Duisburg_Kochkulturgeschichten

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Esskultur damals in Duisburg

Esskultur damals in Duisburg Volker Herrmann Archäologische „Küchenschätze“ aus dem mittelalterlichen Duisburg

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Ralf H. Althoff Duisburger Esskultur – Entdeckungen im Museum

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Hanne Dünnwald Der Ruhr’sche Tönnekesdrieter

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Wolfgang F. Stammler Der Süden Duisburgs – eine fruchtbare Schatzkammer

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Bernhard Weber-Brosamer Koch- und Esskultur im Hause Haniel

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Karl-Heinz Winschuh Dä Schpeisezettel von unsere Vorfahren

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Ruth-Maria Günster Damals in Duisburg ...

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Wilhelm Schulz Die D.-Bahn und ihr Speisewagen

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Unsere D.-Bahn – Erinnerungen

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Hans-Martin Große-Oetringhaus Zweimal Pommes und Sport

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Karl-Heinz Winschuh Willi un Erna bei’t Frühschtück

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Okko Herlyn Pfannkuchen mit Zucker drauf

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Kai Magnus Sting Kochkünste

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Esskultur damals in Duisburg

Archäologische „Küchenschätze“ aus dem mittelalterlichen Duisburg Dr. Volker Herrmann Stadt Duisburg, Untere Denkmalbehörde – Stadtarchäologie Zu heutigen Kochrezepten steht eine kaum zu überblickende Fülle an Kochbüchern zur Verfügung, die uns vertraut macht mit den vielfältigen Speisezubereitungen unterschiedlichster Länder und Regionen. Mühelos gelingt es, sowohl kulinarische Spezialitäten als auch Gerichte der heutigen Hausmannskost aus allen Teilen der Welt kennen zu lernen und selbst anzurichten. Vergleichsweise schwierig ist es hingegen, sich über die Küche und die Tafel zurückliegender Jahrhunderte zu informieren und ein umfassendes Bild zu gewinnen von den Ernährungsgewohnheiten, Tischsitten und Vorlieben unserer Vorfahren. Bild- und Schriftquellen zu diesem Thema sind aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit nur sehr bruchstückhaft überliefert. Außerdem bieten sie meist nur einen Blick auf die Tische des Adels und in die Kochtöpfe der reichen Handelsleute. Niedere Schichten bleiben meist unberücksichtigt. Wesentlich aussagekräftigere und reichhaltigere Informationen zur Ernährung aller Teile der damaligen Bevölkerung hält das in der Erde bewahrt gebliebene archäologische Archiv bereit.

Arm und Reich – Speisen in der mittelalterlichen Stadt*

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Unter dem Pflaster der Städte und vielfach auch im Boden der heute unbesiedelten Flur kann man auf die Überreste vergangener Kulturen stoßen. Neben Resten von Häusern, Straßen und Gewerbeeinrichtungen findet man häufig große Mengen an Scherben von Kochtöpfen, Vorrats- und Tischgefäßen sowie eine Vielzahl an tierischen und pflanzlichen Speiseabfällen. Durch wissenschaftliche Ausgrabungen können diese Funde näher erforscht werden Steinzeugkrüge des 17. Jahrund liefern uns hunderts aus der Duisburger dann teilweise ein Altstadt erstaunlich authentisches Bild der Ess- und Trinkgewohnheiten längst vergangener Zeiten. Besonders Latrinen und aufgelassene Brunnenschächte wurden früher gerne zur Abfallbeseitigung Frühneuzeitliche Gläser aus genutzt und der Duisburger Altstadt stellen deshalb heute wahre Fundgruben für die Archäologie dar. Bei großflächigen Ausgrabungen in der Duisburger Altstadt wurden in den zurückliegenden Jahren seit 1980 viele solcher Entsorgungseinrichtungen aus der Zeit zwischen dem 5. und dem 19. Jahrhundert näher untersucht. Entgegen der vorherrschenden Meinung, die meisten Menschen hätten sich während des „finsteren“ Mittelalters fast ausschließlich von Hirsebrei und Gerstengrütze ernährt, zeigen die Funde, dass die Tafel der damaligen Bevölkerung deutlich reichhaltiger und schmackhafter gedeckt gewesen sein muss. Selbst niedere Schichten hatten Zugang zu höherwertigen Speisen.


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Gekocht wurde üblicherweise in Tontöpfen und Metallkesseln an einer offenen Herdstelle mit großer Rauchabzugshaube, in der Schinken zum Räuchern aufgehängt werden konnten.

Ehgraben mit Latrine und darüber gelegenem Abtritt.*

Während des Mittelalters wurden vorzugsweise brei- und suppenartige Speisen aus Getreide, Gemüse und Milch zubereitet. Gewürze wurden nur sehr sparsam eingesetzt, da sie

in der Regel über den Fernhandel importiert werden mussten und damit entsprechend teuer waren. Dies betrifft nicht nur exotische Gewürze wie Pfeffer, Nelken und Safran, sondern auch das heute überall verfügbare Kochsalz. Als Beilage wurden je nach finanziellen Möglichkeiten an einem oder mehreren Tagen in der Woche gebratene Fleischstücke, Würste oder Fische gereicht. Während der zahlreichen Fastenzeiten und generell an allen Freitagen war allerdings der Verzehr von Fleisch durch die Kirche verboten. Diese Tradition reichte in fast allen Regionen bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wie die Auswertung von Tierknochenfunden belegt, war der Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch, vor allem von Rind, gefolgt von Schwein und Schaf/Ziege, während des Mittelalters sehr hoch. Erst im 15./16. Jahrhundert verschlechterte sich die Versorgung der Bevölkerung mit Fleischprodukten. Gleichfalls beliebt waren bei den Duisburger Bürgern damals schon gebratene Haushühner und Hausgänse. Puten wurden hingegen erst nach der Entdeckung Amerikas in Europa domestiziert, sind dann aber bereits ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts durch Knochenfunde nachweisbar. Die Jagd auf Wildtiere und der Vogelfang in den Wäldern waren im Mittelalter weitgehend dem Adel vorbehalten. Vor allem Wildtiere hatten allerdings seit dem 9./10. Jahrhundert insgesamt nur noch untergeordnete Bedeutung für die Ernährung. Die Teichwirtschaft und der Fischfang in Flüssen und Bächen blühten hingegen im Zusammenhang mit den Fastenregelungen der Kirche in dieser Zeit erst auf. Verspeist wurden aber auch gerne Seefische, vor allem Stockfische und Salzheringe, die über den Fernhandel der Hanse bezogen wurden. Als Nachspeise wurden allerlei Früchte, wie Äpfel, Birnen, Kirschen, Zwetschgen, Him-

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beeren und Brombeeren, aber auch Pfirsiche, gegessen, die in den um die Stadt liegenden Obstgärten angebaut bzw. als Wildfrüchte in den lichten Mischwäldern der Region gesammelt wurden. Feigen, die vielfach in spätmittelalterlichen Proben nachgewiesen werden, kamen aus dem Mittelmeerraum in die Region. Um auch während der Wintermonate Früchte vorrätig zu haben, wurde das Obst gerne in Darren getrocknet.

Koch an der Herdstelle*

Süßspeisen waren schon im Mittelalter äußerst beliebt, aber auch Fleisch wurde gerne süß abgeschmeckt. Da Zuckerrüben und Zuckerrohr bei uns noch nicht bekannt waren, kamen der Bienenzucht und der Honiggewinnung in den Wäldern erhebliche Bedeutung zu. Dies belegt unter anderem auch die vielfach für das frühe und hohe Mittelalter überlieferte Abgabe eines Honig- und Wachszinses an die Obrigkeit. Die Verschmutzung von Flüssen und Bächen durch die Einleitung von Abwässern aus Gewerbebetrieben und die Belastung von Böden und Grundwasser durch Schwermetalle und Gifte sind nicht erst Probleme unserer Tage. Bereits im Mittelalter waren sich die Menschen der von Brunnen- und Flusswasser ausgehenden Gesundheitsgefährdung bewusst. Deshalb tranken bereits die Kinder in der Regel Bier, das allerdings wesentlich dünner war als das heutige und damit einen deutlich geringeren Alkoholanteil aufwies. Daneben spielte der Weinanbau seit dem Beginn des Mittelalters auch außerhalb der heutigen Anbaugebiete eine wichtige Rolle. Branntwein, der aus den Rückständen der Wein- und Biergewinnung und dem Obst der Gärten hergestellt wurde, gewann erst am Ende des Mittelalters verstärkt an Bedeutung. Dann lassen sich in den Städten neben den vielen Gasthäusern, Brau- und Weinschenken auch spezielle Branntweinstuben nachweisen. * Bildquellen Arm und Reich – Speisen in der mittelalterlichen Stadt, Illustration Jörg Müller, Biel (in: Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch. Die Stadt um 1300, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1992, S. 385) Ehgraben mit Latrine und darüber gelegenem Abtritt. Miniatur zu Boccaccios Deca-merone, Bibliothèque Nationale, Paris Koch an der Herdstelle, Hausbuch der Mendelschen Zwölfbrüderstiftung Nürnberg, 15. Jh. (Stadtbibliothek Nürnberg Amb. 317.20, MI, fol. 95r)

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Küche und Brauchtum in Duisburg Ralf H. Althoff Stellv. Museumsdirektor im Kultur- und Stadthistorischen Museum Duisburg

„Wir“-Duisburger und ein altes Kochbuch

Der Autor dieses Artikels ist selbst begeisterter Hobbykoch (siehe Rezept S. 183), der nicht nur gerne kocht, sondern auch besonders gerne isst. Als deshalb der Verleger dieses KochKulturBuchs mit der Bitte an mich herantrat, die Koch- und Esskultur Duisburgs aus Sicht der umfangreichen Bestände des Kulturund Stadthistorischen Museums zu dokumentieren und zu kommentieren, führte dies natürlich rasch zu intensiven Gesprächen. Denn wann hat man schon einmal die Gelegenheit, ein Hobby mit seinem Beruf zu verbinden? Das vorliegende Duisburger KochKulturBuch, das erste seiner Art in Duisburg, hat ja nicht die Absicht, in erster Linie die Fünf-SterneKüche oder Innovationen der Kochkunst aus der Duisburger Küche zu dokumentieren – auch wenn es diese in diesem Kochbuch in keineswegs geringer Zahl gibt –, sondern fragt vielmehr danach, was und wie „wir“ in Duisburg kochen, essen und genießen. Doch was heißt in Duisburg „wir“? Das sind heute nicht nur die Duisburger Bürger im engeren Sinn des Wortes, also die paar Tausend, die rund um den Burgplatz, den alten Duisburger Kern, wohnen, sondern natürlich auch die Bewohner der Stadtteile, auch wenn diese von sich immer noch selbstbewusst als von „Wir“Duissener, „Wir“-Neudorfer, „Wir“-Meidericher, „Wir“-Homberger, „Wir“-Rheinhausener usw. sprechen. Der Verleger verriet mir, sein heimlicher Wunsch sei es, mit diesem Buch nicht nur die Freude am gemeinsamen Genießen, sondern auch das „Wir“-Gefühl der Duisburger zu

stärken. Vielleicht gelingt ihm dies ja, und sei es auch nur, dass ein linksrheinischer Stadtteilbewohner das Rezept eines rechtsrheinischen Stadtteilbewohners ausprobiert und damit eine soziale und kulturelle Brücke schlägt. Es wäre unserer Stadt zu wünschen. Aber nicht nur die Stadtteile sind in dieses Buch mit eingebunden, sondern auch das multinationale Duisburg mit seinem großen Anteil nicht deutschstämmiger Mitbürger, deren Rezepte dem Buch eine kleine exotische Ausrichtung geben. Kochen und Essen sind ein bedeutender Teil der Kulturgeschichte. Und es zeigt sich deutlich, dass Menschen, die „fremdländischem“ Essen aufgeschlossen gegenüberstehen, auch im Geist weltoffen sind. Die Kulturgeschichte des Kochens ist anderweitig viele Male schon aufbereitet worden, so dass ich sie hier nicht noch einmal „aufwärmen“ möchte. Vielmehr möchte ich den Blick auf die Koch- und Essutensilien sowie Ansichtskarten lenken, die ich bei einem Gang durch unsere Magazine und unsere Ausstellungsräume entdeckt habe. Denn ohne die richtigen Gerätschaften zum Kochen wird das beste Rezept nicht gelingen und ohne das richtige Tischgedeck wird der Vorgang des Essens schwierig. Ein sehr wichtiges Instrumentarium der Küche und Köche waren und sind auch die Kochbücher, von denen das Museum ein sehr interessantes aus dem Jahre 1908 besitzt. Interessant

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deshalb, weil es zwar von Sophie von Berg in Aachen geschrieben bzw. verlegt worden ist, jedoch einen direkten Bezug zu Duisburg hat. Es war in seiner Zeit wohl weit verbreitet, denn sonst hätte nicht die DuisburgRuhrorter Firma „J. Rustein-Eisenrustein“ diese Ausgabe unter ihrem Namen als Werbegeschenk für ihre Kunden genutzt. Als Anbieter von Haus- und Küchengeräten haben sie im Innendeckel eine perfekt eingerichtete Küche abgebildet, die sich jedoch auf den zweiten Blick als reine Schau- bzw. Ausstellungsküche erweist, denn rechts im Bild hat das große Spülbecken weder einen Wasserzulauf noch einen Abfluss, und die nette Köchin steht genau an der Stelle des Herdes, wo normalerweise das Ofenrohr in den Kamin geführt werden müsste.

wie in früheren Zeiten, die entsprechenden Gewichte fehlen. Doch wusste man sich damals durchaus zu behelfen, allerdings mit einem gehörigen Vorschuss an Vertrauen auf die Echtheit der Münzen, deren man sich als Ersatzgewichte bediente. Von diesen nämlich ist bereits im ersten Kapitel des Kochbuchs die Rede, indem es darauf hinweist, dass diese sich „in manchen Fällen als nützlich und notwendig“ erweisen. „Unsere Reichsmünzen vermögen in solchen Fällen, wo es sich um kleinere Angaben handelt, gute Dienste zu leisten. Das Einpfennigstück wiegt zwei Gramm; drei Zweipfennigstücke 10 Gramm; ein Nickel=Fünfpfennigstück 2 1/2 Gramm und das Zehnpfennigstück 4 Gramm. Zu 15 Gramm braucht man also 6 Fünfpfennigstücke oder 2 Zehn=, 3 Fünfpfennige und 1 Pfennig.“ Wohl dem, der in der Küche immer das nötige Kleingeld parat hatte.

Pfennigstücke mit Gewürzen

Abbildung einer Schauküche aus o. g. Kochbuch

Mit dem Wiegen der Zutaten hat es in der Küche ja immer eine besondere Bewandtnis und wird besonders schwierig dann, wenn, 314

Wer nicht mit Kleingeld abwiegen wollte, der konnte sich in Duisburg auch mit professionellen Waagen bei der „Espera – Kontrollund Schnellwaagen-Fabrik“ mit dem nötigen Gerät ausrüsten. Der Blick in die alten Kochbücher zeigt sehr schnell, dass die Welt noch nicht so stark zusammengewachsen war und deshalb viele Zutaten aus heimischen Regionen zum Kochen verwendet wurden. Exotische Gewürze


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Werbekarte der Espera-Fabrik, vor 1945

waren extrem teuer, so dass inländische Produkte bevorzugt wurden. Auch Fleisch und Fisch waren teuer, was sich leicht aus dem Wort Sonntagsbraten erschließt. Denn dieser hat seinen Namen nur deshalb bekommen, weil es innerhalb der Woche für die einfache Bevölkerung kein oder nur selten Fleisch gab. Häufiger als in heutigen Kochbüchern findet man deshalb auch Rezepte mit „Sättigungscharakter“, also Mehl- und Milchspeisen, Breie, Gemüsegerichte und viele Suppen.

eine kaum überschaubare Anzahl von kleinen Stadtteilkneipen und großen Gastronomiebetrieben. Dabei kam den sogenannten „Ausflugslokalen“, die früher „weit“ außerhalb der Stadt lagen, eine besondere Bedeutung zu. Sie waren beliebte Ausflugsziele, an denen am Sonntag – samstags wurde natürlich noch gearbeitet – ein gepflegter Nachmittag verbracht wurde. Beachtenswert ist die Größe vieler Lokale, in der sich auch die „Größe“ Duisburgs und die Kaufkraft der Bevölkerung widerspiegelt.

Gasthäuser in historischen Ansichtskarten Wie zu allen Zeiten, spiegelt sich die Esskultur einer Stadt vor allem auch in dem gastronomischen Angebot seiner Gaststätten wider. In allen Stadtteilen versorgten sie die Bevölkerung nicht nur mit Getränken wie Bier und Schnaps, sondern auch mit einem breiten Angebot von Speisen. Natürlich boten sie auch die häufig genutzte Möglichkeit, in den Sälen zu allerlei Anlässen fröhlich zu feiern. Sei es die Hochzeit, die Taufe, der runde Geburtstag oder ein Jubiläum, immer gehörte und gehört ein gutes Essen, neben Wein oder Bier, zur Feier dazu. Die aus dem Museumsbestand ausgewählten Postkarten stehen dabei nur beispielhaft für

Eine ganz andere, besondere Ausflugsmöglichkeit zeigt die Ansichtskarte mit dem imposanten Blick in den Speisesalon der „D. Westmark“ von der Duisburg-Ruhrorter Personenschifffahrt. Mit den großen Ausflugsdampfern

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genoss man mit Kaffee und Kuchen eine Fahrt auf dem Rhein oder durch den großen Hafen Duisburgs.

„Gruß vom Nachmittagskonzert an der Monning“, Stadtgrenze Duisburg-Mülheim, gestempelt 1911

„D. Westmark“, Blick in den Speisesalon des Schiffes der Duisburg-Ruhrorter Personenschifffahrt

Kaffee- und Biermarken, „Ausstellungscafe – Wilhelm Hegger“, Duisburg-Rumeln, wohl vor 1945

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Niederrheinische Irdenware Essgeschirr und politisches Pamphlet Die zwischen Kleve/Emmerich und Köln/Frechen vom ausgehenden 16. Jahrhundert bis weit in das 19. Jahrhundert hinein hergestellte bleiglasierte Irdenware zeichnet sich durch ihre Einheitlichkeit und Eigenständigkeit des Stils aus. Die Farbigkeit, die reichen szenischen Dekore, die in Ritztechnik, Schlickmalerei oder sogar reliefartig ausgeführt worden sind, sind bezeichnend für diese Ware. Wir finden sowohl auf der Zier- als auch auf der Gebrauchskeramik religiöse und profane Szenerien, wovon uns hier die profanen Kochdarstellungen und Küchen- bzw. Tischgerätschaften interessieren sollen. Der Teller aus dem Jahr 1810 mit der Abbildung von Messer und Gabel zeigt uns schon durch die Abbildung seine Funktion als profanen Essteller mit einer gelungenen Vermittlung von Inhalten ohne Schrift. Das hier ebenfalls abgebildete Gabel- und Messerset aus Moers-Schwafheim mit seinen aufwendig verzierten Griffleisten aus Bein/Elfenbein, datiert 1855, passt wohl kaum zu dem eher bäuerlichen Teller. Vielmehr ist es einem Ehepaar gewidmet, womit es gut als Hochzeitsgeschenk passen würde. Zur weiteren Tischeindeckung gehören auch unsere beiden „Gewürzhalter“, zum einen die Dame mit den großen Körben von 1603, zum anderen der sitzende, janusartige, doppelte Mann von 1798. Beide hielten in ihren Schalen Gewürze für den Tischgebrauch, wobei in erster Linie


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an Pfeffer und Salz zu denken ist. Sie gehörten sicher in einen schon wohlhabenderen Haushalt, denn nicht nur die aufwendigen Gewürzhalter, sondern auch Gewürze im allgemeinen waren sehr teuer. Die beiden in der Museumssammlung befindlichen Zierfliesen mit Kochdarstellungen stehen dagegen in einem ganz anderen Kontext und sind auch schon als „revolutionäre“ Irdenware bezeichnet worden. Die Fliesen zeigen einmal einen butternden und einmal einen kochenden Hund. Wurden diese Darstellungen und ihre begleitenden Sprüche „Was sind das vür rare sachen das der Hunt auf solche art sol butten“ und „das ich armer Hunt mus hier arbeiten Vür die anderen ihren mund“ – sinnbildlich für die „verkehrte Welt“ stehend – früher auf die unter ihren Lasten und Pflichten stöhnenden Bauersfrauen übertragen, gehen neue Interpretationen mehr von einer politischen Aussage der Bilder und Sprüche aus. Die Jahreszahl 1799, die wir auf beiden Fliesen finden, und die anklagenden Inschriften drücken vielmehr eine Protesthaltung gegen die französische Besatzungsmacht und die damit verbundenen erheblichen Abgaben aus. Hier steht also der Hund für das geknechtete rheinländische Volk, das die guten Lebensmittel „Vür die anderen ihren mund“ (Franzosen) hergeben musste. So wird eine alltägliche Kochszene der Zeit zu einem politischen Zeitzeugnis.

Bollebäuschen und Waffeln Auch für die süßen Speisen birgt das Magazin des Kultur- und Stadthistorischen Museums interessante Küchengeräte. In der schön bemalten Bollebäuschen- oder Bullebäuskenform aus niederrheinischer Irdenware entstanden berlinerähnliche Kuchenbällchen, die, wie die Berliner, auch hier am Niederrhein gerne zu Silvester und Neujahr verspeist wurden. Es gab sie aber auch das Jahr über nicht selten auf der sonntäglichen Kaffeetafel. Die Rezepte ähneln sich überregional alle sehr, so dass hier aus unserem Duisburg-Ruhrorter Kochbuch von 1908 (geschrieben in Aachen) ein altes Rezept Bollebäuschenform, Frechen, 18./19. Jh. herangezogen werden kann. Unterschiedlich ist nur die Bezeichnung, denn die Bollebäuschen werden im Rezept „Pufferkuchen“ bzw. „Püffelchen“ genannt: „Kleine Pufferkuchen (Püffelchen) von Weizenmehl, Zutaten: 1⁄2 Liter Milch, 70 Gramm Butter, 3-4 Eier, 1 Eßlöffel Zucker, stark 30 Gramm Hefe, 500 Gramm erwärmtes Mehl, 130-200 Gramm Korinthen, Zimmt und etwas Salz. Das Mehl wird mit der Milch fein gerührt, mit dem Uebrigen vermischt, der Teig tüchtig geschlagen, mit den erwärmten Korinthen vermengt und zum langsamen Aufgehen zugedeckt an einen warmen Ort gestellt. Wenn nach Verlauf von 11/2-2 Stunden der Teig gut aufgegangen ist, backt man ihn in einer offenen Püffelchen=Pfanne, mit Butter oder Butter und Schmalz, zu kleinen Kuchen, welche nur einmal umgelegt werden, und zwar dann erst, wenn sie oben trocken geworden sind.“

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Mindestens so beliebt wie die Bollebäuschen waren auch die Waffeln. Das notwendige „Werkzeug“ = Waffeleisen war fast immer dem Namen entsprechend aus Eisen geschmiedet oder gegossen. Die Waffeleisen in Zangenform konnten direkt in das Feuer gehalten werden, während die Teller- oder Aufsatzeisen mit zwei Nasen in den Ofen oder die Herdöffnung eingehängt werden konnten. Im Museumsmagazin habe ich eine ideale Kombination aus Waffeleisen und Rezept gefunden. In den Oberteller des Waffeleisens ist das Rezept gleich mit eingegossen worden – so konnte es nicht so leicht verloren gehen. 1 Kg Mehl 2 1/4 Liter Milch 6-8 Eier 375 Gr. Butter 1 Löffel Hefe

Mit etwas Puderzucker bestreuen und schon ist die Leckerei fertig. Der Kreativität der zusätzlichen süßen Ausstattung, z.B. heiße Kirschen oder andere Früchte, Sahne oder gar Eis sind kaum Grenzen gesetzt. Süße Speisen waren immer etwas Besonderes, so z. B. auch der Sonntagskuchen, der für die Strapazen der vergangenen Sonntags-Kaffeetafel Woche das harte in Meiderich 1909 Leben versüßen sollte. Die Bedeutung dieses Kuchens wird auf der Ansichtskarte deutlich, denn bei genauerer Betrachtung steht der Kuchen im Mittelpunkt. Aus der eigenen Familienüberlieferung weiß ich, dass von diesem Sonntagskuchen immer ein Stück übrig bleiben musste, das die Hausfrau am Montag, dem „großen Waschtag“, als Belohnung für die harte Arbeit erhielt. 318

Brauereien – Bier und Biersuppe Aus dem großen Fundus von Suppenrezepten möchte ich die Biersuppen hervorheben, weil ihnen und natürlich dem Bier schon mindestens seit dem Mittelalter eine besondere Bedeutung zukommt. Bier war und ist nahrhaft, das wusste die Bevölkerung auch früher schon, und so wundert es nicht, dass Bier auch als Armenspeise Verwendung fand. Für uns etwas befremdlich, wurde das Bier auch an Kinder zur Nahrungsergänzung verabreicht, entweder direkt oder eben als Biersuppe, weil die dann auch noch „satt machte“. Wir müssen uns jedoch bei dem Gedanken, Alkohol an Kinder abzugeben, nicht sonderlich erschrecken, denn das Bier vergangener Zeiten hatte nur einen sehr geringen Alkoholanteil. Das Bier hatte also einen großen Stellenwert in der Ernährung, womit sich leicht die große Anzahl von Brauereien erklärt, die es seit dem Mittelalter gegeben hat. Von diesen kleinen „Hausbrauereien“ ist wenig bekannt, so dass die systematische Erfassung von Brauereien erst im 19. Jahrhundert beginnt. Krug, datiert 1909 In Duisburg (mit Eingemeindungen) hat es zwischen 1850 und 1940 ca. 45 Brauereien gegeben, viele davon gleichzeitig. Obwohl mir die Biersuppe meiner Mutter in Kinder- und Jugendtagen immer gut geschmeckt hat, musste ich mich bei der Durchsicht unseres „Duisburg-Ruhrorter Kochbuches“ doch

Duisburger Brauereiflaschen um 1900


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etwas schütteln, denn eine Bier-Kaltschale kannte ich noch nicht: Geriebenes Schwarzbrot, reichlich gewaschene und aufgekochte Korinten, Zimmt, Zitronenscheiben, Zucker, gutes Weissbier oder Weiss=, halb Braunbier mischt man untereinander und stellt es bis zum Gebrauch zugedeckt an einen kühlen Ort, am zweckmässigsten auf Eis. Zu den Brauereien gesellten sich sehr schnell die Bierverleger, die für den Vertrieb in den Stadtteilen sorgten, oft auch in Konzessionsabfüllung mit eigenen Flaschen. Die Verleger wurden von den Brauereien mit Großfässern beliefert und füllten das Bier in ihre eigenen Flaschen um. Auf diese Weise kam es gelegentlich auch zu einer wundersamen Duisburger Verlegerflaschen Biervermehrung, aus zum Beispiel 100 Litern wurden dann schon mal 110 Liter. Leider ist von der hohen Zahl der Brauereien in Duisburg nur eine große Brauerei übrig geblieben, von den vielen anderen sind zum Teil nur wenige Flaschen erhalten, die deren ehemalige Existenz belegen.

Die Duisburger Gesellschaften – ein Quell der Lebensfreude und des Genießens 1. Gesellschaft „Societät“ Schon 1774 von sieben Bürgern der Stadt Duisburg, zumeist Kaufleuten, gegründet, blickt die Gesellschaft „Societät“ bis heute auf 234 Jahre „geselliges Leben“ zurück. Von angesehenen und wohlhabenden Bürgern getragen, besaß die Gesellschaft im Laufe der Jahrhunderte immer eigene Häuser, in denen sich die Gesellschafter zu geselligen Runden trafen. Im 18. und 19. Jahrhundert stellte die „Societät“ Aktienscheine aus, um das notwendige Kapital für die Häuser und deren Unterhalt zu erhalten.

Ansichtskarte mit dem Societäts-Haus an der Königstraße 1, das zweite von links, um 1917

Das Gesellschaftsleben wurde im Laufe der Zeit immer großstädtischer, verbindlicher und weltmännischer, doch sieht man sich die wenigen alten Akten an, die nach verschiedenen Bränden, Bombardierungen und Umzügen noch übrig geblieben sind, kann man feststellen, dass eines immer gleich geblieben ist: der Willen zu feiern und zu schlemmen. Selbst in der schwierigen Zeit des „Dritten Reiches“ versuchten die Gesellschafter, das Gesellschaftsleben so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. Nur zwischen 1939/40 und Anfang 1945 war es offensichtlich nicht mehr möglich, größere Feierlichkeiten abzuhalten.

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Einladungskarte vom 15. Januar 1938

Ein schönes Beispiel dafür habe ich der Festschrift zum 175-jährigen Bestehen der Gesellschaft 1949 nachfolgend wörtlich übernommen: „Am 15. Oktober 1840, dem Geburtstag Friedrich Wilhelms IV., der erst seit vier Monaten regierte, wurde das neue Haus [später Königstrasse 1] durch ein Fest eingeweiht, das mit der vollkommenen Sorgfalt vorbereitet wurde, wie sie oben beim Kabliauessen von 1835 beschrieben wurde, das neue Gesellschaftsgebäude der Societät wurde am Abend des 15. Oktober 1840 ‚illuminiert’.“ Wie man damals „schlemmte“, möge aus den folgenden, vermutlich von dem damaligen Ökonom entworfenen Speisezetteln hervorgehen, die im Original erhalten sind und der Kuriosität halber w ö r t l i c h abgedruckt werden (heute leider verloren):

Speisen Zettel für d/15er October Mittags pro Couvert Thl. 1.Rindfleisch Suppe mit Nudeln Sardellenpasteten Rindfleisch mit Gemüse Beilage und Souce Würsing mit Cottelets und Schinken Blumkohl mit Rindfleisch Rouladen Roter Kohl mit Bratwurst Ragout Salmie von Enten mit Madera Souce Fricandeau de Vaux mit Kreuter Souce Pudings Kalter Reispuding mit rother Souce Citronen Craem Bisquit Pudings mit weisser Souce Cocoladen Craem Braten Reh mit Birnen Compot Junge Hahnen mit Pflaumencompot Hasen mit Salat

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Desert und Butter und Käse Speise Zettel für den 15t. October Abends pro Couvert Thl. 1.Fisch mit Kartofflen Fricahse von Kalbfleisch Gemüse Schwartzwurzeln mit Cottelete und Schinken Rothkohl mit Bratwurst Ragout Gekochte Rehbrust mit gerösteten Kartofflen Salmi von Enten mit Madeira Sauce Puddings Kalter Reispudding mit Rother wein Sauce Citronen Craem Cocoladen Craem Braten Reh mit Birnen Compot Junge Hahnen mit Pflaumencompot Hasen mit Salat Desert und Butter und Käse

Ein nicht ganz billiges, dafür aber sehr opulentes Essen, wozu selbstverständlich noch diverse Weine und Biere gereicht wurden. Apropos Bier, von Mitgliedern der Gesellschaft Societät wurde sogar eine „Bierclubvilla“ am Wanheimer Rheinufer gegründet, die später auch in den Besitz der Gesellschaft überging. Auch heute genießen die Mitglieder in eigenen Räumlichkeiten in den Zooterrassen bei verschiedenen Feierlichkeiten gutes Essen und gute Weine. Umfangreiche Informationen dazu gibt es unter www.societät-du.de.

Bierclubvilla, vor 1920


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2. Gesellschaft „Casino“ Die 1858 von der damaligen Kaufmannschaft gegründete Gesellschaft entstand genau in der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs Duisburgs, in der Zeit der frühen Industrialisierung und des Hafenbaus. Weniger akademisch ausgerichtet als die „Societät“, wurde sie von wohlhabenden Kaufleuten getragen. Nicht mehr ganz zeitgemäß ist sie bis heute eine reine Herrengesellschaft geblieben, was verständlicherweise in der Akquise von neuen Mitgliedern zu gewissen Problemen führt. Dennoch dürfen die dazu gehörenden Damen mehrmals im Jahr mit den Herren zusammen feiern und schlemmen. Auch die Gesellschaft „Casino“ besaß bis zum Zweiten Weltkrieg mehrere eigene Häuser und seit 1876 auch einen sehr großen, florierenden Weinhandel. Dieser trug nicht unerheblich zum Reichtum der Gesellschaft bei. Interessanterweise ist die älteste noch erhaltene Gerichtsakte des Duisburger Amtsgerichts die der Gesellschaft „Casino“ bzw. deren Weinhandels.

Leider hat nur der Gewölbekeller an der Kasinostraße das Bombardement des Krieges überstanden, der heute als Discothek genutzt wird. Der Weinhandel musste aufgrund von Absatzproblemen in den 1950er Jahren aufgegeben werden. Die Gebäude an der Kasinostraße (leider immer noch mit „K“) konnten für Feste durchgängig in einer Flucht von 72 Metern innen geöffnet werden, so dass man dort mit 400 Mitgliedern feiern konnte. Die Speisekarte gibt uns von einem Alte Weinflasche von 1948 Fest beispielhaft an, aus der Casino=Kellerei wie sehr man auch dort zu genießen verstand.

Glaubt man den Angaben auf der Postkarte von 1897, so waren ständig 300 Fuder (300.000 Liter) und 80- bis 90.000 Flaschen Wein vorrätig.

Ansichtskarte von 1897 „Gruß aus dem Casino Duisburg“

Einladungskarte von 1926, „Gesellschaft Casino Duisburg. Zum Goldenen Kellerfeste“

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Knickerflaschen – Knickerbrause - Bollerwasser – Kracherl – Knickersekt In den 1880er Jahren entstanden in großer Zahl Trinkhallen, Büdchen/Knickerwasserbuden auf öffentlichen Plätzen, zum Beispiel Marktplätzen, direkt auf oder aber unmittelbar neben den Toren von großen Fabrik- und Zechenanlagen sowie in im Parterre gelegenen kleinen Räumen von Wohnstraßen. So gab es 1910 in Dortmund schon 144, in Düsseldorf 163 und in Duisburg 114 Selterswasserbuden, deren Zahl in Duisburg bis 1962 auf 650 (!) konzessionierte Trinkhallen anstieg.

Deren Sortiment umfasste vor allem alkoholische und nichtalkoholische Getränke, Süßigkeiten, Rauchwaren, Zeitungen und Zeitschriften, Spielzeug und viele Kurzwaren. Vielfach entwickelten sich die Büdchen zu kleinen „Tante Emma-Läden“, in denen man neben Buletten, Heißwurst, Kartoffelsalat und belegten Brötchen auch Lebensmittel des täglichen Bedarfs, die beim Einkauf vergessen worden waren, bekommen konnte. Vielerorts bildeten sie auch einen zentralen Treffpunkt für Jung und Alt, wo man bei Bier, Brause oder Selterswasser immer die neuesten Informationen aus der Nachbarschaft erfuhr oder sich mit seiner Liebsten verabredete.

Knickerflasche, „Becker & Siebenmorgen/Duisburg“, ca. 1920er–1930erJahre

Ansichtskartenausschnitt mit dem Büdchen auf dem Friedrich-Wilhelm-Platz, datiert 1921

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Mit diesem Sortiment trugen die Büdchen nicht unerheblich zur Ernährung, besonders auch der flüssigen Ernährung, bei. Die seit 1871 produzierten interessanten Flaschen mit ihrer Verschlusskugel im Hals enthielten in aller Regel künstliche Brause mit Waldmeister- und Himbeergeschmack oder künstliches Mineralwasser. Mit der flächendeckenden Verbreitung von Flaschengetränken konnte nun auch endlich die Gesundheit der Bevölkerung verbessert werden, weil damit die Verwendung von schlechtem, oft verseuchtem Brunnenwasser zurückgedrängt wurde. Die


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Kinder fanden nicht nur die süße Brause, sondern auch den Knicker in der Flasche sehr interessant, was dazu führte, dass sie die Flaschen oft „stibitzten“ und zerschlugen, um an den „wertvollen“ Knicker heranzukommen. Die älteren Leute kennen Geköpfte diese Flaschen noch und den Knickerflasche Spruch dazu „...für 10 Pfennig anne Bude, nen Knickerwasser kaufen...“, neben vielen anderen Anekdoten Das Rezept für die Brause war einfach, man nahm hochkonzentrierten Sirup, Wasser und Kohlensäure, schon war die süße Brause fertig. Am Ende des 19. Jahrhunderts war das revolutionär und gesundheitsfördernd, heut nimmt man davon wieder Abstand. Umfassende Informationen zu diesem kulturgeschichtlichen, stadtgeschichtlichen und ernährungswissenschaftlichen Thema „Knickerflaschen und Büdchenkultur“ gibt es unter www.knickerflasche.de im Netz.

KULTUR- UND STADTHISTORISCHES MUSEUM DUISBURG Johannes-Corputius-Platz 1 47051 Duisburg (Nähe Rathaus) Telefon: (0203) 2 83 26 40 Telefax: (0203) 2 83 43 52 ksm@stadt-duisburg.de www.duisburg.de www.stadtmuseum-duisburg.de ÖFFNUNGSZEITEN: Di, Mi, Do, Sa 10–17 Uhr Fr 10–14 Uhr, So 10–18 Uhr Mo geschlossen Sonderregelungen an gesetzlichen Feiertagen ANFAHRT MIT ÖFFENTLICHEN VERKEHRSMITTELN Ab Duisburg Hbf mit der U-Bahn Linie 901 Richtung Marxloh/Ruhrort bis Haltestelle Rathaus Duisburg. Von dort ca. 3 Minuten Fußweg. Parkplätze am Rathaus EINTRITTSPREISE: Erwachsene 3 €, ermäßigt 2 €

Verschlusskugel, Gummiring und Flaschenöffner für Knickerflaschen

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Der Ruhr‘sche Tönnekesdrieter Nach Texten von Franz Baumann und Paul Mismahl, überarbeitet von Hanne Dünnwald Um den Begriff Tönnekesdrieter verständlich zu machen, muss ein Griff zurück in die Geschichte getan werden. Die Verhältnisse in der nur 100 Hausstellen großen und aus 500 Einwohnern bestehenden Stadt waren aus heutiger Sicht eine Katastrophe. Aus einer Rheinbettverlagerung im 14. Jahrhundert entstand eine Insel, die später Anschluss an das rechtsrheinische Ufer fand und Grund und Boden des Städtchens bildete, aber keine Ausweitung zuließ. Das wenige Grasland, welches hinter der später erbauten Stadtmauer vorhanden war, wurde zur Bürgerweide erklärt und unter den Hauseigentümern aufgeteilt. So wurden diese zu sogenannten Weideberechtigten. Es war also so, dass das Rindvieh auf die Weide getrieben werden konnte, aber bei dem häufigen Auftreten des Hochwassers auf höher gelegenes Gebiet nach Meiderich verbracht werden musste. Die Borstenviehhaltung innerhalb der Stadt brachte wegen des Platzmangels manche Probleme mit sich. Die Ställe befanden sich auf viel zu kleinen Hinterhöfen oder, sofern vorhanden, sogar in den Kellerräumen. Es soll vorgekommen sein, dass die Schweine bei Überflutung des Ortes auf die Dachkammer verwiesen wurden. Der Dung wurde einfach auf die Straße gekippt, die oft nicht mal eine Breite von drei Metern aufwies. In der Mitte dieser Gassen befand sich eine abfallende Rinne, und je nach Wasserstand der Ruhr oder des Rheines floss die Gülle dann ab. Oder auch nicht! Bei höherem Wasserstand stand die Jauche mitunter wochenlang in der Stadt. Alle Ab324

wässer aus den Häusern wurden ebenfalls durchs Fenster auf die Gasse geschüttet, denn eine Kanalisation gab es noch nicht. Um eine solche zu errichten, hätten Deiche gebaut und Pumpwerke errichtet werden müssen. Dazu fehlte es aber an Geld und Technik. So hatte man also die Entsorgung der tierischen Abfälle mehr schlecht als recht geregelt. Auch der Mensch hatte schon immer seine Bedürfnisse, die gleichfalls einer Klärung bedurften. Hier fand man eine ganz einfache Methode: In einer Hofecke oder wo auch immer wurde ein kleines Fass (Tönneken = mundartlich für Tonne) aufgestellt – und fertig war die Toilette. War das Tönneken voll, wurde es – zur Freude der Schiffer – einfach in den Hafen gekippt.

„Stinn, stohn op, eck mot ock es drop“ – Figürliche Darstellung des Tönnekes Drieters anlässlich der 500Jahr-Feier in Ruhrort, 1937.

Die ständigen Beschwerden der Fahrenden veranlassten den Magistrat, diese Unart zu verbieten und unter Strafe zu stellen. Es wurde ein Fuhrunternehmen aus Dinslaken beauftragt, wöchentlich den Inhalt der Tönnekes abzuholen und dort in der Umgebung auf die


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Felder zu verteilen. Ob die Ruhrorter für das Abholen ihres »Driets« bezahlen mussten, ist nicht überliefert, aber anzunehmen. Es kam noch häufig genug vor, dass manch einer sein Tönneken bei Nacht und Nebel einfach weiter in den Hafen entleerte. Um 1900 lagen sich die Ruhrorter und Meidericher Bürger dann auch noch wegen Eingemeindungsfragen in den Haaren. Die Ruhrschen schimpften die Meidericher »Meierksche Hähne« und diese revanchierten sich dafür mit »Ruhrorter-Tönnekes-Drieter«. So kamen die Ruhrorter zu dem wenig schmeichelhaften Namen: »Die TönnekesDrieter«!

Vom Drieter zum D‘Ritter! Aber was für den Kölner »Tünnes un Schäl«, für die Düsseldorfer ihre „Radschläger“ oder für Münster der „Kiepenkerl“ sind, das ist für Ruhrort der „Tonnenbenutzer“. Eine Ruhrorter Spottfigur, die die Borniertheit, Engstirnigkeit und den Standesdünkel verhöhnt. Als die 1. Ruhrorter Karnevalsgesellschaft Weiß-Grün von 1950 e. V. daran ging, einen Namen für ihren Gründungs-Orden zu finden, Der Tönnekeswas lag da also näher, als auf D‘Ritter-Orden die ebenso originelle wie auch für Ruhrort charakteristische Symbolfigur zurückzugreifen. Und so ziert diese eben auch den begehrtesten Orden Duisburgs, den »Tönnekes-D‘Ritter-Orden«, der nur an Persönlichkeiten verliehen wird, die sich um die kulturelle und heimatliche Brauchtumspflege, insbesondere unseres Hafenstadtteiles, verdient gemacht haben. Mit der Ausführung des Ordens, nach der Idee des Ruhrorter

Kaufmannes Karl Uphoff (Mitgründer der Karnevalsgesellschaft), wurde Herr August Fries, früherer Zeichenlehrer der damaligen Kaiserin-Auguste-Victoria-Schule, beauftragt. Am 17. November 1990 – im Jahr des 40. Jubiläums der 1. Ruhrorter Karnevalsgesellschaft Weiß-Grün von 1950 e. V. – wurde dieser historisch belegbaren Symbolfigur – durch bürgerschaftliches EngageBU: Bronze-Relief von Leo Feltes. ment der Herren Standort des Denkmals Kasteelstraße/Ecke Dammstraße. Mathias Salger und Klaus Tosse und dank der tatkräftigen Unterstützung etlicher Ruhrorter Bürger und Freunde des Stadtteils – dann auch endlich das verdiente Denkmal gesetzt. Um es mit einem Augenzwinkern zu bemerken: Unser Alt-Oberbürgermeister Josef Krings wurde mit der Aufstellung des Bronze-Reliefs, nach einem Entwurf von Leo Feltes, am Eingang der historischen Ruhrorter Altstadt von den Weiß-Grünen zum Träger des größten „Tönnekes-D‘Ri(e)tter-Ordens“ gemacht. Das ist fast ein Eintrag in das Guiness-Buch der Rekorde; aber hier allemal erwähnenswert.

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Der Süden Duisburgs – eine fruchtbare Schatzkammer von Wolfgang F. Stammler Wenn man an Duisburg denkt, kommt einem nicht so rasch in den Sinn, dass es außer einer alles dominierenden Industrie auch noch eine funktionierende Landwirtschaft gibt, im Süden der Stadt inmitten des fruchtbaren Schwemmlands des Rheinbogens, dem sogenannten Angerland. Nicht viel zwar, doch immerhin so viel, um das Selbstbewusstsein der Mündelheimer, Ehinger, Sermer und Rheinheimer so zu stärken, dass manche auch heute noch sagen, sie kämen ganz gut auch ohne die Duisburger aus. Von dem, was hier wächst und gedeiht, lässt sich in der Tat gut leben, um nur die berühmten Kartoffeln vom Sermer Bauern Blomenkamp zu nennen, deren aromatischer Geschmack dem, der sie gegessen hat, noch lange auf der Zunge bleibt. Wer sie einmal bei Richard Ceglarek vom Gut Sonnenhof auf dem Bauernmarkt in Huckingen aus seinem fahrenden Dampftopf gekostet hat, wird sie nicht mehr vergessen.

Serm Vielleicht macht er einen kleinen Ausflug nach Serm und besucht dort den Bauern Blomenkamp in der Dorfstraße 142 in seinem schmucken Fachwerkhaus aus dem Jahr 1784. Über das Haus, den heutigen Bürgershof, berichtet der Nord-Bote vom 28. April 2006: „Es gehörte ursprünglich zu den Lehensgütern des Arnold von Bungert, die in einer Urkunde aus dem Jahr 1313 Heinrich von Westerholt an den Ritter Engelbert von Bodellenberg verkaufte. Im Rentbuch, der Steuerliste, von 1634 wird er als freier Hof Budlenberg bezeichnet und der Besitzer wird „Kessel von Hackhausen“ genannt. Für den Sermer Zweig dieses Geschlechts bildete sich der Name „von Bottlenberg, genannt Kessel“ heraus, so dass der Hof später Kesselshof heisst. Aus diesem Zusammenhang (der Fa326

Der Bürgershof der Familie Blomenkamp

milien) hat Gut Kesselsberg seinen Namen. Erst im 19. Jahrhundert wird der Sermer Hof als Bürgershof bezeichnet. Anfang des 18. Jahrhunderts war der gesamte Hof nach einem Blitzschlag abgebrannt. Seit der Zeit des Wiederaufbaus, mindestens seit 1734, sitzt Familie Blomenkamp auf dem Hof. Wilm Blomenkamp war damals noch Pächter dieses laut Steuerbuch des Hauptgerichts Creutzberg grössten Hofes in Serm mit 139 Morgen. 1784 ist das Wohnhaus erneuert worden. Heute wohnen Hermann und Dagmar Blomenkamp [siehe auch ihr Kartoffelbrot-Rezept auf Seite XXX] mit ihren Töchtern Lisa, Anna und Laura auf dem Hof und betreiben den in Serm traditionellen Gemüsebau mit Schwerpunkt auf Kartoffeln. Verkauft wird an Wiederverkäufer und ab Hof.“

Holtumer Höfe Etwas weiter südlich liegen die Holtumer Höfe. Auch sie blicken auf eine alte Geschichte zurück, die sogar bis in das Jahr 802, also in die Zeit Karls des Großen, zurückreicht. So schreibt Karl Heck in der „Rheinischen Landeszeitung“ am 14. September 1941 über Holtum unter anderem: „Am 2. Mai 802 verkaufte Betto dem Abte Ludger zu Werden, also dem ersten Bischof von


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Münster, einen Kothen bei Holtheim. Der Ort wird auch verschiedentlich Holtumb, Holzen, Holzheim und ähnlich genannt. Der Name erklärt sich damit selbst als ein im Holze, Gebüsche oder Walde angelegter Wohnplatz ... Ein weiteres Zeugnis für das Dasein Holtums in früher geschichtlicher Zeit ist eine Urkunde des Stiftes Kaiserswerth aus dem 11. Jahrhundert, in der eine aus dem Almosenfonds der Brüder zu deckende Weissbrotspende eingeführt wird. Unter den Orten, die für diese Spende eine Abgabe zu entrichten hatten, ist auch Holtheim mit 15 Denaren aufgeführt. Von den weltbewe-

Das Wohnhaus des Holtumer Hofs. Über dem Türsturz stehen über der Jahreszahl 1824 die Namen von Ludwig Broers und seiner Frau Regina von Holtum

genden Ereignissen weiss die Siedlung wenig zu berichten, wenn auch hin und wieder mit den Wellen des vorüberfliessenden Rheins der Strom der niederrheinischen Geschichte von Kaiserswerth her vernehmbar sein Rauschen bis in die entlegenen Hütten der Holtumer Höfe getragen haben wird. Der Hof zum Holtum gehörte zum Teil in die

Johanniterkommende zu Duisburg bzw. Walsum. Im Güterverzeichnis der Kommende Duisburg nach dem Lagerbuche von 1689 ist er unter 5 eingetragen: Holtumer Hof, Amt Angermund, bei Winkelhausen, Haus, Hof, Scheune, Stallung, Garten 2 Morgen. Er war zeitweilig mit einer lösbaren Rente von vier

Malter Korn belegt. Solange diese nicht gelöst waren, musste der Pächter sie tragen und dem Ritter in Abzug bringen. Ritter Wilhelm von Loeben, Mitglied des Johanniterordens, verpachtete am 28. November 1585 seine Komturei Duisburg mit dem darunter gehörigen Hofe Holtum.“ „Holtum, so schreibt Karl Heck weiter, „wurde noch vor 35 Jahren [also im Jahr 1906] von einem Rheinarm umflutet, so dass der Sandhügel damals eine Insel bildete. Heute [also im Jahr 1941] sieht man noch auf zwei Seiten der ehemaligen Rheininsel tiefe Sümpfe. In der Nähe des Hofes Holtum befindet sich eine Wind- und Rossmühle, die in den 1820er Jahren von den Besitzern des Hofes erbaut wurde ...“

Zu den Holtumer Höfen gehören heute der Postenhof, der bereits in der vierten Generation von Peter Hermann-Josef Franken als landwirtschaftlicher Vollerwerbsbetrieb mit Pensionspferdehaltung geführt wird, die Holtumer Mühle im Besitz der Familie Hansen, die sich ebenfalls ganz auf Pensionspferdehaltung spezialisiert hat und vier Islandpferde hält, und der Holtumer Hof, dessen Gebäude aus dem Jahr 1824 den ganzen Charme eines feinen, aber bescheidenen Gutshofes atmen. Auf ihm lebt seit 1919 die Familie Schmitz, die sich in ihren Anfängen ganz auf die Zucht von Rheinischen Kaltblütern verlegt hatte, eine

Die beiden Rheinischen Kaltblüter auf der Weide

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relativ junge Rasse, die Mitte des 19. Jahrhunderts aus einer Kreuzung einheimischer Warmblutpferde mit belgischen Kaltblütern entstanden war. Heute gibt es nur noch wenige Exemplare dieser Rasse, zwei davon aus der eigenen Zucht auf dem Holtumer Hof, wo diese Tradition inzwischen weitergepflegt wird.

„Wir sind nun schon in der dritten Generation hier, fühlen uns pudelwohl“, lesen wir auf ihrer Website (www.gut-sonnenhof.de). Wie auch nicht, denkt man, wenn man das blumengeschmückte, unter Denkmalschutz stehende Wohnhaus betrachtet. Schon im 13. Jahrhundert wurde der herrschaftliche Sitz, ein ehemaliges Rittergut, erwähnt und ist heute im Besitz des Grafen von Hatzfeld.

Gut Sonnenhof Überhaupt spielen Pferde im Duisburger Süden nach Düsseldorf zu eine große Rolle. Wenn wir die Grenze nach Düsseldorf zum Gut Sonnenhof in Großwinkelhausen überschreiten, werden uns zumindest die Sermer und Holtumer nicht dafür tadeln, dass wir sie für diesen Streifzug durch den Duisburger Süden kurzfristig eingemeinden. Wenn man den Verloher Kirchweg aus Richtung Huckingen kommend entlanggeht, sieht man schon von weitem die ausgedehnte Hofanlage. Über einen ehemaligen Wassergraben und durch einen mächtigen Torbogen aus dem Jahr 1668 betritt man den inneren Gutshof, der sich weitläufig erstreckt und von Wohnhaus, Scheunen und Stallungen eingefasst wird.

Das malerische Wohnhaus

Der mächtige Torbogen aus dem Jahr 1668

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Rund 100 Hektar Ackerland werden heute von Familie Sonnen bewirtschaftet. Zum Gut gehören außerdem eine Reithalle und ein Springpferdeplatz. Der Duisburg-Wittlaerer Reiterverein hat hier seine Heimat. „Da kommen immer einige ehemalige MannesmannBeschäftigte, die ihr Rentner-Dasein heute mit der Pferdepflege verbringen. Sie sind sehr engagiert“, erzählt Ursula Sonnen, die uns auch verraten hat, warum sie sich mit einem Pflaumenauflauf-Rezept in unser Kochbuch


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eingeschrieben hat (Seite 259): „Weil vor einigen Jahren, wie auch in diesem Jahr, die Pflaumenernte so üppig ausfiel, dass wir uns überlegten, in welcher Form man Pflaumen denn noch verarbeiten könnte. Dabei kamen wir auf diesen Pflaumenauflauf.“

errichtet wurde. Die weitläufige Vorburg hingegen ist älter und hat ihre Ursprünge bereits im 17. Jahrhundert.

Schloss Heltorf Machen wir noch einen letzten Abstecher zum Schloss Heltorf, das bei aller Abgeschiedenheit durch seinen ausgedehnten Park die Landschaft dominiert. Der Park um Schloss Heltorf ist eine der schönsten niederrheinischen Waldparkanlagen im englischen Landschaftsstil. Rund 700 verschiedene Baumarten aus allen Erdteilen sind auf dem 54 Hektar großen Gelände zu bestaunen. Die erste Idee zur Anlage eines „Englischen Gartens“ geht auf den französischen Abbé Biarelle im Jahr 1796 zurück und wurde ab 1803 nach den Plänen von Maximilian Friedrich Weyhe ausgeführt. Hier kann man auch die zweitältesten Rhododendron-Exemplare Deutschlands bewundern, die Höhen bis zu neun Metern erreichen, sowie einen Tulpenbaum aus dem Jahre 1799, der aus dem kurfürstlichen Park von Schloss Augustusburg bei Brühl stammt. Nach der Besichtigung der Parkanlagen kann man noch einen Blick auf die Fassaden des Gebäudekomplexes werfen, dessen Haupthaus zwischen 1823 und 1827 im klassizistischen Stil

Eines der bestaunenswerten Rhododendron-Exemplare

Die Vorburg

Die Geschichte des Anwesens selbst reicht weit ins Mittelalter zurück. Eine erste Erwähnung datiert aus dem Jahr 1190 im Zusammenhang mit einem Otto von Heldorf. Erst 1649 kommt der neue Name ins Spiel; damals heiratete ein Freiherr Friedrich von Spee zum Aldenhoven die Reichsfreiin Maria Scheidt gen. Weschpfennig Bilkerath, die Erbin von Gut Heltorf. Anfang des 19. Jahrhunderts brannte das alte Haupthaus bis auf die Grundmauern nieder. Das Schloss wird heute von Dr. Maximilan Graf von Spee und seiner Familie bewohnt, weshalb eine Besichtigung der Gebäude nicht möglich ist. Aus dem Schloss erreichte uns jedoch auf eine Rezeptanfrage für unser Kochbuch die Nachricht, dass die 17 Enkelkinder von Maria Theresia Gräfin von Spee besonders gern nach den von ihr zubereiteten „Schlosserbuben“ verlangten, eine recht zeitaufwendige Süßspeise, wie uns die Gräfin auf S. 261 verriet. Öffnungszeiten der Parkanlagen 1. Mai bis 31. Oktober Samstag, Sonntag und an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr geöffnet Eintrittspreis: 2,50 €, Kinder bis 14 Jahre frei

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Koch- und Esskultur im Hause Haniel Bernhard Weber-Brosamer

Franz Haniel 1779-1868, Ruhrorter Kaufmann, Reeder und Großindustrieller

Franz Haniel wurde im Hanielschen „Packhaus“ in Ruhrort (heute Haniel Museum) geboren. Dort haben die Haniels im 18. Jahrhundert Kolonialwaren und Wein umgeschlagen. Das waren Luxusgüter wie etwa asiatische Gewürze, Kaffee oder Tee, die vornehmlich für wohlhabende Bürger des Rheinlands und Westfalens bestimmt waren. Im 19. Jahrhundert dominierten Kohle und Eisen die Hanielschen Geschäfte. Franz Haniel und sein Bruder Gerhard waren maßgeblich am Aufbau der Gutehoffnungshütte in Oberhausen beteiligt. Zugleich engagierte sich Franz Haniel im Ruhrbergbau. Ihm gelang die Erschließung der Kokskohle, eines wichtigen Rohstoffs für die Schwerindustrie. Die Zechen Zollverein und Rheinpreußen sind seine Gründungen. Als er 1868 mit 89 Jahren in seinem Ruhrorter Geburtshaus starb, hinterließ er ein Imperium aus Montanindustrie, Handel und Schifffahrt. Die Duisburg-Ruhrorter Firma, die noch heute seinen Namen trägt, ist nach einem grundlegenden Strukturwandel in den vergangenen Jahrzehnten zu einem internationalen Konzern mit rund 56.000 Beschäftigten und einem Umsatz von fast 28 Milliarden Euro (2006) gewachsen.

Der Anlass für das Diner am 14. November 1864 in der Ruhrorter „Gesellschaft Erholung“ war nach Franz Haniels handschriftlicher Ergänzung das „Jubelfest des Herrn P[ast]ors Wortmann“. Der nämlich feierte „25 Jahre Pastor in Ruhrort“. (Haniel Archiv)

Die Küche im „Packhaus“ versorgte die Familie Haniel und die Direktoren der Firma mit Speisen. In der Haniel-Küche war bis 1945 Frau Kelting die Chefin.

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Rezepte aus dem Privatbesitz des Konditormeisters Otto R. Lebéus (1896–1973) Pfeffernüsse à la Haniel 500 g Zucker mit 5 Eier gerührt, 60 g Citronat u. Orangenschale, 15 g Zimmt, 1 Citrone abger., Nelken etwas Pfeffer 1 Messerspitze Amonium u. soviel Mehl, bis fest genug Vanille-Brötchen à la Haniel 150 g Mehl, 50 g Zucker, 100 g Butter, Vanille angemacht und Taler-groß, Messer-dick ausgestochen und gebacken. Herrenkuchen à la Haniel 250 g Zucker, 250 g Butter gerührt, 1 Ei, 1 Löffel Rum, 1 Teelöffel Zimmt, 250 g süße Mandeln, 10 bittere, 375 g Mehl, mit Stern ausgestochen und gebacken.

Das Festessen zur Eröffnung der Ruhrbrücke am 21. November 1864 fand nach Franz Haniels handschriftlichen Ergänzungen in der „Gesellschaft Erholung“ statt. Er weist auch darauf hin, dass der Termin zugleich der „Antritt des 86. Jahres meiner Geburt d[en] 20. Nov. 1779“ war. (Haniel Archiv)

Die Aufnahme aus dem Jahr 1924 zeigt Familie Haniel mit den Direktoren ihrer größten Unternehmen bei einem Gala-Diner.

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Dä Schpeisezettel von unsere Vorfahren Karl-Heinz Winschuh Dä Schpeisezettel von unsere Eltern un Großeltern waa en Kapittel für sich. De Geschmäcker von unsere Vorfahren waan allerdings auch anno dazumal schon totaal verschieden. Abber vorher sei gesacht, datt wohl alle en ordentlichen „Klatsch Mostert“ (Senf) bei de Mahlzeiten nahmen. Hier sind gezz de haupsächlichsten Gerichte aufgeführt. Gezz wird aufgetischt: Abber zuers bind‘ man sich en Schlabberläzzken vor – un merk dir wohl, du brauchs dir bei diese Aabeit de Hembsärmel nich aufzukrempelen. Wä gut schmärt – dä gut fährt. Un gezz abber reingehauen inne:

Mehlpapp (Mehlsuppe) mit Fannekuchen Bierpapp (Biersuppe) Dicken Reis mit Zimt Rindfleischsupp Bohnensupp mit Schweinefleisch Erpsensupp mit Schweineföötkes Linsensupp mit Mettwurs Brotsupp mit Rosinen un Flaumen Knudelspapp (Mehlsuppe) mit Eierklößkes Katoffelsupp mit Hammelfleisch Franzosensupp (Gemüsesuppe) Bratkatoffeln mit Salaat Blinden Fisch (rohe Katoffelscheiben in Öl gebraten) Pellkatoffeln mit Hering Himmel un Erd (Äpfel un Kartoffeln) Katoffelsalaat mit Knackwurs Katoffeln un Möhren unternander Sauern Kappes mit Schpeck Wirsing unternander mit Bratwurs Schpinat mit Schpiegelei Endiwiensalaat mit gebratene Blutwurs Nudeln (Makkaroni) mit Flaumen Bratkatoffeln mit gebratenen Pannas un Salaat un an’t End noch dä Kappes-Salaat

Un gezz nowatt Gebackenes: Datt waan -

Weizenfannekuchen (Buchweizenpfannkuchen) Obskuchen (je nach Jahreszeiten)

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Appel- odder Flaumen-Blechkuchen (mit Hefeteig) Reibfannekuchen Bullebeuskes (Ölkrabben zu Neujahr und Karneval) Kastenmännekeswegg (25-Pfennig-Kastenweißbrot)

Deftige Gerichte un dabei Braunbiere, obergärige Getränke waan de Regel bei unsere Vorfahren. Zuckerbier, en mit Zucker versüß Braunbier, waa off et Getränk für de Frauen. Von alkoholfreie Getränke hielt man nich viel – da sizz nix hinter, waa de umgang-schprachliche treffende Meinung von unsere Vorfahren, die vielfach noch deen Grundsazz huldichten: „Lass et Wasser aussen Bauch – un en Bauch ausset Wasser!“

Un so leepten se: Man glaup nich zuviel zu sagen, wenn man behauptet, datt de Familjen vonne Beamten, Handwerkers und Aabeiter damals viel einfacher un schpaasammer lepten als heut. Morgens gap et bei’t Frühschtück Bröötkes odder selpsgebacken Weißbrot, zusammen mit kräftich Schwaazbrot, datt damals viel mehr als heut gegessen wurd. Dabei kam frische Butter auffen Tisch. Magarine kannt man nur nachen Namen. Nur von wenige Familjen hieß es: „Hömma, die essenn sogaa Magarine!“ Wenn de Mütter Samstachs datt Weißbrot angemengt hatten, wurd et vonne Kindern stolz nachen Bäcker gebrach un hinterher bei’t Apholen, unterwechs, no waam, auffe Güte hin probiert. Passend dazu die Geschichte vonnen Rosinenschtuten - mit Rübenkraut un Qwaak Rosinenschtuten, Rübenkraut un Qwaak. Wenn ich die drei Wörter hör, läuf mir noch heut et Wasser innen Mund zusammen un lassen Erinnerungen an frühjer in mir wach werden. Immer wenn et auffet Wochenend zuging, gaap unser Mamma sich dran, en ordentlichen Knubbel Rosinen-Teich zu mengen. Wenner lang genuch gegangen waa, wurd en Zettelken mit unser Namen geschrieben, auffen Teich geleech un in en kariert Handtuch gepack.


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Et waa dann immer meine Sache, en zu et apbacken na unsern Bäcker zu bringen. Auffen selben Weech bracht ich vonnen Milchbauer zwei Fund Qwaak mit un ließ mir innen TanteEmma-Laden en Glass voll Rübenkraut machen. Samtachmittach konnt ich deen fertigen Rosinenschtuten dann apholen, abber nich, ohne ma enne kleine Probe zu nehmen. Gezz waa für en lecker „SonntachmorgenFrühstück“ alles in’t Haus. Un dann waa’t soweit. Mutter taat dann – wie se immer sachte, zur Feier des Tages –gute Butter auffen Tisch un für de Erwaksenen en Lot Kaffee aufschütten. Gezz noch dä frische Rosinenschtuten, et Rübenkraut un dä Qwaak dabbei – oooh Leute – datt waa watt Feines, man kann ruhich sagen: enne „Delekatess“ – Kuchen konnt nich leckerer sein. Un wer et selps auch kennt, dä wird mir da beschtimmp rech geben. Auf jeden Fall – dä Sonntachs-Morgen-Duff von frischen Rosinenschtuten, von Bohnenkaffee un Pappas gute Sonntachs-Zigarre sizz mir öfter noch heute inne Nase. Auf alle Fälle würden de Frauen damals wegen de Schpaasamkeit et Brot selps gebacken haben, wenn se en Backofen dafür gehapt hätten. Inne meisten Haushalte schtand blos en so genannten Siegerländer Ofen, dä vorn enne große Öffnung für’t Kochen hatte und hinten mit enne so genannten Trommel verseh’n war. Datt waa enne kleine Öffnung, auf die gewöhnlich dä Braten weiter schmorte – wenn übberhaups einer vorhanden waa! Et Mittachs-Gericht bestand (besonders innen Winter) meistens aus en Eintopfessen: Kappes, Wirsing, eingemachte Fassbohnen, Sauerkraut un Möhren, zusammen mit durchwaksenen Schpeck odder Hammelfleisch. Die drei lezz genannte Essen meist mit weisse Bohnen zusammengekocht. Möhren mit weiße Bohnen hießen prunkvoll „Gold un Silber“.

Anne Samstage gaap et immer die auch gezz noch beliebte Erpsen-, Bohnen- odder Linsensupp mit en gut Schtück gesalzene Schweinerippkes odder Eisbein. De meisten Leute hatten zu diese Zeit noch ihr Schwein innen Schtall, datt annen Anfang vonne kältere Jahreszeit unter Jubel vonne Kinder et Leben lassen musste. Wä sich kein Schwein mästen taat, krichte, als fleißigen Lieferer von Apfall, auffet Schlachfess enne Blut- oder Leberwurs un en großen Pott Wursbrühe, aus die unter Zutuun von Buchweizenmehl dä so leckere „Pannas“ gemach wurd. Pannas gaap et dann abens gebraten odder roh bei Feld- oder Endiwiensalaat, dä mit ausgelassene Schpeckwürfels und gekwetschte gekochte Katoffeln en lecker Abendessen apgaap. Sonntachs kam en Braten auffen Tisch. In viele Familien waa et alte Sitte, annen Tach des Herrn Rindfleischsupp zu essen. Datt Fleisch hinterher mit eingemachte Zwiebeln un Gurken un kräftige Senftunke schmeckte hervorragend. Kinder krichten Samstagabens nachet Baden innet Waschfass (de wenichsten Häuser hatten enne Badewanne) als Abendessen steif gekochten Reis mit Zimt un Zucker. Pudding kannten se damals in weite Kreise nur en Namen nach. Dafür gaap et abber viel Obs als Naachtisch. Off wurd als Abendessen auch enne Milchsupp auffen Tisch gebrach, de beliebte „Milchpapp“. Nich zu vergessen de von alle geliepten Reibekuchen un Hefekückskes mit Rosinen. Als Fassnachsessen gaap et Buchweizenfannekuchen, dick beleecht mit Schpeck un fette Mettwurs-Scheiben, vonne Alten un Jungen mit Jubel begrüsst Erwähnen muss man noch, datt de damaligen Hausfrauen hierfür halp Nierenfett und halp Schmalz, abber keine Magarine verwendeten. Soweit dä Schpeisezettel von unsere Vorfahren.

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Damals in Duisburg..... Erinnerungen von RuthMaria Günster (geb. Arenz) Meine Familie und ich, das waren meine Mutter Mathilde, mein Vater Joseph und meine Schwester Irene, wohnten damals, bis 1944 (in diesem Jahr wurden wir ausgebombt), auf der Königsstraße in Duisburg. An die Zeit davor, bis Kriegsbeginn 1939, habe ich nur die schönsten Erinnerungen. Eine angenehmere Kindheit kann ich mir gar nicht vorstellen - wir pflegten ein sehr intaktes Familienleben, machten fast alles gemeinsam. Besonders das Kochen machten meiner Schwester und mir große Freude. Schon in jungen Jahren schauten wir unserer Mutter immer gespannt beim Zubereiten der Mahlzeiten zu. Zwei Mal pro Woche gingen wir zum Markt auf dem Burgplatz - für uns immer ein Highlight, dort traf man sich, hielt eine nette Plauderei und gab sich Tipps und Rezepte für leckere Gerichte. Es herrschte eine persönliche und gemütliche Atmosphäre. Auf dem großen Duisburger Wochenmarkt kauften wir frisches Obst, Gemüse und selbst gemachte Marmelade, die ein Händler in sechs bis acht verschiedenen Sorten anbot. Geflügel kauften wir regelmäßig bei “De Haan” ein. Brötchen, Butter und Milch für das Frühstück holte ich morgens im nahe gelegenen Tante-Emma-Laden am Salvatorweg (übrigens: Wer weiß noch den Namen dieses kleinen Lädchens?). Von der Königsstraße bis zum Salvatorweg war es nur eine kurze Strecke und deshalb auch für mich als Kind gut zu erreichen. Die Bedienungen waren immer sehr freundlich, dort kam man gerne hin. Zu Weihnachten gab es als Hauptspeise ganz traditionell Reh oder Hirsch mit Salzkartoffeln, Rotkohl oder Preiselbeeren. Köstlich war auch die Vorspeise, Rindfleischsuppe. Als Nachspeise aßen wir Grießpudding mit Himbeersaft oder wer wollte, einen Obstsalat. Am heiligen Abend freuten wir uns immer sehr auf Kartoffelsalat 334

mit selbst gebratenem Roastbeef, das abends kalt aufgeschnitten wurde. Dazu gab’s Remoulade. Mein persönliches Highlight war jedoch die Milch-Graupensuppe mit getrockneten Pflaumen, die es ein Mal im Monat, oder nach Wunsch, auch öfter gab. Sie war sehr preiswert und lecker. Auch Süßigkeiten bekamen wir regelmäßig, vor allem Marzipan! Mein Vater freute sich immer sehr auf den selbst gemachten Heringssalat meiner Mutter mit Rindfleisch und Roter Beete. Auch der warme Kartoffelsalat schmeckte toll, von diesem war übrigens auch mein späterer Mann Hans sehr begeistert. Mein Vater schwärmte außerdem immer vom Waldbeerpfannkuchen und dem Gericht “Himmel und Erde” mit Blutwurst, Äpfeln und Kartoffeln. Sonntags gab es häufig Sauerbraten mit Rosinen und Klößen. Nachmittags drang dann der herrliche Duft von frisch gebackenem “Apfeltarte” durch unsere Küchentür, den meine Mutter mit viel Liebe zubereitete. Fisch kauften wir immer in der “Nordsee” Da begann der “Ernst des Le- an der Kuhstraße, bens” - mein erster Schultag die für den besten im Jahre 1934. Fisch in Duisburg und Umgebung bekannt war. Dazu gehörten dann Bratkartoffeln in allen Variationen. Man sieht, die Zahl der Gerichte aus der damaligen Zeit ist unendlich.. Noch viele weitere Rezepte fallen mir ein, die meiner Familie damals so gut schmeckten. Es war eine wunderschöne Zeit, an die ich gerne zurück denke. Behalten wir sie im Herzen...


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Die D.-Bahn und ihr Speisewagen Wilhelm Schulz

Wer von den alten Duisburgern erinnert sich nicht an die D.-Bahn, jene Schnellstraßenbahn – ab 1. 1. 1980 als U 79 bezeichnet –, die die Städte Düsseldorf und Duisburg verbindet? Vielen bleibt sie unvergesslich, denn als Kuriosum war diese Fernlinie „D“ die einzige Straßenbahn der Welt, die auf einen fast 50-jährigen Restaurantbetrieb zurückblicken konnte. Es begann 1892, als man beabsichtigte, Duisburg und Düsseldorf mit einer Kleinbahn zu verbinden. In diesem Jahr stellte die Rheinische Metallwaren- und Maschinenfabrik in Düsseldorf an den Regierungspräsidenten ein erstes Konzessionsgesuch zur Errichtung und Betreibung einer Kleinbahn von Df-Derendorf nach DU-Hochfeld. Dem wurde am 24. 3. 1893 durch den Minister für öffentliche Arbeiten stattgegeben. Obwohl man damals den Spruch „Umweltschutz für jede Schnecke – der Mensch bleibt dabei auf der Strecke“ noch nicht kannte, gab es doch viele Einsprüche und Querelen. Zum Beispiel sollte wegen der guten Eisenbahnverbindung über Angermund aus Konkurrenzgründen nur eine Kleinbahn zugelassen werden, die keinen Anschluss an Staatsbahnhöfe hatte und ausschließlich Personen und Stückgut befördern durfte. So erteilte die Regierung erst am 28. 3. 1899 der am 15. 9. 1898 gegründeten Düsseldorf-Duisburger Kleinbahn GmbH die Genehmigung zum Bau und Betrieb der Kleinbahnlinie. Nur am südlichen Ende der Kleinbahn genehmigte man eine Verbindung mit der Düsseldorfer Straßenbahn. Sitz der Gesellschaft wurde Kaiserswerth. Sofort begann man mit dem Bau der Strecke. Sie folgte etwa dem ehemaligen Verlauf der

B 8 – die mir noch als rutschige, kurvenreiche Blaubasaltpflasterstraße in Erinnerung ist –, eingleisig mit mehreren Ausweichstellen. Sie war 24 km lang, endete in Düsseldorf an der Nordstraße, nicht weit vom Ratinger Tor entfernt, und in Duisburg auf der Düsseldorfer Straße, etwa bei der heutigen Galeria Kaufhof. Zum Einsatz kamen zweiachsige Straßenbahnwagen mit einem Achsabstand von 2,5 m, Rollenstromabnehmern und mit Holz-Lattensitzen in Längsrichtung. Ich habe diese nicht sehr gemocht, denn nie konnte man vernünftig aus dem Fenster blicken. Die Höchstgeschwindigkeit betrug 20 km/h, die Wagen waren zwischen Duisburg und Düsseldorf 78 Minuten lang unterwegs. Besonders angenehm war die Fahrt in diesen Fahrzeugen, die seit der Betriebseröffnung am 16. August 1900 die Gesamtstrecke befuhren, sicher nicht. Schlechte Gleislage, der kurze Achsabstand und die damals noch harte Federung dürften wohl dazu geführt haben, dass die Gesichtsfarbe von so manchem Fahrgast plötzlich ins Gelbgrünliche wechselte. Im Volksmund war die Bahn auch bald als „Kurzund Kleinbahn“ bekannt. Diesen Zustand wollte man natürlich beenden. Erst war beabsichtigt, die vorhandene Strecke zu begradigen. Aber dann wurde doch nach dem Vorbild der K-Bahn (einer Fernlinie von Düsseldorf nach Krefeld) beschlossen, die heutige Schnellstraßenbahn auf eigenem Bahnkörper vom „Alten Friedhof“ im Duisburger Süden bis zum „Reeser Platz“ in Düsseldorf zu bauen. 1926 wurde die 17,2 km lange Strecke über Sittardsberg, Huckingen, Wittlaer und Kaiserswerth in Betrieb genommen. Gleichzeitig kamen moderne, vierachsige Trieb- und Beiwagen zum Einsatz. Nachdem 1930 die Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h auf 60 km/h angehoben wurde, konnte man endlich von einer Schnellstraßenbahn reden.

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Mit der Eröffnung 1926 wurden die Endpunkte in Duisburg zur Saarstraße und in Düsseldorf zum neuen Straßenbahnfernbahnhof GrafAdolf-Platz gelegt. Hier fuhren auch die „K“ nach Krefeld und die „M“ nach Mörs (damals noch so geschrieben!) ab. Als 1935 der neue Duisburger Hauptbahnhof gebaut wurde, gab es eine neue, unterirdische Haltestelle direkt am Haupteingang, wo die D.-Bahn und die Duisburger Linie 8 nach Hüttenheim sowie für kurze Zeit auch die Linie 9 nach Huckingen hielten. Gewendet wurde auf einer mehrgleisigen Wendeschleife bei der Günterstraße. Somit hatte Duisburg schon lange vor der Stadtbahn Ruhr einen eigenen Untergrundbahnhof, den man vom Haupteingang des Hauptbahnhofes regengeschützt erreichen konnte. Sogar eine „Tunnelklause“ – eine Art Schnellimbiss – wurde dort eingerichtet. Als man 1955 mit dem Bau der Duisburger „NordSüd-Achse“ – heute A 59 – begann, wurde die Endhaltestelle vor die Braunsche Buchhandlung in die Mercatorstraße verlegt. Ab 1961 kam es zu Straßenbahnneubauten in der Düsseldorfer Innenstadt, wie dem Neubau

der Berliner Allee mit Straßenbahn in Mittenlage und dem bekannten „Tausendfüßler“ am Mannesmann-Hochhaus. Wichtig war der Neubau des Jan-Wellem-Platzes als neuer Verkehrsknotenpunkt der Straßenbahn. Er ersetzte ab dem 20. Oktober 1962 den GrafAdolf-Platz als Straßenbahnfernbahnhof für die Linien D und K. Als am 3. Oktober 1981 im Rahmen des Stadtbahnausbaus die erste Düsseldorfer U-Bahnstrecke Fischerstraße– Heinrich-Heine-Allee in Betrieb genommen wurde, fuhr die D.-Bahn – ab 1. 1. 1980 mit Gründung der VRR-Linie 79 – bis zum Düsseldorfer Hauptbahnhof.

Rheinbahn-Doppelzug auf dem damals noch deutschlandweit einzigen viergleisigen Streckenabschnitt in Deutschland „Freiligrathplatz – Reeser Platz. Die Haltestelle Am Nordpark durchfuhr die D.-Bahn 1981 noch ohne Halt. Heute gibt es hier nur noch zwei Straßenbahngleise mit Hochbahnsteigen. Aufgenommen November 1981.

Ein Sonderzug der Verkehrfreunde Düsseldorf auf der wegen Umbau eingleisigen Streck bei Froschenteich. Der Zug besteht aus ausgemusterten Zweiachsern aus Siegen, die 1956 von der Rheinbahn übernommen wurden. Ähnliche Straßenbahnzüge, die sogenannten Kriegsstraßenbahnwagen (KSW) konnte man unmittelbar nach dem Krieg oft auf der D.-Bahn sehen. Aufgenommen März 1976.

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Die Fahrzeuge der D.-Bahn bestanden bis Anfang der Sechziger hauptsächlich aus den schon erwähnten, 1926 bei der Waggonfabrik Schöndorff in Düsseldorf gebauten Vierachsern. 1928 beschaffte die Duisburger Verkehrsgesellschaft als Neuerung zwei sechsachsige Gelenktriebwagen von der Firma Harkort. Diese Wagen sind die Vorläufer des modernen Gelenkstraßenbahnwagens bis hin zum Stadtbahnwagen. Zwei Wagenhälften lagerten auf einem gemeinsamen Mittendrehgestell, dem sogenannten Jacobsgestell, und waren durch


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einen Faltenbalg miteinander verbunden. Sie bekamen deshalb schnell den Beinamen „Ziehharmonika“. In den beiden Enddrehgestellen befanden sich die Fahrmotoren. Diese beiden Fahrzeuge waren als Verstärkungsfahrzeuge für die D.-Bahn gedacht, kamen aber hauptsächlich auf den innerstädtischen Linien der DVG zum Einsatz (Linien 2, 7, 8 und 9 an Sonntagen). Einer dieser Wagen ist noch als Museumswagen erhalten, der zweite wurde außen bunt angemalt und verkehrte als POP-Bahn auf dem Normalspurnetz. Er verbrannte beim Depotbrand in Grunewald am 16. Februar 1983.

begann Pfingsten 1950. Außen waren die Wagen violett mit elfenbeinfarbigem Fensterband gestrichen und mit der seitlichen Aufschrift „Speisewagen“ versehen. Innen gab es – etwa wie bei den Mitropa-Speisewagen – eine Kombüse, mit braunem Lederpolster versehene Sitzbänke und Tische mit Tischstehlämpchen. Man bekam Frühstück, Suppen, kleine Tellergerichte wie Wiener Würstchen mit Brötchen oder Kartoffelsalat und natürlich heiße und kalte Getränke. Die Fenster waren mit gerafften Gardinen versehen, die Wände in braunem Mahagoni, die Decke mit hellem Birkenholz. In entsprechenden Haltern hingen an Wandhaken sämtliche Duisburger und Düsseldorfer Tageszeitungen. So konnte man während der knapp einstündigen Fahrzeit zwischen Düsseldorf und Duisburg in aller Ruhe frühstücken.

Duisburger Harkortwagen 1176, hergerichtet als POPStraßenbahn und eingesetzt für Sonderfahrten. Das Bild zeigt ihn bei Duisburg-Buchholz. Beim Umbau 1956 wurden die linksseitigen Schiebetüren nicht durch moderne Falttüren ersetzt, was auf dieser Aufnahme gut zu sehen ist. Aufgenommen Juni 1972.

Eine Besonderheit bei der D.-Bahn war der fast 50-jährige Speisewagen- bzw. Speiseraumbetrieb. Bei der K-Bahn nach Krefeld gab es ihn schon seit 1923, aber diese galt seinerzeit rechtlich noch als Eisenbahn. 1936 wurde versuchsweise ein Speisewagen auf der „D“ eingerichtet, aber nach wenigen Monaten wieder eingestellt. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg baute die DVG zwei kriegsbeschädigte, vierachsige Beiwagen wieder auf, die sie sofort für den Speisewagenbetrieb einrichtete. Vorgestellt wurde der erste Wagen im Sommer 1949, der reguläre Speisewagenbetrieb

D.-Bahn-Vierachser mit ebenfalls vierachsigem Speisewagen an der Endhaltestelle „Mercatorstraße“. Aufgenommen am 7. 11. 1960.

Bald jedoch – schon Ende der fünfziger Jahre – tauchten auf der D.-Bahnstrecke achtachsige Gelenktriebwagen der Rheinbahn auf. Noch waren es innerstädtische Rheinbahnfahrzeuge. Aber ab 1960 kamen neue achtachsige Gelenktriebwagen mit komfortablerer Inneneinrichtung hinzu – die wegen ihrer Laufruhe auch als TEE unter den Straßenbahnen bezeichnet wurden. Und so fuhr der alte D.-Bahnzug mit seinem beige-violetten Spei-

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Achtachsiger D.-Bahn Gelenkzug mit Speiseraum, den die DVG seit 1960 einsetzte. Die Aufnahme entstand kurz vor der Einfahrt in die 1972 schon stadtbahnmäßig ausgebaute unterirdische Station Sittardsberg. Ein humorvoller Fahrer rief sie immer als „Sittardsloch“ aus. Aufgenommen März 1972.

Achtachsiger Rheinbahn-Gelenkzug GT 8 S im Einsatz auf der inzwischen als Linie 79 verkehrenden D.-Bahn mit Speiseraum, der als der TEE unter den Straßenbahnen bezeichnet wurde. Aufgenommen bei Froschenteich November 1981.

sewagen am 3. Mai 1965 zum letzten Mal auf der D.-Bahn-Strecke. Leider ist kein Exemplar der Nachwelt erhalten geblieben. Die zweite Generation der D.-Bahn-Fahrzeuge musste im Frühherbst 1975 dem Düsseldorfer achtachsigen Gelenkzug GT 8 SU weichen. Grund dafür war der stadtbahnmäßige Umbau der D.-Bahn, wobei der Bahnhof Wittlaer einen Mittelbahnsteig bekam, an dem die Einrichtungsfahrzeuge mit ihren ausschließlich rechts angebrachten Türen nicht mehr halten konnten. „Wittlaer Ausstieg links!“, vermeldete der Fahrer denn auch immer bei der Haltestellenansage. Ein anderer soll sogar bei der Einfahrt in die U-Bahn-Station Sittardsberg diese immer mit „Sittardsloch“ angekündigt haben. Von den GT 8 SU der Rheinbahn wurden vier Fahrzeuge ebenfalls mit Kombüse und Speiseraum ausgerüstet.

waren 2,20 m breit, die der Rheinbahn 2,35 m. Auch von diesen Fahrzeugen bekamen vier einen Speiseraum mit Kombüse. Allerdings wurde die Bewirtschaftung am 31. 7. 1998 eingestellt. Dafür lebte der Speisewagenbetrieb in Form des Rheinbahn-Bistros an Werktagen, außer samstags, auf der ehemaligen K-Bahn (U 76) wieder auf. Die vier DVG-Stadtbahnwagen mit Speiseraum 4715 bis 4718 erkennt man heute nur noch an einem fehlenden Einstieg.

Die nächste und bis heute letzte Fahrzeuggeneration war der Stadtbahnwagen B 80C. Er hatte eine Breite von 2,65 m und konnte erst nach umfangreichen Umbaumaßnahmen, vor allem auf der Düsseldorfer Straße, in Duisburg eingesetzt werden. Die Wagen der DVG

Literatur: Dr. Hellmut Hartmann: Straßenbahnen im Ruhrgebiet, ALBA-Buchverlag Hans G. Nolden: Düsseldorfer Straßenbahn, Gera Mond Verlag GmbH, München

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Unsere D.-Bahn – wer kennt die nicht ...

Erinnerungen an die „Kultstraßenbahn“ mit Speisewagen Gabriele Kampen Ich wurde am 5. 12. 1953 hier in Duisburg geboren. Ich erinnere mich immer wieder gerne an die Zeit, wenn wir – meistens am Wochenende – mit mehreren Mädels nach Düsseldorf in die Altstadt gefahren sind. Und womit? Natürlich mit unserer heiß geliebten D.-Bahn, weil sie halt einen Speisewagen hatte und man sich dort schon auf einen schönen Abend einstimmen konnte. Wir hatten immer viel Spaß, wir konnten etwas essen und trinken und gesellig im Speisewagen sitzen ... Wir haben immer viel gelacht. Aber auch wenn ich nur einfach zu Freunden nach Düsseldorf gefahren bin, dann im Speisewagen mit unserer D.-Bahn, weil es gemütlicher war.

Turid Krebber Es begann 1950. Zu jener Zeit wohnten noch nicht viele Menschen im Huckinger Neubaugebiet Am Heidberg. Wenn neue Familien hierher zogen, lernte man sich natürlich rasch kennen, und so lernte ich auch zwei Damen kennen (Grete Gille und Friedel Dahmen), die Freude am Kegeln hatten. Bald verabredeten wir uns jeden Donnerstagnachmittag – dies war unser freier Haushaltstag – zusammen mit neun anderen Damen zum Kegeln im Societäts-Haus in Duisburg.

Grund: Die D.-Bahn, mit der wir fuhren, hatte nämlich einen Speisewagen. Jedesmal wenn die Bahn an unserer Haltestelle Am Kesselsberg hielt, duftete uns bereits der Kaffee aus dem Speisewagen entgegen und verströmte einen Hauch von Luxus. Der Kellner in seiner schicken weißen Jacke kannte uns bereits und begrüßte uns stets besonders zuvorkommend. So tranken wir jeden Donnerstag unseren herrlichen Kaffee, aßen Kuchen und freuten uns in fröhlicher Stimmung auf das Zusammentreffen mit unseren anderen neun Kegeldamen. Manchmal kam es auch vor, dass wir drei Heidbergerinnen nach dem Kegeln immer noch unternehmungslustig waren und anstatt zurück nach Hause in die Düsseldorfer Altstadt fuhren. Da es nach Düsseldorf eine richtige kleine Reise war, machten wir es uns wieder im Speisewagen bequem und aßen, hungrig wie wir waren, eine Gulaschsuppe mit Düsselbier. Gegen Mitternacht kehrten wir dann müde und fröhlich nach Hause zurück. Für uns in unserem abgelegenen Neubaugebiet am Heidberg an der Grenze zu Düsseldorf bedeutete die D.-Bahn mit ihrem Speisewagen so etwas wie den Anschluss an die große Welt. Und sie trug auch dazu bei, dass aus unseren donnerstäglichen Fahrten nach Duisburg eine Freundschaft fürs Leben wurde. Später machten wir dann gemeinsam große Reisen durch das wieder aufblühende Deutschland und hatten viel Spaß miteinander beim Essen und Trinken.

Dass wir uns jede Woche darauf freuten, hatte außer dem Kegeln noch einen anderen

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Renate Schulte-Werflinghoff Ich wurde am 26. 5. 1946 in der Duisburger Frauenklinik an der Lotharstraße geboren. Meine Eltern Wilhelm und Elisabeth Bruckmann, geb. Pesch waren ebenfalls gebürtige Duisburger, und zwar aus dem Stadtteil Duissern. Leider hatte ich nur sechs Jahre etwas von meinem Vater. Dann holte der liebe Gott ihn zu sich. Da mein Vater selbstständig war, war die Witwenrente sehr niedrig. Da gab es nicht viel Abwechslung in meinem Kinderleben, mangels Geld. Ein Ausflug in den Zoo war da schon ein richtig „großes Ding“. In dem Haus, wo ich mit meiner Mutter wohnte, wohnte auch noch ein mit meinen Eltern befreundetes Ehepaar. Nach dem Tod meines Vaters kümmerten sich die Eheleute rührend um uns. Der Mann war Planmeister bei der DVG. Er nahm mich oft mit, um mit ihm Bus oder Straßenbahn zu fahren. So lernte ich den Speisewagen der D.-Bahn nach Düsseldorf kennen. Ich bettelte oft, um einmal mit diesem Wagen nach Düsseldorf und wieder zurück zu fahren. Dabei ging es mir nicht um das eigentliche Fahren, nein. Im Speisewagen bekam ich dann immer eine Ochsenschwanzsuppe und auf dem Rückweg Kartoffelsalat mit Würstchen. Auch heute noch, nach 55 Jahren, behaupte ich, nie mehr eine bessere Ochsenschwanzsuppe und einen leckereren Kartoffelsalat gegessen zu haben. Außerdem war es im Speisewagen, wie ich mich erinnere, immer sehr elegant. Auf den Tischchen, die an der Wand befestigt waren, standen kleine Lämpchen. Ich kam mir immer vor wie vom Duft der großen weiten Welt umgeben. Das war jedes Mal wie ein Urlaub, den ich ja nie hatte.

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Ich finde es sehr schade, dass es keinen Speisewagen mehr gibt. Ich würde bestimmt manchmal ein kleines Tourchen machen. Die Frage ist allerdings, ob es nicht nur in meiner Erinnerung so toll und wunderbar war und es mich heute ernüchtern würde. Dann bewahre ich mir doch lieber diese romantische Erinnerung.

Wilhelm Schulz

Offiziell war sie als „Fernlinie D“ bekannt. Sie verband die Städte Düsseldorf und Duisburg, wofür das „D“ stand. Doch als kleiner Junge verband ich das „D“ stets mit „D-Zug“. Mit einem Schnellzug hatte die D-Bahn aber nichts zu tun, obwohl sie als Schnellstraßenbahn nicht an jeder Straßenbahnhaltestelle hielt. Sie brauchte etwa eine Stunde vom Duisburger König-Heinrich-Platz bis zum Graf-Adolf-Platz in Düsseldorf. Verglichen damit brauchte die Bundesbahn zwischen Düsseldorf und Duisburg Hbf nur etwa 20 Minuten (Eilzug) oder 32 Minuten (Personenzug). Dafür liegen aber die Hauptbahnhöfe etwas östlich der Stadtzentren, man musste sich am Fahrkartenschalter anstellen und auf den Bahnsteig laufen. Zwar bot die DB zwei bis drei Züge in der Stunde an, D- und FD-Züge nicht mitgerechnet, doch die fuhren in den fünfziger Jahren nicht im Taktfahrplan – im Gegensatz zur D.-Bahn. Die fuhr alle 30 Minuten. Und von Innenstadt zu Innenstadt. Gerade unmittelbar nach der Währungsreform fuhren wir gerne nach Düsseldorf. Da gab es die besseren Geschäfte. Natürlich mit der D.Bahn, auf der ja noch die schweren Vierachser fuhren. Die eine Hälfte des Wagenparks gehörte der Rheinbahn, die andere der DVG. Mir fiel


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auf, dass die DVG-Fahrzeuge mit Lattensitzen spartanisch ausgerüstet waren, während die Rheinbahnfahrzeuge dunkelgrüne Lederpolster mit eleganten, polierten Messinggriffen hatten. Aber das änderte sich schnell, als die DVG-Fahrzeuge hauptuntersucht wurden. Auch sie bekamen nun dicke, rote Lederpolster, und die Fahrt in ihnen wurde viel angenehmer. Im Gegensatz zur innerstädtischen Straßenbahn besaßen sie Druckluftbremsen – es zischte und die Bremsen schliffen, genau wie bei der „richtigen“ Eisenbahn. Unvergessen auch die melodische doppeltönige Pfeife, die vor jedem Bahnübergang erklang. In der Innenstadt gab es statt des damals üblichen „Teng-Teng“, das der „Tingting“ ja zu ihrem Spitznamen verhalf, Signale ähnlich dem heute auch noch gebräuchlichen Rasselwecker. Den hatte damals ja auch noch die Feuerwehr, zusätzlich zum Blaulicht und Martinshorn. Nicht jeder, aber fast jeder zweite D.-Bahnzug führte einen Speisewagen mit sich, diesen vierachsigen Beiwagen, violett mit elfenbeinfarbenem Fensterband, das in etwa dem legendären Vorkriegsrheingold entsprach. Meine Mutter und ich wollten ihn am Pfingstmontag 1950 in Zusammenhang mit einem schönen Pfingstausflug ausprobieren. So fuhren wir mit dem Linienbus zum Gasthof Kornwebel in Duisburg-Rahm, dort, wo die B 288 – die gab es damals schon als Krefelder Autobahnzubringer – über die Angermunder Straße führt. Durch die Kornfelder liefen wir nach Westen zur D.-Bahnhaltestelle „Kesselsberg-Angerhof“. Aber o weh, es war nur ein Speisewagen im Umlauf – und der kam nicht! Also fuhren wir ohne Speisewagen nach Hause. Wir waren enttäuscht. Für mich aber war es trotzdem ein unvergesslicher Tag. Später aber bin ich häufig mit dem Speisewagen gefahren. Meist habe ich in dem rollenden Restaurant ein Glas Bier getrunken, oder

– wenn ich Hunger hatte – auch Bockwurst mit Brötchen gegessen. Es gab aber auch Kaffee, Tee, nicht alkoholische und alkoholische Getränke, Suppen, ja – man konnte sogar richtig frühstücken. Mir taten es die Tische mit den dunkelbraunen ledergepolsterten Sitzbänken an – durchaus vergleichbar mit den Speisewagen der DSG (Deutsche Schlaf- und Speisewagengesellschaft). Der letzte „klassische“ D.-Bahnzug mit dem alten Speisewagen fuhr am 3. Mai 1965. Danach bestimmten bis zum Frühherbst 1975 die achtachsigen D.Bahn-Gelenktriebzüge mit „Speiseraum“ das Bild. Sie hatten innen dicke, rote Lederpolster, und auf der Speisenkarte wurden immerhin 30 Speisen und Getränke angeboten. Leider musste sich die D.-Bahn in beiden Innenstädten die Straßen mit den Autos teilen. Das führte zu manch unvorhergesehener Bremsung, wodurch so manches Getränk durchaus nicht im Magen des Gastes landete. Auch Geschirr ging öfters zu Bruch, was meine Schwägerin erlebte, als sie 1969 mit der D.-Bahn zu unserer Hochzeit zum Angerhof fuhr. Das Kennzeichen des Pkw-Fahrers wurde zwar aufgeschrieben – was daraus wurde, weiß ich leider nicht. Einmal wollte ein Junge seine Männlichkeit beweisen, rauchte demonstrativ eine Zigarette, wobei er kräftig auf den Putz haute. Als ihm der Fahrgast, mit dem er sich so amüsant unterhielt, ein Schnäpschen ausgeben wollte, schritt jedoch rasch die Bedienung mit der Frage nach dem Alter des Jüngskens ein – und vorbei war’s mit der Männlichkeit. Zuletzt besuchte ich den Speiseraum – jetzt in einem GT 8 SU der Rheinbahn – im Frühjahr 1987. Der hatte nichts mehr mit dem alten D.Bahn-Vierachser zu tun, sondern war einfach nur schlicht und zweckmäßig. Und so blieb es denn bis zum Ende des „Speiseraums“ im Stadtbahnwagen B 80 der DVG im Juli 1998.

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Zweimal Pommes und Sport Hans-Martin Große-Oetringhaus Schriftsteller Wer Sport macht, bekommt Hunger. Der ist manchmal so groß, dass der Weg nach Hause zur eigenen Küche viel zu weit erscheint. Der erste Hunger kann darum oft schon an Ort und Stelle gestillt werden. Womit? Natürlich mit Pommes rotweiß – kein kulinarisches Highlight, aber dafür typisch duisburgerisch. Pommes rotweiß Wasserskianlage am Bertasee. Wer zum Bier noch etwas Kulinarisches haben möchte, kann es sich ein paar Meter weiter am Starthaus der Wasserskifahrer holen. Jene, die sich nicht auskennen, bestellen Pommes mit Majo und Ketchup. Wer dokumentieren will, wie sehr er in der Nouvelle Cuisine bewandert ist, ordert Pommes an Majo und Ketchup. Der Kenner verlangt Pommes rotweiß. Und der Dauergast sagt schlicht: „Wie immer!“ Wer nur einen Pappteller tragen muss, hat gut lachen. Für denjenigen allerdings, der auch Frau, Freundin, Kinder oder wen auch immer mitversorgen muss, beginnt ein Balancierakt. Wie soll man, wenn sich die Pommesschälchen auf beiden Händen türmen, die Tür öffnen? Aber schließlich ist man ja Sportler. Also: mit dem linken Ellenbogen die Klinke nach unten drücken, Tür aufziehen, sie mit dem Fuß festhalten, dann schnell raus, noch bevor die Schließautomatik einem die Tür wieder in den Rücken schlägt. Fast geschafft, wenn nicht gerade in diesem Augenblick jemand mit einem Wasserski in der Hand durch die gleiche Tür will und einem den Weg versperrt. Der rechte Ellenbogen bekommt vom Türrahmen einen Stoß. Das Majo flitscht über den Papprand. Nichts mehr mit Pommes an Majo. Stattdessen Majo an Hose. Holzplanken, Stufe, Sand. Wo sitzen bloß die anderen? 342

Mist! Da war noch eine Stufe. Ein paar Pommesstäbchen fallen in den Sand. Inzwischen hat sich bei den Wespen herumgesprochen, dass neue Pommes geliefert werden. Sie warten bereits und umschwirren mit gierigem Surren die Sonnenschirme. Jetzt muss nur noch das Bier vom Tresen geholt werden. Als es verlockend überschäumend auf dem Tisch steht, sind die Pommes fast genauso kalt. Aber was soll’s? Der Ausblick auf den See entschädigt für alles! In der Tat: man bekommt viel geboten. In regelmäßigen Abständen spritzen die Wasserskifahrer vorbei, mal elegant, mal akrobatisch und manchmal einfach nur zum Lachen komisch. Das Interessanteste sind natürlich die Starts. Man kann Wetten abschließen, ob sie gelingen. Ob der Ruck in der ersten Kurve dem Fahrer den Haltegriff aus der Hand reißen wird. Wenn man mit Pommes rotweiß und Bier sicher am Ufer sitzt, kann man gut über jene lachen, die von der Kraft des Seils über die eigenen Füße hinweg nach vorne gezogen werden und unweigerlich auf dem Bauch landen. Und beim Lachen über das Missgeschick anderer kann man das eigene schnell vergessen. Mit den Beinen unter der Tischplatte sieht den Fettfleck auf der Hose sowieso niemand. Pommes mit Mayo, Currywurst und Sonnenuntergang „Die Pommes sind da am besten!“ Davon ist Lukas fest überzeugt. Mit da meint mein Sohn den DSV 98. Damit ist der Duisburger Schwimmverein am Bertasee gemeint. Lukas meint allerdings nicht den Verein, sondern das Restaurant, das sich in seinem Vereinshaus befindet. Genau genommen hat er auch nicht das Lokal vor Augen, sondern ein unscheinbares Fenster zur Seeseite. Klopft man an die Scheibe, wird es von innen geöffnet


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und man blickt in die Dunstschwaden der Küche. Damit auch Kinder klopfen können, ist eigens eine kleine Holzstufe unter dem Fenster angebracht. So können auch die kleinsten Hände bis ans Fenster reichen und sich bemerkbar machen. „Zweimal Pommes“, sage ich. „Mit Mayo.“ – „Und zwei Currywürste“, fügt Lukas hinzu. Hier schmecken sie nämlich am besten, meint er. Das liegt allerdings weder am DSV 98, und genauso wenig an der Küchenkunst der Frauen hinter der Fensterscheibe. Es liegt vor allem daran, dass wir zuvor geschwommen sind. Das macht hungrig. Und dann schmecken selbst mir die Pommes, für die ich gewöhnlich gar nicht zu haben bin. Die Fensterscheibe ist längst wieder von innen geschlossen worden, das sicherste Zeichen, dass die Pommes Frites jetzt in das siedende Fett geworfen und die Würste auf dem Rost noch einmal gewendet und dann zerkleinert werden. Dass beides hier besonders gut schmeckt, liegt aber nicht allein am Hunger. Es ist das Ambiente. Wo in Duisburg sonst kann man sich beim Pommes-Essen an das Ufer eines Sees setzen, den Blick über das silberne Wasser gleiten lassen, dem Schwanenpaar zusehen oder dem einsamen Angler im Boot? Wo die Fische durch die Luft springen sehen und leise aufplatschen hören und dabei die Spiegelstreifen der Sonne beobachten, die sich im Westen bereits dem Horizont nähert? Eine Postkartenidylle, die kitschig und unwirklich wirken würde, wenn das Fenster nicht wieder aufginge und eine Hand mit Pommes Frites und einem ordentlichen Schlag Mayonnaise sichtbar würde. Die Schale wird auf dem Fenstersims abgestellt. Im nächsten Augenblick wird die zweite dazugestellt. Jetzt noch die Currywürste. Herbert Grönemeyer hat einst sein Lied von der Currywurst auch hier im Stadion gesungen, das

man auf der anderen Seite des Sees zwischen den Bäumen erkennen kann. Lukas und ich tragen die Schälchen ans Ufer und ich ziehe ein Fläschchen Bier zwischen nassen Badehosen und Handtüchern aus dem Rucksack. Das Schwanenpaar ist schon fast vorbeigeschwommen und zieht eine lang gezogene Wellenlinie hinter sich her. Ästhetik pur. Bei uns am Ufer ist Ästhetik jetzt allerdings nicht gefragt. Hier sind die häuslichen Tischmanieren außer Kraft gesetzt. Befreit vom Übermaß an störendem Essbesteck greift jeder zur kleinen Plastikgabel oder nimmt gleich die Finger. Daumen und Zeigefinger fassen die krossen Kartoffelstäbchen, tupfen sie in den wabbeligen Mayonnaiseklecks und schieben sie in den Mund. Ein paar Minuten Freiheit von jeglicher Etikette. Ganz klar, Fritten und Wurst schmecken hier am besten! Und das liegt weder am fettglibbernden Mayonnaiseklecks noch an der kalt gewordenen Currywurst. Wir schmecken die Abendstimmung und die letzten Sonnenstrahlen, die hinter den Pappeln verschwinden. Danach streifen wir die fettigen Finger im Gras ab, das langsam feucht zu werden beginnt. PS. Inzwischen ist die Klappe längst geschlossen. Meine Söhne sind groß. Aber die Abendstimmung kann man immer noch genießen. Aus: Hans-Martin Große-Oetringhaus: Duisburg und ich, Avlos-Verlag, Duisburg 1998 www.grosse-oetringhaus.de

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Willi un Erna bei’t Frühschtück Karl-Heinz Winschuh Schriftsteller Off sizz ich in alle Herrgottsfrühje, so au heut, annen Computer un schreip en bissken übber dies un datt, watt mir graad so einfällt. Graad binnich so richtich inne Geschichte vertief, da reiß mich de vertraute Schtimme von mein Goldschtück, von mein Erna, ausse Gedankengänge: „Williii ... Williii, kommsse, et Frühschtück is färtich! ... Williiii ... hörsse nich? Komm frühschtücken, ich hap vorn auffen Balkong en Tisch gedeck. Watt bisse denn noch an tuun?“ „Waat no en bissken, ich muss datt, watt ich aufgeschriem hap, eem speichern!“, ruuf ich durche Tüür. Promp kommp et Echo: „Gezz höör entlich auf mit dein Speicher, mach datt Ding aus, odder bisse mitti Kiste verheiratet?“ „Ja, ja, bin ja schon färtich. Watt gibbet denn heut morgen Leckeres?“, fraach ich un gip se en Küssken. „Datt siehsse doch, et schteht alles auffen Tisch. Honich, selpsgemachte Mamelade, Butter, für jeder en Eiken un Vierkornbrot!“, schtrahlt se mich an. Se is enne richtige Frohnatur, mein Erna. Is datt nich schön, sowatt annen frühen Morgen? „Hömma!“, fraach ich se widder „watt waa datt vohin mittatt Brot? ... Vierkorn? Wovon willze denn wissen, datt datt blos vier Körner sind?“ „Mann Willi, sezz domma de Brille auf, daa schteht et doch auffet Ettekett: Vierkornbrot, un wenn datta drauf schteht, dann wirdet ja wohl schtimmen!“ „Mensch Erna, du glaups abber au alles watte lies! Kumma, hier die Schnitte, watt da viel Körner drin sind! Du willz mir donnich weismachen, datta nur vier Körner drin sind!“ „Datt weiß ich auch, datta mehr drin sind als wie vier! Datt Brot heiß Vierkornbrot, weilet mit vier Kornsorten gebacken is! Gezz sei schtill, Willi, un ess!“ 344

„Wenne meinz, Erna! Abber kumma die Eier, die sind au nimmehr datt, watt se ma waan! Klein wie ’n Tauben-Ei un kein gelben Dotter mehr!“ „Weisse Willi, datt liech bestimmp anne Umwelt. Mit datt ganze Atoom un Giff, mitt datt se un gezz konfrontieren!“ „Watt hasse da graad gesach, Erna? Mit datt se uns watt?“ „Konfrontieren!“, taat se mir langsam vorsaagen. Weil ich datt nonnie gehört hap, fraach ich se: „Un watt is datt? Watt soll datt denn bedeuten?“ „Datt is datt, watt se uns gezz gegenübberstellen! Mit datt se uns bekannt machen! Weisse watt, Willi, denk ma nich weiter drübber naach ... ess ma!“ Mir waa et so, als wie wenn aus ihr Schtimme en bissken Mitgefühl rauszuhören wär. „Ja Erna, wenne meins! Abber richtich isset nich von die, datt die uns mit sowatt konferieren!“, taat ich einwenden. „Konfrontieren ... gibbet auf, Willi, ess ma lieber!“ „Hass ja räch, Erna, watt soll ich mich übber sowatt en Kopp zerbrechen. Boh Erna, kumma watt datta kwalmp! De Hütte hatt ma widder keine Filters drin!“ „Da kannze doch echt Hörner kriegen. De Granjen aum Balkong gehn nomma kaputt von son Dreck! Weisse watt, Willi, wenn wer mittet Frühschtück fertich sind, schnappen wer uns de Räder un faahn in ’t Grüne!“ „Ja, Erna, wenne meinz! Abber weisse, ich hap ja in ’t Grüne wohl en bissken Bammel vor all die Käfers un Bienen, die durche Luff fliegen. Son Bienenschtich is ja au nich grad watt Feines!“, gaap ich zu bedenken. „Hömma, Willi, watt machsse denn lieber, der Dreck vonne Fabrik odder Bienenschtich?“ „Wenner vonnen Bäcker kommp, en Bienenschtich. Abber Schpass bei Seite, hass ja räch, ich hool mir schomma de Buxsenklammern! Komm, Erna, faahn wer, ich nimm de Angelschtöcker mit, hinterher sezzen wer uns nowatt annen Rhein un tuun Fische fangen!“ „Is gut, Willi – wieje meinz!“


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Pfannkuchen mit Zucker drauf Statt eines Rezepts Okko Herlyn Theologe und Kabarettist Ich bin mit einer – sagen wir es einmal zurückhaltend – einfachen Küche aufgewachsen. Das lag zum einen daran, dass in jenen knapperen Jahren nach dem Krieg die Umstände einfach nicht danach waren, sich lange mit Fragen des Wohlgeschmacks aufzuhalten. Mir ging es da wie den meisten anderen Kindern. Und gegessen wurde grundsätzlich, was auf den Tisch kam. Solche Erziehungsgrundsätze machen einen nicht eben übertrieben anspruchsvoll, was die Freuden des Gaumens anbelangt. Eine antrainierte Bescheidenheit in Sachen Essen, die sich übrigens viele Jahre später zu Zeiten des Studiums und der Selbstversorgung bei karger Kasse noch einmal bezahlt machen sollte. Bezeichnenderweise behielten meine Eltern den etwas dürftigen Stil des „Brotes der frühen Jahre“ auch dann bei, als ab etwa Mitte der fünfziger Jahre in anderen deutschen Familien das große Schlemmen einsetzte. Fleischsalat? Buttercremetorte? Henkel Trocken? Diese und andere Köstlichkeiten gab es nur bei Menschen, die von uns rasch mit dem Etikett des Spießigen belegt wurden. Wir lasen Böll, Tucholsky und Hemingway. Das musste reichen. Außerdem war Schwarzbrot viel gesünder. Und jeden Tag Fleisch? Wo steht denn das geschrieben? Ich hatte immer den Eindruck, dass meine Mutter jede Minute, die sie in der Küche verbrachte, eher als Verschwendung ihrer Lebenszeit betrachtete. Mein Vater, Pfarrer, hatte sein Reich ohnehin woanders. So wird es erklärlich, dass ich mich in der Regel auf die Mahlzeiten in unserem Hause nicht unbedingt wegen der dort zu verzeh-

renden Dinge gefreut habe. Dennoch erinnere ich mich überaus gerne daran. Warum? Weil diese Zeiten am gemeinsamen Tisch einen wichtigen und zuverlässigen Fluchtpunkt im Laufe des Tages, der Woche und – im Rückblick will es mir so scheinen – auch in meinem kindlichen und später jugendlichen Leben darstellten. Mochten wir uns auch tagsüber herumtreiben, wo wir wollten, zu Tisch hatte jeder pünktlich zu erscheinen. Kaum hatte Vater das Tischgebet gesprochen, hatten wir beiden Söhne meist rasch die Oberhoheit über die Gespräche erobert: Schule, Schlager, Alltagsabenteuer – was halt so anlag. Viel wurde „gelästert“ – über Nachbarn, Lehrer, altjüngferliche Freundinnen des Hauses oder Kollegen des Vaters. Abends wurden das Essen und damit vorläufig auch der Tag mit dem Verlesen des Neukirchener Jugendkalenders und einem Abendlied beendet. „So legt euch denn, ihr Brüder, in Gottes Namen nieder ...“ In Erinnerung ist mir auch, dass wir als Familie selten alleine am Tisch saßen. Die Großmutter, die uns häufig für lange Wochen besuchte. Irgendein verklemmter Vikar, der kurz vor seiner ersten Predigt noch einmal seelisch aufgepäppelt werden sollte. Ein Klassenkamerad, dessen Mutter plötzlich für mehrere Wochen ins Krankenhaus musste. Vettern und Cousinen, die ihre Ferien bei uns verbrachten. Ein Spielgefährte, der irgendwie vom Nachmittag im Hause hängen geblieben war. Manch eine abgerissene Gestalt, die einfach nur einmal einen warmen Teller brauchte. Ein halbes Jahr lang sogar eine Mutter mit ihrem Sohn, die gerade aus der Ostzone „rübergemacht“ hatten und nun bei uns im „Fremdenzimmer“ einquartiert waren. Ein andermal für mehrere Tage ein leibhaftiger Engländer, Mr. Johnson, der merkwürdiges Karamellzeugs mitbrachte. Dann wieder, anlässlich eines Missionssonntags, ein paar kichernde

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indonesische Mädchen. Gott weiß, wie sie in unser Dorf gekommen waren. Langweilig war es jedenfalls nie.

fach zuzubereiten ist, habe ich erst viel später erfahren. Eine Handvoll Mehl, ein paar Eier, etwas Milch. Anschließend Zucker drüber.

Manchmal denke ich, dass ich mit dieser Art von Tisch- und Esskultur vergleichsweise das bessere Teil erwählt habe. Das elementare Interesse aneinander; das viele Lachen (wie oft habe ich mich deshalb verschluckt und musste vorübergehend in die Küche); das selbstverständliche Teilen auch des Wenigen und Kargen mit dem anderen, mit dem Fremden; die vielen Gespräche – selten über Gott, meistens über die Welt; später zur Zeit der Oberstufe die ersten heftigen politischen Debatten; nicht zuletzt der selbstverständliche, unsentimentale Dank an den „Geber aller guten Gabe“, der mir später mitunter fragwürdig, mittlerweile aber wieder wertvoll geworden ist, nämlich sich auch und gerade in Zeiten des Fast Food dessen zu vergewissern, was Matthias Claudius in unvergleichliche Worte gefasst hat: „Es geht durch unsre Hände, kommt aber her von Gott.“ Und wie viel Oberflächlichkeit und nichtiger Small Talk ist mir inzwischen oft gerade an den Tischen begegnet, die offenbar so ungeheuren Wert auf ausgeklügelte Rezepte und irgendeine exquisite „Küche“ legen. Ich möchte nicht tauschen.

Bis heute sind Pfannkuchen mein Leibgericht geblieben. Mich stört es überhaupt nicht, dass diese unschlagbare Herrlichkeit von anderen Leuten gelegentlich als „Arme-Leute-Essen“ diffamiert wird. Auch bin ich im Laufe meines Lebens gewahr geworden, dass Pfannkuchen offensichtlich nicht gleich Pfannkuchen ist. Dass man ihn auch mit Speck und Salat, mit Schinken und Salami, mit Kräuterquarkfüllung und Krabben in pikanter Soße, mit dänischer Marmelade oder echtem französischen Cointreau zu sich nehmen kann. Ja, dass es inzwischen sogar ganze „Pfannkuchenhäuser“ gibt, die einen gewissen Rang in der Konkurrenz der gehobenen Gastlichkeit einnehmen. Ich habe sie alle durchprobiert. Wirklich überzeugt hat mich keins davon.

Was die Gerichte angeht, so erinnere ich mich eigentlich nur eines wirklichen kulinarischen Genusses in unserem Hause. Das war jeweils der Tag, an dem es Pfannkuchen gab. Für diese eine Essenslust – rund einmal im Monat – nahm ich gerne alle anderen Notwendigkeiten der Nahrungsaufnahme klaglos in Kauf. Schon der unbeschreiblich wärmlich-süße Duft, der einen – etwa nach einem durchgeödeten Schulvormittag – an der Haustür empfing, entschädigte für manches. Und der Verzehr: ein Traum auf der Zunge. Meistens leider zu wenig. Dass diese Speise relativ ein346

Eine Handvoll Mehl, ein paar Eier, etwas Milch. Anschließend Zucker drüber. Das Leben kann so einfach sein. www.okkoherlyn.de


Esskultur damals in Duisburg

Kochkünste Kai Magnus Sting Kabarettist „Hör mal, was du da gekocht hast, schmeckt ja gar nicht schlecht. (Pause) Also was du da gekocht hast, das schmeckt gar nicht schlecht. (Pause) Sag mal, hörst du mir eigentlich gar nicht zu?“ „Was sagst du?“ „Ich hab gefragt, ob du mir gar nicht zuhörst.“ „Nein. Wieso?“ „Weil ich mit dir rede.“ „Was hast du denn gesagt?“ „Ich habe gesagt, dass das ja gar nicht schlecht schmeckt, was du da gekocht hast heute.“ „Ich glaub’s nicht.“ „Was glaubst du nicht? Dass es mir schmeckt? So ungewöhnlich wäre das ja auch nicht.“ „Du hast dich grade zum drittenmal wiederholt.“ „Also hast du mir ja doch zugehört.“ „Zum drittenmal kommst du mir mit dieser absoluten Unverschämtheit.“ „Was denn für eine Unverschämtheit?“ „Da! Du merkst es ja noch nicht mal.“ „Was soll ich denn merken?“ „Du hast gesagt: Das schmeckt ja gar nicht schlecht, was du heute gekocht hast.“ „Ja und? Stimmt doch auch.“ „Das ist eine Unverschämtheit.“ „Ich verstehe dich nicht. Da macht man einmal ein Kompliment ...“ „Dass ich nicht lache: Kompliment ... Ja gar nicht schlecht. Frecher geht’s doch wohl kaum.“ „Wieso?“ „Weil das mit anderen Worten heißt, dass du was anderes erwartet hast. Dass du gedacht hast, es würde schlecht schmecken. Das hast du erwartet. Aber so schlecht schmeckt es

dann wohl doch nicht. Obwohl es auch nicht besonders toll schmeckt.“ „Mein Gott, bist du kompliziert. Ich hab mir doch bei meinem Kompliment nicht viel gedacht.“ „Nichts. Du hast dir nichts gedacht, das ist der Punkt. (Pause) Sieh mal zu, wie du aus der Nummer wieder rauskommst.“ (Pause) „Also meine Mutter hätte an die Soße etwas mehr Pfeffer gemacht.“ „Ich fall gleich um, jetzt kommt der mir auch noch mit seiner Mutter!“ „Ja, was denn?“ „Nee, nee, schon gut. Mach mal weiter.“ „Also meine Mutter hätte die Soße vielleicht noch mit etwas grünem Pfeffer abgerundet. Und vielleicht noch ein Löffelchen Preiselbeeren, um den Kontrast zwischen pfeffrig und süßlich mehr herauszuspielen. Und das Wild hätte sie einfach noch länger eingelegt gelassen. Wenn du mich fragst, hast du es viel zu früh rausgenommen. Und dafür zu lange gebraten. Und die Klöße waren auch zerkocht. Die Zubereitung eines Kloßes ist eine Kunst für sich. Und das Gemüse war nicht al dente genug.“ „Aber sonst hat’s dir geschmeckt?“ „Ja, sonst war’s gar nicht schlecht, hab ich ja bereits gesagt.“ „Und was soll ich deiner Meinung nach beim nächsten Mal anders machen?“ „Alles. Oder besser: Versuch dich beim nächsten Mal einfach nicht an Wild.“ „Das wird ja immer besser. Und warum nicht? Weil es deine Mutter besser macht?“ „Richtig. Die kann das eben.“ „So. Und ich kann’s nicht, oder was?“ „Nicht so gut wie sie. Und sie verziert schöner als du.“ „Sie verziert also schöner als ich. Wenn’s das ist ... Mir ist das letzte Mal der Appetit vergangen.“ „Also ich fand’s reizend.“

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Esskultur damals in Duisburg „Schön. Ich aber nicht. Ein Schweinskopf mit Apfel im Mund. Bewegungslos. Gegrillt. Die Augen Gott sei Dank geschlossen. Das hätte noch gefehlt.“ „Ich weiß gar nicht, was du hast. Da hat sich meine Mutter einfach mal Mühe gegeben. Und geschmeckt hat’s auch.“ „Mühe gegeben ... Gib’s doch zu: Bei ihr schmeckt’s dir besser als bei mir.“ „Ja.“ „Sie macht auch den besseren Zitronenkuchen, stimmt’s?“ „Selbstverständlich. Das hatte ich dir aber bereits mitgeteilt, wenn ich mich recht erinnere. Und auch ihre Milchbrötchen schmecken besser. Ich weiß, du hast das Rezept von ihr, aber irgendwie schaffst du’s nicht. Vor allen Dingen der Milchkaffee dabei. Da schmeckt deiner einfach nicht. Das kriegt meine Mutter einfach besser hin.“ „Aber mein Tee schmeckt dir doch.“ „Tee ... Schatz! Das ist heißes Wasser mit Büschen drin. Was kann man denn an Tee falsch machen? Aber eine selbstgemachte Herrencreme, ein rheinischer Sauerbraten, Kohlrouladen, die ganzen fantastischen Spargelgerichte, die Torten, die Frühlingstorte meiner Mutter nach dem Rezept meiner Oma ...“ „Die ist deiner Mutter beim letzten Mal auch nicht geglückt. So!“ „Ist das jetzt der Neid?“ „Wer soll das sein?“ „Der Neid?“ „Pah! Da lache ich aber. Also immer wenn ich bei deinen Eltern esse, gibt’s immer nur schnell Sachen, die eben nur kurz aufgetaut werden müssen. Und die Pampe schmeckt immer gleich.“ „Ja, wenn du kommst, gibt sie sich eben nicht solche Mühe.“ „Das ist immer eine zerkochte graue Pampe, die ich immer mit einem Liter Wasser runterwürgen muss.“ „Niemand zwingt dich, das zu essen.“ „Es zwingt auch dich niemand, das zu essen, was ich koche.“ 348

„Stimmt. Aber die Not zwingt’s rein. Und wovon soll ich denn sonst leben? Wenn ich nichts esse, falle ich irgendwann noch mal vom Fleisch.“ „So wie du aussiehst, bist du vorher schon eines natürlichen Todes gestorben. So alt, wie es dauern würde, bis du verhungert bist, wird kein Mensch.“ „So viele Geschmacksnerven, die absterben müssten, damit das schmeckt, was du kochst, hat kein Mensch.“ „In der Beziehung geht mir deine Mutter sowieso auf den Geist.“ „Jetzt werd mal bitte nicht persönlich. Und in welcher Beziehung denn bitteschön? „Kaum scheint ihr mal was im Ansatz zu schmecken, fragt sie nach dem Rezept.“ „Na und?“ „Das ist doch peinlich.“ „Das ist überhaupt nicht peinlich. Das ist interessiert. Sie interessiert sich einfach für Gerichte, für Essen. Da will sie auf dem neuesten Stand bleiben. Und alles möglichst nachkochen.“ „Ja, aber man fragt doch nicht im Restaurant nach dem Rezept des Gerichts.“ „Lass sie doch. Du siehst ja, wohin das bei ihr geführt hat: Das was sie kocht, schmeckt.“ „Ich hätte auf meine Mutter hören sollen.“ „Warum? Wollte die dir das Kochen beibringen?“ „Nein. Die hat mich vor dir gewarnt.“ „Meine Mutter auch.“ „Wie: Deine Mutter hat mich vor dir gewarnt?“ „Nein, die hat mir gesagt, du könntest nicht kochen.“ „Ich kann kochen.“ „Ja, richtig. Und Bären kacken nicht in den Wald. Und der Papst hat ’nen Harem. Immer fest dran glauben. (Pause) Was ist denn? Was bist du denn so still?“ „Ich habe eine Idee.“ „Was denn für eine Idee?“ „Ich stell mir grade eine Lösung vor.“ „Und wie sieht die aus?“


Esskultur damals in Duisburg „Du.“ „Ich?“ „Ja, du. Gegrillt. Augen zu. Apfel im Maul. Hältst du wenigstens deine Klappe. Und mir würd’s schmecken. Bin nur gespannt, was deine Mutter dazu sagt.“ „Kann ich dir sagen.“ „Und?“ „Sie würde dich nach dem Rezept fragen.“ www.kaimagnussting.de

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