung (RIS-Justiz RS0022818) kommen (Karner in KBB3 § 1295 Rz 16, § 1293 Rz 9 je mwN). Dabei ist die Vermögenslage des Geschädigten infolge der Schädigung mit der Lage ohne das schädigende Ereignis zu vergleichen. Dagegen wird nach § 932 Abs 4 ABGB die Preisminderung nach der relativen Berechnungsmethode ohne Rücksicht auf das Schuldnervermögen an sich, vielmehr nur aus dem Verhältnis von Preis und Wert der Leistung berechnet (P. Bydlinski in KBB3 Rz 21 mwN). Schon deshalb ist im Rahmen der Preisminderung eine Vorteilsausgleichung nicht denkbar (vgl RIS-Justiz RS0018699). Anders könnte es sein, wenn der Mangel gleichzeitig zu einer Wertsteigerung und einer Wertverminderung der Sache selbst führt. Dann fließt auch die gleichzeitige Erhöhung in die Berechnung der Preisminderung ein. Ein durch den Mangel mitverursachter Vermögensvorteil im sonstigen Vermögen des Übernehmers kann aber nicht berücksichtigt werden. Um eine Verbesserung, bei der allein in der Literatur ein Vorteilsausgleich diskutiert wird (Reischauer in Rummel, ABGB3 § 932 Rz 20 k mwN), geht es hier gerade nicht. Da die Bekl zu Recht gegen die vom BerG angenommene Berechnung nichts einwenden, hat es bei einer auf die gesamte Liegenschaft Nr 43 bezogenen Preisminderung von E 105.000,– zu bleiben. Einen Raum für Billigkeitserwägungen, wie sie das BerG anstellte, bieten die §§ 922 ff ABGB nicht. Austausch der Sache, eine angemessene Minderung des Entgelts (Preisminderung) oder die Aufhebung des Vertrags (Wandlung) fordern. Gem § 932 Abs 2 und 4 ABGB kann der Übernehmer zunächst nur die Verbesserung oder den Austausch der Sache verlangen, es sei denn, dass die Verbesserung oder der Austausch unmöglich ist oder für den Übergeber, verglichen mit der anderen Abhilfe, mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden wäre (vgl dazu 8 Ob 36/07 p). Diese Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der sog sekundären Gewährleistungsrechtsbehelfe müssen konkret geprüft werden. Zur Ermittlung der Höhe der Preisminderung bedient sich die stRsp der sog relativen Berechnungsmethode. Damit soll die mit dem Kaufpreis im Verhältnis zum Verkehrswert des Kaufobjekts festlegte subjektive Äquivalenz aufrechterhalten werden. Nach dieser Berechnungsmethode soll sich der geminderte Preis zum vereinbarten Preis wie der Wert der mangelhaften Sache zum Wert der mangelfreien Sache verhalten (RIS-Justiz RS0018764). An der relativen Berechnungsmethode wurde bisher mit dem Argument festgehalten, dass

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[GRUNDBUCHSRECHT]

der Mangel in die Sphäre des Verkäufers falle und dem Käufer die durch einen günstigen Kauf erworbene Wertrelation erhalten bleiben solle. Dementsprechend findet die Preisminderung nicht im gemeinen Wert (Verkehrswert) des mit dem Mangel behafteten Kaufobjekts ihre Untergrenze (RIS-Justiz RS0110929; vgl auch RS0016260). Auf Verkäuferinteressen wurde in der Rsp bisher aber dann Bedacht genommen, wenn sich der Kaufpreis nach der relativen Berechnungsmethode auf Null reduzierte (6 Ob 221/98 p; 7 Ob 212/ 06 m). Ohne Darlegung besonders rücksichtswürdiger Verkäuferinteressen besteht für eine Preisminderung nach der relativen Berechnungsmethode keine Untergrenze mit dem Verkehrswert des mangelhaften Objekts (9 Ob 50/10 h). In der vorliegenden Rechtssache wurde der Eigentümer der Liegenschaft Nr 43 durch die außerbücherliche Servitut gegenüber dem Eigentümer der Liegenschaft Nr 41 zur Duldung der Benützung der zur Liegenschaft Nr 43 gehörigen Garagenzufahrt verpflichtet. Solange Eigentümeridentität an beiden Liegenschaften besteht, ist eine Eintragung der Servitut im Grundbuch nicht möglich. In dieser Situation geht der OGH mit den Vorinstanzen von einem Rechtsmangel aus.

Der OGH geht in seiner E von zwei getrennten Kaufverträgen mit jeweils getrennt zu beurteilenden Kaufgegenständen bzw selbständigen Objekten aus. Für die Beurteilung des Bestehens eines einheitlichen Vertrags ist maßgebend, ob nach dem Willen der Parteien ein einheitliches Vertragsobjekt vorliegt oder nicht. Die Verkäuferin wollte sicherlich nur beide Objekte gemeinsam verkaufen. Angesichts der beiden gesonderten Verträge hätte es aber konkreter Behauptungen und Feststellungen darüber bedurft, dass die Parteien ein einheitliches Vertragsobjekt gewollt hätten. Eine Aufrechnung von Gegenforderungen aus dem jeweils anderen Kaufvertrag spricht nicht gegen eine rechtliche Trennung, zumal Gegenforderungen nicht konnex sein müssen (vgl Rechberger in Rechberger3 §§ 391, 392 ZPO Rz 15). Zur sog Vorteilsanrechnung (Vorteilsausgleichung) ist im Schadenersatzrecht etwa anerkannt, dass Zuwendungen und Leistungen von dritter Seite den Schädiger nicht unbillig entlasten sollen (8 Ob 27/09 t; 8 Ob 15/ 11 f; Reischauer in Rummel3 § 1312 Rz 4 und 9). Dem Gewährleistungsrecht ist eine Vorteilsausgleichung überhaupt fremd.

Ü

EvBl Redaktion

Ü Grunddienstbarkeit und Miteigentum

EvBl 2011/59

§§ 473, 485 ABGB; § 3 GBG

§§ 473, 485 ABGB; § 3 GBG

Ein ideeller Miteigentümer kann für sich allein nicht Berechtigter einer Grunddienstbarkeit und ein

ideeller Miteigentumsanteil als solcher nicht herrschendes Gut sein.

Sachverhalt:

räumte die Rechtsvorgängerin der 11. ASt den jeweili5 Ob 139/10 t (LG Klagenfurt gen Eigentümern der WE 1 im Haus auf dem Gst 145 3 R 26/10 y; das Nutzungsrecht am Kellerlager auf dem Gst 146/1 BG Spittal a d ein. Drau TZ 404/10) Im einzuverleibenden Dienstbarkeitsvertrag vom 17. 12. 2009 beriefen sich die ASt darauf, dass im Punkt 6 des Wohnungseigentums- und Kaufvertrags vom 17. 6. 2005 eine Dienstbarkeit eingeräumt worden sei, die jedoch wegen der Bezeichnung der Dienstbarkeit als „Dienstbarkeit der NutDer OGH stellt mit dieser E klar, dass sich eine Grundzung“ nicht im Grundbuch hätte eingetragen dienstbarkeit nicht auf eiwerden können. Die Urkunde diene der Annen ideellen Miteigenpassung der Rechtseinräumung, um die tumsanteil beziehen kann. grundbücherliche Durchführung zu ermöglichen, wobei die Rechtseinräumung als Dienstbarkeit des Gebrauchs gem §§ 504 ff ABGB, und zwar auf Dauer des Bestands beider Häuser erfolge. Die ASt begehrten 1) die Einverleibung der Dienstbarkeit des Gebrauchs gem Punkt 3.2 lit a) des Dienstbarkeitsvertrags vom 17. 12. 2009 und Punkt 6 des Kauf- und Wohnungseigentumsvertrags vom 17. 6. 2005 an Gst 145 zugunsten Gst 146/1 und 146/2, 2) die Einverleibung der Dienstbarkeit des Gebrauchs an Gst 146/1 zugunsten Gst 145 gem Punkt 3.2 lit b) des Dienstbarkeitsvertrags vom 17. 12. 2009, 3) die Ersichtlichmachung der Dienstbarkeit jeweils beim herrschenden Gut. Die Negativbestätigung der zuständigen Bezirkshauptmannschaft betreffend den Kauf- und Woh-

OGH 2. 12. 2010,

Die ASt sind jeweils Miteigentümer einer Liegenschaft bestehend aus dem Gst 145 (Baufläche). Sie haben ihre Miteigentumsanteile jeweils aufgrund des Wohnungseigentums- und Kaufvertrags vom 17. 6. 2005 samt Vertragsnachtrag vom 5. 12. 2006 erworben. Mit dem Miteigentumsanteil B-LNR 2 der 11.ASt ist Wohnungseigentum an einer bestimmten Wohneinheit nicht verbunden (schlichter, ideeller Miteigentumsanteil). Mit allen anderen Miteigentumsanteilen ist Wohnungseigentum an bestimmten Wohneinheiten verbunden. Nach dem Wohnungseigentums- und Kaufvertrag vom 17. 6. 2005 sollte auch der Miteigentumsanteil B-LNR 2 mit einer Wohnungseigentumseinheit (WE 1) verbunden werden; diese Wohnungseigentumsbegründung scheiterte jedoch. Daraufhin trafen die damaligen Vertragsparteien eine „Nutzungsvereinbarung“, mit der sie der Rechtsvorgängerin der 11.ASt (mit Wirkung auch für die beiderseitigen Rechtsnachfolger) an der Einheit WE 1 das ausschließliche Nutzungsrecht einräumten. Diese Benützungsregelung nach § 828 Abs 2 ABGB ist im Grundbuch eingetragen. An das Gst 145 schließen westlich die Gst 146/1 und 146/2 an, die von der 11.ASt erworben wurden. Der Wohnungseigentums- und Kaufvertrag vom 17. 6. 2005 enthält in seinem Punkt 6 eine Dienstbarkeitseinräumung der Gemeinschaft der Eigentümer des Gst 145 zugunsten der Rechtsvorgängerin der 11. ASt (als Eigentümerin der Gst 146/1 und 146/2) hinsichtlich der Nutzung der Tiefgarage auf dem Gst 145. Gleichzeitig ÖJZ [2011] 09

Ü Grunddienstbarkeit und Miteigentum

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ÖJZ

[G R U N D B U C H S R E C H T ] nungseigentumsvertrag vom 17. 6. 2005 wies bei Einbringung des Grundbuchgesuchs keine Bestätigung der Rechtskraft auf. Für den Vertragsnachtrag vom 5. 12. 2006 und den Dienstbarkeitsvertrag vom 17. 12. 2009 lag bei Einbringung des Grundbuchgesuchs keine Genehmigung bzw Negativbestätigung der Grundverkehrsbehörde vor. Der dem ErstG vorgelegte Dienstbarkeitsvertrag vom 17. 12. 2009 enthielt keine farbige Schraffierung. Das ErstG wies das Grundbuchgesuch ab. Gegen diese E erhoben die ASt Rek, mit dem sie eine Rechtskraftbestätigung für die Negativbestätigung der Grundverkehrsbehörde betreffend den Kauf- und Wohnungseigentumsvertrag vom 17. 6. 2005 sowie eine Negativbestätigung samt Rechtskraftbestätigung für den Dienstbarkeitsvertrag vom 17. 12. 2009 und das eine farbige Schraffierung enthaltende Original des Kauf- und Wohnungseigentumsvertrags vom 17. 6. 2005 vorlegten. Das RekG gab dem Rek der ASt nicht Folge und sprach aus, dass der oRevRek zulässig sei. Der OGH gab dem RevRek der ASt nicht Folge.

auch Hofmann in Rummel3, § 485 ABGB Rz 2) und einem ideellen Miteigentümer steht kein dinglicher (ausschließlicher) Anspruch auf (an) einen (einem) realen Teil eines Grundstücks zu, sodass insoweit auch das Utilitätserfordernis nicht zu greifen vermag. Nach herrschender, vom erk Senat geteilter Ansicht, der hier auch das RekG gefolgt ist, kann daher ein ideeller Miteigentümer keine Grunddienstbarkeit erwerben (5 Ob 65, 82/69 NZ 1970, 45) und ein ideeller Miteigentumsanteil kann als solcher nicht herrschendes Gut sein (Ehrenzweig, System [1957] I/22, 312; Klang in Klang II2, 567; Kiendl-Wendner in Schwimann3 § 485 ABGB Rz 6; Rassi in Kodek, Grundbuchsrecht § 3 GBG Rz 49). IdS wird etwa auch die durch das Verhalten (nur) eines Miteigentümers ersessene Dienstbarkeit zugunsten aller Miteigentümer erworben (vgl 6 Ob 255/00 v SZ 74/57; vgl auch 7 Ob 133/ 98 d). Die Vorinstanzen sind somit zutreffend davon ausgegangen, dass hinsichtlich des Gebrauchsrechts gem Punkt 3.2 lit b) des Dienstbarkeitsvertrags nicht der schlichte Miteigentumsanteil B-LNR 2 allein herrschendes Gut sein kann.

Aus der Begründung:

[Unregelmäßige Dienstbarkeit]

[Obligatorische Benützungsregelung]

Die Einräumung des Gebrauchsrechts gem Punkt 3.2 lit b) des Dienstbarkeitsvertrags vom 17. 12. 2009 erweist sich inhaltlich als unregelmäßige Dienstbarkeit (vgl 5 Ob 2250/96 k NZ 1998/409 [GBSlg], 154 [Hoyer 157]; 5 Ob 130/93 NZ 1993/274 [GBSlg]; Koch in KBB3, § 479 ABGB Rz 1), nämlich als persönliche Dienstbarkeit zugunsten des jeweiligen Eigentümers einer Liegenschaft (hier allerdings genauer: eines ideellen Miteigentumsanteils).

An diesem Befund ändert auch die hier abgeschlossene Benützungsregelung nichts, weil dieser auch im Fall ihrer Anmerkung im Grundbuch (§ 828 Abs 2 ABGB) nur obligatorische Wirkung zukommt und von deren Weiterbestand dingliche Rechte nicht abhängig gemacht werden können (5 Ob 89/08 m immolex 2009/ 22, 58 [zust Cerha]).

[Keine Grunddienstbarkeit zugunsten eines ideellen Miteigentümers] Grunddienstbarkeiten sind aber grundsätzlich unteilbar (6 Ob 320/02 f; 5 Ob 195/02 s; 4 Ob 236/99 f; vgl

Praxishinweis:

Ü 414

Eine Grunddienstbarkeit kann auf Basis einer Vereinbarung ausnahmsweise auch nur zugunsten einer bestimmten Person (also nicht zugunsten des jeweiligen Eigentümers) eingeräumt werden. Das ABGB behandelt in § 479 ABGB nur diesen verbücherungsfähigen Typus einer „unregelmäßigen Servitut“. Es ist allerdings auch zulässig, dass ein zu den persönlichen Dienstbarkeiten zählendes Recht (hier Gebrauchsrecht) zugunsten des jeweiligen Eigentümers eines Grundstücks eingeräumt wird (RIS-Justiz RS0011621). Auch in diesem Fall liegt eine verbücherungsfähige Irregulärservitut vor. Durch das Wohnungseigentumsbegleitgesetz 2002 wurde die Bestimmung des § 828 Abs 2 ABGB einge-

Ü Grunddienstbarkeit und Miteigentum

[Keine Wiederholung des Antrags] Da die Antragstellung auf Basis des hier als Eintragungsgrundlage geltend gemachten Dienstbarkeitsvertrags nicht erfolgreich wiederholt werden kann, war auf allfällige weitere Abweisungsgründe nicht einzugehen (stRsp; vgl RIS-Justiz RS0060544). fügt, wonach eine gerichtliche oder vertragliche Benützungsregelung auch für die Rechtsnachfolger gilt, wenn sie im Grundbuch angemerkt ist. Dies ändert nichts am obligatorischen Charakter einer Benützungsregelung. Selbst bei Bestehen einer im Grundbuch angemerkten Benützungsregelung erfordert die Bestellung eines Fruchtgenusses an realen Teilen einer im schlichten Miteigentum stehenden Liegenschaft daher das Einverständnis aller Miteigentümer. Da Dienstbarkeiten unteilbar sind, belastet die Dienstbarkeit immer den ganzen Grundbuchskörper (RIS-Justiz RS0124190; 5 Ob 89/08 m). EvBl Redaktion

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[SCHULDRECHT] Ü Unwirksame Klagsänderung führt nicht zur Verjährungsunterbrechung § 1497 ABGB; § 163 ZPO Nur eine prozessual zulässige und wirksame Klagsänderung kann zu einer Unterbrechung der Verjährung führen.

Sachverhalt: Mit seiner am 5. 4. 2007 eingebrachten Klage begehrte der Kl – im Zusammenhang mit dem Erwerb von Fondsanteilen – die Verurteilung der beklP zur Zahlung von E 166.571,– samt Zinsen. Der aus dieser Investition erwachsene Schaden sei Gegenstand eines anderen Verfahrens. Der Mitarbeiter der beklP habe aber ohne Wissen und Willen des Kl auf dessen Verrechnungskonto auf Kredit in den Jahren 2000 und 2001 noch weitere Anteile erworben. Der Kl habe davon keine Kenntnis gehabt und die Käufe auch nicht nachträglich genehmigt. Die klageweise Rückabwicklung habe er vergeblich geltend gemacht. In diesem Rückabwicklungsverfahren sei unrichtigerweise von einer Genehmigung durch den Kl ausgegangen worden. Die beklagte Bank habe entgegen der Ankündigung bei Auflage und Vertrieb des Fonds und entgegen der Empfehlung eines externen Beraters ihre Anlagestrategie krass vereinbarungswidrig umgestellt. Sie habe auch dem Grundsatz der Risikostreuung nicht entsprochen. Die beklP wendete ua Streitanhängigkeit im Parallelverfahren und rechtskräftig entschiedene Streitsache im Rückabwicklungsverfahren ein. Überdies wäre der Anspruch an den Vertragspartner des Kl, nämlich die Kapitalanlagegesellschaft, zu richten gewesen. Der geltend gemachte Anspruch sei auch verjährt. Mit B vom 10. 1. 2008 unterbrach das ErstG das Verfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung eines weiteren (gleichgelagerten) Prozesses. Am 3. 7. 2008 stellte der Kl einen Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens wegen rechtskräftiger Erledigung des gleichgelagerten Prozesses durch E des OGH zu 1 Ob 43/08 t. Im selben Schriftsatz erklärte der Kl die Klagseinschränkung auf E 111.285,– samt Zinsen. Die beklP entgegnete, dass im Parallelprozess ewiges Ruhen vereinbart worden sei, weshalb die Streitanhängigkeit weiterhin andauere. Im Parallelprozess sei keine Differenzierung zwischen den ursprünglich angeschafften 29.850 und den später angeschafften 36.150 Anteilen erfolgt. Vielmehr seien die Anteile auf demselben Wertpapierdepotkonto des Kl untrennbar vermischt worden. Mit B vom 4. 7. 2008 beraumte das ErstG für den 22. 10. 2008 eine Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung an und lud dazu die Vertreter der Parteien ohne Bekanntgabe eines Verhandlungsgegenstands. In dieser Tagsatzung schränkte der Kl das Klagebegehren ein wie in seinem Fortsetzungsantrag. In der Tagsatzung vom 24. 12. 2008 sprach sich die beklP gegen eine Klageänderung aus, soweit der Fortsetzungsantrag eine solche darstellen würde. Die Sache sei bereits spruchreif, weil das geänderte Begehren jedenfalls verjährt sei. In der Tagsatzung vom 28. 4. 2009 trugen die Parteien keinen neuen Sachverhalt vor. Das ErstG wies mit einem in sein U aufgenommenen B die im Fortsetzungsantrag vom 3. 7. 2008 vorgeÖJZ [2011] 09

Während der Unterbrechung des Verfahrens sind die von einer Partei vorgenommenen Prozesshandlungen der anderen Partei gegenüber ohne rechtliche Wirkung; solche Parteihandlungen sind als unzulässig zurückzuweisen.

EvBl 2011/60 § 1497 ABGB; § 163 ZPO OGH 11. 11. 2010, 3 Ob 137/10 h (OLG Wien 5 R 30/10 h; HG Wien 41 Cg 99/07 b)

nommene Klageänderung zurück und erklärte die in der mündlichen Streitverhandlung vom 22. 10. 2008 vorgenommene (identische) Klageänderung für zulässig. Weiters wies es mit U das Klagebegehren ab. Das RMGericht gab dem Rek der beklP gegen den in das U aufgenommenen B des Der OGH beschäftigt sich ErstG nicht Folge und sprach aus, dass der in dieser E mit der VerjähRevRek jedenfalls unzulässig sei. Hingegen rungsproblematik bei gab es der Ber des Kl Folge und hob das anUnterbrechung des Vergefochtene U auf. Zudem sprach es aus, dass fahrens. der Rek an den OGH zulässig sei. Der OGH gab dem Rek der beklP gegen den Aufhebungsbeschluss Folge, sprach aus, dass die Einreden der Streitanhängigkeit und der Rechtskraft verworfen werden und stellte in der Hauptsache das abweisende U des ErstG wieder her.

Aus den Entscheidungsgründen:

[Unterbrechung der Verjährung durch Klageänderung] Klar ist, dass der Kl auch nach der (rechtskräftig) zugelassenen Klageänderung einen Schadenersatzanspruch geltend macht, der nach § 1489 ABGB in drei Jahren ab Kenntnis von Schaden und Schädiger verjährt. Die Verjährung wird nach § 1497 ABGB unterbrochen, wenn derjenige, der sich auf Verjährung berufen will, von dem Berechtigten belangt und die Klage gehörig fortgesetzt wird. Aus § 1497 Satz 2 ABGB ist abzuleiten, dass erst die rechtskräftige Klagsstattgebung den Unterbrechungsgrund bildet, dann aber auf den Klagszeitpunkt zurückwirkt. Sieht man von Auslandsklagen ab (vgl dazu 10 Ob 113/07 a), bewirkt eine später zurückgewiesene Klage beim unzuständigen Gericht nicht die Unterbrechung der Verjährungsfrist (RIS-Justiz RS0034690). Auch aus der Rsp zur Verjährung durch eine nicht formgerechte Klage und nachfolgende Verbesserung (RIS-Justiz RS0034836) ergibt sich, dass – auch unter dem Aspekt der gehörigen Fortsetzung – nur eine formgerechte Klage (falls sie zu einer stattgebenden E führt) die Verjährung unterbrechen kann. Mit der E des verst Senats zu 7 Ob 707, 708/88 SZ 62/ 69, wonach bei Klagsausdehnung mittels Schriftsatzes nach Streitanhängigkeit dessen Einlangen bei Gericht die Verjährung unterbricht und in welcher der OGH den materiell-rechtlichen Charakter der Unterbrechung der Verjährung hervorhebt, wird klargestellt, dass die Unterbrechungswirkung von den Voraussetzungen des § 235 Abs 2 und 3 ZPO abhängig ist (also von der Einwilligung des Gegners oder der dessen ungeachtet erteilten Zulassung durch das Gericht). Auch dabei handelt es sich um Voraussetzungen des Prozessrechts. Dasselbe gilt für die ebenfalls vom verst Senat in der zitierten E verlangte Voraussetzung des späteren Vortrags des Schriftsatzes in der mündlichen Streitverhandlung (RIS-Justiz RS0034759). Ü Ü Unwirksame Klagsänderung führt nicht zur Verjährungsunterbrechung

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ÖJZ

[S C H U L D R E C H T ] Aus all dem ist abzuleiten, dass nur prozessual zulässige und wirksame Klageänderungen zu einer Unterbrechung der Verjährungsfrist führen können.

[Keine Prozesshandlungen während einer Unterbrechung] Damit ist aber entgegen der Ansicht des BerG auch § 163 Abs 2 ZPO zu beachten. Für seine Ansicht kann sich das BerG nicht mit Recht auf die Ausführungen von Fink (in Fasching/Konecny, ZPO2 § 163 Rz 4 f) berufen. Dort ist in Wahrheit nur von der Unterbrechung prozessualer Fristen nach § 163 Abs 1 ZPO einerseits und von der unverzüglichen Fortsetzung des Verfahrens nach Fortfall des Unterbrechungsgrundes die Rede. Zu Recht verwies dagegen das ErstG auf § 163 Abs 2 ZPO, wonach die während der Unterbrechung von einer Partei in Ansehung der anhängigen Streitsache vorgenommenen Prozesshandlungen der anderen Partei gegenüber ohne rechtliche Wirkung sind. Auch nach Fink (aaO Rz 29 mwN) sind Parteihandlungen während der Unterbrechung vom Gericht als unzulässig zurückzuweisen. Nur Parteihandlungen, die lediglich auf Feststellung, Aufrechterhaltung oder Beendigung der Unterbrechung abzielen, wären auch während des Stillstands zulässig (Fink, aaO Rz 35 mwN). Egal in welcher gerichtlichen Handlung man einen allfälligen konkludenten Fortsetzungsbeschluss des ErstG sehen will, kann dieser nicht vor der Ausschreibung der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 4. 7. 2008 erfolgt sein. Damit langte aber der Schriftsatz mit der Klageänderung noch während der

Praxishinweis:

Ü 416

Bei Beurteilung der gehörigen Fortsetzung des Verfahrens iSd § 1497 ABGB kommt es grundsätzlich nicht auf die Dauer der Untätigkeit, sondern auf den Umstand an, ob diese gerechtfertigt war (RIS-Justiz RS0034710; RS0034704). Dies hängt wieder von der Frage ab, ob für die Partei eine prozessuale Handlungspflicht bestand (vgl RIS-Justiz RS0034722; RS0034746). Maßgeblich ist, ob der Kl mit seiner (ungewöhnlichen) Untätigkeit zum Ausdruck bringt, dass ihm an der Erreichung des Prozessziels nicht mehr gelegen ist (RIS-Justiz RS0034849; RS0034765; vgl auch RIS-Justiz RS0034672; RS0034681). Wird etwa ein rechtswidriger Unterbrechungsbeschluss des ErstG vom RekG behoben, so wird die Unterbrechungswirkung ex tunc beseitigt, weshalb das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt werden muss. Ein Zuwarten des Kl mit einer Antragstellung kann in dieser Situation grundsätzlich nicht als ungebührliche Untätigkeit gewertet werden. Maßgeblich ist, ob nach objektivem Verständnis und bei redlicher Betrachtung dem Kl die Aufgabe seiner Schadenersatzansprüche unterstellt werden kann (8 Ob 58/10 b). Nach den §§ 165, 166 ZPO hat die Wiederaufnahme bzw Fortsetzung des Verfahrens mit ausdrücklichem B zu erfolgen. Nach der Rsp kann aber in den Fällen der Verfahrensunterbrechung gem §§ 187 ff ZPO im Hinblick auf die Rechtsmittelbeschränkung des § 192 Abs 2 ZPO ein – wenn auch nicht ausdrücklich die Auf-

Ü Unwirksame Klagsänderung führt nicht zur Verjährungsunterbrechung

Unterbrechung des Verfahrens beim Erstgericht ein. Soweit mit dem Schriftsatz die Fortsetzung des Verfahrens beantragt wurde, war er zweifellos zulässig, in seinem klageändernden Teil dagegen unzulässig. Daraus folgt aber, dass ein derart unzulässiger und daher mit Recht vom ErstG zurückgewiesener Schriftsatzteil nicht einer Klage iSd § 1497 ABGB gleichgehalten werden kann. Da auch kein weiterer Schriftsatz des Klägers eingebracht wurde, ehe in der mündlichen Streitverhandlung vom 22. 10. 2008 eine wirksame Klageänderung durchgeführt wurde, kommt richtigerweise auch für eine Unterbrechung der Verjährungsfrist kein früherer Termin in Betracht. Entgegen der Ansicht der zweiten Instanz kann daher dem Schriftsatz mit der Klageänderung eine Unterbrechungswirkung nach ABGB nicht zugebilligt werden. Eine wirksame Unterbrechung der Verjährungsfrist für das zuletzt allein anhängige Begehren auf Schadenersatz wegen fehlerhafter Beratung konnte damit erst am 22. 10. 2008 erfolgt sein.

[Beginn der Verjährungsfrist] Nach den eigenen Behauptungen des Kl wusste er aber seit Zustellung eines Ergänzungsgutachtens in einem Vorverfahren, nach der Feststellung des ErstG am 6. 10. 2005, auch persönlich vom Inhalt dieses Gutachtens und damit von der angeblich unrichtigen Beratung durch die beklagte Bank. Damit waren ihm aber neben der Person des Schädigers die Umstände bekannt, auf die er seinen Verschuldensvorwurf stützt. Demnach ist aber der Einwand der Verjährung berechtigt. nahme des unterbrochenen Verfahrens anordnender – die Verfahrensfortsetzung betreffender B als Aufnahmebeschluss iSd § 165 Abs 2 ZPO gewertet werden, wenn der Entscheidungswille des Gerichts, das unterbrochene Verfahren aufzunehmen, deutlich erkennbar ist (RIS-Justiz RS0036654). Im Allgemeinen wird sich der Fortsetzungswille schon aus der Anberaumung einer Tagsatzung, jedenfalls aber aus der Verhandlung über die Sache ergeben. Das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit ist nach § 230 Abs 3 ZPO in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigen. Nichtigkeiten sind im Rechtsmittelverfahren durch das RMGericht zu klären; der Berufungssenat hat nach § 473 Abs 2 ZPO die erforderlichen Erhebungen selbst durchzuführen oder durch einen beauftragten Richter oder das Prozessgericht erster Instanz durchführen zu lassen (vgl RIS-Justiz RS0041831). Ungeachtet der Verpflichtung zur amtswegigen Ermittlung der Prozessvoraussetzungen und der für ihre Feststellung erforderlichen Tatsachen trifft jene Partei, die eine für sie günstige Sachentscheidung anstrebt, die objektive Beweislast für das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen (9 ObA 95/02 i; 8 ObA 47/ 04 a). Dementsprechend geht die Nichtfeststellbarkeit der ein Prozesshindernis begründenden Tatsachen zu Lasten der beklP. Bei mangelnder Feststellbarkeit des Umstands, dass im Parallelverfahren derselbe Anspruch geltend gemacht wird, ist Streitanhängigkeit daher zu verneinen.

ÖJZ [2011] 09


[SOZIALVERSICHERUNGSRECHT]

Wird vom BerG das (eingewendete) Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Streitsache – wenn auch nur in den Entscheidungsgründen (implizit) – verneint, so hat es der Sache nach eine Ber wegen Nichtigkeit verworfen und insoweit den (ausdrückli-

chen oder impliziten) B des ErstG betätigt. Ein solcher B ist nicht mehr anfechtbar (RIS-Justiz RS0043405; RS0042917). EvBl Redaktion

Ü Erneuter Wochengeldanspruch im gesetzlichen Karenzurlaub § 122 Abs 3 ASVG (§ 15 MSchG) § 122 Abs 3 Satz 2 ASVG schließt den erweiterten Wochengeldanspruch aus, wenn das Dienstverhältnis auf eine der dort genannten „schädlichen“ Beendigungsarten aufgelöst oder die Beschäftigung „aus einem dieser Gründe“ nicht wieder aufgenommen wird. Dieser Ausschluss liegt nicht vor, wenn

Sachverhalt: Die Kl war ab 1. 7. 2004 als Angestellte beschäftigt. Für ihre am 8. 3. 2008 geborene Tochter V erhielt sie in der Zeit vom 22. 1. 2008 bis 13. 5. 2008 Wochengeld. Vom 14. 5. 2008 bis 7. 6. 2009 bezog sie von der Bekl Kinderbetreuungsgeld. Mit ihrem Arbeitgeber vereinbarte die Kl einen Karenzurlaub vom 14. 5. 2008 bis 7. 3. 2010. Unter der (seinerzeitigen) Annahme, dass die Kl am 7. 2. 2010 neuerlich entbindet, trat der neuerliche Versicherungsfall der Mutterschaft am 13. 12. 2009 ein. Mit Bescheid vom 24. 11. 2009 lehnte die Bekl den Antrag der Kl vom 11. 11. 2009 auf Zahlung von Wochengeld aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft vom 13. 12. 2009 für den in § 162 Abs 1 ASVG genannten Zeitraum mit der Begründung ab, dass die einvernehmliche Vereinbarung eines Karenzurlaubs und die gewollte Nichtwiederaufnahme der Beschäftigung die Kl vom Schutzzweck des § 122 Abs 3 Satz 2 ASVG ausschließe. Die Kl hätte, um einen Anspruch auf Wochengeld aus der Schutzfrist nach § 122 Abs 3 ASVG zu haben, ihre Vollbeschäftigung im Anschluss an den Kinderbetreuungsgeldbezug wieder aufnehmen müssen. Das ErstG erkannte die Bekl schuldig, der Kl „das Wochengeld aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft vom 13. 12. 2009 für den in § 162 Abs 1 ASVG genannten Zeitraum im gesetzlichen Ausmaß“ zu gewähren. Das BerG gab der Ber der Bekl Folge und änderte das ErstU iS einer Abweisung des Klagebegehrens ab. Der OGH gab der Rev der Kl Folge, hob die U der Vorinstanzen auf und verwies die Sozialrechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen E an das ErstG zurück.

Aus der Begründung:

[Erweitertes Wochengeld gem § 122 Abs 3 ASVG – familienpolitische Ziele] 1. Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, dass ausgehend von dem oa Geburtstermin der neuerliche Versicherungsfall der Mutterschaft der Kl innerhalb des Beginns der 32. Woche nach dem Ende der Pflichtversicherung liegen würde, sodass die Leistungen aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft auch zu gewähren sind, wenn der Versicherungsfall nach dem Ende der Pflichtversicherung eintritt (§ 122 Abs 3 Satz 1 ASVG). Diese ÖJZ [2011] 09

Ü EvBl 2011/61

die Arbeitnehmerin ihren gesetzlichen Karenzurlaubsanspruch nach § 15 MSchG in Anspruch genommen und aus diesem Grund nach Beendigung des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld bis zum Ende des Karenzurlaubszeitraums gem § 15 MSchG die vorherige Beschäftigung (noch) nicht wieder aufgenommen hat.

§ 122 Abs 3 ASVG (§ 15 MSchG) OGH 30. 11. 2010, 10 ObS 136/10 p (OLG Linz 11 Rs 80/10 d; LG Linz 10 Cgs 360/09 b)

Erweiterung des Wochengeldanspruchs gem § 122 Abs 3 ASVG auf Mütter, die (ungefähr) zu Beginn der Schwangerschaft krankenversichert waren, dient vor allem familienpolitischen Zielsetzungen. Es soll dadurch der Anspruch auf Leistungen aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft auch bei Ausscheiden der AN aus dem Arbeitsverhältnis während der Schwangerschaft (befristetes Arbeitsverhältnis, Probearbeitsverhältnis usw) aufrechterhalten werden, sofern die Schwangerschaft während des Bestands Der OGH spricht in dieser E der Pflichtversicherung eingetreten ist, und erstmals aus, dass einer Mutter, solange sie nur den zwar unabhängig davon, wann die Pflichtvom Gesetz eingeräumten versicherung endet (10 ObS 133/06 s SSVKarenzurlaub in Anspruch NF 20/69).

[Ausschlusstatbestand des § 122 Abs 3 Satz 2 ASVG – „schädliche Beendigungsarten“]

nimmt, auch ein neuerlicher Wochengeldanspruch für ihr zweites Kind zusteht.

Gem dem Satz 2 der zit Bestimmung besteht ein Leistungsanspruch jedoch nicht, wenn die Pflichtversicherung aufgrund einer einvernehmlichen Lösung des Dienstverhältnisses, einer Kündigung durch die DN, eines unberechtigten vorzeitigen Austritts oder einer verschuldeten Entlassung der DN geendet hat oder wenn die DN aus einem dieser Gründe unmittelbar im Anschluss an einen Zeitraum des Bezugs des Karenzgelds nach dem KGG ihre vorherige Beschäftigung nicht wieder aufgenommen hat. Der Gesetzgeber wollte somit den erweiterten Wochengeldanspruch ausschließen, wenn das Dienstverhältnis auf eine der genannten „schädlichen“ Beendigungsarten aufgelöst wird oder die Beschäftigung „aus einem dieser Gründe“ nicht wieder aufgenommen wird (vgl 10 ObS 133/06 s SSV-NF 20/69). [. . .]

[Keine „schädliche“ Beendigungsart] 3.3 Zutr macht nämlich die Kl geltend, dass die Vereinbarung eines Karenzurlaubs nach § 15 MSchG – ebenso wie ein Mutterschaftsaustritt – keine „schädliche“ Auflösungsart iSd § 122 Abs 3 Satz 2 Fall 1 ASVG bzw keine vergleichbare Konstellation iSd § 122 Abs 3 Satz 2 Fall 2 ASVG darstellt. 3.4 Gem § 15 Abs 1 MSchG ist der AN auf ihr Verlangen im Anschluss an die Frist des § 5 Abs 1 und 2 Ü Erneuter Wochengeldanspruch im gesetzlichen Karenzurlaub

417


ÖJZ

[S O Z I A L V E R S I C H E R U N G S R E C H T ] MSchG (Beschäftigungsverbot) eine Karenz gegen Entfall des Arbeitsentgelts längstens bis zum Ablauf des zweiten Lebensjahrs des Kindes zu gewähren. Bei der Karenz handelt es sich um einen einseitigen Anspruch der AN, den diese durch Ausübung eines Gestaltungsrechts geltend machen kann. Es steht daher allein im Ermessen der AN, ob und in welchem Ausmaß sie – innerhalb der ges Höchstdauer – von ihrem Recht auf Karenz Gebrauch macht. Gem § 15 Abs 3 MSchG hat die AN Beginn und Dauer der Karenz dem AG bis zum Ende der Schutzfrist nach der Geburt des Kindes bekannt zu geben. Die Karenz kann längstens bis zum Ablauf des zweiten Lebensjahrs des Kindes in Anspruch genommen werden. Die AN hat daher spätestens am Tag des zweiten Geburtstags des Kindes ihre Arbeit wieder anzutreten. Sie kann eine Karenz – außer aus bes wichtigen, die Aufrechterhaltung der Vereinbarung unzumutbar erscheinen lassenden Gründen – nicht einseitig beenden (8 ObA 162/02 k). Durch eine neuerliche Schwangerschaft wird eine bestehende Karenz nicht unterbrochen. Auswirkungen auf die Karenz hat erst der Eintritt eines absoluten Beschäftigungsverbots, da für diese Zeiträume Karenz nicht in Anspruch genommen werden kann (Wolfsgruber in ZellKomm § 15 MSchG Rz 20 mwN).

[Auch § 122 Abs 3 Satz 2 Fall 2 ASVG liegt nicht vor] 4.1 Im vorliegenden Fall hat die Kl nach dem vom ErstG unstrittig festgestellten Sachverhalt mit ihrem AG aus Anlass der Geburt ihrer Tochter V am 8. 3. 2008 einen Karenzurlaub für die Zeit vom 14. 5. 2008 bis 7. 3. 2010 vereinbart. Die Ausführungen des BerG, die Kl habe ihr Arbeitsverhältnis bereits im Vorhinein zunächst auf einen Zeitraum von zwei Jahren und danach verlängert um ca 14 Tage karenziert, sind somit aktenwidrig. Die Kl im ggst Verf hat lediglich den ihr vom Gesetz (§ 15 MSchG) eingeräumten zweijährigen Karenzurlaub in Anspruch genommen. Für die Karenzierung der Kl ist daher ein ges anerkannter Grund vorgelegen. 4.2 Wie bereits zu Punkt 2.2 dargelegt wurde, stammt die auch heute noch geltende maßgebende Formulierung des § 122 Abs 3 Satz 2 Fall 2 ASVG aus einer Zeit (lange vor der Einführung des Kinderbetreuungsgelds und dessen unterschiedlich langen Bezugsvarianten), in der die Dauer des Anspruchs der AN auf Karenzurlaub sowie auf Karenzgeld idR noch übereinstimmten. Nach der damals und – nach Ansicht des erk Senats – auch heute noch bestehenden Absicht des Gesetzgebers darf daher die AN – um ihren Wochengeldanspruch für eine nachfolgende Geburt zu erhalten – das Arbeitsverhältnis nicht aus einem der „schädlichen“ Gründe beenden und muss ihre vorherige Beschäftigung unmittelbar nach Ablauf der Karenz nach § 15 MSchG wieder aufnehmen. Da die Karenz nach § 15 MSchG längstens bis zum Ablauf des zweiten Lebensjahrs des Kindes dauern kann, ist in diesem Fall bei kurzem Kinderbetreuungsgeldbezug keine sofortige Wiederaufnahme des Arbeitsverhältnisses notwendig. Eine Karenz im Rahmen des § 15 MSchG stellt aber nach Ansicht des erk Senats jedenfalls einen rechtlich anerkannten Grund für das Aussetzen der Hauptleis418

Ü Erneuter Wochengeldanspruch im gesetzlichen Karenzurlaub

tungsverpflichtungen innerhalb eines Arbeitsverhältnisses dar, weshalb eine iSd § 15 MSchG karenzierte AN ihren Anspruch auf Wochengeld nicht verlieren soll. Dem würde auch die familienpolitische Zielsetzung des § 122 ASVG entgegenstehen. IdS sah auch der MEntw zur 72. ASVG Nov (153/ME 24. GP) eine entsprechende ausdrückliche Klarstellung der Rechtslage in § 122 Abs 3 Satz 2 ASVG vor, die jedoch in die entsprechende RV und in das G keinen Eingang gefunden hat. 4.3 Es liegt daher zusammenfassend kein Fall des § 122 Abs 3 Satz 2 Fall 2 ASVG vor, wenn – wie im ggst Fall – die AN ihren ges Karenzurlaubsanspruch nach § 15 MSchG in Anspruch genommen hat und aus diesem Grund nach Beendigung des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld bis zum Ende des Karenzurlaubszeitraums gem § 15 MSchG die vorherige Beschäftigung (noch) nicht wieder aufgenommen hat.

[Kein Abgehen von 10 ObS 125/08 t] 5. Soweit sich das BerG zur Begründung seiner ggt Ansicht auf die E 10 ObS 125/08 t (SSV-NF 22/85 = EF-Z 2009/86, 111 [R. Leitner] = ZAS 2010/30, 182 [Knallnig] = DRdA 2010/40, 409 [abl J. Naderhirn]) stützt, ist darauf hinzuweisen, dass dieser E ein anderer Sachverhalt zugrunde lag. Während es im ggst Verf um die Inanspruchnahme des zweijährigen ges Karenzurlaubsanspruchs nach § 15 MSchG durch die Kl geht, lag der E 10 ObS 125/08 t eine einvernehmliche Karenzierung außerhalb dieses ges Karenzurlaubsanspruchs der AN zu Grunde. Während aus Anlass der Geburt eines Kindes ein ges Anspruch auf Karenz längstens bis zum Ablauf des zweiten Lebensjahrs des Kindes besteht, ist jede andere Karenzierung des Arbeitsverhältnisses mit dem AG zu vereinbaren. Möchte daher die AN über den zweiten Geburtstag des Kindes hinaus von der Arbeitsleistung freigestellt werden, so hat sie eine weitere Karenzierung mit dem AG zu vereinbaren. Ein einseitig durchsetzbarer Anspruch auf eine weitergehende Dienstfreistellung besteht nicht (Wolfsgruber in ZellKomm § 15 MSchG Rz 11). Der erk Senat ist daher in der E 10 ObS 125/08 t zu dem Ergebnis gelangt, dass bei einer einvernehmlichen (freiwilligen) Karenzierung des Arbeitsverhältnisses nach Ende der Pflichtversicherung bis zum Beginn der Schutzfrist aufgrund einer neuerlichen Schwangerschaft kein Anspruch auf Wochengeld besteht (vgl dazu auch Gerhartl, Die Schutzfristproblematik in der Sozialversicherung, ASoK 2010, 335 [340]). Nur der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass der MEntw zur 72. ASVG Nov (153/ME 24. GP) auch eine Klarstellung iS dieser Rsp des OGH in der E 10 ObS 125/08 t enthielt, wonach Wochengeld auch dann nicht gebührt, wenn eine AN ihre vorherige Beschäftigung unmittelbar nach Ende des Karenzurlaubs nach § 15 Abs 1 MSchG deshalb nicht wieder aufnimmt, weil sie mit dem AG eine darüber hinausgehende Karenzierung vereinbart hat.

[Aufhebung mangels ausreichender Feststellungen zur Wochengeldhöhe – unrichtig formuliertes, feststellendes GrundU]

6. Aufgrund der dargelegten Erwägungen steht der Kl im ggst Verf ein Wochengeldanspruch aus dem am 13. 12. 2009 bei ihr neuerlich eingetretenen VersicheÖJZ [2011] 09


[STRAFPROZESSRECHT] rungsfall der Mutterschaft zu. Die Tatsacheninstanzen haben keine Feststellungen getroffen, aus denen sich die Höhe des der Kl gebührenden täglichen Wochengelds errechnen ließe. Das ErstG hat mit seinem U den Rechtsstreit dadurch erledigt, dass es die Bekl schuldig erkannte, der Kl, „das Wochengeld aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft vom 13. 12. 2009 für den in § 162 Abs 1 ASVG genannten Zeitraum im ges Ausmaß zu bezahlen“. Dieser Urteilsspruch ist mangels Verurteilung zu einer Leistung in einer bestimmten Höhe kein exekutionsfähiges LeistungsU, sondern ein unrichtig formuliertes, das Klagebegehren nur dem Grunde nach zu Recht bestehend erkennendes, daher lediglich feststellendes GrundU iSd § 89

Abs 2 ASGG (10 ObS 65/02 k SSV-NF 16/69 mwN). Das ErstG wird daher im fortzusetzenden Verf mit den Parteien die Höhe des Wochengeldanspruchs der Kl zu erörtern haben. Ist die Höhe der Leistung unbestritten, ist ein GrundU iSd § 89 Abs 2 ASGG nicht zulässig, sondern es kann und muss sogleich ein EndU erlassen werden, das auch die Leistungshöhe festsetzt (Neumayr in ZellKomm § 89 ASGG Rz 4 mwN). Ist hingegen die Höhe der Leistung strittig, kann gem § 89 Abs 2 ASGG die Leistung dem Grunde nach zugesprochen werden, wobei dem Versicherungsträger gleichzeitig die Erbringung einer vorläufigen Zahlung für den Anspruchszeitraum aufzutragen ist (vgl 10 ObS 2248/96 b SSV-NF 10/86).

Praxishinweis:

An dieser – im hier nicht wiedergegebenen Teil der E (P 2.1 bis 3.2) ausführlich begründeten – Klarstellung der VorE 10 ObS 125/08 t (RIS-Justiz RS0124418) hat

der OGH auch in der jüngsten E 1. 3. 2011, 10 ObS 178/10 i festgehalten. EvBl Redaktion

Ü „Stammdatenabfrage“ bezüglich dynamischer IP-Adressen weiterhin zulässig § 134 Z 2 StPO (§ 110 Abs 1 StPO; §§ 92 f, 103 Abs 4 TKG 2003; Art 10 a StGG; Art 8 MRK) Die Erhebung von Name und Adresse eines Internetbenutzers, dem eine bestimmte – sei es statische, sei es dynamische – Internetadresse zuge-

Sachverhalt: Gegen Manuel L wird zu 4 St 199/09 d der StA St ein Ermittlungsverfahren wegen gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 148 erster Fall StGB geführt, weil er nach dem Anlassbericht der Polizeiinspektion K vom 20. 9. 2009 im Verdacht steht, unter Angabe falscher Kontonummern von 4. 5. 2009 bis 1. 6. 2009 in mindestens 37 Fällen über die Website der ÖBB „Online Tickets“ im Wert von insgesamt E 529,– bezogen zu haben. Die ÖBB gaben die dabei an vier verschiedenen Tagen vom Verdächtigen benutzten IP-Adressen – später ergänzt durch Uhrzeit und Zeitzone – bekannt. Aufgrunddessen ordnete die StA am 13. 10. 2009 gem § 110 Abs 1 Z 1 StPO die Sicherstellung der „Auswertungsunterlagen hinsichtlich der Stammdaten (Name, Anschrift, . . .) betreffend nachstehende IP-Adressen im Zeitraum 4. 5. 2009 bis einschließlich 1. 6. 2009, nämlich . . .“ an. Mit B 20. 11. 2009, 12 HR 306/09 f11), gab das LG St dem dagegen gerichteten Einspruch der T AG wegen Rechtsverletzung gem §§ 106, 107 StPO nicht Folge. Es stützte sich dabei – soweit im ggst Zusammenhang von Bedeutung – auf 11 Os 57/05 z, der zufolge die Bekanntgabe des Namens und der Adresse eines Anschlussinhabers, dessen dynamische IP-Adresse zu einem bestimmten Zeitpunkt bekannt ist, unbeschadet des Umstands, dass für die Auskunft Verkehrsdaten verarbeitet werden müssen, gem § 103 Abs 4 TKG 2003 formlos zu erfolgen habe oder durch formelle Vernehmung einer physischen, beim Access-Provider tätigen Person als Zeuge zu ermitteln sei. An dieser Rechtslage habe auch die in einer Zivilrechtssache zu § 87 b Abs 3 UrhG ergangene E 4 Ob 41/09 x nichts geändert. ÖJZ [2011] 09

Ü EvBl 2011/62

wiesen ist oder war, ist nicht als Auskunft über Daten einer Nachrichtenübermittlung iSd § 135 Abs 2 StPO zu beurteilen. Sie unterliegt nicht dem Fernmeldegeheimnis des Art 10 a StGG, womit sie einer gerichtlichen Bewilligung nicht bedarf.

§ 134 Z 2 StPO (§ 110 Abs 1 StPO; §§ 92 f, 103 Abs 4 TKG 2003; Art 10 a StGG; Art 8 MRK)

In diesem Punkt gab das OLG Linz der dagegen von der T AG erhobenen Beschwerde mit B 7. 1. 2010, 7 Bs 407/09 s, nicht Folge. Der OGH hat die von der GenProk erhobene NBzWdG, welche aufgrund ihrer Länge nicht abgedruckt werden kann, verworfen:

OGH 13. 4. 2011, 15 Os 172/10 y (OLG Linz 7 Bs 407/09 s; LG Steyr 12 HR 306/09 f)

Aus den Gründen: Vorausgeschickt wird, dass sich die Beurteilung, ob durch eine E eines StrafG das Gesetz verletzt worden ist (§ 292 fünfter Satz StPO), an der zum Zeitpunkt ihrer Findung geltenden österr GesetUnmittelbar vor der gezeslage zu orientieren hat (vgl Ratz, WKsetzlichen Umsetzung der StPO § 292 Rz 5). Soweit die Wahrungsbeeuroparechtlichen Verschwerde mit zukünftigen innerstaatlichen pflichtung zur Vorratsdatenspeicherung bekennt Gesetzesvorhaben wie auch mit deutscher sich der Senat 15 ausRsp zu deutschem Recht argumentiert, bedrücklich zu einer aus 2005 darf sie daher keiner Erwiderung. Vorliegend stammenden GrundsatzE handelt es sich bei den von der StA begehrten des Senats 11 über die Daten, nämlich Namen und Adressen beRechtsnatur einer Auskunft stimmter Internet-User, um Stammdaten über dynamische IPiSd § 92 Abs 3 Z 3 lit a und c TKG 2003, soAdressen unter dem mit nicht um die an anderer Stelle dieses GeAspekt strafprozessualer setzes beschriebenen Verkehrsdaten (§ 92 Grundrechtseingriffe. Abs 3 Z 4 TKG), Zugangsdaten (Z 4 a leg cit) oder Standortdaten (Z 6 leg cit). Nur eine Auskunft über Verkehrs-, Zugangs- und Standortdaten ist nach der Definition des § 134 Z 2 StPO eine „Auskunft über Daten einer Nachrichtenübermittlung“. Eine solche ist lediglich unter den in § 135 Abs 2 StPO genannten Voraussetzungen zulässig, bedarf somit zum einen einer gerichtlichen Bewilligung (§ 137 Abs 1 StPO) und ist zum anderen nicht zur Aufklärung von Ü „Stammdatenabfrage“ bezüglich dynamischer IP-Adressen weiterhin zulässig

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ÖJZ

[S T R A F P R O Z E S S R E C H T ] mit nicht mehr als einem Jahr (bzw bei Zustimmung des Inhabers der technischen Einrichtung, die Ursprung oder Ziel der Nachrichtenübertragung war oder sein wird, von mit nicht mehr als sechs Monaten) Freiheitsstrafe bedrohten Straftaten zugelassen (§ 135 Abs 2 Z 2 und 3 StPO). Eine Auskunft über Stammdaten hingegen, also wie vorliegend des Namens und der Anschrift eines Internet-Users aus Beweisgründen zur Aufklärung von Straftaten, ist nicht diesen ges Bedingungen unterstellt, sondern ist durch eine von der StA anzuordnende und der Kriminalpolizei durchzuführende Sicherstellung nach § 110 Abs 1 und 4 StPO zu erlangen, bedarf somit keiner gerichtlichen Bewilligung (und ist auch nicht auf Straftaten mit einer bestimmten Strafdrohung beschränkt, somit beispielsweise auch in den Fällen des Besitzes pornographischer Darstellungen Mj nach § 207 a Abs 3 Fall 1 StGB zulässig). Für diese Beurteilung spielt es keine Rolle, ob Grundlage für die Erlangung der begehrten Stammdaten eine (der anfragenden StA bereits bekannte) dynamische IP-Adresse, sohin ein Zugangs- (und damit gleichzeitig Verkehrs-)Datum iSd § 92 Abs 3 Z 4 a TKG, ist und ob der zur Wahrung des – für bloße Stammdaten nicht geltenden (§ 93 Abs 1 TKG) – Kommunikationsgeheimnisses verpflichtete (§ 93 Abs 2 TKG) Anbieter (= Betreiber des öff Kommunikationsdiensts, § 92 Abs 3 Z 1 TKG) zum Zweck der Erteilung der Auskunft die ihm zur Verfügung stehenden Zugangsdaten (oder andere Verkehrsdaten) verarbeiten muss. Denn die bloße interne Verarbeitung von Verkehrsdaten durch den – zur Wahrung des diesbzgl bestehenden Kommunikationsgeheimnisses verpflichteten – Anbieter stellt keinen Eingriff in das Kommunikationsgeheimnis dar, dies gilt auch dann, wenn sie in Erfüllung eines staatlichen Auftrags zur Auskunft über (nicht dem Kommunikationsgeheimnis unterstehende) Stammdaten erfolgt. Die – das Gegenstück zum Eingriff bildende – Wahrung (§ 93 Abs 2 TKG) des Kommunikationsgeheimnisses ist dann gegeben, wenn das Geheimnis nicht nach außen dringt, somit die geschützte Information (Verkehrsdaten) durch den Geheimnisträger nicht preisgegeben wird. Dass der Geheimnisträger selbst in die ihm legal zugänglichen Informationen Einsicht nimmt bzw sie „verarbeitet“, stellt keine Geheimnisverletzung dar. Diesbzgl legt die das Gegenteil vertretende NB im zentralen Punkt nicht dar, warum eine Verarbeitung von Verkehrsdaten durch staatliche Organe einer solchen durch „einen privaten Rechtsträger im Auftrag des Staates“ – in Wahrheit aber nicht durch einen privaten Dritten, sondern durch den Geheimnisträger selbst – gleichzusetzen sei. Ermittelt der Staat selbst, wird ihm alles im Zuge des Ermittlungsvorgangs bekannt Gewordene solcherart zugänglich, sucht hingegen der Geheimnisträger im eigenen internen Bereich geheimnisgeschützter Daten und gibt dem Staat nur das als solches unproblematische Ergebnis seiner „Ermittlungen“, nämlich Stammdaten, bekannt, werden Geheimnisse dem Staat nicht preisgegeben, das Verkehrsdatengeheimnis wird vom Geheimnisträger gewahrt und staatlichen Organen gegenüber nicht gelüftet. Die Herausgabe von Stammdaten bedarf somit – wie der OGH bereits in seiner noch zur Rechtslage vor dem StPRefG (BGBl I 2003/70) ergangenen Grund-

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Ü „Stammdatenabfrage“ bezüglich dynamischer IP-Adressen weiterhin zulässig

satzE 11 Os 57/05 z erkannt und damals bereits auch mit Blick auf das nunmehr geltende Recht als gesetzeskonform beurteilt hat – unverändert keiner gerichtlichen Bewilligung (so auch Reindl-Krauskopf, WK-StPO § 134 Rz 36). Einfachges Vorschriften des DSG sind für diese Beurteilung so weit ohne Bedeutung, als – was der von der GenProk zit Autor Hasberger (MR 2010, 23) übersieht – die StPO dem TKG vorgeht (§ 92 Abs 2 TKG), beide wiederum dem DSG (§ 74 Abs 1 StPO, § 92 Abs 1 TKG), und nicht umgekehrt. Im Übrigen lässt § 1 Abs 2 DSG Eingriffe nach Maßgabe des Art 8 Abs 2 MRK – welcher Interessen der Strafverfolgung als Eingriffsgrundlage anerkennt – zu. Ob demnach die Verwendung von Verkehrsdaten im internen Bereich ohne Außenwirkung dem Datenschutz iSd DSG unterliegt, ist irrelevant. Denn es geht vielmehr um die Frage, inwieweit Art 10 a StGG hier einen richterlichen Befehl verlangt oder ob eine Anordnung der StA auf ges Grundlage nach Maßgabe von Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit (§ 5 Abs 1 StPO) genügt. Dass zwar die Auskunftsverpflichtungsbestimmungen nach § 134 Z 2, § 135 Abs 2, § 137 Abs 1 StPO zugleich den Anbieter zur Verarbeitung der genannten Daten legitimierende Rechtsvorschriften seien, die Bestimmung des § 110 Abs 1 StPO hingegen nicht, ist – weil § 92 Abs 2 TKG nicht differenziert – unzutreffend. Tatsächlich bietet auch § 103 Abs 4 letzter Satz TKG eine hinreichende Grundlage dafür, dass ein Betreiber seiner auf § 110 Abs 1 StPO gegründeten Auskunftsverpflichtung betreffend Stammdaten gegenüber gerichtlichen, aber seit Inkrafttreten des StPRefG mit 1. 1. 2008 auch staatsanwaltlichen (§ 515 Abs 1 StPO, vgl ReindlKrauskopf, WK-StPO § 134 Rz 36) Auskunftsersuchen zwecks Aufklärung und Verfolgung einer bestimmten Straftat nachkommen kann, indem er – gegebenenfalls zur Verifizierung der Stammdaten erforderliche – Verkehrsdaten speichert und verarbeitet. Denn danach hat der Betreiber „durch technische und organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass solchen Ersuchen auch hinsichtlich der Daten entsprochen werden kann, deren Eintragung nach § 69 Abs 5 unterbleibt“, womit klar zum Ausdruck gebracht wird, dass – unabhängig von einem Teilnehmerverzeichnis – alle Stammdatenauskünfte (innerhalb der in § 99 Abs 2 TKG normierten Speicherfrist) ermöglicht werden sollen. Dass „im Allgemeinen“ keine Notwendigkeit zur Speicherung von IP-Adressen für Verrechnungszwecke iSd § 99 Abs 2 TKG gegeben sei, weil sich das Entgelt nur nach dem heruntergeladenen Datenvolumen bestimme, ist schon insoweit unzutreffend, als nicht nur die Verrechnung allein Gegenstand dieser Bestimmung ist, sondern auch der Streitfall nach Anfechtung einer Rechnung iVm dem sich daraus ergebenden Verfahren, in welchem aber die Daten der konkreten Internetverbindungen zur Beweisführung erforderlich sein können. Der (zudem unter Außerachtlassung der Wortfolge „außer in den gesetzlich geregelten Fällen“ in § 99 Abs 1 TKG) gezogene Schluss, dass eine Auskunft über Namen und Adresse eines sich einer bestimmten IP-Adresse bedienenden Internet-Users somit „nur in der verhältnismäßig kurzen Zeit erfolgen darf, in der dieses Verkehrsdatum in personenbezogener Form zur Herstellung und Aufrechterhaltung der VerbinÖJZ [2011] 09


[STRAFRECHT] dung sowie zur Behebung diesbezüglicher Störungen gespeichert werden darf“, womit die Speicherlegitimation somit der Sache nach offenbar auf den konkreten Verbindungszeitraum selbst beschränkt sein soll, geht daher ins Leere. Folgte man der Argumentation der NBzWdG, wäre in letzter Konsequenz nach Beendigung eines Verbindungsvorgangs überhaupt keine Speicherung von Verkehrsdaten mehr zulässig, womit – auch in den Fällen der §§ 134 ff StPO – jegliche Aufklärung und Verfolgung von Straftaten de facto unmöglich wäre. Dass dies nicht dem Willen des Gesetzgebers entspricht, liegt auf der Hand (vgl betreffend Stammdaten auch § 90 Abs 6, § 98 TKG). Demgemäß enthält das österr Recht hinreichende Rechtsvorschriften, die (auch im Licht der E des EuGH C-275/06 und C-575/07) die Verarbeitung von Verkehrsdaten zur Auskunftserteilung über Stammdaten für Zwecke der Strafverfolgung

legitimieren. § 119 StGB (Verletzung des Telekommunikationsgeheimnisses) stellt im Übrigen ausdrücklich nur auf Inhaltsdaten ab (vgl Lewisch in WK2 § 119 Rz 9 a), weshalb eine Gleichsetzung des Geheimnisumfangs der § 119 StGB und § 93 TKG (zur Bestimmung des Fernmeldegeheimnisses) unzutreffend ist. Aus der E VfGH 1. 7. 2009, G 31/08, ist nichts für den vorliegenden Fall Relevantes abzuleiten, weil darin nur zum Ausdruck gebracht wird, dass § 53 Abs 3 a SPG keine Speicherverpflichtung normiert. Die zivilrechtliche E OGH 4 Ob 41/09 x wiederum beruht auf zivilrechtlichen Abwägungen von Urheberrechts- und Datenschutzinteressen, leitet das Fehlen einer Auskunftspflicht für IP-Adressen aus einem als unzureichend angesehenen Regelungskonzept des § 87 b Abs 3 UrhG ab und berührt den Bereich der Interessen öff Sicherheit und Strafverfolgung nicht.

Praxishinweis: Einige Äußerungen im Schrifttum sowie die E des für Urheberrechtsfragen zuständigen Fachsenats des OGH haben Zweifel über die Zulässigkeit staatsanwaltlicher Ermittlung dynamischer IP-Adressen ohne richterliche

Bewilligung aufkommen lassen. Die E sorgt für die erforderliche Rechtsklarheit im Ermittlungsverfahren. EvBl Redaktion

Ü Verjährung richtet sich nach dem Recht im Entscheidungszeitpunkt §§ 57 f StGB (§ 61 StGB)

Ü EvBl 2011/63 §§ 57 f StGB (§ 61 StGB)

Aus der Rechtsnatur der Verjährung als Strafaufhebungsgrund folgt, dass diese nach dem im Entscheidungszeitpunkt geltenden Recht zu beurteilen

ist, es sei denn, die Verjährung der Strafbarkeit wäre nach dem zur Tatzeit geltenden Recht innerhalb dessen Geltungsdauer bereits eingetreten.

Sachverhalt:

Der OGH hat in Stattgebung der aus § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO ergriffenen NB der StA das angefochtene U, das im Übrigen unberührt blieb, im Freispruch von der Anklage, Straftaten zum Nachteil der Heike R (nun Mag. A) begangen zu haben (A), sowie in der Verweisung dieser PB auf den Zivilrechtsweg aufgehoben und den Angekl im Umfang der Aufhebung in der Sache mehrerer Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 1998/153, des Verbrechens der Unzucht Die E demonstriert musmit Unmündigen nach § 207 Abs 1 und terhaft die Lösung verAbs 2 erster Fall StGB idF vor BGBl I 1998/ schiedener Aspekte des Verjährungsrechts anhand 153, mehrerer Vergehen der Nötigung zur der von E. Fuchs (nun: Unzucht nach § 204 Abs 1 StGB idF vor E. Marek) entwickelten BGBl 1989/242 und der geschlechtlichen Kriterien. Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 2004/15 sowie mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 2004/15 schuldig erkannt und in Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dem ersten Strafsatz des § 207 Abs 2 StGB idF vor BGBl I 1998/153 zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe und ua zum Schadenersatz verurteilt.

Mit dem angefochtenen U wurde Wolfgang M – soweit im Verfahren über die NB von Bedeutung – von der Anklage freigesprochen, er habe (A) von 1986 bis Anfang März 1991 in R und F hinsichtlich der am 22. 9. 1980 geborenen Heike R 1) in jeweils wiederholten Angriffen außer dem Fall des § 206 StGB an dieser geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von ihr an sich vornehmen lassen, indem er ihre Scheide mit seinen Fingern rieb und ihre Hand erfasste, diese an seinen Penis legte und unter gleichzeitigem Festhalten kreisende Bewegungen ausführte, wobei die Taten eine schwere Körperverletzung der Heike R, nämlich eine schwere posttraumatische Belastungsstörung mit wiederholten Suizid-Versuchen und andauernder latenter Suizid-Gefährdung, zur Folge hatten, 2) in zahlreichen Angriffen diese auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er einen Finger in ihre Scheide einführte, 3) außer den Fällen des § 201 StGB diese mit Gewalt zur Vornahme geschlechtlicher Handlungen genötigt, indem er ihre Hand an seinen Penis führte und mit dieser, während er sie festhielt, kreisende Bewegungen ausführte, sowie 4) durch die zu 1 bis 3 beschriebenen Taten mit einer mj Person, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von ihr an sich vornehmen lassen. ÖJZ [2011] 09

OGH 25. 1. 2011, 14 Os 129/10 t (LG Leoben 12 Hv 147/09 t)

Aus den Gründen:

[Amtswegige Prüfung von Begründungsmängeln und erheblichen Bedenken] Nach amtswegiger Prüfung überzeugte sich der OGH, dass dem Ersturteil kein Begründungsmangel iSd Z 5 und 5 a des § 281 Abs 1 StPO anhaftet, womit die dort Ü Verjährung richtet sich nach dem Recht im Entscheidungszeitpunkt

421


ÖJZ

[S T R A F R E C H T ] festgestellten Tatsachen dem Erk zu Grunde gelegt werden konnten (Ratz in WK-StPO § 281 Rz 415).

[Verjährung als Strafaufhebungsgrund] Vorweg ist festzuhalten, dass die Frage der Verjährung nach ständiger Judikatur grundsätzlich nach dem im Entscheidungszeitpunkt geltenden Recht zu beurteilen ist, es sei denn, die Verjährung der Strafbarkeit wäre nach dem zur Tatzeit geltenden Recht innerhalb dessen Geltungsdauer bereits eingetreten (RIS-Justiz RS0116876; zuletzt 13 Os 14/08 w AnwBl 2009, 154). Dies folgt aus der Rechtsnatur der Verjährung, die nach hM einen Strafaufhebungsgrund darstellt (E. Fuchs in WK2 Vorbem zu §§ 57 bis 60 Rz 1 bis 3), was bedeutet, dass die zunächst gegebene Strafbarkeit einer Tat zu einem darauf folgenden Zeitpunkt (durch Fristablauf) beseitigt wird. Demgemäß sind die Verjährungsbestimmungen – als potenziell den Entfall der Strafbarkeit bewirkende Normen (vgl 13 Os 25/03) – zwar prinzipiell in den Günstigkeitsvergleich (§§ 1, 61 StGB) einzubeziehen, vermögen die zu prüfende Rechtslage aber nur dann zu Gunsten des Täters zu beeinflussen, wenn das die Strafaufhebung (erst) aktualisierende Fristende auf einen Zeitpunkt fällt, zu dem die jeweilige Verjährungsnorm noch in Geltung ist. Fallbezogen bedarf es insoweit keiner Prüfung hinsichtlich der Verjährungsfrist; diese beträgt – bei einer hier aktuellen Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe (erster Strafsatz des § 207 Abs 2 StGB idF vor BGBl I 1998/153) – sowohl nach geltendem Recht als auch nach der zur Tatzeit bestehenden Rechtslage zehn Jahre (§ 57 Abs 3 StGB).

[Anlaufhemmung] § 58 Abs 3 Z 3 StGB sagt idgF, dass die Zeit bis zur Erreichung des 28. Lebensjahrs des Opfers einer strafbaren Handlung (ua) gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet wird, wenn das Opfer – wie hier – zur Zeit der Tatbegehung mj war. Damit wird eine sog Anlaufhemmung normiert, was bedeutet, dass die Fristen des § 57 Abs 3 StGB bis zum genannten Zeitpunkt nicht zu laufen beginnen (E. Fuchs in WK2 § 58 Rz 3). Eine solche Regelung enthielt § 58 StGB idF vor BGBl I 1998/ 153 nicht, sodass nach damaliger Rechtslage grundsätzlich Anfang März 2001 die Verjährung der Strafbarkeit eingetreten wäre. Allerdings wurde durch Art I Z 1 des StRÄG 1998 BGBl I 1998/153 in § 58 Abs 3 StGB die Z 3 angefügt, wonach die Zeit bis zur Erreichung der Volljährigkeit des Verletzten einer strafbaren Handlung nach den §§ 201, 202, 205, 206, 207, 212 oder 213 StGB nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet werden. Nach Art V Abs 1 StRÄG 1998 trat dieses Gesetz mit 1. 10. 1998 in Kraft, wobei § 58 Abs 3 Z 3 StGB in der dadurch geänderten Fassung auch auf vor dem Inkrafttreten begangene Taten anzuwenden war, sofern die Strafbarkeit – wie hier – zu diesem Zeitpunkt nicht bereits erloschen war (Art V Abs 3 StRÄG 1998).

[Rechtsänderung durch KindRÄG 2001] In diesem Zusammenhang zeigt die Bf zutreffend auf, dass das ErstG zu Unrecht vom Eintritt der Volljährigkeit der Heike R mit Vollendung deren 18. Lebensjahrs 422

Ü Verjährung richtet sich nach dem Recht im Entscheidungszeitpunkt

(22. 9. 1998) ausging. Zum damaligen Zeitpunkt bestimmte § 21 Abs 2 ABGB nämlich, dass Mj Personen sind, die das 19. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Die Änderung dieser Bestimmung iS des Eintritts der Volljährigkeit mit Vollendung des 18. Lebensjahrs erfolgte durch Art I Z 1 des KindRÄG 2001 BGBl I 2000/135, das – soweit hier von Interesse – ebenso wie die korrespondierende Neufassung der Begriffsbestimmung des § 74 Abs 1 Z 3 StGB erst mit 1. 7. 2001 in Kraft trat (Art XVIII § 1 Abs 1 KindRÄG 2001, Art IV Abs 1 BGBl I 2001/19). Da § 58 Abs 3 Z 3 StGB auf einen konkreten Lebenssachverhalt, nämlich die Minderjährigkeit des Opfers, abstellt und Rechtsänderungen auf bereits verwirklichte Sachverhalte – sofern das Gesetz (wie hier) nicht ausdrücklich Gegenteiliges bestimmt – nicht zurückwirken, bleibt die vor dem 1. 7. 2001 gegebene Minderjährigkeit der Heike R von der Gesetzesänderung unberührt, womit deren Volljährigkeit mit Vollendung des 19. Lebensjahrs, also am 22. 9. 1999, eintrat (E. Fuchs in WK2 § 58 Rz 32; 11 Os 35/05 i; vgl auch RIS-Justiz RS0086020, RS0086063 und RS0102337). Demzufolge endete die Verjährungsfrist prinzipiell zehn Jahre nach diesem Zeitpunkt, also am 22. 9. 2009. Da aber der Angekl erstmals bereits am 5. 12. 2008 als Besch vernommen wurde, war ab diesem Zeitpunkt bis zur rk Beendigung des Verfahrens der Ablauf der Verjährungsfrist gehemmt (§ 58 Abs 3 Z 2 StGB). Demnach ist – wie auch die GenProk zutreffend ausführt – die Strafbarkeit nicht (durch Verjährung) erloschen. Diesen Überlegungen folgend ist auch hinsichtlich der vom Herbst 1990 bis zum März 1991 zum Nachteil der Karin A gesetzten sexuellen Handlungen Verjährung der Strafbarkeit nicht eingetreten (§ 58 Abs 2 StGB). Dies wird aber von der Beschwerde nicht aufgegriffen.

[Günstigkeitsvergleich]

Zumal das ErstG – wie dargelegt – sowohl zur objektiven und zur subjektiven Tatseite als auch zur Beurteilung der Verjährungsfrage alle erforderlichen Feststellungen traf, konnte eine E des OGH in der Sache selbst eintreten (§ 288 Abs 2 Z 3 StPO). Beim dabei anzustellenden Günstigkeitsvergleich (§§ 1, 61 StGB) war von folgender Rechtslage auszugehen: Das Reiben an der Scheide des Opfers sowie das Veranlassen des Opfers, den Penis des Täters zu berühren, sind nach geltendem Recht „geschlechtliche Handlungen“ (Philipp in WK2 § 202 Rz 9 bis 14) und waren nach Tatzeitrecht dem Begriff der Unzucht (Leukauf/Steininger, StGB3 § 207 Rz 4) sowie dem – schon damals teils synonym verwendeten – der „geschlechtlichen Handlung“ (Leukauf/ Steininger, StGB3 § 202 Rz 5) zu unterstellen. Beide Arten von Tathandlungen sind daher nach den in Rede stehenden Gesetzesfassungen jeweils § 207 Abs 1 StGB zu subsumieren, wobei auch die Strafsätze (jeweils sechs Monate bis fünf Jahre Freiheitsstrafe) nicht differieren. Das Einführen eines Fingers in die Scheide ist derzeit als dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung § 206 Abs 1 StGB zu unterstellen (Philipp in WK2 § 201 Rz 25), wogegen diese Tathandlung in der StGB-Fassung vor BGBl I 1998/153 ebenfalls § 207 Abs 1 StGB unterfiel. Für die Erfolgsqualifikation der schweren Körperverletzung sieht § 207 Abs 3 StGB ÖJZ [2011] 09


[STRAFRECHT] idgF einen Strafsatz von fünf bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe vor, § 207 Abs 2 StGB idF vor BGBl I 1998/153 hingegen nur einen solchen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Die geschlechtliche Nötigung ist nach geltender Rechtslage mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bedroht (§ 202 Abs 1 StGB), wogegen die vor BGBl 1989/242 (§ 204 Abs 1 StGB – Nötigung zur Unzucht) und vor BGBl I 2004/15 (§ 202 Abs 1 StGB) geltenden Gesetzesfassungen nur einen Strafsatz von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe enthielten. In Bezug auf das idealkonkurrierend verwirklichte Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses (§ 212 Abs 1 StGB) ist das Tatzeitrecht für den Angekl nicht günstiger als die geltende Gesetzeslage. Anknüpfungspunkt des nach dem zweiten Satz des § 61 StGB vorzunehmenden Günstigkeits-

vergleichs ist die Tat, also der im U festgestellte Lebenssachverhalt (Ratz in WK2 Vorbem zu §§ 28 bis 31 Rz 1). Dabei wird die Anordnung, zu prüfen, ob die Gesetze, die im Tatzeitpunkt gegolten haben, für den Täter „in ihrer Gesamtauswirkung“ nicht günstiger waren als die jeweils aktuellen, einhellig dahin verstanden, dass eine Kombination aus den in Rede stehenden Rechtsschichten unzulässig ist (Höpfel/U. Kathrein in WK2 § 61 Rz 6; Triffterer in SbgK § 61 Rz 23, jeweils mwN; vgl auch ErläutRV 30 BlgNR 13. GP 172). Dies hat zur Folge, dass auch im Fall der Idealkonkurrenz eine solche Kombination nicht möglich ist, somit der zu beurteilende Lebenssachverhalt – nach Maßgabe des § 61 zweiter Satz StGB – entweder dem Urteilszeit- oder dem Tatzeitrecht zu unterstellen ist (EvBl 1976/45; Fabrizy, StGB10 § 61 Rz 2).

Praxishinweis:

stellt. Da das Verschlechterungsverbot im Hauptverfahren nur die Straffrage betrifft (§ 16 StPO), stand es dieser E nicht entgegen.

Der OGH hat aufgrund des Erfolgs der NB der StA nicht nur die Strafe neu bemessen, sondern den Angekl auch zu Schadenersatzzahlungen verurteilt und dessen zivilrechtliche Haftung für zukünftige Schäden festge-

EvBl Redaktion

Ü

[EvBl-LEITSÄTZE]

Evidenzblatt-Leitsätze Ü Arbeitsrecht Art 21 Abs 1 B-VG (§ 23 AngG) EvBl-LS 2011/65 Geltung des AngG für Landes- und Gemeindebedienstete

Die ausschließliche Landeskompetenz des Art 21 Abs 1 B-VG zur Regelung des Arbeitsverhältnisses schließt die subsidiäre Geltung des allgemeinen Zivil- und Arbeitsrechts für den Fall des Fehlens von Sondervorschriften nicht aus. Es hat daher das Angestelltengesetz – als „allgemeines“ Arbeitsvertragsrecht – auch nach dem Inkrafttreten der B-VG-Novelle 1999 für jene Landes- und Gemeindebediensteten Geltung, deren Arbeitsverhältnisse nicht durch eine landesges Regelung erfasst sind. OGH 22. 12. 2010, 9 ObA 6/10 p

Mehr dazu: Die Kl war von 1. 10. 1970 bis 31. 3. 2008 bei der bekl Stadt Linz als Diplom-Krankenschwester, und zwar zuletzt in einem Seniorenzentrum als Pflegedienst-Leiterin, beschäftigt. Gemäß Dienstvertrag fand auf das Dienstverhältnis die Vertragsbedienstetenordnung (VBO) der Bekl Anwendung. Mit 1. 1. 2006 wurde die Bekl einer GmbH, deren Alleingesellschafterin die Bekl ist, zur Dienstleistung zugewiesen, ohne dass sich an ihrer dienstrechtlichen Stellung etwas änderte. Anlässlich der Auflösung ihres Dienstverhältnisses wegen Pensionierung erhielt die Kl auf Basis ihres letzten Bezugs E 41.840,40 an Abfertigung. Sie begehrte nun die Abfertigungsdifferenz von E 16.540,–, weil die Berechnung nicht nach der VBO, sondern nach § 23 AngG zu erfolgen habe und somit Sonderzahlungen und regelmäßige Zulagen zu beÖJZ [2011] 09

Nr 65 – 72

rücksichtigen seien. Das ErstG gab dem Klagebegehren – bestätigt vom BerG – statt. Der OGH gab der Rev der Bekl nicht Folge. Der OGH habe bereits zu 9 ObA 158/91 erkannt, dass auf die Dienstverhältnisse der aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags beschäftigten Bediensteten der oö Städte mit eigenem Statut mangels landesges Regelung die Bestimmungen des ABGB bzw des AngG und der entsprechenden Nebengesetze anzuwenden seien. Die fehlende Regelung sei auch nicht im OÖ Gemeindebediensteten-Zuweisungsgesetz zu erblicken, weil dadurch das vermisste Dienstrecht nicht kodifiziert werde. Auch der Dienstvertrag der öffentlich Bediensteten sei eine Erscheinung des Zivilrechts. Die Erweiterung der Landeskompetenzen durch die B-VG-Novelle 1999 führe nicht automatisch zum Wegfall der bisherigen Bundesregelungen. Es sei Sache der Länder, diese Regelungen durch eigene zu ersetzen. Das AngG sei zum „allgemeinen“ Arbeitsvertragsrecht zu zählen. Dessen Abfertigungsregelung verdränge jene der VBO, bei der es sich unstrittig lediglich um eine Vertragsschablone handle. Das AngG sei schon deshalb anzuwenden, weil die Kl einer GmbH, und damit einer von der Bekl als Alleingesellschafterin betriebenen „Unternehmung“ iSd § 1 Abs 1 AngG, nämlich einer GmbH als Formkaufmann, zugewiesen gewesen sei. Praxishinweis: Mit der B-VG-Novelle 1999 (BGBl 1999/8) wurde Art 21 B-VG novelliert und die Kompetenz der Länder auf dem Gebiet des Dienstrechts entscheidend erweitert. So entfiel die bis dahin geltende Einschränkung der Dienstrechtskompetenz auf Regelungen über die Begründung und Auflösung des Dienstverhältnisses und das Homogenitätsprinzip. 423


ÖJZ

[E v B l - L E I T S Ä T Z E ] § 82 a lit a GewO 1859 (§ 26 Z 1 AngG) EvBl-LS 2011/66 Streit mit dem Arbeitskollegen als Austrittsgrund

Eine zum vorzeitigen Austritt berechtigende aktuelle und relevante Gefahr einer gesundheitlichen Schädigung kann auch durch das schädliche Arbeitsklima oder eine nicht beseitigte Konfliktsituation im Arbeitsumfeld hervorgerufen werden. OGH 25. 1. 2011, 8 ObA 82/10 g

Mehr dazu: Der Kl war vom 31. 10. 2001 bis 27. 2. 2009 als Tankwagenreiniger in der Funktion eines Vorarbeiters bei der Bekl beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch vorzeitigen Austritt des Kl unter Hinweis auf gesundheitliche Gründe. Beim Kl liegt eine schwerwiegende depressive Erkrankung vor, die ihm in der gegebenen Situation die Fortsetzung seiner Tätigkeit bei der Bekl nicht mehr zumutbar macht. Dem liegt eine Auseinandersetzung mit einem dem Kl neu zugeteilten Mitarbeiter zugrunde, die von einer massiven Rauferei begleitet war. Das ErstG gab dem Begehren auf Abfertigung, Urlaubsersatzleistung und anteilige Sonderzahlungen im Betrag von insgesamt E 9.666,85 brutto sA statt. Das BerG wies das Klagebegehren ab. Der OGH stellte das ErstU wieder her. Für den Austrittsgrund der dauerhaften Gesundheitsgefährdung sei die Prognose, zukünftig das Arbeitsverhältnis nicht ohne Gesundheitsgefährdung fortsetzen zu können, maßgeblich. Es bedürfe eines kausalen Zusammenhangs zwischen Dienstleistung und Gesundheitsgefährdung, wobei nach der Rsp auch die Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz relevant seien (Mobbing: 8 ObA 2285/96 d; degradierende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen: 9 ObA 47/88). In diesem Sinn könne auch eine krankheitswerte psychische Belastungssituation am Arbeitsplatz, der nicht durch geeignete Maßnahmen, insb durch Gestaltung der Arbeitssituation, begegnet werden könne, einen vorzeitigen Austritt rechtfertigen. Hiezu zähle auch eine durch das Arbeitsumfeld bedingte Konfliktsituation mit relevanten gesundheitlichen Auswirkungen, wenn die konfliktträchtigen Bereiche nicht abgetrennt und die belastenden Zerwürfnisse nicht bereinigt werden können. Praxishinweis: Gem § 376 Z 47 Abs 1 GewO 1994 bleiben die Bestimmungen der §§ 72, 73, 76 – 78 e, 82 – 84, 86, 88 und 90 – 92 GewO 1859 bis zur Neuregelung der gewerberechtlichen Vorschriften weiterhin aufrecht. In den §§ 82 ff GewO 1859 wird – in fragmentarischer Weise – die Auflösung der Arbeitsverhältnisse von Hilfsarbeitern geregelt. Der in § 73 GewO 1859 definierte Hilfsarbeiterbegriff ist weit auszulegen und erfasst Arbeiter, selbst Facharbeiter, schlechthin, somit jedermann, der keine Angestelltentätigkeit ausübt.

Ü Familienrecht § 140 ABGB EvBl-LS 2011/67 Pensionsvorschuss: Anspannung des Unterhaltsschuldners

Dass der Unterhaltspflichtige Pensionsvorschuss bezieht, schließt seine Anspannung auf ein für ihn erzielbares Einkommen nicht aus. OGH 25. 1. 2011, 8 Ob 91/10 f

Mehr dazu: Der Vater ist nach Scheidung der Ehe für seine beiden in Pflege und Erziehung der Mutter befindlichen Kinder sorgepflichtig. Er ist nur eingeschränkt arbeitsfähig und bezieht seit 1. 6. 2009 Pensionsvorschuss von täglich E 19,96 zuzüglich zweier Familienzuschläge. Unter Anspannung seiner Kräfte 424

könnte er als Expeditgehilfe oder Bürobote zwischen E 1.169,– und E 1.207,– verdienen. Der Vater beantragte, seine Unterhaltspflicht von je E 189,– auf je E 30,– monatlich herabzusetzen. Das ErstG gab dem Herabsetzungsantrag ab 1. 6. 2009 statt. Das RekG gab dem Rek der Kinder nicht Folge. Der OGH hob die E der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache an das ErstG zurück. Der OGH habe bereits ausgesprochen, dass aus dem bloßen Umstand, dass der Unterhaltspflichtige Pensionsvorschuss beziehe, noch nicht abgeleitet werden könne, dass es ihm nicht mehr möglich sei, ein seiner Unterhaltspflicht entsprechendes Arbeitseinkommen zu beziehen. Es könnten somit auch in diesem Fall die Voraussetzungen für eine Anspannung des Vaters vorliegen (10 Ob 72/10 a). Es sei daher zu prüfen, ob dem Vater unterhaltsrechtlich vorzuwerfen sei, dass er keine medizinisch mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit aufgenommen habe. Dies könne nicht allein auf Grund der Tatsache des Bezugs von Pensionsvorschuss verneint werden. Praxishinweis: Den Unterhaltspflichtigen trifft gem § 140 Abs 1 ABGB die Obliegenheit, im Interesse seiner Kinder alle persönlichen Fähigkeiten, insb seine Arbeitskraft, so gut wie möglich einzusetzen. Unterlässt er dies schuldhaft, so wird er nach dem Anspannungsgrundsatz so behandelt, als bezöge er Einkünfte, die er bei zumutbarer Erwerbstätigkeit hätte erzielen können (RIS-Jusiz RS0047686; RS0047495; RS0047511).

Ü Sachenrecht § 513 ABGB (§ 1489 ABGB) EvBl-LS 2011/68 Verjährung beginnt mit Rückstellung der Sache

Bei Beendigung des Fruchtgenussrechts beginnt die dreijährige Frist zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen Verletzung der Instandhaltungspflicht des Fruchtgenussberechtigten erst mit der Rückstellung der Sache an den Eigentümer. OGH 23. 11. 2010, 1 Ob 191/10 k

Mehr dazu: Der Kl kaufte von der Alleineigentümerin die beiden Hälfteanteile einer Liegenschaft. Ein Hälfteanteil war mit einem im Grundbuch eingetragenen lebenslänglichen, uneingeschränkten und unentgeltlichen Fruchtgenussrecht zugunsten zweier Personen belastet. Die Fruchtgenussberechtigten übten ihr Recht durch das Bewohnen einer Haushälfte und Benützen einer Garage aus. Die Verkäuferin trat dem Kl sämtliche Forderungen ab, die sie iZm dem Notariatsakt über die Einräumung des Fruchtgenussrechts an die daraus Berechtigten hatte. Die Fruchtgenussberechtigten starben im Jahr 2005 und 2006. Im Jahr 2006 reparierte der Kl das Traufenpflaster und verrechnete der (noch lebenden) Fruchtgenussberechtigten die Hälfte des Materialund Arbeitsaufwands. Zudem verrechnete er die Hälfte der in der Saison 2005/2006 angefallenen Schneeräumungskosten. Wegen der mangelhaften Wartung und Instandhaltung der Liegenschaft und des Gebäudes während der Zeit der Ausübung des Fruchtgenussrechts sind weitere Schäden entstanden. Der Kl forderte die Verlassenschaft nach dem Tod der Fruchtgenussberechtigten nicht auf, die Wohnung zu räumen. Für die bewohnte Haushälfte wäre während der Ausübung des Fruchtgenussrechts ein Mietzins jedenfalls in Höhe des Klagebegehrens erzielbar gewesen. Bis zur Räumung fielen auch für den ideellen Hälfteanteil an der Liegenschaft Grundsteuer sowie Feuer- und Gebäudeversicherungsprämien an. 2007 war die Liegenschaft E 439.000,– wert. Wäre sie in einem üblichen Ausmaß erhalten worden, hätte der Wert E 513.000,– betragen. Der Kl begehrte Schadenersatz aufÖJZ [2011] 09


[EvBl-LEITSÄTZE] grund der mangelhaften Wartung und Instandsetzung, weiters Benutzungsentgelt für die Zeit vom Tod der Fruchtgenussberechtigten bis zur Räumung der Haushälfte und Ersatz der Kosten für die Notreparatur des Traufenpflasters, zudem anteilige Schneeräumungskosten sowie Grundsteuer- und Versicherungsprämien. Das ErstG gab dem Klagebebehren teilweise statt. Das BerG bestätigte den Zuspruch als Teilurteil; im Umfang der Abweisung hob es die E auf. Die Rev und der Rek an den OGH seien zulässig, weil Rsp zur Verjährung von Ansprüchen gegen den Fruchtgenussberechtigten nach § 513 ABGB fehle. Der OGH gab den RM der bekl Verlassenschaft nicht Folge. Der OGH lasse einen Anspruch des Eigentümers auf Wiederherstellung während des aufrechten Fruchtgenussrechts nur eingeschränkt zu, nämlich bei Gefahr unwiederbringlicher Schäden, etwa Gefährdung der Substanz, und gestehe dem Eigentümer immer die Möglichkeit zu, zuzuwarten und erst bei Beendigung des Fruchtgenusses vom Fruchtnießer oder dessen Erben den vollen Schadenersatz zu fordern (4 Ob 536/94 JBl 1994, 702). Nach Beendigung des Fruchtgenussrechts – im vorliegenden Fall durch den Tod der verbliebenen Berechtigten (§ 529 Satz 1 iVm § 478 ABGB) – stehe ein Schadenersatzanspruch bei Verletzung der Instandhaltungspflicht grundsätzlich dem aktuellen Eigentümer und nicht seinen Rechtsvorgängern zu, und zwar unabhängig davon, ob wegen einer Gefährdung der Substanz bereits während des aufrechten Fruchtgenussrechts ein Begehren auf Wiederherstellung zulässig gewesen wäre. Die Bekl bezweifle nicht, dass dieser Schadenersatzanspruch der dreijährigen Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB unterliege und nicht der nur für Bestandverhältnisse geltenden einjährigen Präklusivfrist des § 1111 Satz 2 ABGB. Die Frist beginne aber jedenfalls erst mit der Rückstellung der Sache zu laufen, weil der Fruchtnießer erst ab diesem Zeitpunkt den ordnungsgemäßen Zustand nicht mehr selbst herstellen könne und daher ein Schaden aufgrund der Verletzung der Instandhaltungspflicht feststellbar sei. Nach Beendigung des Fruchtgenussrechts sei die Sache dem Eigentümer zurückzustellen (RIS-Justiz RS0088537). Die Verpflichtung des Fruchtnießers oder seiner Rechtsnachfolger, bis zum Zeitpunkt der Rückstellung ein angemessenes Benutzungsentgelt zu zahlen, ergebe sich aus § 1041 ABGB, der nicht nur auf Bestandverhältnisse anzuwenden sei (6 Ob 83/10 i). Sie erfordere weder ein Verschulden noch einen messbaren Nutzen des Anspruchsgegners. Der Entgang der Nutzungschance des Eigentümers reiche bereits aus (RIS-Justiz RS0019883). Praxishinweis: Während der Dauer des Fruchtgenusses kann der Eigentümer vom Fruchtgenussberechtigten die Beseitigung von Substanzschäden, die Wiederherstellung und überhaupt die ordnungsgemäße Verwaltung nur fordern, wenn er ein besonderes Interesse für das sofortige Begehren nachweist. Grundsätzlich hat der Fruchtgenussberechtigte bis zur Beendigung seines Rechts Zeit, den geschuldeten Zustand selbst herzustellen. Die Verjährung beginnt daher erst mit der Rückstellung der Sache an den Eigentümer. Dies entspricht dem Grundsatz, dass die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB nicht vor Kenntnis der Geschädigten vom tatsächlichen Eintritt des (ersten) Schadens zu laufen beginnt (RIS-Justiz RS0083144; RS0087615). Dem Schadenersatzbegehren des Käufers kann nicht etwa entgegengehalten werden, der schlechte Zustand des Hauses durch Verletzung der Instandhaltungspflicht habe den Kaufpreis gemindert und daher nicht den Käufer geschädigt bzw der Käufer habe sich in Anbetracht des niedrigeren Kaufpreises schlüssig mit dem Zustand der Liegenschaft einverstanden erklärt. In dieser Hinsicht müsste die Bekl einen ausdrücklichen bzw unmissverständlichen Verzicht des Käufers gegenüber dem Fruchtgenussberechtigten auf ÖJZ [2011] 09

die Schadenersatzansprüche darlegen. Gegenstand des Fruchtgenussrechts war nur eine (ideelle) Hälfte der Liegenschaft, weshalb die Fruchtnießer grundsätzlich auch nur die Hälfte des Erhaltungsaufwands für die gesamte Liegenschaft zu tragen hatten.

Ü Schadenersatzrecht § 1323 ABGB (Art XII EGUStG) EvBl-LS 2011/69 Bei entgangener Betriebseinnahme ist die Umsatzsteuer zu ersetzen

Erleidet ein Unternehmer einen Schaden, so darf er im Fall einer betroffenen (zB entgangenen) umsatzsteuerpflichtigen Lieferung bzw Leistung bei Berechnung der Schadenshöhe auch die Umsatzsteuer berücksichtigen. OGH 15. 12. 2010, 4 Ob 193/10 a

Mehr dazu: Der Bekl erzeugt in seinem landwirtschaftlichen Betrieb Bruteier von Hühnern. Die unbeschädigten Bruteier werden verkauft, wobei sich das vom Käufer zu leistende Entgelt nach dem Schlupferfolg richtet. Die nicht bestrittene Klageforderung resultiert aus Futtermittellieferungen der Kl an den Bekl. Der Bekl macht als Gegenforderung einen ihm aus mangelhaften Futtermittellieferungen entstandenen Vermögensschaden geltend. Der Vitaminmangel habe zu verminderten Betriebseinnahmen infolge verminderten Schlüpferfolgs und Minderproduktion an Bruteiern geführt. Das ErstG stellte die Klageforderung mit E 51.388,70 und die Gegenforderung mit E 34.236,91 als zu Recht bestehend fest. Das BerG gab der Ber der Kl teilweise Folge und erkannte den Bekl schuldig, der Kl zusätzlich zu den ihr bereits mit Teilurteil zuerkannten E 17.093,30 weitere E 266,35 zu zahlen. Gleichzeitig sprach es aus, dass die oRev zur Ersatzfähigkeit der Umsatzsteuer im Anwendungsbereich des § 22 UStG zulässig sei. Der OGH gab der Rev der Kl nicht Folge. Der (Vermögens-)Schaden sei durch eine Differenzrechnung zu ermitteln; es sei zunächst der hypothetische heutige Vermögensstand ohne das schädigende Ereignis zu ermitteln und von diesem Betrag der heutige tatsächliche Vermögenswert abzuziehen (RIS-Justiz RS0030153). Bei den Gegenforderungspositionen handle es sich um Mangelfolgeschäden in Form von dem Bekl infolge des mangelhaften Futtermittels entgangenen Betriebseinnahmen: Wäre der Mangel nicht aufgetreten, dann hätte der Bekl im Ausmaß der geltend gemachten Positionen erhöhte Einnahmen aus dem Verkauf von Bruteiern und Suppenhühnern erzielt. Der Bekl sei nicht buchführungspflichtiger Landwirt iSd § 22 UStG. Für die im Rahmen solcher Betriebe mit Unternehmern erzielten Umsätze werde ein eigener Steuersatz festgesetzt. Die entsprechende Steuer könne im Fall einer umsatzsteuerpflichtigen Lieferung oder sonstigen Leistung dem Abnehmer gesondert in Rechnung gestellt werden (Ruppe, Umsatzsteuergesetz3 § 22 Rz 4). Aus dieser Gesetzeslage folge, dass der Bekl bei Berechnung seines in entgangenen Betriebseinnahmen bestehenden zivilrechtlichen Schadens die bei den schadenskausal nicht zustande gekommenen Verkaufsgeschäften verrechenbare Umsatzsteuer berücksichtigen dürfe, handle es sich doch bei der in Rechnung gestellten und vereinnahmten Umsatzsteuer wirtschaftlich gesehen um eine Ertragsposition (Ruppe, aaO Rz 5). Die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung des Vorsteuerabzugs spiele bei der Ermittlung der Höhe des zivilrechtlichen Schadenersatzes vorerst keine Rolle. Der Schadenersatz umfasse nämlich zunächst immer den vollen Betrag inklusive Umsatzsteuer (Doralt/Ruppe, Grundriss des österreichischen Steuerrechts I9 Rz 1264; Harrer in Schwimann, ABGB3 § 1323 Rz 73). Das Gericht habe deshalb bei der E über 425


ÖJZ

[E v B l - L E I T S Ä T Z E ] den Anspruch auf Ersatz einer Sache oder Leistung die Umsatzsteuer, die aus dem Titel des Schadenersatzes, der Bereicherung, der Verwendung oder des Prozesskostenersatzes begehrt werde, nicht gesondert zu behandeln und auch nicht die abgabenrechtliche Vorfrage zu entscheiden, ob der Ersatzberechtigte die Umsatzsteuer im Weg des Vorsteuerabzugs vergütet erhalten könnte (RIS-Justiz RS0038172). Der Ersatzbetrag werde in derartigen Fällen zunächst brutto zugesprochen. Praxishinweis: Der Schädiger hat den Geschädigten grundsätzlich so zu stellen, wie er ohne schuldhaftes Verhalten gestellt wäre (vgl RIS-Justiz RS0022586). Im vorliegenden Fall betreffen die Gegenforderungen entgangene Betriebseinnahmen. Fragen der Berechtigung des Geschädigten (als Unternehmer) zum Vorsteuerabzug spielen für die Ermittlung der Schadenshöhe keine Rolle. Ob dem Ersatzpflichtigen gegenüber dem Ersatzberechtigten, der zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, allenfalls ein Rückersatzanspruch nach Art XII EGUStG 1972 in Höhe jenes Umsatzsteuerbetrags zusteht, den der Ersatzberechtigte als Vorsteuerabzug geltend machen könnte (vgl RIS-Justiz RS0075909, RS0037853, RS0037844, RS0037872), bleibt im Schadenersatzverfahren daher ungeprüft. Dies kann nur in einem nachfolgenden zweiten Verfahren geklärt werden. Diese Überlegungen sind von der Frage zu unterscheiden, ob die dem Schadenersatzanspruch des Geschädigten zugrunde liegende Lieferung bzw Leistung der Umsatzsteuerpflicht unterliegt. Ist dies zu bejahen, so kann der Geschädigte auch den Ersatz der Umsatzsteuer verlangen; dafür muss er dem Schädiger eine Rechnung ausstellen. Der Anspruch auf Ausstellung einer Rechnung ist wiederum von einem Rechnungslegungsanspruch iSd Art XVII EGZPO, der mit Stufenklage geltend gemacht werden kann, zu unterscheiden. Für das Vorliegen einer umsatzsteuerpflichtigen Lieferung bzw Leistung ist entscheidend, ob ein Leistungsaustausch stattfindet und eine Ertragsposition bzw Betriebseinnahme des Geschädigten betroffen ist.

Ü Sozialversicherungsrecht § 296 Abs 4 ASVG (§ 17 Abs 1 ZPO) EvBl-LS 2011/70 Nebenintervention im sozialgerichtlichen Verfahren

Wird von einem Sozialversicherungsträger (SVTr) in Vertretung eines anderen SVTr aufrechnungsweise ein Überbezug an Ausgleichszulage (§ 296 Abs 4 ASVG bzw § 153 Abs 4 GSVG) geltend gemacht, ist diesem ein rechtliches Interesse am Verfahrensausgang iSd § 17 Abs 1 ZPO zuzuerkennen.

Überbezugs und die erklärte Aufrechnung im rechtlichen und faktischen Interesse der NI erfolgt seien. Die NI erklärte ihren Beitritt auf Seiten der Bekl und führte aus, es bestehe ein rechtliches Interesse an der Nebenintervention, weil sich die Rechtslage der NI durch ein Obsiegen der Bekl verbessere. Der Kl beantragte die Zurückweisung des Beitritts der PVA als NI, weil sie kein rechtliches, sondern nur ein wirtschaftliches Interesse am Obsiegen der Bekl habe. Das ErstG wies den Antrag des Kl ab und erklärte die Nebenintervention für zulässig. Das vom Kl angerufene RekG wies den Beitritt der PVA als NI auf Seiten der Bekl zurück. Der OGH gab dem RevRek der NI Folge und änderte den B des RekG dahin ab, dass die E des ErstG wiederhergestellt wurde. Die NI berufe sich auf die nach § 296 Abs 4 ASVG bzw § 153 Abs 4 GSVG bestehende Möglichkeit, Überbezüge an AZ, die durch eine rückwirkende Zuerkennung oder Erhöhung einer Leistung aus einer Pensionsversicherung entstünden, gegen die Pensionsnachzahlung aufzurechnen. Der Übergenuss an AZ könne, wenn sie bereits ausgezahlt worden sei, gegen die auch dem anderen im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten zustehende Pensionsnachzahlung aufgerechnet werden. Hier habe die Bekl im angefochtenen Bescheid hinsichtlich eines Teilbetrags von E . . . der vom Kl bezogenen Nachzahlung an Erwerbsunfähigkeitspension einen Rückforderungstatbestand gem § 76 GSVG sowie die Aufrechnungsmöglichkeit nach § 296 Abs 4 ASVG geltend gemacht. Die Bekl mache den Überbezug an AZ, den sie für die NI einhebe, nicht aus eigenem Recht, sondern als Vertreterin der NI geltend. Die NI bleibe demnach Gläubigerin dieser Rückersatzforderung an von ihr (wie behauptet) an die Gattin des Kl zu viel geleisteter AZ, wobei diese Rückersatzforderung auch gegen den Kl geltend gemacht werden könne. Ein rechtliches Interesse der NI sei daher schon deshalb zu bejahen, weil sie weiterhin Trägerin des materiellen Rechtsverhältnisses (Forderungsinhaberin) sei, auch wenn diese Forderung im Verf formell von der Bekl geltend gemacht werde. Die E in diesem Verf berühre somit unmittelbar die Rechtsposition der NI, weshalb das ErstG im Ergebnis zu Recht deren Berechtigung zum VerfBeitritt bejaht habe. Praxishinweis: Die Aufrechnungsmöglichkeit gem § 296 Abs 4 ASVG bzw § 153 Abs 4 GSVG entspricht – wie der OGH weiters festhält – dem Rechtsgedanken, dass eine zunächst gebührende und rechtmäßig ausgezahlte Ausgleichszulage nicht behalten werden darf, wenn sich nachträglich durch rückwirkende Zuerkennung (oder Erhöhung) einer Leistung aus einer Pensionsversicherung ergibt, dass der Richtsatz erreicht oder überstiegen worden wäre, wenn diese Pensionsleistung früher zuerkannt worden wäre.

OGH 1. 2. 2011, 10 ObS 183/10 z

Mehr dazu: Die bekl SVA der gewerblichen Wirtschaft wurde mit rk U verpflichtet, dem Kl rückwirkend ab 1. 2. 2002 eine Erwerbsunfähigkeitspension im ges Ausmaß zu gewähren. Über Ersuchen der PVA, der späteren Nebenintervenientin (NI), sprach die Bekl mit dem angefochtenen Bescheid gegenüber dem Kl aus, dass die Nachzahlung an Erwerbsunfähigkeitspension mit einem Teilbetrag von E . . . gem § 76 GSVG zurückgefordert werde (P 1.), diese Nachzahlung gegen den Überbezug an Ausgleichszulage (AZ) der Ehegattin des Kl für den Zeitraum vom 1. 2. 2002 bis 30. 6. 2005 von E . . . gem § 296 Abs 4 ASVG aufgerechnet werde (P 2.) und diese zu Unrecht erbrachte und zurückzuerstattende Nachzahlung gem § 71 Abs 1 Z 2 GSVG gegen den Anspruch des Kl auf Erwerbsunfähigkeitspension ab 1. 5. 2008 mit monatlich E . . . aufgerechnet werde (P 3.). Dagegen erhob der Kl rechtzeitig Klage. Die Bekl verkündete der NI den Streit, weil die vorgenommene Rückforderung der Nachzahlung in Höhe des AZ426

Ü Strafprozessrecht § 451 Abs 2 StPO (§ 92 Abs 2 StPO) EvBl-LS 2011/71 Vorprüfung des Strafantrags nach Maßgabe des Akteninhalts, nicht nach der rechtlichen Beurteilung des Anklägers

Maßstab der Vorprüfung des Strafantrags sind die Sachverhaltsannahmen, welche das Gericht aufgrund des Akteninhalts trifft. Die rechtliche Beurteilung im Strafantrag ist ohne Belang. OGH 20. 1. 2011, 11 Os 172/10 v

Mehr dazu: Die StA brachte beim BG Hall in Tirol gegen Alexander M Anklage wegen des Vergehens nach § 218 Abs 1 Z 2 StGB (Sexuelle Belästigung und öff geschlechtliche Handlungen) ein. Die nach § 218 Abs 3 StGB erforderliche Ermächtigung der belästigten Person lag nicht vor. Aufgrund der von der GenProk erhobenen NBzWdG hat der OGH ausgesprochen, dass das ÖJZ [2011] 09


[EvBl-LEITSÄTZE] StrafU diese Bestimmung verletzt, den Angekl freigesprochen und in den EGründen zum Maßstab der Vorprüfung des Strafantrags richtungweisend Stellung genommen. Praxishinweis: Die E beruft sich zur Vorgangsweise bei der gerichtlichen Vorprüfung des Strafantrags ausdrücklich auf Bauer, WK-StPO § 450 Rz 2. Demnach hat diese anhand der Aktenlage zu erfolgen. Der Tatbeschreibung im Strafantrag (§ 211 Abs 1 Z 2 StPO) kommt bindende Wirkung daher nur insoweit zu, als sie den Prozessgegenstand festlegt. Hätte die StA aufgrund ihrer Einschätzung des Sachverhalts ein dem § 218 Abs 1 StGB subsumierbares Geschehen angenommen, wäre das Gericht nicht gehindert, innerhalb des historischen Geschehens, das die StA unter Anklage stellen wollte, maW des Prozessgegenstands, einen Sachverhalt anzunehmen, der § 218 Abs 2 StGB zu unterstellen wäre, für dessen Verfolgung es keiner Ermächtigung bedarf.

Ü Strafrecht § 153 StGB (§ 27 Abs 1, § 39 Abs 1 BWG) EvBl-LS 2011/72 Der Vermögensnachteil der Untreue besteht im Mittelabfluss

Bei wirtschaftlich unvertretbaren Investitions- und Risikogeschäften tritt der strafrechtlich relevante Schaden im Zeitpunkt

des Geldabflusses aus der Sphäre des Machtgebers ein, womit (bei auch darauf gerichtetem Vorsatz) die Untreue vollendet ist. Die wirtschaftliche Vertretbarkeit von Kreditvergaben hängt von der nach der Bonität des Schuldners zu beurteilenden Einbringlichkeit des Rückzahlungsanspruchs im Zeitpunkt der Kreditschuldenentstehung ab. Für sonstige Investitions- und Risikogeschäfte ist insoweit in erster Linie das – vom Machthaber auf der Basis der einschlägigen Normen (va § 27 Abs 1 und § 39 BWG) zu garantierende – Vorhandensein eines angemessenen Risikoausgleichs und ausreichender Sicherheiten maßgebend. OGH 23. 12. 2010, 14 Os 143/09 z

Mehr dazu: Der ua wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannte Angekl hatte in seiner NB die Rechtsansicht vertreten, dass die im Zeitpunkt des Befugnismissbrauchs bestehende Erwartung der Rückführbarkeit des zu Spekulationsgeschäften verwendeten Geldes dem vom Tatbestand verlangten Vermögensschädigungsvorsatz entgegenstehe. Der OGH hat die NB verworfen. Praxishinweis: Die vom Senat 14 vertretene Rechtsauffassung zum Schadenseintritt bei der Untreue schließt an die stRsp zum Schadenseintritt beim Betrug an.

[FORUM]

Vorsicht am 15. Juli! – Zur Neufassung des § 222 ZPO durch das Budgetbegleitgesetz 2011 ÖJZ 2011/44

Die Änderung der Rechtslage

Drei argumentierbare Lösungen

1.1. Die Rechtslage bis 30. 4. 2011:

2. Durch die Neuregelung ergeben sich zwei Schwierigkeiten. Zur Verdeutlichung wird in allen Fällen angenommen, dass ein Urteil am Freitag, 17. 6. 2011, zugestellt wird.1) Spätestens am 15. 7. 2011 wird die Änderung der Diktion eine ganz konkrete Bedeutung haben, denn an diesem Tag stellt sich eine Frage für vermutlich mehr als nur eine Handvoll Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Österreich: Wann ist der letzte Tag

§ 222 ZPO. Die Zeit vom 15. Juli bis 25. August und vom 24. Dezember bis 6. Jänner ist verhandlungsfrei. § 225 ZPO. (1) Fällt der Anfang der verhandlungsfreien Zeit in den Lauf einer Frist oder der Beginn der Frist in die verhandlungsfreie Zeit, so wird die Frist um die ganze Dauer oder um den bei ihrem Beginn noch übrigen Teil der verhandlungsfreien Zeit verlängert. 1.2. Rechtslage ab 1. 5. 2011 (gem Art 38 Z 6 BudgetbegleitG 2011 BGBl I 2010/111): § 222 ZPO. (1) Zwischen dem 15. Juli und dem 17. August sowie dem 24. Dezember und dem 6. Jänner werden die Notfristen im Berufungs- und Revisionsverfahren sowie im Rekurs- und Revisionsrekursverfahren gehemmt. Fällt der Anfang dieses Zeitraums in den Lauf einer solchen Notfrist oder der Beginn einer solchen Notfrist in diesen Zeitraum, so wird die Notfrist um die ganze Dauer oder um den bei ihrem Beginn noch übrigen Teil dieses Zeitraums verlängert. 1.3. Im Ministerialentwurf (versendet am 27. 10. 2010), der dem Begutachtungsverfahren unterlag, war diese Formulierung nicht enthalten, weil in diesem Stadium noch geplant war, die „verhandlungsfreie Zeit“ überhaupt samt all ihren Wirkungen ersatzlos entfallen zu lassen und §§ 222 – 225 ZPO aufzuheben. Erst die am 30. 11. 2010 dem Nationalrat vorgelegte Regierungsvorlage enthielt die später auch beschlossene oben zitierte Neufassung. ÖJZ [2011] 09

der Rechtsmittelfrist gekommen – vielleicht schon heute?

Drei Ergebnisse lassen sich diskutieren: (1) der 19. 8. 2011 (s unten 3.2.); (2) der 18. 8. 2011 (s unten 3.3.); (3) der 15. 7. 2011 (s unten 5.1.). Mit dieser Frage beschäftigt sich dieser Beitrag; nicht, um Worte zu klauben, sondern um zu versuchen, auf ein Risiko aufmerksam zu machen, dem weder der Gesetzgeber noch die Gerichte, sondern dem die Parteien und ihre Vertreterinnen und Vertreter ausgesetzt sind.

Die Wahl des „17. August“ 3.1. Dass die Formulierung „die Zeit vom 15. Juli bis 25. August“

beide Tage enthält, war nie unklar; der Wortsinn von „von – bis“ ist unproblematisch. Eine Rechtsmittelfrist, die am 15. 7. noch of1) Dieser Tag ist nur als Beispiel genannt. Die beschriebenen Probleme ergeben sich an allen anderen Tagen grundsätzlich genauso, die nahe bei oder in der Zeit der Fristhemmung liegen.

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[F O R U M ] fen war, hörte am 14. 7. um 24 Uhr2) zu laufen auf und setzte ihren Lauf am 26. 8. um 0 Uhr3) fort. Wurde das Urteil am Freitag, 17. 6. 2011, zugestellt, wäre der letzte Tag der Berufungsfrist (die „vier Wochen“ dauert, also nach Wochen bemessen ist) nach der allgemeinen Regel des § 125 Abs 2 ZPO4) der vierte darauf folgende Freitag, somit der Freitag, 15. 7. 2011. Nach bisheriger Rechtslage ist genau dieser eine Tag schon Teil der „verhandlungsfreien Zeit“, die „von 15. Juli bis 25. August“ dauert. Dieser eine Tag bleibt somit für die Zeit nach der verhandlungsfreien Zeit für den Fristenlauf noch übrig und wird gedanklich auf den ersten Tag nach dem 25. 8. 2011 verlegt: auf den 26. 8. 2011 – siehe da, wieder ein Freitag. Durch die Festsetzung auf die Zeit von 15. 7. bis 25. 8. war die Regelung des § 125 Abs 2 ZPO – wenn auch nicht wörtlich, so doch praktisch – handhabbar, weil man sich an den Wochentagen orientieren konnte. Letzter Tag der Frist war immer der vierte darauf folgende nicht in der „verhandlungsfreien Zeit“ liegende gleich genannte Wochentag, somit bei Zustellung am Freitag, 17. 6. 2011, der Freitag, 26. 8. 2011. 3.2. Unabhängig davon, ob die Formulierung „zwischen“ dasselbe wie „von – bis“ bedeutet, könnte der Grundgedanke des § 125 Abs 2 ZPO nach der neuen Rechtslage unanwendbar werden. Der vierte nach dem 17. 6. 2011 liegende Freitag, der nicht in die Zeit der Fristhemmung fällt, ist der 19. 8. 2011. Wäre eine an diesem Tag eingebrachte Berufung rechtzeitig? Diese Variante hätte § 125 Abs 2 ZPO für sich, sofern man diese Bestimmung trotz der Fristunterbrechung für anwendbar hält. Diese Problemstellung ist deshalb neu, weil – wie oben dargestellt – nach der bisherigen Rechtslage die „verhandlungsfreie Zeit“ keine Wochentagsverschiebung mit sich brachte. 3.3. Eine Proberechnung hilft, dieses Ergebnis zu prüfen: Vier Wochen sind 28 Tage. Wäre die Berufungsfrist mit „28 Tage“ normiert, wäre der erste Tag der Frist nach der Zustellung am Freitag, 17. 6. 2011, gem § 125 Abs 1 ZPO5) der 18. 6. Der 28. Tag wäre somit der Freitag, 15. 7. 2011. Dieser Tag läge schon – wiederum vorerst einmal angenommen – innerhalb der „verhandlungsfreien Zeit“, sodass dieser eine in der Frist noch fehlende Tag in die Zeit danach verlegt wird. Der dem 17. 8. 2011 folgende 18. 8. 2011 (ein Donnerstag) wäre somit der letzte Tag der Rechtsmittelfrist. 4. Allein diese Diskrepanz kann Probleme aufwerfen, doch meine ich, dass die oben unter 3.2. dargestellte Variante wenig für sich hat. Die Umwandlung der vierwöchigen Frist in eine solche nach Tagen liegt nach meiner Ansicht viel näher und vermeidet eine Fristverlängerung oder -verkürzung durch die Wochentagsverschiebung. Praktikabler wäre allerdings gewesen, die Frist – auch nach ihrer Verkürzung – so zu bemessen, dass sich diese Schwierigkeit mit den Wochentagen nicht ergibt. Man hätte nur statt des 17. 8. den 18. 8. als Endtermin nennen müssen. Die im Winter geltende Frist (24. 12./6. 1.) ist – angenommen, beide Randtage sind dazuzuzählen – von diesem Problem nicht betroffen, weil die Zahl ihrer Tage durch 7 teilbar war und ist.

„Zwischen“ 5.1. Zum größeren Problem: Bedeutet „zwischen“ dasselbe wie

„von – bis“? Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch – so meine ich – wohl nicht. Die Sommerferien dauern von Juli bis August; sie liegen nicht zwischen Juli und August. Nach dem so verstandenen allgemeinen Sprachgebrauch, der immerhin Grundlage der Auslegung von Normen ist, dauert die Zeit „zwischen dem 15. Juli und dem 17. August“ von 16. 7., 428

0 Uhr, bis 16. 8., 24 Uhr. Der 15. 7. und der 17. 8. liegen jeweils zur Gänze außerhalb des so beschriebenen Zeitraums. Für ein am Freitag, 17. 6. 2011, zugestelltes Urteil bedeutet dies, dass der vierte darauf folgende Freitag, nämlich der 15. 7. 2011, auch der letzte Tag der Berufungsfrist ist. Am 16. 7. wäre es zu spät, umso mehr am 17. 8., am 18. 8. und am 19. 8. 5.2. Mit derselben Schärfe stellt sich das Problem bei später zugestellten Urteilen: Die Berufungsfrist bei einem am Donnerstag, 23. 6. 2011,6) zugestellten Urteil bietet folgende Varianten: (1) vierter Donnerstag danach (ausgenommen jene Donnerstage, die in die Zeit der Fristhemmung fallen): Donnerstag, 18. 8. 2011 (relative Fristverkürzung!); (2) 28. Tag nach der Zustellung (erster Tag: 24. 6.) bei Überspringen des 15. 7., des 16. 7., des 17. 7. usw bis inkl des 17. 8.: Mittwoch, 24. 8. 2011; (3) 28. Tag nach der Zustellung (erster Tag: 24. 6.) bei Überspringen des 16. 7., 17. 7. usw bis inkl 16. 8. und bei Mitzählung des 15. 7. und des 17. 8.: Montag, 22. 8. 2011.

Spielraum für die Auslegung 6.1. Die ErläutRV dazu lauten:

Die ZPO ordnet derzeit in der Zeit von 15. Juli bis 25. August und von 24. Dezember bis 6. Jänner eine verhandlungsfreie Zeit an [. . .]. Dieses Rechtsinstitut ist nicht mehr zeitgemäß. [. . .] Künftig sollen in diesen Zeiten daher Verhandlungen stattfinden und auch der Fristenlauf grundsätzlich nicht gehemmt sein. Allerdings sollen im Interesse des Anwaltsstandes die Rechtsmittelfristen gegen Beschlüsse und Urteile erster und zweiter Instanz gehemmt werden, wie dies schon bisher der Fall war. Dabei bleiben die bestehenden Ausnahmen [. . .] erhalten. Der Zeitraum wird allerdings verkürzt. Ob sich der letzte Satz nur auf die Verlegung des Endes vom 25. 8. auf den 17. 8. bezieht oder auch darauf, dass auch der 15. 7. und der 17. 8. sowie der 24. 12. und der 6. 1. als Tage wegfallen, an denen der Fristenlauf gehemmt ist, ist nicht ausgesprochen. 6.2. Mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit kann angenommen werden, dass die Redaktoren der Gesetzesänderung mit dem Ersatz der Wendung „von – bis“ durch das Wort „zwischen“ keine grundsätzlich andere Bemessung des Zeitraums anordnen wollten. Die Entscheidung liegt aber bei den Gerichten, die das Gesetz nicht danach auslegen, was sich jemand beim Formulieren gedacht hat, sondern gem § 6 ABGB nach der „eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang“ und nach der „klaren Absicht des Gesetzgebers“. Die „eigentümliche Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang“ verweist auf den Wortsinn von „zwischen“, der weitgehend anders verstanden wird als „von – bis“. Eine „klare Absicht des Gesetzgebers“ ist schwer eruierbar, weil der Hypothese, dass wohl keine Änderung geplant war, das Argument gegenübersteht, es wäre nicht umformuliert worden, wenn dafür kein Grund gesehen worden wäre. 2) „24 Uhr“ bedeutet: Mitternacht am Ende des Tages. 3) „0 Uhr“ bedeutet: Mitternacht am Anfang des Tages. 4) „Nach Wochen [. . .] bestimmte Fristen enden mit dem Ablaufe desjenigen Tages der letzten Woche [. . .], welcher durch seine Benennung [. . .] dem Tage entspricht, an welchem die Frist begonnen hat. [. . .]“. 5) „Bei Berechnung einer Frist, welche nach Tagen bestimmt ist, wird der Tag nicht mitgerechnet, in welchen der Zeitpunkt oder die Ereignung fällt, nach der sich der Anfang der Frist richten soll.“ 6) Das ist im Jahr 2011 ein Feiertag, was hier aber unberücksichtigt bleiben kann.

ÖJZ [2011] 09


[FORUM] Fazit: Warnung 7. Es ist daher eine Warnung an alle Rechtsanwender – vor allem an die Anwältinnen und Anwälte – zu richten.

Niemand kann garantieren, dass die Gerichte das Wort „zwischen“ nicht so auslegen, dass der 15. 7. und der 17. 8. sowie der 24. 12. und der 6. 1. nicht in die Zeit der Fristhemmung fallen. Auf akademischer Ebene oder in persönlichen Begegnungen ausgetragene Diskussionen zwischen Legistinnen und Legisten, Rechtslehrerinnen und Rechtslehrern sowie Richterinnen und

Richtern würden den Prozessparteien nicht helfen, deren Fristversäumnis rechtskräftig feststeht. Bis der OGH in die Lage kommt, eine klare Rechtsprechung zu schaffen, sind gewiss viele Fälle so oder anders entschieden worden, die nach § 528 Abs 2 Z 1 und Z 2 ZPO nicht an den OGH herangetragen werden konnten. 8. Eine legislative Klarstellung wäre willkommen. Reinhard Hinger

[BERICHT]

Kontrollamt der Stadt Wien – quo vadis? Ein Rechnungshof für Wien als Land? Wiener Juristische Gesellschaft Sitzung vom 17. 11. 2010. Vortrag, gehalten von Dr. Peter Pollak, Kontrollamtsdirektor von Wien. Nach Eröffnung der Sitzung durch den Vorsitzenden, o. Univ.-Prof. DDr. Walter Barfuß, führte der Vortragende im Wesentlichen aus: ÖJZ 2011/45

A. Verfassungslage der Finanzkontrolle in den Ländern 1. Entwicklung der Verfassungslage 1925 wurde die Ländergebarung grundsätzlich der Rechnungshofkontrolle unterworfen, auf das Bundesland Wien fand die Regelung jedoch keine Anwendung. Erst mit der B-VG-Novelle 1929 wurde die Zuständigkeit des Rechnungshofs auf Wien ausgedehnt.

2. Besonderheit für Wien Der wesentliche verfassungsrechtliche Charakter der Bundeshauptstadt besteht darin, dass die Einrichtung der Gemeinde im Vordergrund steht, weshalb die Bundeshauptstadt primär organisatorisch als Gemeinde auszurichten ist. Hieraus begründet sich, dass ein Gemeindebudget und nicht ein Landesbudget beschlossen wird. Folgerichtig besteht daher ein Kontrollamt als Gemeindeeinrichtung und nicht ein Landesrechnungshof als Hilfsapparat des Landtags.

3. Prüfung der Gemeinde Wien durch einen Landesrechnungshof Im Fall der Prüfung, ob das Wiener Kontrollamt zu einem Landesrechnungshof umgewandelt werden darf, wäre die erste Fragestellung, ob ein Landesrechnungshof eine Gemeindegebarung prüfen darf. Ausgangspunkt der Überlegungen ist Art 119 a B-VG, der die Aufsichtsmittel über die Gemeinde als Selbstverwaltungskörper festlegt. In der Lehre ist umstritten, ob neben den Kontrolleinrichtungen der Länder einem Landesrechnungshof als selbständiges Organ bzw als Organ des Landtags das Recht auf Gebarungskontrolle durch den Landesverfassungsgesetzgeber überhaupt eingeräumt werden darf. Tatsache ist, dass die Landesverfassungsgesetzgeber sehr zurückhaltend sind, den Landesrechnungshöfen die Kontrolle der Gemeindegebarung ÖJZ [2011] 09

zu übertragen. Für die vorliegende Fragestellung ist dieser Lehrstreit aber nicht unmittelbar von Relevanz, weil Art 119 a B-VG für die Gemeinde Wien nicht gilt. Die mangelnde Geltung führt aber nicht zum Ergebnis, dass der Landesverfassungsgesetzgeber freie Hand hätte, sondern vielmehr ergibt sich die Frage, wann unter Bedachtnahme auf Art 116 B-VG das der Gemeinde Wien eingeräumte Recht auf autonome Gestaltung des Haushalts geschmälert und somit auch einer Kontrolle unterworfen werden darf. Das einer Gemeinde kraft Bundesverfassung garantierte Recht gem Art 116 B-VG wurde in der Bundesverfassung nur durch zwei Möglichkeiten beschränkt: erstens durch den Art 119 a B-VG und zweitens durch die Prüfkompetenz des Rechnungshofs. Hieraus ist aber abzuleiten, dass eine weitere Einschränkung – konkret die Schaffung eines Landesrechnungshofs in Wien – ebenfalls einer bundesverfassungsrechtlichen Grundlage bedarf. Zweifelsfrei lässt sich dieses Problem dadurch lösen, dass in der Bundesverfassung eine Bestimmung geschaffen wird, wonach ein Landesrechnungshof in Wien die Gebarung der Gemeinde Wien prüfen darf. Der Verfassungsgesetzgeber hätte in diesem Fall auch zu regeln, welchem Organ die Prüfergebnisse zu berichten sind. Ein Bericht an den Landtag ist nicht sinnvoll, weil der Landtag in Wien kein Budget beschließt und dem Landtag auch keine Einflussmöglichkeit gegenüber Gemeindeorganen zukommt. Die Landesregierung oder der Magistrat als Bezirksverwaltungsbehörde scheiden wohl aus rechtspolitischen Überlegungen als Adressaten aus. Letztlich bleibt somit eine Berichtslegung an den Gemeinderat, womit wir beim Ergebnis landen, dass sich die derzeitige Situation nicht ändert, sondern lediglich der Name des Kontrollamts der Stadt Wien geändert wird. Überdies muss noch bundesverfassungsrechtlich klargestellt werden, dass trotzdem eine Inanspruchnahme des Art 127 c B-VG zulässig ist, weil weiterhin kein Hilfsapparat eines Landtags vorliegt. Ü 429


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[B E R I C H T ] 4. Veränderung des Charakters Wiens als Gemeinde Denkbar wäre auch eine Umkehrung des Art 108 B-VG, wonach nicht mehr die Gemeindeorgane die Landesfunktionen, sondern die Landesorgane die Gemeindeaufgaben übernehmen. In diesem Fall hätte der Landtag eine Budgetverantwortung und der Landesrechnungshof könnte problemlos als Hilfsapparat des Landtags tätig werden. Es bricht aber eine Fülle von Novellierungsnotwendigkeiten auf.

B. Besonderheiten des Kontrollamts der Stadt Wien Gemeinderat Breitner verwies 1920 in seiner Rede im Gemeinderat darauf, dass, „wie dies beim Staate in Form des Obersten Rechnungshofs seit langem besteht, eine eigene Kontrolleinrichtung, das Kontrollamt der Stadt Wien, geschaffen“ werde. Diese Aufgabenstellung wurde 1977 ergänzt. Seit diesem Zeitpunkt ist das Kontrollamt die einzige Kontrolleinrichtung in Österreich, die auch die Sicherheitskontrolle wahrnimmt. Die Kontrollbefugnis bezieht sich einerseits auf die Überprüfung der den Organen der Gemeinde obliegenden Vollziehung der sich auf die Sicherheit des Lebens und der Gesundheit von Menschen beziehenden behördlichen Aufgaben und andererseits auf die von der Gemeinde betriebenen Anlagen, von denen eine Gefahr für die Sicherheit des Lebens oder der Gesundheit von Menschen ausgehen kann. Im Fall der Umwandlung des Kontrollamts in einen Landesrechnungshof wäre es notwendig, die Weiterführung dieses Aufgabenbereichs ebenfalls bundesverfassungsrechtlich abzusichern, andernfalls die Gleichartigkeit des Wiener Landesrechnungshofs gegenüber dem Rechnungshof in Frage gestellt werden könnte.

C. Unabhängigkeit Das B-VG enthält keine inhaltliche Determinierung des Begriffs Unabhängigkeit. Anders hingegen die vom IX. Kongress INROSAI beschlossene Deklaration über die Leitlinien der Finanzkontrolle (Deklaration von Lima), die den Begriff „Unabhängigkeit“ mit drei Determinanten konkretisiert: organisatorische, funktionelle und finanzielle Unabhängigkeit.

1. Organisatorische Unabhängigkeit a) Eigenständigkeit der Einrichtung

Oberndorfer (s Gemeinderecht und Gemeindewirklichkeit 121 und dort FN 126) vertritt folgende Ansicht: „Art. 117 Abs 6 B-VG überlässt nämlich die Geschäftsbesorgung für die Stadt zur Gänze dem Magistrat und bestimmt mit der Leitung des inneren Dienstes ausdrücklich einen Magistratsdirektor. Einen vom Magistrat unabhängigen, das heißt auch aus dessen innerer Verwaltungshierarchie vollkommen losgelösten Verwaltungsapparat gestattet Art 117 Abs 6 B-VG demnach nicht.“ Diese Lehrmeinung ist nicht unbestritten. Der Weg des Landtags für Wien, das Kontrollamt für Wien als Teil des Magistrats der Stadt Wien vorzusehen, folgt jedenfalls der Forderung von Oberndorfer. Dies ist auch sinnvoll, weil das Geschäftsbesorgungsmonopol des Magistrats nicht in Frage gestellt werden sollte. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Bundesverfassung die Einrichtung eines Kontrollamts nicht vorschreibt. Wenn sich der Landesgesetzgeber aber entschließt, ein Kontrollamt zu schaffen, ergibt sich aus Art 117 Abs 6 B-VG, dass dieses ein Teil des Magistrats sein soll. Die Schaffung einer organisatorisch vom Magistrat der Stadt Wien unabhängigen Einrichtung wäre nach derzeitigem Verfassungsrecht unzulässig. 430

b) Dienstrechtliche Stellung und Bestellung des Kontrollamtsdirektors

Ein Kontrollamtsdirektor ist als Gemeindebediensteter Teil des Magistrats der Stadt Wien. Er ist dadurch der Jurisdiktion der Dienst- und Disziplinarbehörden unterworfen bzw kommt dem Magistratsdirektor die Diensthoheit über ihn zu. Die Tätigkeit der Disziplinarbehörden ist als unproblematisch anzusehen, da diese ihrerseits kraft Verfassungsbestimmung unabhängig sind. Diese Einschätzung ist auch auf die Dienstbehörden übertragbar, da der Dienstrechtssenat als Berufungsbehörde weisungsfrei agiert. Die Umwandlung des Kontrollamts in einen Landesrechnungshof würde daran nichts ändern, lediglich die Diensthoheit des Magistratsdirektors würde enden. Hinsichtlich der Bestellung ist festzustellen, dass die Wahl durch den Gemeinderat zu einer optimalen demokratischen Legitimation führt. Hinsichtlich eines öffentlichen Hearingverfahrens ist anzumerken, dass hierdurch qualifizierte Bewerber aus der privaten Wirtschaft abgehalten werden könnten, weil eine öffentliche bzw veröffentlichte Diskussion der Eignungsvoraussetzungen einer beruflichen Laufbahn schädlich sein kann. Ein Kompromiss könnte darin bestehen, dass sich der vom Bürgermeister nominierte Kandidat vor der Wahl einem öffentlichen Hearing stellt. Letztlich hat dies der politische Entscheidungsträger zu bewerten. c) Dauer der Funktionsperiode des Kontrollamtsdirektors

In Wien ist die Dauer mit fünf Jahren bemessen, in den anderen Bundesländern beträgt diese sechs bis zwölf Jahre. d) Abwahl des Kontrollamtsdirektors

Fiedler führte in einem Vortrag 2001 (Vortragsbericht Barfuß, JBl 2002, 94) aus, dass es wünschenswert wäre, die Abberufung des Rechnungshofpräsidenten nur mit qualifizierter Mehrheit zuzulassen.

2. Ressourcenunabhängigkeit Die Festlegung der Ressourcen erfolgt im Bereich der Stadt Wien durch den Gemeinderat, welcher das Budget beschließt. Soll das Kontrollamt seine Aufgaben effektiv wahrnehmen, wird der Gemeinderat für die notwendigen Ressourcen im Zuge des Beschlusses über den Budgetvoranschlag sorgen müssen. Gäbe es gesetzliche Festlegungen, welche letztlich nur an den Gemeinderat gerichtet sein können, wäre weiter festzulegen, wer die vermeintliche Verletzung auf welche Weise einfordern könnte. Als „Kläger“ könnte der Kontrollamtsdirektor auftreten. Aber an welches Organ soll er sich wenden? Der Gemeinderat ist das höchste Organ der Gemeinde im selbständigen Wirkungsbereich der Gemeinde und darf kraft Bundesverfassung keinem anderen Organ der Gemeindeselbstverwaltung unterstellt werden, ein Organ der Gemeinde Wien kann also nicht angerufen werden. Eine Gemeindeaufsicht ist für Wien kraft Bundesverfassung nicht zulässig, sodass die Anrufung einer solchen ausscheidet. Anders formuliert: Die ausgesprochene Determinierung wäre rechtlich nicht durchsetzbar. Diese Ausführungen gelten auch für einen Landesrechnungshof, dessen Erfordernisse von der Gemeinde vorzusehen wären. Anders formuliert: Der Gemeinderat beschließt das Budget samt Dienstpostenplan für einen möglichen Landesrechnungshof. Die formale institutionelle Unabhängigkeit endet bei der faktischen Macht des Gemeinderats als Entscheidungsorgan über das Budget.

3. Funktionelle Unabhängigkeit Der Wiener Landesverfassungsgesetzgeber hat den Kontrollamtsdirektor weisungsfrei gestellt. Dies betrifft den Umfang und die Art der Prüfungsarbeit sowie den Inhalt der zu treffenden FestÖJZ [2011] 09


[BERICHT] stellungen. Ebenfalls landesverfassungsrechtlich festgelegt ist das Recht des Kontrollamtsdirektors, die Prüfobjekte auswählen zu dürfen. Eingeschränkt wird dieses Recht durch die einfachgesetzliche Bestimmung, wonach der Gemeinderat, der Kontrollausschuss, der Bürgermeister oder amtsführende Stadträte um eine Prüfung ersuchen dürfen, wobei das Kontrollamt diesem Ersuchen nachkommen muss. Von besonderer Bedeutung sind jedoch die besonderen Akte der Kontrolle aufgrund eines Ersuchens einer Minderheit von Gemeinderatsmitgliedern bzw eines Klubs. Obwohl diese zahlenmäßig begrenzt sind, ist es Praxis, dass ein Ersuchen eine Vielzahl von Prüfbegehren enthält, sodass die Meinung vertreten werden könnte, dass in Wirklichkeit mehrere Verlangen vorliegen. Tatsache ist, dass die Prüfersuchen einen Teil der Ressourcen des Kontrollamts verschlingen und somit das Recht des Kontrollamtsdirektors auf freie Auswahl der Prüfobjekte faktisch einschränken. Bereits Fiedler hat hiezu kritisch angemerkt, dass diese Rechte auf Durchführung einer Prüfung nicht mit der Deklaration von Lima in Einklang gebracht werden können. Hengstschläger (Rechnungshofkontrolle [2000] Art 122 Rz 8) meint hingegen, dass zwar Prüfaufträge nicht abgelehnt werden dürfen, die Unabhängigkeit im Übrigen aber nicht beeinträchtigt wird.

D. Begleitende Kontrolle Ein Thema, welches immer wieder angesprochen wird, ist die Sinnhaftigkeit einer begleitenden Kontrolle durch Kontrollämter. Richtigerweise wird von Klug (Das öffentliche Haushaltswesen in Österreich [1982] 44 ff) darauf hingewiesen, dass eine Kontrolle, wenn diese noch vor der Entscheidung geschieht, umstritten ist, insb weil die Verantwortlichkeitsgrenzen verwischt werden und weil die Gefahr der Präjudizierung der Kontrolle besteht. Der Eingriff der Kontrolle in der Entscheidungsphase würde für Klug eine Verlagerung von Entscheidungsbefugnissen und von Verantwortung bedeuten, Verzögerungen verursachen, die Entscheidungsfreudigkeit und Motivation beeinträchtigen, aber auch eine Präjudizierung der Kontrolle bedeuten: Das Projekt wäre im Nachhinein für die Kontrollstelle unprüfbar. An dieser Stelle ist mit Nachdruck festzuhalten, dass die begleitende Kontrolle an sich ein wertvolles Instrument ist und nicht in Frage gestellt wird. Es soll aber klargestellt werden, dass eine solche nicht vom Kontrollamt ausgeübt werden sollte. Ungeachtet dessen ist die zeitnahe Kontrolle durch Prüfeinrichtungen zu fordern bzw ist von jeder Verwaltung ein effektives Controlling vorzusehen. Walter Barfuß

[LITERATUR

IM ÜBERBLICK]

Buchbesprechungen Handbuch des Verkehrsunfalls, 4. Teil: Verwaltungsrecht. 2. Aufl. Von Peter Suchanek (Handbuch des Verkehrsunfalls hrsg von Robert Fucik, Franz Hartl und Horst Schlosser). Verlag Manz, Wien 2010. XIV, 186 Seiten, br, E 48,–.

Nunmehr liegt auch der vierte Band der zweiten Auflage des auf sieben Bände ausgelegten Handbuchs des Verkehrsunfalls vor, der die verwaltungsrechtlichen Aspekte behandelt. Wesentliche Neuerungen der zweiten Auflage sind die Darstellung der Delikte nach dem Vormerksystem, der begleitenden Maßnahmen des Verkehrscoachings und die Einarbeitung von mehr als 10 Novellen einschlägiger Gesetze, insb des FSG, KFG und der StVO. Um überhaupt in die Situation zu kommen, der Ausführungen des Handbuchs zu bedürfen, sind vorweg ein zugelassenes Kraftfahrzeug und – zumindest in der Regel – eine Lenkberechtigung notwendig. Wie man zu beidem kommt, beschreibt der erste Teil des vorliegenden Bandes anschaulich und übersichtlich. Neben „Kuriosa“ wie dem Feuerwehrführerschein, der quasi zu erhöhtem Alkoholkonsum berechtigt, ist vor allem das bereits erwähnte, neu dargestellte Vormerksystem von Interesse. An diese Darstellung schließt sich im zweiten Teil sozusagen „die verwaltungsrechtliche Nachbearbeitung“ von Verkehrsunfällen – das Verwaltungsstrafverfahren – an. Es werden die Verwaltungsstraftatbestände, insb Alkohol, Suchtgift und das Verhalten nach Verkehrsunfällen, ebenso beleuchtet wie die dafür zu gewärtigenden Verwaltungsstrafen, die Grundlagen, das Verfahren und die begleitenden Maßnahmen beim Entzug der Lenkberechtigung und letztlich das Verwaltungsstrafverfahren selbst. In diesem Bereich seien besonders die Kapitel über das Zusammentreffen mit gerichtlich strafbarem Verhalten, über das Doppelbestrafungsverbot und über die besonderen Sicherungsmaßnahmen gegen Beeinträchtigungen durch Alkohol und Suchtgift herÖJZ [2011] 09

vorgehoben. Abschnitte über das abgekürzte Verfahren und das Rechtsmittelregime runden diesen Teil des Werks ab. Insgesamt steht mit dem vierten Band des Handbuchs ein weiterer wichtiger „Puzzleteil“ des „Gesamtphänomens Verkehrsunfall“ dem interessierten Rechtsanwender in aktueller Version zur Verfügung. Elfriede Solé ASVG – Allgemeines Sozialversicherungsgesetz. Kommentar. Von Martin Sonntag (Hrsg). Linde Verlag, Wien 2010. 1.532 Seiten, geb, E 148,–.

Martin Sonntag, Richter am OLG Wien, hat das ambitionierte Projekt eines handlichen Kommentars zum ASVG verwirklicht – ein geradezu unglaubliches Unterfangen. Als Autoren konnten Experten aus der Richterschaft und den SV-Trägern gewonnen werden, geplant ist eine jährliche Neuauflage. Das Buch ist überdies käuflich auch online verfügbar, wobei aber auch die Printausgabe vom Verlag qualitativ hochwertig hergestellt wurde. Durchgehend enthält der Kommentar eine Aufarbeitung der maßgeblichen Rechtsprechung. Wer mehr sucht (etwa die Gesetzesmaterialien oder sogar einen ersten Einstieg in die zum ASVG ohnehin überschaubare wissenschaftliche Diskussion), erkennt erhebliche Unterschiede bei den Kommentatoren. Kletter schafft eine knappe und sehr dichte Aufarbeitung des Vertragspartnerrechts, wenngleich die Auseinandersetzung mit Gegenmeinungen gelegentlich scharf und etwas unsachlich ausfällt (zB werden gelegentlich Stellungnahmen in wissenschaftlichen Zeitschriften – in denen eine von Kletter abweichende Meinung vertreten wird – als „Rechtsgutachten“ abgetan, etwa § 339 Rz 9, § 342 Rz 136, § 349 Rz 8). Während die Kommentierung von Kletter – Gleiches gilt auch für die Kommentierungen von Felix – durch Gründlich431


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IM ÜBERBLICK]

keit und Genauigkeit positiv hervorsticht, sind an einigen Stellen des Kommentars Lücken, die hoffentlich in der nächsten Ausgabe geschlossen werden: ZB fehlt in der Kommentierung von Blume eine Stellungnahme zu wichtigen beitragsrechtlichen Bestimmungen, die eklatant europarechtswidrige Au-pair-Regelung in § 49 Abs 8 wird – vermutlich deshalb, weil es noch keine Judikatur dazu gibt – so wie die Gesetzesmaterialien nicht einmal erwähnt, ebenso wenig allgemeine Literatur (etwa Lubey, Der Entgeltbegriff des ASVG) zu § 49. Die Dokumentation der verästelten und umfangreichen Judikatur ist vor allem im Leistungsrecht verdienstvoll: Zuverlässig wird die schon recht unübersichtlich gewordene relevante Judikatur dokumentiert. Zusammenfassend liegt jedenfalls eine kompakte Aufarbeitung der Rechtsprechung zum ASVG in Kommentarform vor, einzelne Kommentatoren bieten auch mehr. Auch Praktiker wären dankbar, würde der Kommentar wenigstens bei Bestimmungen, die noch nicht höchstgerichtlich behandelt wurden, relevante Passagen aus den Gesetzesmaterialien bringen. Eine durchgehende Einbindung des Schrifttums würde dagegen die Grundkonzeption des Werks sprengen. Der Gesamteindruck ist jedenfalls sehr positiv, vor allem dem Herausgeber gebührt Respekt für die Leistung. Eine regelmäßige Neuauflage sichert dem Werk auf Dauer einen zentralen Platz im österreichischen Sozialrecht. Reinhard Resch

Anwaltsrecht. Rechtsanwaltsordnung sowie alle relevanten Gesetze, Verordnungen und EU-Richtlinien. 6. Aufl. Von Erich Feil und Fritz Wennig. Linde Verlag, Wien 2010, 824 Seiten, geb, E 128,–.

Die Basis der durch das Berufsrechts-Änderungsgesetz 2010 notwendig gewordenen 6. Auflage des Buches bildet, wie bereits der Untertitel vermuten lässt, die Rechtsanwaltsordnung. Diese wird paragraphenweise übersichtlich aufbereitet, sodass der Leser zu jedem Paragraphen Anmerkungen inklusive Verweise auf weiterführende Literatur und relevante Rechtsprechung findet. Durch das Aufnehmen der wichtigsten bezughabenden Gesetzesstellen aus den jeweiligen österreichischen Gesetzen hat der Leser das Gefühl, umfassend informiert zu werden. Vielfach werden auch Auszüge aus den Gesetzesmaterialien aufgenommen, um dem Leser ein besseres Verständnis der dargestellten Gesetzesstelle zu geben. Gefolgt wird die Darstellung der Rechtsanwaltsordnung von der Geschäftsordnung des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags, wobei diesbezüglich jedoch auf Kommentare verzichtet und lediglich der Gesetzestext abgedruckt wurde. Den zweiten großen Teil des Werks bildet das relevante Europäische Recht. Bieten die Autoren vorerst einen Überblick über das EIRAG in der bereits bei der Darstellung der Rechtsanwaltsordnung aufgegriffenen übersichtlichen und detailreichen Form, so informieren sie danach über die verschiedenen Europäischen Richtlinien und Urteile des EuGH. Die letztgenannten werden durch Auszüge der wichtigsten Leitsätze und der vom Gerichtshof gegebenen Antworten strukturiert und verständlich dargestellt. Die einzelnen Richtlinien werden zumeist lediglich mit ihrem Textlaut dargestellt; bis auf wenige Ausnahmen lassen die Autoren diesbezüglich Anmerkungen vermissen. Im letzten großen Teil des Werks werden die im Berufsrecht relevanten verschiedenen Gesetze und Verordnungen der österreichischen Rechtsordnung behandelt. Dabei werden sowohl die für die Ausbildung zum Rechtsanwalt wichtigsten Gesetze systematisch erfasst und mit Anmerkungen der Autoren strukturiert als auch die Bestimmungen über die jeweiligen Rechte und Pflich432

ten des Rechtsanwalts übersichtlich dargestellt. Das Aufzeigen der wichtigsten organisatorischen Bestimmungen für den Berufsalltag des Rechtsanwalts rundet das Werk schließlich ab. Ergänzt wird die gebundene Ausgabe durch ein Beiblatt, das die nach Drucklegung erfolgten Änderungen der Rechtsanwaltsordnung darstellt. Die Autoren, die selbst jahrelange berufliche Erfahrung haben, schaffen es mit ihrer Neuauflage des Anwaltsrechts, die einzelnen Rechtsgebiete übersichtlich darzustellen. Die Lektüre dieses Werks kann daher jedem Praktiker und jedem an der Materie Interessierten nachdrücklich empfohlen werden. Alfred Kriegler

Recht für Gesundheitsberufe. 5. Aufl. Von Einar Sladecek, Leopold M. Marzi und Thomas Schmiedbauer. Verlag LexisNexis, Wien 2010. 274 Seiten, br, E 39,–.

Nach einer Einführung in die Grundbegriffe der Rechtslehre (1 – 12) und der Staatslehre (13 – 18), in der der Leser erfährt, dass bei einem Verkehrsunfall, den ein französischer Diplomat in Eisenstadt verursacht, die österreichische StVO gilt, das Strafverfahren aber in Frankreich abzuführen ist (Beispiel 13), folgt eine Abhandlung über die österreichische Bundesverfassung (19 – 37) mit Ausführungen zu den Grundprinzipien, dem Weg der Gesetzgebung, den Grund- und Freiheitsrechten (nach Ansicht der Autoren gehört hierzu auch die Menschenwürde, 27) sowie der Vollziehung und der Kontrolle der Staatsgewalt. Die S 38 – 44 informieren über die EU. Auf den S 46 bis 113 widmen sich die Autoren dem Recht der einzelnen Berufe des Gesundheitswesens, beginnend mit den Ärzten (48 – 58) über die Zahnärzte und Dentisten (58 – 61), die Pflegedienste (61 – 70), Hebammen (70 – 75), Sanitäter (76 – 81), Medizinisch-technische Dienste (81 – 88), Kardiotechniker (88 – 91), Masseure (91 – 98), Sanitätshilfsdienste (98, 99), Betreuungspersonen (99), sonstige gewerbliche Berufe im Gesundheitswesen (102 – 104) bis zu den Psychologen (104 – 108) und schließlich Psychotherapeuten (108 – 113). Die S 113 bis 119 erläutern in der Folge Grundzüge des Vertragsrechts, insb des Behandlungsvertrags (116 – 118), darunter auch die Frage nach der Aufklärung des Patienten (116 – 118). Ab S 120 wird der Leser über 13 Seiten in das Haftungsrecht eingeführt und lernt zB, dass ein Weichensteller, der es unterlässt, die Weichen zu stellen, worauf zwei Züge zusammenstoßen, eine Unterlassung zu verantworten hat (121); oder dass der Lieferant eines technischen Geräts zur regelmäßigen Wartung verpflichtet ist. Die S 133 – 157 beschäftigen sich mit den Einrichtungen des Gesundheitswesens, 157 – 165 mit sanitätspolizeilichen Vorschriften, 166 – 181 mit sonstigen für das Sanitätswesen bedeutenden Rechtsvorschriften. Ein großes Kapitel über das Arbeits- und Sozialrecht (183 – 268) schließt das Werk ab, es folgt ein Stichwortverzeichnis. Auf ein Literaturverzeichnis und das Zitieren von Literatur und Judikatur überhaupt haben die Autoren bewusst verzichtet, was seitens des Leserpublikums angeblich „sehr gut aufgenommen wurde“, wie die Autoren in ihrem Vorwort festhalten. Da die Ausführungen auch durchgehend ohne Angabe von Gesetzesstellen auskommen und sohin insgesamt nicht oder nur mühsam überprüfbar sind, wird das Werk wohl insb Schülerinnen und Schüler der Gesundheitsberufe ansprechen, die sich mit diesem „Ballast“ nicht herumplagen möchten. Marco Nademleinsky ÖJZ [2011] 09


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