Adrian Judt
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methodik Tools & Theorie
M.Sc. Adrian Judt UR BAN DESIGN mail@adrianjudt.com www.adrianjudt.com
Wir müssen anerkennen, dass die herkömmlichen, ökonomisch ausgerichteten Herangehensweisen von Architektur und Städtebau gescheitert sind. Denn um mit der hohen Komplexität des Urbanen umgehen zu können ist es notwendig, die Vielzahl an heterogenen Prozessen des Städtischen zu verstehen und greifbar zu machen. Daher ist es an der Zeit die klassischen planerischen Disziplinen neu zu denken und aus einer transdisziplinären Forschung heraus neue Designansätze für sozial nachhaltige und Ressourcen schonende Städte zu entwickeln. Adrian Judt
Relationale Räume Zunächst ist es grundlegend, „Raum“ nicht als physischen Container, sondern als soziale Relation zu begreifen. Basierend auf der Ontologie von materialsemiotischen Netzwerken in Bruno Latours AkteurNetzwerk-Theorie werden menschliche und nichtmenschliche Akteure als gleichwertige Entitäten in dem von ihnen ausgeführten relationalen Netzwerk behandelt. Soziale Relationen sind daher stetig in Bewegung und müssen kontinuierlich durchgeführt werden um eine Stabilität zu entwickeln. Diesen Prozess kann man als Produktion von Raum interpretieren. Während Martina Löw die Relationalität von Raum durch Spacing und Syntheseleistung von Anordnungen (Löw 2001) hervorhebt, unterscheidet Henri Lefebvre zwischen der räumliche Praxis (l’espace perçu), der Repräsentation des Raums (l’espace conçu) sowie den Räumen der Repräsentation (l’espace vécu) (Lefebvre 1974).
offene prozesse In Anbetracht der rhizomhaften Struktur1 dieser sich prozessual und imaginäre produzierenden Räume, vernachlässigen lösungsfokussierte Entwurfsstrategien eine Vielzahl an wichtigen Faktoren. Daher ist es notwendig für die aktive Gestaltung des urbanen Raumes einen erweiterten Gestaltungsbegriff zu Grunde zu legen. Das heißt Design als einen strukturell offen Prozess anzuerkennen, der sich aus seinem jeweiligen Kontext heraus entwickelt. Die spezifische Forschungsfrage und das zu erwartende „Produkt“ müssen sich innerhalb eines Projektrahmens flexibel anpassen können. Mit anderen Worten muss sich Urban Design in unbekannte Richtungen entwickeln und auf unvorhergesehene Ereignisse oder Erkenntnisse reagieren können. Entscheidend dafür ist, dass sich die teilnehmenden Akteure darüber bewusst sind, sich in einem selbstbestimmten Gestaltungsprozess zu befinden. Somit kann jeder folgende Schritt auf Basis einer reflektierten Entscheidung, neuer Einsichten oder veränderte Umstände definiert werden. Durch das Gestalten einer urbanen Situation wird das Verhältnis zwischen Ort, Akteuren und Handlungen verändert. Im
Sinne Christopher Dells muss daher der Designprozess als ‚improvisatorische Praxis’ (Dell 2011) verstanden werden. Der Gestaltungsprozess folgt dabei einer Methode der „Improvisation zweiter Ordnung“(Dell 2011), die angeeignetes Wissen in Form von Regeln und Techniken in ein antizipatorisches Konzept überführt. Diese Strategie beruht auf dem Know-How über unterschiedliche gestalterische Praktiken und deren Anwendung in spezifischen Situationen. In einem abweichenden Kontext können bekannte Handlungsmuster immer wieder modifiziert und angepasst werden, sodass in jeder veränderten Situation Erfahrungen gesammelt und in weitere Handlungsmuster überführt werden können. Dieses kontinuierliche Generieren von neuen Tools und Methoden erweitert stetig den eigenen Katalog an möglichen Gestaltungsstrategien.
1
Strukturbegriff nach Anthony Giddens (Giddens 1984)
The creative process is not just iterative; it’s also recursive. It plays out “in the large” and “in the small”—in defining the broadest goals and concepts and refining the smallest details. It branches like a tree, and each choice has ramifications, which may not be known in advance. Recursion also suggests a procedure that “calls” or includes itself. A model of the creative process created - Jack Chung, Shelley Evenson e Paul Pangaro
RD 30
Counting Cut-Outs Cut-up
0-9
1:1 Studies 24 hour screening
D
A
De-Contextualising Dérive
Action Research Appropriation Audio
The dérive is certainly a technique, almost a therapeutic one. But just as analysis unaccompanied with anything else is almost always contraindicated, so continual dériving is dangerous to the extent that the individual, having gone too far (not without bases, but...) without defenses, is threatened with explosion, dissolution, dissociation, disintegration. And thence the relapse into what is termed ‘ordinary life,’ that is to say, in reality, into ‘petrified life.’ Ivan Chtcheglov
C
Cadavre Exquis Case Study Catalogue
PROCESS
Creative Quarter Oberhafen
Categorize Coding Collage Copy & Paste
Entre Ponts et Berges
Détournement Diagram
Dialog Discussion
Life Projekt Portland Works
Documentation
G
Game
Drawing
Habiter la Petite Ceintrue
E
Exhibition
Depending on what you are after, choose an area, a more or less populous city, a more or less lively street. Build a house. Furnish it. Make the most of its decoration and surroundings. Choose the season and the time. Gather together the right people, the best records and drinks. Lighting and conversation must, of course, be appropriate, along with the weather and your memories. If your calculations are correct, you should find the outcome satisfying. Psychogeographical Game of the Week’ in Potlach #1
H
Holistic approach
Cross-section of a city
F
Field trip Film Flyer
real and virtual spaces
Profitable housing is not about the claimed aesthetics, but about the design possibilities which are open for the user. Building as a process - Lucius Burckhardt, Walter Fรถrderer
RD 30
entwerferische Praxis Sowohl in der universitären Designforschung2 als auch aus der städtebaulichen Praxis stellt sich für eine nachhaltige Entwicklung der Städte die Frage, in welcher Art und Weise Forschung, Partizipation und unterschiedliche Gestaltungsprozesse miteinander verknüpft werden können. Da die „Stadt“ als solches unendlich und unkalkulierbar sein kann, ist es wichtig eine geeignete Rahmung zu finden. Rahmung darf in diesem Sinne aber nicht als festes Set von Plänen und Optionen gedacht werden, sondern muss als offener Gestaltungsprozess bestehen bleiben. Innerhalb eines Entwurfes bedeutet dies, den Gestaltungsprozess nicht zwischen einem unfertigen und einem fertigen Zustand zu definieren sondern um mit Gilles Deleuze zu sprechen, von einem Möglichkeitsraum (Virtualität) und dem aktivieren des Möglichen (Aktualisierung) auszugehen. Somit manifestiert sich ein städtebaulicher Entwurf zwischen der erfahrenen Aktualität und der zu problematisierenden Virtualität.
Aufgrund dieses Verst채ndnisses von Gestaltung im urbanen Kontext ist es notwendig, an der Schnittstelle zwischen k체nstlerischer-wissenschaftliche Forschung und angewandter Entwurfspraxis zu arbeiten. Somit lassen sich in einem idealtypischen Entwurfsprozess drei iterierenden und rekursiven Phasen benennen.
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im Sinne Christopher Fraylings
The resident does not finish the aesthetic given by the architect, but transforms it into an anti-aesthetic which evolves out of a new aesthetic form. Building as a process - Lucius Burckhardt, Walter Fรถrderer
building your own university
Isometry
I
Infographic Installation Interdisciplinary Internet research Intervention »» vimeo.com/44571345
RD30
Iteration
K
Knowledge transfer
Change of Perspective
Interview Improvisation
In improvisation you must be able to dissect the materials of a (…) situation in such a way that you are capable of reassembling them differently. This then liberates you from the pressure to be creative, because it is really only about re-designing. So that is the technique; composition in real-time, which always results in one questioning situations. Everything is questioned – that is the nature of improvisation. And that also constitutes its political nature. There is no lack of alternatives, no facts not worth discussing, there is no classification system that is presented as natural. Christopher Dell
L
Language Literature research Loop
M
Mapping
Cairo Transformations
Matrix Memo Model building Movie »» vimeo.com/44651762
Process diagrams Psychogeography Publication
N
Negotiation
O
Open interview Open process
P
Celebration
Participatory observation Personal experience Photography Performance »» vimeo.com/100282236
La Ville Surealist
Pictographic Plans Poster Presentation
Minimise design activities to enable programmatic interventions Ifau & Jesko Fezer
Urban Living
Phase 1 In der ersten Phase wird der Forschungsgegenstand durch unterschiedliche künstlerisch-wissenschaftliche Methoden wahrgenommen. Dazu eignen sich am besten teilnehmende Forschungen wie beispielsweise die Aktionsforschung. Unter Zuhilfenahme der Grounded Theory (Oertzen 2006) können die aus der aktiven Forschungspraxis, dem eigenen Erfahrungshorizont und einer externen Betrachtung (Inputs, Literatur, ...) gesammelten Informationen weiter verdichtet werden. Durch wiederholtes Clustern und Herstellen von Relationen innerhalb des Materials können die räumlichen und sozialen Eigenheiten und Muster sichtbar gemacht werden. Diese improvisatorische Designpraxis deckt die dem Gebiet inhärenten Potentiale auf und legt das implizite Wissen (Polanyi 1958) der lokalen Akteure offen. Im weiteren Verlauf des Projektes muss dieses Rohmaterial durch eine erweiterte Gestaltungsarbeit für die weitere Forschungs- und/oder Entwurfsarbeit anwendbar gemacht werden.
Phase 2 Die zweite Phase dient der Reflektion durch den gestalterischen Umgang mit dem Rohmaterial. Auf dieser konzeptionellen Ebene werden die erhobenen Daten anhand der Parameter „Funktion, Form und Struktur“3 (Dell 2009) gesampelt und neu geordnet. Dies ermöglicht weitere Erkenntnisse und Varianten in den Prozess einzubinden und das vorhandene Material immer wieder zu re-mixen, um verschiedene Zuordnungen zu testen und zu verwerfen. Der Prozess des Samplings macht deutlich, wie wichtig die mediale Aufbereitung des vorhandenen Wissens ist, um es einerseits verständlich zu machen und andererseits um weitere Verknüpfungen zu ermöglichen. Durch diese Gestaltungsarbeit, also der Kunstfertigkeit4 (Smith 2005) beziehungsweise der improvisatorischen Praxis (Dell 2011) in der Anwendung von unterschiedlichen Analyse- und Darstellungsmethoden wird der Projektgegenstand künstlerisch-wissenschaftlich untersucht und gestaltet. 3 Lefebvre 1970 Funktion = Nutzung, Material, Inhalt, Programm Form = Gestalt, Ordnung, Figur, Rahmen, Idee Struktur = Ensemble von Elementen, Regeln, Relationen 4
‚Connoisseurship’ nach Elliot Eisner
... it is necessary to provide and create minimal structures that do not treat situations in such a way to close them, but to open or make them possible. Derived from this is the demand that design treats relational space topologically, thus producing an approach that might be described as diagrammatic, as catalog-like work in a series. The focus is on creating (meta-)forms as open frames that cause structures to function, thus opening new connections for using urban space and creating structural bases for urban opportunities Structuralism Reloaded - Christopher Dell
RD 30
Q
Quantitative analysis Quotation
All the project tools are already in place; all that’s needed is to reorganise, modify and complete them. Frédéric Druot, Anne Lacaton & Jean-Philippe Vassal
R
Reading Relation Research question
Sketch Social Sculpture Sorting Spatial observation Statistic Story Telling »» vimeo.com/38170428 Strategy Survey
exhibition of research project
cooking for a restaurant coffee break for construction workshop
T
residents hanging out meeting with professor
Take Teambuilding Timeline
1400
Sampling Scenario
4,300
1890
19
opening of the port
WW
8,800
22,000
Alt on a
Ham
bu rg
flows of migration
bu rg
S
start of embankment RD 30
Har
Research diary Reference
Niche +
population landuse
RD 30
Theory Trace
W Walk Wall
Workshop
Z
Zoning
Transcript
RD 30
U
Unitary urbanism
V
Video »» vimeo.com/44651762
View
Landungsbrücken
It is the performative aspect and diagrammatic nature of their pliable structures that makes them relevant in current architectural and urban discourses, where emphasis is placed not on the predefinition of a static and resolved configuration, but on the adjustable accommodation of constantly mutating situations and social dynamics. Reversable City - Teresa Stoppani Foto: Benjamin Becker
Treehauses 2012
Phase 3 Christopher Dell beschreibt in seinem Essay „PostContent“ Subjektivität als Art und Weise wie man Elemente in Verbindung bringt (Dell 2009). Gerade diese gestalterische Intervention macht die Varianz an Möglichkeiten des Forschungs- und Entwurfsprozesses sichtbar. Auf die Projektarbeit bezogen entspräche dies der Interpretation (Projektion) des vorhandenen Materials. Zu den formalen Parametern „Funktion, Form und Struktur“ kommt somit noch der Parameter „Vektor“ hinzu und hebt die persönliche Haltung in dem Gestaltungsprozess hervor. Mit dieser Methode der Subjektivierung wird die Arbeit zwar individuell anfechtbar, doch die Technik des improvisatorischen Vorgehens ermöglichte es, alle Entscheidungen aus dem Material und der eigenen Position heraus begründen zu können. Diese Form des Designprozesses erfordert eine stetige Selbstreflexion und ist von einer hohen Komplexität geprägt. Durch die Formulierung einer eigenen Haltung zu den vorliegenden Gestaltungsfragen wird Improvisation als Designpraxis kontextspezifisch und ermöglicht
ein Maximum an Varianzen im urbanen Raum. Gerade dadurch werden Möglichkeiten eröffnet, in der bestehenden und sich immer verändernden Heterogenität des Urbanen gestalterisch tätig zu werden. Denn wer prozessual gestaltet reagiert nicht nur auf Situationen, sondern gestaltet diese mit (Dell 2009).
BibliograFie Dell, Christopher (2009): PostContent. Für eine Topologie gelebter Räume. In: UDmetalab01, HafenCity Universität, Hamburg, S. 5-17 Dell, Christopher (2009): Grundlagen der Gestaltung in Prozessen. Gestaltung, Urteilskraft und Sampling. In: UDmetalab01, HafenCity Universität, Hamburg, S. 19-31 Dell, Christopher (2011): Replay City. Improvisation als Urbane Praxis, Jovis Verlag, Berlin Frayling, Christopher (1993): Research in Art and Design, Royal College of Art Research Papers, Vol.1, No1, S. 1-5 Giddens, Anthony (1984): Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der Strukturierung, Frankfurt am Main Lefebvre, Henri (1974); Die Produktion des Raums, in: Dünne, Jörg/ Günzel, Stephan (Hrsg.); Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften; Suhrkamp Taschenbuch Verlag; Frankfurt am Main, 2006 Löw, Martina (2001): Raumsoziologie, Frankfurt a. M. Oertzen, Jürgenv. (2006): Grounded Theory, in: Behnke et al (Hg.), Methoden der Politikwissenschaften. Neuere qualitative Analyseverfahren, Baden-Baden, S. 145-154. Polanyi, Michael (1958): Personal Knowledge. Towards a Post-Critical Philosophy. The University of Chicago Press, Chicago Smith, M. K. (2005): ‘Elliot W. Eisner, connoisseurship, criticism and the art of education’, the encyclopaedia of informal education. [www.infed.org/thinkers/eisner.htm. 28.10.2014]
GRafiken Build your own University. Creative Quarter Oberhafen: Pascual Pelzeter + AJ Celebration. Collectivisation of Urban Practices: Urban Design Class 2011 + AJ Cross-section of a city. Change of perspective: Melanie Giza, Paul Krüger, Benjamin Schimmer + AJ Cross-section of a city. Exhibition: Mario Abel, Michael Baltzer, Regina Schubert, Hendrik Wenzel + AJ Intervention in the city. Habiter La Petite Ceinture: Grace Pelletier + AJ Le Fait Urbain. Entre Ponts et Berges: Alessandro Benetti, Emilie Cognard, Ayami Goto, Kim Nam Yung, Oda Moen Most, Paul Perot + AJ Life Project. Portland Works: Chen Guo, Benjamin Balti, Jonathan Orlek, Christopher Carthy, Caroline Goore-Booth, Guy Moulson, Mersedeh Ghyravifard, Bryony Spottiswoode, Scaria Njavally, Ewan Tavendale, Qi Mingyu + AJ Master Thesis. RD 30: Maja Momic + AJ Real and virtual public spaces: Orange Edge + AJ Transformations Urbanity. Niche+: Andrea Behnke, Sanaz Arefi Fard + AJ Transformations Workshop. Cairo: Mohamed Abotera, Sally Ashour, E. Imam, Katalin Gennburg + AJ Treehauses 2012: Lisa Blümel, Lisa Brunnert, Jenny Ohlenschlager, Stefanie Graze, workshop participants, local children + AJ Urban Living. Housing project „Am Mühlenberg“: Ifau & Jesko Fezer + AJ Waterfront City. Landungsbrücken: Philipp Wetzel, Vanessa Weber, Siri Löffelmann + AJ
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