/advancedadventures Collection #5 Deutsch

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ADVENTURES COLLECTION

MARIO HELLER 2 Advanced Adventures
Foto

Von 0 auf 8000 m ü. M.: Dieses Magazin bringt dich von den Sand- und Palmenstränden in der Karibik, in Dubai und Nizza bis zu den höchsten Gipfeln des Karakorum-Gebirges im Nordosten Pakistans.

Gegensätzlicher – und atemberaubender – könnten unsere Stories nicht sein. Was sie verbindet: Die Lust unserer Piloten, Neues auszuprobieren. Der Gleitschirm ermöglicht, Projekte völlig anders anzugehen und bisher Undenkbares zu realisieren. Dabei werden immer öfter verschiedene Sportarten kombiniert. Solche Combos bringen Sport und Abenteuer auf vielfältige Art zusammen, vom Climb & Fly über Ski & Fly bis zu Volbiv.

Ob in abgelegenen Playgrounds oder in bekannten Terrains: Auf deine Passion und Neugier kommt es an. Ideen entwickeln, aufbrechen, offen sein fürs Abenteuer. Das zählt. Um dieses Erlebnis gehts. Erzähl uns davon auf #advancedadventures. Wir sind neugierig auf deine Story.

Get inspired
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THIS IS CERRO TORRE

Das Trio Roger Schäli, Mario Heller und Pablo Pontoriero reist nach Patagonien. Sein grosses Vorhaben: Ganz oben vom „unmöglichen“ Berg Cerro Torre zu starten.

SUMMIT HUNTERS

Tom de Dorlodot und Horatio Llorens wollen am K2 den Höhenrekord knacken. Und fliegen dabei an einem Tag um vier der höchsten Gipfel der Welt: ihr Grand Slam.

SALZBURGER WASSERSPIELE

Da staunte die Kulturstadt Salzburg! Roland Brunnbauer realisiert einen spektakulären Flug zum Schloss Leopoldskron, Wasserlandung inklusive.

DUBAI FLASHBACK

Chrigel Maurer erzählt von seinen Turbulenzen beim Hike & Fly-Rennen in Dubai und von den Konsequenzen, die er daraus gezogen hat.

FRAUENPOWER AM SCHRECKHORN

Gipfel oder nicht: Bei Caro North und Nadine Wallner entscheidet der Gleitschirm, ob es ihnen gelingt, das anspruchsvolle Schreckhorn zu besteigen.

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INHALT 4 Advanced Adventures

SEGELND INS PARADIES

Unberührte Palmenstrände, Bachata-Rhythmen und anspruchsvolle Startplätze erwarteten Tom de Dorlodot, Adi Geisegger und Robert Blum in der Dominikanischen Republik.

ANZIEHUNGSKRAFT MONT BLANC

Für Fred Souchon ist der höchste Berg der Alpen ein einziger grosser Spielplatz. Mit seinen kreativen Ideen entdeckt er ihn immer wieder neu.

312 KM ABENTEUER PUR

Aaron Durogati verwirklicht in Pakistan spektakuläre Ski & Fly Combos. Und fliegt inmitten der 7000er einen neuen XC-Rekord.

MAGISCHES MATTERHORN

Adi Geisegger, Melanie Weber und Michi Maurer fliegen am Paramotor über das Schweizer Wahrzeichen. Eine einzigartige Perspektive für den ProfiFotografen.

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Inhalt 5

THIS IS

Der Cerro Torre galt lange Zeit als der „unmögliche“ Berg –wegen des anhaltend schlechten Wetters und der starken Winde.

Die 3128 Meter hohe Granitnadel am Rande des patagonischen Inlandeises übt eine starke Anziehungskraft auf Alpinisten aus. Der markante Felsturm gilt wegen seiner steil aufragenden, glatten Wände und dem vereisten oberen Bereich als einer der schwierigsten und zugleich schönsten Gipfel der Welt. Das Trio um Roger Schäli, Mario Heller und Pablo Pontoriero will den Berg nicht nur besteigen, sondern auch vom Gipfel starten.

Es gibt kaum einen Bergsteiger, der nicht von Patagonien gehört hat. Der berühmte Cerro Torre galt lange Zeit als der „unmögliche“ Berg. Mittlerweile spricht man von einem der schwierigsten Berge der Welt – wegen des anhaltend schlechten Wetters und des starken Windes. Keiner wagt dann auch nur an eine Besteigung zu denken. Was das alles mit Gleitschirmfliegen zu tun hat? Manchmal, ganz selten, ist das Wetter stabil. Der sonst so stürmische Wind schläft ein und immer mehr Paraalpinisten träumen vom Gleitschirmfliegen in Patagonien. So auch das Trio um die zwei Schweizer Alpinisten Roger Schäli und Mario Heller sowie dem argentinischen Bergführer Pablo Pontoriero.

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MARIO HELLER

Mario ermöglicht als Tandempilot vielen Menschen den Traum vom Fliegen. Wenn er nicht gerade seine eigenen Träume realisiert, filmt und fotografiert er die von anderen.

ROGER SCHÄLI

Roger ist ein international renommierter Alpinist. Neben zahlreichen KletterExpedition auf der ganzen Welt gilt seine Leidenschaft vor allem dem Eiger. Dort konnte er zahlreiche Erstbegehungen realisieren und ist bereits über 50mal die berüchtigte Eiger Nordwand geklettert.

is Cerro Torre Climb & Fly in Extremis
This
Text RAPHAELA HAUG Fotos MARIO HELLER, ROGER SCHÄLI, CATALINA CLARO
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DIE FELSNADEL CERRO TORRE

In Patagonien muss man geduldig sein, abwarten und hoffen, dass sich ein günstiges Wetterfenster abzeichnet. Solche können manchmal länger oder kürzer ausfallen. „Bei uns zeichnet sich ein fünftägiges Fenster ab“, berichtet Roger, „und ich habe zu träumen angefangen. Sollte ein Start vom Cerro Torre möglich sein? Lohnt es sich, den Gleitschirm einzupacken?“ Wie die meisten Träume fängt auch dieser klein an. „Wir haben unseren Rucksack gepackt und rechnen damit, dass wir

drei oder vier Tage bis zum Gipfel brauchen werden“, erzählt Mario. Wie schwer der Rucksack ist? „Ich hab ihn nicht gewogen und will es eigentlich auch gar nicht wissen Vielleicht so um die 15 Kilo?“ Er lacht und schüttelt den Kopf. „Der Anteil der Flugausrüstung macht jedoch nur 2 Kilo aus und ist sehr kompakt.“

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Lohnt es sich, den Gleitschirm einzupacken? Zum Glück wiegt die Flugausrüstung nur um die 2 Kilo, das senkt die Hemmschwelle beträchtlich.

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– MARIO HELLER –

Teamgeist

EIN LANGER WEG

Am Anfang ist die Landschaft noch lieblich, der Wanderweg schlängelt sich durch die Südbuchten. Immer leicht ansteigend. Hier und da gibt es eine Lichtung, manchmal sogar einen Bach. Je länger die drei laufen, desto näher kommen sie dem Passo Macroni und damit dem Inlandeis. Dieses erstreckt sich über mehrere hundert Kilometer durch Argentinien. Die Landschaft ändert sich, die Lieblichkeit weicht Schnee und Eis. Mühsam laufen sie eineinhalb Tage lang durch den Schnee

bis an den Anfang ihrer Route. Dort treffen sie zwei argentinische Seilschaften, auch diese wollen ihr Glück am Cerro Torre versuchen – allerdings ohne Gleitschirm. Die Aufstiegsbedingungen am Berg sind sehr anspruchsvoll. Roger, Mario und Pablo schliessen sich mit diesen Seilschaften zusammen. Klettern als ein grosses Team, so können sie die Führungsarbeit untereinander aufteilen. Jeweils einer steigt vor, und die anderen werden mit dem Seil von oben nachgesichert. Das Essen wird geteilt und der Schnee für die ganze Gruppe zu Wasser geschmolzen. Aus drei individuellen Seilschaften entsteht ein grosses Team mit dem gemeinsamen Ziel: Cerro Torre. „So einen Teamgeist habe ich am Berg noch nie erlebt“, schwärmt Roger.

So einen
habe ich am Berg noch nie erlebt! Das gibt es weder beim Gleitschirmfliegen noch beim Bergsteigen sonderlich oft.
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ENDLICH. OBEN.

Am vierten Tag erreichen die Alpinisten das Ziel und stehen auf dem Gipfel des Cerro Torre. Ein atemberaubendes Gefühl!

Zur rechten Seite liegt das Inlandeis, Schnee, soweit das Auge reicht. Links ragt die berühmte Fitz-Roy-Gruppe aus der patagonischen Steppe. Gerade vorne dran, weit unten, erkennt man den Ausgangspunkt El Chalten. Und unser Trio? „Wir sind überglücklich und aufgeregt zugleich, denn es steht eine weitere Challenge bevor: der Start auf dem grossen Felsturm. Der Schirm wird gerade erst über unserem Kopf sein, bevor die 1000 Höhenmeter hohe Ostwand vertikal unter unseren Füssen abbricht“, sagt Mario. Ob er nervös sei vor dem Start? „Ja, auf alle Fälle. Wenn du nach fast vier Tagen Wandern und Klettern am Gipfel stehst, der Startplatz keine Fehler erlaubt, Kontrollblicke nicht mehr möglich sind. Ja dann bist du schon nervös“, lacht Mario. Pablo startet als erstes, dann Roger. Mario macht den Schluss. Die anderen Aufstiegspartner warten am Gipfel, bis alle gestartet sind und fangen dann erst mit dem Abseilen an. Entgegen allen Erwartungen geniessen die Flieger einen absolut ruhigen Abgleiter über die atemberaubende Landschaft.

Ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass die Luft in Patagonien so ruhig sein kann. Der absolute Genuss. Nicht ein Rascheln am Schirm.
This is Cerro Torre Climb & Fly in Extremis 11
Advanced Adventures 12

EQUIPMENT

PI 3 Light

Versatility

STRAPLESS 2

Ultralight Mountaineer

WIEDERVEREINIGUNG

Bei der Landung haben die drei Profi-Alpinisten fast Tränen in den Augen. Die Anspannung der letzten Tage ist ihnen anzumerken. „Das war ein unglaublich emotionaler Moment“, gesteht Mario. Im Schnee starten und im Gras landen ist immer etwas Besonderes. Aber nach einer fast viertägigen Tour auf dem Gipfel starten zu können – noch dazu, wenn es nur eine Handvoll Tage im Jahr gibt, an denen der Wind in Patagonien so etwas zulässt und gemeinsam zu landen Ja, das muss etwas ganz Besonderes sein. Ein Gefühl von vollkommener Zufriedenheit. Pures Glück.

Das Trio packt seine Schirme zusammen und ist eine Stunde später zurück in Chalten. Die anderen Aufstiegspartner kommen erst spät am nächsten Tag an. Nichtsdestotrotz freuen sich alle, wieder gemeinsam unten im Dorf zu sein und auf ihren gemeinsamen Gipfelerfolg anzustossen.

ROGER: Startabbruch? Fehlanzeige!

Insgesamt ging ich mit einem guten Gefühl an den Torre. Ich hatte zwar viel Respekt vor dem Startplatz, nicht so sehr vor der Route auf den Gipfel. Aber ich hab mich getäuscht. Die Verhältnisse beim Aufstieg waren nicht gut, die Rucksäcke sauschwer, der Zustieg weit. Es war hart und anspruchsvoll, ich bin an meine Grenzen gestossen! Das i-Tüpfelchen war dann der anspruchsvolle Start. Pablo und Mario sind die besseren Piloten als ich. Ich war froh, dass ich in der Mitte starten durfte. Einmal losgelegt, gibt es kein Zurück, keine zweite Chance. Startabbruch? Fehlanzeige! Umso grösser die Erleichterung, als ich endlich in der Luft war. Wow! Was dann folgte, war ein absoluter Traumflug bei unglaublich ruhigen Verhältnissen.

MARIO : Unglaublicher Teamgeist

Wir sind als Team geklettert, als ein grosses Team. Die nicht fliegenden Seilpartner, unsere argentinischen Freunde, haben uns am Gipfel beim Start unterstützt. Es ist definitiv etwas Anderes, wenn du weisst, da steht noch jemand oben, wartet auf dich. Falls es mit einem Start nicht klappt, kannst du mit ihnen abseilen. Das gibt Sicherheit. So schön es für uns war, so leid haben mir unsere Freunde getan. Wir hatten eine super Zeit beim Aufstieg, und jetzt seilen sie ohne uns ab. Der Rückweg vom Torre in die Zivilisation ist weit, sie sind erst spät am nächsten Tag angekommen. Da wird einem nochmals bewusst, wie privilegiert wir Piloten sind, so leichte, kompakte Schirme zu besitzen, die man einfach mitnehmen kann.

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SALZBURGER WASSERSPIELE

EIN FLUG ÜBER DER KULTURSTADT

Salzburg ist nicht nur für Kultur-Liebhaber, sondern auch für Gleitschirmflieger ein ganz besonderer Ort. Direkt am Rande von Salzburg kann man am Gaisberg das Stadt-Panorama aus der Luft bestaunen. Wenn auch aus der Ferne, denn normalerweise ist es nicht erlaubt, über die Salzburger Altstadt zu fliegen. „Normalerweise“ heisst jedoch nicht, dass es unmöglich ist…

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Ein spektakulärer Flug soll es werden. Da ist sich Acro-Profi Roland Brunnbauer sicher. Sein nächstes Flug-Abenteuer möchte er seiner Wahlheimat Salzburg widmen. Schloss Leopoldskron gehört zweifelsohne zu den historischen Juwelen von Salzburg. Ein aussergewöhnlicher Landeplatz wäre also gefunden. Vom Leopoldskroner Weiher aus, der sich unmittelbar vor dem Schloss befindet, kann man den Gaisberg sehen. Einem Flug steht also nichts im Wege – wäre da nicht die CTR über der Salzburger Altstadt.

EIN BERG MIT BESONDEREN BESTIMMUNGEN

Nicht nur Schloss Leopoldskron, auch der Gaisberg befinden sich mitten in der CTR des Salzburger Flughafens. Für das Fluggebiet muss jeden Tag die TRA beim Tower aktiviert werden. In Richtung Westen ist sie allerdings beschränkt – ein Flug über der Stadt Salzburg ist nicht möglich. Eine Sondergenehmigung ist die einzige Lösung. Zahlreiche Absprachen führen zum Erfolg: Der Tower gibt das Einverständnis, die CTR freizugeben. Auch die Stadtverwaltung genehmigt ein Zeitfenster.

SCHLOSS LEOPOLDSKRON GEHÖRT ZWEIFELSOHNE ZU DEN HISTORISCHEN JUWELEN VON SALZBURG.

ÜBERRASCHUNG IM SCHLOSSGARTEN

Die erste Begehung vor Ort mit dem Foto-Team wirft eine wichtige Frage auf. Der Schloss-Weiher ist umgeben von Bäumen, was eine Landung daneben unmöglich macht. „Wenn ich nicht im Baum landen will, dann muss ich wohl ins Wasser“, stellt Roland fest und ergänzt: „Am besten mit einer Bodenspirale und Wing-Touch“. Bei Acro-Wettbewerben ist eine Bodenspirale die Königsdisziplin, da sie jede Menge Geschick erfordert. „Die Schwierigkeit dabei ist, dass ich viele Dinge beachten muss: Die Spirale mit viel Schwung einleiten, die Umdrehungen genau kalkulieren und im richtigen Moment gezielt ausleiten. Nur bei einer perfekten Bodenspirale berühre ich mit dem Stabilo das Wasser.“

Salzburger Wasserspiele Ein Flug über der Kulturstadt
Text LEANDRA POSSELT Fotos DAVID STEINBACH, ROLAND BRUNNBAUER
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LASSET DIE WASSERSPIELE BEGINNEN

Der Tag der Tage ist gekommen. Als Roland am Startplatz eintrifft, erntet er einige erstaunte Blicke. Nicht etwa mit warmer Kleidung, wie es dem kühlen Wetter angemessen wäre, sondern barfuss und mit Badehose bekleidet wartet er auf eine gute Startphase. Die Wasserspiele mit dem Gleitschirm können beginnen. Für die sichere Bergung aus dem Wasser steht ein Kanufahrer bereit.

Während die Fotografen in Position sind, ist Roland bereits am Himmel zu sehen. Viel Höhe bleibt nicht als er über den Weiher fliegt und sich für die Spirale bereit macht. Aber dennoch genug, um ausreichend Schwung zu holen und in die Spirale überzugehen. Die Freude ist gross als der Stabilo elegant das Wasser streift. Nass, aber glücklich trifft er mit dem Kanufahrer am Ufer ein.

ROLAND BRUNNBAUER

Roland verbringt jede freie Minute beim ACRO-Fliegen und hat den zweiten Platz bei den SynchroWeltmeisterschaften 2021 belegt. Hin und wieder ist er auch mit der Streckenausrüstung unterwegs oder arbeitet „nebenbei“ als Sozial arbeiter.

"

"ICH HABE VERSUCHT JEDEN NOCH SO KLEINEN AUFWIND MITZUNEHMEN, UM MÖGLICHST VIEL HÖHE ZU HABEN.

Dieser Flug ist wohl der beste Beweis, dass ein anfangs unmöglich erscheinendes Vorhaben durchaus möglich sein kann – mit Hilfe von guter Planung und einer Prise Kreativität.

EQUIPMENT
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IMPRESS 4 Accessible Throne
SIGMA 11 Ambitious Cross Country
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Salzburger Wasserspiele Ein Flug über der Kulturstadt
SUMMIT Text BEAT RECK
RAMON MORILLAS, HORACIO LLORENS, ANDREY PRONIN MIT SEINEN FÜNF ACHTTAUSENDERN UND DEN UNZÄHLIGEN SIEBENTAUSENDERN IST DER KARAKORUM EIN EINZIGARTIGER ORT FÜR ENTDECKER UND ABENTEUER. WER REKORDE KNACKEN WILL, IST HIER RICHTIG. UND GENAU DAS WOLLTEN DIE AUSNAHMEPILOTEN TOM DE DORLODOT UND HORACIO LLORENS. IHR GROSSES ZIEL: DER ÜBERFLUG DES K2-GIPFELS. 18 Advanced Adventures
Fotos

HUNTERS

Summit Hunters An den höchsten Gipfeln der Welt
Tom
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ARAKORUM

FOR EVER

Der Karakorum macht süchtig. Wer einmal vor dieser einzigartigen Bergkulisse geflogen ist, will es immer wieder. Deshalb kehrte Tom de Dorlodot schon zum siebten Mal in diesen abgelegenen Erdteil zurück. Es ist ein Ort der Extreme – wie gemacht für Piloten, die Rekorde knacken und neue Routen erschliessen wollen. Für sein neustes Projekt hatte Tom den mehrfachen Acro-Weltmeister Horacio Llorens sowie den Spitzenpiloten Ramon Morillas gewinnen können. Höhepunkt der Expedition sollte ein Überflug über den 8611 Meter hohen K2 sein. Der aktuelle Weltrekord wurde im Jahr 2021 am benachbarten Broad Peak realisiert. Antoine Girard stieg damals auf 8407 Meter.

„Höhenfliegen ist eine Disziplin für sich“, so Tom, „Denn ab 7500 Metern stellt die Thermik meistens ab, dann brauchst du Höhenwinde, um über die Gipfel aufzusoaren. Wenn der Wind zu stark ist, besteht beim K2 die Gefahr, dass es dich nach China bläst. Ein No go. Wenn er zu schwach ist, kommst du nicht hoch.“ Denn aufgrund des geringen Luftwiderstandes in der grossen Höhe beträgt der Grundspeed des Gleitschirmes über 50 km/h.

K
der Gegend des Baltoro-Gletschers zu fliegen ist so ziemlich einer der intensivsten Adrenalinschübe meines Lebens.“ Horacio 20 Advanced Adventures
„In

B ALTORO

BASECAMP

PAKISTAN

CHINA

6286m TRANGO TOWERS

Baltoro Glacier Basecamp

8611m K2 8051m BROAD PEAK 8035m GASHERBRUM 2 7932m GASHERBRUM 4

7276m MUSTHAG TOWER 10 km

8080m GASHERBRUM 1

7821m MASHERBRUM (K1)

Die Karakorum-Region hat fast nur Superlative zu bieten: Nicht nur die höchste Konzentration an höchsten Gipfeln, sondern auch der wohl grösste Talgletscher der Welt. „Die Dimensionen des Baltoro Glacier sind unvorstellbar. Erst aus der Luft bekommst du eine Idee seiner Grösse“, so Tom. „Der Hauptgletscher ist über 60 km lang. Alles Spalten, Séracs und haushohe Eisblöcke. Hier landen? Ausgeschlossen! Unsere Anflugroute zum K2 führt entlang des Baltoro. Er ist das Eintrittsticket zum zweithöchsten Berg der Welt.“

Das Basecamp des Teams (drei Piloten, zwei Guides, ein Koch) befand sich in Paiju auf 3370 Meter, etwas unterhalb der letzten Abbrüche des Baltoro. Einmal installiert, galt es einen geeigneten Startplatz zu finden. „Fast unmöglich. Überall ist es abschüssig, felsig und teilweise überwachsen“, erinnert sich Tom. Also stiegen die drei Piloten erst einmal anderthalb Stunden die Geröllhalden hoch. „Rund 800 Meter über unserem Basecamp wurden wir fündig. Aber wir mussten tüchtig Steine und Buschwerk wegräumen. Am Ende sah das fast wie ein offizieller Startplatz aus.“

PERFEKTER START

Die Piloten erwischten einen perfekten Start: blauer Himmel, zuverlässige, ruhige Thermik bis zu 7 m/s. „Die ersten zehn Tage waren ein Geschenk. Wir konnten Tag für Tag fliegen und die Gegend kennenlernen. Jeden Thermikschlauch auf dem rund 40 km langen Weg zum K2 haben wir ausgecheckt und Optionen durchgespielt“, so Tom. Schon am dritten Flugtag eröffneten die Piloten die Linie zum K2 und soarten an dessen Flanken. Bei 7200 m war jedoch Schluss. Es gab keinen Höhenwind, der die Rekordjäger den Flanken entlang zum Gipfel hochgetragen hätte.

Auf ihren weiteren vier Anflügen zum K2 stiegen die Piloten bis zu 7500 Meter hoch. „Um auf über 7000 zu kommen, brauchst du oft weniger als eine halbe Stunde. Das bringt deinen Körper ans Limit. Er kann sich nicht schnell genug akklimatisieren. Wir waren deshalb mit Sauerstoff unterwegs.“ Tom weiss, wie sich ein plötzliches Blackout anfühlt: „Das ist mir schon zwei Mal passiert. Deshalb wollten wir hier auf Nummer sicher gehen.“

Summit Hunters An den höchsten Gipfeln der Welt 21

EXPLORER

WIE DAMALS

Der Anflug zum K2 war wie der tägliche Arbeitsweg: Er führte über sieben Seitentäler bzw. Seitengletscher bis zu Concordiaplatz, jenem Ort, an dem der Baltoro und der Godwin-Austen-Gletscher zusammenfliessen. „Wir fühlten uns wie die Explorer von damals“, so Tom, „wir entdecken fliegerisches Neuland. Wir überquerten zahlreiche völlig unerschlossene Gebiete und flogen über noch nie bestiegene Gipfel.“ Verblüfft waren die Piloten, als sie an den Flanken des K2 plötzlich einen Adler kreisen sahen. „Wow! Der König der Lüfte. Auf über 7000 Metern. Eine Weile flogen wir mit ihm um die Wette. Dann bog er in Richtung China ab. Wir mussten passen…“

Safety first. Das war die Devise bei allen Flügen. Die Unwegsamkeit des Geländes und die riesigen Distanzen zurück zum Camp schlossen eine Landung praktisch aus. Einmal passierte es trotzdem: Auf einem Rückflug vom K2 verpasste Ramon den Thermikanschluss. Seine letzte Option: Landung beim Basecamp des Broad Peak auf 4900 Meter. Die Alpinisten nahmen ihn für eine Nacht auf. Dann ging’s zu Fuss zurück nach Paiju: zweieinhalb beschwerliche Tage, jeweils über 12 Stunden auf den Beinen.

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Nach den Adrenalinschüben der ersten zehn Flugtage dann die Schlechtwetterwolken und schliesslich der Regen. Doch das Pilotenteam – mittlerweile nur noch Tom und Horacio – liess sich nicht entmutigen: „Wir haben eine Woche ausgeharrt. Dann sind wir in einem Tagesmarsch in die nächste Ortschaft abgestiegen. Endlich mal wieder mit unseren Familien plaudern und frisches Obst essen!“ Dann klart der Himmel endlich wieder auf und es gibt good News: „Für die kommenden Tage ist moderater Höhenwind bei schönem Wetter angesagt. Wir wittern eine letzte Chance“, berichtet Tom.

„Wir wollen das zusammen schaffen. Es ist ein Teamprojekt. Es ist immer gut, einen Freund zu haben, der dich unterstützen kann.“
Summit Hunters An den höchsten Gipfeln der Welt 23
ToM
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huntersSummit
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K2

ER GRAND-SLAM-TAG

Als Tom und Horacio am 19. Juli um 6 Uhr zum Zelt rausschauten, wussten sie: Das ist der Tag. Sie packten Equipment und etwas Proviant ein: Ein hartes Ei und eine gekochte Kartoffel – mehr lag nicht drin bei den wenigen Vorräten, die ihnen noch blieben. Um die Mittagszeit hoben sie ab in Richtung K2. Der Weg führte vorbei an den imposanten Trango Towers. Und weil die Bedingungen so gut waren, steuerten sie auch gleich noch den Muztagh Tower (7273 Meter) an. „Das war eine Premiere.“

Etwas später erreicht das Team den K2. „Es war unser fünfter und letzter Anlauf. Wieder konnten wir auf ca. 7200 Meter aufdrehen. Es gab 15 km/h Wind. Doch es reichte ganz knapp nicht, um dynamisch Höhe zu gewinnen. Klar, waren wir etwas frustriert: Der perfekte Tag, der richtige Wind, wir waren am richtigen Ort – aber uns fehlte einfach das letzte Quäntchen Glück.“

„Okay, haben wir uns gedacht, dann fliegen wir zum nächsten Achttausender weiter.“ Die beiden Piloten flogen über den Baltoro-Gletscher zum 10 km entfernten Broad Peak. Mittlerweile war es später Nachmittag. Auch am Broad Peak spielte der Wind nicht mit. Also gleich weiter zum Gasherbrum IV, dem nächsten Achttausender. „Der Gasherbrum steht perfekt im Wind. Aber auch hier schafften wir es nicht, im dynamischen Aufwind Höhe zu gewinnen.“

Die Täler lagen bereits im Schatten. Es war Zeit, umzudrehen. „Zurück beim Broad Peak hörten wir am Funk einen Hilferuf. Am Broad Peak wird ein Alpinist vermisst. Es gelang uns, aus der Luft erst den Rucksack und dann den toten Bergsteiger zu orten. Wir funkten die traurigen News an die Expedition zurück. Was wird aus seiner Familie? Was bedeutet das für seine Freunde? Das Erlebnis stimmte uns sehr nachdenklich. Und uns wurde wieder bewusst, wie verletzlich wir Menschen in dieser unwirtlichen Gegend sind.“

IM ADVENTURE-PARK

WEIGHTLESS

Less is More Fun

Challenge Yourself

TOM DE DORLODOT

Tom gehört mit acht Teilnahmen zu den absoluten X-Alps-Veteranen. Der Belgier hat unzählige VolBivExpeditionen unternommen. Er reist mit seinem Segelboot rund um die Welt und besucht aussergewöhnliche Gleitschirmspots.

Rückblickend fasst Tom den „Grand-Slam-Tag“ so zusammen: „Als wir nach etwas über sieben Stunden Flug punktgenau zehn Meter neben unserem Zelt landeten, waren wir trotz anfänglichem Frust am K2 sehr stolz und glücklich. Wir waren auf 7550 Meter, hatten vier der höchsten Gipfel angeflogen und dabei neue Routen erschlossen. Wir fühlten uns jederzeit sicher und gut! Was für ein Privileg, so ein Abenteuer zu leben!“

Toms Rekordprojekt ist nicht vom Tisch: „Klar, wer sich Grosses vornimmt, muss auch einstecken. Unsere Expedition war aber auch so ein Erfolg: Die Bilder und Stories, die wir nach Hause bringen, sind einfach unglaublich. Wir werden zurückkehren. Die Menschen hier sind mir ans Herz gewachsen. Das Karakorum ist ein Paradies. Und wir waren während eines Monats die einzigen Piloten drin.“ Übrigens: Der zweite Vorname von Toms Sohn lautet Karakorum.

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EQUIPMENT
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OMEGA
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Text BEAT RECK Fotos ADI GEISEGGER Advanced Adventures 28

CHRIGEL MAURER

Chrigel hat bereits sieben Mal die X-Alps gewonnen, dreimal in Serie den Gesamtweltcup und wurde Europameister. "Der Adler vom Adelboden" ist jedem Gleitschirmpiloten ein Begriff. Sein enormes Wissen gibt er in unzähligen Vorträgen, über die von ihm gegründete X-Alps Academy oder anlässlich von persönlichen Coachings an Piloten und Nachwuchstalente weiter.

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Chrigel Maurers persönlicher Rückblick auf seine Turbulenzen beim Hike & Fly-Abenteuer in Dubai 2021
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„SOARING HOCH ÜBER DER SKYLINE IN DUBAI WAR EINER MEINER BEWEGENDSTEN MOMENTE MEINER GESAMTEN KARRIERE.“

BALD IST ES EIN JAHR, SEIT CHRIGEL MAURER BEIM HOCHKARÄTIGEN WÜSTENEVENT FÜR VERBLÜFFUNG SORGTE. NICHT NUR CHRIGELS KÖNNEN WURDE BEI DIESEM WETTKAMPF DER SUPERLATIVE AUF DIE PROBE GESTELLT, SONDERN AUCH SEIN GEWISSEN. DENN FANS UND FOLLOWERS BEGANNEN KRITISCHE FRAGEN ZU STELLEN: WARUM FLIEGST DU HIER? LÄSST DU DICH KAUFEN? WO BLEIBT DEINE MORAL? CHRIGEL GERIET IN MENTALE TURBULENZEN. WELCHE KONSEQUENZEN HAT ER DARAUS GEZOGEN? HIER SEIN PERSÖNLICHER RÜCKBLICK.

Wer mich kennt, weiss: Ich bin Perfektionist. Ohne klare Strategie und minutiöse Vorbereitung gehe ich nicht an den Start. Auch der Kopf muss absolut ready sein. So bin ich im November 2021 zum UAE Hike & Fly nach Dubai gereist. Allerdings: Wie der Wettkampf genau ablaufen würde, wusste niemand im Detail. Bekannt war, dass wir einen Wolkenkratzer besteigen und dann vom Heli-Pad starten würden. Das reizte mich! Das war neu! Mit mir waren rund 25 TopPiloten am Start.

SENSATIONELLE BILDER

Ich wurde nicht enttäuscht. Schon der erste Wettkampftag bot ein unvergessliches Erlebnis: Effektiv konnten wir das 300 Meter hohe Address Beach Hotel besteigen und auf dem Dach starten. Eine absolute Premiere. Weil das so gut ging, fragten wir, ob wir nach dem Task nochmals vom Dach fliegen durften. Die Bedingungen waren perfekt und wir konnten bis in die Nacht hoch über der Skyline von Dubai am Gebäude soaren. Mein Herz schlug höher: Einer der bewegendsten Momente meiner gesamten Pilotenkarriere. Klar, die sensationellen Bilder und Filme gingen sofort viral.

DIE WUCHT DES BUMERANGS

Die Kommentare liessen nicht lange auf sich warten. Aber anstelle von Likes hagelte es Kritik. Und zwar massiv: Vorwürfe, Ablehnung, Anschuldigungen. Chrigel, wo bleibt deine Moral? Mein Hochgefühl war im Eimer. Wie ein negativer Bumerang kam alles zurück. Vor wenigen Stunden noch war ich überwältigt von Glücksgefühlen. Und nun werde ich zur Zielscheibe der Kritik. So etwas hatte ich noch nie erlebt! Mir war bewusst, dass nicht jeder immer alles gut finden kann, was ich mache. Aber gerade so? Warum diese vorwurfsvollen Kommentare? Was hatte ich falsch gemacht?

WELCOME TO SOCIAL MEDIA

Bereits 2016 reiste ich zu den FAI World Air Games nach Dubai. Damals wurde meine Wettkampfteilnahme weder hinterfragt noch kommentiert. 2021 war das komplett anders. Und so sperrte ich mich in meinem Hotelzimmer ein und klickte mich durch die Plattformen. Ich studierte die Kommentare. Ich wollte verstehen. Das Gedankenkarussell in meinem Kopf begann sich zu drehen: Mache ich da was Schlechtes? Bin ich letztlich käuflich? Kann ich meine Wettkampfteilnahme vor mir rechtfertigen? Nichts als Fragen und Zweifel.

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WAS, WENN ICH SIEGE?

Minutiöses Mentaltraining gehört für mich zu jeder Wettkampfvorbereitung. Ich investiere viel Zeit in die Strategie und habe immer einen Plan B und einen Plan C bereit, falls Plan A nicht klappen sollte. Mein Credo: Alles was planbar ist, musst du planen, damit du auf Unplanbares besser reagieren kannst. Ich versuche alles rational zu beurteilen, kann mich am Ende aber auf mein Bauchgefühl verlassen. Und jetzt? Ich sass in meinem Hotelzimmer und hatte keinen Plan. Was, wenn ich siege? Wird dann die Kritik noch massiver? Werde ich dafür abgestraft? Das Gedankenkarussell drehte sich

„MEIN CREDO: ALLES WAS PLANBAR IST, MUSST DU PLANEN, DAMIT DU AUF UNPLANBARES BESSER REAGIEREN KANNST.“ 34 Advanced Adventures

LETZTE SEKUNDE, LETZTER PLATZ

Die letzte Task des Wettkampfs wurde an einem Hügel am Rande der Al-Faya-Wüste ausgetragen. Ich war im Zielsprint und lag in Führung: Der Sieg und ein hohes Preisgeld waren in direkter Reichweite. Die Hitze machte mir zu schaffen. Sand, soweit das Auge reichte. Ich war am Limit. Und das Gedankenkarussell drehte sich noch immer: Ist dieser Sieg zu rechtfertigen? Wie gehe ich mit den Vorwürfen um? In letzter Sekunde entschied ich mich, neben dem Zielbogen vorbei zu gehen. Damit landete ich in der Tageswertung auf dem letzten Platz. Der Sieg war verschenkt. Ein kurzer Moment des Friedens stellte sich ein – doch gelöst war der Konflikt nicht.

FAIRNESS MUSS SEIN

Als Athlet willst du gewinnen. Deshalb gehst du an den Start. Das ist die Idee des Wettkampfs. Nicht gewinnen wollen – das ist alles andere als fair. Das bin nicht ich. Ebenso wie ich nicht einfach „käuflich“ bin. Ich entschloss mich einen Post abzusetzen. Es war der erste, seit ich in Dubai war. Hier der Wortlaut: “Ich habe so etwas nie zuvor getan und werde es nicht wieder tun, weil es unfair ist. Ich entschuldige mich dafür bei den Teilnehmern, meinen Partnern und der Organisation. Es war eine Art Blackout, das ich bisher so nicht kannte.”

EPILOG

Das UAE Hike & Fly 2021 hat mich auf neues Terrain geführt. Ein Wettkampf, der neue Tasks bietet: Da wollte ich dabei sein! Schaue ich mir die spektakulären Skyline-Bilder wieder an, denke ich: Fliegen ist eine Sache, Werte zu haben eine andere. Top-Profi zu sein bedeutet für mich als Athlet heute, sich auch über Werte Gedanken zu machen. Also nicht nur einen Plan A, Plan B, Plan C, sondern auch einen Plan W(erte) haben. So gehört zu den Wettkampfvorbereitungen auch die Frage: Kannst du hinter dem Event stehen?

Dubai Flashback
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WALLNER

Nadine ist Bergführerin und Skilehrerin. Sie lebt im Wintersportmekka Arlberg in Österreich und konnte bereits zweimal die Freeride Worldtour gewinnen. Wenn sie nicht auf Ski steht, macht sie die Luft oder den Fels unsicher – immer bereit für ein neues Abenteuer.

CARO NORTH

Caro ist Bergführerin und Profialpinistin. Bereits mit 16 Jahren stand sie auf dem 6961 m hohen Aconcagua in Südamerika. Seitdem hat sie zahlreiche Expeditionen nach Patagonien, in den indischen Himalaya, Iran, Armenien, Alaska, Südafrika und ins Yosemite Valley unternommen.

Text RAPHAELA HAUG Fotos J.HELLINGER/EUROPEAN OUTDOOR FILM TOUR NADINE
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FRAUEN POWER

AM SCHRECKHORN

Ein grosses Stück Stoff machts möglich

Die Überschreitung des 4078 Meter hohen Schreckhorns gehört zu den anspruchsvollen Hochtouren der Alpen. Starke Schneefälle machen Caro North und Nadine Wallners Vorhaben erst einmal einen Strich durch die Rechnung. Doch dann stehen die beiden ProfiAlpinistinnen plötzlich mitten im Sommer auf den Tourenskis. Und der Einsatz ihrer Gleitschirme entscheidet über die Durchführung dieses anspruchsvollen Projekts.

FRAUENPOWER AM SCHRECKHORN Ein grosses Stück Stoff machts möglich
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Es ist Anfang Juni und es hat bis auf 2000 Meter geschneit. Die Lawinengefahr in den Alpen ist hoch. Die kommende Hochdruckphase würde sich für eine langersehnte Tour anbieten. Der direkte Zustieg ist jedoch alles andere als sicher. Was machen? „Wie wär’s, wenn wir einfach über die kritischen Hänge fliegen?“, sagt plötzlich Caro und ein Strahlen geht über ihr Gesicht. Kurzerhand packen Caro und Nadine zu ihrer Bergsteiger- und Skiausrüstung auch noch die Gleitschirmausrüstung dazu und steigen in den Zug Richtung Jungfraujoch. Ein Umweg, der jedoch unumgänglich ist.

Wundertüte Gleitschirm

Erst einmal geht es voll bepackt vom Jungfraujoch auf den Tourenskis zur Mönchsjochhütte. Hier verbringen Caro und Nadine ihre erste Nacht. Das nächste Etappenziel ist der Biwakplatz am Fusse des Schreckhorns. Doch dazwischen liegt ein Serac, der 1000 Meter steil in die Tiefe abbricht, und ein grosser abgelegener Gletscher. Sein Name: Eismeer. Der Gleitschirm wird es hoffentlich richten. Was sich immer so einfach anhört, ist in Wirklichkeit meist komplizierter. Fliegen im Hochgebirge erfordert viel Erfahrung. Oft ist der Wind zu stark, die Wolkenbasis zu tief oder das Wetter schlichtweg nicht gut genug.

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„Neben Skitouren-, Bergsteiger- und Biwakmaterial haben wir auch unsere PI 3 mit dabei. Der Rucksack fühlt sich an wie auf Expedition.“

Die Magie des Morgens

Die ersten Sonnenstrahlen berühren die Gipfelspitzen, wenig später leuchten die Berge rundherum im Morgenrot. Ein neuer Tag erwacht und mit ihm bewegen sich Caro und Nadine in Richtung Fiescher sattel. Sie wollen auf der Ostseite des Grossen Fiescherhorns auf fast 4000 m starten. Wetter und Wind passen perfekt. Ein letzter Blick, ein kurzes „guten Flug“ und Caro hebt ab. Nadine hinterher. Gleitzahlen sind mit schwer beladenen Schirmen und Skis an den Füssen schwer zu berechnen und so hoffen die zwei, dass sie hoch genug auf der anderen Seite ankommen. Umso grösser ist das Grinsen, als sie wenig unterhalb ihres Schlafplatzes landen. Der Plan ist aufgegangen, und sie sind sogar noch höher als gedacht. Genial!

„Der Startplatz fordert Konzentration. Er ist ausgesetzt, direkt nach dem Abheben bricht ein Serac 1000 Meter in die Tiefe ab. Was für ein beeindruckender Flug inmitten der 4000er des Berner Oberlandes.“
FRAUENPOWER AM SCHRECKHORN FRAUENPOWER AM SCHRECKHORN Ein grosses Stück Stoff machts möglich 39

Gipfelerfolg ...

Die Nacht im Zelt war kalt. Noch in der Dunkelheit brechen Nadine und Caro auf, um auf den Grat zwischen Lauteraarhorn und Schreckhorn zu klettern. Von dort will das Duo das Schreckhorn überschreiten. Zunächst erfolgt der Aufstieg in einer steilen Flanke und dann auf dem ausgesetzten Grat. Die letzten Meter bis zum Gipfel müssen im Schnee gespurt werden. Es ist anstrengend, mühsam. Einmal oben, ist die Aussicht schlicht überwältigend. Freudestrahlend liegen sich die beiden Frauen in den Armen. Was für ein wahnsinniger Augenblick. „Wir geniessen den Moment, bevor wir über einen teils noch sehr schneereichen Normalweg vom Schreckhorn absteigen und zurück zu unserem Biwakplatz gelangen“, erzählt Nadine. Jetzt kommen auch wieder die Gleitschirme ins Spiel, um zurück ins Tal zu fliegen…

... ist nicht gleich Gleitschirmerfolg

Nur leider hat der Wettergott kein Erbarmen mit den beiden Bergsteigerinnen. Die Wolken sind schnell, schneller als Caro und Nadine. Als die zwei an ihrem Biwakplatz ankommen, stehen sie bereits mitten im Whiteout. Mit maximal ein bis zwei Metern Sicht ist an Fliegen nicht mehr zu denken. Und so warten sie. Warten und hoffen, dass es nochmal aufmacht. „Wir hatten die schlechte Vorahnung, dass wir nochmal eine Nacht in unserem Biwak verbringen müssen, wenn sich die Wolkendecke nicht lichtet“, berichtet Caro. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Schliesslich, ein paar Stunden später und ein paar hundert Höhenmeter tiefer, finden sie ein Loch in den Wolken. Sie packen die Gelegenheit beim Schopf, starten raus und landen wenig später überglücklich in Grindelwald.

„Wahnsinn, dass der Plan doch noch bis am Schluss aufgegangen ist. Die perfekte Kombination von Fliegen und Bergsteigen“, strahlt Caro.

EQUIPMENT PI 3 Light Versatility STRAPLESS 2 Ultralight Mountaineer 40 Advanced Adventures

machts möglich

SCHRECKHORN

Danke an dieser Stelle an Lucien Caviezel und Roger Schäli für die Hilfe. Die komplette Tour gibt es verfilmt in der 20. EOFT.

FRAUENPOWER AM

FRAUENPOWER AM SCHRECKHORN Ein grosses Stück Stoff
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SEGELND INS PARADIES

Tom de Dorlodot überquert mit seinem Segelschiff den Atlantik und will das Streckenflugpotenzial in der Dominikanischen Republik erkunden. Dort trifft er den Fotografen Adi Geisegger und dessen Begleiter Robert Blum. Unberührte Palmenstrände, Bachata-Rhythmen und ein paar richtig anspruchsvolle Startplätze erwarten sie. Inklusive MaultierTrip durch den Dschungel.

Adi Geisegger lässt sich auf sein Bett fallen und zuckt zusammen. Direkt über ihm hängt eine Vogelspinne bewegungslos an der Decke des rudimentär eingerichteten Hotelzimmers. „Und was jetzt?“, fragt er leicht verunsichert in Richtung seines Zimmerkollegen. Robert Blum meint trocken: „Schlafen.“

Wenige Stunden zuvor sind die beiden in Punta Cana gelandet. Es ist Mitte Januar, Winter in Europa. Hier wollen sie den Abenteurer und Gleitschirmprofi Tom de Dorlodot treffen. Eben hat der 37-jährige Belgier den Atlantik mit seinem Segelschiff überquert. Das Trio will auf der Insel fliegen. Adis Mission: Fotos vom neuen Leicht-Streckenflugschirm IOTA DLS schiessen.

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Nach einer für Adi fast schlaflosen ersten Nacht treffen er und Robert am kommenden Morgen unterhalb von Santa Domingo auf Tom. In dessen Schlepptau ein einheimischer Gleitschirmpilot, der den drei Gästen schon einen Fahrer samt Fahrzeug organisiert hat. „Jetzt ist die beste Zeit zum Fliegen, lasst uns gleich losgehen“, meint er.

„Das Streckenflugpotenzial ist durchaus gegeben. Davon zeugt auch der Inselrekord von rund 200 Kilometern.“

Schon wenig später sind die drei in der Luft. Sie soaren an einem Strand, fliegen Wingover, kurven nur Zentimeter über den Baumkronen der dicht bewachsenen

Hänge. Türkis schimmert das Meer unter ihnen. Plötzlich steigt es überall und parallel zur Küstenlinie formen sich schöne Cumuli. Eine Konvergenz, die es dem Trio ermöglicht, weit über das offene Meer hinauszufliegen. Etliche Kilometer weiter landen sie bei untergehender Sonne direkt am Strand. Bachata-Rhythmen läuten das Wochenende auf der karibischen Insel ein. Bei Kokosmilch schmieden sie Pläne für die kommenden Tage. Auf dem Weg ins Zentrum nach Jarabocoa, die eigentliche Heimat der dominikanischen Gleitschirmszene, passieren Tom, Robert und Adi ein Hochtal, wo es laut dem einheimischen Piloten einen schwer erreichbaren Startplatz gäbe. Der perfekte Ausgangspunkt für einem Streckenflug.

Segelnd ins Paradies Und dann ab in die Luft
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Text SÉBASTIAN LAVOYER Fotos ADI GEISEGGER, BENOIT DELFOSSE

„ Bei jedem meiner Abenteuer, ob in der Luft oder auf dem Meer, geht es immer auch darum, den Moment voll auszukosten, bis zum Schluss. “

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Segelnd ins Paradies Und dann ab in die Luft 45

Bei 30 Grad und Luftfeuchtigkeit jenseits der 90 Prozent machen sie sich auf den Weg. Oben angekommen schauen sich die drei Gast-Piloten verdutzt an. Der sogenannte Startplatz bietet gerade einmal Platz, um den Schirm auszulegen und vielleicht knappe zehn Meter Anlauf darüber hinaus. Ein Start ist, wenn überhaupt, nur mit Wind möglich. Wenig später zieht eine Ablösung durch, eine Einladung für X-Alps-Veteran Tom, schon nach wenigen Anlaufschritten hebt er ab, wenig später gefolgt von Geisegger und Blum.

Die Thermik ist stark, es zieht sie förmlich an die Basis. Ein rasanter Auftakt zum ersten richtigen Streckenflug. Einem Höhenzug Richtung Norden folgend, fliegen sie über mit Wollgras bewachsene Hänge, die golden im Sonnenlicht schimmern. Die Flugbedingungen sind blendend, das Tempo hoch. Doch nach rund 40 Kilometern drehen sie um. Typisch Karibik haben sich vor ihnen Cumulus-Wolken aufgetürmt, wenig später folgen die ersten Schauer in der Ferne. Es ist das vorzeitige Ende eines bis dahin fast dreistündigen Streckenfluges.

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„ Es gibt wenige offizielle Fluggebiete, aber diese bieten relativ gute Startplätze und ansprechende Flugbedingungen. Wer mehr Abenteuer sucht, findet auch wenig erschlossene Gebiete. “

Zwei Tage später treffen sich Adi und Robert am Hafen von Samana mit Tom auf dessen Segelschiff. Es ist später Nachmittag, als die drei Europäer in die karibische See stechen. Tom führt seine Besucher in die hohe Kunst des Segelns ein. Schliesslich verbringt er mehrere Monate im Jahr auf dem Boot und ist immer auf der Suche nach exotischem Gleitschirm-Neuland.

Es wird eine kurze Nacht, für Tom auf seinem Schiff, für seine Gäste im Bed’n’Breakfast. Schon früh brechen sie auf Richtung Norden. Ziel: Playa Rincon. Zu Fuss geht’s über einen steilen Steig parallel zur Küstenlinie nach oben auf ein Plateau. Dort treffen sie auf einen Bauern und fragen nach dem Ort, den ihnen die Einheimischen empfohlen haben. Das Flecklein Land, auf das er deutet, wird zu allem Überfluss von einem seiner Zäune gekreuzt. Doch er zeigt sich schnell bereit, diesen kurzfristig abzulegen.

Segelnd ins Paradies Und dann ab in die Luft 47

Trotzdem bleibt der Start eine Herausforderung: Der Platz ist leicht im Lee, der Wind nicht wirklich laminar. Einmal in der Luft, soaren sie über die kristallklare Bucht, den menschenleeren Palmenstrand. Zu ihrer Seite das Kap der Playa Rincon mit seiner atemberaubenden Urwaldvegetation. In einem Mix aus Thermik und Meeresbrise kreisen sie entlang der Küste immer höher über der paradiesischen Landschaft. Es ist der gemeinsame Schlusspunkt ihres karibischen Abenteuers.

TOM DE DORLODOT

Tom gehört mit acht Teilnahmen zu den absoluten X-AlpsVeteranen. Der Belgier hat unzählige VolBiv-Expeditionen unternommen. Er reist mit seinem Segelboot rund um die Welt und besucht aussergewöhnliche Gleitschirmspots.

ADI GEISEGGER

Adi fliegt seit den frühen 90er Jahren Gleitschirm und Drachen. Der gebürtige Österreicher gehört zu den renommiertesten Gleitschirm-Fotografen. Er ist auch immer öfters mit dem Paramotor anzutreffen.

ROBERT BLUM

Der Allgäuer ist ein Urgestein im Gleitschirmfliegen. Er hat einige deutsche Rekorde beim Streckenfliegen aufgestellt und Vol-Biv-Abenteuer u.a. in den Hohen Atlas, nach Nepal und in den Kaukasus unternommen.

EQUIPMENT IOTA DLS Start a New Era WEIGHTLESS Less is More Fun 48 Advanced Adventures
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IMMER WIEDER UND IMMER WIEDER NEU: FRED SOUCHONS LEBENSMITTELPUNKT IST DER MONT BLANC. ALS ALPINIST UND BERGRETTER KENNT ER DAS MASSIV WIE SEINE HOSENTASCHE. SCHON ÜBER 30 MAL WAR ER AUF DEM HÖCHSTEN BERG DER ALPEN. ALS PASSIONIERTER GLEITSCHIRMPILOT ENTDECKT ER IHN IMMER WIEDER NEU. GETREU DEM MOTTO: UNLIMITED FUN. MONT FRED SOUCHON UND DER BERG SEINES LEBENS ANZIEHUNGSKRAFT BLANC Advanced Adventures 50

SEA TO SUMMIT

Es muss nicht immer Chamonix sein: Warum nicht Mal bei 0 m ü. M. starten, um dann vom Mont-Blanc-Gipfel runterzugleiten? Also packten Fred Souchon und Tom Jeanniot ihre Vol-Biv-Ausrüstung und fuhren nach Nizza. Das Mittelmeer rauscht leise. In der Luft Salzgeschmack. Allerdings: Die Meeresluft ist zu stabil, um loszufliegen. Kurzerhand kapern die beiden Piloten zwei öffentliche Fahrräder der Stadt Nizza und sparen sich so 10 km Fussmarsch. Immerhin fliegen sie noch 30 Kilometer an diesem ersten Tag.

VOL-BIV-HERAUSFORDERUNGEN

Wie so oft beim Biwakfliegen ist der Weg das grösste Abenteuer. Die einzelnen Flüge fallen unterschiedlich aus: vom 100-KilometerFlug bis zum Abgleiter. Die Verhältnisse sind wechselhaft. Mal Gewitter, mal heftiger Wind, mal zu stabile Luft. „Normalerweise mache ich meine Vol-Biv-Trips by fair means. Aber dieses Mal sind wir kurz per Anhalter gereist“, kommentiert Fred. „Wir mussten uns entscheiden, entweder früher in Chamonix sein mit der Chance vom Gipfel des Mont Blanc zu starten oder alles bei fair means machen ... und dafür keinen MontBlanc-Gipfel.“

Anziehungskraft Mont Blanc Fred Souchon und der Berg seines Lebens
Text BEAT RECK
SOUCHON, FARNORTH_PRODUCTION
Fotos FRED
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„ NORMALERWEISE MACHE ICH MEINE VOL-BIV-TRIPS BY FAIR MEANS. ABER DIESES MAL SIND WIR KURZ PER ANHALTER GEREIST.“ GENF MONT BLANC NIZZA

ZIEL: 4809 M Ü. M.

Am Morgen des sechsten Tages erscheint magisch der Mont Blanc am Horizont. Gegen Abend erreichen Fred und Tom Chamonix. Jetzt noch direkt aufsteigen? Die Windvorhersage ist verlockend! Nach einer kurzen Diskussion wird der Plan vernünftiger: Erst schlafen, dann nach Planpraz (2000 m ü. M.) hoch, dort starten und versuchen, so nah wie möglich an der Tête Rousse Hütte (3187 m ü. M.) zu landen. So fehlen nur noch 1622 Höhenmeter bis zum Gipfel. Für den Anstieg (auf der Normalroute) tauschen Fred und Tom ihre XC-Ausrüstung gegen PI 3 und STRAPLESS 2. Beides wurde im Vorfeld bei der Hütte deponiert. Fred: „Als wir auf dem Gipfel ankommen, weht der Wind magisch mit 5 km/h aus Süd. Wir sind überwältigt. Und während wir nach Chamonix runtergleiten, sind alle Strapazen der herausforderungsreichen Vol-Biv-Woche schon fast vergessen.“

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ALS WIR AUF DEM GIPFEL ANKOMMEN, WEHT DER WIND MAGISCH MIT 5 KM/H AUS SÜD. WIR SIND ÜBERWÄLTIGT.“

GIPFEL MUSS SEIN

Der Mont Blanc ist mehr als ein Berg. Erst ist ein Paradies, ein Sportplatz, ein Ideengeber, ein Magier und Verführer. Und so vergehen nach dem Sea to Summit-Trip keine drei Monate, bis Fred zu seinem nächsten Mont-Blanc-Abenteuer aufbricht. Eigentlich geht es um ein Streckenflug-Projekt – aber was wäre ein Mont-BlancAbenteuer ohne Gipfelerlebnis? Und so bricht Fred mit seinen Freuden um 2 Uhr morgens von der Cosmiques-Hütte (3613 m ü. M.) auf. Über die steilen Flanken des Mont Blanc du Tacul geht’s zum Hauptgipfel. Der Wind am Gipfel ist einmal mehr perfekt, so dass Fred bereits um 9 Uhr wieder in Chamonix landet – gerade rechtzeitig zum zweiten Frühstück. Soweit der „kleine“ Auftakt zum Drei-Länder-Flug.

FRED SOUCHON

Fred lebt im französischen Bergsport mekka Chamonix. Dort arbeitet er als Bergretter und Bergführer. Er konnte schon weit über 10mal vom Mont Blanc fliegen und hat schon mehrere VolBiv-Expeditionen unternommen wie beispielsweise in den Himalaya oder den Kaukasus.

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Anziehungskraft Mont Blanc Fred Souchon und der Berg seines Lebens

EINMAL RUND HERUM

Wenige Stunden später steht Fred oben am Startplatz bei Planpraz. Dieses Mal mit seiner XC-Ausrüstung: Es gilt, in einem Tagesflug das ganze MontBlanc-Massiv zu umrunden. Die Strecke führt über drei Landesgrenzen, sowie über unzählige abgelegene Täler und Gletscher. Die Flugbedingungen an diesem ersten Septembertag sind vielversprechend. Die Basis steigt im Verlauf des Nachmittags bis auf über 4000 m an.

MASSIVES ERLEBNIS

Die 67 Streckenkilometer, die Fred an diesem Tag zurücklegt, sind an Erlebniswert kaum zu überbieten. Knapp vier Flugstunden voller atemberaubender Schönheit. Fred hätte noch weiterfliegen können, aber die Müdigkeit war zu gross, schliesslich hatte er ja schon die Gipfelbesteigung in den Beinen. Zudem: Die Umrundung des Mont-Blanc-Massivs war perfekt gelungen. Der Flug wird zwar nicht an der Spitze der Tagesrangliste im XContest stehen – das Erlebnis ist aber nicht zu übertreffen. Wenn man mit so einem perfekten Flugabenteuer belohnt wird, stellt man keine weiteren Ansprüche.

ICH HÄTTE AN DEM TAG NOCH LÄNGER FLIEGEN KÖNNEN, ABER ICH WAR MÜDE, HATTE MEIN ZIEL ERREICHT UND WAR AUFS SCHÖNSTE BELOHNT WORDEN.“
MONT BLANC CHAMONIX
CH IT
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TRIENT
FR

DER MIX MACHT’S

Die Franzosen sind Meister im Mixen verschiedener Disziplinen. Sie nennen solche kombinierte Projekte „Combos“. Die ComboMöglichkeiten sind fast unbeschränkt, ihr Erlebniswert ebenfalls. Man darf gespannt sein: Welche Idee oder welchen Traum wird Fred als nächstes verwirklichen? Eins dürfe aber jetzt schon feststehen: Der Inspirator ist kein Geringerer als der Mont Blanc.

PI 3 Light Versatility STRAPLESS 2 Ultralight Mountaineer EQUIPMENT OMEGA XA Challenge Yourself LIGHTNESS 3 Ready to Transit 55
Anziehungskraft Mont Blanc Fred Souchon und der Berg seines Lebens

Abenteuer pur 312km

Können, Mut und Neugier im Karakorum

Jeder Streckenflug hat seine eigene Geschichte. Aaron Durogatis 312-km-Dreieck inmitten von Pakistans 7000er-Kulisse hat eine ganz besondere: Das längste in Asien geflogene FAI-Dreieck entstand, weil Landen schlichtweg keine Option war. Denn im Karakorum ist alles etwas anders.

„Mal sehen, was möglich ist. Mal auskundschaften, was geht.“ Als Aaron Durogati und seine drei Begleiter Fabi Buhl, Will Smith und Jake Holland nach 20 Stunden Karakorum-Highway endlich in Karimabad ankamen, waren sie erst mal überwältigt von der Wucht der hohen Berge: umringt von Siebentausendern, die Achttausender in Sichtweite. Bekannte Namen wie Rakaposhi, Nanga Parbat, K2 und viele mehr.

Es war Aarons erste Reise in den abgelegenen Nordosten Pakistans. Der Weltcupsieger, X-Alps-Athlet und Ausnahmepilot hatte keinen Rekord-Plan, als er Anfang Mai für rund fünf Wochen in

Karakorum aufbrach. Alles was er wollte: „Frei im Kopf werden und das machen, was er kann. Gleitschirmfliegen und Skifahren. Beides in einer neuen Dimension erleben.“ Deshalb der lange Weg ins Hunza-Tal und nach Karimabad. Es solle in jeder Beziehung eine „Life Experience“ werden.

Text BEAT RECK Fotos JAKE HOLLAND, FABI BUHL, AARON DUROGATI
den
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„Wie mit Faktor 10 multipliziert: Im Karakorum ist alles höher, grösser, länger, schwieriger. Das ist die Herausforderung.“
312 km Abenteuer pur Können, Mut und Neugier im Karakorum 57
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Akklimatisation

„Als wir ankamen, war das Wetter instabil. Stürme mit bis zu 80 km/h Windgeschwindigkeit. So konzentrierten wir uns aufs Akklimatisieren: Wetterfenster abwarten, zu Fuss rauf, mit dem PI 3 runter.“ Es galt, fit zu werden für Höhen über 5000 Meter. Bald schon hatten Aron und sein Team die Verhältnisse soweit im Griff, dass sie zu ersten Sky & Fly Combos aufbrachen. Der Hunza-Peak-Gletscher (rund 5000 m ü. M.) wartete mit spannenden Steilhängen auf, und als das Wetter besser wurde, bot der Barbara Peak (5520 m ü. M.) coole Freeride-Erlebnisse. Aarons erstes Learning: Wunderbar, aber ein sehr anspruchsvolles und bisweilen tückisches Terrain. „Das hier ist nicht mehr Sport, das ist Abenteuer.“

Endlich, nach zwanzig Tagen, besserte sich das Wetter und erste Streckenflüge waren möglich. „Die schrittweise Akklimatisierung war mir wichtig, denn ich wollte ohne Sauerstoff fliegen.“ Der erste Streckenflug, ein flaches Dreieck von insgesamt 200 km, war ein Erfolg. Die dünne Luft auf Flughöhen bis zu 6500 m sorgte für Tempo. Aaron benötigte keine sechs Stunden für den Flug. „Meine Absicht war, möglichst weit zu fliegen und möglichst viel zu sehen.“

Als Startplatz für die Streckenflüge hatte Aaron einen Osthang oberhalb Karimabad ausgewählt. Vor jedem Start galt es, zuerst 1000 Höhenmeter zu Fuss hochzusteigen. So auch beim zweiten Streckenflug: ein gleichschenkliges FAI-Dreieck von insgesamt 285 km. Dabei wurde einiges an Lehrgeld gefordert: Die katabatischen Winde – starke Ausgleichswinde, die von den grossen Gletschern herausziehen – machten Aaron einen Strich durch die Rechnung. Das Ziel Karimabad war schon im Gleitwinkelbereich und das Vario zeigte 5000 m Höhe an. Aber nur wenige Minuten später war Aaron gezwungen, in einem abgelegenen Tal zu landen. Der Fussmarsch zurück dauerte dann mehrere Stunden.

Doch kaum hatten die Streckenflug-Aktivitäten so richtig begonnen, stellte sich Aarons Magen quer: „Pakistani-Food ist nicht mein Ding. Ich bin Italiener. Und so hatte ich immer etwas Mühe mit der Speisekarte. Als wir zum nächsten Abenteuer Barbara-Peak aufbrachen, ging es mir plötzlich sehr schlecht.“ Was folgte, war ein Restart: Erst Infektion auskurieren, dann Ruhetag einschalten, dann wieder mit Ski & Fly-Combos weitermachen.

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Aller Anfang ist
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Immer weiter, immer abenteuerlicher

Meine eindrücklichste Ski & Fly Combo : "

Während meine Freunde Fabi und Will sich an den bisher unbestiegenen 5810 m hohen Gulmit Tower machten, hatte ich einen anderen Plan. Er war ebenso abenteuerlich: Ich startete mit dem OMEGA XA in Karimabad (2800 m) und landete auf der schneebedeckten Schulter des Gulmit Towers (5650 m). Der Flug dauerte nur eine knappe Stunde. Um sicher landen zu können, zog ich die Skis schon in der Luft an. Dann ging’s los: Die Abfahrt durch das Couloir war ein Erlebnis der Extraklasse: Meine eindrücklichste Ski & Fly-Combo ever. Deshalb flog ich gleich nochmals hoch, um das Abenteuer zu wiederholen. Was mich ebenso freute: Fabi und Will schafften die Erstbesteigung des Gulmit Towers.

"
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AARON DUROGATI

Landung

Gulmit Tower 5810 m Ski Start Flug 61

Können,
312 km Abenteuer pur
Mut und Neugier im Karakorum
Aaron ist ein absolutes Allround-Talent. Ein Pilot, der sich in allen Disziplinen des Gleitschirmfliegens zu Hause fühlt – XC, VolBiv, Speedflying oder Climb & Fly. Der ehemalige Gesamtweltcupsieger hat bereits fünfmal an den X-Alps teilgenommen und konnte viele namhafte Wettbewerbe für sich entscheiden.

Neuer asiatischer Rekord

Kaum war Aarons Magen wieder im Normalmodus, machte ihm eine harte Landung zu schaffen. „Ich hatte auf diesem Flug ausnahmsweise keinen Protektor dabei. Und so bekam mein Rücken einen Schlag ab.“ Doch trotz Schmerzen stieg Aaron am nächsten Tag mit seinem Omega XA 4 wieder zum Startplatz hoch.

„Ich hatte gemerkt, dass es meinem Rücken im Gurtzeug am besten ging.“ Und so begann Aarons asiatisches Rekord-Abenteuer.

Bis zur ersten Wende war Aaron sehr schnell unterwegs. Dann kamen die schwierigen Momente, in denen er teilweise nur 200 Meter über einer abgelegenen Talsohle flog und 0,1 Meter Steigen auskurbelte. „Jeder Meter Auftrieb war Gold wert. Denn landen und zurück laufen waren keine Option. Das Gelände war viel zu anspruchsvoll, und mit meinem Rücken konnte ich ohnehin nicht laufen. Ich wäre völlig aufgeschmissen gewesen.“ Der letzte Schenkel des Flugs war wiederum effizient. Dank guter Thermik flog Aaron am 7800 m hohen Rakaposhi vorbei zurück zur letzten Wende. Das asiatische Rekordabenteuer war gelungen: 312 Kilometer in 10.30 Stunden.

Eine völlig andere Dimension

„Von der Thermik her gesehen ist das Fliegen ähnlich wie in unseren Alpen. Doch wer im Karakorum unterwegs ist, erlebt alles in einer anderen Dimension: Du machst mehr Höhenmeter und alles ist zehn Mal grösser als bei uns: Die Gletscher, die Spalten, die Seracs. Und vor allem: Du bist ganz auf dich gestellt. Und das bei sehr schwierigem Terrain. Das ist der grosse Unterschied.“ Mit dieser Situation war Aaron während seiner Flüge wiederholt konfrontiert worden. „Hier holt dich kein Heli. Hier wärst du tagelang unterwegs, bis du wieder zurück bist, wenn du überhaupt wieder zurückkommst.“ Dies verlangte ebenso viel Selbstvertrauen wie Gespür: „In den fünf Wochen habe ich gelernt, meinem Bauchgefühl zu vertrauen. Hätte ich bei meinen Entscheidungen nicht auf meine innere Stimme gehört, wäre auch der Rekordflug nicht zustande gekommen.“

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„Streckenfliegen im Karakorum ist nicht mehr Sport, das ist Abenteuer.“
EQUIPMENT
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OMEGA XA Challenge Yourself
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Abenteuer pur Können, Mut und Neugier im Karakorum

MAGISCHES

MATTERHORN

Dieser formschöne Monolith ist der Inbegriff der Schweizer Alpen und ziert die Toblerone-Schachtel. Der Fotograf Adi Geisegger hat den 4478 m hohen Gipfel am Paramotor überfolgen, vor der Linse Melanie Weber und Michi Maurer. Adi berichtet über einen einzigartigen Flug mit überwältigenden Perspektiven.

Es gibt viele Gipfel in den Alpen, doch nur wenige haben solch eine enorme Ausstrahlung wie das Matterhorn. Mich als „fliegenden Fotografen“ liess der Traum, einmal mit dem Gleitschirm im richtigen Licht über diesem Giganten zu kreisen, nicht mehr los! Als ich Michi Maurer von der Idee erzählte, war der Schweizer sofort überzeugt: „Wenn du es versuchen willst, bin ich dabei!“

MIT PLANUNG ZUM ERFOLG

Damit ich den Bergriesen im besten Licht einfangen konnte, würden wir früh morgens starten müssen. Daher konnten wir nicht auf die Thermik zählen, sondern wollten den Paramotor als Aufstiegshilfe nutzen. Grundsätzlich stellte sich die Frage, ob wir mit dem Paramotor überhaupt in der Lage sind, auf über 4500 m zu steigen. Wir führten Testflüge und zahlreiche Optimierungen durch, um das beste Setup zu finden. Zudem durfte mobiler Sauerstoff nicht fehlen, denn eine solche Höhe ohne Akklimatisation lässt uns Flieger schnell höhenkrank werden.

KRITISCHER FAKTOR WIND

Das richtige Wetterfenster zu finden, stellte die grösste Herausforderung dar.

Mit nur 14 PS des Paramotors müssen wir über 4000 Höhenmeter überwinden. Das wird nur funktionieren, wenn uns der richtige Wind dabei hilft. Es vergingen unzählige Stunden vor Isobaren-Karten und Wind-Prognosen, bis sich nach drei Monaten ein mächtiges Azorenhoch ankündigte, das die passenden Wind verhältnisse mitbrachte. Leichter Südostwind bis auf über 4500 Meter Höhe und um die minus 23 Grad – die perfekten Bedingungen für unser Vorhaben.

DER TAG DER TAGE Motorfliegen ist in der Schweiz nicht erlaubt. Dies erschwerte unser Vorhaben und verlängerte den Anflug beträchtlich. Da das Matterhorn auf der Grenze zwischen der Schweiz und Italien liegt, entschieden wir uns, vom Aostatal her aufzubrechen. In der Nähe des Ortes Saint Vincent fanden wir eine geeignete Startmöglichkeit. Kurz nach 7 Uhr war es dann so weit. Unser Startlauf mit vollem Tank und drei Schichten Kleidung hatte es in sich. Als wir abhoben, freuten wir uns umso mehr, einfach nur in der Luft zu sein. Soarend gewannen wir mit schnurrenden Motoren an Höhe.

Text LEANDRA POSSELT Fotos ADI GEISEGGER
Advanced Adventures 64

MELANIE WEBER

Melanie hat vor sieben Jahren das Gleitschirmfliegen für sich entdeckt, als Hike & Fly-, Paramotor- und Streckenpilotin liebt sie es, neue Fluggebiete zu entdecken und so auf einen Trip wie diesen auf Entdeckungsreise zu gehen.

ADI GEISEGGER

Adi fliegt seit den frühen 1990er Jahren Gleitschirm und Drachen. Seit einigen Jahren ist der Fotograf und Filmer auch immer öfters mit dem Paramotor anzutreffen.

MICHI MAURER

Gleitschirmfliegen ist Michi Maurers Beruf. Er ist ein erfahrener Wettkampfpilot und leitet das Testteam bei ADVANCE.

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Magisches Matterhorn Flug über das Schweizer Wahrzeichen
EQUIPMENT EPSILON 9 True Friendship
Advanced Adventures 66
MIT DEM PARAMOTOR IN DER WELT AUS EIS UND SCHNEE
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Magisches Matterhorn Flug über das Schweizer Wahrzeichen

GIGANTISCHE HÖHEN UND EISIGE TEMPERATUREN

Als sich plötzlich beim Überfliegen des ersten Vorberges das Matterhorn wie ein Riese aus Eis und Schnee vor uns erhob, stockte mir fast der Atem. Sofort spürte ich die enorme Anziehung des Berges, die mich schon seit Jahren in meinen Träumen begleitete. Im selben Moment platzierten sich Melanie und Michael vor dem noch weit entfernten Bergriesen. Ich machte die erste Aufnahme – ein mystischer Einstieg in die Welt aus Fels, Eis und Schnee.

DIE MAGISCHE 4000-METER-MARKE

Um uns herum waren alle Gipfel über 3000 Meter hoch und man fühlte sich sehr klein in dieser mächtigen Bergwelt. Der Wind war auf unserer Seite und so stiegen wir an den steilen Felswänden des Punta Budden und Punta Lioy entlang der italienisch-schweizerischen Grenze auf die magische 4000-Meter-Marke zu. Ein Auge am Kamerasucher, das andere am Fluginstrument, um den Luftraum im Blick zu haben und ja nicht in den Schweizer Luftraum einzudringen.

DEM GIPFEL ENTGEGEN

Der Ausblick war überwältigend. Vor uns breitete sich das ganze Monte-RosaGebiet mit den höchsten Gipfeln der Schweiz aus. Das Breithorn (4164 m) und die Dufourspitze (4634 m) glänzten im Gegenlicht. Ich schoss ein Bild nach dem anderen und plötzlich waren wir über dem Gipfel des Matterhorns. Der Traum wird wahr. Der Höhenmesser zeigte 4525 Meter an – wir hatten es geschafft. Die Luft war eisig, aber ohne jede Turbulenz. Wir genossen den Moment in vollkommener Stille, als wir zu dritt über den Gipfel hinweggleiten. Die Sicht um diese Uhrzeit und in dieser Höhe war schier grenzenlos. In diesem magischen Moment dachte ich an die berühmten Worte von Walt Disney: „If you can dream it, you can do it!“

Advanced Adventures 68
IMPRESSUM HERAUSGEBER Advance Thun AG, Uttigenstrasse 87, 3600 Thun, Schweiz IDEE & KONZEPT Simon Campiche LAYOUT 3DELUXE RENDERINGS Mark Oertig KOORDINATION Tobias Rusterholz, Raphaela Haug LEKTORAT Hanspeter Haddenbruch FOTO UMSCHLAG Adi Geisegger SOMMER 2022 ©ADVANCE Impressum
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