Adventures Collection
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Abenteuer beginnen dort, wo man seine Komfortzone verlässt und ein gewisses Risiko hinzukommt.
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Seit 30 Jahren entwickeln wir bei ADVANCE mit grosser Leidenschaft Produkte fürs Gleitschirmfliegen. Es ist schön zu sehen, welche vielseitigen kleinen, aber auch grösseren Abenteuer tagtäglich mit unseren Gleitschirmen, Gurtzeugen und Rucksäcken rund um den Erdball erlebt werden. Die Möglichkeiten sind nahezu unbegrenzt. Es scheint, dass dem Ideenreichtum und der Kreativität unserer Piloten keine Grenzen gesetzt sind. All dies bringt den Sport als Ganzes weiter und ist für uns als Hersteller permanente Inspiration für neue Produkte und noch ausgeklügeltere Details. Lass’ dich durch die spannenden und einzigartigen /advancedadventures-Geschichten in diesem Magazin für eigene Projekte und Micro-Adventures inspirieren. Genau das ist das Ziel unserer Adventure-Plattform – sowohl online als auch auf Papier. Mit der wertigen Aufmachung der Geschichten und den interessanten Hintergrundinformationen in gedruckter Form möchten wir diesen besonderen Abenteuern noch mehr Tiefe und Nachhaltigkeit verleihen. Wir wünschen dir viel Spass beim Blättern durch die erste Adventures Collection. Vergiss’ nicht, deine eigenen Abenteuer in den Social Media mit #advancedadventures zu taggen und zu teilen. Vielleicht schafft es deine Story sogar auf die /advancedadventures Pinwall oder in eine der nächsten Adventures Collection ...
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Adventures around the World 7
Climb & Fly Peru Hoch hinaus in der Cordillera Blanca
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Lake to Lake
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Inhalt
Bayerisch-tirolerische Märchenrunde
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XC Adventure Brazil Auch für Profis ein echtes Abenteuer
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Direttissima 2.0 Auf einer geraden Linie durch die Schweiz
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Go with the Flow „Ich bin dann mal weg ...“
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Faszination Kilimanjaro Sagenhafter Flug vom Dach Afrikas
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Projekt BZ’ALPS Von Nizza nach Ljubljana ohne fremde Hilfe
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Soaring Giants Once in a lifetime
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Balance halten Auf der Highline zwischen zwei Gleitschirmen
56 Trans-Kirgistan Zu Fuss und mit Schirm durchs wilde Kirgistan
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Crossing Borders Indien-Nepal: Quer durch den Himalaya
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Peak Trilogy Eiger, Mönch und Jungfrau an einem Tag
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Inhalt
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Climb & Fly Peru 6
Das Ziel immer im Blick – hier beim Aufstieg zum Tocllaraju.
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Climb & Fly Peru
Climb & Fly Peru
#climbandfly #flyinghigh #peru
Hoch hinaus in der Cordillera Blanca
Für ihren Climb & Fly-Trip in die Cordillera Blanca hatten sich die Bergsteiger und Gleitschirmpiloten Simon Blaser, Julian Zanker, Wolfgang Rainer und Peter Salzmann einiges vorgenommen. Unter anderem wollte die schweizerisch-österreichische Seilschaft vom höchsten Berg Perus, dem 6.768 Meter hohen Huascarán, fliegen und einen Bigwall durchklettern. Starker Wind und anspruchs volle Bedingungen sorgten dabei für so manches Abenteuer.
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Climb & Fly Peru 8
2.700-Hรถhenmeter-Flug vom Gipfel des Vallunaraju (5.686 m, li.) bis nach Huaraz.
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Der Schein trügt: Ein Start über 5.000 m Höhe ist nicht einfach.
Mit insgesamt nur 2,2 kg fiel unsere Flugausrüstung so wenig ins Gewicht, dass wir sie immer dabeihatten. Dadurch konnten wir oft einen Teil des Abstiegs abkürzen. Simon Blaser Mit über 50 Bergen über 5.700 Metern Höhe ist die 180 Kilometer lange Cordillera Blanca die höchste Gebirgskette Amerikas. Höchster Berg der Weissen Kordillere sowie Perus ist der 6.768 Meter hohe Huascarán. Er war eines der Ziele des schweizerisch-österreichischen Bergsteigerquartetts. Sturm und gesundheitliche Probleme eines Teammitglieds vereitelten jedoch diesen Gipfel. In die Luft kamen die vier Alpinisten während ihres Peru-Aufenthalts trotzdem. Peter berichtet: „Nachdem wir alle Vorbereitungen in der 3.052 m hoch gelegenen Stadt Huaraz getroffen hatten, brachten wir unser gesamtes Material mit Hilfe von fünf Eseln zum Basecamp (4.350 m) im Ishinca Valley. Von hier wollten wir unter anderem auf den Tocllaraju (6.032 m) klettern.
Doch vorerst galt unsere Aufmerksamkeit noch der weiteren Akklimatisation und dem lokalen Windsystem.
Der Wind, der Wind ... Zwei Tage warteten wir vergeblich auf einen Talwind. Es herrschte ein starker überregionaler Ostwind, der von Gletscherfallwinden unterstützt wurde und stark und böig talauswärts blies. Wir begannen, Windaufzeichnungen zu führen, und versuchten dann aufgrund unserer Beobachtungen geeignete Flugbedingungen ausfindig zu machen. Der Wind setzte gegen 9 Uhr morgens schlagartig ein, nahm an Stärke und Turbulenz im Tagesverlauf zu und ließ erst gegen Abend hin nach. Die letzte halbe Stunde des Tages war meist die
vielversprechendste. Wir beschlossen, den 5.350 m hohen Urus Este für einen Abendflug zu besteigen.
Aufstieg wider die Logik Entgegen jeder bergsteigerischen Logik, starteten wir gegen Mittag. Dank geringer technischer Schwierigkeiten und nahezu spaltenloser Gletscher war das problemlos möglich. Dennoch ernteten wir einige fragwürdige Blicke entgegenkommender, absteigender Alpinisten. Kurz vor Sonnenuntergang, als vier Gleitschirme vor der eindrücklichen Gletscherkulisse ins Basecamp abglitten, dürfte sich ihr Gesichtsausdruck geändert haben. Wir hatten den Wind richtig eingeschätzt. Als wir am Gipfel ankamen, herrschte nur noch leichter Ostwind und die Luft war nahezu ruhig. Perfekte Startund Flugbedingungen. Freude und Motivation breitete sich in uns aus. Für uns alle war es der erste Start von einem Gipfel über 5.000 m.“
Ortswechsel Nachdem Simon und Julian im Ishanka-Tal durch die Nordwand des Ranrapalca (6.162 m) geklettert und Peter mit
Climb & Fly Peru
Frühmorgendlicher Aufstieg auf den Vallunaraju.
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Nächtliches Lager unterhalb des Tocllaraju.
About Die Schweizer Simon Blaser und Julian Zanker sowie die Österreicher Wolfgang Rainer und Peter Salzmann verbinden ihre Leidenschaft fürs Fliegen (Gleitschirm & Wingsuit) gerne mit dem Bergsport. Bei abenteuerlichen
Wolfgang auf den Ishinca (5.530 m) gestiegen waren, aber beide Seilschaften wegen zu viel Wind nicht von den Gipfeln hatten starten können, wechselten sie nach einem Zwischenaufenthalt in Huaraz ins Paron-Tal. Dort kletterten sie durch die 750 m lange Bigwall (6b/ A0) der Felsformation La Esfinge (5.325 m). Die anschliessende Tour auf den Huascarán Sur (6.768 m) mussten sie wegen gesundheitlicher Probleme eines Teammitglieds und kritischer Bedingungen abbrechen. Mit dem Gleitschirm konnten sie sich jedoch weiter unten den langen Abstieg verkürzen. Zu starker Wind war auch in den folgenden Tagen das Hauptproblem.
direkt der Sonne entgegen nach Nordosten. Ihr Flug führte sie in absolut ruhiger Luft an wilden Gletschern und Felsformationen vorbei direkt nach Huaraz. 2.700 Höhenmeter später landeten sie auf einem Fussballfeld am Rande der 119.000-Einwohner-Stadt. „Unser eigentliches Ziel, vom Huascarán Sur zu fliegen, haben wir zwar nicht erreicht – dennoch blicken wir auf eine interessante Zeit mit vielen neuen Erfahrungen und anderen Erfolgen zurück“, erzählt Peter.
Gipfel-Projekten stellen sich die vier immer wieder neuen Herausforderungen.
Equipment
PI 2
STRAPLESS
Direktflug nach Huaraz Wieder zurück in Huaraz nutzten Peter und Wolfgang die verbleibende Zeit noch für einen Aufstieg auf den Vallunaraju (5.686 m). Um Mitternacht brachen sie auf, um die 1.600 Höhenmeter zu überwinden. Sie erreichten den Gipfel eine Stunde nach Sonnenaufgang. Es war windstill! In aller Ruhe legten sie ihre Gleitschirme aus und starteten
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Lake to Lake
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Lake to Lake
#paramotor #explore #sightseeing
Bayerisch-tirolerische M ärchenrunde
Die Idee trug Adi Geisegger schon lange in sich: einmal die schönsten Bergseen im Drei-Regionen-Eck Allgäu, Tirol und Oberbayern in einem Flug zu einem Dreieck zu verbinden. Mit dem Paramotor kein Problem, wird sich manch Freiflieger denken. Mit nur einer Tankfüllung, komplizierten Talwindsystemen, 140 Gesamtkilometern und nur wenigen Landemöglichkeiten ist es dennoch ein Abenteuer der ganz speziellen Art geworden. Adi berichtet ...
Lake to Lake 13 Dichte Wolkenfelder verlangen hohe Flexibilität.
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Karibik? Nein, der Eibsee am Fusse der Zugspitze!
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Lake to Lake
Der Plansee bietet nur wenige Landemöglichkeiten.
Die Strecke ist alles andere als ein Highway für Motorflieger. Adi Geisegger
Der Plan
Schnelle Entscheidung nötig
Während wir unsere Motoren zum Start vorbereiten, erwacht der Flugplatz in Agathazell im Allgäu in der Nähe von Sonthofen gerade aus der Dämmerung. Um diese Zeit herrscht Bergwind, das heisst, super Startbedingungen für uns. Trotz der bis oben hin mit Benzin gefüllten Tanks heben wir mit nur wenigen Schritten mühelos ab.
Doch alles kommt anders. Die abfliessende Kaltluft aus den Bergen, die normalerweise nur eine Schicht von wenigen hundert Metern ausmacht, reicht heute fast bis auf 1.500 Meter Höhe! Dementsprechend pendelt unser Groundspeed im einstelligen Bereich. Zähe Minuten vergehen. Endlich tauchen wir in eine andere Luftmasse ein. Der Westwind trägt uns schnell über das Tannheimer Tal und den Haldensee hinweg ins Lechtal. Auch in tieferen Lagen geht es jetzt flott voran. Wir erreichen Reutte in Tirol und fliegen Richtung Plansee, die Schlüsselstelle des Projekts. Das Tal des Plansees ist schmal und dicht bewaldet. Am Ufer gibt es kaum Landemöglichkeiten. Wir riskieren den Flug.
Unser Plan war, mit dem Westwind in tieferen Lagen über das Tannheimer Tal und den Haldensee ins Lechtal zu fliegen und von dort über Reutte und den Plansee direkt bis zum Eibsee am Fusse der Zugspitze. Vor den Felsflanken des höchsten Bergs Deutschlands ginge es dann mit dem Ostwind in der Höhe zurück nach Reutte, von dort zu den Märchenschlössern Neuschwanstein und Hohenschwangau und über den Alpsee sowie den Forggensee bei Füssen bis zum Ausgangspunkt Agathazell.
Equipment
EPSILON 8
MOTOR RISERS Aus der Luft betrachtet wirkt das Märchenschloss klein.
Und müssen prompt unerwartet umdrehen. Eine tiefe Wolkenbank versperrt die weitere Route vom Plansee zum Eibsee! Plan B muss her. Kurzerhand weichen wir über den Heiterwangersee aus, um dann
Einst durch einen gewaltigen Bergsturz entstanden: die acht Inseln des Eibsees.
Der Talwind ist jedoch auf unserer Seite. Mit teilweise 70 km/h sind wir schneller als die vielen Urlauber in ihren Autos auf der Strasse. Tief unter uns taucht schliesslich der Eibsee auf. Eine unwirklich anmutende Wasserlandschaft. Die Farben scheinen geradezu surreal, in der glasglatten Wasseroberfläche spiegeln sich einige Wölkchen. Acht kleine Inseln leuchten, bedingt durch die Untiefen an ihren Rändern, türkisgrün aus dem ansonsten tief dunkel blauen Wasser hervor. Ihr Ursprung liegt über 3.400 Jahre zurück. Bei einem Felssturz stürzten damals riesige Felsbrocken ins Wasser. Die geschätzte Energiefreisetzung entsprach 2,9 Megatonnen TNT.
Aus der Luft sieht das Schloss König Ludwigs noch bizzarer aus als vom Boden. An seinen hohen schlanken Türmen fliegen wir vorbei Richtung Forggensee. Der Anflugrechner des Varios zeigt von hier noch eine Stunde Flugzeit an. Gegen den Westwind mit einem Groundspeed immer unter der 30-km/h-Marke und nur noch 2,5 Litern Benzin im Tank könnte es knapp werden …
About Adi Geisegger fliegt seit den frühen 1990er Jahren Gleitschirm und Drachen. In den letzten zehn Jahren ist er auch oft mit dem Paramotor anzutreffen. Auf dieser Märchenrunde begleiteten Melanie Weber und Robert Blum den profes-
Doch der Wettergott ist mit uns. Der Himmel lichtet sich und die Thermik hilft uns beim Spritsparen. Mit Steigen bis zu 4 m/s gleiten wir teilweise im Standgas zurück zum Flugplatz. Nach der Landung macht sich in uns ein Gefühl breit, als wären wir eben aus einem Traum erwacht.
sionellen Fotografen und Filmemacher. Melanie ist begeisterte Paramotorpilotin sowie Hike-und-Fly-Fan, Robert professioneller Tandempilot, Deutscher Streckenflugmeister 2013 und bekannt für seine aussergewöhnlichen Flugrouten und extremen Biwakflüge. Das Fliegen mit Motor war für ihn 2017 eine ganz neue Erfahrung.
Map Source: xcontest.org, Topo XC | Google Maps
Zum Märchenschloss Nach zwei Flügen über dem Eibsee ist abrupt Schluss. Der Blick auf den Spiegel Richtung Tank zeigt nur noch 4,2 Liter. Höchste Zeit für uns umzukehren! Der Rückweg wird gute zwei Stunden in Anspruch nehmen. Wir machen Höhe und freuen uns: Der Blick zum Plansee ist frei, die Wolken haben sich aufgelöst! In uns steigt die Hoffnung, in der östlichen Höhenströmung mit Minimalgas nach Reutte und weiter Richtung Füssen zu unseren beiden letzten Seen, dem Alpsee mit dem berühmten Schloss
Sonthofen
Neuschwanstein
Zugspitze Allgäu-Tirol-Oberbayern: Bergsee-Hopping mit Paramotor.
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Lake to Lake
Glück gehabt
Neuschwanstein und zum smaragdfarbenen Forggensee, zu kommen.
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über Lermoos und Ehrwald zum Eibsee zu gelangen. Wohlwissend um den höheren Spritverbrauch und damit der Gefährdung unseres gesamten Projekts …
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Auf FlĂźgen bis zu elf Stunden werden die OMEGA-Protos umfassend getestet.
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XC Adventure Brazil
XC Adventure Brazil
#xcflying #flatlands #winch
Auch für Profis ein echtes Abenteuer
Möglichst weit zu fliegen ist der Urtraum vieler Gleitschirmpiloten. Der Nordosten Brasiliens ist für seine Streckenflugmöglichkeiten legendär. Im Oktober 2017 brachen deshalb Chrigel Maurer, ADVANCE-Testpilot Patrick von Känel und vier weitere Schweizer Gleitschirmcracks nach Ceará auf, um ein Streckenflugabenteuer der etwas anderen Art in Angriff zu nehmen. Zurückgekehrt sind sie nicht nur mit vollen Kilometerzählern, sondern auch mit prägenden Erlebnissen.
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XC Adventure Brazil 20
Schon die Orientierung in der Weite Brasiliens ist ein Abenteuer fĂźr sich.
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Flachlandfliegen mit Wolkenstrassen vom Feinsten.
Wir starteten an einem kleinen Flugplatz, wo noch nie zuvor ein Gleitschirm in die Luft befördert worden war. Patrick von Känel
Es gilt, den Tag bis zum Sonnenuntergang auszunutzen.
Die beiden bekannten brasilianischen Streckenflug-Hotspots und Weltrekordgebiete Quixadá und Tacima haben ihre Tücken. In dem einen ist es anspruchsvoll zu starten, im anderen muss mit wenig Höhendifferenz unwegsames Gelände überflogen werden. Der Flugreiseveranstalter und Brasilien-Spezialist Andy Flühler hatte deshalb schon lange Ausschau
nach einem neuen Ausgangspunkt für weite Flüge gehalten.
Herausforderung neues Terrain Als er auf dem Provinzflugplatz von Caico endlich fündig wurde, standen zunächst zähe Verhandlungen mit Behörden an. Erst danach konnten die ersten Gleitschirme an der Winde in den Himmel
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Immer der Sonne entgegen – bis sie untergeht.
gezogen und ein lang gehegtes Projekt in Angriff genommen werden: Mit der Unterstützung von Andys Team sollte eine Gruppe hochkarätiger Mitglieder der Schweizer XC-Liga versuchen, die bisherige Bestmarke von 564 Kilometern zu überbieten.
Der frühe Vogel fängt den Wurm Bereits um 6.30 Uhr geht es jeden Morgen los. Bei dem meist herrschenden Wind von 30 km/h ist an der Winde ein Cobrastart unerlässlich. Nach dem Ausdrehen folgt ein leichter Zug am Seil. Die Fahrzeuge fahren langsam los, um dann immer schneller über die 1.000 Meter lange Piste zu donnern. Die beiden mitgebrachten Hochgeschwindigkeitswinden sind effizient. Pro Run werden zwei Gleitschirme parallel geschleppt. Nach dem Klinken 950 Meter über Grund gleiten die Schleppseile am Bremsschirm langsam Richtung Boden. Noch bevor sie ihn berühren, sind sie schon wieder eingerollt. Die Handgriffe der Windenfahrer und Helfer sitzen. Sieben Minuten nach dem Start stehen die Pick-ups wieder am Pistenanfang und die beiden nächsten
Piloten heben den Daumen zum Start. Den Schweizer Piloten wird gleich nach den ersten Flügen bewusst, dass das Streckenfliegen im brasilianischen Flachland ganz andere Fähigkeiten fordert als in den Alpen: angefangen bei der Orientierung und der unendlichen Weite, dem starken Wind bis hin zu den launischen Urubu-Geiern. „Ohne GPS hätten wir keine Ahnung gehabt, in welche Richtung wir fliegen sollen“, erzählt Patrick.
Dem Feuerball entgegen Wenngleich die Orientierung tagsüber schwierig ist – abends ändert sich alles zum Guten. Dann zählt nur noch eines: immer der Sonne gerade entgegen, bis sie um 17.50 Uhr hinter dem Horizont verschwindet. Ist es dann so weit, hat man noch genau eine Viertelstunde Zeit, möglichst weit auszugleiten, einen Landeplatz zu bestimmen, irgendwo in der Pampa aufzusetzen und in den letzten Minuten mit Licht den Schirm zu packen. Nur so kann der gesamte Tag bis zur letzten Minute ausgeschöpft werden. Nur so besteht die Chance, weiter als alle anderen je zuvor zu fliegen. Um 18.05 Uhr ist es stockfinster.
Von 2.500 Metern Höhe mit Blick in die Sonne auszugleiten, während unten die Landschaft schon lange im Schatten liegt und es langsam finster wird, ist einfach unbeschreiblich. Chrigel Maurer
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Herzliche Gastfreundschaft Die Abgelegenheit der Gegend und die einfachen Lebensbedingungen tragen wesentlich zum brasilianischen Streckenflugabenteuer bei. „Die Leute sind extrem freundlich und strahlen eine grosse Lebensfreude aus, obwohl sie fast nichts haben und in sehr einfachen Verhältnissen auf dem Land leben“, erzählt Patrick. Nach der Landung in der Pampa besteht – bis auf den Tracker – meist keinerlei Verbindung zum Team. Man ist auf sich allein gestellt. Oft müssen die Piloten eine kleine Strecke wandern, bis sie irgendwo ein Haus oder eine Siedlung erreichen. Mit einem freundlichen „Bom Dia“ finden sie fast immer den Draht zur einheimischen Bevölkerung. Die Kommunikation erfolgt primär über Zeichen mittels Gestikulieren mit Händen und Füssen. Mit einem Moped bringen die hilfsbereiten Brasilianer den Piloten über eine meist staubige Piste zur nächsten asphaltierten Strasse, wo der Rückholer sie später einsammeln wird.
Erlkönige im Scheinwerferlicht Die aufmerksamen Social Media Follower von Chrigel haben die AD VANCEErlkönige bereits auf den Bildern und Filmen erkannt. Getestet wurde ein neues IMPRESS 4 mit Bürzel und Sitzbrett. Wer sonst als Chrigel Maurer, der Vater der IMPRESS-Serie, wäre dazu besser geeignet? Auf seinen bis zu elfstündigen Flügen konnte er das neue Gurtzeug ausgiebig testen und beurteilen. Bei den ADVANCE-Protos gestaltete sich das Testen etwas schwieriger. Der
Streckenflug-Zweileiner, der für Chri gel bestimmt war, verstellte sich nach ein paar Tagen derart, dass nicht mehr befriedigend mit ihm geflogen werden konnte. Gleitschirmprofis und Testpiloten sind gewohnt, in nächtlichen Trim- und Arbeitseinsätzen an den Schirmen zu arbeiten und diese neu einzustellen. Doch die Mittel waren vor Ort dann doch zu beschränkt, sodass Chrigel wieder auf seinen Boomerang umsatteln musste und nur noch sporadisch gegen Patricks OMEGA-Proto tauschte. Patrick hingegen konnte mit der neuen Wunderwaffe über 50 Flugstunden abspulen und schon aus Brasilien erste Feedbacks an die Entwicklungsabteilung in Thun durchgeben. Mit einem gewaltigen 269 Kilometer langen FAI-Dreieck von Mornera im Tessin am 21. April 2018 konnte er die exzellenten Streckenflugqualitäten des Zweileiner-Protos und sein Können erneut unter Beweis stellen.
About Gemeinsam stark: Sechs Piloten der Swiss-XC-Liga, zwei einheimische Streckenfluglocals, Andy Flühler von „Fly with Andy“ und sein gut organisiertes Winden- und Rückholteam erlebten während des zweiwöchigen Brasilien-Streckenflug-Camps so manches Abenteuer. Auf dem Foto (von li.): Adrian Seitz, Michael Sigel, Jan Sterren, Leandro Padua, Fahrer Dio, Fahrer Zoio, ADVANCE-Testpilot Patrick von Känel, Vagner Campos, Christian Erne, Gebi Aberbächerli,
Gemeinsam stark „Wir sind dieses Abenteuer als Team angegangen und konnten so gemeinsam viel mehr erreichen, als wenn wir das alleine gemacht hätten“, resümiert Chrigel nach seiner Rückkehr in die Schweiz. „Obwohl es aufgrund des zu schwachen Winds nur mässige Tage waren, konnten vier Piloten aus unserer Gruppe Flüge über 500 Kilometer realisieren. Das ist erst fünf anderen Piloten zuvor überhaupt gelungen.“ Nach ihren Starts im Zweierteam hätten sie jeweils konsequent versucht, den ganzen Flug gemeinsam zu bestreiten und so die besten Linien
Auf ihren Flügen bis zu elf Stunden konnten sich die Schweizer schnell ans Flachlandfliegen gewöhnen.
Organisationshelferin Simone, Fahrer Wagner und Chrigel Maurer.
Kartendaten © 2018 Google Track: Mario Arque
Moderne Kunst? Nein, weite Flüge auf der Landkarte!
Als Zweierteam findet man schneller die beste Linie.
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XC Adventure Brazil
einfacher zu finden. Nicht nur in der Luft habe das Team gut funktioniert, sondern auch am Boden. „Ohne den perfekt organisierten Rückholdienst hätten wir in den zwei Wochen vor Ort niemals diese Ausbeute gehabt“, sagt Chrigel. Und selbst mit diesem sei es meistens nicht möglich gewesen, jeden Tag zu starten, weil das Zurückkommen meistens länger gedauert habe als der Flug.
Fortsetzung folgt Für einen Weltrekord hat es letztendlich nicht ganz gereicht, für unzählige persönliche Erfahrungen und prägende Erlebnisse aber schon. Chrigel ist sich sicher: „Wir werden es nächstes Jahr wieder versuchen, denn Streckenfliegen in den abgelegenen Weiten im Nordosten Brasiliens gehört noch zu den echten Abenteuern.“
Patrick von Känel beim Praxis-Langzeittest.
Es war spannend zu sehen, dass wir als Team viel stärker waren, als wenn jeder als Einzelkämpfer unterwegs gewesen wäre. Chrigel Maurer
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Direttissima 2.0
#climbandfly #hikeandfly #direttissima
Direttissima 2.0 Auf einer geraden Linie durch die Schweiz
Im Juli 2017 durchquerte Thomas Ulrich anlässlich eines Hike & Fly Projekts die Schweiz von West nach Ost an ihrer breitesten Stelle. Die Route lag innerhalb eines ein Kilometer breiten Korridors. Auf dieser 330 Kilometer langen „Direttissima“ überwand der bekannte Abenteurer und Fotograf insgesamt 45 000 Höhenmeter, meisterte brüchige Felswände, steile Schluchten, Gletscher und reissende Flüsse. Sein Leichtschirm leistete dabei oft gute Dienste. Wir haben Thomas zu den Herausforderungen seiner Tour befragt.
Direttissima 2.0 27 Schon um nicht ungewollt aus dem 1-km-Korridor zu geraten, ist Orientierung vonnรถten.
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Direttissima 2.0 29 Spaltenreiche Gletscher, Bergschrßnde, Fels und Eis: Der Korridor lässt keine grossen AusweichmÜglichkeiten zu.
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Luftige Abstiege bzw. Kilometer mit dem Gleitschirm sorgen für wunderbare Abwechslung.
Bei diesem Projekt war mir wichtig, dass ich all meine Fähigkeiten, die ich mir im Laufe meines Lebens angeeignet habe, auch einsetzen konnte. Thomas Ulrich
ADVANCE: Erst einmal ganz herzlichen Glückwunsch zu deiner gelungenen Schweiz-Direttissima, Thomas! Merci!
Dieses Projekt sollte auch ein bisschen eine Hommage an all meine Erfahrungen sein, die ich rückblickend auf meinen anderen Touren schon gemacht hatte.
Normalerweise führen dich deine Expeditionen in die entlegensten Regionen der Erde. Was war für dich die grösste Herausforderung auf deiner Route durch die gut erschlossene Schweiz? War es psychisch und physisch ähnlich anspruchsvoll wie deine anderen Expeditionen? Nein (Thomas lacht).
Neben einem SUP kam auch ein Gleitschirm zum Einsatz. Wie oft hast du den Leichtschirm PI 2 nutzen können, um vom Berg zu fliegen? Ich konnte ihn sehr oft einsetzen. Schon beim ersten Berg bei Gruyère nach der anfänglichen Flachlandpassage habe ich ihn gleich genutzt. Es waren mehr so kurze Talflüge, wo ich auf der anderen Talseite im Sektor landen konnte, zusammengepackt habe und dann wieder hochmarschiert bin. Da hatte ich am Tag schon bis zu drei, vier Mal den Schirm im Einsatz. Allerdings habe ich auch rausgefunden, dass es mit Auspacken, Vorbereiten, Landen und dann wieder Einpacken gar nicht unbedingt schneller ist. Aber kräftesparender. Und natürlich macht es auch mehr Spass!
Ich würde es schon eher unter Luxusausführung einordnen, weil mich meine Frau ja mit dem Bus begleitet hat. Vielfach kam ich abends nach zehn bis zwölf Stunden Marschieren an irgendeine Bergstrasse und da wartete schon das Abendessen auf mich. Im Gegensatz zu meinen arktischen Expeditionen, wo ich zuerst das Zelt aufstellen, kochen und alles vorbereiten musste, war das der totale Luxus. Allerdings war das auch die Idee dahinter. Es sollte nicht eine Reise werden wie viele meiner anderen, die mit Entbehrungen zu tun haben und nur mit Leistung und physischem sowie psychischem Druck.
Was waren die grössten Herausforderungen beim Fliegen? Die grösste Herausforderung war, nicht aus dem Korridor herauszufliegen! Schon
Project Ein Land, eine gedachte Linie – 330 Kilometer, 45 000 Höhenmeter, 1 Kilometer Korridor: Das Projekt „Direttissima“ von West nach Ost durch die Schweiz entlang des 160. Breitengrads der Schweizer Landeskoordination ist nicht neu. Erstmals wurde es von einer Grup-
Herausforderungen ohne Ende: Grate, Felsen, ...
pe von Bergsteigern unter Leitung von Markus Liechti 1983 unternommen und damals medial vom Schweizer Radio
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begleitet.
... Canyons, reissende Bergbäche oder weglos ...
... im Nebel: Gut, dass Thomas Allroundbergsteiger ist.
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beim Wandern musste ich zu Beginn ja sehr aufpassen. Beim Fliegen war das noch viel anspruchsvoller. Was war deine längste Strecke, die du fliegend zurücklegen konntest? Der weiteste Flug war im Engadin. Vom Teurihorn oberhalb von Sufers konnte ich über die Roflaschlucht bis an den gegenüberliegenden Berghang fliegen und dort problemlos landen. Bedingt durch eine Konvergenz hatte es super getragen. Ich hätte sogar noch weiter fliegen können, aber ich hatte die Karten nicht zur Hand, und wegen des Korridors wollte ich nichts riskieren. Die Strecke war so um die zwölf Kilometer.
Was war für dich die grösste Überraschung auf deiner Tour? Wie wild die Schweiz eigentlich noch ist. Man könnte meinen, sie sei überbevölkert: Überall gibt es Strassen und Zugänge. Bedingt durch den Korridor war ich gezwungenermassen dort unterwegs. Aber auch an ganz anderen Stellen. Und überrascht, wie wenig Menschen und wie wenig Zivilisation ich teilweise angetroffen habe! Du warst ja gespannt, auf dieser Wiederholungstour von 1983 zu sehen, wie sich die Schweiz über all die Jahre verändert hat. Welche Veränderungen hast du bemerkt? Der auffälligste Unterschied ist sicherlich die Klimaerwärmung. Die Gletscher sind
About Thomas Ulrich ist Abenteurer, Bergführer und Expeditionsleiter. Ausserdem hat sich der gelernte Zimmermann als Fotograf, Kameramann und Vortragender über drei Jahrzehnte international einen Namen gemacht. Alle Infos zu ihm unter: www.thomasulrich.com
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Heisses Abendessen: Ein erfüllter Tag geht zu Ende.
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Der direkte Weg führt durch die Wand: mittels Abseilen.
sehr zurückgegangen. Ich hatte auch Zugriff zu den Karten, die die Erstbegeher des Projekts vor 34 Jahren benutzt haben. An vielen Orten sind sie noch über kleine Gletscher marschiert, die es heute gar nicht mehr gibt. Und sie haben auch viel davon gesprochen, wie sie von den Gipfeln über Schneefelder abrutschen konnten. Also – ich habe nicht viele Schneefelder angetroffen, auf denen ich noch hätte herunterrutschen können! Hast du noch weitere ähnliche Projekte wie dieses oder expeditionsmässig für 2018 schon etwas in Planung? Es wird natürlich meine kommerziellen Reisen zum Nordpol und über Grönland geben, die ich anbiete. Aber ich habe auch ein Projekt mit Stefan Glowacz. Die Details werden wir bald bekannt geben. Da sind wir schon gespannt und wünschen euch eine gelungene Expedition! Herzlichen Dank für das Gespräch, Thomas.
Der „Abstieg“ mittels Schirm macht sichtlich Laune.
Der auffälligste Unterschied zu 1983 ist sicherlich die Klimaerwärmung. Die Gletscher sind sehr stark zurückgegangen. Thomas Ulrich
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Go with the Flow
#crosscountry #epicxc #sightseeing
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Wolkenstrassen und Relief weisen den Weg durch Österreich.
Go with the Flow „Ich bin dann mal weg ...“
Bernhard „Beni“ Kälin bricht bei einem XC-Flug im Wallis gen Osten auf. Spontan reiht der Schweizer an drei aufeinanderfolgenden Tagen drei eindrückliche Streckenflüge aneinander: total 694 Flugkilometer – ohne Vorbereitung und Zahnbürste. Sein Fazit: „Streckenfliegen ohne Plan und ohne Heimweh ist das Beste!“
Spontan gen Osten Mit meist nur schwachem Steigen sind die Voraussetzungen nicht die besten, als Bernhard Kälin am 4. Juli von der Riederalp im Oberwallis zu seinem Flug gen Osten aufbricht. In neun Stunden und zwei Minuten fliegt der Fluglehrer von „Chill Out Paragliding“ auf der Walliser Rennstrecke über den Furkapass und Andermatt in die Surselva, dann über Chur, Klosters und die Silvretta bis nach Tirol. Im Inntal kurz vor Tösens landet er schliesslich. Nach den mühsam erkämpften 213 Kilometern ist ihm klar, dass es schwierig wird, noch nach Hause zu kommen. Er beschliesst, in Österreich zu übernachten und „am nächsten Tag weiterzusehen“. Venedig – menschenleer: morgens am Canal Grande.
Go with the Flow
Mässiger Westwind. Zurückfliegen ist keine Option. Beni hasst es, gegen den Wind zu fliegen. Ausserdem ist der 31-Jährige das erste Mal in Österreich. Warum also nicht die österreichischen Alpen aus der Luft erkunden? Pitztal, Ötztal, Stubai, Brenner und Zillertal: alles bekannte Namen, die er schon oft gehört hat. Bei seinem acht Stunden und 233 Kilometer langen Flug kann er sich endlich ein Bild zu den Namen machen. Benis Route führt über das Kaunertal, Pitztal, Ötztal, Stubai, Zillertal, an der Südseite des Pinzgaus entlang und am Kitzsteinhorn vorbei. Wegen viel Seitenwind beschliesst er dann, nach Süden abzubiegen. Keine gute Entscheidung. Zehn Minuten später landet er 2.000 Meter tiefer im Nordföhn bei der Tauernautobahn. Nach einstündigem Trampen nimmt ihn ein österreichischer Pilot mit nach Antholz in Südtirol.
Route
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Map Source: xcontest.org, Topo XC | Google Maps
Zurückfliegen ist keine Option
Minuten, wo er unter anderem die Rieserfernergruppe und die Karnischen Alpen erkundet, landet er bei Givigliana, einem kleinen Nest in Friaul/Italien. Sein Kommentar: „Wer kümmert sich schon darum, wie er nach Hause kommt?“ Nach einer Nacht in Venedig fährt Beni am nächsten Tag mit dem Zug über Mailand zurück nach Interlaken. Hinter ihm liegen drei intensive Tage, an denen er mehr Zeit in der Luft als mit Schlafen verbracht hat.
About Bernhard „Beni“ Kälin wurde 1986 geboren und fliegt seit 2005 Gleitschirm.
Es kommt anders als geplant
Seit 2009 ist er Fluglehrer bei „Chill Out
Benis Plan für den nächsten Tag: vom Startplatz Grente zurück in die Schweiz zu fliegen. Er hat schon jeden Bahnhof in Graubünden im Kopf und weiss genau, wann von wo der letzte Zug nach Interlaken fährt. Während des Fliegens kämpft Beni gegen den Wind, doch der wird stärker und stärker. Piz Palü und Piz Bernina scheinen endlos weit weg. Westlich von Meran gibt Beni schliesslich das Ziel Schweiz auf. Er will den guten Tag lieber nutzen, um weit zu fliegen, statt gegen den Wind zu stehen. Und er nutzt ihn! Mit 246 Kilometern wird es sein bisher längster Flug. Nach acht Stunden und 50
Paragliding“. Neben dem Speedflying fasziniert den Interlakener vor allem das Streckenfliegen. Sein Lieblingsfluggebiet ist der Niesen südlich des Thunersees.
Wer kümmert sich schon darum, wie er nach Hause kommt ... :)
Equipment
Beni Kälin
SIGMA 10
LIGHTNESS 2
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Faszination K ilimanjaro
#hikeandfly #explore #tanzania
Faszination Kilimanjaro Sagenhafter Flug vom Dach Afrikas
Das Kilimanjaro-Massiv ist mit 5.895 Metern die höchste Erhebung Afrikas. Wer hier fliegen möchte, braucht eine Bewilligung. Seit 2017 ist diese relativ einfach zu erhalten. Die grosse Höhendifferenz von knapp 5.000 Metern, das Wetter und der dichte Urwald am Fusse des Berges stellen Gleitschirmpiloten allerdings vor eine anspruchsvolle Aufgabe. Diese Erfahrung machte auch Julian Beermann.
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Faszination ÂK ilimanjaro
Bild Highres von FLO rein
Ein Moment fĂźr die Ewigkeit: Julian geniesst die luftige Perspektive im weichen Morgenlicht.
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Faszination ÂK ilimanjaro
Faszination K ilimanjaro 39 Flugzeugperspektive: Mit dem Gleitschirm 4.500 Meter über Grund – das erleben Piloten nicht alle Tage.
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Ein Flug, den man als Gleitschirmpilot nicht jeden Tag erlebt. Julian Beermann
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Faszination K ilimanjaro
Winziges Startfenster Schon einmal hatte Julian mit einer Spezialbewilligung 2017 versucht, vom höchsten Berg Afrikas zu fliegen. Aber das Wetter hatte dem Schweizer Bergführer und seinem Gast einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das Kilimanjaro-Massiv liegt in der äquatorialen Tiefdruckrinne. So herrschen zwar oftmals keine starken überregionalen Winde, aber die Überentwicklung im Tagesverlauf vereitelt einen Start meist schon am frühen Vormittag. „Nur wer bereits zum Sonnenaufgang am Gipfel steht und schnell startklar ist, hat eine Chance auf gute Flugbedingungen“, sagt Julian. Wem dies dann vergönnt sei, der erlebe einen Flug der Superlative über eine wohl einmalige Landschaft. „In der Ferne erstreckt sich das Massai-Land mit weiten, trockenen Ebenen. Etwas höher liegen Bananen-, Kaffee-, Mango-Plantagen und wilde Urwälder, während ganz oben in Gipfelnähe mondartige Gerölllandschaften und Gletscher das Bild dominieren.“
Akklimatisation ist alles Wie bei jedem Hike & Fly steht auch hier vor dem Start zunächst der Aufstieg. Vom Ende der letzten Fahrstrassen müssen dabei – je nach Route – etwa 4.200 Höhenmeter überwunden werden. Der Anstieg gilt zwar als technisch einfach, doch eine ausreichende, körperliche Anpassung an die große Höhe ist entscheidend für einen Erfolg. Um das ernsthafte Risiko einer Höhenkrankheit zu minimieren, werden deshalb sieben Tage empfohlen.
Nachdem er das eine Mal zusammen mit seinem Gast nicht hatte starten können, war für Julian klar, dass er es bei seinem nächsten Kili-Besuch erneut versuchen würde. Die Anstrengungen des Aufstiegs waren für ihn schliesslich nichts Neues. Mit Gästen hatte er schon sechs Mal auf der höchsten Erhebung Afrikas gestanden. Und auch bei seinem siebten Mal gemeinsam mit einer Gruppe von Gästen und anderen Bergführern nimmt er seinen Gleitschirm mit. Sollte sein Flug gelingen, würden die anderen Bergführer seine Gäste wieder sicher ins Tal zurückbringen. Ob es dann tatsächlich klappen würde, war allerdings von vielen Faktoren abhängig.
Planung bis ins kleinste Detail Kein Wunder also, dass Julian seinen Flug bis ins kleinste Detail plante. Neben der Wettersituation stellte der weitläufige Urwald am Fuss des Berges die größte Herausforderung dar. „Im unteren recht flachen Teil bedeckt dieser Wald weite Bereiche ohne jegliche Landemöglichkeiten“, erzählt Julian. Deshalb besichtigte er im Vorfeld mögliche Landeplätze und speicherte diese im GPS. Durch den Abgleich der Gleitzahl zum entsprechenden Landeplatz mit der tatsächlich geflogenen Gleitzahl während des Flugs wollte er dann berechnen, wie viel Reserve ihm zum nächsten Landeplatz bleiben würde.
Eines fehlte in der Vorbereitung Worauf er sich nicht vorbereitet hatte, war das Gefühl, tatsächlich vom Kibo, dem höchsten Punkt im Kilimanjaro-Massiv,
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Blick zurück: Seit 1987 ist diese Landschaft Weltnaturerbe.
Obligatorisches Gipfelfoto: Der Kilimanjaro zählt zu den Seven Summits.
Aus starker Sonneneinstrahlung resultiert Büssereis.
In der Ferne erstreckt sich das Massai-Land mit weiten, trockenen Ebenen. Etwas höher liegen Bananen-, Kaffee-, Mango-Plantagen und wilde Urwälder, während in Gipfelnähe mondartige Gerölllandschaften und Gletscher dominieren. Julian Beermann
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Perfekter Platz und Aufwind: Start frei!
abzuheben. Die Bedingungen am frühen Morgen waren für den flachen Startplatz perfekt. „Es herrschte ein leichter Aufwind. Dieses Mal stand einem Start nichts mehr im Wege“, erzählt Julian. Die Gäste helfen ihm beim Auslegen des Schirms auf einem kleinen Schneefeld. Dann folgen ein paar wenige Schritte, das Knistern der Kappe und der Moment des Abhebens. „Ein überwältigendes Gefühl, das sich nicht planen liess und das ich so nicht erwartet hätte“, erinnert sich Julian. Vom Schneefeld geht es über den schroffen Abbruch am Kraterrand hinaus in die unendliche afrikanische Weite. Der ganze Vulkankegel mit seinen langen kargen Rinnen liegt ihm zu Füssen. In der Ferne dehnt sich Urwald aus. „Die Stimmung im Morgenlicht war schlicht einmalig. Der Himmel schien ganz alleine mir zu gehören“, erinnert sich Julian.
Starterlaubnis vom Tower Dieser Gedanke entpuppte sich jedoch als falsch. Schon vor dem Abflug hatte Julian beim Tower des Kilimanjaro Airports eine Starterlaubnis einholen müssen. Als er dann auf etwa 3.500 Metern Höhe in die Ebene hinausfliegt, hört er
über Funk, wie der Tower eine anfliegende Verkehrsmaschine auf ihn aufmerksam macht und diese auf eine andere Route umleitet. „Eine Situation, die man als Gleitschirmpilot vermutlich nicht allzu oft erlebt“, sagt Julian schmunzelnd. Nach gut einer Stunde, über 30 Kilometer in der Horizontalen und 5.000 Meter in der Vertikalen, landet der Bergführer sicher unterhalb von 800 Metern Höhe. Sein Blick fällt zurück. Was für ein Flug! Was für ein Erlebnis! Eines ist dem Berner in diesem Moment klar: An dieses Gefühl wird er sich sein ganzes Leben lang erinnern.
Die Stimmung im Morgenlicht war schlicht einmalig. Der Himmel schien ganz alleine mir zu gehören. Julian Beermann
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Faszination K ilimanjaro
Nächtlicher Aufstieg zum höchsten Punkt.
Lichtspiele vor beeindruckender Sternenkulisse.
About Julian Beermann wurde 1985 geboren. Der Bergführer und Helikopterpilot fliegt seit 2010 Gleitschirm. Im Alpenraum führt der Berner auch regelmässig Climb & Fly-Touren. Sieben Mal stand er schon auf dem Kilimanjaro.
Ein überwältigendes Gefühl, das sich nicht planen liess und das ich so nicht erwartet hätte. Julian Beermann
Equipment
PI 2
EASINESS 2
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Projekt BZ’ALPS 44
Fantastische Wolkenstrasse am Col de la Cayolle.
Das erste Biwak am Startplatz Gourdon bei Nizza.
Von Nizza nach Ljubljana ohne fremde Hilfe
Einmal alleine mit dem Gleitschirm und Zelt über den Alpenbogen, von Nizza bis Ljubljana: ADVANCE-Grafiker Bendicht „Bänz“ Erb hatte sich für diesen Traum den gesamten Juli 2017 frei genommen. Aufgrund des wechselhaften Wetters musste der Fluglehrer und Tandempilot noch die erste August-Woche dranhängen. Nach 36 Tagen erreichte er Ljubljana. Von ca. 1.000 Kilometern Luftlinie konnte er nur ein Drittel fliegen. 767 Kilometer und 42 800 Höhenmeter legte Bänz per pedes zurück. Wir haben ihn zum Projekt „BZ’Alps“ befragt.
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Projekt BZ ’ALPS
Projekt BZ’ALPS
#bzalps #volbiv #crosscountry
Ich hatte viele Tiefpunkte und Höhepunkte. Bänz Erb
ADVANCE: Auf dieses Projekt hast du dich körperlich und mental intensiv vorbereitet. Wie lange insgesamt? Der Trainingsplan lief über ein halbes Jahr. Die mentale Geschichte läuft schon ewig. Für mein Sponsoring-Dossier habe ich den gesamten Aufwand grob geschätzt. Er lag bei etwa tausend Stunden in einem halben Jahr. Das umfasste alles: von der Routenplanung über das körperliche und mentale Training, die Ausrüstung zusammenstellen, testen, für fünf Alpenländer Online-Wanderkarten besorgen bis hin zu Lufträume checken, Wetterstationen ausfindig machen, hochaufgelöste Wettermodelle vergleichen und viele weitere Kleinigkeiten.
Hat dir deine akribische Vorbereitung während der Tour gut geholfen? Ja, ganz klar! Mit dem Körper war ich sehr zufrieden. Ich wusste natürlich sehr genau, wie lang die Etappen sein dürfen, damit ich in einer Nacht regeneriere. Das sind Erfahrungswerte von 2015, als ich noch weniger trainiert war. Damals waren 50 Kilometer und 3.000 Höhenmeter zu viel. Ich habe solche Etappen zwar geschafft, konnte mich aber über Nacht nicht regenerieren. Dann ist die nächsten zwei Tage nicht mehr viel gelaufen ... Von daher wusste ich, 35 Kilometer und 2.000 Höhenmeter gehen als Tagesetappe, drüber solle ich nicht gehen.
Wie hast du dich dann motiviert? (Denkt kurz nach ...) Jeder Tag ist einfach wieder ein neuer Tag. Du musst das ganze Fliegen dann mal loslassen, den Schirm einpacken und dich auf eine kleine Miniaufgabe fokussieren. Das hatte mich auch die Mentaltrainerin Katrin Ganter gelehrt und andere Leute, mit denen ich im Austausch war. Bei mir hilft immer etwas Entspannendes. Zum Beispiel Baden in einem See, Duschen, Essen und Trinken. Vielleicht auch mal ein weiches Hotelbett. Das hilft immens. Und dann geht es am nächsten Tag wieder frisch los. Die Tiefs sind immer nur kurz, wenn man sich nicht daran festklammert.
Project Fasziniert von den Alpenüberquerungen von Dave Turner und Sebastian Huber, hatte sich Bänz schon im Sommer 2015 frei genommen: einmal, um von Interlaken bis nach Monaco zu fliegen und zu wandern, das andere Mal, um auf dieselbe Weise von Interlaken bis nach Lienz/Matrei zu gelangen. Es gefiel ihm schliesslich so gut, dass er sich gleich den gesamten Juli 2017 für etwas Vergleichbares reserviert hat. Von da an konkretisierte sich das Projekt laufend. „Es war einfach ein Traum, ein starker Wunsch, das mal über so eine lange Zeit zu machen. Erst dann kannst du richtig eintauchen in die Geschichte.“ Die gesamte Route über Fünfwochen-Route 36 Tage im Überblick.
Map Source: © 2018 GeoBasis-DE/BKG (©2009), Google, Inst. Geogr. Nacional
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Projekt BZ’ALPS
Tag 35: einer der seltenen Flugtage. Kanin, Slowenien.
Was hat dir unterwegs am meisten zu schaffen gemacht? Hattest du Tiefpunkte? Ich hatte viele Tiefpunkte und Höhepunkte. Am meisten machte es mich fertig, als ich wiederholt ständig abgesoffen bin. Oder mir die Luft zu turbulent war, ich nicht lange genug gekämpft habe, sondern weggeflogen bin in der Hoffnung, es würde eine bessere Thermik kommen. Aber es kam nichts mehr.
Was waren deine schönsten Erlebnisse? Der Wechsel des Geländes. Zum Beispiel als ich in Südfrankreich vom Startplatz Arpille nahe dem Col de Bleine aufdrehen konnte. Da siehst du auf der einen Seite das Meer. Unter dir die braun-trockene Landschaft – und dann kommen schon die ersten Bergketten. Als ich am dritten Tag den Sprung in die Voralpen schaffte, hatte ich den ganzen Wechsel des Geländes in kürzester Zeit erlebt und war auf einmal in den Alpen. Das war sehr schön.
Welche Tipps würdest du ganz spontan anderen Piloten geben, die etwas Ähnliches machen möchten? Ein kleiner Testlauf zuerst. Und dann habe ich die Regeln „vom Bekannten zum Unbekannten“, „vom Einfachen zum Schwierigen“. Das Projekt dem Flugkönnen und der körperlichen Fitness anpassen. Ich habe zum Beispiel bewusst die Alpen gewählt. Einfach weil es von der Erschliessung und damit unter anderem von den Nahrungsquellen her, aber auch in Bezug auf die Rettungs- und Abbruchmöglichkeiten eine Art Puppenstube ist. Meteorologisch ist es aber ebenso anspruchsvoll wie an anderen Orten rund um den Globus.
Projekt BZ’ALPS
Schöne Aussichten am 18. Tag auf der Alp Rossboden, Tavanasa, Schweiz.
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War das später auch noch mal der Fall? Ja. Wenn man nicht so grosse Sprünge machen kann, weil der Flugtag nicht viel hergibt, hat man manchmal das Gefühl, dass man irgendwie ewig im Wallis oder zum Beispiel im Pustertal feststeckt. Aber nach drei Tagen ist man schon wieder in einem ganz anderen Gelände. Da habe ich gemerkt: Du kommst voran, das passt. Schöne Momente waren auch all die Begegnungen mit anderen Menschen und der Austausch mit Freunden in der Heimat. Ich bin es ja bewusst alleine angegangen, da ist man auch entsprechend offen. Je mehr ich mental angeschlagen war, weil das Fliegen nicht geklappt hat, umso bessere Begegnungen hatte ich mit Leuten. Ich habe wirklich gemerkt, wie kostbar der Austausch mit anderen ist. Wenn es lange Zeit nicht läuft und du dich nicht austauschen kannst, kannst du dich auch verbohren.
XC-Fliegen vom Feinsten am 4. Tag: hoch über dem Col du Galibier, Frankreich.
About Bendicht „Bänz“ Erb ist als Grafikdesigner für ADVANCE tätig. Sein umfas-
Neuschnee im Juli am Madatschjoch, Pitztal, Österreich.
Equipment
sendes Wissen zur Meteorologie, Tourenplanung und zum Hike und Fly gibt der Fluglehrer und Tandempilot in spezi-
Wir freuen uns, dass du gesund wieder da bist, und wünschen dir weiterhin viele schöne Projekte! Danke für dieses interessante Gespräch, Bänz.
ellen „Hike & Fly-Know-How“-Kursen bei der Flugschule „Chill Out Paragliding“ in Interlaken weiter.
OMEGA XALPS 2
LIGHTNESS XALPS
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#historical #soaringextreme #eigermoenchjungfrau
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Soaring Giants
Timeless Story
Soaring Giants Once in a lifetime
Nur selten ist es möglich, am 3.500 Meter hohen Jungfraujoch zu starten und Eiger, Mönch und Jungfrau soarend zu überhöhen. Ein Flug über das bekannte Dreigestirn zählt mit zu den eindrücklichs ten Flugerlebnissen in den Alpen. Wenn Wind und Wetter endlich passen und es gelingt, gehört dieses Erlebnis in die Kategorie „Once in a lifetime“. Max Mittmann erzählt von seinem zeitlosen Abenteuer aus dem Jahr 2012.
Soaring Giants 49 Im Hochwinter auf 4.000 Metern HĂśhe. Ein seltenes VergnĂźgen.
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Soaring Giants
Soaring Giants 51 Sensationelle Sicht Ăźber die tief verschneiten Gipfel der Berner Alpen.
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Es ist erst Mitte Januar, der erste Flug des Jahres, und schon haben wir uns einen unserer grössten Gleitschirmträume erfüllt.
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Soaring Giants
Max Mittmann
Kaum ein Berg hat die Fantasien der Alpinisten in den vergangenen hundert Jahren so bewegt wie der Eiger. Die dramatischen Versuche in den 1930er Jahren, durch die 1.650 m hohe Nordwand zu steigen, haben diesen Berg zu einem Mythos werden lassen. Dabei ist er nur ein Teil einer der faszinierendsten Bergformationen der Alpen. Komplettiert wird sie von Mönch und Jungfrau. Wer von der Zwei-Seenstadt Interlaken den Blick gen Süden richtet, kommt aus dem Staunen über die ganzjährig vereiste kolossale Bergwelt kaum heraus. Dort möchten wir fliegen, Greg Blondeau, Chrigel Maurer und ich. Ein Unterfangen, das uns mehr fordern wird, als wir ahnen.
Akribische Vorbereitung Tagelang beobachten wir das Wetter, checken alle zur Verfügung stehenden Daten und kommen immer wieder zu dem Schluss, dass es nicht geht. Neun Mal fuhr ich im Herbst hinauf aufs Joch, immer mit dem Wunsch, einmal auf einen dieser Berner Riesen hinaufzufliegen. Doch der Wind war mal zu schwach, mal zu stark, mal zu sehr von Osten. Fast kam es mir vor, als ob diese drei Gipfel nicht gestört werden wollten. Doch dann, nach Wochen des Wartens ist es endlich so weit. Voller Spannung steigen wir in die Berner Oberlandbahn am Bahnhof Interlaken-Ost. Nach über einer Stunde Fahrt erreichen wir die Kleine Scheidegg und wechseln in die Jungfraubahn. Die 1912 eröffnete Zahnradbahn ist einmalig in Europa. Auf ihrer zehn Kilometer langen Strecke
durchquert sie den Eiger und Mönch und überwindet in knapp einer Stunde 1.400 Höhenmeter. Die Bergstation Jungfraujoch ist der höchste Bahnhof Europas. Die Luft hier oben auf 3.500 m Höhe ist erheblich dünn. Unsere Augen schweifen nach oben. Gut tausend Meter trennen uns vom Jungfrau-Gipfel. Mächtige Schneefahnen deuten auf viel Wind. Wir fühlen uns klein und zögern. Allerdings nur kurz, denn ein erneuter Check der Winddaten auf dem Joch bestätigt, die Bedin gungen sind ideal: 30 km/h, mit 40er-Spitzen. Heute könnte es klappen! Wenige Minuten später machen wir uns fertig. Es ist empfindlich kalt. Deshalb packen wir uns warm ein und stecken noch Wärmebeutel in die Handschuhe.Dann betreten wir das Gletscherplateau. Eisig und böig pfeift der Wind – zum Glück aus der richtigen Richtung.
About Chrigel Maurer (u.a. 5-facher X-Alps- Gewinner, mehrfacher Weltcupgesamtsieger, Schweizer Akro-Meister) ist einer der wenigen Gleitschirmpiloten, die sich über die Szene hinaus weltweit einen Namen gemacht haben. Greg Blondeau ist langjähriger ADVANCE-Testpilot und arbeitet als professioneller Tandempilot. In seiner Freizeit geht der Europameister von 2008 gerne auf Strecke – in seiner Heimat Frankreich und in seiner Wahlheimat Schweiz. Max Mittmann war einer von drei deut-
Vorflug-Check
schen Teilnehmern beim Xalps 2013.
Die Startplatzwahl bedarf unserer vollen Konzentration. Wer zu hoch auf den Sattel geht, läuft Gefahr, vom starken Wind beim Aufziehen nach hinten über die Kante gerissen zu werden. Weiter vorne jedoch sollte man jeden Schritt genau abwägen. Auf dem Plateau lauern zahlreiche Gletscherspalten. Jetzt, im Winter, sind sie kaum auszumachen, der Schnee verdeckt sie. Er ist jedoch nicht verfestigt und würde sofort nachgeben, wenn man auf sie tritt. Wir sind uns der Gefahr bewusst, dementsprechend angespannt verlaufen unsere Startvorbereitungen. Immer wieder verbläst der Wind unsere Schirme. Hinzu kommt die flache
Auf ausgedehnten Hike-und-Fly-Touren kann er seine Leidenschaft für den Bergsport und die Faszination fürs Fliegen optimal verbinden.
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Viertausender zum Anfassen (re. die Jungfrau): Es kommt nur auf die Perspektive an.
Neigung des Geländes, sodass die Kappe in der Aufziehphase stark hebelt.
Start frei Doch dann, endlich! Der Schirm kommt gut hoch, es folgen einige Schritte, ein kurzes Abheben, Wieder-Aufsetzen und weitere Schritte. Dann lösen sich die Füsse endgültig vom Boden. Kaum habe ich die Sitzposition eingenommen, schüttelt es kräftig. Es ist unangenehm turbulent, die Rotoren der vorgelagerten Kante reichen weit zurück. Volle Konzentration ist gefragt. Vorne an der Kante wird es dann ruhig. Und plötzlich geht es nach oben. Rasant! Die Touristen auf dem Plateau sind nur noch kleine Pünktchen. Zu dritt hängen wir uns in das breite Aufwindband vor dem Mönchsnollen. Chrigel fliegt nach Nordosten Richtung Eiger und erscheint plötzlich 500 Meter über uns. Er ist weit über dem Mönchsgipfel. Auch Greg und ich wenden uns in Richtung Mönch und stellen unsere Schirme hundert Meter vor der Nordwand in den Wind. Wie im Aufzug geht es nach oben. Wir überhöhen den Gipfel und fliegen hinüber zur Jungfrau.
Wie im Jetstream Dort wird es noch besser. Dreihundert Meter vor der Gipfelwand geht es auch hier in Nullkommanichts nach oben. Bald sind wir weit über dem mit 4.158 Metern dritthöchsten Berg der Berner Alpen. Unter uns erstrecken sich unzählige tief verschneite Berge. In uns macht sich das Gefühl breit, im Jetstream zu hängen. Das Jungfraujoch liegt tausend Meter unter uns, das Schweizer Mittelland gar viertausend – allerdings verborgen unter einer Nebeldecke. Am Horizont erstreckt sich der Jura mit seinen lieblichen Hügeln. Auch sie alle tief verschneit. Wir drehen hinüber zum Eiger, werfen einen Blick in die reifüberzogene Nordwand. Spielend leicht geht es über den Gipfel hinweg zurück zum Mönch. Die Sonne steht schon tief, doch wir soaren wieder hinauf. Selbst 500 Meter vor der Wand steigt es grossflächig und gleichmäßig in den Abend hinein. Wir sind wie im Rausch. Überwältigt von den Eindrücken und können unser Glück kaum fassen. Es ist erst Mitte Januar, der erste Flug des Jahres, und schon haben wir uns einen unserer grössten Gleitschirmträume erfüllt. advance.ch /advancedadventures
Extrem in jeder Hinsicht: Fliegen, Seilspannen und Balancieren.
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Balance halten
#extreme #highline #basejumping
Balance halten Auf der Highline zwischen zwei Gleitschirmen
Manche mögen’s schwierig, andere suchen das Extreme. Eliot Nochez verbindet bei seinen Abenteuern beides miteinander. Der Akropilot beschäftigt sich am liebsten mit Vorhaben, die andere für unmöglich halten. „Bob je quitte le navire“ („Bob, ich verlasse das Schiff“) war genau ein solches Projekt. Zusammen mit Profislackliner Thibault Cheval und Julien Millot von den Flying Frenchies hat er es verwirklicht.
„Wir sind wahrscheinlich einfach sehr kindisch“, sagt Eliot und lacht. So kann man es auch nennen, wenn jemand die Idee hat, eine Highline zwischen zwei Gleitschirmen zu spannen. „Eines Tages hatte ich darüber nachgedacht, ob es eben nicht möglich wäre, mit so einer Leine zwei Gleitschirme zu verbinden“, erzählt Eliot. „Beeinflusst war ich wahrscheinlich von den „Flying Frenchies“. Die französischen Basejumper hatten 2014 eine Highline zwischen zwei Heissluftballonen gespannt.
Eliot Nochez
Fünf Flüge pro Tag Die grösste Herausforderung bei diesem neuartigen Versuch war, das Ganze sicher zu gestalten. Zwischenzeitlich war zu ihnen noch Julien Millot von den Flying Frenchies gestossen. Er würde den zweiten Gleitschirm fliegen. Die drei begannen mit einem intensiven Training. Das Wichtigste und grösste Problem war dabei, beide Gleitschirme auf gleicher Höhe mit der gleichen Geschwindigkeit in die gleiche Richtung zu fliegen. Um dies zu schaffen, flogen Eliot und Julien fast eine Woche lang fünf Mal täglich. Anschliessend folgte ein achttägiger Filmdreh. Jeder Versuch war extrem aufwendig. Zunächst mussten sie zum Startplatz wandern, dann die Schirme und die Kameras vorbereiten und anschliessend starten – und zwar das gesamte Team, inklusive der zwei Kameramänner und des Fotografen. Der eigentliche Versuch auf der Highline dauerte meist nur wenige
Sekunden, Thibault musste sehr schnell sein. Sobald die Piloten die Highline fallen liessen, hiess es landen, alles einpacken und wieder auf den Berg wandern – für den nächsten Start. „Es dauerte alles unglaublich lange und war sehr ermüdend“, erzählt Eliot. „Aber genau dies war für mich der Grund, warum das Projekt so grossartig war.“
About Eliot Nochez fliegt, seit er zehn Jahre alt ist. Hängt er nicht gerade unter
Die richtige Balance finden
dem Gleitschirm, trifft man den 3-fa-
Am schwierigsten war es, die Leine auf Spannung zu halten, ohne die Schirme dabei zu sehr zu verformen. Denn neben gleicher Geschwindigkeit und grundsätzlich gleicher Richtung, mussten die Schirme ein Stück weit auseinanderdriften, um die Spannung zu halten. Diese Balance zu finden erforderte grösstes Feingefühl. Zudem galt es, recht langsam zu fliegen. Eliot und Julien verbrachten deshalb die meiste Zeit damit, ihre Koordination zu üben. Erst als die ganze Feinabstimmung passte, konnte Thibault mit dem Balancieren über die Highline anfangen.
chen Französischen Akro-Meister und Gesamtweltcupsieger beim Kiten, Fallschirmspringen und Speedriden. Julien Millot begann mit dem Klettern erst im Alter von 24. Kurz darauf wurde er mit dem Highline-Virus infiziert. Das war 2008. Der Gleitschirmpilot, Basejumper und Wingsuitakrobat ist Mitbegründer der Flying Frenchies. Thibault Cheval klettert, seit er denken kann. Durch den Film „I believe I can fly“ von den Flying Frenchies zog es ihn 2012 von der Slackline auf die Highline. 2015 startete er mit dem Base-Jumping.
Im Rückblick bezeichnet Eliot es als grösste Leistung, nicht zu ängstlich gewesen zu sein, und natürlich, sich nicht verletzt zu haben. „Wir wollten etwas tun, was noch nie zuvor jemand gemacht hatte und so die Möglichkeiten des Sports erweitern“, sagt er. Das ist den Dreien ohne Frage gelungen. Im Film „Bob je quitte le navire“ haben Eliot, Julien und Thibault ihr Abenteuer dokumentiert.
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Balance halten
Wir wollten die Grenzen sprengen, kreativ sein. Weil es das ist, was uns erfüllt ...
„Ich mach dann mal die Fliege ... per Basejump.“
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„Genau als mir diese Idee kam, kontaktierte mich Thibault Cheval“, erinnert sich Eliot. Der Profislackliner hatte dieselbe Idee gehabt und wollte es unbedingt ausprobieren. „Zunächst schien das Ganze völlig absurd. Wir dachten, das sei unmöglich, aber es liess uns nicht mehr los.“ Nach längerem Nachdenken kamen die beiden schliesslich zu dem Schluss: „Das ist machbar.“
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Trans-Kirgistan
#volbiv #crosscountry #kyrgyzstan
Trans-Kirgistan Zu Fuss und mit Schirm durchs wilde Kirgistan
Kirgistan, Kirgisistan oder Kirgisien? Was beim Namen anfängt, setzt sich in der Sprache, der Kultur und der geografischen Lage fort. Die zentralasiatische Republik zwischen China und Kasachstan ist in Westeuropa nur wenigen bekannt. Allein diese Tatsache war fßr Fred Souchon und Martin Beaujouan Grund genug, das versteckte Land zu Fuss und mit dem Gleitschirm zu erkunden.
Trans-Kirgistan 57 Paradiesische Start- und Landepl채tze: Kirgistan ist mit nur 4 % Waldfl채che eines der wald채rmsten L채nder Asiens.
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„Im Grunde brachte uns ein Blick auf die Landkarte auf die Idee, nach Kirgistan zu reisen“, erzählt Fred. Der Franzose ist als Bergretter in Chamonix tätig und fliegt regelmässig am Mont Blanc und den Bergen der Haute-Savoie. „Die Landschaft Kirgistans sah äusserst interessant aus. Besonders die Bergregion im Osten des Landes versprach gute Flüge“, ergänzt Martin. Nach einer kurzen Planung packten die beiden ihre Volbiv-Ausrüstung und brachen auf ins Abenteuer.
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Trans-Kirgistan
Jeden Tag bis zu 40 Kilometer Täglich legen Fred und Martin bis zu vierzig Kilometer zu Fuss zurück. Dabei versuchen sie, so oft wie möglich zu fliegen. Ein nicht immer einfaches Unterfangen. Die Wetter- und Windverhältnisse vor Ort stellen sie oft vor weitaus grössere Herausforderungen, als sie erwartet hatten. Dennoch gelingen den beiden Franzosen eindrückliche Flüge, die nicht selten irgendwo in der weiten kirgisischen Steppe enden. Dort treffen sie auf die einheimische Bevölkerung. „Hatten uns die Kirgisen entdeckt, suchten sie immer den Himmel noch weiter ab nach einem Flugzeug“, erzählt Fred. „Weil sie unsere Schirme für Fallschirme hielten.“ Manche seien gar so verwundert gewesen, zwei Männer in der Steppe zu treffen, dass sie gefragt hätten, ob uns jemand aus dem Flugzeug gestossen habe. „Was sonst hätten wir dort im Nirgendwo gewollt?“
Verständigung mittels Gesten Durch ihre Begegnungen lernen Fred und Martin die grosse Gastfreundschaft
der Kirgisen kennen: „Wir hatten zwar ein „250 Kilometer sind dort möglich – immer Zelt dabei, aber viele luden uns zu sich in entlang der 3.000 bis 4.000 Meter hoihre Jurten ein, weil es draussen viel zu hen Berge“, schwärmt Fred. Nach etwa gefährlich sei“, erzählt Fred. Anfangs hät- 50 Kilometern Strecke verdunkelt sich jeten sie sich mit Geld erkenntlich zeigen doch der Himmel plötzlich. Schwere Cuwollen. „Aber wir merkten schnell, dass mulonimbus-Wolken ziehen auf. Fred und sich die Kirgisen dadurch verletzt fühl- Martin müssen zwingend landen. ten. Die Gastfreundschaft ist sehr wichtig. Man teilt, was man hat – selbst wenn Morgendliches Opferlamm es kaum für die eigene Familie reicht.“ Unweit ihres Landeplatzes im Nirgendwo steht ein Haus. Zerfallen, wie es ist, erinnert es mehr an eine Ruine als eine Interessante Stutenmilch menschliche Behausung. Doch es lebt Während sich die beiden Franzosen ein Mann mit seiner Tochter darin. Fred an die angebotene Stutenmilch – das Hauptnahrungsmittel der Kirgisen – ge- und Martin fragen, ob sie ein paar Stunwöhnten, untersuchten die Gastgeber eif- den bei ihnen bleiben könnten, bis der rig die Ausrüstung. Einen Gleitschirm hat- Sturm vorübergezogen sei. Aus den paar Stunden sollten zwei ganze Tage werden. te dort noch niemand gesehen. „Um zu erklären, warum wir diese Reise machen, Der freundliche Mann hatte sie eingelazeigte ich Bilder aus Chamonix, auch mit den zu bleiben! Am Morgen des zweiGleitschirmen“, erzählt Fred. „Durch die ten Tages werden sie von ihm noch vor Sonnenaufgang geweckt. Er bittet sie, Berge hatten wir eine Art Verbindung. Der ein oder andere hatte sogar schon vom mit nach draussen zu kommen. Dort holt Mont Blanc gehört!“ er ein Lamm und kniet sich hin, um zu beten. Während des Gebets kriecht die Sonne langsam hinter dem Berg hervor. Geier markieren die Thermik Viele Gipfel des Tian-Shan-Gebirges in Nachdem der Mann sein Gebet beendet Kirgistan sind gut zu Fuss erreichbar. So hat, schlachtet er das Lamm und beginnt, auch der Berg nördlich des Issyk-Kul- es zu kochen. Die beiden Franzosen halSees, auf dem Fred und Martin zwei Gei- ten das Ganze für eine Opfer-Zeremonie. er beobachten, die in der Thermik kreisen. Später stellt sich jedoch heraus, dass Sie beschliessen, ebenfalls zu starten. dies eine ganz besondere Form der GastNach dem Start wenden sie sich gen Os- freundschaft war. ten. Die Flugbedingungen sind perfekt! Es weht fast kein Wind und die Thermik Sonnenbrille als Gastgeschenk ist gut. Fred und Martin möchten zu ei- Mit so viel Gastfreundschaft hatten Fred nem Berg auf etwa 4.500 Metern Höhe. und Martin nicht gerechnet. Fred hatte Beide freuen sich schon auf einen aus- für die kirgisischen Kinder zwar eine Ausgedehnten Flug entlang der kargen Gipfel. wahl an Sonnenbrillen dabei, die er am
Biwakplatz mit Aussicht: Abendessen in der weiträumigen Steppe des Tian-Shan-Gebirges.
Man teilt, was man hat – selbst wenn es kaum für die eigene Familie reicht. Fred Souchon
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Mont Blanc gefunden hatte. Doch diese waren schnell weg. Seine eigene schenkt er am letzten Tag ihrem spendablen Gastgeber – quasi als Dankeschön für das Lamm. „Der Mann hat sich riesig gefreut“, erinnert sich Fred. Mit seinen Tieren sei er viel in den Bergen bei gleissendem Sonnenlicht unterwegs. „Dort kann er sie gut brauchen.“
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Bilder © 2018 TerraMetrics, Kartendaten © 2018 Google
Mit 96 % Gebirgsfläche ist Kirgistan prädestiniert fürs Hike & Fly.
Wiederholung folgt „Auch wenn wir nicht so viel fliegen konnten wie erhofft, ist Kirgistan ein wunderbares Fluggebiet“, resümiert Fred. Auf die meisten Berge könne man einfach zu Fuss aufsteigen. „Und unten warten dann scheinbar endlose Steppen zum Landen.“ Es gebe aber noch so viel zu entdecken und zu erleben. Deshalb möchten Martin und er auf jeden Fall noch mal nach Kirgistan. „Dann aber mit ausreichend Gastgeschenken!“ Apropos Kirgisistan. Wie heisst das Land richtig – Kirgisistan, Kirgistan oder Kirgisien? Es ist egal! Alle drei Bezeichnungen sind zulässig. Der Name heisst „Wir sind 40“ und geht auf 40 Clans unterschiedlicher ethnischer Herkunft zurück, die das Land einst besiedelten.
Freds und Martins Route westlich des Issyk-Kul-Sees.
Equipment
IOTA
LIGHTNESS 2
About Fred Souchon ist begeisterter Alpinist und Gleitschirmpilot. Der diplomierte Bergführer arbeitet als Bergretter in Chamonix. Martin Beaujouan fliegt seit 2017 hauptberuflich Gleitschirm. Seine Lieblingsdisziplinen sind: Hike & Fly, Climb & Fly und Streckenfliegen.
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Crossing Borders 60
Wie das Wetter morgen wohl wird? Einsames Gipfelbiwak im Himalaya.
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Crossing Borders
Crossing Borders
#volbiv #crosscountry #himalaya
Indien-Nepal: Quer durch den Himalaya
1.200 Kilometer auf Höhen bis über 7.000 Meter: Sebastian Huber und Stefan Bocks hatten sich für ihre Gleitschirm-Abenteuertour von Ladakh in Indien bis Pokhara in Nepal einiges vorgenommen. Unterwegs hatten die beiden Bayern denn auch einige Hürden und Grenzen zu überwinden. Das Fliegen war dabei das geringste Problem.
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Crossing Borders
Eisige Kälte erwartet Basti auf 7.106 Metern Höhe.
Diesen Flug am 9. Oktober 2017 wird Basti in seinem Leben nicht vergessen. „Es war in der Nähe von Kaschmir. Wir hatten Blauthermik, waren bis zu 7.106 Meter hoch, und mir hat nichts gefehlt! Ich war bei vollem Bewusstsein, und die Kälte war längst nicht so eisig, wie ich es in dieser Höhe erwartet hätte!“ Ganz anders an den darauffolgenden Tagen: „Da waren wir tiefer, auf 6.500 Meter, und hatten Wolkenthermik. Wegen der höheren Luftfeuchte hast du die Kälte dann schon gemerkt“, erzählt Basti.
Die Vorbereitung Basti und Boxi hatten sich gut akklimatisiert. Am 3. Oktober waren sie in Leh, Ladakh, auf 3.500 Metern Höhe gestartet und von dort vier Tage ins Zanskar Valley und am Indus entlang bis auf 5.000 Meter Höhe gewandert. Dann folgte der Flug bis über 7.000 Meter, gekrönt von einer Landung zwischen jubelnden Kindern. Auch gegen die zu erwartenden niedrigen Temperaturen hatten sich die Bayern bestens gewappnet. „Einer der wichtigsten Gegenstände waren die Handschuhe“, erklärt Basti. Bei der Vorbereitung konnten die beiden auf einen grossen Erfahrungs-Pool zurückgreifen: von ihren zweifachen X-Alps -Teilnahmen, aber auch früheren Solo-Biwakflug-Abenteuern. Alle mitgenommenen Ausrüstungsgegenstände kamen zum Einsatz. Selbst die Gamaschen. „Ganz am Schluss!“, freut sich Basti. Weil sie in Ladakh vergessen hatten, Gaskartuschen zu besorgen, kochten sie ihr Wasser immer über offenem Feuer.
Gipfel ohne Ende: Der Himalaya ist das grösste Gebirge der Welt.
Wenn du das erste Mal in deinem Leben auf 7.000 Metern herumschwirrst – das ist brutal. Sebastian Huber
„Das Fliegen war das geringste Problem.“
Komplizierte Bürokratie
Map Data @ 2017 Google
Die Bürokratie in Indien lässt sich im Vorfeld hingegen nicht trainieren. Für einen Europäer ist sie nahezu undurchschaubar und dadurch mehr als kompliziert. So wird Basti, als er in Keylong 200 Meter entfernt von der Polizeistation landet, festgenommen und die Ausrüstung beschlagnahmt. Er hatte nicht gewusst, dass in dem Ort Gleitschirmfliegen nicht geduldet wird. Nach einem Tag zäher Gespräche stellt sich heraus, dass er nicht
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Zum Abschluss eines langen Flugtags landen sie nach Möglichkeit oben am Berg. In Höhen meist über 3.500 Meter und weit darüber habe man dabei sehr aufpassen müssen, berichtet Basti. Nicht nur wegen des unwegsamen Untergrunds, sondern vor allem, weil man wesentlich schneller unterwegs sei. Auch das Starten ist mit dem höhenbedingten, oftmals stärkeren Wind wesentlich anspruchsvoller. „Mein Training im Vorfeld der X-Alps und die vielen Stunden unter dem OMEGA XALPS 2 kamen mir dabei sehr zugute“, sagt Basti.
bestraft werden kann, weil er in einem anderen Distrikt gestartet war. Gegen eine Spende von zehn Dollar erhält Basti schliesslich auch seine Ausrüstung zurück und kann mit Boxi, den er während des Flugs aus den Augen verloren hatte und der zwischenzeitlich zu Fuss in Keylong eingetroffen war, mit dem Bus auf den Rohtang-Pass fahren. Es folgt ein traumhafter Flug mit Geiern nach Bir Billing, dem bekannten indischen XC-Spot.
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Training ist alles
Festnahmen und weite Flüge Am 16. Oktober, zwei Biwakflugtage hinter Bir und sechs Tage nach der ersten Festnahme, folgt die nächste. Am Checkpoint zum Nationalpark Gangotri. Fliegen ist hier verboten. Die beiden wollen nicht fliegen, nur ihre Pässe wieder! Nach langen Verhandlungen und einer Strafe von 200 Dollar dürfen sie weiter – per Bus nach Gangotri. Am nächsten Tag geht es mit dem Bus über Geröll und am Abgrund entlang weiter talauswärts. Es ist eine Höllentour. Die Leute kotzen aus den Fenstern. „Der Fahrer fuhr wie der Henker“, erinnert sich Basti. Nach zehn Kilometern verlassen die beiden fluchtartig
Die Route: 1.200 Kilometer quer durch den Himalaya.
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About Stefan „Boxi“ Bocks fliegt seit 1988, ist Streckenflugmeister, belegte einen 3. sowie 5. Platz beim X-Alps 2001 und 2005 und macht immer wieder mit abenteuerlichen Biwakflügen, wie 1.000 Kilometer durchs Pamirgebirge von Tadschikistan nach Kirgistan, von Neuer Tag, neues Glück – trotz frischem Neuschnee.
sich reden. Beim Himalaya-Abenteuer flog er ein LIGHTNESS XALPS und nutzte einen LIGHTPACK. Spätestens seit seinem 2. Platz beim
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Huber in der Gleitschirmszene kein Un-
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X-Alps 2015 ist Sebastian „Basti“
nur begonnen, um sich das Runterge-
bekannter mehr. Der Forstwirt ist Bergsportler und Abenteurer durch und durch und am liebsten draussen in der Natur unterwegs. Mit dem Fliegen hatte der ADVANCE-Teampilot ursprünglich hen von den Bergen zu ersparen.
Equipment
Gebetsfahnen im Wind – Nepal wie aus dem Bilderbuch.
OMEGA XALPS 2
Fortbewegung per Tuk-Tuk: Der Preis ist Verhandlungssache.
LIGHTNESS XALPS
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Licht- und Schattenspiele im westlichen Himalaya.
das Fahrzeug. Für ihre Strapazen werden sie in den kommenden zwei Tagen mit geradezu erholsamen Flügen über niedrige Gras- und Waldhügel mit 110 und 75 Kilometern Länge entlohnt. Der nächste Schock folgt am 21. Oktober. Boxi war heimlich unweit von Darchula an der indisch-nepalesischen Grenze gelandet, wird in der Stadt aber von Polizisten aufgegabelt. Sie verhören ihn immer wieder und blenden dabei mit Taschenlampen in sein Gesicht. Er bloggt: „Wie bei der Stasi.“ Basti war extra auf 2.000 Metern Höhe in zehn Kilometern Entfernung gelandet. Er hatte jeglichen Ärger mit Behörden vermeiden wollen. Als er im Hotel auf Boxi trifft, hat dieser einen ganzen Anhang von Polizisten dabei! Basti wird eine Stunde im Hotelzimmer verhört, seine Ausrüstung und sein Handy durchsucht. Danach werden die beiden Piloten in Ruhe gelassen. Ihre Ausweise erhalten sie am nächsten Tag zurück. Ausreisen dürfen sie hier dennoch nicht.
Erschwerte Ausreise Das geht nur in der Nähe von Mahendranagar, rund 250 Kilometer südlich, draussen im Flachland. Nach einer tagesfüllenden holprigen Busfahrt, dem erfolgreichen Grenzübertritt nach Nepal und einer Taxifahrt setzen Basti und Boxi ihr Biwakflug-Abenteuer fort. Durch unwegsames Tigergelände dringen sie weiter Richtung Pokhara vor. Das Gebiet ist so unübersichtlich, dass Basti zur besseren Orientierung immer wieder auf Bäume klettern muss. Am 27. Oktober verlieren sie sich beim Fliegen aus den Augen.
ausharren. Basti zieht es derweil nach Hause, zu seiner Freundin und seiner Familie. Sein imaginärer Topf an neuen Eindrücken ist randvoll. „Ich habe so viel gesehen. Was ich mit Boxi, aber auch alleine alles erleben durfte, das war der Wahnsinn!“ Doch irgendwann sei es genug. Nach Absprache mit Boxi verlegt er seinen Rückflug vor und landet zwei Tage später glücklich in München.
Die Ankunft Basti wendet sich gen Süden, um der tiefen Basis und dem drohenden Schlechtwetter weiter nördlich zu entfliehen und auf dem direktesten Weg nach Pokhara zu kommen. Seine Taktik geht auf. Vier Tage später landet er in der nepalesischen Gleitschirmhochburg. Boxi wird im Norden eingeschneit und muss
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Nicolas am Mönch-Südostgrat, im Hintergrund das Aletschhorn.
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Peak Trilogy
#climbandfly #speedclimbing #eigermoenchjungfrau
Peak Trilogy Eiger, Mönch und Jungfrau an einem Tag
Als Nicolas Hojac am 18. Juni 2017 in Stechelberg zu seiner Überschreitung von Jungfrau, Mönch und Eiger aufbricht, hat er nicht nur Pickel und Steigeisen, sondern auch einen PI 2 im Gepäck. Knapp 12 Stunden später trifft der 24-Jährige in Grindel‑ wald ein. Mit einem neuen Speedrekord. Nicolas berichtet ...
Wer kennt sie nicht? Eiger, Mönch und Jungfrau, das weltbekannte Dreigestirn im Herzen der Alpen. Jährlich strömen tausende Touristen auf das Jungfraujoch, um einen Einblick in diese fantastische Bergwelt zu erhalten.
Der Gleitschirm muss mit
Eiger 3.970 m
Mönch 4.107 m
Jungfrau 4.158 m
Abstieg per pedes So steige ich zu Fuss über den Nordgrat ab und quere über die Eigerjöcher zum Gipfel des Eigers. Hier weht der Wind schon etwas günstiger, jedoch auch nicht ganz optimal. Der Startplatz auf dem Eiger ist sehr exponiert und lässt keine Fehler zu. Einen Startabbruch oder gar Fehlstart kann man sich hier nicht leisten. Daher entscheide ich, etwas abzusteigen, um beim Genferpfeiler zu starten. Das Gelände ist dort etwas flacher.
Peak Trilogy
Start um Mitternacht Ohne vorher zu schlafen, starte ich um Mitternacht in Stechelberg und mache mich auf Richtung Jungfrau. Nach etwa fünf Stunden erreiche ich schon den Gipfel. Ich lege meinen PI 2 aus und gleite hinunter ins Jungfraujoch. Ohne Schirm hätte ich mich nicht getraut, alleine über den zerschrundenen Gletscher ins Joch abzusteigen. Nach einer etwas unsanften Landung packe ich den Schirm zügig zusammen und klettere weiter zum Mönch. Auf dem Gipfel bläst mir ein böiger Nord-Ost-Wind ins Gesicht und ich merke schnell, dass mir ein Start mit dem Schirm zu riskant ist. Eigentlich habe ich mehr Bedenken vor der Landung, denn mein nächster Landeplatz liegt direkt im Lee des Eigers. Die dadurch entstehenden Turbulenzen könnten mir bei der Landung gefährlich werden.
Erfolgreicher Start beim Genferpfeiler am Eiger.
About
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Genau diese drei Gipfel haben mich zu meinem Projekt inspiriert. Es soll nicht eine klassische Begehung werden. Mit im Gepäck habe ich einen kleinen Gleitschirm, der mir das Absteigen jeweils ein wenig erleichtern soll. Meine Idee ist, so schnell wie möglich von Stechelberg über die Gipfel von Eiger, Mönch und Jungfrau nach Grindelwald zu gelangen. In den vergangenen Jahren machte der Gleitschirmsport erneut einen grossen Schritt nach vorne. Die Schirme sind nicht nur leichter und sicherer geworden, sondern auch das Packvolumen kleiner. Mit meinem PI 2 Grösse 16 mit gerade mal 2,05 kg kann ich so trotz Gleitschirm im Gepäck immer noch leicht und schnell in den Bergen unterwegs sein.
Durch einen Sprachaufenthalt im Val Ferret kam Nicolas Hojac zum Berg-
Von null auf dreissig
steigen und Klettern. Mit 18 Jahren stieg
Ich fliege direkt von der Nullgradgrenze ins 30 Grad warme Tal. Bevor ich den Schirm zusammenfalten kann, muss ich mich erst mal setzen. Das Hinunterspiralen hat mir das Blut in die Beine gepresst. Auch der Schlafmangel macht sich nun bemerkbar. 11 Stunden und 43 Minuten nach meinem Aufbruch in Stechelberg, 4.300 Höhenmeter und 31,5 Kilometer später stehe ich jetzt in Grindelwald. Die vielen Erlebnisse der letzten Stunden sind kaum zu beschreiben. Davon werde ich noch lange zehren.
der Berner Fachhochschulstudent zum
Die Schirme sind nicht nur leichter und sicherer geworden, sondern auch das Packvolumen kleiner.
ersten Mal durch die Eiger-Nordwand. Es folgten zehn weitere Male. Unter anderem stellte der 24-Jährige zusammen mit Ueli Steck in 3 Stunden und 46 Minuten den Team-Speedrekord auf. Besonders angetan haben es dem jungen Profialpinisten die entlegenen Gebirge der Welt, wie der Tian Shan oder das Karakorum. Equipment
PI 2 16
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Impressum
Impressum Herausgeber: ADVANCE Thun AG, Uttigenstrasse 87, 3600 Thun, Schweiz Konzept & Idee: Simon Campiche Redaktion: Mirjam Hempel Layout: Bänz Erb Karten & Renderings: Mark Oertig Koordination: Rahel Wittwer Lektorat: Heike Neumann Titelbild: Alex d’Emilia Get inspired | Fotos: Thomas Ulrich (S. 74) Climb & Fly Peru | Text: Peter Salzmann | Fotos: Peter Salzmann (S. 6, 8, 10), Wolfgang Rainer (S. 11) Lake to Lake | Text: Adi Geisegger | Fotos: Adi Geisegger (alle) XC Adventure Brazil | Text: Simon Campiche | Fotos: Jan Sterren (S. 18, 20, 22, 24, 25), Adi Seitz (S. 23, 25) Direttissima 2.0 | Text: Mirjam Hempel | Fotos: Thomas Ulrich (S. 27, 29, 30, 31, 32, 33), Bruno Petroni (S. 31), Valentin Luthiger (S. 32) Go with the Flow | Text: Mirjam Hempel | Fotos: Beni Kälin (alle) Fascination K ilimanjaro | Text: Christian Mörken | Fotos: Julian Beermann (S. 37, 39, 41, 43), Yitzhack Mmasi (S. 41), Bruno Piller (S. 42, 43) Project BZ’ALPS | Text: Mirjam Hempel | Fotos: Bänz Erb (alle), Irantzu Olondo Elorduy (S. 46) Soaring Giants | Text: Max Mittmann | Fotos: Greg Blondeau (S. 49), Max Mittmann (S. 51, 53), Jérôme Maupoint (S. 52) Keeping your B alance | Text: Christian Mörken | Fotos: Alexandra Cuper (S. 67, 55) Trans Kyrgyzstan | Text: Christian Mörken | Fotos: Martin Beaujouan (S. 57, 59), Fred Souchon (S. 58) Crossing Borders | Text: Mirjam Hempel | Fotos: Basti Huber (alle) Peak Trilogy | Text: Nicolas Hojac | Fotos: Daniel Bleuer (S. 66, 67, 68), Thomas Senf (S. 67 ) Sommer 2018 © ADVANCE
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