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Adventures Collection /advancedadventures
Reduktion auf das Wesentliche beim VolBiv: Schlafen eingerollt im Gleitschirm.
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Get inspired
/advancedadventures
Es freut uns sehr, dir die zweite /advancedadventures Collection zu präsentieren. Dank der Unterstützung abenteuerlustiger Piloten und Athleten konnten wir wiederum einen spannenden Mix aus Flug-Abenteuergeschichten rund um den Erdball zusammenstellen. In einer schnelllebigen Zeit, wo Information fast ausschliesslich digital konsumiert und das Erlebte hauptsächlich über kurzlebige Social-Media-Kanäle geteilt wird, besteht wieder ein Bedürfnis nach interessanten Geschichten mit ausdrucks starken Bildern in einem Magazin. Die Rückmeldungen auf die erste Ausgabe waren ausgezeichnet und haben gezeigt, dass gerade die «einfachen», von Freizeitpiloten realisierten Abenteuer auf ebenso grosses Interesse stossen wie die extremen Projekte. Dem haben wir in dieser Ausgabe Rechnung getragen und den Anteil dieser Storys erhöht. Manchmal beginnen die schönsten Abenteuer direkt vor der eigenen Haustüre. Wir hoffen wiederum, dass die spannenden und einzigartigen /advancedadventures- Geschichten in diesem Magazin Inspiration für eigene Projekte und Micro-Adventures bieten. Vergiss nicht, deine eigenen Abenteuer mit #advancedadventures zu tagen und zu teilen. Die nächste Ausgabe erscheint, sobald wir wieder eine Sammlung vielseitiger Geschichten beisammen haben. Vielleicht wird auch deine eigene Story dazu gehören?
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#2
Adventures around the World 7
Tanz auf dem Vulkan Erstbefliegung des Nevado del Ruiz in Kolumbien
VolBiv mit dem Wind Aufbrechen direkt von zu Hause – nur zu Fuss und mit Schirm
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Vom Dach der Alpen Flug vom 4.810 m hohen Mont Blanc
4
Inhalt
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25
Flat Challenge Der perfekte Tag in Polen
28 Westwärts Der Weg ist das Abenteuer
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Am Himmel der Alpinisten VolBiv-Schlaufe durch das Herz des Karakorums
43
Roadtrip in die M ongolei Auf und über der Strasse durch Zentralasien
49
Himalayan Tandem Abenteuer mal anders
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Fly a Bike Ein abenteuerlicher Stunt
63
Im Aufwind der Midnight Sun Ein subpolarer Survivaltrip durch Alaska
7
28 10
5
Inhalt
19 60
25 57 43
35 49
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#2
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Tanz auf dem V ulkan
Key Visual mit Weite. Wirkt das auch im Hochformat gut?
Was fürs Bergsteigen gilt, ist beim Hike und Fly im Hochgebirge unabdingbar: Bei einem frühen Aufbruch ist die Chance auf einen gelungenen Flug in der Regel am grössten.
#hikeandfly #volcano #colombia
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Tanz auf dem V ulkan
Tanz auf dem Vulkan Erstbefliegung des Nevado del Ruiz in Kolumbien
Ein 5.300 m hoher Vulkan mitten in Kolumbien, Alarmstufe Gelb und drei Piloten, die sich durch diese unzugängliche Gegend angezogen fühlen. Michael Witschi, Tobias Dimmler und Ivan Ripoll gelang der Flug vom Nevado del Ruiz. Bis zur geglückten Landung war es jedoch ein weiter Weg. Und die Parkranger durften davon nichts mitbekommen. Michael Witschi berichtet ...
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#2
Tanz auf dem V ulkan 8
Die zerfurchten Flanken des Nevado del Ruiz erinnern an die Oberfläche des Mondes.
Nach meinen beiden Hike & FlyAbenteuern am Farallones de Cali und Citlatepetl im Jahr 2017 hatte ich 2018 Lust auf weitere Flüge in Kolumbien. Tobias Dimmler und Ivan Ripoll wollten mich begleiten. Die Auswahl an Möglichkeiten schien zunächst gross, denn Kolumbien wartet gleich mit acht Fünftausendern auf. Doch so gross wie die Auswahl sind auch die Hindernisse. Hier verbieten es die Ureinwohner, dort gibt es starke vulkanische Aktivität, und wo beides nicht zutrifft, ist es durch die Behörden verboten. Stück für Stück lösen sich so sämtliche potenzielle Flugge biete in Luft auf. Am Ende bleibt nur eine Option: der Nevado del Ruiz.
darauf ist es so weit: Am Flughafen La Nubia in Manizales, einem Ort genau zwischen Medellín, Bogotá und Cali, treffe ich Tobi und Ivan. Nach einer kurzen Fahrt im Mietwagen checken wir im Hotel ein und machen uns dann auf den Weg zum Nationalpark. Von den Parkrangern erhalten wir sämtliche Informationen zum Park und wie wir uns zu verhalten haben. Unter anderem dürfen wir nur im Konvoi fahren, da so eine etwaige Evakuierung schneller ginge. Noch einmal wird uns bewusst, dass hier nicht «Courant normal» angesagt ist. Der Vulkan kann jederzeit ausbrechen. Wir dürfen uns zwar frei bewegen, aber nur bis auf eine Höhe von 4.000 Metern. Enttäuscht verlassen wir den Park.
Es herrscht Alarmstufe Gelb Der Nevado del Ruiz liegt im gleichnamigen Nationalpark und ist mit 5.300 Metern Höhe der zweithöchste aktive Vulkan der nördlichen Hemisphäre. Aktiv heisst, er kann jederzeit zur Gefahr werden. Sprich, es herrscht «Alarmstufe Gelb». Etwas frustriert ob der geschrumpften Flugziele beschliessen wir, es dennoch zu versuchen. Wir buchen ein Hotel auf 3.500 Metern Höhe ganz in der Nähe, und bald
Willkommen auf dem Mond Am nächsten Tag erkunden wir den Vulkan aus nächster Nähe. Die Strasse führt uns über die Flanken und Täler auf der Nordseite. Während Erstere üppig grün sind, erinnern Letztere an eine karge Mondlandschaft. Es riecht unangenehm nach Schwefel. Wir machen einen Stopp und spielen mit unseren Schirmen im Wind. Zurück im Hotel, recherchieren
wir, dass «Alarmstufe Gelb» für eine gesteigerte Aktivität des Vulkans steht und ein Vulkanausbruch mittelfristig möglich ist. Wir kommen zu dem Schluss, dass das Risiko für uns relativ gering ist, und beschliessen, den Nevado del Ruiz von Norden her zu besteigen. Und zwar gleich am nächsten Tag.
Unerwartete Hindernisse Um 7.30 Uhr geht es los. Wir sind sehr vorsichtig, denn wir wollen keinesfalls einem Ranger in die Arme laufen. Wir steigen bis zum ersten Schneefeld auf 4.950 Metern Höhe auf. Die Aussicht ist atemberaubend – auch im Wortsinn. Gleich darauf folgt auch schon die Ernüchterung: Mit unseren Leichtschirmen mit lediglich 16 Quadratmetern Fläche ist es unmöglich, hier abzugleiten. Die Luftdichte ist viel zu gering und der Seitenwind zu stark. Also machen wir kehrt. Wenig später stehen wir mitten in den Wolken. Ohne Sicht stapfen wir durch die mondartige Wüstenlandschaft aus Lava, Staub und Sand. Nur gut, dass jeder Fussabdruck vom Aufstieg noch zu sehen ist und wir uns so an unseren eigenen Spuren orientieren können. Unser Fazit nach diesem
Tag: Morgen werden wir es wieder versuchen. Allerdings zwei Stunden früher.
In der Ferne das Donnergrollen
Tanz auf dem V ulkan
Aussichtspunkte zuhauf: Die Felsblöcke am Fusse des Vulkans würden jedes Boulderer-Herz höher schlagen lassen.
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Kurz nach 5 Uhr brechen wir am nächsten Tag auf. In der Ferne hören wir Donnergrollen und sehen Blitze, während über uns der Vollmond steht. Der Wind kommt heute aus Westen. Das erkennen wir an der Dampffahne des Vulkans. Wir entscheiden uns für die Nordflanke und steigen denselben Weg hoch wie gestern; nur gehen wir diesmal höher hinauf, bis an eine Eiswand des Gletschers unter dem Kraterrand. Auf 5.120 m über dem Meer packen wir unsere Schirme aus. Nun geht es an den Start: Leider hat es Abwind. Die Kombination aus geringer Luftdichte, kleinen Schirmen und Abwind ist ungünstig. Wir suchen die steilste Falllinie ohne grössere Steinblöcke. Ich habe die grösste Flächenlast und starte zuerst. Wie ein Hundertmeterläufer schiesse ich los und spüre den Schirm bald über mir. Doch es trägt nicht richtig. Irgendwann muss ich meine Beine heben, da die Geschwindigkeit zu gross wird. Ich hoffe inständig, dass meine schlechte Gleitzahl grösser ist als die Steigung des Vulkans. Sie ist es.
Frühthermik um 8 Uhr Mit hoher Geschwindigkeit sause ich über die Bergflanke und bin bald draussen direkt in der Frühthermik. Tatsächlich gibt es bereits um 8 Uhr grosses Steigen, sodass sogar mein 16er-Schirm steigt. Hinter mir sehe ich Tobi und Ivan, die ebenfalls sicher in die Luft gekommen sind. Die Landung erfolgt auf 4000 Meter in der ersten Kuhwiese. Nach dem Durchfliegen von ein paar letzten Thermikbumps setze ich sanft auf – und kann meinen Freudenschrei nicht unterdrücken. Unglaublich! Es hat geklappt! Wir sind als erste Menschen von der Nordflanke des Nevado del Ruiz geflogen; der Vulkan hat es gut mit uns gemeint und kein Ranger ist aufgetaucht. Besser geht es nicht.
Werden die 16 Quadratmeter Schirmfläche in der geringen Luftdichte für einen Gleitflug zurück ins Tal reichen?
Equipment
PI 2
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About Tobias Dimmler arbeitet als professioneller Tandempilot und Fotograf. Michael Witschi ist ehemaliger Wettkampfpilot und als Geschäftsmann oft in Südamerika unterwegs.
Morgen werden wir es wieder versuchen. Michael Witschi
Ivan Ripoll ist als professioneller Tandempilot und Fluglehrer tätig.
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VolBiv mit dem Wind
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VolBiv mit dem Wind
#volbiv #hikeandfly #fromathome
Aufbrechen direkt von zu Hause – nur zu Fuss und mit Schirm
Manchmal beginnen aussergewöhnliche Erlebnisse direkt vor der Haustüre, man muss sie nur öffnen. Adi Geisegger und die Geschwister Melanie und Christian Weber staunen jedenfalls, wie schnell sie auf ihrem kurzen Biwakflug von daheim aus den Alltag hinter sich lassen.
VolBiv mit dem Wind 11 Je weiter die drei Piloten Richtung Zugspitze vordringen, desto felsiger und alpiner wird die Landschaft und desto komplexer und anspruchsvoller werden Talwindsysteme und Flugbedingungen.
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Morgenstund hat Gold im Licht: Was gibt es SchÜneres als den Aufstieg im weichen Morgenlicht, unzählige Startgelegenheiten im Blickfeld und die Freude auf den bevorstehenden Flug?
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VolBiv mit dem Wind 14
Trotz leichter und kompakter Flugausrüstung kommt bei einem VolBiv einiges an Gewicht zusammen. Ein komfortabler Rucksack ist deshalb unerlässlich.
Das Leben auf das Wesentliche zu reduzieren und sich auf sein Urvertrauen zu verlassen ist in der heutigen Zeit unbezahlbar. Melanie Weber
„Der Gleitschirm ist das einfachste Flug gerät, das ich kenne“, sagt Adi Geisegger: Leinen sortieren, Luftraum checken und los geht’s. Und genau diese Einfachheit zelebrieren er und das Geschwisterpaar Melanie und Christian Weber. Sie suchen keine Rekordflüge im Himalaya, sondern möchten ein Flugabenteuer für Otto Normalpilot mit Start von der eigenen Haustür. In ihrem Fall im Allgäu, Deutschland. „Wir sind von unserem Standard-Startplatz einfach in die andere Richtung geflogen”, beschreibt Adi ihre Routenwahl.
Das Wetter gibt die Route vor Der Flug wird so gleich bei der ersten Querung zur Entdeckungsreise. „Das Schöne im Allgäu ist, dass es keine grossen Talwindsysteme hat und so überall Landemöglichkeiten vorhanden sind”, erklärt Adi. Selten komme man hier fliegerisch an seine Grenzen, und das, obwohl das Gebiet landschaftlich einiges zu bieten habe. Das Allgäu eignet sich dadurch auch für weniger routinierte Piloten. Das Wetter ist dem Trio jedoch von Anfang an nicht besonders wohlgesonnen. Ursprünglich hatten sie sich von
ihrem Hausberg „Mittag” bei Immenstadt in Richtung Bodensee halten wollen. Doch der Westwind ist zu stark. „Wir haben also improvisiert und einfach das Beste daraus gemacht”, erzählt Adi. Und statt sich über die Wettergötter zu ärgern, wird der Kurs kurzerhand geändert: Es geht nicht gegen, sondern immer mit dem Wind Richtung Osten.
Freies Fliegen Allerdings lassen die Bedingungen auch so zu wünschen übrig. Bereits nach der ersten grossen Querung zum Spieser stehen die Abenteurer am ersten Tag bei Bad Hindelang wieder am Boden. Tags darauf wachsen die Wolken schneller in die Höhe, als es den Piloten lieb ist. Sie schaffen es trotzdem an die Basis und fliegen mit Rückenwind Richtung Reutte in Tirol, Österreich. Der grosse Talkessel stellt sie vor eine Entscheidung: Links via Plansee oder rechts via Heiterwangertal? Adi entscheidet als der erfahrenste Pilot im Team. Das Heiterwangertal sieht vielversprechender aus. Der Talund der überregionale Wind verschwören sich jedoch gegen das Vorhaben,
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Ein perfekter Startplatz mit ist noch keine Garantie für einen weiten Flug. Aber darauf kommt es auch nicht an. Was zählt, ist das Erlebnis, und das beginnt beim Aufbruch.
und so stehen die drei Abenteurer bereits am Heiterwangersee wieder am Boden. „Fehlentscheide gehören nun mal zum Fliegen”, sagt Adi. „Sie sind der Grund, warum ich nach 23 Jahren immer noch fliege.“ Ein und derselbe Ort könne bei jedem Überflug anders sein. Windrichtung, Jahreszeit, Sonneneinstrahlung, Luftschichtung: „Es gibt unzählige Variablen, die beeinflussen, ob eine Flugroute funktioniert oder nicht.“ Aber auch das gehöre zum Biwakfliegen: Spontanes Umdisponieren und dabei immer das Positive sehen.
Biwak am Lagerfeuer Und so erfreuen sich die drei unfreiwillig Gegroundeten bald darauf in einer Gastwirtschaft am Heiterwangersee an einer ausgiebigen Mahlzeit, um sich für den 1.200-Meter-Aufstieg am Folgetag auf die Kohlbergspitze zu stärken. Den Abend und die Nacht verbringen die drei eingewickelt in ihre Gleitschirme am Lagerfeuer. Als auch tags darauf die Thermik wieder nicht will, disponieren die Flieger erneut um und verbringen einen geruhsamen Tag am Hebeltaljoch. Pause vom Alltag geht so einfach!
Altschneefelder, Geröllfelder und Klettersteigpassagen: Der Aufstieg zur Zugspitze ist kein Zuckerschlecken.
Wir haben improvisiert und einfach das Beste daraus gemacht. Christian Weber
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#2
VolBiv mit dem Wind 16
Die Vorteile eines VolBiv-Abenteuers nahe der Zivilisation: Man kann sich für das abendliche Lagerfeuer in einem Gasthaus Weingläser ausleihen.
About Adi Geisegger fliegt seit den frühen 1990er Jahren Gleitschirm und Drachen. In den vergangenen Jahren ist der Fotograf und Filmer auch oft mit dem Paramotor anzutreffen. Melanie Weber hat das Gleitschirmfliegen vor sechs Jahren für sich entdeckt und brachte als begeisterte Hike & Fly-Pilotin die besten Voraussetzungen für ihre erste VolBiv-Tour mit. Die Stille geniessen, ganz im Hier und Jetzt sein und an nichts denken: Meditation ist einfacher, als viele denken.
Christian Weber fliegt seit acht Jahren. Am Streckenfliegen gefällt ihm die Konzentration beim Aufdrehen und die
Equipment
gefühlte grenzenlose Freiheit, die ihn an der Wolkenbasis erwartet.
Film XI
LIGHTNESS 2
LIGHTPACK 2
SQR LIGHT
youtu.be/okigCECh6rU
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Es sind diese Momente mit unvergleichlichen Lichtverhältnissen und Sternen direkt über dir, die ein Biwak unvergesslich machen. Kälte und Nässe sind darüber schnell vergessen.
Highlight über der Zugspitze Am letzten Tag der Reise besinnt sich das Wetter schliesslich: Tolle Flugbedingungen sind vorausgesagt. „Wir wollten mit einem Highlight abschliessen”, erzählt Adi. Ihm schwebt ein Start von der Zugspitze vor. Um dieses Ziel zu erreichen, starten Melanie, Christian und Adi frühmorgens vom Hebeltaljoch und landen auf der Tiroler Seite direkt am Fuss von Deutschlands höchstem Berg ein. Die Zeit drängt. Nach dem Mittag werden zunehmende Winde auf 3.000 Metern erwartet. Das könnte einen Start verunmöglichen. Nach der Stille des langen 2.000-Höhenmeter-Aufstiegs ist die Bierzeltstimmung auf dem Plateau der beiden Seilbahnbergstationen und dem nahen Gipfel wie ein Schock. Umso mehr geniesst das Trio die letzten Meter zum Startplatz etwas unterhalb des Gipfels. Hier, zwischen Gletscher, Leitern und Seilsicherungen kehrt wieder Ruhe ein.
Das Schönste am Fliegen ist, dass man nie ausgelernt hat. Adi Geisegger
Belohnung für den harten Aufstieg gewesen, erzählt Adi.
Fliegen heisst entdecken Eigentlich sei es egal, ob man 20 oder 200 Kilometer weit fliege, resümiert Adi nach ihrer Tour. „Viel wichtiger ist doch, dass man Abschnitte und Gebiete entdeckt, die man noch nie gesehen hat, und an Plätzen landet, wo man noch nie zuvor gelandet ist.“ Und dieses Ziel hat die kleine Fluggemeinschaft auf ihrer kleinen Entdeckungsreise von zu Hause aus ohne Zweifel erreicht.
Kräftige Thermikablösungen erschweren den Start, doch alle drei kommen sicher in die Luft. Das Gefühl, über den mächtigen Felswänden der Zugspitze zu schweben, sei einfach unbeschreiblich und wie advance.ch /advancedadventures
#2
Vom Dach der Alpen 18
Fred hat den Mont Blanc unzählige Male auf verschiedensten Routen bestiegen, trotzdem entdeckt er immer wieder neue Facetten dieses Berges.
#hikeandfly #climbandfly #allmountain
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Vom Dach der Alpen
Vom Dach der Alpen Flug vom 4.810 m hohen Mont Blanc
Es ist der Traum vieler Gleitschirmpiloten, einmal vom Mont Blanc zu fliegen. Fred Souchon hat es schon viele Male gemacht. Der hĂśchste Gipfel des Alpenbogens ist sein Hausberg. Dennoch ist der nahezu endlose Konturenflug entlang schroffer Grate und zerfurchter Gletscher fĂźr den Bergretter jedes Mal wieder ein ganz besonderes Erlebnis.
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#2
Vom Dach der Alpen 20
Beim Aufstieg auf den höchsten Berg der Alpen ist Fred nicht allein. Beim Abflug später schon.
Wenn ich diesen Ozean aus Schnee und Felsen sehe, erinnert es mich jedes Mal wieder daran, wie klein und zerbrechlich wir doch sind. Fred Souchon
Es ist ein Bild wie auf einer Postkarte. Die Sonne hängt im Osten wie eine gleißende Silberscheibe, von deren Rändern silberfarbene Nadeln ins leuchtende Blau des Himmels stechen. Fred hat diesen Anblick schon oft genossen. Als Bergretter am Mont Blanc ist er nahezu täglich am höchsten Berg der Alpen unterwegs. Dennoch ist dieser Moment auch für ihn immer wieder etwas Besonderes. Es ist der Augenblick, in dem sich entscheidet, ob der Flug vom Gipfel gelingt – oder eben nicht. „Bis zum letzten Moment weiss man nicht, ob der Start klappt“, erklärt Fred. „Das Gefühl, wenn die Füsse dann das Dach der Alpen verlassen, ist deshalb unglaublich“, erzählt er und ergänzt, dass er nach dem Start immer einen Freudenschrei ausstosse.
Ein Ausblick jagt den nächsten Viel Zeit, sich über den Start zu freuen, bleibt jedoch nicht. „Es warten zu viele Aussichten, die einem unabhängig von der Höhe den Atem nehmen“, sagt Fred. Gleich nach dem Start tauchen unter dem Piloten breite Gletscherspalten und Felsgrate auf. Ausserdem kann man aus der Luft zahlreiche Bergsteiger in den Felsen beobachten. „Wenn ich die sehe, erinnert es mich jedes Mal daran, wie klein und zerbrechlich wir sind in diesem Ozean aus Schnee und Felsen. Das macht diesen Flug magisch.“
Nächtlicher 4.000-m-Aufstieg Diesem magischen Erlebnis geht ein langer Weg voraus, denn Freds Flug beginnt bereits am Vortag – mit dem Aufstieg
zum Gipfel. Es wundert nicht, dass der erfahrene Bergretter hierbei meist auf Seilbahnunterstützung verzichtet. „In der Nacht gehe ich direkt von Chamonix aus auf den Gipfel. Das sind zwar fast 4.000 Höhenmeter, aber ich finde es etwas ganz Besonderes, so auf den Gipfel zu gelangen. Nachts wandern, den Sonnenaufgang oben erleben und dann abheben – für mich gibt es kaum etwas Schöneres.“ Die Kuppe des Mont Blanc hat den Vorteil, dass man von ihr aus in verschiedene Richtungen starten kann. So geht es sowohl nach Norden auf die französische Seite als auch nach Süden auf die italienische. Nach dem Start könne man dann problemlos wieder auf die jeweils andere Seite fliegen. Auf der französischen und der italienischen Seite gilt
Vom Dach der Alpen 21
Startvorbereitungen auf 4.810 m Höhe: Während Otto Normalpilot hier schnell aus der Puste gerät, sind sie für den bestens akklimatisierten Routinier Fred ein Kinderspiel.
vom 1. Juli bis 31. August (Frankreich) bzw. bis 12. Oktober (Italien) ein Flugver bot. Grundsätzlich könne man auch nach Westen raus, aber das sei nicht so einfach. Falls es am Gipfel mal zu windig sei, kämen auch der Dôme du Goûter (4.304 Meter) oder der Mont Blanc du Tacul (4.238 Meter) in Betracht, ergänzt Fred.
Erschwerte Startbedingungen So leicht das Fliegen vom Mont Blanc in Freds Erzählungen scheint, so sehr weist er darauf hin, dass man diese exponierte Hochtour nicht leichtfertig angehen sollte. „Es ist wichtig, körperlich und technisch in diesem Gelände absolut fit zu sein und die richtige Ausrüstung dabeizuhaben.“ Selbst wenn man sich für den Aufstieg unter Zuhilfenahme einer der beiden Seilbahnen entscheide. Fred rät deshalb, sich einem Bergführer anzuschliessen. „Auch der Start ist keinesfalls zu unterschätzen. Der Schnee und die besondere Höhe machen ihn weitaus schwieriger als von Startbergen mit 1.000 oder 2.000 m Höhe.“ Direkt nach seinem Start dreht Fred Richtung Tal. Er überfliegt den gewaltigen Mont Maudit, dann den Mont Blanc du Tacul und gleitet anschliessend
Wer hier fliegt, hat gut lächeln: Der Bosson-Gletscher ist mit seinen unzähligen Spalten im Abstieg nicht ungefährlich.
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#2
Der Start ist keinesfalls zu unterschätzen. Schnee und die besondere Höhe machen ihn weit schwieriger als von Startbergen auf 1.000 oder 2.000 m Höhe.
Wingover am Gletscher abbruch Besonderen Spass macht Fred jeweils der Konturenflug möglichst nah entlang der schroffen Grate und flachen Glet scher. Der hohe Speed aufgrund der kleinen Fläche seines Leicht schirms in ten sivi ert das Erlebnis. Sobald der Gletscher steil abfällt und sich gewaltige Séracs unter ihm auftun, überwindet Fred die Geländekante direkt vor dem Gletscherabbruch mit hohen Wingovern. Nur um anschliessend gleich wieder nah am Gelände entlangzufliegen. An dieses gewagte Spiel hatte er sich bei seinen unzähligen Flügen vom Mont Blanc langsam heran getastet. Mittlerweile beherrscht
er es perfekt. Nach etwa 40 Minuten in der Luft berühren Freds Füsse schliesslich am Landeplatz Bois du Bouchet in Chamonix wieder den Boden. Noch während der Schirm heruntersinkt, wandert Freds Blick schon wieder hinauf zum Gipfel. Geradezu majestätisch hebt er sich vor dem blauen Himmel ab. Und obwohl Fred diesen Blick fast täglich geniessen darf, wird es noch eine ganze Weile dauern, bis er seine Emotionen der letzten Dreiviertelstunde verarbeitet hat.
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Vom Dach der Alpen
Fred Souchon
Richtung Aiguille du Midi und dem berühmten „Mer de Glace“.
Gewaltige Hängegletscher, steile Eiscouloirs, verzwickte Granit-Grate: Aus der Vogelperspektive wird sofort ersichtlich, warum Chamonix als Mekka des Bergsteigens in den Alpen gilt.
Vom Dach der Alpen 23
Erst der Aufstieg, dann das Vergnügen: Fast 3.800 m Gleitflug hinab ins grüne Tal von Chamonix.
Equipment
PI 2
STRAPLESS
PIPACK
About Fred Souchon ist begeisterter Alpinist und Gleitschirmpilot. Der diplomierte Bergführer arbeitet als Bergretter in Chamonix. Das ganze Jahr über ist er wahlweise mit dem Gleitschirm oder kombiniert mit Steigeisen, Kletterseil und Eispickel rund um Chamonix oder in den Bergen der Welt anzutreffen.
Es ist wichtig, körperlich und technisch in diesem Gelände absolut fit zu sein und die richtige Ausrüstung dabeizuhaben. Fred Souchon
Film youtu.be/uS8XYQwF9tM
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Flat Challenge 24
Perfekte Flugbedingungen: Wolkenstrasse reiht sich an Wolkenstrasse.
Windenstarts ermĂśglichen den Einstieg zu RekordflĂźgen im Flachland.
#xcflying #flatlands #winch
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Flat Challenge
Flat Challenge Der perfekte Tag in Polen
Lukasz Prokop hat nach vier Jahren Flugerfahrung bereits zweimal den polnischen XC-Rekord gebrochen. Am 4. Juli 2018 überbietet er die Landesbestleistung zum dritten Mal – mit einem Flug über 343 km, bei dem fast alles stimmt. Das Flugabenteuer quer durch Polen fängt jedoch für Lukasz schon am Vorabend an.
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#2
Ich bin süchtig nach dem Fliegen.
An einem potenziellen Hammertag gibt es kein Halten, das wissen alle, die Lukasz Prokop kennen. Wenn Wetter, Lufträume, Arbeit und Privatleben richtig grosse Strecken erlauben, scheut er keinen Aufwand. Das ist bei seinem letzten Rekordflug nicht anders. Er steigt am Vorabend um 21:00 Uhr in den Bus, legt die rund 500 Kilometer zum idealen Startfeld zurück. Um 4 Uhr in der Früh kommt er in Borowa bei Wrocław an. Die letzten zwei Kilometer legt er zu Fuss zurück. Weil der Windenführer erst um 10 Uhr kommt, gönnt er sich vor dem grossen Flug einige Stunden Schlaf.
Ohne Support geht nichts Ohne die Unterstützung aus seinem Umfeld würden Rekordflüge nicht funktionieren, sagt Lukasz. „Ich habe einen super Chef“, sagt er. „Er weiss sofort, was los ist, wenn ich ständig nach draussen schaue.“ An Tagen mit Rekordpotenzial kann Lukasz fürs Fliegen freinehmen. Der
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Flat Challenge
Lukasz Prokop
Warum macht man so etwas? Für einen Neunstundenflug. Für 343 Kilometer freie Strecke. Für den polnischen Rekord. Alles gute Antworten, aber noch wichtiger ist die Liebe zum Fliegen. „Ich bin süchtig nach dem Fliegen“, sagt er ganz offen. Am Anfang seiner Fliegerkarriere ist Lukasz oft alleine am Startplatz gewesen, weil die Bedingungen zwar fliegbar, aber sicher nicht für grosse Flüge geeignet sind. „Nicht selten hat der Windenführer nur für mich und meinen ebenso flugbegeisterten Freund gearbeitet“, erinnert er sich lachend an seine ersten Flüge zurück.
Kontrollierte Zonen und Militärgebiete dominieren den südpolnischen Luftraum.
Hohe Wolkenbasis, flache Cumuli, schöne Aussicht – so muss es sein.
Kopf wäre sowieso nicht bei der Sache, wenn er seinen Überflieger zum Arbeiten zwingen würde, so die Sicht des Chefs. Auch sein Privatleben muss sich nach dem Wolkenbild richten. Als er 2016 heiratet, sieht die Hochzeitsreise – sehr zum Leidwesen seiner Frau Aneta – eher un konventionell aus. „Wir haben am Sonn tag geheiratet, die Prognosen für den darauffolgenden Dienstag waren viel versprechend“, erinnert er sich. Kurz entschlossen verlässt er seine Frau also bereits zwei Tage nach der Hochzeit für einen Startplatz, der 200 Kilometer entfernt liegt. Und trotzdem: Nachdem er mit seinem „329-Kilometer-Hochzeitsflug“ zum zweiten Mal den polnischen Rekord bricht, kommt ihn seine Frau bei der Landung abholen. Dieser Support ist unverzichtbar.
Alles muss stimmen Lukasz Prokop stammt aus Świdnik, einer kleinen Stadt im Südosten des polnischen Flachlands, wo einem weite Flüge nicht einfach in den Schoss purzeln. Wer hier weit fliegen will, muss mehr dafür tun als der Pilot im Alpenbogen. Dass das nicht alleine der Topografie zuzuschreiben ist, merkt sofort, wer sich über die Lufträume informiert: Neben den zi vilen Luftfahrtkorridoren werden die XCRouten oft von temporären militärischen Sperrsektoren gekreuzt. Für einen per fekten Tag in Polen müssen nicht nur die Wettergötter, sondern auch die Herren Militärs mitspielen.
Polish Air Navigation Services Agency | www.amc.pansa.pl
Aus Liebe zum Fliegen
Nach dem längsten Flug der kürzeste Retrieve: Aneta trifft beim Ausgleiten auf Lukasz und empfängt ihn am Landeplatz.
Flat Challenge
Meine Frau ist eine unglaublich wichtige Stütze für mich beim Fliegen.
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Lukasz Prokop
Der perfekte Tag in Polen Obwohl auf seinem Rekordflug der Wind schwach, der Start harzig ist, lässt sich Lukasz nicht entmutigen. Nach anderthalb Stunden dreht er unter der ersten Cumulus-Wolke des Tages endlich der Basis entgegen. „Cloud Base auf 2600 Metern über Meer im polnischen Flachland, das ist unglaublich“, erinnert er sich.
und der geplanten Flugroute angeschrieben.“ Im Endanflug erhält Lukasz plötzlich eine SMS von Aneta. „Hey Honey, ich sehe dich“, schreibt sie. Als sie gesehen hat, dass Lukasz in den Südosten fliegt, hat sie beschlossen, ihren Mann bei der Landung abzuholen. „Aneta war zwei Minuten, nachdem ich gelandet bin, bei mir“, erinnert sich Lukasz, „ich war der wohl glücklichste Mann auf der Welt.“ Nach dem längsten Flug der kürzeste Retrieve, besser geht kaum.
An einen Rekord denkt er aber nicht. Der Plan ist, einfach so lange wie möglich in der Luft zu bleiben. Lange achtet Lukasz Und jetzt? 400 Kilometer. gar nicht auf die Kilometer. Als aber sein „Ich habe früh in meiner Gleitschirmkarriere Navi 200 Kilometer anzeigt, beginnt er gemerkt, dass ich ein gutes Händchen auf seine Strecke zu achten. Aber auch fürs Streckenfliegen habe“, kommentiert jetzt scheint ein Rekord noch nicht rea- Lukasz seinen dritten Rekordflug nüchlistisch. „Erst als ich die letzte Thermik tern. Es sind aber nicht nur die Erfolge, des Tages erwischte, wusste ich, dass mit denen er sich motiviert. Vielmehr es reichen würde“, gibt Lukasz zu. Sein muss immer ein Ziel am Horizont steRekordflug ist wohl nicht nur die weites- hen, das – noch – unerreichbar scheint. Schon beim Zusammenpacken seite Strecke, sondern mit über 9 Stunden Flugzeit auch der längste Flug in Polen. nes Schirms beschliesst Lukasz deswegen: „400 Kilometer in Polen, das ist der Während des Fluges findet Lukasz Zeit nächste grosse Flug.“ seiner Frau Aneta die eine oder andere Message zu schicken: „Ich habe sie hin und wieder mit meiner aktuellen Position
About Aneta und Lukasz Prokop leben im Südosten Polens und sind seit 2016 verheiratet. Bei jedem der drei polnischen XC-Rekorde 2015, 2016 und 2018 holte Aneta Lukasz am Landeplatz ab. Lukasz ist Ingenieur und fliegt seit 2012 vor allem in Polen, war aber auch bereits zweimal in Brasilien auf Kilometerjagd. Sein nächstes Ziel sind die 400 Kilometer in Polen.
Equipment
IOTA 2
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Westwärts
#volbiv #hikeandfly #crosscountry
Westwärts Der Weg ist das Abenteuer
An einem trüben Wintertag hatte Olga von Plate beschlossen, zusammen mit einer Freundin ihren lang gehegten Traum durchzuziehen: Biwakfliegen. Drei Wochen durch die österreichischen Alpen, um Regionen und Menschen besser kennenzulernen – aber auch, um zur Ruhe zu kommen. Es ist ein Experiment. Ganz besonders aber ist es Neuland. Egal, wie weit sie kommen würden. Olga erzählt ...
Westwärts 29 Biwakfliegen heisst, mit allen Bedingungen klarzukommen: Olga wartet den ganzen Nachmittag auf ßber 3000 m auf weniger Wind.
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Westwärts 30
Die Startplätze sind nicht immer ideal.
Wenn ich bei einer Bruchlandung meinen Rücken verliere, kann ich im Internet keinen neuen bestellen. Olga von Plate
In mein Tagebuch hatte ich geschrieben: „Ich möchte losgehen. Gehen, um zu gehen. Autotelisch Schritt für Schritt setzen, mir nur noch um wesentliche Dinge im Leben Gedanken machen müssen. Was essen? Wo schlafen? Wie ist das Wetter? Nicht morgen, sondern heute, im Hier und Jetzt. Lange gehen hat etwas B ereinigendes. Alles ist heutzutage dupli zier bar. Wie derholbar. Rückgängig zu machen oder im Internet nachzulesen. Überall sein, nur nicht hier – und noch weniger bei sich ist die Devise. So vieles ist digital geworden: Freundschaften, Wissen, Erinnerungen. So komisch es klingt, aber ich sehne mich nach dem Absoluten. Nach Ausgeliefertsein. Nach Dingen, die es nur ein einziges Mal gibt auf der Welt. Wenn ich vom Regen nass werde, kann ich nicht „cmd+Z“ drücken. Wenn die Sonne rotglühend untergeht, gibt es keine Replay-Taste. Und das macht es irgendwie so schön, so einzigartig.
Die Planung Jedes Abenteuer beginnt im Kopf. Und so beginnt die Reise schon im Frühling. Ich schreibe Packlisten in den
verschiedensten Konstellationen, überdenke die Erfahrungen vorangegangener Biwaktouren, trainiere steile Anstiege und lange Märsche, feile an der Ausrüstung. Jeder Ausrüstungsgegenstand, sei er noch so klein, wird erneut gewogen, hinterfragt und verflucht. Bei Ultra leichtWanderfanatikern gibt es die goldene Regel „Jeden Ausrüstungsgegenstand um ein Drittel erleichtern“. Wirklich alles. Dann werden aus Bergschuhen Trailrunningschuhe, aus einer Zahnbürste ein Bürstenkopf, aus einer Isomatte eine halbe Isomatte. Aus einem Ultraleichtzelt wird ein Tarp, aus dem Tarp wird ein leichteres Tarp, und zum Schluss nähe ich mir selber eines. Genau nach meinen Anforderungen. Bei der Sicherheit will ich wenig Kompromisse eingehen und entscheide mich für eine 900 Gramm leichte Rettung und das EASINESS 2 mit vernünftigem Airbag. Die Vorbereitungen nehmen viel Zeit in Anspruch. Die Abende verbringe ich damit, mir auf Satellitenbildern und Karten die Topografie einzuprägen, Ther mik karten und Talwindsysteme zu studieren, Hütten zu recherchieren.
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Gehen – Fliegen – Gehen – Gehen: Schon nach wenigen Tagen ist Olga im Flow, der Kopf angenehm leer.
Der Start Am 7. August geht es los. Noch schnell ein letztes Schoko-Croissant vom Bäcker, dann wandern meine Freundin Moni und ich schnellen Schrittes zum Königssee. Wir wollen das erste Boot erwischen. Im Anstieg zum Steinernen Meer dann ein letzter Blick zurück nach Berchtesgaden. All die Vorbereitungen der letzten Monate und Glückwünsche der Freunde im Hinterkopf, fühlen sich die ersten Höhenmeter verdammt gut an. In der Nähe der Schmittenhöhe finden wir auf einer Waldlichtung ein ebenes Plätzchen zum Schlafen. Nach knapp 40 Kilometern und über 2.000 Höhenmetern sind wir müde. Aber auch ganz schön glücklich. Was für ein grandioser erster Tag. So kann es weitergehen!
Solo weiter Starker Südföhn verwehrt uns am nächsten Tag den fliegerischen Eintritt in den Streckenflug vom Pinzgau Richtung Zillertal. Zu Fuss gehen wir 30 Kilometer zur Bürgelhütte, wo mir Moni eröffnet, dass sie abbricht. Zuerst bin ich mächtig enttäuscht, dann entscheide ich, das Ding alleine durchzuziehen. Und werde
es keine Sekunde bereuen. Wann immer es geht, schlafe ich draussen. Bei Gewitter oder viel Wind in Hütten oder manchmal Gasthäusern. Um Gewicht zu sparen, verzichte ich auf Frühstück und esse mittags bei Almen. Mit aufgefüllten Energiespeichern geht es dann in die Luft oder weiter am Boden: über den Gerlosspass ins Zillertal. Weiter ins Valsertal zum Brenner. Ins Gschnitztal, Stubaital und entlang des Stubaier Hauptkamms bis ins Ötztal. Die Tage fließen dahin. Vergehen weder langsam noch schnell. Zeit spielt keine Rolle mehr. Statt wie erwartet über die großen Fragen des Lebens nachzudenken, wird mein Kopf einfach nur leer. Trotz meiner intensiven Vorbereitung hinterlassen die langen Distanzen und steilen Anstiege ihre Spuren: Eine Blase entzündet sich an der Fußsohle, ausserdem habe ich Überlastungserscheinungen an Bändern und Sehnen. Bei einer unfreiwilligen Landung in felsdurchsetztem steilem Gelände in den Tuxer Alpen reissen zwei Bänder im linken Fuss, ich gehe und fliege trotzdem weiter.
Jeden Meter am Boden lege ich zu Fuss zurück. Seilbahnen, Busse, Züge und Autos sind für drei Wochen tabu. Olga von Plate
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#2
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Tierische Beobachter: An manchen Tagen, wie hier in den Stubaier Alpen, trifft Olga unterwegs mehr Tiere als Menschen (im Hintergrund: die Wildspitze).
Ganz im Flow Jetzt, nach zwei Wochen, bin ich ganz im Rhythmus des Tageslichts; krabble häufig schon um halb neun in mein „Biwaknest“ und wache dafür vor Sonnenaufgang auf. Die ersten Schritte morgens tun oft weh, aber sobald man ins erste Sonnenlicht wandert, könnte es nicht schöner sein. Mal treibt die Mittagshitze mich in den Schatten, mal lassen Minusgrade und Schneeflocken mich ein wenig schneller gehen. Mit der Zeit wird der Ehrgeiz weniger, die Gedanken langsamer. Man sieht und erlebt nur noch das, was vor einem ist. Nach drei Wochen ist meine Zeit um. Nur widerwillig trampe ich Richtung Berchtesgaden. Die ersten Tage zu Hause überkommt mich immer wieder das Gefühl, etwas würde fehlen. Es ist der Rucksack auf meinem Rücken. Er ist ein Stück Zuhause geworden, das ich jeden Schritt mit mir trage.
Manch ambitionierter Streckenpilot wäre sicher an mehr Tagen geflogen – doch ich muss realistisch bleiben und Sicherheit gegen schnelles Vorankommen abwägen. Olga von Plate
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Einsame Auf- und Abstiege in nebelverhangenen Felsen bereichern das Innenleben.
About Olga von Plate ist leidenschaftliche Bergsteigerin und Gleitschirmpilotin. Da liegt es nahe, ihre beiden Leidenschaften mittels Biwakflug zu kombinieren. Seit über zehn Jahren ist die Deutsche als selbstständige Kamerafrau und Fotografin tätig. Ausserdem ist sie in der Am Gerlosspass findet Olga ein gemütliches, trockenes Plätzchen für die Nacht.
Bergrettung aktiv.
Equipment
Im Leben stellt man sich so viele Fragen. Beim Biwakfliegen gibt es für mich nur eine Antwort: immer Richtung Westen! Olga von Plate PI 2
EASINESS 2
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Aus der Vogelperspektive haben Damien und Antoine zahlreiche der insgesamt vier Acht- und 63 Siebentausender des Karakorums im Blick.
#volbiv #paraalpinism #karakoram
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Am Himmel der Alpinisten
Am Himmel der Alpinisten VolBiv-Schlaufe durch das Herz des Karakorums
Während ihrer sechswöchigen Expedition in Pakistan flogen Damien Lacaze und Antoine Girard über 1.500 Kilometer Strecke, absolvierten den zweithöchsten Flug der Gleitschirmgeschichte, biwakierten auf mehr als 6.000 Metern Höhe und versuchten die Besteigung des 7.000 Meter hohen Spantik: ein Abenteuer hart an der Grenze des Menschenmöglichen.
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Beim Anblick der unzähligen unbestiegenen Granitwände des Karakorums gerät jeder Alpinist ins Schwärmen. Wie muss es erst für einen bergsteigenden Piloten sein.
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Am Himmel der Alpinisten 38
Andere müssen tagelang gehen, um zu ihrem Expeditionsberg zu gelangen. Antoine und Damien fliegen hin.
Einige Leinen, ein Fetzen Stoff und du erreichst mit ein paar Thermikkreisen Orte, von denen Alpinisten ein Leben lang träumen. Antoine Girard
Der Start der Expedition bei Skardu im Norden des Landes ist ganz nach dem Geschmack der beiden Franzosen Damien Lacaze und Antoine Girard. Die Flugbedingungen sind sehr gut. „Wir mussten uns bewusst zurückhalten, um nicht höher als 6.800 Meter zu fliegen“, erklärt Damien. „Andernfalls wäre die Akklimatisation auf die extreme Höhe nicht gewährleistet gewesen.“
50 Kilometern pro Stunde sei eine stehende Landung mit Rennen keine Option.
Es muss fliegen
Antoine landet nicht weit entfernt. Allerdings versucht er, stehend aufzusetzen. Mit verheerender Folge. Die Belastung ist zu gross für seinen Knöchel, er verletzt sich schwer. „Wäre ich in dieser Situation gewesen, hätte ich die Expedition abgebrochen“, sagt Damien. Rückschlag gleich zu Beginn „Ich habe Antoine gesagt, dass er wegen Der erste Flug ist fast perfekt. Dann die mir nicht weitermachen müsse.“ Aber erste Landung. Der Landeplatz ist zwar Antoine Girard wäre nicht Antoine Girard, relativ einfach, ein sanfter Grat mit ein- wenn ihn der erste Rückschlag gleich zum zelnen Steinblöcken; beide Piloten haben Abbruch gezwungen hätte. Der Alpinist aber über 35 Kilogramm Proviant, Wasser und Gleitschirm-Höhenrekordhalter entund Ausrüstung im Gurtzeug und sind mit scheidet: „Ich mache weiter.“ etwa 15 Kilogramm über dem zugelassenen Gesamtgewicht ihrer Gleitschirme Antoine kann nicht mehr gehen. Also unterwegs. Ausserdem fliegen sie auf wechseln die beiden Piloten die Strategie. über 4.000 Meter Höhe. Die geringe „Wir sind immer hoch gelandet, auf der Luftdichte, kombiniert mit der hohen Westseite eines Passes zum Beispiel“, Flächenbelastung, macht die Schirme erzählt Damien. So liegen der Landeplatz schnell. „Ich habe bei dieser Landung, am Abend und der Startplatz am nächswie bei der Hälfte meiner Landungen in ten Morgen meist nur einige Meter ausPakistan, die Popo-Landetechnik ge- einander. Dazwischen biwakieren die beiden häufig auf etwa 5.000 Metern wählt“, gibt Damien offen zu. Denn Höhe. Über weite Strecken sehen die bei Landegeschwindigkeiten von fast
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Landung auf über 6.000 m am Spantik. Weiter geht es zu Fuss Richtung Gipfel.
beiden Gleitschirmabenteurer so keine und begleiten ihn auf den Gebirgskamm. Menschenseele. „Oft haben wir schon „Ich durfte meinen Rucksack keinen einzium 4 Uhr nachmittags begonnen, nach gen Meter tragen“, erinnert sich Damien einem geeigneten Landeplatz zu suchen“, und lacht. beschreibt Damien ihre Flugtaktik. Durch frühes Landen vermeiden sie das Tal und Flucht vom Spantik lange Märsche zum nächsten Startplatz. In Karimabad empfängt die beiden schlechtes Wetter. Immer wieder müsFrüh landen heisst aber auch landen bei sen sie den Aufbruch zum Spantik veraktiver Hochgebirgsthermik: „Wenn auf der einen Seite eines Grats ein 8-Meter- schieben. Nach einer Woche Warten öffSchlauch hochfegt, musst du praktisch net sich endlich ein Schönwetterfenster. immer im Lee auf der Schattenseite Die Basis ist eigentlich zu tief, um auf fliegen, um runterzukommen“, erklärt 6.200 Meter auf einem Plateau am Damien. Höchste Konzentration und vol- Spantik einlanden zu können. Damien und Antoine versuchen es trotzdem. le Schirmbeherrschung sind Pflicht.
Freundliche Locals Einmal misslingt Damien diese Taktik und er muss weit unten im Tal landen – in der Nähe eines kleinen Dorfs, das er aus der Luft fast nicht bemerkt hatte. Sofort ist er von den Dorfbewohnern umgeben. Sie haben noch nie einen Gleitschirm gesehen und sind dementsprechend aufgeregt. Jeder will das faltbare Fluggerät einmal berühren. Als Damien zusammenpackt und aufbrechen will, um sich mit dem höher gelandeten Antoine zu treffen, nehmen ihm die Locals sein Gepäck ab
Statt in ihren Liegegurtzeugen sitzen die beiden während des 40-Kilometer-Flugs von Karimabad zum Spantik, so wie bei
Wäre ich in dieser Situation gewesen, hätte ich die Expedition abgebrochen. Damien Lacaze
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#2
all ihren Flügen auf dieser Expedition, in hauchfeinen String-Harnesses. „Das war bei Thermik, die bis zu 13 Meter in der Sekunde stark sein kann, schon etwas angsteinflössend“, kommentiert Damien. Am Fusse des Spantik kämpfen die beiden Piloten dann um Höhe. Nur wenige Meter fehlen, damit sie am einzig möglichen Ort auf dem 6.200 Meter hoch gelegenen Plateau einlanden können. Schliesslich gelingt es. Weich setzen sie im tiefen Schnee auf.
ihre Geräte für den Blindflug vor. Als der Wind kurz richtig steht, starten sie. Sie haben Glück: Die Wolkendecke ist „nur“ 600 Meter dick. Bald meldet sich Antoine per Funk. Es geht ihm besser, die dichtere Luft hilft. Dieser fluchtartige Abstieg mit dem Gleitschirm dauert eine Stunde. Damien und Antoine legen währenddessen 35 Kilometer Luftlinie zurück. Alpinisten würden für die Strecke eine Woche benötigen.
Antoine Girard ist Pionier in der Kombination von Höhen-Alpinismus
Am Himmel der Alpinisten Das Wetter jedoch verschlechtert sich „Genau das ist das Faszinierende am früher als prognostiziert. Noch während Gleitschirmfliegen im Hochgebirge“, des Zustiegs zum Spantik am nächs- schwärmt Damien: „Einige Leinen, ein Fetzen Stoff und du erreichst mit ein ten Tag nimmt der Wind stark zu und paar Thermikkreisen Orte, von denen es beginnt zu schneien. Die mangelnde Akklimatisierung macht sich allmählich Alpinisten ein Leben lang träumen.“ bemerkbar. Es geht kaum noch voran, und die beiden beschliessen abzubre- Eine Woche später machen sich chen. An einen Gleitschirmstart ist nicht Antoine und Damien auf den Rückweg von Karimabad nach Skardu. Sie fliemehr zu denken. gen über den Baltoro-Gletscher, an den Antoine leidet unter der Höhe, Verdacht Trango-Türmen vorbei, soaren am Broad auf Hirnödem. Er muss hinunter. Egal, Peak und winken all den verschiedenen wie. Die beiden beschliessen, trotz des Seilschaften unter sich zu. tiefen Schnees und dicken Nebels so bald wie möglich zu starten. Sie bereiten
und Gleitschirmfliegen. Unter anderem machte er 2016 mit seinem Überflug des Broad Peak (8.051 m) auf sich aufmerksam und hält den Gleitschirm- Höhenweltrekord. Beim X-Alps 2013 wurde er Dritter, 2015 Vierter. Damien Lacaze ist Alpinist, Wettkampf-, Strecken- und Tandem-Pilot. Beim X-Alps 2017 war er Supporter von Benoît Outters. Ausserdem belegte er im selben Jahr den ersten Platz am Bornes to Fly. Sein Wunsch ist, einmal selbst als Athlet an einem X-Alps- Rennen teilzunehmen.
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Am Himmel der Alpinisten
About
Eisig, ungemütlich, einsam: Karakorum bedeutet Bergsteigen und Fliegen in seiner extremsten Form.
Map Data @ 2019 Google
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Am Himmel der Alpinisten
Das Zelt bietet Schutz vor starkem Wind und einen gewissen Komfort in der unwirtlichen Gegend. Kalt ist es trotzdem.
Was auf der Landkarte aussieht wie ein Tagestrip, sind in Wirklichkeit 1.500 km durchs höchste Gebirge der Welt.
Equipment
Ich habe wohl bei der Hälfte meiner Landungen in Pakistan die Popo-Landetechnik gewählt. Damien Lacaze
OMEGA XALPS 2 (Damien)
SQR LIGHT
Film youtu.be/G8gvWsQ-p48
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#2
Roadtrip in die ÂM ongolei 42
Ein Piktogramm sagt mehr als tausend Worte: Alain und Nathalie treffen auf beste Gleitschirm-Infrastruktur bei Aralan in der Provinz Ost-Aserbaidschan, Iran.
#roadtrip #culture #landscape
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Roadtrip in die M ongolei
Roadtrip in die Mongolei Auf und über der Strasse durch Zentralasien
Fünf Monate on the Road – von Monaco bis in die Mongolei. Mit dabei im voll bepackten Geländewagen: eine kompakte, leichte Streckenflugausrüstung. Wenn Alain und Nathalie Antognelli auf eine ihrer Abenteuerreisen jenseits des Mainstreams aufbrechen, ist eines klar: Langeweile kommt dabei bestimmt nicht auf!
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#2
Beim Gleitschirmfliegen musst du immer mit allem rechnen. Ein gesunder Respekt und geschärfter Sinn sind unerlässlich. Alain Antognelli
Für Nathalie und Alain Antognelli ist Abenteuer Leben. Egal ob mit dem Seekajak in Grönland, dem Hängegleiter in Südafrika oder dem Gleitschirm über den Victoriafällen in Simbabwe: Seit vielen Jahren bereist das monegassische Fotografenpaar die Welt und dokumentiert seine Abenteuer in Reisereportagen. Im Sommer 2016 waren die beiden mit dem Fahrrad im Iran unterwegs, als Alains Knie plötzlich nicht mehr mitspielte. So mussten sie ihr ursprüngliches Projekt, mit dem Seekajak von Monaco bis nach Griechenland und anschliessend mit dem Fahrrad weiter in die Mongolei zu reisen, abbrechen.
Doch würde eine Gleitschirmausrüstung überhaupt in dem bis unters Dach vollgestopften Land Cruiser Platz finden? Nathalie sagte ja. „Den heutigen Mög lich keiten einer vollwertigen, kompakten Streckenflugausrüstung um die acht Kilogramm hatte Alain einfach nicht widerstehen können“, erinnert sie sich und lacht.
Respekt in neuen Fluggebieten Zu Beginn der Reise flog sich Alain mit seinem neuen Schirm in ihm vertrauten Fluggebieten in Italien und Griechenland warm. In der Türkei hatte er dann ein erstes Erlebnis, das ihm die Gefahren aufzeigte, wenn man in einem unbekannten Gebiet fliegt und dabei auf sich alleine
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Roadtrip in die M ongolei
Nächster Anlauf, andere Geräte „Einfach aufgeben hätte nicht unserem Wesen entsprochen“, erzählt Alain. Deshalb hätten sie sich der neuen Situation flexibel angepasst und seien zwei Jahre später erneut aufgebrochen. Mit dem gleichen Ziel, aber einer anderen Route und vor allem mit einem anderen Vehikel! Ihrem alten Toyota Land Cruiser, den sie für diesen Zweck extra wieder auf Vordermann gebracht hatten. Als Gleitschirmpilot der ersten
Stunde hatte Alain sofort das Potenzial erkannt, das diese Reiseänderung bot. Auch nach einer längeren Flugpause und jetzt, mit 59 Jahren, hatte ihn seine Leidenschaft fürs Fliegen nie losgelassen. Warum also nicht einen Gleitschirm mitnehmen und einen Teil der Route aus der Vogelperspektive erkunden? Nathalie könnte ihm währenddessen auf der Strasse folgen.
Landung in der grünen Steppe auf etwa 3.000 Metern Höhe am Ufer des Son Koul in Kirgistan. Am Himmel Cumuli wie aus dem Bilderbuch.
Erste grosse Etappe Europa geschafft: Willkommen in der Türkei, Alain und Nathalie!
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Roadtrip in die M ongolei
gestellt ist. Nathalie und er waren auf einen einsamen Berg gefahren. Oben hatten perfekte Soaring-Bedingungen geherrscht. Alain war schnell startbereit gewesen, doch plötzlich frischte der Wind so stark auf, dass innerhalb von Minuten nicht mehr ans Fliegen zu denken war. Mit Hilfe von Nathalie konnte Alain gerade noch seinen Schirm einpacken. Alains Erkenntnis: „Du musst beim Gleitschirmfliegen immer mit allem rechnen und die Umgebung permanent beobachten. Ein gesunder Respekt und geschärfter Sinn sind unerlässlich.“
Flugparadies Iran Richtig aufregend wurde es dann im Iran. Das riesige Land verfügt über eine gut organisierte Fliegerszene, die ausländische Piloten sehr herzlich empfängt. „Die Gastfreundschaft und Freundlichkeit der Einheimischen ist unglaublich“, erinnert sich Alain. „Und es gibt vielfältigste Flugmöglichkeiten: von Hike & Flys in grüner Vegetation am Kaspischen Meer bis hin zu weiten Streckenflügen in Höhen um die 6.000 Meter in der wüstenartigen Gegend bei Kermanshah. Genau dort hatte Alain dann ein weiteres prägendes Flugerlebnis. Mit einer Gruppe iranischer Piloten war er zu einem Streckenflug aufgebrochen. Es herrschten starke thermische Bedingungen und es ging flott voran. Nach etwa 50 Kilometern bekommt Alain jedoch plötzlich einen grossen Klapper mit impulsiver Öffnung. Sein XI fliegt sofort wieder, aber Alain hat keinen Zug mehr auf der rechten Bremse und hält den losen Bremsgriff in der Hand! Was
Herrliche Lichtstimmungen, aber auch viel Wind erlebten Alain und Nathalie im Mai in der Türkei.
Was gibt es Schöneres, als nach einem herrlichen Flugtag wieder auf dem Startplatz einzulanden? Hier in Aralan, Iran.
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#2
Roadtrip in die M ongolei 46
Es ist die unendliche Weite, die Alain und Nathalie besonders fasziniert, hier in der Provinz Ost-Aserbaidschan, Iran.
Film youtu.be/JCbcncryyA8
nun, in ruppigster Wüstenthermik unter einer Wolkenstrasse auf 3.500 m Höhe? Alain entscheidet sich, rechts seinen Gleitschirm über den hinteren Tragegurt zu steuern und so zu landen. Nathalie findet ihn dank Satelliten-Tracker. Nach der Landung begutachtet Alain die gerissene Bremsleine und kommt zu dem Schluss, dass sie beim Start von einem der herumliegenden spitzen Steine wohl beschädigt worden und durch den Öffnungsschlag gerissen war. Seine Begleiter flogen an diesem Tag noch über 200 Kilometer.
Durststrecke Zentralasien Nach der Ausreise aus dem Iran hielten Wind und starke Gewitter in Zentralasien Alain mehrere Wochen vom Fliegen ab. Erst in der Nähe von Dushanbe, der
Nirgendwo kommt man schneller ins Gespräch als auf einem fremden Startplatz, hier mit Pilotin Fatemeh Eftekhari.
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Iran – riesiges Land, unzählige Facetten: Alain über bewaldetem Gebiet am Kaspischen Meer.
About Das monegassische Fotografenpaar Nathalie und Alain Antognelli bereist seit über 30 Jahren abgelegene Gebiete auf der Welt. Ihre Spezialgebiete: Naturfotografie und Dokumentarfilme, z. B. über das Leben mit einer grönländischen Familie. Zudem ist Alain ein Gleitschirmpilot der ersten Stunde.
Equipment
XI
Hauptstadt von Tadschikistan, kam er, gemeinsam mit lokalen Piloten, wieder in die Luft. Auch am einsamen Sol-Kul-See in Kirgistan klappte ein Flug. Am dortigen Seeufer wurden Alain und Nathalie anschliessend von Einheimischen in eine Jurte eingeladen. Für beide ein weiteres Beispiel und prägendes Erlebnis der immensen Gastfreundschaft, auf die sie immer wieder stiessen. Bei Almaty, der Hauptstadt von Kazakhstan, fand Alain noch im Spätherbst beste Streckenflugbedingungen vor. Mit dem Einbruch des Winters erreichten die beiden schliesslich die Mongolei. Über fünf Monate Reise durch zehn Länder mit den unterschiedlichsten Landschaften und unendlicher Weite liegen hinter ihnen. Als „Lovers of Open Spaces“ kamen Nathalie und Alain auf ihrer Tour voll auf ihre Kosten. Besonders die vielen Kontakte mit der Bevölkerung haben es den beiden angetan. Vor allem die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft der einheimischen Gleitschirmpiloten beeindruckten sie immer wieder von Neuem.
The show must go on Um auch die mongolische Kultur besser kennenzulernen und die guten Flug be dingungen im Frühling nutzen zu können, beschliessen sie, den Winter im Land zu verbringen: in einer mongolischen Jurte, gemeinsam mit Einheimischen.
Einfach aufgeben hätte nicht unserem Wesen entsprochen. Alain Antognelli
LIGHTNESS 2
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#2
Himalayan Tandem 48
Nach dem Start auf etwa fünfeinhalbtausend Metern dreht Aaron auf bis zu 6.200 Meter Höhe auf. Hier gemeinsam mit Fotograf Alessandro d’Emilia.
#hikeandfly #explore #himalaya
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Himalayan Tandem
Himalayan Tandem Abenteuer mal anders
Abenteuer beginnen in der Regel dort, wo die Komfortzone aufhört. Bis Spitzensportler wie der Paragliding World Cup Champion Aaron Durogati oder die K2-Bezwingerin Tamara Lunger aus ihren Komfortzonen herauskommen, müssen sie oft extreme Projekte angehen. Abenteuer entstehen aber auch dann, wenn man nicht allzu viel plant und offen für Neues ist.
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#2
Himalayan Tandem 50
Sich direkt in der Luft über die Erlebnisse austauschen zu können, war für Aaron eine ganz neue Erfahrung.
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#2
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Himalayan Tandem
Flug über ein einsames Bergdorf zusammen mit Tamara.
Die Erfahrung, dass ein Abenteuer nicht nur im nächsten noch extremeren Projekt als dem vorangegangenen liegt, machten Aaron Durogati und Tamara Lunger in Indien. Für den Herbst 2017 hatte Aaron ursprünglich etwas ausserhalb seiner grossen fliegerischen Komfortzone in Nepal geplant. Eine Knieverletzung, die er sich beim X-Alps zugezogen hatte, zwang den ADVANCE-X-Alps-Team piloten jedoch zum Umdisponieren. Auch Tamara hatte seit ihrer Expedition zum Kangchenjunga im Frühling 2017 aus gesundheitlichen Gründen etwas kürzer treten müssen. Warum also nicht gemeinsam nach Indien reisen, entspannt ein paar Berge im Himalaya besteigen und mit dem Tandem runterfliegen? Der Idee folgten schnell Taten. Zum Team stiess noch der Fotograf und Filmer Alessandro d’ Emilia hinzu. Im Oktober brachen die drei Freunde zum Ausgangspunkt Bir im Bundesstaat Himachal Pradesh im Norden Indiens auf. Mit den HimalayaAusläufern und der weiten Ebene hinaus nach Süden erinnert das beliebteste Gleitschirmgebiet Indiens an Bassano
in Italien. Alles nur einen Massstab grösser. Schliesslich spitzen die Gipfel des Hinterlands bis zu 6.000 Meter in den Himmel. Und genau da wollten Aaron und Tamara hin: mit dem Auto, zwei Zelten (eines als Basis im Tal, eines für eventuelle Höhenlager) und einem PI BI Leichttandem. Einen guten Monat hatten sie geplant, drei Wochen davon ohne Internet und Wetterbericht.
Alte neue Erfahrungen Jeden Tag stiegen die Höhenbergsteigerin und der Gleitschirmprofi auf einen anderen Berg mit Höhen bis 5.700 m auf. Suchten sich vom Tal eine mögliche Linie und folgten ihr. Schliesslich drehten sie mit dem Tandem oftmals bis über 6.200 Meter auf und flogen zwei bis drei
Himalayan Tandem 53 Auf ihren Touren waren Aaron, Tamara und Alessandro immer ganz allein. „Wir haben keinen einzigen Menschen getroffen.“
Stunden Strecken bis zu 90 Kilometer. „Einmal habe ich am Berg oben entschieden, dass wir nicht starten“, erzählt Aaron. „Ich kann mich nicht daran erinnern, wann das in meinem Leben zum letzten Mal vorgekommen ist.“ An diesem Tag aber hatte ihm ein Bauchgefühl gesagt, dass es gefährlich sei. „Obwohl alles stabil und harmlos aussah!“ Sein Gefühl sollte recht behalten. Um 13 Uhr brach unvermittelt ein Sturm durch. Man habe ihn nicht sehen können, weil die Wolken alle auf der Stelle gestanden hätten, erinnert sich Aaron.
Manchmal habe ich mich wieder gefühlt wie vor 17 Jahren, als ich gerade mit dem Gleitschirmfliegen angefangen hatte. Aaron Durogati
Abenteuer back to the roots Bedingt durch das jahrelange Training und die Erfahrung als Gleitschirmprofi ist das Fliegen in Extrembedingungen advance.ch /advancedadventures
#2
Himalayan Tandem 54
Landung am Fusse eines Bergdorfes. Tamara, Aaron und Alessandro entdecken auf ihrer Reise immer wieder neue Örtlichkeiten.
Meist steigen Aaron und Tamara in Höhen um die 5.600 bis 5.700 Meter auf. Die sauerstoffarme Luft machte Aaron anfänglich zu schaffen.
Mit dem Tandem erlebt man Abenteuer doppelt. Weil man sich direkt austauschen kann. Aaron Durogati
mit anspruchsvollen Geräten bei Aaron so tief im Unterbewusstsein verankert, dass der 32-Jährige in der Regel nicht gross nachdenken muss, wann er wo wie handelt.
sportler und zählt zu den besten Gleitschirmpiloten weltweit. Oft ist der Südtiroler auch mit dem Speedrider oder im Winter mit Ski anzutreffen. Tamara Lunger startete 2002 als Skibergsteigerin und stand 2010 als jüngste Frau auf dem Lhotse, ihrem ersten Achttausender. 2014 folgte der K2. Alessandro d’Emilia ist Ski- und Telemarklehrer, begeisterter Kletterer und Highliner. Vor drei Jahren wurde der professionelle Fotograf und Filmemacher mit dem Gleitschirmvirus infiziert.
Himalayan Tandem
Aaron Durogati ist seit 2009 Profi-
In Indien war es oft anders. Ohne jeglichen Wetterbericht in einer unbekannten, meteorologisch und geografisch sehr anspruchsvollen Region zu fliegen und jeden Tag aufs Neue zu entscheiden, wo die Grenzen des Machbaren liegen, versetzte Aaron teilweise zurück in seine Zeiten als Anfänger. Auch dort hatte er am Start und in der Luft alles rund um sich eingehend beobachtet, hinterfragt, bewertet und dann versucht, Antworten zu finden. Dinge, die ihm, routiniert wie er inzwischen ist und natürlich dank präziser Wettervorhersagen, längst selbstverständlich sind, waren es in Indien plötzlich nicht mehr.
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About
die Anfangszeiten des Gleit schirm flie gens zurückversetzt worden zu sein, sind die prägenden Erinnerungen, die mir von meinem Indien-Abenteuer bleiben.“
Unvergessliche Erlebnisse
Film youtu.be/iByBNlojrQk Equipment
PI BI
PIPACK 2
STRAPLESS & STRAPLESS BI
SQR 220 TANDEM
„Toll ist, dass man sich beim Tandemfliegen schon in der Luft über alles austauschen kann“, erzählt Aaron. „Das war für mich total neu.“ Normalerweise unterhalte man sich ja immer erst am Landeplatz über den Flug. Auch beim kommerziellen Tandemfliegen seien die Gespräche mit dem Passagier andere. Streckenflüge mit dem Tandem waren für ihn ausserdem ein Novum. Neben dem direkten Austausch mit Tamara hat ihm besonders auch das gemeinsame Erleben gefallen. Einmal seien sie zusammen mit zwölf Adlern geflogen. „Tamara war begeistert! Wir sind alle in der gleichen Thermik bis zur Wolkenbasis gekreist, ganz wie im Pulk beim Wettkampffliegen“, erzählt er. Nur einer habe beharrlich immer in die Gegenrichtung gedreht. Auch wie beim Wettkampffliegen ... In einem Kreis sei der Adler dann etwa einen halben Meter an ihrer Kappe vorbeigeflogen. „Erlebnisse wie diese und das Gefühl, wieder in advance.ch /advancedadventures
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Magikistan 56
Erkunden abgelegener Täler mit dem Gleitschirm: hier auf 2.500 Metern HÜhe in der Nähe von Garm.
#volbiv #crosscountry #tajikistan
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Magikistan
Magikistan Eine VolBiv-Reise durch Tadschikistan
Im Frühling 2018 waren Christina Kolb und ihr Lebens gefährte Alain Lehoux zu einer VolBiv-Entdeckungsreise durch Tadschikistan aufgebrochen. Während der 14-tägigen Tour kamen sie nicht nur fliegerisch, sondern auch als Reisegespann an ihre Grenzen. Trotz aller Strapazen möchten sie noch einmal zurück. Das grosse Flugpotenzial, Land und Leute sowie der Reiz des Unbekannten lassen sie einfach nicht los. Christina erzählt ...
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Magikistan 58
Gleitschirm-Bodenspielereien auf 3.000 Metern Höhe bei Navobod: Alain hat Spass im abendlichen Wind.
Lange habe ich davon geträumt, mit dem Gleitschirm in unbekannte, weit entfernte Länder zu reisen. Als ich mit meinem Partner Alain darüber sprach, entschieden wir uns für Tadschikistan. Zum einen, weil 90 Prozent des Landes gebirgig sind, zum anderen, weil uns das touristisch nahezu unerschlossene Garmtal östlich der Hauptstadt Duschanbe grosses Flugpotenzial verhiess. Gemeinsam machten wir uns an die Planung. Während Alain recht spontan ins Abenteuer aufbrach, hatte ich mich über ein Jahr lang mit Land und Leuten beschäftigt. Ausserdem wollte ich sichergehen, dass wir uns nicht zwei Wochen lang nur von Schaffleisch und fermentierter Pferdemilch ernähren müssten.
Viel Gepäck Trekkingnahrung für zwei Wochen, Be kleidung, Wanderstöcke, Solarpaneele, Kameras, Telefone, Ladegeräte, Bat te rien, allerlei Kabel und natürlich unsere neuen OMEGA XALPS 2: Insgesamt kamen wir auf rund 26 Kilogramm Gepäck pro Person. Schnell wurde uns klar, dass unser Trip so schwer bepackt kein
Zuckerschlecken werden würde. Allein um ins Gurtzeug zu kommen, benötigten wir eine Spezialtechnik: Wir setzten uns auf alle viere und stemmten uns dann auf die Beine hoch – jedes Mal aufs Neue eine kraftraubende Angelegenheit.
Neue Perspektive In der Luft zahlte sich die Schufterei dann aber aus. Unsere erste Thermik brachte uns schnell auf 3.500 Meter und wir mussten uns entscheiden: Sollten wir den direkten Weg versuchen, über die schroffen Pässe ins Garmtal? Oder doch die sichere Variante von Süden her, über sanfte Hügel? Ich flog voraus und entschied mich für die sichere Route, was Alain nicht gerade eben glücklich machte und was uns – wie wir im Nachhinein erfuhren – zwei potenzielle Flugtage kostete. Aber wir hatten abgemacht, auf der ganzen Reise zusammenzubleiben, flogen also Richtung Hügel.
Unverhofft kommt oft Tadschikistan sollte mehrere Über ra schungen für uns bereithalten. Oft entpuppte sich das, was zunächst nach einem lockeren kleinen Zweistunden-Hike
ausgesehen hatte, wegen tiefer Couloirs und ausgedehnter Hügelzüge als mühselige Ganztagesmission. Ausserdem war die Thermik trotz kreisender Vögel über unseren Köpfen häufig zu schwach, um darin zuverlässig zu steigen. So mussten wir öfter im Tal landen, als wir es uns erhofft hatten. Auch die lokale Meteorologie bereitete uns manches Kopfzerbrechen. Statt dass sich beispielsweise an der Südflanke vor unserem Startplatz
Es ist unglaublich, wie ein guter Flug die Perspektive verändern kann. Christina Kolb
Thermik ablöste, standen direkt über uns mickrige Rotorwolken, während auf der anderen Seite des Tals über den Nordhängen schöne Cumuli hingen. Ganz verstanden haben wir dieses Wetterphänomen bis heute nicht. Neben diesen negativen gab es aber auch etliche positive Überraschungen. Als wir zwei Tage später zum Beispiel starteten, drehten wir gleich im ersten Schlauch auf 4.200 Meter auf, besichtigten den neuen Obigarm-Damm aus der Luft und zogen los Richtung Osten. Dabei hatten wir unglaublich ruhige Thermik: Ich war überrascht, dass mein Vario sechs oder sieben Meter Steigen anzeigte. So hätte es weitergehen dürfen.
Wir kommen wieder Trotz – und wegen – aller Überraschungen, die Tadschikistan für uns bereithielt, werden wir wiederkommen. Zu schön ist die Gastfreundschaft und Offenheit der Menschen, zu traumhaft die Landschaft. Und das Fliegen. Wenn es denn geht ...
Dennoch war klar: Wir würden nicht so weit kommen, wie wir es ursprünglich ausgerechnet hatten. Für einen beherzten Flug ins Pamir-Gebirge fehlte uns nach unserem tagelangen Schlecht wetterbiwak die Zeit und schlussendlich auch die Kraft. Und der Mut: Wer dort fliegen will, muss morgens starten und bis zur Dämmerung in der Luft bleiben. Dazwischen ist der Wind zu stark zum Landen.
Magikistan
Stattdessen wachten wir tags darauf mitten in einem Sturmsystem auf, das uns fast eine Woche in einem Biwak am Startplatz blockierte. Der Moral war das nicht zuträglich, aber wir harrten aus. Und tatsächlich: An dem Tag, an dem wir hätten absteigen müssen, weil der Proviant ausging, wechselte das Wetter.
Thermikfliegen über den endlosen Bergketten des Hissargebirges in der Nähe der Hauptstadt Duschanbe.
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Zehrendes Schlechtwetterbiwak
About Christina Kolb ist in der Gleitschirm szene vor allem als Akro-Weltmeisterin 2016 bekannt. Sie ist Fluglehrerin, Tandempilotin und eine der wenigen Athletinnen, die den Infinity Tumble in ihrem Repertoire haben. Alain Lehoux fliegt seit 1995 Gleitschirm. Der passionierte Akropilot ist seit 2000 Inhaber der Gleitschirmschule „Gypaètes“. Als Fluglehrer organisiert er Flugreisen und veranstaltet Sicherheitstrainings sowie Anfängerkurse.
Film youtu.be/RjAu76WAzBc Equipment
Regenwetter zaubert nicht nur grüne Landschaften, sondern sorgt auch für wunderbare Lichtspiele, hier am Karakulsee.
OMEGA X ALPS 2
advance.ch /advancedadventures
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Unbekanntes Flugobjekt in La Clusaz, Frankreich, gesichtet! Einen bikenden Tandempassagier trifft man eher selten.
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Fly a Bike
#action #stunt #flyingbike
Fly a Bike Ein abenteuerlicher Stunt
Mit „The stunt is back/bike“ ist Eliot Nochez ein spektakuläres Video gelungen. In dem Dreiminüter fliegt bei ihm Mountainbiker Kilian Bron als Tandempassagier mit. Nach kurzer Zeit wird er von Eliot abgesetzt. Ein spannendes Rennen zwischen Gleitschirm und Mountainbike beginnt. Wir haben Eliot zur Idee und den Herausforderungen des Drehs befragt.
Wie lange hat es gebraucht, bis du den Dreh von „The stunt is back/bike“ vorbereitet hattest? Die Idee dazu hatte ich schon sehr lange. Immer wieder habe ich darüber nachgedacht, ob so etwas möglich ist und wie man es machen müsste. Als der Dreh konkreter wurde, haben wir drei Tage lang den ersten Absprung geübt und das spätere Hochnehmen von Kilian. Ausserdem haben wir einen Tag die Location genauestens geprüft und dann zwei Tage gedreht. Für Nachbearbeitung und Schnitt des Videos benötigten wir eine Woche.
Wie bist du auf die Idee gekommen, mit einem Gleitschirm ein Mountainbike samt Fahrer zu befördern? Das hatte sich im Winter zuvor ergeben. Damals hatte ich einen ersten Stunt zusammen mit dem Skifahrer Pierre Guyot gemacht. In dem Video hatte ich Pierre als Tandempassagier dabei und ihn über der Skipiste ausgeklinkt. Auf dem „Montagne en Scène“-Festival traf ich dann Kilian. Er zeigte dort einen Mountainbike-Film und fragte mich, ob es auch möglich sei, ihn mit seinem Bike mitzunehmen und auszuklinken. Wir versuchten es. Es war absolut nicht einfach, aber hat funktioniert. Daraus entstand die Idee zu dem Film.
Ist während des Drehs mal irgendetwas schiefgelaufen? Nein. Ich bin sehr perfektionistisch und hatte mir im Vorfeld schon ausgemalt, was man noch alles hätte machen können. Das Wetter und das Timing haben uns allerdings nicht wirklich geholfen. Dennoch sind wir mit dem jetzigen Ergebnis sehr zufrieden.
Fly a Bike
Wie gross war eure Crew? Sehr klein. Da waren einmal Kilian und ich, zwei Kameraleute, ein Drohnenpilot und ein Mann für den ganzen Transport. Das war’s dann auch schon.
Der gefährlichste Part an dem Stunt war das Ausklinken zur richtigen Zeit und exakte Absetzen des Enduro-Bikers.
About Eliot Nochez fliegt seit rund 15 Jahren Gleitschirm. Seit 2016 ist er im
Was war für dich als Pilot das Schwie rigste an dem Stunt? Die richtige Koordination. Wir mischen hier zwei Sportarten. Man muss also genau wissen, wie der andere tickt, die Geschwindigkeiten exakt aufeinander abstimmen und vor allem sich zu hundert Prozent vertrauen. Hätte ich ihn aus zu grosser Höhe ausgeklinkt, wäre das sein sicheres Ende gewesen. An dieser Stelle möchte ich mich deshalb noch mal bei Kilian für sein Vertrauen bedanken.
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Wo wurde gedreht? In La Clusaz in Frankreich. Das ist ein Ski gebiet in den Aravis-Bergen in der Region Auvergne-Rhône-Alpes.
ADVANCE-Acroteam. Der 3-fache französische Meister und Gesamtweltcupsieger 2015 sucht nicht nur im Acro Herausforderungen, sondern verbringt auch viel Zeit mit dem Realisieren von Ideen in Filmen. Kilian Bron ist Teamfahrer des französischen Mountainbike- und BMX-Herstellers „Sunn“ und bekannt für seine spektakulären Downhills weltweit. Am liebsten erkundet der Endurist dabei selten befahrene Gebiete in grossartiger Landschaft, wie die Sandsteinformati-
Was war die grösste Herausforderung? Die grösste Herausforderung war, nicht zu halsbrecherisch unterwegs zu sein (Eliot lacht). Im Ernst: In der Szene, in der ich Kilian wieder aufnehme, musste ich unheimlich genau fliegen. Es ging ja darum, dass ich ihn erwische, sichere und dann mit ihm weiterfliege. Alles aus dem Flug heraus, während er fährt. Ich wollte das ja nicht faken. Ebenso herausfordernd war, ihn am Anfang auszuklinken. Er sollte auf den Rädern landen und gleich weiterfahren. Diese Szene war zudem sehr gefährlich, weil wir bei der Höhe absolut exakt sein mussten. Das waren zwei grosse Herausforderungen.
Mit welchem Schirm bist du während des Filmens geflogen? Für die Tandemszenen war es ein BI BETA 6 und für das Rennen der Acro schirm OMIKRON.
onen in Namibia oder die welthöchste Düne am Cerro Blanco in Peru.
Equipment
Vielen Dank für das Interview, Eliot. Wir freuen uns auf dein nächstes Projekt!
BIBETA 6
OMIKRON
Film youtu.be/hnms-QS6A9E
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Der Aufstieg in die White Mountains beginnt in der Nacht – auf Bären- und Elchpfaden.
#hikeandfly #outback #beavercreek
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Im Aufwind der ÂMidnight Sun Ein subpolarer Survivaltrip durch Alaska
Auf der Suche nach Erstbefliegungen in den White Mountains reisen Felix WĂślk und Thomas Bing drei Wochen lang durch menschenleere Wildnis. Per Faltboot auf dem Beaver Creek.
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In der Taiga Alaskas sind die Flüsse die einzige Möglichkeit zur Fortbewegung – oder die Luft.
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Ein Lagerfeuer, ein Topf Kaffee und ein Schluck Whiskey. Der Stoff der grossen Freiheit.
Als uns Special-ForcesSoldat Sam in Fairbanks fragte, ob wir ein Gewehr bräuchten, dachte ich nicht, dass ich mir eines gewünscht hätte. Felix Wölk
Es ist gleich Mitternacht, und die Sonne blendet am Horizont. Auf einem Seitenarm des Beaver Creek treiben wir auf märchenhafter Odyssee in ausgeprägten Schleifen Richtung Yukon Flats. Auf dem stillen, öligen Wasser spiegelt sich der rosa Nachthimmel. Ein Paradies der Stille. Wir schweigen. Tommy und ich sind heute 18 Tage in menschenleerer Wildnis unterwegs. Ich denke zurück: An den Braunbären, der mein Zelt zerriss, an den Sturm, der unser Lager wegfegte, und an die fantastischen Gleitschirmflüge im Licht der Mitternachtssonne.
Aussenwelt noch jegliche Rücksicherung im Notfall haben. Wir bewegen uns ausschliesslich mit und in der Natur. Zu Wasser, in der Luft, und per Muskelkraft.
Es ist Frühling in Alaska. Der Beaver Creek zeigt ein verwüstetes Bild. Tommy ist ein erfahrener Kanute und sucht als Steuermann nach der richtigen Linie. Er nennt das den „optischen Trichter“ – ein Kegel glatten Wassers, der sich an der grössten Wassertiefe verjüngt. Ich diene als paddelnde Zugmaschine und halte am Bug Ausschau. Bald sind wir ein eingespieltes Team. In Stromschnellen wird Into the wild die Verständigung kurz und prägnant. Es ist der 24. Juni, als unser Abenteuer „Wurzel auf elf Uhr. 20 Meter!“ „Hab ich.“ stamm südlich des Polarkreises beginnt. Unser „Trichter rechts. Danach Baum Faltboot hat eine Zuladung von 360 kg. rechts!“ „Paddeln!“ Proviant, Survivalausrüstung, Gleit schir me, Kameraequipment. Unser Ziel sind Wir sind täglich 9 Stunden auf dem Erstbefliegungen in den White Moun Fluss. Nach 5 Tagen erreichen wir die tains der Tanana Hills sowie am Victoria- Ausläufer der White Mountains. Der Massiv. Berge, die im Sommer nur über Fels des Gebirges wirkt im nordischen Licht fahl und seltsam leblos. Auf eiden Flusslauf des „Beaver“ zu erreichen sind, der sich über 300 Kilometer durch ner Sandbank des Creeks schlagen wir unser Lager auf: die Basis für die ersdas subpolare Alaska windet. Da wir auf ein Satellitentelefon verzichten, werden ten Flugversuche. Wir lauern auf windwir drei Wochen lang weder Kontakt zur stilles Wetter. Stunden- und tagelang
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Ausgemergelt durch den Wind. Der Beaver Creek raubt Felix und Thomas jeweils fünf Kilo Körpermasse. Immer am Mann: das Pfefferspray.
Wildnis. Das Tal ist schattig. Unter uns interpretieren wir die Wolkenformationen glänzt der Flusslauf des Beaver Creek sildes arktischen Himmels. Die Luftfeuchte brig aus einem schwarzen Wald. Das einder vergangenen Niederschläge macht unser Lager zu einem Moskitonest. Nur zige Zeichen von Zivilisation ist ein grüner das Feuer, das Tag und Nacht brennt, Punkt am Ufer: die Plastikplane unseres „Shelters“. Im Angesicht der Weite wirkt verschafft uns Ruhe. dieses kleine Zuhause wie ein verzweifelter Versuch menschlicher Behauptung. Die Nacht wird zum Tag Nach einem gewittrigen Tag besteigen wir die Bergkette um 21.00 h. Durch zugewu- Die Wildnis schlägt zu cherten Wald steigen wir auf Tierpfaden Am Fuss des Victoria Mountain wird es ernst. Ein ausgewachsener Braun steil bergauf. Tote Bäume knicken dabei bär gründelt um unser Lager. Es ist, wie wie Streichhölzer. Bruchholz, Bärenmist und Elchäpfel zeigen die Präsenz grossen Tommy sagte: „Wenn man sie nicht er wartet, sind sie plötzlich da.“ Wir entsiWildes. Am Gipfelgrat, im böigen Wind einer abziehenden Überentwicklung, ver- chern das Pfefferspray und versuchen ihn zu vertreiben. Als er sich abwendet, harren wir geduldig. Die Nacht bringt Ruhe. Im Spalt zwischen dem Horizont führt ihn seine Nase zu unseren Zelten, und einer schwarzen Wolkenwand wirft die 150 Meter entfernt stehen. Er wittert die Midnight Sun ihr orangenes Licht auf Gänsedaunen. Dann zerfleischt er mein die weissen Felsen. Es ist 1 Uhr nachts. Zelt, den Schlafsack und die Isomatte bis Ein leichter Zug an den A-Leinen genügt, zur Unkenntlichkeit. Mir wird mulmig. Es ist reiner Zufall dass ich nicht in meinem um die Schirme zwischen knochigen Zwergtannen aufzuziehen. Ich lasse den Zelt liege. Ein Biss in ein Bein, ein Tropfen Blut, und ich wäre vielleicht die Beute Flügel Fahrt aufnehmen, rufe zu Tommy „Go“ und mache drei große Sätze. Wir he- gewesen. Da ein Bär zurückkehrt, wenn ben ab. Airborne in Alaska! Wo genau, er fündig wurde, legen wir schnell ab. wissen wir nicht, denn der Berg ist na- „Revierwechsel“. Mit nur einem Schlafsack sind die Nächte von nun an hart. menlos. Wir gleiten über menschenleere
Heute Nacht schlagen wir zu. Paragliding Army Style: One shot, one kill. Felix Wölk
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Das Unwetter ist um elf Uhr nachts abgezogen. Auf der Suche nach einer Startmöglichkeit leuchtet der bleiche Felsgrat der White Mountains im polaren Sonnenuntergang.
Chancenlos am Victoria Mountain Das Victoria-Massiv zeigt sich stürmisch. Rotorwolken formieren sich in Reihen, darüber Eiswolken wie Fäden gezogen. Auf dem Beaver Creek peitscht der Wind und zieht Striemen. Zwei Versuche, das Gebirge zu befliegen, scheitern. Nach drei Wochen erreichen wir unseren Abholpunkt. Es ist ein seltsames Gefühl, als der Buschpilot mit einer alten Propellerkiste über unsere Köpfe donnert. In der Einsamkeit ist mir Menschenwerk fremd geworden. Als wir in „Sven’s Guest house“, Fairbanks, frühstücken, wirkt die Geräuschkulisse der Zivilisation wie ein lärmender Brei. Ich sehne mich nach dem Rauschen der Wälder, des Flusses und den bunten Lauten der Fauna.
About Thomas Bing ist ein passionierter Kanute, Gleitschirmflieger und Welten bummler. Getreu seinem Motto “When the going gets tough, the tough get going” sammelte er jede Menge Survivalerfahrung in menschenfeindli chen Regionen. Felix Wölk ist Gleitschirm- und Drachenflieger, Fallschirmspringer sowie Bergsportler der alten Schule.
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Seit zwei Jahrzehnten gehört er zu den renommiertesten Gleitschirm fotografen weltweit.
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Über einem Seitenarm des „Beaver“. Auf dem Flug zum Boot wird das vertraute Rauschen der Stromschnellen immer lauter.
Der Weg vom Lagerplatz zum Bergfuss kann schnell zum Abenteuer werden – selbst wenn er nur 100 Meter lang ist.
Buschpiloten als Lebensversicherung für Abenteurer.
Keep the fire burning. Thomas Bing
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Impressum
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Herausgeber: ADVANCE Thun AG, Uttigenstrasse 87, 3600 Thun, Schweiz Idee & Konzept: Simon Campiche Redaktion: Mirjam Hempel Layout: Bänz Erb Karten & Renderings: Mark Oertig Koordination: Tobias Rusterholz Lektorat: Heike Neumann Titelbild: Felix Wölk Get inspired | Foto: Olga von Plate Tanz auf dem V ulkan | Text: Michael Witschi | Fotos: Tobias Dimmler (alle) VolBiv mit dem Wind | Text: Hannes Tscherrig | Fotos: Adi Geisegger (alle) Vom Dach der Alpen | Text: Christian Mörken | Fotos: Alex Buisse (S. 18, 20, 21), Fred Suchon (S. 21, 22, 23) Flat Challenge | Text: Hannes Tscherrig | Fotos: Lukasz Prokop (S. 24, 26, 27), Aneta Prokop (S. 24) Westwärts | Text: Olga von Plate, Mirjam Hempel | Fotos: Olga von Plate (alle) Am Himmel der Alpinisten | Text: Hannes Tscherrig | Fotos: Antoine Girard (S. 34, 36, 39, 40, 41), Damien Lacaze (S. 38, 40) Roadtrip in die M ongolei | Text: Simon Campiche | Fotos: Nathalie & Alain Antognelli (alle) Himalayan Tandem | Text: Mirjam Hempel | Fotos: Alessandro d‘Emilia (alle) Magikistan | Text: Hannes Tscherrig | Fotos: Christina Kolb & Alain Lehoux (alle) Fly a Bike | Text: Christian Mörken | Fotos: Pierre Emilio Medina Im Aufwind der M idnight Sun | Text: Felix Wölk | Fotos: Felix Wölk (alle) Frühling 2019 © ADVANCE
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