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Antworten auf die Grand Challenges
Die AIT-Managing Directors Anton Plimon und Wolfgang Knoll zur strategischen Ausrichtung und aktuellen Forschungsthemen des AIT.
Die Corona-Krise fordert natürlich auch das AIT. Wie gehen die rund 1.400 Mitarbeiter*innen damit um? Anton Plimon: Zwei wichtige Ziele haben wir erreicht: Das AIT funktioniert auch unter herausfordernden Bedingungen. Forschungsprojekte liefen im Homeoffice bestmöglich weiter, Kommunikation und Kollaboration wurden virtuell vorangetrieben. Zweitens sind viele Themen, an denen wir arbeiten, zur Bewältigung der Krise essenziell – etwa TelegesundheitsLösungen, mit denen Personen in Quarantäne medizinisch betreut werden können, ein Symptomtracking mit Hilfe einer anonymisierten Online-Umfrage oder Systeme zur Optimierung der Logistik von Hilfsmaßnahmen. Auch Simulationstools zum Management von Personenflüssen in Supermärkten oder in Einrichtungen des öffentlichen Verkehrs sind bedeutend. Wolfgang Knoll: Auch unsere Forschung im Bereich von Biosensoren ist ein wichtiger Beitrag: So zum Beispiel die Entwicklung eines Geruchstests, der eine Art „Frühindikator“ einer Covid-19-Infektion werden könnte. Durch die anerkannte Erfahrung mit Tools zum Management von Krisen und Katastrophen zählt das AIT auch zu den führenden Partnern im EU-Projekt STAMINA. Darin soll ein neues System zur Bewältigung künftiger Pandemien entwickelt werden. 38 Partner aus mehr als einem Dutzend Länder erarbeiten gemeinsam ein intelligentes System zur Unterstützung von Entscheidungen bei der Vorhersage und beim Management von Pandemien. Dieses System soll Ersthelfer, Praktiker, Personal in Krankenhäusern sowie Pandemie-Krisenmanager in ihrer täglichen Arbeit unterstützen. Da spielen wir ganz vorne mit.
Zur strategischen Ausrichtung des AIT bei der Infrastrukturforschung ist neben der Digitalisierung die Dekarbonisierung essenziell. Wie geht es hier weiter? WK: Projekte in diese Richtung verfolgen wir seit Gründung des AIT. Wir sehen darin eine unbedingte Notwendigkeit, um die Welt der nächsten Generation in einem zumindest gleich guten Zustand übergeben zu können. Das bietet auch Chancen für die österreichische Wirtschaft: Mit neuen, effizienteren und zukunftsweisenden Technologien wächst unsere Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt. Das sichert Wertschöpfung und Arbeitsplätze. AP: Ein großer Schwerpunkt ist die Dekarbonisierung der Industrie: Das AIT ist federführend an der österreichischen „Vorzeigeregion Energie“ zum Thema „New Energy for Industry - NEFI“ beteiligt, einem einzigartigen Innovationsverbund, der Lösungen zur vollständigen Dekarbonisierung der österreichischen Industrie entwickelt. Diese Innovationen werden wesentlich zur Standortsicherung der Industrie in Österreich beitragen und die Basis für klimafreundliche Technologien „made in Austria“ legen. Große Bedeutung kommt der Nutzung der Abwärme in der Industrie selbst, aber auch außerhalb, etwa in Fernwärmenetzen in der Umgebung, zu – Stichwort: Sektorkopplung. In diesem Zusammenhang wird auch das Thema Wasserstoff immer wichtiger: Vor allem in Bereichen, wo Wasserstoff sowohl stofflich als auch energetisch genutzt wird, sehen wir viel Potenzial.
Welche Schwerpunkte verfolgt das AIT im Bereich der Energieforschung? WK: Energiesysteme sind hochkomplex. Eine Transformation in Richtung Klimaneutralität erfordert neben neuen Einzeltechnologien eine Sicht auf das Gesamtsystem. Nur der Blick auf die gesamte Wertschöpfungs- und Wirkungskette ermöglicht es, das volle Innovationspotenzial im Sinne ganzheitlichen Klimaschutzes abzurufen. Diese Systemkompetenz ist ein Alleinstellungsmerkmal des AIT. So können wir etwa in vielen Simulationssystemen und mehreren speziellen Labors Komponenten in reale Netze integrieren und dort unter Bedingungen nahe an der Praxis testen und weiterentwickeln. In unserem SmartEST-Labor bieten wir realitätsnahe Forschung etwa für flexible „Smart Grids“. AP: Die Energiewende erfordert die Integration aller Sektoren. Wir forschen z. B. für eine klimafreundliche, nutzergerechte und multimodale Mobilität. Das beginnt bei Simulationen zur Optimierung der Verkehrsinfrastruktur und der Interoperabilität verschiedener Verkehrsmittel und reicht bis zu Forschungen zur E-Mobilität. Unser Batterie-Labor verfügt über AIT AUSTRIAN INSTITUTE OF TECHNOLOGY
AIT Managing Directors Anton Plimon (r.) und Wolfgang Knoll
eine eigene Produktionslinie, in der wir Lithium-Ionen-Batterien weiterentwickeln können. Wir sind hier auf Zell-, Modul- und Systemebene aktiv. Für hocheffiziente Antriebsstränge von Elektrofahrzeigen entwickeln wir auch neue Komponenten und Leistungselektronik. WK: Auch der Leichtbau von Fahrzeugen zählt zu unseren Kernkompetenzen. Am Leichtmetallkompetenzzentrum Ranshofen (LKR) arbeiten wir an innovativen Methoden zur Konstruktion von leichten Fahrzeugen sowie an der Verbesserung der Materialeigenschaften und der Verarbeitung von Leichtbaumaterialien wie Aluminium und Magnesium.
Forschungsthemen werden immer komplexer. Wie stellt sich das AIT auf diese Herausforderung ein? AP: Wir verfolgen einen systemischen und interdisziplinären Ansatz und denken über herkömmliche Fachdisziplinen hinaus. Ein gutes Beispiel dafür ist das „City Intelligence Lab“ (CIL), das wir im Herbst 2019 eröffnet haben. Das CIL ermöglicht es erstmals, während eines Planungsprozesses von Stadtteilen in Echtzeit Auswirkungen von Planänderungen auf Umwelt, Energieverbrauch, Verkehr oder Behaglichkeit darzustellen. Genutzt werden dabei Simulationen, Methoden der Artificial Intelligence (AI) und innovative Formen der Darstellung. Das erlaubt nicht nur einen raschen, umfassenden und effizienten Planungsprozess, sondern auch eine bislang unbekannte Qualität bei der EinPROFILE UND HIGHLIGHTS
bindung künftiger Nutzer und der Bürgerbeteiligung. WK: Das CIL ist auch der Beweis dafür, dass bei vielen Maßnahmen zur Dekarbonisierung digitale Technologien massiv an Bedeutung gewinnen werden. Wir machen uns am AIT nicht nur Gedanken, wie Rechenzenten der Zukunft energiesparender werden und wie „Blockchains“ in der Energiewirtschaft eingesetzt werden können, sondern insbesondere über die digitale Sicherheit von smarten Stromnetzen durch geeignete Systeminfrastruktur und Verschlüsselungsmethoden. Schutz vor Cyber-Bedrohungen und Hackerangriffen ist da ebenso ein Thema wie Datenschutz und Privacy.
Wie weit sind wir auf dem Weg der „digitalen Fabrik“ bzw. Industrie 4.0? AP: Innovative Robotersysteme eröffnen neue Wege zu effizienterer Produktion. Damit kann die Ressourceneffizienz im Produktionssektor gesteigert werden. Überdies können mit autonomen Produktionssystemen in Zukunft auch wieder mehr Güter in Europa hergestellt werden, was nicht nur die Industrielandschaft in Europa unterstützt, sondern auch dabei hilft, allzu weite Transportwege und die Abhängigkeit von Lieferketten zu vermeiden. Hier könnte die Corona-Krise zu einer klaren Trendumkehr führen.
Wo stehen wir in der Frage der Bioökonomie aus Ihrer Sicht? WK: Hier sind spannende Entwicklungen im Werden. So arbeiten wir etwa an neuen biologischen Prozessen, die für eine Bioökonomie der Zukunft essenziell sein werden. Durch Nutzen von Symbiosen zwischen Pflanzen und Mikroorganismen soll z. B. eine ressourcenschonendere Landwirtschaft möglich werden. Überdies ist in den Life Sciences die Anpassung an den Klimawandel wichtig: Das Wissen aus der Erforschung von Stressreaktionen von Pflanzen, zum Beispiel auf Hitze oder Dürre, lässt sich für die Züchtung von widerstandsfähigeren Pflanzensorten nutzen – etwa auch für Baumarten, die den steigenden Temperaturen standhalten können. AP: Wobei uns eines ganz wichtig ist: Das AIT steht für Entwicklung neuer Technologien in den InfrastrukturBereichen. Aber das allein reicht nicht, um die „Grand Challenges“ bewältigen zu können. Daher geben wir auch sozialen Innovationen breiten Raum und untersuchen beispielsweise, wie Menschen mit neuen Technologien umgehen und wie man sie gestalten sollte, um die bestmögliche Wirkung zu erzielen. Oder wie Menschen ihr Verhalten auf geänderte Rahmenbedingungen anpassen und wie sich Gesellschaften bei der Transformation im Zuge des technologischen Wandels und der Energiewende verändern. Dazu werden unter anderem im Auftrag der Europäischen Kommission große Foresight-Untersuchungen durchgeführt. Das AIT ist auch auf dieser Ebene in der europäischen Forschungslandschaft ein bedeutender Player.