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I N S T I T U T F Ü R I N T E G R AT I V E N TOURISMUS UND ENTWICKLUNG
TOURISMUSENTWICKLUNG IM KLIMAWANDEL Hintergründe und Perspektiven zur Rolle des Tourismus in der internationalen Klimapolitik
In Kooperation mit:
INHALT 3 1 Tourismus im Portrait 2 Die Reiseindustrie im Klimawandel 5 9 3 Knackpunkt Flugverkehr 4 Tourismus in der Klimapolitik 11 als Gefahr für 5 Klimaschutz Entwicklungsziele? 15
Häufig verwendete Abkürzungen: EU-ETS
Europäisches Emissionshandelsschema
IATA
Internationale Flugtransport-Vereinigung
ICAO
Internationale Zivilluftfahrtorganisation
IPCC
Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen
LDC
Am wenigsten entwickelte Länder
RFI
Strahlungsantriebs-Messziffer
SIDS
Kleine Inselentwicklungsländer
UNFCCC Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen UNWTO Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen WTTC ATAG
World Travel and Tourism Council Air Transport Action Group
Einleitung Im Jahr 2012 soll das Kyoto-Protokoll durch ein neues internationales Abkommen ersetzt werden, welches „Klimagerechtigkeit“ herstellen muss. Global gesehen ist der Klimawandel ein zutiefst ungerechtes Phänomen: Verursacht wurde und wird er durch einen übermäßigen Ressourcenkonsum eines kleinen Teils der Weltbevölkerung, vorwiegend in den industrialisierten Ländern, während dessen Folgen bereits heute eine Existenzbedrohung für viele Menschen im globalen Süden sind. Als doppelte Herausforderung gilt es, die weltweiten Treibhausgasemissionen deutlich zu reduzieren, um die schlimmsten Konsequenzen des Klimawandels noch abzuwenden, und gleichzeitig in den von den negativen Folgen des Klimawandels hauptbetroffenen Weltregionen umfangreiche Anpassungsmaßnahmen zu treffen. Die Verantwortung dafür liegt in beiden Fällen, gemäß dem Verursacherprinzip, bei den Industriestaaten. Neben klaren Bekenntnissen auf politischer Ebene müssen von diesen Ländern auch seitens der Bevölkerung starke Impulse für Änderungen beim Lebensstil ausgehen. Stichwort „Lebensstil“: Tourismus ist ein anschauliches Beispiel für die vorherrschende globale Klimaungerechtigkeit. In den Ländern des Nordens ist das Reisen für einen Großteil der Bevölkerung nicht mehr aus dem privaten oder beruflichen Leben wegzudenken. Tourismus als Konsumtätigkeit ist jedoch global gesehen ein Privileg Weniger, welche durch die damit verbundenen Emissionen aus dem Personentransport überproportional zum Klimawandel betragen. Gleichzeitig, so wird oft kolportiert, sind aber viele Länder des Südens von den globalen Reiseströmen wirtschaftlich in hohen Maß abhängig. Sind also Änderungen beim Reiseverhalten, die gut für das Klima sind, gleichzeitig schlecht für die Armutsbekämpfung? Diese Publikation informiert über Hintergründe zu dieser klima- wie entwicklungspolitisch komplexen Frage. Eines liegt klar auf der Hand: Die Wechselwirkungen zwischen Klimawandel und Internationaler Entwicklung stellen erhebliche Herausforderungen an die Tourismuspolitik. Wie alle anderen Wirtschaftssektoren hat der Tourismus die Verantwortung für eine beträchtliche Reduktion seiner Emissionsintensität. Hierzu braucht es während der Post-Kyoto-Verhandlungen klare Signale und Zielsetzungen seitens der Reisewirtschaft. Im Sinne der Klimagerechtigkeit ist ebenfalls klar: Die damit verbundenen Kosten und strukturellen Änderungen dürfen nicht zu Lasten der Ärmsten der Welt fallen. Auch wenn unter den Akteuren der internationalen Tourismuspolitik, welche ebenso wie ihre jeweiligen Positionen in dieser Publikation vorgestellt werden, Einigkeit über diesen Grundsatz zu herrschen scheint, gibt es hinsichtlich der Umsetzung und der dabei zu setzenden Prioritäten noch große Anschauungsunterschiede. 2
1
Tourismus im Portrait
Phänomen der Wohlstandsgesellschaft Der Tourismus als soziales Phänomen ist eng verbunden mit der Entstehung postindustrieller Gesellschaften im 20. Jahrhundert. So hat sich das Reisen von einem Luxus- zu einem Massenprodukt gewandelt, welches heutzutage in den Ländern des Nordens für einen Großteil der Bevölkerung erschwinglich ist. Das rasante Wachstum der touristischen Nachfrage wird zurückgeführt auf eine günstige Konstellation von wirtschaftlicher Dynamik, politischer Liberalisierung, innovativer Transporttechnologie und neuen Wertehaltungen. Vor allem letztere spielen eine zentrale Rolle bei der Freizeitgestaltung der Menschen. Während das Motiv der Erholung vermehrt in den Hintergrund tritt, sind Urlaubsreisen heutzutage vor-
wiegend ein Ausdruck des persönlichen Lebensstils und ein Instrument zur Selbstverwirklichung. Damit nimmt die Bedeutung der Funktion des Reisens als ein gesellschaftliches Statussymbol zu. Galt man vor einigen Jahrzehnten als wohlhabend, wenn man einmal pro Jahr einen Urlaub unternahm, muss man sich für denselben gesellschaftlichen Status heutzutage mehrmaliges Verreisen – mitunter zu exotischen Destinationen – leisten können. So war der internationale Urlaubsmarkt in den letzten Jahrzehnten von einem „hypermobilen“ Nachfragetrend gekennzeichnet: öfter, weiter und schneller.
... globalisierter Wirtschaftszweig ... Die „Demokratisierung des Reisens“ hat eine gewichtige Querschnittsbranche der globalisierten Wirt-
Geschichtliche Entwicklung und Prognose der internationalen Touristenankünfte (1950 bis 2020)
Prognose
Historisch
Millionen
1.600
1.6 Mrd
1.400
Mittlerer Osten
1.200
Afrika
1.000 800
Ostasien-Pazifik
922 Mio
Nord-, Mittel- und Südamerika Europa
600 400 200 0 1958
1960
1970
1980
1990
1995
2000
2008 2010
2020
Quelle: UNWTO (2009)1
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WAS IST TOURISMUS UND WO FINDET ER STATT? Per Definition der Vereinten Nationen bezieht sich der Begriff Tourismus auf die Aktivität bei welcher „Personen zu Orten außerhalb ihres gewöhnlichen Umfeldes reisen und sich dort für nicht mehr als ein Jahr aufhalten aus Freizeit- oder geschäftlichen Motiven, die nicht mit der Ausübung einer bezahlten Aktivität am besuchten Ort verbunden sind.“7 Obwohl im allgemeinen Sprachgebrauch Tourismus meistens als Bezeichung für das Urlaubsreisen verwendet wird, machen diese nur etwa die Hälfte aller grenzüberschreitenden Ankünfte aus. Die restlichen Reisen finden aus geschäftlichen, religiösen oder gesundheitlichen Motiven statt, oder dienen dem Besuch von Freunden und Verwandten. Statistisch wird zwischen nationalem und internationalem Tourismus unterschieden. Der nationale Tourismus bezieht sich auf alle Reiseströme innerhalb der einzelnen Länder. Da er nicht überall einheitlich gemessen wird, liegen auf globaler Ebene keine vergleichbaren statistischen Daten vor. Die Summe aller nationalen Tourismusströme wird allerdings auf ein Vielfaches des internationalen Tourismusvolumens geschätzt.8 Der internationale Tourismus bezieht sich auf alle grenzüberschreitenden Reiseströme und ist statistisch gut erfasst. Es wird überwiegend zwischen den Industrieländern gereist. Im Jahr 2005 konnten rund 60 % aller internationalen Tourismusankünfte der Gruppe der hoch entwickelten Länder zugerechnet werden, hingegen entfielen nur 1,2 % auf die Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder (LDCs). Allerdings wächst der Tourismus in diesen Ländern vergleichbar schneller: Zwischen den Jahren 2000 und 2005 stieg die Zahl der Ankünfte in der Gruppe der LDC’s um 48 %, wohingegen der durchschnittliche Zuwachs aller Entwicklungsund Schwellenländer bei 34 % und der weltweite Schnitt lediglich bei 17 % lag.5 Betrachtet man die internationalen Tourismusströme nach Herkunft, zeigt sich eine sehr starke Konzentration der Quellmärkte in den industrialisierten Ländern.1
schaft hervorgebracht, die heute eng mit anderen Bereichen wie Energie-, Bau-, Transport- und Landwirtschaft, Handel oder Kommunikationstechnologien verknüpft ist. Denn Tourismus als Wirtschaftssektor beschränkt sich nicht nur auf den Urlaubs- und Freizeitreiseverkehr, sondern schließt auch das Reisen für geschäftliche Zwecke oder für den Besuch von Freunden und Verwandten mit ein (siehe Kasten). Alleine der grenzüberschreitende Tourismus – welcher beträchtlich kleiner ist als die Gesamtheit der innerstaatlichen Reiseströme – stellt heute rund 30 % der globalen Dienstleistungsexporte. Die Zahl der internationalen Tourismusankünfte stieg von 25 Millionen im Jahr 1950 auf 924 Millionen im Jahr 2008, was einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von rund 6,5 % entspricht. Trotz kurzfristiger Wachstumseinbrüche durch Ereignisse wie die Terroranschläge im Jahr 2001 oder die Finanz- und Wirtschaftskrise in den Jahren 2008-2009 hält die Welttourismusorganisation (UNWTO) an der Prognose fest, dass sich die internationalen Ankünfte bis zum Jahr 2020 auf rund 1,6 Milliarden erhöhen werden.1,2
… und gepriesener „Entwicklungsmotor“ Obwohl die überwiegende Mehrheit der grenzüberschreitenden Tourismusankünfte in den industrialisierten Ländern stattfindet, verzeichnen die Schwellen- und Entwicklungsländer beträchtlich höhere Zuwachsraten. Im Jahr 2005 erwirtschafteten die letzteren beiden Gruppen gemeinsam rund 205 Milliarden US-Dollar aus dem internationalen Tourismus, welches einem weltweiten Anteil von rund 30 % entspricht.5 In den großen Schwellenländern ist zudem noch ein außerordentlicher Anstieg des innerstaatlichen Tourismus zu verzeichnen: Indien und China melden zweistellige Zuwachsraten pro Jahr für ihre nationalen Reisemärkte.3,4 Es ist daher wenig überraschend, dass der Tourismus von internationalen und nationalen Institutionen zunehmend als ein wirtschaftlicher Entwicklungsmotor betrachtet wird. Speziell für die Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) wird er als ein wirkungsvolles Instrument zur Armutsbekämpfung angepriesen, auch wenn deren Anteil am weltweiten Tourismusvolumen noch marginal ist.5,6 4
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Die Reiseindustrie im Klimawandel
Spätestens seit Veröffentlichung des vierten Sachstandsberichtes des IPCC im Jahr 2007 wird die globale Erwärmung auch in der Tourismuswirtschaft zunehmend als ein wichtiges Thema wahrgenommen. Man geht davon aus, dass der Klimawandel die Entwicklung des gesamten Sektors in den kommenden Jahrzehnten stark beeinflussen wird.9 Studien zeigen ein ambivalentes Bild: einerseits ist der Tourismus als wachsender Treibhausgasemittent ein wesentlicher Mitverursacher des Klimawandels, und andererseits wird er – speziell in den Ländern des Südens – ein Leidtragender der direkten und indirekten Folgen der globalen Erwärmung sein.10
Tourismus ist ein Mitverursacher des Klimawandels Es wird geschätzt, dass der Tourismussektor durch Personentransport, Beherbergung und verschiedene Aktivitäten in den Destinationen rund 5 % der globalen CO2-Emissionen verursacht.10 Werden noch
andere Treibhauseffekte neben den CO2-Emissionen berücksichtigt, könnte der Anteil des Tourismus am menschengemachten Klimawandel sogar bis zu 12,5 % betragen. 1,11 Der Großteil der tourismusbedingten Emissionen – rund drei Viertel – kann dem Flug- und Autoverkehr zugerechnet werden.Vor allem Flugreisen zeigen im Vergleich zu anderen Reiseformen hohe Umweltkosten: Obwohl sie nur 17 % aller Reisen betragen, sind sie für 40 % der touristischen Emissionen verantwortlich. Noch deutlicher wird diese Schere bei Langstrecken-Flugreisen, welche mit einem Marktanteil von lediglich 2,2 % bereits 16 % der Sektorenemissionen verursachen. Bus- und Bahnreisen tragen hingegen zusammen nur 1 % zu den Emissionen bei, obwohl sie 16 % aller Reisen repräsentieren.10 Innerhalb des Tourismussektors sind die Emissionen sehr heterogen und können zwischen einigen Kilogramm und mehreren Tonnen CO2 pro unternom-
Herkunft der CO2-Emissionen aus dem Tourismus im Jahr 2005 100
4
21
80 Anteil pro Bereich
3
60
Aktivitäten Beherbergung Sonstiger Transport Autoverkehr Flugverkehr
32
40
20
40
0 CO2-Emissionen Quelle: UNWTO-UNEP-WMO (2008)10
1 Diese Werte berücksichtigen internationale und nationale Tourismusströme, sowie auch Ein-Tages-Reisen. Die Unterschiede sind zurückzuführen auf wissenschaftliche Unsicherheiten zu den Klimawirkungen von flugverkehrsbedingten Zirruswolken. Der Maximalwert basiert auf Modellberechnungen aus dem Jahr 2007, aktualisiert mit Daten aus dem Jahr 2009.
5
mener Reise betragen. Die wichtigsten Faktoren für die Emissionsintensität sind die Distanz zwischen Ursprungs- und Zielgebiet sowie die gewählte Transportart. Bahn und Bus haben eine wesentlich bessere Energiebilanz als Flugzeug und Auto: verursacht das Flugzeug im Schnitt 350 und das Auto 140 Gramm CO2-Äquivalente11 pro Personenkilometer, so erreicht die Bahn einen Wert von 30 und der Bus sogar von 20 Gramm.12 Aufgrund der starken Wachstumsprognosen, besonders im internationalen Reiseverkehr, wird bis zum Jahr 2035 eine Verzweieinhalbfachung der Sektoren-
emissionen prognostiziert (+161 %) – hierbei sind standardmäßige Verbesserungen in der Energieeffizienz von Flugzeugen, Autos und Hotels bereits berücksichtigt. Studien zeigen, dass eine absolute Emissionsreduktion nur durch eine Kombination von mehreren Maßnahmenbündeln erreicht werden kann10: ■ Technologische Maßnahmen für die Verbesse rung der Treibstoff- und Energieeffizienz, den Um stieg auf erneuerbare Energiequellen und die Entwicklung von alternativen Verkehrsmitteln. ■ Soziokulturelle Maßnahmen für gesellschaft liche Änderungen im Reiseverhalten, hin zu durch-
Globales Reiseaufkommen nach Transportmittel (2005)
Unternommene Reisen (in Millionen)
7000
Ein-Tages-Reisen National
6000
International / Interkontinental 5000
International / Intrakontinental
4000 3000 2000 1000 0 Flugzeuge
Auto
Sonstiges
Quelle: UNWTO-UNEP-WMO (2008)10
CO2-Emissionen (in Megatonnen)
Globale CO2-Emissionen nach Transportmittel (2005) 600
Ein-Tages-Reisen National
500
International / Interkontinental International / Intrakontinental
400 300 200 100 0 Flugzeuge
Auto
Sonstiges
Quelle: UNWTO-UNEP-WMO (2008)10
11 Die Größe „CO2-Äquivalent“ berücksichtigt auch andere Treibhausgase wie Methan, Lachgas, FCKW oder Ozon. Hierbei wird deren Treibhauspotential in die entsprechende Menge CO2 umgerechnet. Die Emissionszahlen basieren auf folgenden Auslastungsgraden: Flugzeug 75 %, Auto 50 %, Bahn 60 %, Bus 90 %.
6
Jährliche Pro-Kopf-Emissionen im Vergleich zu ausgewählten Urlaubsreisen Global/Person/Jahr EU/Person/Jahr USA/Person/Jahr Auto Niederlande – Frankreich Süd (15 Tage) Zug Niederlande – Alpen (15 Tage) Kurz-Flugreise Niederlande – Barcelona (3 Tage) Flugreise Niederlande – Thailand (14 Tage) Flugreise Niederlande – Australien (21 Tage) Kreuzfahrt Antarktis (15 Tage) Durchschnittliche Urlaubsreise (4-5 Tage) 0
5
10
15
20
25
Gesamtemissionen pro Jahr / Reise (Tonnen CO2)
Quelle: UNWTO-UNEP-WMO (2008)10
schnittlich kürzeren Reisedistanzen und weniger Urlaubsreisen pro Person, bei gleichzeitig län geren Aufenthaltszeiten an den Destinationen. ■ Maßnahmen zur Verkehrsverlagerung von energieintensiven Transportmitteln wie Flugzeug und Auto auf energieeffiziente Transportmittel wie Bus und Bahn. Durch eine optimale Ausschöpfung der Reduktionspotentiale in diesen Bereichen könnten nach heutigem Wissensstand die Sektorenemissionen bis zum Jahr 2035 gegenüber dem Jahr 2005 leicht reduziert
werden (- 16 %).10 Allerdings wird der Tourismus selbst in diesem optimistischen Szenario noch weit hinter den vom Weltklimarat IPCC empfohlenen Emissionsreduktionen bleiben, die für eine Stabilisierung der globalen Erwärmung unter der gefährlichen Grenze von 2 Grad Celsius nötig sind (- 85 % im Zeitraum 1990-2050).13 Da andere Wirtschaftssektoren damit einen größeren Teil der Reduktionslast tragen müssen, wird die Tourismusindustrie in den kommenden Jahren zunehmends in einen politischen Erklärungsbedarf geraten.
Ausgewählte Szenarios für das Reduktionspotenzial im globalen Tourismus bis 2035 3.500
Megatonnen CO2
3.000 2.500 -38%
2.000
-44%
1.500
-68%
1.000 500 0
Ausgangsjahr
„Business-asUsual“
2005*
2035*
Verbesserte Technologie
TransportverKombiniert lagerung/Aufenthaltsdauer Reduktionsszenarien für 2035
* exkludiert Ein-Tages-Reisen; Quelle: UNWTO-UNEP-WMO (2008); 10
7
Tourismus IST AUCH LEIDTRAGENDER DES KLIMAWANDELS
Ganzheitliche Antwort mit Blick auf die Betroffenen nötig
Die zweite Rolle, die dem Tourismus im Zusammenhang mit dem Klimawandel zukommt, ist jene des Betroffenen. Die Reiseindustrie wird, wie auch die Sektoren Landwirtschaft, Versicherungen, Energie und Transport, als ein hoch klimaempfindlicher Wirtschaftssektor eingestuft. Die Auswirkungen des Klimawandels auf den Tourismus sind vielseitig. So haben Klimaänderungen direkte Auswirkungen auf die Länge und Qualität der Saisonen und damit auf das Reiseverhalten der TouristInnen. Langfristig verändert der Klimawandel touristisch genutzte Naturräume, Infrastrukturen und Zulieferketten, und kann durch Wirtschaftsabschwung oder Massenmigration zu politischer Instabilität in den Destinationen führen. Auch politische Maßnahmen zum Klimaschutz – und die damit einhergehenden Änderungen in der Personenmobilität – werden einen Einfluss auf die Entwicklung des Tourismus haben.10 Vor allem der letztgenannte Bereich sorgt für politische Kontroversen unter den verschiedenen Akteuren.
Bei der Suche nach politischen Antworten ist es wichtig, die Rollen des Tourismus als Mitverursacher und als Leidtragender zusammenhängend zu betrachten: Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimafolgenanpassung dürfen sich in ihrer Wirkung nicht gegenseitig aufheben. Zu beachten gilt, dass bestimmte Formen des Reisens in höherem Maße zum Klimawandel beitragen als andere – weshalb klimapolitische Maßnahmen auf die entsprechenden Reduktionspotenziale ausgerichtet werden müssen. Es werden auch nur bestimmte Segmente des Tourismus sehr negativ vom Klimawandel beeinflusst werden.
Bei diesen Veränderungsprozessen wird es „Gewinner“ und „Verlierer“ geben – innerhalb der verschiedenen Marktsegmente, bei Destinationen, aber auch bei den einzelnen Betrieben und Beschäftigten. Innerhalb des Tourismus-Systems haben die KonsumentInnen das größte Anpassungsvermögen, da diese meist frei zwischen Zielgebieten und Saisonen entscheiden können. Den Folgen des Klimawandels wenig entgegenzusetzen haben hingegen viele Tourismusdestinationen in den Ländern des Südens, denen oft finanzielle Ressourcen und Know-how für notwendige Strukturanpassungen fehlen.10
Unter den „Verlierern“ gilt es zwischen jenen zu unterscheiden, die ihre wirtschaftliche Grundlage aus eigener Kraft anpassen können – wie zum Beispiel bestimmte Destinationen in den Ländern des Nordens oder breit diversifizierte und multinational agierende Tourismuskonzerne – und zwischen jenen, die über wenig Anpassungspotenzial verfügen – zum Beispiel sozial schlecht abgesicherte Saisonbeschäftigte in gefährdeten Inseldestinationen. Anpassungsmaßnahmen und finanzielle Unterstützungen in der Reiseindustrie müssen also jene Menschen im Fokus haben, welche innerhalb des Tourismus-Systems bereits jetzt am meisten benachteiligt sind und die negativen Auswirkungen des Klimawandels wirtschaftlich als Erste zu spüren bekommen. Die Schaffung von entsprechenden klimagerechten Rahmenbedingungen ist die zentrale Aufgabe der internationalen Tourismuspolitik auf dem Weg nach „Post-Kyoto“. 8
3
Knackpunkt Flugverkehr
Flugindustrie verharmlost Klimawirkungen
Als die größte und am schnellsten wachsende Emissionsquelle des Tourismus kommt dem Flugverkehr vermehrt Aufmerksamkeit bei Diskussionen über Klimaschutzmaßnahmen zu. Die Flugindustrie verweist oft darauf, dass ihr Anteil an den globalen CO2-Emissionen lediglich 2 % darstellt und sie im Vergleich zu ihrer Wirtschaftsleistung einen relativ geringen Beitrag zum Klimawandel leisten würde.14 Diese Zahl basiert allerdings auf Flugverkehrs-Statistiken aus dem Jahr 200015 – inzwischen ist der Sektor beträchtlich gewachsen – und lässt signifikante treibhauswirksame Nebeneffekte unberücksichtigt, wie zum Beispiel die flugverkehrsbedingte Bildung von Kondensstreifen und Zirruswolken.16 IPCC-Autoren kommen in einer aktuellen Studie zu dem Schluss, dass der weltweite Flugverkehr im Jahr 2005, unter Einbeziehung des besten Schätzwertes für Nicht-CO2-Effekte, einen Anteil von 4,9 % am menschengemachten Klimawandel hatte.17 Diese Zahl muss weiter vor dem Hintergrund gesehen werden, dass lediglich 2 % der Weltbevölkerung am Flugverkehr teilnehmen.18
CO2 ist keine geignete MaSSeinheit Aufgrund der vielen unterschiedlichen Parameter wird die Klimawirkung aus dem Flugverkehr in der Wissenschaft über den so genannten Strahlungsantrieb (engl. „Radiative Forcing“, kurz: RF) gemessen, welcher sich auf zeitliche Änderungen in der Strahlungsbilanz der Atmosphäre bezieht. Um eine bessere Vergleichbarkeit des Flugverkehrs mit anderen Emissionsquellen herzustellen, hat der IPCC den „Radiative Forcing Index“ (RFI) entwickelt. Dabei handelt es sich um einen Multiplikator, mit welchem der Strahlungsantrieb in die Maßeinheit CO2 übersetzt werden kann. So empfiehlt der IPCC, dass die CO2Emissionen mit einem Faktor zwischen 1,9 und 4,7
multipliziert werden müssen, um dessen tatsächliche Klimawirkung zu reflektieren.15,19 Obwohl die Verwendbarkeit des RFI als langfristiger Maßstab in der Klimapolitik noch umstritten ist16,111, stellt er derzeit das beste Instrument zur Bewertung der Klimawirkungen im Flugverkehr dar.
Zweifelhafte Hoffnungen auf Effizienzverbesserungen und Agrotreibstoffe Große Teile der Flugindustrie stellen in Aussicht, bis zu den Jahren 2035–2040 eine absolute Reduktion der CO2-Emissionen durch Energieeffizienz (kontinuierliche Flotten- und Triebwerkserneuerung), verbessertes Flugverkehrsmanagement sowie durch Verwendung von Agrotreibstoffen zu erreichen. So geht die Internationale Zivilluftfahrtsbehörde ICAO davon aus, dass die Emissionen aus dem Flugverkehr bis zu diesem Zeitpunkt noch leicht steigen, dann aber bis zum Jahr 2050 auf 50 % des Wertes vom Jahr 2005 fallen werden.20 Eine ähnliche Entwicklung wird von der IATA, der internationalen Interessensvertretung der Flugindustrie, kommuniziert.21 Allerdings bietet die ICAO keine wissenschaftlichen Hintergrundinformationen zu diesem konzeptionellen Szenario11, und so bleiben wichtige grundlegende Fragen hinsichtlich der Reduktionspotentiale durch Energieeffizienz und Agrotreibstoffe unbeantwortet. Die Effizienzverbesserungen im Flugverkehr werden von Jahr zu Jahr geringer und scheinen an ihre technischen Grenzen zu stoßen22, wohingegen der absolute Treibstoffbedarf im Flugverkehr sich jährlich um 2 % bis 3 % erhöhen wird.17 Agrotreibstoffen der „2. und 3. Generation“ (gewonnen aus Pflanzen, die angeblich nicht in Konflikt mit der Nahrungsmittelproduktion stehen) wird zwar technisches Potenzial für Emissionseinsparungen zugesprochen, allerdings ist der Flächenbedarf für den Anbau der dafür benötigten Mengen hoch problematisch. (siehe Box Agrotreibstoffe)
111 Der RFI zu einem bestimmten Zeitpunkt wird, wie der Strahlungsantrieb bei langlebigen Substanzen, durch die Geschichte der Emissionen mitbestimmt. Da sich der RFI bei konstant gehaltenen Luftverkehrsemissionen im Lauf der Zeit verringert, würde er als Grundlage für Regelwerke zum Klimaschutz Verzerrungen verursachen.
9
Agrotreibstoffe als Zukunftslösung? Im Vorfeld der Weltklimakonferenz COP 15 in Kopenhagen kündigt die ICAO eine internationale Initiative zur Entwicklung von Agrotreibstoffen für den Flugverkehr an.23 Von der Industrie werden hierbei vor allem die „Agrotreibstoffe der 3. Generation“, produziert etwa aus Algen oder Jatropha (Purgiernuss), als eine langfristige Problemlösung angepriesen. So wird am Beispiel der Jatropha-Pflanze argumentiert, dass diese auch auf sehr trockenen Böden angebaut werden kann und deshalb nicht in direkten Konflikt mit der Lebensmittelproduktion gerät.24,25 Kritiker verweisen allerdings darauf, dass Agrotreibstoffe – sollten diese jemals für den Flugverkehr geeignet sein – nicht vor 2020 in großen Mengen zur Verfügung stehen werden und deren Beimengung lediglich eine Emissionsreduktion von 5 % bis zum Jahr 2025 erzielen könne.26 Wenngleich der Anbau der Jatropha-Pflanze zur Kraftstoffgewinnung unter bestimmten Voraussetzungen in einer Subsistenzwirtschaft sinnvoll sein kann, warnen Experten vor einer großflächigen Kultivierung für den Export. Um zum Beispiel den Energiebedarf des weltweiten Flugverkehrs aus dem Jahr 2005 mit Agrotreibstoffen aus Jatropha abzudecken, wäre eine Anbaufläche von 1 Million km2 nötig – was der Größe von Deutschland, Frankreich, Holland und Belgien zusammen entspricht. Dieser Flächenbedarf würde sich in den nächsten 15 Jahren noch verdoppeln, was angesichts des weltweiten Bevölkerungswachstums zu Landkonflikten und Ernährungsengpässen führen könnte.11 Trotz der bescheidenen Anforderungen der Jatropha-Pflanze erhöht sich nämlich ihr Ertrag mit erhöhter Wasserzufuhr wesentlich, und würde deshalb auch von LandwirtInnen auf Ackerland angebaut werden, sobald sich damit ein höherer Verkaufspreis als mit Nahrungsmitteln erzielen lässt.27
4
Tourismus in der Klimapolitik
Tourismus ist kein direkter Verhandlungsgegenstand Politische Antworten auf den Klimawandel werden auf internationaler Ebene unter dem Schirm der UNKlimarahmenkonvention (UNFCCC) koordiniert. Bei den jährlich stattfindenden Vertragsstaatenkonferenzen (Conferences of Parties, kurz: COP) werden Ziele und Verpflichtungen für die einzelnen Länder zur Reduktion von Treibhausgasemissionen verhandelt. Als Grundlage gilt hierbei das Prinzip der „allgemeinen aber differenzierten Verantwortlichkeit“ (CBDR), durch welches die historische Verantwortung der Industrienationen berücksichtigt werden soll. Bei den Verhandlungen zu den marktbasierten Reduktionsmechanismen innerhalb des Kyoto-Protokolls, wie „Clean Development Mechanism“ (CDM) oder „Joint Implementation“ (JI), entstehen Bezüge zu grundlegenden Wirtschaftssektoren wie Industrie, Energie, Transport, Land- und Forstwirtschaft, Gebäude- oder Abfall- und Abwasserwirtschaft. Der Tourismus, welcher als Querschnittssektor indirekt Emissionen in diesen Bereichen verursacht, wird dabei meist nicht explizit angesprochen. Allerdings ist die Reisewirtschaft als eine der weltweit größen Dienstleistungsbranchen in der politischen Verantwortung, sich konstruktiv bei den einzelnen Teilbereichen einzubringen – allen voran mit Lösungsvorschlägen zum Personentransport.
Die Reisebranche bezieht Position Bei der Einbindung des Tourismus in die Klimapolitik spielt die Welttourismusorganisation (UNWTO) eine zentrale Rolle. Im Jahr 2007 hat sie nach mehrjähriger Konsultations- und Forschungsarbeit die „Davos-Deklaration zu Klimawandel und Tourismus“ verabschiedet, welche ein Positionspapier mit Handlungsempfehlungen an Politik, Wirtschaft, Konsumenten und Wissenschaft darstellt. Die Branche bekennt sich darin deutlich zu ihrer Verantwortung beim Klimawandel. So wird die Notwendigkeit einer Reduktion der Sektorenemissionen unter dem Dach der UNFCCC anerkannt. Es wird jedoch auch explizit gefordert,
dass dadurch keine unverhältnismäßigen Belastungen für die Entwicklung des Sektors, oder für eines seiner wesentlichen Elemente wie die Flugindustrie, entstehen dürfen. Eine spezielle Betonung findet der Hinweis, dass Tourismus in Entwicklungsländern einen wichtigen Beitrag zur Armutsbekämpfung leistet, und Klimaschutzmaßnahmen daher nicht in Konflikt mit Enwicklungszielen geraten dürfen.28,29
Die Welttourismusorganisation im Interessenskonflikt Aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte und Mitgliederstruktur befindet sich die UNWTO beim Klimawandel in einer politisch delikaten Situation. Als UN-Spezialagentur ist sie einerseits den übergeordneten Zielen der Vereinten Nationen verpflichtet. Andererseits ist die Organisation historisch als ein zwischenstaatliches Sprachrohr für nationale Tourismusbehörden begründet, und vertritt daher auch wirtschaftliche Interessen der Mitgliedsländer. Um diesen unterschiedlichen Ansprüchen gerecht zu werden, bezieht die UNWTO zum Thema Klimawandel bislang unscharfe Positionen. So hat sie der UNFCCC noch keine messbaren Reduktionsziele für die Reisebranche und deren Teilbereichen vorgeschlagen, und stellt das vorherrschende Paradigma des ständigen Wachstums nicht in Frage.9,28,29,31,32
Bislang keine einheitliche Reduktionsstrategie DES SEKTORS Der „World Travel and Tourism Council“ (WTTC) – die internationale Interessensvertretung der Tourismuswirtschaft – hat für den Sektor eine angestrebte Emissionsreduktion von 25-30 % bis 2020, und von 50 % bis 2035 gegenüber dem Jahr 2005 angekündigt.33 Obwohl diese Ziele die derzeit ambitioniertesten im Sektor sind, bleibt der WTTC für deren Erreichung eine Strategie mit einer wissenschaftlichen Quantifizierung der Reduktionspotenziale schuldig.11 Offen bleibt dabei vor allem die Frage, wie die Tourismuswirtschaft als ganzes diese Reduktionen erreichen 11
Das Mandat der UNWTO und die Davos-Deklaration Die Welttourismusorganisation UNWTO ist ein zwischenstaatliches Gremium mit dem Mandat, den Tourismus mit Blick auf wirtschaftliche Entwicklung und soziale Gerechtigkeit zu fördern, mit besonderer Berücksichtigung der Interessen von Entwicklungsländern. Die UN-Sonderagentur ist hierfür zu einer effektiven Kollaboration mit anderen Organen der Vereinten Nationen verpflichtet, allen voran mit dem UN-Entwicklungsprogramm UNDP.30 Neben 161 Ländern als Vollmitglieder gehören der UNWTO auch 390 Partner-Institutionen mit Beobachterstatus an, darunter der „Business Council“ mit Interessensverbänden aus der Privatwirtschaft.31 Gemäß ihrem Mandat vertritt die UNWTO auch beim Klimawandel den Tourismussektor auf politischer Ebene und koordiniert dessen Einbindung in den Klima-Fahrplan der Vereinten Nationen. In ihrer „Davos-Deklaration“ aus dem Jahr 2007 hält die UNWTO die folgenden klimapolitischen Rahmenpositionen fest28: ■ Das Klima ist eine Schlüsselressource für den Tourismus, wobei der Sektor gegenüber der globalen Erwärmung hoch sensibel ist. Es wird geschätzt dass Tourismus etwa 5 % der weltweiten CO2Emissionen verursacht. ■ Tourismus – geschäftlich wie privat – wird eine zentrale Komponente der Weltwirtschaft bleiben, und stellt einen wichtigen Faktor zur Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele und ein integriertes und positives Element unserer Gesellschaft dar. ■ Aufgrund der Bedeutung des Tourismus im Zusammenhang mit globalen Herausforderungen wie Klimawandel und Armutsbekämpfung ergibt sich ein dringender Bedarf an neuen Richtlinien, welche eine echte nachhaltige Tourismusentwicklung aus ökologischer, sozialer, ökonomischer und klimatischer Sicht fördern. ■ Der Tourismussektor muss rasch auf den Klimawandel innerhalb des sich entwickelnden Rahmens der Vereinten Nationen antworten, wenn er in einer nachhaltigen Weise wachsen will. Dies erfordert eine Reduktion der Treibhausemissionen speziell in den Bereichen Transport und Beherbergung, eine Anpassung von Tourismusunternehmen und Destinationen an veränderte Klimabedingungen, die Anwendung von existierenden und neuen Technologien zur Verbesserung der Energieeffizienz sowie die Bereitstellung von finanziellen Ressourcen für arme Regionen und Länder.
soll, wenngleich die Zielvorstellungen bei den internationalen Dachverbänden der Zivilluftfahrt – ICAO, IATA und ATAG – noch weit davon entfernt sind. Diese visieren eine Halbierung der Emissionen aus 2005 erst bis zum Jahr 2050 an, und stellen einen absoluten Rückgang nicht vor 2020 in Aussicht.23,24,25 Eine Gruppe einflussreicher Fluglinien hält die Zielvorstellungen ihrer Dachverbände als unzureichend, weshalb sie unter der Intitative „Aviation Global Deal“1V (AGD) ambitioniertere Ziele einfordern.34
Internationaler Flugverkehr nicht unter dem Kyoto-Protokoll geregelt Als die größte Emissionsquelle des Tourismus stellt der Lufttransport dessen wichtigstes klimapolitisches Handlungsfeld dar. Derzeit ist der internationale Flugverkehr von den verbindlichen Reduktionsmechanismen des UNFCCC ausgenommen. Im Kyoto-Protokoll wurde der Verbrennung von Kerosin im Jahr 1997 eine klimapolitische Sonderstellung eingeräumt, welches zusammen mit Schiffsdiesel in die Gruppe der sogenannten „Bunker Fuels“ fällt. Da die Emissionen aus dem grenzüberschreitenden Flugverkehr nicht eindeutig einzelnen Staaten zurechenbar sind, werden lediglich Inlandsflüge bei den Reduktionsverpflichtungen der einzelnen Länder berücksichtigt. Ein weiterer Grund für diese Sonderregelung ist die fortlaufende Debatte über die „richtige“ Bemessung der Emissionen aus dem Flugverkehr.16, 26 (vgl. Kapitel 3)
Keine Fortschritte durch die ICAO seit 12 Jahren Zeitgleich mit dem Beschluss der Sonderregelungen für die „Bunker Fuels“ hat die UNFCCC die Internationale Zivilluftfahrtorganisation ICAO beauftragt - sie ist als UN-Behörde zuständig für die rechtliche Koordination der Zivilluftfahrt – für ihren Sektor einen geeigneten Rahmen zur Berechnung und Reduktion von Treibhausgasemissionen zu entwickeln. Da die ICAO während der letzten 12 Jahre kaum nennenswerte Fortschritte erzielt hat, ist ihre Rolle beim Klimaschutz heute sehr umstritten. Es wird vor allem kritisiert, dass Industrieverbände wie IATA und ATAG einen hohen Einfluss bei Entscheidungsprozessen in der ICAO genießen, und die verantwortlichen Arbeitsgruppen („CAEP“ und „GIACC“) von mangelndem politischen Willen gekennzeichnet sind. Trotz mehrmaligem Ansuchen durch die UNFCCC hat die ICAO bis heute kein verbindliches Reduktionsziel mit Zeithorizont für ihren Sektor vorgeschlagen. Die klimapolitische Kompetenz der ICAO wird deshalb von einigen Staaten, sowie auch von der EU, de facto 1V Die AGD-Gruppe besteht aus: Air France, KLM, British Airways, Cathay Pacific, Finnair, Qatar, Virgin Atlantic, Virgin Blue, BAA und The Climate Group
12
Klimaziele und Maßnahmenvorschläge der Organisationen im Vergleich Organisation / Initiative
UNWTO
WTTC
ICAO
IATA
AGD Gruppe
Zweck
UN-Behörde für Tourismus
Interessensvertretung der Tourismuswirtschaft
UN-Behörde für Zivilluftfahrt
Interessensvertretung der Fluggesellschaften
Zusammenschluss von einigen Fluggesellschaften zum Klimaschutz
Angestrebte absolute Reduktionsziele (unverbindlich)
-
50 % bis 2035, 25 % - 30 % bis 2020
50 % bis 2050, Stabilisierung bis 2030
50 % bis 2050, Stabilisierung bis 2020
50 % - 80 % bis 2050; 0 % - 20 % bis 2020
Rahmenbedingungen
- nur CO2
- Basisjahr 2005 - nur CO2 - erlaubt Zukauf von Zertifikaten
- Basisjahr 2005 - nur CO2 - erlaubt Zukauf von Zertifikaten
- Basisjahr 2005 - nur CO2 - erlaubt Zukauf von Zertifikaten
- Basisjahr 2005 - nur CO2 - erlaubt Zukauf von Zertifikaten
Anwendungsbereich
Tourismussektor
Tourismussektor
Zivilluftfahrt
Zivilluftfahrt
Zivilluftfahrt
Vorgeschlagene Kernmaßnahmen (inklusive Klimafolgenanpassung)
- Einbindung des Tourismus in UNFCCC - Finanzielle und technische Unterstützung für Länder des Südens - Aufbau von Forschungs- und Informationsnetzwerken - Bildungsprogramme - Ziele und Indikatoren für die Wirtschaft - Änderung beim Reiseverhalten
- CO2-Bilanzierung - Lokale Kompetenz vermittlung - Kundensensibilisierung - Ökologisierung der Zulieferketten - Innovation, Kapital bereitstellung und Infrastruktur
- Unlimitierter Emissionshandel auf globaler Ebene - Energieeffizienz - Flugverkehrs managment - Agrotreibstoffe
- Unlimitierter Emissionshandel auf globaler Ebene - Energieeffizienz - Flugverkehrs managment - Agrotreibstoffe
- Unlimitierter Emissionshandel auf globaler Ebene - Energieeffizienz - Flugverkehrs managment - Agrotreibstoffe
Laut wissenschaftlichem Kenntnisstand darf die durchschnittliche globale Erwärmung die Grenze von 2 Grad nicht überschreiten, um extrem gefährliche Folgen für die Menschheit zu vermeiden. Hierfür ist laut dem Zwischenstaatlichen Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC) bis zum Jahr 2050 eine Reduktion der weltweiten Treibhausgasemissionen zwischen 50 % und 85 % gegenüber 1990 erforderlich.35 Im Tourismus wird allerdings durchwegs auf das Basisjahr 2005 verwiesen, was in absoluten Zahlen zu einer wesentlich geringeren Reduktionsverpflichtung als gegenüber dem Jahr 1990 führen würde. Stand: September 2009; Quellen: UNWTO28,29,32, WTTC33, ICAO20,23, IATA21, AGD Gruppe34
nicht mehr anerkannt. Großbritannien und Australien fordern, dass die ICAO diese Agenden wieder an die UNFCCC abtreten soll.26,36
Flugverkehr wird ab 2012 durch das EU-Emissonshandelsschema begrenzt Mit der Entscheidung, den Flugverkehr in das europäische Emissionshandelsschema (EU-ETS) aufzunehmen, hat die EU auf den jahrelangen Stillstand seitens der ICAO reagiert. Ab dem Jahr 2012 wird die Gesamtheit aller Flüge mit Start oder Ziel im EURaum, ungeachtet des Herkunftslandes der Fluggesellschaften, einer Emissions-Obergrenze unterliegen. Diese wird für das Jahr 2012 auf 97 % der durchschnittlichen CO2-Emissionen aus dem Zeitraum 2004-2006 festgelegt, und für das Jahr 2013 auf 95 %. Hierbei sollen die Fluglinien 15 % aller Emissionsberechtigungen über Zertifikate ersteigern müssen, wobei ihnen der Rest gratis zugeteilt wird.37 Aus Sicht der Zivilgesellschaft sind diese Rahmenbedingungen noch unzureichend. Während begrüßt wird, dass auch Flüge von und zu Drittstaaten berücksichtigt werden sollen – hier hat sich die EU erfolgreich gegen Abschwächungsversuche von der ICAO und von US-Fluggesellschaften durchsetzen können – ist zu kritisieren, dass ausschließlich CO2-Emissionen berücksichtigt werden. Weiters muss bezweifelt
werden, ob die Flugindustrie aufgrund der milden Reduktionsziele und der großzügigen Menge von Gratis-Zertifikaten ihren gerechten Anteil bei den Reduktionsanstrengungen der EU (minus 20 % – 30 % gegenüber 1990) leisten wird.
Globale Verpflichtungen in einer PostKyoto-Vereinbarung sind absehbar Derzeit beschränkt sich das klimapolitische Engagement des Tourismussektors auf unverbindliche Absichtserklärungen. Die kommunizierten Reduktionsvorstellungen der verschiedenen Organisationen stehen dabei noch in beträchtlicher Diskrepanz zu dem derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand über die benötigten Emissionseinsparungen sowie über die Reduktionspotenziale der vorgeschlagenen Maßnahmen. Die internationale Gemeinschaft wird unter der UNFCCC in absehbarer Zeit wahrscheinlich mehr als Absichtserklärungen einfordern. Um das international anerkannte Ziel von einer maximalen Erwärmung von 2 Grad Celsius zu erreichen, kann keiner der bedeutenden Wirtschaftssektoren von signifikanten Reduktionsverpflichtungen ausgeschlossen werden. Sowohl die G8 als auch die EU identifizieren dabei den internationalen Flugverkehr als einen wichtigen Bereich auf dem Weg zu einem Post-Kyoto-Abkommen.38,39 13
Die klima- und entwicklungspolitische Komplexität des Tourismus am Beispiel der Malediven Im November 2008 machten die Malediven internationale Schlagzeilen mit den ersten demokratischen Präsidentenwahlen in der Geschichte des Landes. Der neue Präsident kündigte an, dass das Land wahrscheinlich in Zukunft durch den Anstieg des Meeresspiegels als Folge des Klimawandels von der Landkarte verschwinden wird. Als Überlebensstrategie schlugen die Malediven vor, dass Einnahmen aus ihrer Tourismuswirtschaft für den Kauf von „Ausweichland“ in Sri Lanka, Indien und Australien verwendet werden sollten. Die Tatsache, dass das Land bereits jetzt vor den Folgen der kollektiven Untätigkeit bei der Reduktion von Treibhausgasemissionen kapitulieren muss, ist ein düsteres Zeugnis für die langjährigen internationalen Klimaschutzbemühungen. Die Malediven können als typisches Beispiel für die Lage von vielen kleinen Inselentwicklungsländern (SIDS) betrachtet werden. Tourismus ist die wichtigste Einnahmensquelle des Landes – er erwirtschaftet 28 % des Bruttoinlandsproduktes und mehr als 60 % der Einkünfte aus Devisengeschäften. Mehr als 90 % der Steuereinnahmen der Malediven stammen aus tourismusbezogenen Steuern und Einfuhrabgaben. Allerdings herrscht bei der Verteilung der Gewinne aus dem Tourismus eine Schräglage. „Die Malediven wurden das reichste Land in Südasien mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 4.600 US-Dollar. Jedoch wurde dieser Reichtum von einigen Wenigen abgesahnt – was bleibt ist eine große Kluft zwischen Reich und Arm. Schneelboote und Yachten der einheimischen Multimillionäre schaukeln in der Lagune der Hauptstadt, während die offiziellen Statistiken zeigen, dass die Hälfte der MalediverInnen weniger als einen Dollar pro Tag verdienen.“ (The Guardian, 10. November 2008) Die TouristInnen kommen hauptsächlich aus Europa (78 %) und bringen einen hohen Energieaufwand durch Flüge, Lebensmittelimporte, Transportbedarf auf der Insel (Hubschrauber, Schnellboote) und Beherbergung (Stromerzeugung durch Dieselgeneratoren) mit. Alleine der Hin- und Rückflug verursacht im Schnitt um die 2 Tonnen CO2-Emissionen – mehr als die Hälfte dessen was derzeit als nachhaltiges Emissionsbudget pro Person und Jahr betrachtet werden kann. Aus dem Beispiel der Malediven können einige grundlegende Erkenntnisse gewonnen werden. Einkünfte aus dem Tourismus können das Durchschnittseinkommen ankurbeln, jedoch nicht auf vergleichbare Höhen wie in den entwickelten Ländern und mit einer höchst ungleichen Verteilung. Des weiteren basiert die wirtschaftliche Entwicklung auf einem energie- und emissionsintensiven Tourismus. Dies muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass die SIDS von den Industrieländern fordern, deren Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 um 95 % zu reduzieren. Die dafür benötigten fundamentalen Klimaschutzmaßnahmen würden mit Sicherheit auch Auswirkungen auf die Flugreisen haben, und damit auf die wirtschaftliche Entwicklung der SIDS. Das befördert die Malediven in ein politisches Dilemma: das Land kann entweder seinen energieintensiven Tourismussektor zur Maximierung der Einnahmen weiter auf Kosten eines beschleunigten Klimawandels und dem damit verbundenen Untergang der Landesfläche ausbauen, oder einen weniger emissionsintensiven Entwicklungspfad einschlagen und damit ein Vorzeigemodell für andere Inselstaaten werden. Die Möglichkeit, dass durch schnelle und umfangreiche Emissionsreduktionen zumindest noch einige der Inseln bewohnbar bleiben, ist womöglich bereits verloren. Manche mögen fragen, ob es daher klug oder sogar ethisch vertretbar sei, eine solch energieintensive Tourismusentwicklung auf den Malediven weiter zu unterstützen. Da das Land jedoch kaum andere Entwicklungsmöglichkeiten besitzt und wenig internationale Unterstützung zur Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen (zum Beispiel Zukauf von „Ausweichland“) in Sicht ist, bietet der Tourismus für das Land die einzige Alternative um in Zukunft eine Umsiedelung seiner Bevölkerung durchführen zu können. Die historischen und aktuellen Emissionen des Landes sind nicht der Grund für dessen Verletzlichkeit gegenüber dem Klimawandel, und die Realität zeigt dass eine energieintensive Tourismusentwicklung die einzige Möglichkeit ist, um Anpassungsvermögen für sein Volk aufzubauen. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass sich dieses politische Dilemma für viele SIDS und LDCs in den kommenden Jahrzehnten von selbst erübrigen wird. Quelle: Finnisches Außenministerium, 200943
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KLIMASCHUTZ ALS GEFAHR FÜR ENTWICKLUNGSZIELE?
Es wäre ein Fehler, vereinfacht zu sagen: ‚Machen Sie keinen Urlaub weit weg von Ihrem Zuhause und vermeiden Sie Flugreisen, um einige Tonnen an Treibhausgasen einzusparen!’ Viele Fernreisen gehen in Länder, welche Heimat für die ärmsten Menschen des Planeten sind. Wir wissen heute schon, dass diese Menschen die ersten Opfer des globalen Klimawandels werden, und sie wären doppelt betroffen, wenn wir sie nun noch um das Einkommen aus dem Tourismus berauben würden. Francesco Frangialli, damaliger Generalsekretär der UNWTO, während seiner Rede bei der „2. Internationalen Konferenz über Klimawandel und Tourismus“ (2007) Wenn jedes Element in der touristischen Wertschöpfungskette in der Hand von multinationalen Tourismusunternehmen ist – das Reisebüro, der Reiseveranstalter, die Fluglinie, das Hotel, und sogar der Transportbetrieb vor Ort – wird die lokale Bevölkerung ihres gerechten Anteils an den Gewinnen beraubt. Viele verdienen daran sogar gar nichts. Richard Hammond, Reiseautor, in der Zeitschrift „Developments“ der britischen Entwicklungsbehörde DFID (2005)
Viel gelobtes Allheilmittel Tourismus Im „Brüsseler Aktionsprogramm für die ärmsten Länder 2001-2010“ wurde der Tourismus als einer der wenigen Sektoren genannt, in welchem die „Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder“ (LDC) ihre Beteiligung an der globalen Wirtschaft erhöhen konnte.6 Im Mandat der UNWTO stellt daher die Armutsbekämpfung durch Tourismusentwicklung, als ein Beitrag zur Erreichung der UN-Millenniumsentwicklungsziele, eine der wichtigsten Prioritäten dar.30 Laut UNWTO ist Tourismus in vielen Entwicklungsländern eines der wichtigsten – manchmal sogar das einzige – Mittel zur ökonomischen und sozialen Entwicklung auf einer nachhaltigen Grundlage, mit bedeutenden Verflechtungen hin zu anderen Produktionssektoren wie Landwirtschaft oder Handwerk.40 Der Sektor sei außerdem gekennzeichnet von einer hohen Arbeitsintensität, einem großen Anteil von Klein- und Mittelbetrieben in der Zuliefekette, niedrigen Marktzutrittsbarrieren sowie von komparativen Wettbewerbsvorteilen speziell für LDCs aufgrund ihres einzigartigen touristischen Kapitals wie Landschaft, Kultur, Kunst oder Musik.5 So wird der Tourismus nicht selten in verschiedenen internationalen und nationalen Entwicklungsstrategien als ein ökonomisches, ökologisches und soziokulturelles „Allheilmittel“ betrachtet. Entsprechend dem Trend der Zeit ist die Tourismusentwicklung in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern von einer neoliberalen
und stark wachstumsorientierten Politik geprägt. Zwischenstaatliche Organisationen sowie Regierungen verfolgen entsprechende ökonomische Deregulierungsprogramme – gemäß der „Trickle-down“ Theorie, wonach durch erhöhte Auslandsinvestitionen Impulse für eine Tourismusentwicklung in Gang gesetzt werden, von welchen am Ende auch die ärmsten Bevölkerungsschichten profitieren sollen.41,42
Angst vor negativen „SpilloverEffekten“ durch klimapolitische MaSSnahmen In ihren klimapolitischen Stellungnahmen verweist die UNWTO kontinuierlich auf die bedeutende Rolle des Tourismus bei der Armutsbekämpfung – und damit auf die potenziellen Gefahren für die Tourismuseinnahmen im globalen Süden durch Klimaschutzmaßnahmen. Vor allem Destinationen in LDCs und in kleinen Inselentwicklungsländern (SIDS), welche sich weitab von den Quellmärkten im globalen Norden befinden und damit stark vom Flugverkehr abhängig sind, würden durch klimapolitische Maßnahmen zur Eindämmung des Reiseverkehrs beim Marktzugang eingeschränkt werden.29 Solche mögliche negative Auswirkungen finden in den Verhandlungen der UNFCCC als sogenannte „Spillover-Effekte“ Berücksichtigung. Obwohl allgemeiner Konsens darüber besteht, dass Klimaschutzmaßnahmen nicht in Konflikt 15
mit entwicklungspoltischen Zielen geraten dürfen, muss deren tatsächliche Bedrohung für die globale Armutsbekämpfung differenziert betrachtet werden. Hierbei stellen sich zwei grundlegende Fragen. Erstens: Wieviel trägt die touristische Wertschöpfung im globalen Süden tatsächlich zur Armutsbekämpfung bei? Und zweitens: Wie stark würde sich eine Regulierung des Reiseverkehrs auf die wirtschaftliche Entwicklung in diesen Ländern auswirken?
Rein ökonomische Indikatoren verzerren das Bild Trotz aller Argumente, die für Armutsbekämpfung durch Tourismusentwicklung sprechen, bleibt die Effizienz von entsprechenden Programmen bislang wissenschaftlich schlecht dokumentiert41 und wird von einer Vielzahl an Literatur kritisch in Frage gestellt. In den Destinationen kann ein zu schnell wachsender Tourismus oft zu beträchtlicher Umweltzerstörung sowie zu kultureller Kommerzialisierung führen, wobei der ökonomische Nutzen für die lokale Bevölkerung aufgrund von Kapitalrückflüssen an ausländische Investoren oft weit unter den Erwartungen bleibt. Weiters kommen die angepriesenen komparativen Wettbewerbsvorteile innerhalb der Länder nicht allen Bevölkerungsschichten und Regionen gleichmäßig zugute. Beschäftigungsverhältnisse im Tourismus sind darüber hinaus traditionell geprägt von relativ niedrigen Gehältern, schlechter sozialer Absicherung sowie von Unterbrechungen in nachfrageschwachen Saisonen.43,44 So führt Tourismus in den Destinationen des Südens, aber auch in den entwickelten Ländern, nicht selten zu einer Verschärfung von ökonomischen, ökologische und/ oder soziokulturellen Schieflagen, durch welche bereits benachteiligte Bevölkerungsgruppen noch weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt
werden.42,45,46 Statistiken über Tourismuseinnahmen vermitteln in der klima- und entwicklungspolitischen Diskussion daher ein stark verkürztes Bild der Realität.
Viele touristische Einnahmen flieSSen ins Ausland ab Bei der Beurteilung des ökonomischen Nutzens des Tourismus für Entwicklungsländer ist die Berücksichtigung der Rückflussrate wichtig. Diese beziffert jenen Anteil der touristischen Einnahmen, welche durch transnational agierende Fluglinien, Hotelketten, Reiseveranstalter oder Kreuzfahrtgesellschaften sowie durch Lebensmittel- und Warenimporte ins Ausland abfließen und damit nicht den Volkswirtschaften der Zielländer zugute kommen. Ein Bericht der britischen „New Economics Foundation“ (NEF)44 verweist darauf, dass Rückflussraten in den Destinationen des Südens laut Weltbank bis zu 55 % betragen können. NEF listet allerdings noch eine Reihe von Fallstudien auf, welche auf beträchlich höhere Rückflussraten schließen lassen. So kämen von All-Inklusive-Urlauben in Kenia schlussendlich nur 15 % des Geldes bei der lokalen Wirtschaft an, wobei indigene Gemeinden wie die Masai komplett leer ausgingen.47 Für Thailand, Kuba und Gambia werden Rückflussraten zwischen 70 % und 75 % berichtet.44
Klimaregulierungen würden Wachstum und Einnahmen nur leicht beeinträchtigen Neben dem vermeintlichen ökonomischen Nutzen des Tourismus für die armen Bevölkerungsschichten muss in der klimapolitischen Diskussion auch kritisch hinterfragt werden, wie stark die Tourismusströme von Nord nach Süd durch eine Regulierung des Flug-
Der Kapitalrückfluss am Beispiel von All-Inklusive-Urlauben in Kenia
GB
Kenia
Schuldendienstanteil für die Finanzierung der touristischen Infrastruktur
Schlussendlicher Anteil
Bereich
Anteil von 1 1,– TourismusAusgaben
Anfänglicher Anteil
Tourismusbedingte Importe nach Kenia
Reiseveranstalter
20 Cent
60 Cent
+10 Cent
+15 Cent
85 Cent
Fluggesellschaft
40 Cent
Hotelkette
23 Cent
40 Cent
-10 Cent
-15 Cent
15 Cent
Safari-Anbieter
8 Cent
Kenianische Regierung
9 Cent
Einheimische Masai
0 Cent
Quelle: Leeds DEC & Tourism Concern47
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verkehrs tatsächlich zurückgehen würden. Eine im Jahr 2008 durchgeführte Studie analysierte die zu erwartenden Ausfälle von Touristenankünften in zehn populären Inselentwicklungsländern in Verbindung mit der Einbeziehung des Flugverkehrs in das EUEmissionshandelsschema ab 2012. Die Ergebnisse zeigen, dass selbst ein relativ hoher Preisanstieg bei den Flugtickets – die derzeit diskutierten Rahmenbedingungen lassen jedoch wesentlich geringere Preisanstiege erwarten (siehe Kapitel 4) – aufgrund des allgemeinen Wachstums der touristischen Nachfrage in keiner der untersuchten Destinationen zu einem bedeutenden Rückgang der Ankünfte führen würde. Es wäre lediglich eine leichte Wachstumsverzögerung zu erwarten.48 Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Analyse von NEF, welche die wirtschaftlichen Auswirkungen eines angenommenen Wachstumsstopps bei Flugreisen von Großbritannien zu vier populären Destinationen untersucht hat. Eine Stagnation von britischen Gästen würde, im Vergleich zu den Einnahmen die mit dem prognostizierten Zuwachs der britischen Ankünfte bis zum Jahr 2025 zu erzielen wären, zu einem Umsatzrückgang von lediglich 0,07 % des BIP in Kenia, 0,17 % in Thailand, 0,39 % in der Dominikanischen Republik und 3,42 % in den Malediven führen.V, 44
Differenzierte Reduktionsverpflichtungen für Flugrouten? Im Zusammenhang mit der Vermeidung von ökonomischen Spillover-Effekten für Entwicklungsländer wird von der UNWTO die Möglichkeit einer differenzierten Klimaregulierung beim internationalen Flugverkehr zur Diskussion gestellt. Hierbei wird vorgeschlagen, entsprechend dem Entwicklungsstatus der Start- und Zielländer für die jeweiligen Flugrouten unterschiedliche Reduktionsziele anzuwenden. Eine solche Differenzierung könnte folgendermaßen aussehen: für alle Flüge zwischen Industrieländern würde ein absolutes Reduktionsziel gelten (= limitierte Gesamtmenge von CO2-Emissionen in Tonnen), für Flüge zwischen Schwellenländern ein relatives Effizienzziel (= jährliche Verbesserungspflicht der Energieeffizienz, jedoch keine Limitierung der Emissionen) und für Flüge zwischen Entwicklungsländern würde kein Ziel gelten (jedoch ein verpflichtendes CO2-Berichtswesen). Für Flüge zwischen Ländern mit unterschiedlichem Entwicklungstand wäre die kleinere der beiden Zielvorgaben anzuwenden.VI, 32
Demnach würde zum Beispiel ein Flug von Österreich nach Mexiko einem Effizienzziel unterliegen, und für einen Flug von Österreich nach Madagaskar würde keine Zielvorgabe gelten. Da der Großteil der internationalen Reiseströme zwischen Industrieländern stattfindet, wäre durch diesen Ansatz die Mehrzahl der Flugreisen durch eine absolute Reduktionsvorgabe geregelt. Allerdings würde für Langstreckenreisen – viele davon gehen in Schwellenund Entwicklungsländer – ein relativer Preisvorteil entstehen, was einen strategischen Ausbau dieser Routen zur Folge haben könnte. Angesichts der oft fehlenden Verteilungsgerechtigkeit bei Tourismuseinnahmen in diesen Ländern kann daher davon ausgegangen werden, dass diese Regelung weniger zu einer Verbesserung der Lebenssituation der verarmten Bevölkerungsschichten beitragen würde, als dass sie weiter das Wachstum eines emissionsintensiven Tourismus forciert.
Nachhaltige Entwicklung bekämpft Armut wirksamer als Tourismuswachstum Die dargestellten Hintergründe zeigen, dass Forderungen nach einer Einschränkung des Wachstums beim (Fern)reiseverkehr mit dem Argument der Armutsbekämpfung nicht pauschal entkräftet werden können. Einerseits scheinen die Umsatzeinbußen durch Klimaregulierungen beim Flugverkehr wesentlich geringer auszufallen als weitgehend behauptet wird, und andererseits kommen Tourismuseinnahmen in den Ländern des Südens nur zu einem Bruchteil den armen Bevölkerungsschichten zugute. Zu einer wirkungsvollen Armutsbekämpfung im Tourismus scheint daher das Unterlassen oder das Abschwächen von Klimaschutzmaßnahmen weitaus weniger Potenzial aufzuweisen als andere Ansatzpunkte, wie zum Beispiel die Reduktion der Rückflussraten, die Verlängerung der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer, die Erhöhung der Ausgabenquote von TouristInnen in der lokalen Wertschöpfungskette oder eine ökonomische Diversifizierung zur Reduzierung einer zu großen Abhängigkeit vom Tourismus.44 Weiters muss selbst jener Teil der touristischen Einnahmen, der tatsächlich bei der verarmten Bevölkerung ankommt, im Verhältnis zu den soziokulturellen und ökologischen Kosten betrachtet werden – welche in Zukunft voraussichtlich wieder auf die Bevölkerung in diesen Ländern zurück fallen werden.
V Alle diese Länder sind stark vom Tourismus abhängig und haben einen hohen Anteil von britischen Gästen. Es wurden bei der Kalkulation der Tourismuseinnahmen sowohl ökonomische Sekundäreffekte (mit einem Faktor 2) als auch Rückflussraten (20 – 60 %) berücksichtigt. VI Dieser Vorschlag wird von der UNWTO als Diskussionsgrundlage gekennzeichnet und stellt keine offizielle klimapolitische Position dar
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Die Eckpunkte einer klima- und entwicklungsgerechten Tourismuspolitik Der Tourismus ist eine der weltweit größten Dienstleistungsbranchen und ein signifikanter Mitverursacher des Klimawandels. Dennoch spielt der Sektor in der Klimapolitik bislang eine Nebenrolle, wie die Verhandlungsagenden der internationalen Klimakonferenzen in Bali 2007, Posen 2008 und Kopenhagen 2009 zeigen. Vor allem der Flugverkehr, die größte Emissionsquelle der Branche, genießt seit mehr als einem Jahrzehnt klimapolitische Ausnahmeregelungen. Bis heute liegen für dessen Treibhauswirkungen keine konkreten Reduktionsverpflichtungen auf dem Verhandlungstisch. Allerdings erhöht sich der politische Druck auf die Reise- und Flugindustrie, mit Inkrafttreten des Kyoto-Nachfolgeabkommens ab 2012 einen verursachergerechten Anteil der Klimakosten zu übernehmen – sowohl zur Eindämmung der globalen Erwärmung durch die Reduktion von Treibhausgas-Emissionen (engl.: „mitigation“), als auch für die Anpassung an dessen unvermeidliche Folgen (engl.: „adaptation“) wie zum Beispiel Naturkatastrophen, Nahrungsknappheit und Landverlust durch den Anstieg des Meeresspiegels. Der Sektor lässt bislang mit konkreten Vorschlägen, welche dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand des Weltklimarates IPCC gerecht werden, auf sich warten. Die Reisebranche vertritt die Position, dass sie einen wichtigen Beitrag zur Armutsbekämpfung im globalen Süden leistet, und ihr Wachstum durch klimapolitische Maßnahmen nicht beeinträchtigt werden darf. Allerdings liefert die Gleichung „Wachstum = Einnahmen = Armutsbekämpfung“ ein stark verkürztes Bild der Realität. Tourismusankünfte in Entwicklungsländern machen nur einen marginalen Anteil am globalen Volumen der Branche aus, und die damit generierten Einnahmen kommen viel mehr ausländischen Investoren als der lokalen Bevölkerung zugute. Weiters ist Tourismusentwicklung oft mit beträchtlichen ökologischen, sozialen und kulturellen Kosten für die Destinationen verbunden. Klimaschutzmaßnahmen würden darüber hinaus das Tourismuswachstum eher nur verlangsamen und nicht stoppen. Eine der wichtigsten klima- und entwicklungspolitischen Herausforderungen für den Tourismus des 21. Jahrhunderts ist es, über strukturelle Reformen, kulturelle Änderungen und technologische Verbesserungen in hohem Maß energieeffizienter zu werden, und gleichzeitig das Potenzial für die Armutsbekämpfung effektiver auszuschöpfen. Für stark vom Tourismus abhängige Länder im globalen Süden stellen eine ökonomische Diversifizierung und eine ganzheitlich nachhaltige Tourismusentwicklung die wichtigsten Strategien zur Anpassung an den Klimawandel dar. Tourismusangebote müssen so gestaltet werden, dass die wirtschaftliche Wertschöpfung für die lokale Bevölkerung erhöht und der Druck auf die kulturellen und ökologischen Ressourcen vermindert wird. Dazu ist es wichtig, dass auch die Klimakosten – vor allem jene aus der An- und Abreise – in den Verkaufspreis von touristischen Produkten auf Basis von international verbindlichen Standards integriert werden. Teile der dadurch generierten Mehreinnahmen müssen den bereisten Ländern zur Finanzierung von Klimafolgenanpassungsmaßnahmen zugute kommen. Da intakte Natur und Kultur sowie politische Stabilität essenzielle Grundlagen für den Tourismus darstellen, und dieser als ein hoch klimaempfindlicher Sektor eingestuft wird, muss eine nachhaltige und klimagerechte Entwicklung im fundamentalen Eigeninteresse der Reisewirtschaft liegen. Eine Tourismuspolitik, deren oberste Priorität das Wachstum des Reisevolumens ist, läuft Gefahr, seine eigene Basis zu Untergraben.
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respect – die umwelt- und entwicklungspolitische Stimme im Tourismus
respect re spect
www.respect.at
I N S T I T U T F Ü R I N T E G R AT I V E N TOURISMUS UND ENTWICKLUNG
respect – Institut für Integrativen Tourismus und Entwicklung ist ein unabhängiger, nicht auf Gewinn ausgerichteter, international tätiger Verein mit Hauptsitz in Wien.
respect engagiert sich für eine sozial, kulturell und ökologisch verträgliche Entwicklung des Tourismus. Wesentlich sind dabei die regionale Wertschöpfung und die Selbst- und Mitbestimmung der Menschen in den bereisten Ländern. respect will erreichen, dass faires Reisen verstärkt nachgefragt und gelebt wird. Durch Zusammenarbeit mit Medien und Multiplikatoren gestaltet respect die Einstellungen und Verhaltensweisen von TouristInnen sowie die touristische Angebotsentwicklung positiv mit.
Sie wollen eine nachhaltige Tourismusentwicklung fördern?
Mit einem Mitgliedsbeitrag ab € 25,-/Jahr (für Einzelpersonen) bzw. € 100,-/Jahr (für juristische Personen) helfen Sie mit, faires Reisen verstärkt ins Blickfeld der Tourismusakteure und der Öffentlichkeit zu rücken. Mehr Informationen auf www.respect.at/Foerdermitgliedschaften.
Die Partner www.tourism-watch.de Tourism Watch ist eine Arbeitsstelle des Evangelischen Entwicklungsdienstes e.V. (EED) in Deutschland, der sich gemeinsam mit ökumenischen Partnern für einen nachhaltigen, sozial verantwortlichen und umweltverträglichen Tourismus engagiert. Darüber hinaus veröffentlicht Tourism Watch dreimonatlich den Informationsdienst TourismWatch.
www.nf-int.org
Die Naturfreunde Internationale (NFI) sind der Dachverband der Naturfreundebewegung mit mehr als 500.000 Mitgliedern in 50 Mitglieds- und Partnerorganisationen weltweit. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Gestaltung einer nachhaltigen Entwicklung in unserer Gesellschaft und die Förderung eines umweltgerechten Tourismus.
www.naturfreunde.at Die Naturfreunde Österreich engagieren sich seit ihrer Gründung für einen schonenden Umgang mit der Natur und Umwelt. Ihr aktueller Slogan heißt „Wir leben Natur!“, und im Zentrum ihrer nun mehr als 100-jährigen Natur- und Umweltschutzarbeit steht der Mensch in seiner nachhaltigen Beziehung zur Natur.
www.klimabuendnis.at
Das Klimabündnis ist eine globale Partnerschaft zum Schutz des Weltklimas zwischen europäischen Städten und Gemeinden und den indigenen Völkern der Regenwälder. Die Mitglieder verpflichten sich, ihre CO2-Emissionen umfassend zu reduzieren und die Bündnispartner/Innen im Amazonasgebiet bei der aktiven Regenwalderhaltung zu unterstützen.
Impressum Herausgeber und Medieninhaber: respect – Institut für integrativen Tourismus und Entwicklung; Mitherausgeber: Naturfreunde Internationale und Tourism Watch / EED, NF Österreich und Klimabündnis Österreich; Text und Redaktion: Andreas Zotz; Redaktionsanschrift: Diefenbachgasse 36/9, A-1150 Wien; Tel.: +43/(0)1/895 62 45, Fax: +43/(0)1/812 97 89; Email: office@respect.at; Erscheinungstermin: 22. Oktober 2009; Grafische Gestaltung: Daniela Toth; Fotocredits: Titelfoto, Tarek Hamouda; S4, Eric Gevaert (fotolia); S8, Surrender (fotolia); S10, Tarek Hamouda, Jose Gil (fotolia), S14, Mayobrain (fotolia), S17, Daniela Toth, Tarek Hamouda, Pierrette Guertin (fotolia); Druck- und Schreibfehler vorbehalten.
Diese Publikation wurde gefördert von: Österreichische Entwicklungszusammenarbeit
Gedruckt nach der Richtlinie „Schadstoffarme Druckerzeugnisse“ des Österreichischen Umweltzeichens. gugler cross media, Melk; UWZ 609; www.gugler.at