IMPRESS 4 Entwicklung (Thermik Magazin)

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REPORTAGE | Advance Impress 4

Advance-Testpilot Michael Maurer „on glide“ mit einem Prototypen des neuen Impress 4

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ADVANCE IMPRESS 4 XC-GURTZEUG IN DER ENTWICKLUNG

Am Coupe Icare in St. Hilaire war das neue Impress 4 Liegegurtzeug einer der gefragtesten Eyecatcher. Genau genommen wurde zwar noch nicht ein neues Gurtzeug präsentiert, aber ein finaler Prototyp. Man darf also davon ausgehen, dass die neue „Luxusliege“ in absehbarer Zeit zu erwerben sein wird. Grund genug für das THERMIK-Team, am Rückweg nach Österreich Advance und den beiden Gurtzeugentwicklern Bruno Häubi und Patrick Bieri einen Besuch abzustatten … von Adi Geisegger und Norbert Aprissnig Fotos: Adi Geisegger

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ährend wir auf der Schweizer Autobahn Richtung Thun, der Heimat von Advance, steuern, denke ich über die ­ausgemusterten und ­aktuellen Gurtzeuge des Schweizer Herstellers nach. Generell hat sich Advance in den vergangenen Jahren auch einen hervorragenden Ruf in der Gurtzeugentwicklung erarbeitet. Bei den Gleitschirmen gehört die „Entwicklungsschmiede“ aus Thun ja schon seit Beginn des Gleitschirmsports zu den unangefochtenen Marktführern der Szene. Im Bereich der Liegegurtzeuge setzt Advance auf das Impress und das leichte Lightness, Letzteres erfuhr erst Anfang des Jahres durch das Lightness 3 ein erfolgreiches Update. Das Impress 3 hingegen ist schon seit einigen Jahren nicht mehr im Programm. Grund ist eine Entwicklung bei den Liegegurtzeugen, die bereits in die Anfänge dieses Jahrzehnts zurückreicht. Damals wurden die vormals als „Bleiboote“ bezeichneten Liegegurtzeuge, die bis dato nur Spezialisten aus dem Wettkampf vorbehalten waren, massentauglich. Erreicht wurde dies durch eine markante Gewichtsreduktion, die sogenannte „5-kg-Klasse“ war geboren. Gurtzeuge wie das Advance Impress, Supair Skypper oder Woody Valley X-Alps GTO läuteten eine neue Ära der Liegegurtzeuge ein. In den darauffolgenden Jahren sollte der Trend zu „immer leichter“ weitergehen, die damalige „5-kg-­Klasse“ bei den Liegegurtzeugen wurde bis heute von einer Gurtzeuggeneration abgelöst, die nur mehr um die 3 kg wiegt. Die aktuellen Nachfolger der oben angesprochenen Gurtzeuge Impress 3, Skypper und X-Alps GTO heißen Lightness 3, Delight 3 und GTO light. Und wer es noch leichter möchte, findet Gurtzeuge wie das Skywalk Range X-Alps,

Supair Skypper oder das neue F*Race von Ozone. Gurtzeuge, die mehr oder weniger direkt aus der X-Alps-Entwicklung stammen. Wer braucht also eigentlich noch ein Impress 4?

Die Schar der XC-Piloten hat sich eigentlich längst entschieden: Auf Strecke gehen mit den angesprochenen leichten Liegegurtzeugen. Wer es bequemer möchte oder andere Features

Kampfansage: Sportliches „Schlachtschiff“ mit ca. 6 kg Gewicht

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REPORTAGE | Advance Impress 4

Schreibtisch an Schreibtisch: Gurtzeugentwicklung ist auch Teamarbeit

Patrick Bieri (li.) und Bruno Häubi (re.) leiten die Geschicke in der Gurtzeug­ entwicklung beim Schweizer Hersteller

b­ enötigt, muss in die Klasse der Wettkampfgurtzeuge aufsteigen. Circa 8 kg wiegt dann so ein Bolide wie das X-Rated 7 von Woody Valley, bietet viel Komfort, zwei Rettungsgerätecontainer und viele andere Extras, die vor allem im Wettbewerbseinsatz Sinn machen. So gesehen könnte es schon noch eine Zielgruppe zwischen den leichten Liegegurten der 3-kg-Klasse und den „Bleibooten“ und „Hinkelsteinen“ der Wettbewerbsklasse geben. Der französische Hersteller Supair hatte hier schon vor Advance Tatsachen geschaffen und

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Erste Prototypen werden in 3D am Computer gerechnet

im Sommer 2019 den lange angekündigten Nachfolger für das erfolgreiche Skypper lanciert! Fragen über Fragen, für die wir in Thun Antworten erhofften.

Getrennte Entwicklungsschienen für Sitz- und Liegegurtzege Bei Advance treffen wir Patrick Bieri und Bruno Häubi, die beiden Gurtzeugentwickler. Patrick ist primär für die Liegegurte zuständig, Bruno für die Sitzgurte. Sie sitzen Schreibtisch an Schreibtisch und schnell bekommen

wir den Eindruck, dass sich hier auch echte Freunde um die Advance-Gurtzeugentwicklung kümmern. Die Aufteilung in die Sitz- und Liegegurtzeugentwicklung betrifft vor allem die Projektverantwortung und die Arbeit am Computer. Davon abgesehen hilft man sich natürlich gegenseitig, wenn gerade ein aktuelles Projekt ansteht. „Bei der Suche nach Ideen und Lösungen arbeiten wir sehr gut zusammen“, ergänzt Bruno. Wobei wir gleich auf das aktuelle Projekt, das Impress 4, zu sprechen kommen. Patrick ­bestätigt meine Gedanken während der Anreise:

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„Wir wussten lange nicht genau, wie ein neues Impress 4 aussehen sollte, vor allem, um in die bestehende Palette zu passen.“ Zuletzt waren nach unzähligen Prototypen die Fortschritte hoch, sodass das Impress 4 Gestalt annahm …

dem Pflichtenheft umsetzbar werden kann. „Deswegen ist das Pflichtenheft bei uns auch nicht in Stein gemeißelt, sondern erfährt immer wieder Anpassungen“, ergänzt Bruno.

Pflichtenheft des Impress 4

Zurück zum Sitzbrett

Vom ersten 3D-Entwurf zum fertigen Gurtzeug: Etwas mehr als ein Jahr dauert üblicherweise die Entwicklung eines komplexen Liegegurtzeuges. Im Fall des Impress 4 war der Zeitrahmen deutlich länger, weil es eben keinen direkten Vorgänger mehr gibt. Anfangen tut es mit ersten 3D-Zeichnungen am Computer. „Am Computer sehen die Prototypen immer super aus, wenn das Resultat aus der Produktion kommt, ist das leider nicht immer so“, lacht Patrick. Lange vor diesem Schritt steht aber bei Advance eine genaue Marktanalyse. Aus dieser Analyse entsteht ein Pflichtenheft, in dessen Erstellung auch der Verkauf involviert ist. Bei den ersten Prototypen merkt man dann schnell, was aus

Das klingt spannend! Wir sind neugierig! Was wohl im Pflichtenheft des Impress 4 steht? Man gibt uns bereitwillig über die Eckpunkte Auskunft:

Das wohl auffallendste Detail am Impress 4 ist die Tatsache, dass Advance zum Sitzbrett in Liegegurtzeugen zurückkehrt. Beim Vorgänger Impress 3 sprach man noch vom „einzigartigen Lightness-Konzept ohne Sitzbrett mit höchstem Komfort“! „Die Sitzschale war ein Riesenproblem, bis wir die so hatten, wie wir es wollten. Es gab ja eben keinen Vorgänger mit Sitzbrett“, scheint Patrick meine Gedanken zu lesen. Er habe sich übrigens bei der Impress-4-Entwicklung selbst überrascht, denn das Impress 4 funktioniert gegen jede Regel auch ohne Sitzbrett sehr gut … bei identer Einstellung! Schlussendlich wird das Impress 4 etwa 6 kg wiegen, bei relativ robuster Bauweise, aber ohne überladen zu wirken.

• Das Impress 4 war das Advance„Königsgurtzeug“ … und soll es wieder werden • Im Vordergrund steht die Aerodynamik • Zielgruppe: XC-Piloten, daher … • … hohe Bequemlichkeit für lange ­Flugzeiten • … „Beschleunigerthematik“, das heißt Platzierung der Rollen, Rollen­ material … für lange, ermüdungsfreie ­Beschleunigungspassagen

• … Einfachheit (Schließen) … T-BarLösung • … Selbsterklärend (eine alte AdvanceForderung)

Das Feedback der Testpiloten ist wichtig! Michael Maurer nimmt zum Vermessen Platz im Impress-4-Prototypen

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REPORTAGE | Advance Impress 4

Am Schreibtisch eines Gurtzeugentwicklers Verschiedene Prototypen des deutschen „Hardwareherstellers“ Edelrid

Prototypenbau Wie gut die Produktion die Prototypen näht, ist für beide Entwickler rätselhaft. „Obwohl wir recht gut an der Nähmaschine sind, könnten wir das niemals“, meint Bruno anerkennend.

Längst nicht mehr nur Hauptaufhänger: ­Maßgeschneiderter Karabiner im Impress 4 Verkleidet: Auslösegriff für das Rettungsgerät. Im Impress 4 können übrigens (links und rechts) zwei ­Rettungsgeräte „verbaut“ werden.

Drei Wochen ist mindestens eine Person in der Produktion mit einem Prototypen beschäftigt. Es erfordere eine ganz besondere Denkweise, denn um die meisten Nähte innenliegend zu vernähen, wird der Prototype quasi umge-

kehrt von innen nach außen genäht und erst am Schluss umgedreht. Die Schnittmuster für die Teile werden in Thun vorbereitet und dann in die Produktion geschickt. Für das Impress 4 sind es sage und schreibe 250 bis 300

Am Coupe Icare 2019 war das Interesse am Impress 4 groß. In einem finalem ­Prototyp konnte man sogar zu Probe sitzen!

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Breitseite: Die linke Seite des Impress 4 mit Rettungsgriff, Lufteinlassöffnung und Heckflosse

Ventil: In der Lufteinlassöffnung ist eine Membrane verbaut, die die Luft in der Heckflosse verschließt

­ inzelteile! „Auf einem 90 cm breiten PapierE ausdruck braucht man etwa 27 m, um alle Teile unterzubringen“, ergänzt Patrick. Wohlgemerkt mit perfektem „Nesting“. Unter „Nesting“ versteht man das möglichst platzsparende Ineinanderverschachteln der einzelnen Teile, was eine spezielle Software übernimmt.

Materialentwicklung Ein Blick auf den Schreibtisch unserer beiden Entwickler führt zur nächsten Frage. Es „riecht“ ein wenig nach einer Mischung aus Harry ­Potter und MacGyver! Unzählige Teile, Accessoires und Materialmuster sind verteilt. Bruno hat zu meinem fragenden Blick gleich die Antwort parat. „Beim Material wollen wir natürlich immer am neuesten Stand sein. Wir recherchieren relativ viel, fahren auf Messen, vieles ergibt sich aber auch außerhalb der Dienstzeiten, z. B. beim Fliegen. Unsere Augen sind immer offen!“ Dass viele Teile auch speziell für ein Gurtzeug produziert werden, zeigt ein Blick auf die Karabiner. Verschiedenste Karabinerprototypen weisen unterschiedlichste „Nasen“ auf der gegenüberliegenden Seite der „Schnapper-Öffnung“ auf und dienen verschiedensten Gurten, neben

Kompakt: Trotz vieler Funktionen ist das Impress 4 relativ kompakt zum Verpacken im Rucksack

Lufteinlassöffnung zur Befüllung der Heckflosse

der Hauptaufhängung, als Halterung. Übrigens ein gutes Beispiel für die perfekte Kooperation zwischen Advance und dem deutschen Hardware-Hersteller Edelrid.

Testen von Gurtzeugprototypen Mit Patrick von Känel und Michael Maurer sind zwei Testpiloten auch im Wettbewerb und XC vertreten. Perfekt um ein Gurtzeug wie das Impress 4 zu testen. Natürlich testen auch Bruno und Patrick ihre Kreationen. „Meist ist man da nicht ganz objektiv“, meint Patrick

schmunzelnd. Je nach Gurtzeugtyp werden auch externe Piloten um ihre Meinung gefragt. Zum Beispiel professionelle Tandempiloten bei der Entwicklung eines Tandemgurtzeuges. „Wird das Impress 4 eigentlich auch mit Gleitschirmen anderer Hersteller getestet?“, frage ich. „Ja, das machen wir“, antwortet Bruno. „Unsere Gurtzeuge stellen aber immer auch eine Kontinuität dar. Wer ein Lightness 2 geflogen ist, fühlt sich auch beim 3er sehr wohl“, meint Patrick. Aber er bestätigt auch, dass manchmal kleine Korrekturen gemacht werden. So war das Lightness 1 relativ kippelig, eine Eigenschaft, die beim aktuellen Lightness dezent geändert wurde, um mehr Stabilität zu erhalten.

Zurück zum Coupe Icare nach St. Hilaire Am Coupe Icare war der Impress-4-Protoyp jedenfalls stark gefragt. Das „Objekt der Begierde“ war zumeist umlagert, es wurde ­ ­fleißig „Probe gesessen“ und diskutiert. So wie die Besucher am Advance-Stand sind auch wir sehr gespannt und hoffen, schon bald ein Impress 4 zum Fliegen und Testen zu erhalten. Spätestens im Frühjahr 2020 sollte es dann soweit sein … Sitzbrett: Das Impress 4 wurde grundsätzlich mit Sitzbrett entwickelt, kann aber auch ohne Carbonbrett geflogen werden.

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