Esskultur in Hildesheim
Esskultur in Hildesheim Helmut Brandorff 100 000 Jahre Esskultur in Hildesheim Wie speisten die Domherren? Marktkalender für alle Monate des Jahres Wolf-Georg von Eickstedt Die jüdische Küche Wie man isst im Potte Ansgar Lehne Schießen oder schonen? Gute Gründe für heimisches Wildfleisch Hildesheim schwelgt und genießt ... Simone Brandenberg Der Wunschpavillon am Stadttheater Hildesheim „Essen am Ersten“ Siggi Stern Zuhause an fremden Tischen TonTopf – Tonkuhles tönende Kochshow Die „Hildesheimer Tafel“ Rezepte aus der JVA für Frauen, Hildesheim Hilde konsumiert anders Kunstverein via 113 Zwei Rezepte
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Von der Mammutrippe zum Hamburger 100 000 Jahre Esskultur in Hildesheim wie Nüsse, Grassamen, Beeren usw., Wurzeln und Knollen zu bieten hatte, bereicherte den Speiseplan und sorgte für eine ausgewogene Ernährung.
Helmut Brandorff Die ersten Menschen im Raum Hildesheim sind schon vor über 100 000 Jahren in der Altsteinzeit nachweisbar. Sie gehörten zu der vorgeschichtlichen Menschengruppe des Neandertalers. Von ihrer Existenz wissen wir eigentlich nur etwas durch ihre Steinwerkzeuge, die beim Baggern von Kies im Leinetal, zum Beispiel bei Jeinsen, gefunden worden sind. Einen ersten Siedlungsplatz des Neandertalers mit einem Alter von 50 000 bis 60 000 Jahren hat man Anfang der fünfziger Jahre in Salzgitter-Lebenstedt entdeckt. Da hier nicht nur Steinwerkzeuge, sondern auch Knochen und Pflanzenreste gefunden wurden, können wir relativ genau sagen, wie der Tisch des Neandertalers in unserer Gegend gedeckt war. Der hauptsächliche Fleischlieferant war das Rentier, von dem drei Viertel aller Knochenreste auf diesem wohl viele Jahre lang benutzten Lagerplatz stammen. Weitere Knochen stammen vom Mammut, vom Wildpferd, vom Steppenbison und vom Wollnashorn. Die Knochen zeigen deutliche Spuren vom Zerlegen der Tiere mit Steinklingen. Sicherlich ergänzten kleinere Tiere wie Fische, Vögel und Kleinsäuger bis hin zu Mäusen den Speiseplan unserer Vorfahren. Pflanzliche Nahrung spielte jahreszeitenbedingt ebenfalls eine große Rolle. Alles, was die Natur an essbaren Wildkräutern wie Löwenzahn, Brennnesselblätter usw., Knospen, Pilzen, Früchten
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Feuersteinklinge vom Jägerrastplatz der Altsteinzeit in Salzgitter-Lebenstedt (Länge: 9 cm). Die Klinge konnte sowohl als Messer zum Schneiden wie auch als Schaber gebraucht werden.
Der Neandertaler war kein keuleschwingender brüllender Wilder, notdürftig in blutige Felle gehüllt, sondern ein Mensch, der bereits seit langem das Feuer kannte und in zeltartigen Behausungen wohnte. Seine Fell- bzw. Lederkleidung muss man sich wahrscheinlich so vorstellen wie die der Indianer und Inuit in den arktischen Regionen Amerikas vor der Ankunft der Europäer. Das Fleisch wurde am Feuer gebraten oder, etwa in Blätter eingehüllt, geschmort. Über die Zubereitung pflanzlicher Nahrung wissen wir nichts. Vieles wurde sicher roh verzehrt als Obst und Salat, außerdem konnte man es rösten (zum Beispiel bestimmte Samenkörner) oder zusammen mit dem Fleisch garen. An „Besteck“ genügten dem Menschen bis heutzutage (etwa am Gartengrill) die Finger. Nur für das Schneiden war eine Klinge aus Feuerstein nötig, und wenn etwas zu heiß zum Anfassen war, konnte man einen angespitzten Stock zu Hilfe nehmen. Mit einigen Variationen blieben die Ernährungsgewohnheiten unserer Vorfahren über Jahrtausende hinweg gleich. Dann, in der
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Jungsteinzeit, ca. 5500 Jahre v. Chr., änderte sich die Lebensweise grundlegend. Inzwischen hatte sich die heutige Form des Menschen, der homo sapiens sapiens, durchgesetzt, und er wurde sesshaft. In der Gegend von Hildesheim haben Archäologen Siedlungen aus dieser Zeit unter anderem in Rössing und in Itzum ausgegraben. Nach der Art der Verzierung auf den Keramikgefäßen, die diese Bevölkerung hinterlassen hat, nennt man sie die Kultur der „Linienbandkeramik“. Die Menschen lebten in recht ansehnlichen Häusern, die eine Länge von ca. 20 bis 30 Metern bei einer Breite von ca. acht Metern aufwiesen. Sie betrieben Landwirtschaft, was eine völlige Umstellung der Ernährungsweise mit sich gebracht hatte. Grundnahrungsmittel war nun nicht mehr Fleisch, sondern Getreide. Es waren schon die Vorläufer unserer heutigen Getreidesorten: Emmer und Einkorn (der spätere Weizen) und Gerste. Mit dem planmäßig angebauten und geernteten Getreide konnte nun erstmalig in der Menschheitsgeschichte langfristige Vorratswirtschaft betrieben werden.
Die Verarbeitung des Getreides war sehr aufwendig. Nach dem Ausdreschen des Korns aus den Ähren mussten die Spelzen von den einzelnen Körnern entfernt werden. Dies bedeutete eine mühselige Pulerei, die man sich aber dadurch vereinfachen konnte, dass man das Getreide erst darrte, also am Feuer trocknete, und es dann in einem Holzmörser stampfte. Dabei lösen sich die umhüllenden Spelzen vom Korn und können dann durch „Worfeln“ von diesem getrennt werden. Dazu wirft man das Gemisch in die Luft und die schwereren Körner fallen gleich wieder herunter, während die leichteren Spelzen von der Luftbewegung ein Stück weggeweht werden. Der nächste Arbeitsgang war die Mehl- bzw. Schrotbereitung. Dies geschah auf einer Steinplatte, auf der die Körner mit Hilfe eines kleineren Reibsteins zerquetscht und zermahlen wurden. Zwischendurch war es immer wieder notwendig, übriggebliebene Spelzen und andere Fremdkörper auszusortieren. Man kann sich gut vorstellen, dass allein die Vorarbeiten vor der eigentlichen Zubereitung einer Mahlzeit ein mühsames und zeitaufwändiges Unterfangen waren.
Reibstein („Getreidemühle“) aus einer Siedlung der Linienbandkeramik bei Itzum, Stadt Hildesheim. Gefäß (Kochtopf) der jungsteinzeitlichen Kultur der „Linienbandkeramik“ aus einer Siedlung dieser Zeit bei Rössing.
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Beim Mahlvorgang auf dem Reibstein gelangte durch den Abrieb auch Gesteinsmehl in das eigentliche Mehl. Das wirkte beim Kauen wie feiner Schmirgel, so dass die Zähne der Menschen oft bis an die Zahnwurzeln abgeschliffen waren. Die Personen, deren Gräber im Jahr 2006 in der bandkeramischen Siedlung bei Itzum entdeckt wurden, wiesen auch dieses Merkmal an ihren Zähnen auf. Dafür war aber keinerlei Befall von Karies festzustellen. Eines der Skelette soll in der Vorgeschichtsabteilung des Roemer-PalizaeusMuseums ausgestellt werden. Wenn es fertig präpariert ist, wird sich jeder Hildesheimer selbst von der Zahngesundheit eines seiner Vorfahren überzeugen können. Der Getreideschrot konnte als Ausgangsmaterial für Brot, vor allem aber für eine große Vielfalt von Eintopf- und Breigerichten verwendet werden. Aus archäologischen Funden von verkohlten Essensresten wissen wir, dass Gemüse, Fleisch und als pflanzliches Fett auch Leinsamen Bestandteile eines solchen Breies sein konnten. Gut möglich ist aber auch eine getrennte Zubereitung, wobei der Getreidebrei die Beilage bildete, vergleichbar mit der heutigen italienischen Polenta oder dem arabischen Couscous. Als Kochtöpfe dienten die schon erwähnten Keramikgefäße mit ihren charakteristischen Ritzverzierungen aus mäanderförmigen Bändern. Sie standen in einer ebenerdigen offenen Feuerstelle im Haus. Die Verarbeitung des Getreides zu Brot erfolgte eher als Zusatzkost und als kurzfristige Bevorratung, da es erheblichen Aufwand an Arbeit und Brennmaterial bedeutete, den im bandkeramischen Haus ebenfalls vorhandenen Backofen anzuheizen. Fladenbrot konnte zwar schnell auf einer Steinplatte gebacken werden, war aber nach Versuchen der Experimentellen Archäologie trotz der Verwendung von Sauerteig so hart, dass es nur als Suppeneinlage oder Ähnliches gegessen werden konnte. 276
Als weitere Kulturpflanzen sind für die ersten Bauern noch Erbsen, Linsen und Lein nachgewiesen. Außerdem war das umfangreiche jahreszeitlich unterschiedliche Angebot an Wildpflanzen vorhanden. Die Viehhaltung konzentrierte sich auf Rind, Schwein, Schaf und Ziege und – ungewiss, ob als Nahrungsquelle oder als Freund und Helfer – den Hund. Das Rind war mit einem Anteil von ca. 50 Prozent die am häufigsten als Nahrung verwendete Tierart. Für spätere Epochen der Jungsteinzeit gibt es auch Hinweise auf Milchwirtschaft. Wildtiere standen nach den wenigen Funden entsprechender Knochen nur selten auf dem Speiseplan. In Norddeutschland blieb diese Art der Ernährung in den nächsten Jahrtausenden Standard, für die ärmere Bevölkerung zum Teil sogar bis ins 20. Jahrhundert hinein. Nach und nach fanden weitere Nahrungsmittel Eingang in unsere Gegend. Gegen Ende der Bronzezeit (ca. 1000 v. Chr.) kam die Haltung von Federvieh auf, mit domestizierten Wildgänsen und dem aus Vorderasien stammenden Haushuhn. Mit dem Beginn der Vorrömischen Eisenzeit (ca. 700 v. Chr.) wurde die „Ackerbohne“ in unsere Region eingeführt (unsere heutigen Bohnensorten stammen fast alle aus Amerika). Die Jagd auf Wildtiere spielte je nach Epoche und geografischen Gegebenheiten eine unterschiedliche Rolle. Bis ins Mittelalter kamen weitere ehemals mediterrane Kulturpflanzen nach Mittel- und Nordeuropa, so brachten die Römer zum Beispiel den Weinanbau, verschiedene Kohlsorten und die Zwiebel. Außerdem fand über alle Zeiten hinweg eine ständige Verbesserung und ertragsorientierte Weiterzüchtung der vorhandenen Nutzpflanzen und Haustiere statt. Die Mönche in den Klöstern betrieben Fischzucht in ausgedehnten Teichwirtschaften. Seit dem Mittelalter gibt es einen stetigen Anstieg des Bevölkerungswachstums, was beim Fleisch-
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verzehr zu einer überwiegenden Nutzung von Schweinen gegenüber zuvor Rindern führte. In Verbindung mit den gesellschaftlichen Veränderungen (Adel und Abhängige, Feudalismus) klaffte das Nahrungsangebot für arm und reich immer weiter auseinander, so dass nur der Privilegierte sich Fleisch leisten und satt essen konnte, während für den Angehörigen der Unterschicht der Getreidebrei – mit der Fleischbeilage als seltene Ausnahme – zur Regel wurde. Im Zuge dieser Spezialisierung, mit einem Leben im Überfluss auf der einen Seite und Mangelernährung auf der anderen, wuchs auch, zumindest auf Seiten des Überflusses, die Komplexität der Nahrungszubereitung. Das Kochfeuer am Boden wanderte auf einen erhöhten Platz, den Herd. Der Allzwecktopf aus Keramik gliederte sich auf in Topfgarnituren für unterschiedlichste Zwecke mit Ausmaßen von Faustgröße bis zu einem Fassungsvermögen von 150 Litern und mehr. Die Töpfe bestanden aus Keramik oder aus Metall (meist Bronze) und dazu gab es Pfannen unterschiedlicher Form und Größe, ebenfalls aus Keramik und aus Metall (meist Eisen). Der reiche oder gar der herrschaftliche Haus-
halt musste mitunter 100 und mehr Mitglieder beköstigen. Das war sehr personalintensiv, so dass vor allem bei festlichen Anlässen Dutzende von Köchen und Scharen von Hilfskräften notwendig waren, um die Mahlzeiten zu bereiten. Eine herrschaftliche Küche besaß die Ausmaße eines mittleren Kinosaales mit mehreren, teils mehrere Quadratmeter großen Herden, auf denen in unzähligen Töpfen und Pfannen auf zahlreichen Feuern die Speisen brutzelten und köchelten. Ein eindrucksvolles Bild in dieser Hinsicht vermittelt der Besuch der Küche auf Schloss Marienburg bei Nordstemmen, welche relativ unverändert die Zeit seit der Mitte des 19. Jahrhunderts überdauert hat. Ein wirkliches Leben in der „Guten alten Zeit“ kann sich heute, nachdem die technische Revolution mit Mikrowelle und computergesteuertem Kühlschrank auch die hintersten Winkel jeder Küche erobert hat, niemand mehr vorstellen. Damals galt Wohlbeleibtheit als Zeichen von Reichtum und Gesundheit und nur der Arme war kränklich und ausgemergelt. Der Fortschritt der Technik mit dem Fehlen der Notwendigkeit, sich mehr als nötig zu bewegen, hat diese Kennzeichen umgekehrt. Der Begüterte kann sich sportliche Aktivität und eine gesunde und individuell zubereitete Ernährung leisten. Der in mehreren Minijobs gleichzeitig sein Auskommen suchende arbeitende Mensch hat dazu keine Zeit. Er muss daher öfter, als er das vielleicht mag, zu Pommes, Hamburger und süßer Brause greifen, der Garantie für schnelle Sättigung und garantierte Gewichtszunahme. Dieses Rezeptbuch enthält hoffentlich viele Anregungen, dem beliebten und „modernen“ convenience food zu entgehen. Cool, ey!
Kugeltopf des 6./7. Jahrhunderts mit Stempeldekor aus Upjever, Landkreis Friesland.
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Wie speisten die Domherren? Ein Blick in Speisekammer und Küche des Domkapitulars Heinrich Brümmer Helmut Brandorff Im Archiv der Dombibliothek in Hildesheim befinden sich das Testament und die Nachlassaufstellung des Domkapitulars Heinrich Brümmer. Am 6. Mai 1650 hatte er sein Testament unterzeichnet und ein knappes Jahr später, im Februar 1651, verstarb er. Ein Notar und zwei Domkapitulare sichteten seinen Nachlass und fertigten eine genaue Aufstellung darüber an. Unter den aufgelisteten Objekten befanden sich neben Möbeln, Kleidung, Büchern und Gerätschaften auch Lebensmittel und Haushaltsgegenstände. Somit ergibt sich für den heutigen Leser ein eindrucksvolles Bild eines Hausinventars des 17. Jahrhunderts. Man muss allerdings berücksichtigen, dass sicherlich nicht jede Kleinigkeit Eingang in die Liste gefunden hat, sondern nur Sachen, die einen gewissen Wert darstellten oder zumindest für erwähnenswert gehalten wurden.
Blatt 14 und 15 aus der Nachlassaufstellung des Domherrn Heinrich Brümmer. Auf Blatt 14 befindet sich in Zeile 20 die Eintragung: „18 gr Ein breuhan tonne“ [1 Tonne Bier].
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Helmut Brandorff bei Ausgrabungsarbeiten mit Schülern des Johanneum auf dem Domplatz
Gegenstände ohne Wert und speziell Sachen, die weggeworfen worden waren, kommen bei archäologischen Ausgrabungen wieder zum Vorschein. Daher ergänzen die Funde, die 1986/87 bei der Sanierung der Bernwardsmauer gemacht wurden, in idealer Weise die schriftliche Überlieferung. Ein Fundkomplex aus den archäologischen Untersuchungen dort ist im Zuge eines „großen Aufräumens“ nach Ende des Dreißigjährigen Krieges entstanden. Nach der mehrfach wechselnden Nutzung der Domburg durch die katholischen und die protestantischen Kriegsherren war ein ehemaliger Kloakenschacht nach der Entrümpelung der Gebäude mit dem angefallenen Müll verfüllt worden. Er enthielt unter anderem die Reste von mehreren hundert Keramikgefäßen, die sich zum Teil sogar wieder zusammensetzen ließen.
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Das komplette Geschirrspektrum eines wohlhabenden Haushalts des 17. Jahrhunderts war vertreten: Kochtöpfe mit rundem Boden und als Dreibeintopf (sogenannte Grapen), Schüsseln, Teller, Krüge, Vorratstöpfe, Kannen, Trinkgläser, Flaschen und auch einige Essensreste. Im Jahre 1990 fand eine Ausstellung über die Grabungsergebnisse im Dom-Museum statt.
4 Grapen (Kochtöpfe auf 3 Beinen) unterschiedlicher Größe.
2 Grapenpfannen (auf Beinen, damit man sie ins offene Herdfeuer stellen kann); 1 Bratensaftpfanne (wird unter den Bratspieß gestellt, um den Fleischsaft aufzufangen. Alle Abb. auf dieser und der folgenden Seite sind Funde des 16./17. Jahrhunderts aus der Ausgrabung an der Bernwardsmauer in Hildesheim 1986/87). 3 Kannen aus Steinzeug zum Ausschenken von Getränken (2 aus Siegburg/Rheinland, 1 aus Duingen/Weserbergland)
Ensemble bestehend aus einer Duinger Steinzeugkanne, einem Glasgefäß, 2 Grapen der sog. ‚Weserware’ und einem Teller mit Austernschalen.
1 Krug mit plastischer ‚Bartmannmaske’ (Duinger Steinzeug), 1 ‚Enghalskrug’ (Siegburger Steinzeug), 1 Krug mit aufgemalter ‚Bartmannmaske’ (Weserware), 1 Trichterhalsbecher (Westerwälder Steinzeug).
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zum Beispiel bei der Hausschlachtung, die auf einigen Biohöfen wieder praktiziert wird. Wenn genügend Platz vorhanden war, wurde am Hause Vieh gehalten, wie die Nachlassaufstellung des Domherrn Heinrich Brümmer ausweist. Neben drei Pferden waren nach seinem Ableben an Vieh vorhanden: 1 Sau mit zehn Ferkeln 4 Mastschweine 3 Jungschweine 2 Kühe 4 Gänse 1 Ziege Außerdem wurden normalerweise Hühner gehalten, worauf ein als Hühnerfutter bezeichneter Rest Hafer hindeutet. In bildlichen Darstellungen der Renaissance ist gelegentlich zu sehen, dass sich die Hühnerställe in Verschlägen direkt in der Küche befanden. Weiter gehörte zum Haushalt ein Hausgarten mit Obst und Gemüse.
Bevorratung
1 Stangenglas
Ein Haushalt auf dem Domhof
Ein Haushalt war wesentlich umfangreicher als heute. Außer der eigentlichen Familie – auf dem Domhof waren das der Geistliche und gegebenenfalls einige nahe Verwandte – gehörten dazu Knechte, Mägde und sonstige Bedienstete, die bestimmte Aufgabenbereiche im Haushalt, in der Küche, im Stall usw. zu versehen hatten. Im Gegensatz zu heute gab es fast keine Nahrungsmittel fertig zubereitet zu kaufen. Nach dem Schlachten der Tiere musste das Fleisch erst einmal in einen Zustand gebracht werden, aus dem es sich weiterverarbeiten ließ. Heutzutage gibt es das nur noch äußerst selten,
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Eigene Gartenwirtschaft und Viehhaltung gaben einem Haushalt eine gewisse Unabhängigkeit vom schwankenden Marktangebot. Die Abhängigkeit von jahreszeitlichen Einflüssen blieb allerdings bestehen, und damit die Notwendigkeit, Vorräte anzulegen. Trockene Lebensmittel wie Getreide, Hülsenfrüchte und Nüsse waren in dieser Hinsicht unproblematisch, man musste sie nur gegen Schädlinge und vor Feuchtigkeit schützen. Kräuter, Obst und Gemüse, sogar Fisch und Fleisch, konnte man ebenfalls trocknen, wenn auch unter erheblicher Qualitätseinbuße. Bei Fleisch war die Methode des Einsalzens und anschließenden Räucherns gebräuchlicher, eine weitere war die des Einlegens in Salzlake, also die Zubereitung als Pökelfleisch, wie es ein Rezept aus der Mitte des 16. Jahrhunderts anschaulich beschreibt:
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Schweinen flaisch frisch und new zu behalten So man Säw schlacht / soll man den Pachen (Eber) / so er nun beschnitten ist / in ein küls ort auch den tisch / auff schnee legen / und see schnee darauff / ein spann hoch / laß jhn also ligen / biß er härt und kirnig (körnig) wirdt / etwan uber nacht / darnach du darvon geschnitten hast / und des dicksten zu schönen / viereckten schretteln (Stücken) anderhalben spann lang geschnitten / und in ein lärchen kübel gelegt / und wol gesaltzen / demnach geschwert mit einem schönen bletlin (Brett) mit stain ligen lassen / biß in die erst wochen / darnach ein brunnwasser in einer Molten (Gefäß) saltz darein / und mit einem schönen newen Besem durch einander geschlage / biß gantz zäch wirdt / die Suppen daran gegossen / das zwen finger darüber geht / Darnach allweg wider abgeschwert / als offt man mit einem messer ein zenterling (Stück) heraus nimpt / das überlüd (Deckel) soll ein handhab (Griff) haben / wirt sonst milbig. Deutlich wird in dieser Arbeitsanweisung durch die Verwendung von Schnee als Kühlmittel, dass die Schlachtung vorzugsweise in der kalten Jahreszeit stattfand. Das Fleisch wurde im Stück oder als Wurst verarbeitet. In den Wurstdarm fanden allerdings auch andere Bestandteile als Fleisch, etwa Fisch, Quark, Rosinen und diverse Gewürze, ihren Weg. Die Bereitung von Sülze ist ebenfalls seit dem Mittelalter bekannt. Gemüse konnte durch Milchsäuregärung, zum Beispiel als Sauerkraut oder als eingelegte Bohnen, haltbar gemacht werden. Milch war
in Form von Sauermilchprodukten wie Quark oder Käse begrenzt haltbar, Eier legte man in Kalkmilch ein. Bei dem Domherrn Heinrich Brümmer sind Ende Februar 1651 insbesondere die Fleischvorräte ziemlich reichhaltig. Er war offenbar vermögend genug, sich reich bemessene Vorräte bis zum nächsten Winter anlegen zu können. In seinem Nachlass fanden sich an Fleischvorräten (alle geräuchert, bis auf das Pökelfleisch): 1 Speckseite 8 Speckseiten mit Schinken 11 Gänsehälften 13 Stück Rindfleisch 8 Stück Schaffleisch (Rippe) 4 Schweinekopfhälften 30–40 Würste (Mett- und Garwürste) 12 Stück Schweinefleisch 1 Fass Pökelfleisch An sonstigen Lebensmittelvorräten waren vorhanden: 1 Fass Sauerkohl Getreide: 12 Scheffel Weizen 40 Scheffel Roggen 69 Scheffel Gerste 26 Scheffel Hafer (für Pferde und Hühner) 4 Scheffel Bohnen 7 Scheffel weiße Erbsen 1 Kiste mit etwas Mehl 1 Tonne halbvoll Salz
Speisen und ihre Zubereitung
Die grundsätzliche Unterscheidung der Nahrung in Fastenspeisen und Speisen für normale Tage ist wichtig für das Verständnis der Nahrungszubereitung. In der Fastenzeit und an den übrigen Fastentagen, die sich regional auf bis zu 200 Tage im Jahr summieren konnten, durften ursprünglich weder Fleisch von warmblütigen Tieren noch deren Produkte wie Eier, Milch, Käse
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oder Butter gegessen werden. Als Eiweißlieferant für die menschliche Ernährung traten Fisch und anderes Wassergetier an deren Stelle, auch Biber und Otter zählten als Wasserbewohner dazu. Im Mittelmeerraum war die Fastenregel leicht einzuhalten, da anstatt der tierischen Fette pflanzliche Öle, zum Beispiel Olivenöl, zur Verfügung standen. In unseren Breiten konnte die strikte Einhaltung dieser Regel zu einer Mangelernährung führen, da nur wenige sich importiertes Olivenöl oder teures Nussöl leisten konnten. Lein- und Rübsamenöl heimischer Produktion waren schlecht bekömmlich und wenig wohlschmeckend. Erst Papst Julius III (reg. 1550–1555) lockerte das strenge Fastengebot bezüglich Produkten tierischer Herkunft. An normalen Tagen waren alle Speisen erlaubt. Das Fleisch jeglicher Tiere, die man jagen, fangen oder züchten konnte, wurde verarbeitet, beispielsweise auch Singvögel, Eichhörnchen oder Frösche. In Kochbüchern des 16./17. Jahrhunderts werden ungefähr 150 Tierarten erwähnt, die in der Küche Verwendung fanden. Zur Illustration sei hier das Rezept für verschiedene Arten der Zubereitung von Lerchen angeführt:
Die geschlachteten Tiere wurden nahezu restlos verwertet, Nahrung war so kostbar, dass möglichst nichts weggeworfen oder verschwendet wurde. Selbst Föten von Hasen, Schafen oder Rindern wurden gegessen, ebenso wie Hühnerfüße, Augen, Hoden oder Eingeweide. Allerdings aß man Gemüse und Fleisch nicht immer in seiner natürlichen Form. Die Zutaten wurden vielmehr zu Mus zerkleinert, gekocht oder roh mit Mehl, Eiern und Gewürzen wieder zusammengefügt und zu Pasteten und kunstvollen Gebilden gestaltet. Vielfach briet man die Teigmasse am Spieß oder auf dem Rost, vergleichbar unseren heutigen Frikadellen oder dem türkischen Dönerspieß. Das vorherige Zerkleinern der Zutaten hatte den großen Vorteil, dass man beim Essen ohne Messer auskam und Leute mit schlechten oder gar keinen Zähnen (dazu siehe unten) ebenfalls problemlos ihre Nahrung zu sich nehmen konnten. Ein weiterer Vorteil bestand darin, an Fastentagen Fleischspeisen nachahmen zu können, indem man sich bemühte, Geschmack und Form des ursprünglichen Fleischgerichtes mit Hilfe „erlaubter“ Zutaten zu imitieren. Ein gutes Beispiel dafür ist der „Falsche Rehbraten“ nach einem Rezept des 15. Jahrhunderts:
Lerchenbraten Daß mans brät fein im Safft / oder daß mans zum eynmachen nimpt (sauer in Essig) / es sey gelb (mit Safran) / weiß (mit Mandeln) / schwartz (mit Blut und Pfeffer) / oder mit einer Hennenbrüh / fein lauter mit Pettersilgen Wurtzel / oder ein Gestossens darauß gemacht (Pastete) / denn die Lerchen haben eine besondere eygenschaft / daß sie Krancken nicht schäuwlich (schädlich) seind / und koch sie wie du wilt / so ist es ein gesundes Essen.
Holbraten ... oder genannt ein rechbraten in der Fasten: – Feigen und Weinbeeren werden in Wein gekocht und klein gehackt, dann mit Salz und Mehl vermengt. – Netz die hende in einem teigwasser, schlag die feigen vmb den spiess als ein holbraten mit nassen henden vnd truck in wol an. lege yen zu dem feuer. So er nun gebraten ist. so schneid in nach der leng auff an beiden Seiten am spiess. mache hübsche stuck darauss vnd bestecke sie mit mandelkern. vergult oder verferbt vnd gib es dar.
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In unserem heutigen „Falschen Hasen“ kann man noch Parallelen dieser Zubereitungsart erkennen, auch wenn dieser zumindest in Teilen aus Hackfleisch bestehen sollte. In diesem Rezept werden weitere Besonderheiten der Küche jener Zeit deutlich. Auch zu herzhaften Gerichten wurden viele Zutaten verwendet, die wir heute eher in Süßspeisen verarbeiten, wie Rosinen, Nüsse, Mandeln, Rosenöl oder Feigen. Feigen wurden aus Südeuropa eingeführt und waren auch bei uns in Hildesheim am Domhof offenbar recht gebräuchlich, wie die Funde von Feigenkernen aus Bodenproben der Ausgrabung an der Bernwardsmauer zeigen. Die Gerichte wurden teilweise äußerst farbenfroh eingefärbt oder sogar vergoldet (im Rezept: „... vergult oder verferbt ...“), wie wir es heute eigentlich nur bei Süßspeisen kennen (Zuckerguss, Wackelpudding usw.). In ähnlicher Weise ging man mit Gewürzen um. Es war üblich, bei Festmählern möglichst viele und möglichst seltene, also teure, Gewürze zu verbrauchen. Das begann bei den einheimischen Kräutern und Gewürzen wie Dill oder Petersilie, die im Garten gezogen und in Wald und Feld gesammelt wurden, über Salz bis hin zu dem teuer importierten Pfeffer, zu Ingwer, Moschus, Safran, Lorbeer, Senf, Kardamom, Muskatnuss usw. Kardamom wurde ebenfalls in den Bodenproben aus der Grabung entdeckt. Einen einzigen weiteren in die Zeit vor 1650 datierten Fund aus Niedersachsen hat es in Braunschweig gegeben. Für das starke Würzen gibt es mehrere Erklärungen. Ein Gastgeber konnte auf diese Weise dokumentieren, dass er seinen Gästen nur das Beste (= Teuerste) vorsetzen ließ und sich das auch leisten konnte. Daneben wurde auf diese Weise ein eventuell vorhandener unangenehmer Geschmack oder Geruch durch
qualitativ nicht so hochwertige Zutaten überdeckt. Vielleicht hatten die exotischen Gewürze auf ihrem langen Weg nach Europa auch einiges an ihrer ursprünglichen Intensität eingebüßt und besaßen nicht mehr ihr volles Würzaroma. Unbestritten ist, dass durch scharfe Gewürze die oft sehr fetten Speisen besser verdaulich wurden. Die Bandbreite an Gewürzen in einem einzigen Gericht mag folgendes Rezept verdeutlichen: Einen Hecht sewerlich zu sieden Wiltu einen Hecht hübsch sewerlich machen oder haben / so schüpe den Hecht rein / wie oben geschrieben stehet / und nim darauff Essig und geringe Bier / oder einen guten Wein / wie du jhn am besten haben wilt / und Pfefferkuche / mache drauff ein hübsch braun soth / von Kirschen oder Welschen Nüssen / und würtze das mit Nelcken / Pfeffer / Ingber / Muscatenblüten / Cinamey / und mache ihm einen hübschen lieblichem schmack / süsse oder sawer / wie es dir am besten gefelt / koste es zu rechter massen / richts an / und gibs hin. Wiltu / so magstu kleine Rosincken darein schütten. ... Als Beilagen wurden Gemüse, zum Beispiel Möhren, Kohl (frisch oder als Sauerkraut), Erbsen und Linsen usw. gereicht. Der Sättigung dienten eine große Variationsbreite von Teigwaren und Nudelzubereitungen und natürlich Brot und Getreidebrei. Kartoffeln waren zwar schon bekannt, wurden für den menschlichen Genuss aber erst im 18./19. Jahrhundert allgemein akzeptiert. Für den Nachtisch bot die Küche eine Vielzahl von Süßspeisen, Backwerk und Zuckerzeug. Ähnlich wie die Pasteten gestaltete man diese
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gelegentlich optisch sehr aufwendig in Form und Farbe. So reichlich wie sonst Gewürze verwendet wurden, ging man hier mit Zucker und Honig um. Zuckerzeug bestand, wie der Name schon sagt, fast ausschließlich aus Zucker. Den Vorläufer unseres heutigen „Lolly“ verfertigte man, indem man Zucker an Holzstäbchen oder vorgefertigten Motivrahmen auskristallisieren ließ. Auf diese Weise verfertigten die Konditoren glitzernde Ringe, Herzen oder jede erdenkliche andere Form aus Zucker. Dazu gab es Zuckerguss in allen Variationen und Farben. Anderes Konfekt bestand aus Honig mit Mandeln und Nüssen oder aus mit Honig getränktem Backwerk. Eine weitere, umfangreiche Palette boten süße Breie und Muse, die in allen denkbaren Varietäten meist unter üppiger Verwendung von Mandeln hergestellt wurden. Mandeln verwendete man auch weiterverarbeitet zu Marzipan, wie das folgende Rezept einer Marzipantorte zeigt:
Ayn echt römisch Speis vonn Ayern Nimm hierzu Gelb von Ayern, etwas blüthen wasser von Pommeranzen, nebst ein wenig Salz, thu ein wenig raffinirte Butter auf den Boden ayner Tortenpfann, schütt die hälften Ayer dareine, lässet sie sieden, indem nur ein gelindes feuer darunter machest. Wenn nun gesiedet sind, so thu wie auf einem Pastetenboden Martzepan und trocken eingemachet Citronschal, hack sie wohl zusamm, schütt die andern hölften von den ayern darüber, deck die tortenpfann mit dazugehörigen Deckel zu, thu Feuer darunter, und auch darüber, aber mehr oben als drunten – damit die Ayer recht sieden. 284
Wenn sie beinahe gahr geworden sind, so heb den Deckel der tortenpfann auf, thu noch etwas, wie vorher geschach, Martzepan darauff. Nun giebt mann denselben wie zuvor Feuer, und wenn sie gahr sind, so richtet mann auff einer Schüssel ann, und wie eine torte, bestreuet selbige mit Zimmet und feinen Zucker, und giebet sie gantz warm zu tische. An süßem Backwerk gab es Keks-Ähnliches und Kringel, außerdem viel Schmalzgebackenes wie Krapfen und die „Nonnenfürzchen“, in Schmalz ausgebackene Brandteigstückchen. Aus einem dünnflüssigen, hauptsächlich aus Eiern bestehenden Teig wurde Gebäck nach Art von Pfannkuchen und Baumkuchen hergestellt. Außerdem wurde als Nachspeise Obst, darunter auch Südfrüchte, gereicht. Das Vorhandensein von Apfel-, Birnen- und Kirschkernen in den Bodenproben von der Bernwardsmauer zeigt, dass auf jeden Fall heimisches Obst verzehrt wurde. Eine große Rolle spielten nach wie vor Wildfrüchte wie Nüsse, Himbeeren, Erdbeeren usw. Diese Art der Ernährung hatte natürlich Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen, vor allem auf die Zähne. So findet sich an den Zähnen von Personen, die im 17. und 18. Jahrhundert in der St. Michaeliskirche bestattet worden sind, ein massiver Befall von Karies. An einigen Skeletten, die bei den archäologischen Untersuchungen im Frühjahr 2006 entdeckt wurden, waren die Zähne bis in die Wurzeln hinein zerfressen und selbst der Kieferknochen war mitunter angegriffen. Diese Menschen müssen unter unsäglichen Zahnschmerzen gelitten haben und könnten möglicherweise sogar an einer Blutvergiftung als Folgeerkrankung gestorben sein.
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Bei den überlieferten Rezepten handelt es sich nur ganz selten um Alltagskost. Fleisch war, wie bereits erwähnt, ein sehr teures Lebensmittel und kam nur bei vermögenden Leuten mehr als einmal in der Woche auf den Tisch. Normalerweise blieb Fleisch bis vor 50 Jahren eine Festtagsspeise, die sich die ärmere Bevölkerung gar nicht oder nur selten leisten konnte. Brot und Getreidebrei aus Roggen, Gerste und Hafer war deren Hauptnahrungsmittel, höchstens angereichert mit etwas Kohl, Zwiebeln, Rüben oder sonstigem heimischen Gemüse und vielleicht etwas Schmalz oder einem Stück Speck. Die Zusammensetzung dieser einfachen Gerichte ist nicht in Rezeptsammlungen überliefert, da sie nicht für erwähnenswert gehalten wurden. Die Zubereitung war unkompliziert und sicherlich allgemein bekannt. Die alten Kochbücher sind überwiegend in Klöstern und herrschaftlichen Häusern entstanden, wo die Küchenmeister des Lesens und Schreibens kundig waren und zur eigenen Gedächtnisstütze und für ihre Gehilfen außergewöhnliche Speisen und Rezepte aufschrieben und sammelten. Der Garvorgang der Gerichte erfolgte grundsätzlich am offenen Herd, der mehr einem Kamin entspricht als einem Herd nach heutigem Verständnis. Von einem Kamin zum Heizen unterschied sich dieser durch die ca. 50 cm hohe Plattform, auf der das offene Herdfeuer brannte. Die Speisen wurden auf dem Bratrost und am Bratspieß gebraten und in Metall- oder Keramikgefäßen gekocht. Die hohe Kunst des Kochens bestand darin, für die einzelnen Gerichte den richtigen Topf zu wählen und dessen Position zum Herdfeuer optimal zu bestimmen. In Metallgefäßen wurde das Kochgut sehr schnell heiß, aber die Gefahr des Anbrennens war groß. Sie eig-
neten sich deshalb eher für dünnflüssige Suppen und sehr fette Speisen. Keramiktöpfe boten sich dagegen für eingedickte Flüssigkeiten und Breispeisen an, die an einer nicht zu heißen Stelle am Feuer unter gelegentlichem Umrühren langsam gar köcheln konnten. Für die Bereitung saurer Speisen verwendete man ebenfalls bevorzugt Keramikgefäße, da beim Kochen in Metallgefäßen die durch die Säuren gelösten Metallsalze eine geschmackliche und unter Umständen auch gesundheitliche Beeinträchtigung auslösen konnten. Kleingebäck, Pasteten und Weißbrot buk man in Keramiktöpfen mit Deckel, die man in die Glut stellte und mit Glut abdeckte, um eine Oberhitze zu erzeugen (siehe das Rezept: „Ayn echt römisch Speis von Ayern“). Der „Gugelhupf“ und das süddeutsche „Kachelbrot“ sind Nachkommen dieser Art des Backens.
Ölbild „Ein ungleiches Paar“ mit dem Interieur einer Schenke (18. Jh., Maler unbekannt).
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Getränke Wasser ist zwar das älteste aller Getränke, es wurde aber nur getrunken, wenn wirklich nichts anderes zur Verfügung stand. Der Grund hierfür ist die oft sehr schlechte Wasserqualität, die die Brunnen, insbesondere in den Städten, lieferten. Brunnen müssen oft und aufwendig gereinigt werden, um gutes Wasser zu liefern. Die Latrine stand auch meist nicht weit entfernt davon, so dass das Wasser, wenn nicht ungesund, so doch zumindest muffig war und schlecht schmeckte. Das gleiche gilt für die sowohl als Wasserquelle wie auch als Kloaken genutzten Flüsse und Bäche. Man versuchte daher durch die Zugabe von Gewürzen, Fruchtsaft, Branntwein, Zucker oder Honig und durch Koch- oder Gärvorgänge diese Beeinträchtigung auszugleichen.
Ölbild mit dem Portrait des Gastwirts Reuter, Inhaber der Domschenke zu Hildesheim (Mitte 18. Jh.).
Ein beliebtes Getränk war Dünnbier, welches auf dem Lande noch bis ins 20. Jahrhundert hinein auf manchen Höfen bereitet wurde. Dazu brockte man Schwarzbrot in warmes Wasser und ließ es ein paar Tage gären, das Ergebnis war ein säuerlich schmeckendes, durstlöschendes Getränk. Durch den Gärvorgang wurden gesundheitsschädliche Erreger abgetötet. Vorläufer unserer heutigen Biere gab es bereits, sie wurden in einer Vielzahl 286
von Brauereien hergestellt. Das bekannte Einbecker Bockbier und Broyanbier aus Hannover gibt es auch schon im 16. Jahrhundert. So finden sich im Bierkeller von Heinrich Brümmer neben drei Fässern Lagerbier (helles, obergäriges Bier) eine „tonne breuhan“ (dunkles, untergäriges Bier). Wein war ein ausgesprochenes Luxusgetränk. Die Weinrebe liefert unserer Gegend nur wenig und sehr sauren Wein, der erst durch Süßen und Beimengung von Gewürzen genießbar wurde. Importierten Wein, unter anderem gehaltvollen Südwein aus dem Mittelmeerraum, konnten sich deshalb nur vermögende Leute leisten. Mineralwasser wurde ebenfalls schon im 17. Jahrhundert getrunken. Es sprudelte allerdings nicht, sondern wurde als stilles Wasser in Flaschen aus Steinzeug aus dem Ort Selters im Westerwald überall hin exportiert. Unter den Funden von der Grabung an der Bernwardsmauer fand sich eine Vielzahl dieser Flaschen, deren Inhalt aber nicht wie heute als Durstlöscher getrunken wurde, sondern als Heilmittel diente.
Mineralwasserflasche aus Selters mit Aufschrift „Herzogtum Nassau“ (Westerwälder Steinzeug). (Fund des 18. Jahrhunderts aus der Ausgrabung an der Bernwardsmauer in Hildesheim 1986/87)
Esskultur in Hildesheim
Im Sommer 2007 bei Erdarbeiten entdeckter Keller in St. Godehard
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Marktkalender für alle Monate des Jahres Januar
Februar
Wild:
Wild:
Hase, Rehbock, Hirsch, Damhirsch, Renntier, Gemse, Wildschwein.
Geflügel:
Altes Huhn, Kapaun, Poularde, Puter, junge Taube, Gans, Ente, Fasan, Rebhuhn, Haselhuhn, Schneehuhn, Auer- und Birkwild.
Rehbock, Hirsch, Damhirsch, Renntier.
Geflügel:
Altes Huhn, Kapaun, Poularde, Puter, junge Taube, Rebhuhn, Haselhuhn, Schneehuhn, Auer- und Birkwild, Fasan, Schnepfe, Wildente, Kramtsvogel.
Fische und Schaltiere:
Fische und Schaltiere:
Gemüse:
Gemüse:
Obst:
Obst:
Aal, Karpfen, Blei, Lachs oder Salm, Hecht, Zander, Schlei, Barbe, Karausche, Dorsch, Schellfisch, Seezunge, Steinbutt, Scholle, Stockfisch, Austern, Kaviar, marinierte und geräucherte Fische.
Artischocken und Kardy [Urpflanze der Artischocke], Blumenkohl, Rotkohl, Grünkohl, Weiß- und Wirsingkohl, Sauerkraut, Mohrrüben, Steck- oder Kohlrüben, Teltower Rübchen, Schwarzwurzeln, Pastinaken und Sellerie, Hülsenfrüchte. Äpfel und Birnen, Apfelsinen, Ananas, getrocknete Datteln und Feigen, Walnüsse, Haselnüsse, Mandeln, Paranüsse.
Aal, Karpfen, Karausche, Blei, Lachs oder Salm. Schlei, Zander, Barbe, Dorsch, Schellfisch, Seezunge, Steinbutt, Scholle, Kabeljau, Stockfisch, Austern, Kaviar, marinierte und geräucherte Fische. Artischocken und Kardy, Blumenkohl und Spinat, Brunnenkresse, Rot- und Grünkohl, Weiß- und Wirsingkohl, Sauerkraut, Karotten, Steck- oder Kohlrüben, Teltower Rübchen, Pastinaken und Sellerie, Schwarzwurzeln, Hülsenfrüchte. Äpfel und Birnen, Ananas, Apfelsinen, Datteln und Feigen, Walnüsse, Haselnüsse, Paranüsse, Mandeln.
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Marktkalender für alle Monate des Jahres März
April
Wild:
Wild: – Geflügel:
Renntier.
Geflügel:
Huhn, Poularde, Kapaun, Puter, junge Taube, Wildente, Schnepfe, Auer- und Birkwild, Kiebitzeier.
Fische und Schaltiere:
Barsch, Karpfen, Karausche, Lachs, Schlei, Dorsch, Kabeljau, Schellfisch, Seezunge, Butte, Scholle, grüne Heringe.
Gemüse:
Artischocken und Kardy, Blumenkohl, Sauerkraut, Karotten, Pastinaken, Meerrettich, rote Rüben, Schwarzwurzeln, Steckrüben, Teltower Rübchen, Spinat, Rapünzchen, Sprossenkohl, Morcheln, Radieschen, Sauerampfer, Hülsenfrüchte.
Obst:
Ananas, Äpfel und Birnen, Apfelsinen, Datteln und Feigen, Walnüsse, Haselnüsse, Paranüsse, Mandeln.
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Auer- und Birkwild, Schnepfe, Huhn, Poularde, Puter, Taube, Kiebitzeier, Möweneier.
Fische und Schaltiere:
Aal, Lachs, Forelle, Schlei, Dorsch, Schellfisch, Kabeljau, Seezunge, Butte, Scholle, Austern, Kaviar, Schnecken, Garnelen, Hummer, Languste.
Gemüse:
Blumenkohl, Hopfenkeimchen, Brunnenkresse, frische Petersilie, Gewürzkräuter, Rapünzchen, Rhabarber, Spinat, Sauerampfer, Spargel, Sprossenkohl, Morcheln, Radieschen, Salat.
Obst:
Apfelsinen.
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Marktkalender für alle Monate des Jahres Mai
Juni
Wild:
Wild:
Geflügel:
Geflügel:
Fische und Schaltiere:
Fische und Schaltiere:
Frischling, Rehbock. Auer- und Birkwild, Huhn, Poularde, Taube, Kiebitzeier, Möweneier. Aal, Forelle, Neunauge, Dorsch, Schellfisch, Kabeljau, Seezunge, Butte, Scholle, Matjeshering, geräucherter Lachs, Schnecken, Garnelen, Hummer, Languste.
Gemüse:
Blumenkohl, Spinat, Kohlrabi, Hopfenkeimchen, Brunnenkresse, frische Petersilie, Gewürzkräuter, Sauerampfer, Spargel, Sprossenkohl, Morcheln, Radieschen, Salat, Rhabarber.
Obst:
Frischling, Rehbock. Huhn, Poularde, junge Ente, junge Gans, Taube, Kücken. Aal, Aalraupe, Forelle, Seezunge, Butte, Scholle, Matjeshering, Hummer, Languste, Krebse, Garnelen, Schnecken.
Gemüse:
Blumenkohl, Kohlrabi, Sprossenkohl, Spinat, Spargel, junge Erbsen, junge Bohnen, Kopfsalat, frische Petersilie, Schnittlauch, Sauerampfer, Radieschen, Rhabarber.
Obst:
Erdbeeren, Kirschen, unreife Stachelbeeren, Aprikosen.
Apfelsinen, Kirschen, unreife Stachelbeeren.
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Marktkalender für alle Monate des Jahres Juli
August
Wild:
Wild:
Rehbock, Hirsch, Wildschwein.
Geflügel:
Huhn, Poularde, Kapaun, junger Puter, junge Ente, junge Gans, Taube, Kücken, Fasan, Wildente.
Hirsch, Rehbock, Wildschwein, Damhirsch, Hase, Kaninchen.
Geflügel:
Huhn, Poularde, Kapaun, Taube, junger Puter, junge Ente, junge Gans, Wildente.
Fische und Schaltiere:
Fische und Schaltiere:
Gemüse:
Gemüse:
Obst:
Obst:
Aal, Aalraupe, Forelle, Barbe, Barsch, Karpfen, Zander, Lachs, Seezunge, Butte, Scholle, Matjeshering, Hummer, Languste, Krebse, Garnelen. Artischocken, Blumenkohl, Kohlrabi, grüne Erbsen, grüne Bohnen, Puffbohnen, Karotten, neue Kartoffeln, Gurken, Melonen, Pilze, Kopfsalat, Endivien, Radieschen, Rettiche. Erdbeeren, Himbeeren, Heidelbeeren, Kirschen, Stachelbeeren, Johannisbeeren, Aprikosen, Pfirsiche, Tomaten.
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Aal, Aalraupe, Forelle, Barsch, Karausche, Zander, Lachs, Hecht, Matjeshering, Seezunge, Butte, Scholle, Hummer, Languste, Krebse, Garnelen. Artischocken, Blumenkohl, Kohlrabi, grüne Erbsen, grüne Bohnen, Karotten, Wirsingkohl, neue Kartoffeln, Gurken, Melonen, Pilze, Maiskolben, Kopfsalat, Endivien, Radieschen, Rettiche, rote Rüben. Himbeeren, Heidelbeeren, Preißelbeeren, Johannisbeeren, Stachelbeeren, Kirschen, Birnen, Pflaumen, Tomaten, Aprikosen, Pfirsiche.
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Marktkalender für alle Monate des Jahres September
Oktober
Wild:
Wild:
Geflügel:
Geflügel:
Hirsch, Rehbock, Wildschwein, Damhirsch, Hase, Kaninchen. Huhn, Poularde, Kapaun, Taube, junger Puter, junge Ente, junge Gans, Fasan, Wildente, Auer- und Birkwild, Rebhuhn, Schnepfe.
Fische und Schaltiere:
Aal, Forelle, Barsch, Karpfen, Zander, Lachs, Hecht, Schlei, Seezunge, Butte, Scholle, Hummer, Languste, Krebse, Garnelen.
Gemüse:
Artischocken, Blumenkohl, Kohlrabi, grüne Bohnen, Karotten, Wirsingkohl, Weißkohl, Rotkohl, Gurken, Melonen, Kürbis, Pilze, Maiskolben, Kopfsalat, Endivien, Radieschen, Rettiche, rote Rüben.
Obst:
Heidelbeeren, Preißelbeeren, Aprikosen, Pfirsiche, Tomaten, Birnen, Pflaumen, Frühäpfel, Weintrauben.
Hirsch, Rehbock, Wildschwein, Damhirsch, Hase, Kaninchen. Junges Hähnchen, Kapaun, Taube, Puter, Ente, Gans, Fasan, Wildente, Auer- und Birkwild, Rebhuhn, Schnepfe, Kramtsvogel.
Fische und Schaltiere:
Karausche, Karpfen, Lachs, Hecht, Zander, Schlei, Schellfisch, Seezunge, Butte, Scholle, Hummer, Languste, Austern, Kaviar.
Gemüse:
Artischocken, Blumenkohl, Wirsingkohl, Weißkohl, Rotkohl, Karotten, Schwarzwurzeln, Teltower Rübchen, rote Rüben, Steckrüben, Spinat, Melonen, Kürbis, Sellerie, Endivien, Rapünzchen, Trüffeln, Hülsenfrüchte.
Obst:
Pflaumen, Birnen, Äpfel, Quitten, Preißelbeeren, Weintrauben, Ananas, Tomaten, Feigen, Datteln, Maronen, Haselnüsse,
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Marktkalender für alle Monate des Jahres November
Dezember
Wild:
Wild:
Geflügel:
Geflügel:
Fische und Schaltiere:
Fische und Schaltiere:
Gemüse:
Gemüse:
Hase, Rehbock, Hirsch, Damhirsch, Wildschwein, Kaninchen. Huhn, Kapaun, Taube, Puter, Ente, Gans, Fasan, Auer- und Birkwild, Rebhuhn, Schnepfe, Kramtsvogel, Wildente. Barbe, Barsch, Karausche, Karpfen, Schlei, Zander, Schellfisch, Dorsch, Kabeljau, Seezunge, Butte, Scholle, grüner Hering, Austern, Kaviar. Artischocken, Blumenkohl, Wirsingkohl, Weißkohl, Rotkohl, Grünkohl, Karotten, Schwarzwurzeln, Teltower Rübchen, rote Rüben, Steckrüben, Melonen, Kürbis, Sellerie, Endivien, Rapünzchen, Trüffeln, Hülsenfrüchte.
Obst:
Birnen, Äpfel, Quitten, Preißelbeeren, Weintrauben, Ananas, Feigen, Datteln, Maronen, Haselnüsse, Walnüsse.
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Hase, Rehbock, Hirsch, Damhirsch, Wildschwein, Kaninchen. Huhn, Kapaun, Taube, Puter, Ente, Gans, Fasan, Auer- und Birkwild, Rebhuhn, Wildente. Barbe, Barsch, Karausche, Karpfen, Schlei, Zander, Schellfisch, Dorsch, Kabeljau, Seezunge, Butte, Scholle, grüner Hering, Austern, Kaviar. Artischocken, Blumenkohl, Wirsingkohl, Weißkohl, Rotkohl, Grünkohl, Karotten, Schwarzwurzeln, Teltower Rübchen, rote Rüben, Steckrüben, Sellerie, Endivien, Hülsenfrüchte.
Obst:
Birnen, Äpfel, Weintrauben, Ananas, Feigen, Datteln, Maronen, Haselnüsse, Walnüsse, Paranüsse.
Aus: Mathilde Erhardt, Großes illustriertes Kochbuch für den einfachen bürgerlichen und den feineren Tisch. Berlin 1904
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Esskultur in Hildesheim
Die jüdische Küche Wolf-Georg von Eickstedt Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Hildesheim Die Jüdische Gemeinde Hildesheim wurde am 25. Januar 1997 gegründet. Sie gehört nicht dem orthodoxen Judentum an. Eine wichtige Konsequenz daraus ist, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind, auch in der gottesdienstlichen Praxis. Damit knüpfen wir an die uralten jüdischen Traditionen an, die keinen Unterschied zwischen den Menschen machen. Obwohl die Gemeinde klein ist, gibt es ein reges Gemeindeleben mit Gottesdiensten, Feiern, Unterricht und vielem mehr. Auch am öffentlichen religiösen und kulturellen Leben Hildesheims nimmt die jüdische Gemeinde aktiv teil.
Die Menora erinnert an den großen goldenen Leuchter in Jerusalem. Der siebenarmige Leuchter ist eines der wichtigsten religiösen Symbole des Judentums überhaupt. Dies zeigt sich darin, dass sie bei der Staatsgründung Israels 1948 als offizielles Emblem in das Staatswappen aufgenommen wurde. Die Menora hat ihre Ursprünge vermutlich in Babylonien und soll die Erleuchtung symbolisieren.
Jahrzehntelang war die Existenz einer solchen Gemeinde undenkbar, nachdem während des Dritten Reiches die Juden vertrieben und ermordet worden waren. 1930 gab 296
es etwa 500 Juden in Hildesheim, 1990 fünf. Die Zuwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion änderte die Situation, so dass es auch in Hildesheim heute wieder eine kleine jüdische Gemeinschaft gibt. Sie versteht sich jedoch durchaus als Erbe der Tradition, die bis 1938 in Hildesheim bestand, auch wenn heute die Muttersprache der überwiegenden Mehrheit Russisch ist.
Thorarolle: Die Thora bezeichnet die dem Mose auf dem Berg Sinai übergebene Offenbarung Gottes und die fünf Bücher Mose (Pentateuch). Die ganzjährige, abschnittsweise Thoralesung bildet das Zentrum des religiösen Lebens im Judentum. Die Thora wird traditionell auf eine geschmückte Pergamentrolle (hier ist es Ziegenleder) von Hand geschrieben und in einem Schrein aufbewahrt. Thorazeiger: Der Thorazeiger (Jad) dient dem Vorleser zum Hinweisen auf die zu lesenden Texte, da das Heilige nicht mit der Hand berührt werden darf. Er gleicht in seiner Form einem Zepter, das als Verlängerung oder Verdoppelung eines königlichen Arms gesehen wird. Der meist silberne Zeiger endet oft in einer vornehmen Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger, an dem ein Ring oder Edelstein stecken kann. Der Thorazeiger, dessen Griff oft reich verziert ist, wird mit einer Kette an die Stäbe der Thorarolle oder an das Thoraschild gehängt.
Aber was ist das eigentlich, Judentum? Dazu sagt der amerikanische Rabbiner David Max Eichhorn: „Judentum ist eine sehr alte, aber nicht statische Religion. Juden werden nicht durch feste Dogmen oder ein festgelegtes
Esskultur in Hildesheim
Credo geleitet. Die biblischen Zehn Gebote werden von allen Juden als inspirierte Erklärung grundlegenden jüdischen Denkens angesehen. Viele Juden nehmen ebenfalls die dreizehn Prinzipien des Maimonides als Anleitung des Glaubens. Juden glauben: Gott ist einzig und ewig. Gott allein ist anzubeten. Gott lenkt durch Weisheit, Gerechtigkeit und Liebe. Gottes Willen enthüllt sich durch die Thora, die Natur und die menschliche Erfahrung. Israels Propheten und Weise haben der Menschheit als Deuter des Willens Gottes gedient. Der Mensch ist als Bild Gottes geschaffen. Das vorrangige Ziel des Menschen ist, Gottes Willen zu befolgen. Der Mensch ist im Leben und im Tod unter Gottes Obhut. Alle Menschen überall sind Geschwister. Das Wohlergehen jedes Einzelnen ist verknüpft mit dem Wohl aller. Jeder muss seinem Mitmenschen Unterstützung, Verständnis und Achtung entgegenbringen. Jeder muss den Aufbau einer menschlichen Gesellschaft unterstützen, die auf Wahrheit, Freiheit und Frieden gegründet ist. Diese Sätze sind kein Glaubensbekenntnis in irgendeinem Sinn. Es ist lediglich ein Versuch, einfach und präzise bestimmte religiöse Überzeugungen, die alle Juden teilen, zu benennen. Judentum ist im Wesentlichen eine Religion der Tat. Juden würden sagen: Taten sprechen lauter als Theorien. Die einzige Erklärung, die allgemein von allen religiösen Juden vorgetragen wird und die zum Slogan des Judentums überhaupt geworden ist, ist der biblische Vers: Höre, Israel, der Ewige unser Gott ist einzig!“
Der Thoramantel (Me’il) bedeckt mantelartig die Rolle. Außer dem eigentlichen Mantel besteht er für gewöhnlich aus einem Kopfstück mit zwei Löchern zum Durchstecken der Rollstäbe.
Der große deutsche Rabbiner der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Leo Baeck, hat gesagt: „Das Judentum ist eine Religion, die ihre Bewährung im Leben sucht und in der Verbindung des Lebens mit Gott ihre Antworten findet.“ In den Aussagen beider Weisen sind die wesentlichen Punkte genannt. Das Leben kommt zuerst. Es ist das eigentlich Heilige der Schöpfung. Leben zu erhalten und zu fördern ist die Kernaufgabe der Menschen. Die göttlichen Weisungen führen uns zu dieser Kernaufgabe und helfen uns, die Verbindung zum Bezug zu Gott finden. Ein wichtiger Bestandteil dieser beiden Punkte ist, im Leben rein oder unrein zu unterscheiden. Das betrifft unter anderem die Hygiene, die Kleidung und,
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Esskultur in Hildesheim
für Nichtjuden am auffälligsten, die Speisen. Die Kaschrut, die Speisegesetze, bestimmen hier, was rein (koscher) oder unrein (trefe) ist. Das beginnt damit, dass Fleisch nur dann koscher ist, wenn es von paarzehigen Wiederkäuern oder bestimmten Vögeln stammt und die Tiere auf eine bestimmte, besonders schonende Weise geschlachtet wurden. Fleisch- und Milchprodukte dürfen nicht im gleichen Essen zusammenkommen. Pflanzliche Nahrungsmittel und Fisch mit Schuppen und Flossen gelten als neutral, können also mit Fleisch oder Milch zusammen gegessen werden.
Die Haggada ist ein meist reich bebildertes Buch, das am Abend von Pessach, dem Fest der ungesäuerten Brote, beim Festmahl mit der Familie gemeinsam gelesen und gesungen wird. Das Buch beschreibt die Vorgänge, die man im Buch Exodus nachlesen kann, das Exil der Israeliten in Ägypten und den Auszug in die Freiheit. Die Erzählung des Pessachfestes erfuhr im Lauf der Zeit zahlreiche Zusätze und Ausschmückungen. Die häufig reich illuminierten und illustrierten Manuskripte der Haggada fanden weite Verbreitung als Handschriften und Drucke und sind für die Geschichte der jüdischen Kunst von größter Wichtigkeit. Eine berühmte Ausgabe ist die „Sarajevo-Haggada“ aus dem 14. Jahrhundert.
Zu Pessach, dem Passahfest, das an den in der Bibel beschriebenen Auszug aus Ägypten erinnert, gibt es noch weitere Regeln, die diese Erinnerung vertiefen. Unter dem Oberbegriff, Gesäuertes nicht zu essen, wird in dieser Zeit nichts gegessen, das vor der Zubereitung erst noch lange aufgehen, quellen 298
oder gären muss (eben mit Sauerteig oder Hefe). Also zum Beispiel normales Brot oder Bier. Statt Brot wird Mazzah, Mehrzahl Mazzot (oder Mazze) gegessen, aus ganz jungem, feinem Weizenmehl ganz kurz gebackenes hauchdünnes Brot. Übrigens: Alkohol ist im Judentum ausdrücklich erlaubt, auch an Pessach. Man sollte allerdings das rechte Maß halten. Die jüdische Küche ist also einerseits bestimmt durch die Kaschrut. Dazu gehört auch, dass man den Schabbat nicht durch Kochen bricht. Gerade im osteuropäischen Winter ist es wichtig, warm zu essen, besonders am Feiertag. So haben sich Suppen- und Eintopfgerichte entwickelt, die man sehr lange heiß halten kann, ohne dass Qualität und Geschmack leiden.
Kerzenständer zu Sabbat, Challamesser und Kidduschbecher. Der Sabbat ist der siebte Tag der Woche und der Schöpfung, gleichzeitig auch ein Ruhetag zur Erinnerung an das Ruhen Gottes nach der Erschaffung der Welt und an den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten. Er beginnt Freitagabend traditionell zu Hause mit dem Anzünden der Kerzen. Nach dem Besuch des Gottesdienstes in der Synagoge findet er zu Hause seine Fortsetzung. Dort ist der Tisch gedeckt, zwei Laibe Brot (Challa) liegen bereit. Das Familienoberhaupt liest den Bibeltext mit einer Lobpreisung der Hausfrau und spricht den Segen über die Kinder, es folgen der Kiddusch, d. h. der Segen über den Wein, und nach dem Händewaschen der Segen über das Brot.
Esskultur in Hildesheim
Zwei typische Gerichte hierfür präsentieren wir: Mazzeklößesuppe und Tscholent. Andererseits gibt es eine riesige Vielfalt, da Juden in vielen verschiedenen Ländern der Erde seit Jahrhunderten zu Hause sind. So ist gerade die israelische Küche eine der vielfältigsten der Welt, weil sich die ganze Kultur Israels aus den Kulturen der Ursprungsländer entwickelt hat, aus denen die jüdischen Einwanderer seit dem 19. Jahrhundert gekommen sind. Aber auch die Produkte des Landes haben diese Entwicklung beeinflusst. Die Avocado, die ursprünglich aus Südamerika stammt, wird in Israel in hoher Qualität angebaut und hat sich zu einem wichtigen Bestandteil der Küche entwickelt. Man verwendet sie zum Beispiel als pikante Crème, Salat oder Suppe. Unsere Rezepte, die wir hier vorstellen, repräsentieren die Kultur der europäisch-jüdischen Küche, die ihre Wurzeln hauptsächlich in Osteuropa hat.
Nun einige Rezepte:
Meerrettich oder Chen (mit hartem ch wie im deutschen Wort „ach“) ist eine beliebte Zutat zu Fleisch oder Fisch. Einen besonders guten Meerrettich bereitet Larissa Farber zu, die Zweite Vorsitzende der Gemeinde.
Meerrettich oder Chen
Achtung: Scharf! Frischer Meerrettich brennt wie Chili. Bei der Zubereitung Gummihandschuhe tragen! Man benötigt: 400 g Meerrettichknollen, 2 mittelgroße Rote Bete, 100 ml Essig, 1 Teelöffel Salz, 4 Esslöffel Zucker, etwas Wasser. Die geschälten Meerrettiche und Roten Bete raspeln, in eine Schüssel mit Deckel füllen, mit Essig, Salz, Zucker und Wasser anmachen, gründlich vermischen, zudecken und etwas ziehen lassen. In ein Glas mit Schraubverschluss füllen. Mit dem Schraubverschluss verschließen und im Kühlschrank aufbewahren.
Eines der berühmtesten jüdischen Gerichte ist Gefillte Fisch. Unser Vorstandsmitglied Sascha Itskov, selbst Koch von Beruf, bereitet ihn nach dem Rezept seiner Großmutter zu. Saschas Gefillte Fisch ist unvergleichlich!
Gefillte Fisch Oma verwendete zu einem 1 kg schweren Karpfen 2 Eier, 120 ml kaltes Wasser, 2–3 Esslöffel Mazzemehl, 1–3 Esslöffel Zucker, 2–3 Zwiebeln, 3 Möhren, Salz, Pfeffer und Fischbrühe. Ein Karpfen wird geputzt, ausgenommen und der Kopf ganz oder teilweise abgetrennt (bis zu den Wirbeln). Dann müssen die großen Gräten vom Bauch her nahe an den Wirbeln vorsichtig durchgeschnitten werden, ohne dass die Haut verletzt wird. Nun wird das Fleisch aus der Haut gelöst und sorgfältig von allen Gräten befreit. Anschließend wird es durch den Fleischwolf gedreht und mit Zwiebeln, Mazzemehl, Eiern und Gewürzen vermengt. Mit dieser Masse wird die Fischhaut wieder gefüllt und dann verschlossen. Nun wird der Gefillte Fisch mit in Scheiben geschnittenen Möhren in einem vorbereiteten Fond aus Wasser und Wurzelwerk pochiert. Der fertige Fisch wird mit dem reduzierten und gesiebten Fond übergossen, der schnell geliert.
(Von links) Larissa Farber, Wolf-Georg von Eickstedt, Channah von Eickstedt
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Esskultur in Hildesheim
Eine Spezialität von mir, der ich selbst ein leidenschaftlicher Hobbykoch bin, ist Suppe mit Mazzeklößen.
Suppe mit Mazzeklößen Meine Mazzeklößesuppe kann man je nach Anlass als Vorspeise oder auch als Hauptgericht servieren. Wenn sie als Hauptgericht konzipiert wird, sollte man auf jeden Fall ausreichend Suppengemüse hinzufügen. Das geht natürlich auch bei der Planung als Vorspeise. Die Suppenbasis ist eine Brühe. Ich bevorzuge eine Gemüsebrühe, andere ziehen eine Hühner- oder eine Rinderbrühe vor. Für die Klöße benötigt man: 3 Eier, 1 Esslöffel Olivenöl (wer das nicht mag, nimmt anderes Fett nach Geschmack), 150 ml kohlensäurehaltiges(!) Wasser (macht die Klöße lockerer), 125 g Mazzemehl, 1 feingehackte Zwiebel, 1/2 Teelöffel Salz, etwas frisch gemahlener Pfeffer und etwas frisch geriebene Muskatnuss. Die Eier aufschlagen und trennen. Das Eiweiß steif schlagen. Eigelb, Wasser, Mazzemehl verrühren, bis man eine gefügige Masse hat. Salz und Gewürze hinzufügen. Das Eiweiß unterheben und die Masse zu einem Teig kneten. Den Teig zudecken und für 30 Minuten kühl stellen. Anschließend aus dem Teig kleine Klöße formen, in die man einen Kern aus gehackter Zwiebel gibt. Dann die Klöße in die köchelnde Brühe geben und mindestens 20 Minuten köcheln lassen. Man kann die Mazzeklößesuppe bei Bedarf aber auch über längere Zeit heiß halten. Unser Gemeindemitglied Polina Farber liebt eine Spezialität des osteuropäischen Judentums, den Tscholent, für den sie ein vorzügliches Rezept von ihrer Mutter hat.
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Tscholent Tscholent ist Eintopf. Er wird am Freitag vor Beginn des Schabbat zubereitet. Man lässt ihn dann bis zum Mittagessen am Schabbat vor sich hinschmoren. Das jiddisch-slawische Wort Tscholent stammt übrigens ursprünglich aus dem Französischen: chaud und lentement bedeutet heiß und langsam. Man kann Tscholent also sehr lange vor sich hingaren lassen, ohne sich darum kümmern zu müssen. Man benötigt: 2 Esslöffel Sonnenblumenöl, ca. 1,4 kg Rindfleisch (Schlegel, Brust oder Schulter) ohne Knochen, 4 Zwiebeln, 500 g getrocknete Pflaumen, 1,5 kg Kartoffeln, Salz, Pfeffer, 2–3 Lorbeerblätter. Das Fleisch wird in große Würfel geschnitten, die Zwiebeln in dünne Scheiben. Die Kartoffeln schälen und vierteln. Das Öl wird in einer großen Kasserolle erhitzt und das Fleisch 8–10 Minuten von allen Seiten gut angebraten. Zwiebeln, Pflaumen und Kartoffeln hinzugeben und gut verteilen. Mit Salz und Pfeffer nach Geschmack und den Lorbeerblättern würzen. Wasser zugießen, bis Fleisch und Kartoffeln gerade bedeckt sind, und bei starker Hitze zum Kochen bringen. Schaum abschöpfen, Hitze reduzieren und köcheln lassen. Eine besondere Herausforderung sind an Pessach Kuchen. Einerseits sind herkömmliches Mehl und Hefe nicht gestattet, andererseits ist Pessach ein fröhliches und genussreiches Fest, an dem gerne besonders gut gekocht und gegessen wird. Mit Fasten hat Pessach gar nichts zu tun! Es geht logischerweise also nicht ohne Kuchen. Damit die aber „koscher le pessach“ sind, ist besondere Kreativität gefragt! Unser Mitglied Channah von Eickstedt backt für ihr Leben gern, auch wenn ihr Beruf ihr oft zu wenig
Esskultur in Hildesheim
Zeit dazu lässt. Aber zu Pessach muss natürlich gebacken werden, zumal ihr Geburtstag oder der ihres Mannes oft in die Pessachwoche fallen. Und so hat sie eine Reihe von Kuchenspezialitäten, die sie Pessach backt. Neben Kuchen aus Mazzemehl oder Baisers kann man Kalten Hund mit Mazzot anstelle von Keksen machen. Oder man ersetzt das Mehl durch Mazzemehl, gemahlene Nüsse, Mandeln usw. Channah berichtet, dass viele ihrer Backrezepte von ihrer Großmutter stammen. Offensichtlich sind die Großmütter entscheidend bei der Weitergabe familiärer Traditionen, zu denen natürlich auch Rezepte gehören.
Nusskuchen „Nusskuchen für Pessach (aber auch zu anderen Zeiten lecker) ist meine Empfehlung. Man benötigt dafür 8 Eier, 250 g Zucker, etwas Zitronensaft und geriebene Zitronenschale, 25 ml Wasser, 60 g Butter, Kardamom nach Geschmack, 200 g gemahlene Nüsse (ich verwende Wal- und Haselnüsse gemischt), 75 g Kartoffelmehl, 75 g Mazzemehl. Die Eier werden getrennt und die Eigelbe vorsichtig mit 125 g Zucker, Zitronensaft und schale, Wasser, Butter und Kardamom zu einer gleichmäßigen Masse vermengt. Eiweiß schlagen und den restlichen Zucker in den Schnee mischen. Dann etwas Eischnee und das Kartoffelmehl, das Mazzemehl und die Nüsse im Wechsel in die Eigelbmasse einrühren, bis alles ganz aufgenommen ist. Diese Masse wird unter den restlichen Eischnee gehoben und zu einem Teig vermengt. Sehr hübsch ist für diesen Kuchen eine Gugelhupfform, in der ich ihn eine Stunde bei 180° backe. Wenn beim Einstechen kein Teig mehr an der Nadel klebt, ist der Kuchen fertig.
Wenn er ausgekühlt ist, kann man ihn mit einer Glasur überziehen. Für die Glasur verrühre ich 30 g flüssiges Palmin mit einer Gabel in einem Schälchen mit 200 g Puderzucker und 30 g Kakao. Nach Bedarf wird tropfenweise heißes Wasser hinzugefügt. Die flüssige Masse wird über den Kuchen gegeben. Erkalten lassen. Essen!“
Der Sabbat klingt am Samstagabend bei Dunkelheit mit der Hawdala (Trennung) aus. Man denkt dabei an den heiligen Charakter des gerade zu Ende gehenden Sabbats und an den beginnenden Werktag. Meist wird – zum Zeichen des Segens und des Überflusses – Wein zum Überfließen gebracht. Es folgt der Gewürzsegen unter Verwendung der Bessomimbüchse. Zum Abschluss wird ein Preisund Dankgebet über der Flamme einer geflochtenen Kerze gesprochen, zur Erinnerung an die Erschaffung der Welt, die am ersten Tag der Woche mit dem Licht begann.
Außer Kuchen sind als Dessert traditionell Obst bzw. Obstsalate beliebt, deren Zusammensetzung nach Jahreszeit und Möglichkeiten des Landes variieren. Nun wünschen wir Ihnen viel Spaß beim Ausprobieren unserer Rezepte! B’teavon – Guten Appetit!
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Esskultur in Hildesheim
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Esskultur in Hildesheim
Schießen oder schonen? Ansgar Lehne
Warum ist das so wichtig; warum ist es nicht gleichgültig, welches Stück Wild vom Jäger erlegt wird? In unserer Kulturlandschaft sind viele Faktoren der natürlichen Auslese abgeschwächt oder ausgefallen, besonders das Großraubwild als unmittelbare „natürliche Feinde“. Es ist jedoch ein Gebot der Vernunft, mit unserer „Hege mit der Büchse“ diese naturgegebene Dynamik so gut wie möglich nachzuahmen. Die Bestände aller Schalenwildarten (größere wildlebende Pflanzenfresser) müssen
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zahlenmäßig begrenzt werden. Sie müssen aus biologischen Gründen der Kapazität des gegebenen Lebensraumes sowie aus wirtschaftlichen Gründen den Belangen der Landeskultur (Forst- und Landwirtschaft) angepasst werden. Dafür zu sorgen ist eine wesentliche Aufgabe des Jägers. Mit dem Jagdrecht ist die Hegepflicht ausdrücklich verbunden (Bundesjagdgesetz). Das heißt, die Jagd ist so durchzuführen, dass sie dem Ziel und Auftrag, das Wild unter naturgemäßen Lebensbedingungen gesund und lebenskräftig zu erhalten, gerecht wird. Das bedeutet nicht, die nötige Anzahl Wild (gemessen am jährlichen Zuwachs an Jungwild) wahllos zu erlegen. Es ist zwar die wichtigste Grundvoraussetzung, dass die erforderliche Gesamtzahl erlegt wird, doch kommt
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es auch darauf an, wie sich die Gesamtzahl auf die Geschlechter und auf die einzelnen Altersklassen verteilt, damit auch die innere Gliederung des Wildbestanden möglichst naturgemäß erhalten bleibt.
Helmut und Ansgar Lehne mit Jagdfreund.
Ein edler Nebeneffekt also, sauber erlegtes Wildbret zum Verzehr anzubieten. Denn zu den besonderen kulinarischen Erlebnissen der deutschen Küche zählen Wildgerichte. Die Eröffnung der Jagdsaison gibt jedes Jahr im September den Auftakt zu einer in kulinarischer Hinsicht überaus reichen Zeit. Großes und kleines Haarwild, Federwild und Wasservögel liefern der Tafel eine Vielzahl ausgesuchter Gerichte. Ihre Zubereitung kann ganz einfach oder auch raffiniert sein. Sie reicht vom traditionellen Wildragout über einen feinen Braten bis hin zu Steaks oder Wildpasteten. Hirsch, Damhirsch und Reh werden auf die selbe Art zubereitet. Dabei besitzt das Reh das zarteste, wohlschmeckendste Fleisch. Die begehrtesten Stücke dieser Tiere sind der Rücken, die Keulen und die Koteletts. Ein Hase sollte höchstens 7 bis 8 Monate alt sein und 3 kg wiegen. Hasen, die 4 kg und mehr wiegen, haben ein zähes, faseriges
Fleisch und werden vorwiegend zu Pasteten und Terrinen verarbeitet. Wildkaninchen ist nicht so fein wie Hase, doch schmeckt ein junges Tier ausgezeichnet als Ragout. Die älteren Tiere werden ebenfalls in Terrinen verwendet. Auch das Federwild muss jung sein, um die besten Eigenschaften zu besitzen: Der Fasan bezeugt sein junges Alter mit einer biegsamen Brustbeinspitze und einem noch nicht oder nur schwach ausgebildeten Sporn. Das Rebhuhn erreicht seinen geschmacklichen Höhepunkt Ende September / Anfang Oktober. Die jungen Tiere erkennt man an den grauen Füßen, an den spitzen Enden der großen Flügelfedern und der Weichheit der unteren Schnabelhälfte. Die Wachtel muss frisch und fett sein für ein herrschaftliches Gericht. Die Schnepfe – Sumpfschnepfe und Waldschnepfe gehören zu der selben Familie – ist ein ganz erstklassiges Wild. Sie wird nicht ausgenommen, man entfernt lediglich den Kaumagen. Sie wird vor allem als Ragout besonders geschätzt. Bleibt noch die einfache Wild- oder Stockente, aus der unsere Hausenten gezüchtet werden, die Löffelente, deren Fleisch außerordentlich zart ist, die Krickente und die Knäkente.
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Esskultur in Hildesheim
Wussten Sie schon ... ... wo und wie Rehwild lebt? Das Rehwild ist unsere weitaus häufigste und allgemein verbreitete Schalenwildart. Es gibt von der Meeresküste bis ins Hochgebirge kaum ein Revier ohne Rehwild. Am wohlsten fühlt es sich in reich gegliederten, abwechslungsreichen Wald-Feld-Revieren mit unterholzreichen Misch- und Laubwäldern, doch passt es sich auch gut an ungünstigere Lebensräume an, wie geschlossene Nadelwälder einerseits und die offene Feldflur andererseits. Rehe leben die meiste Zeit einzeln; soziale Bindungen beschränken sich auf die Beziehungen zwischen Ricke (Muttertier) und Kitzen während der Aufzuchtszeit, auf die kurzen Kontakte zwischen den Geschlechtspartnern zur Brunftzeit und auf lockere „Notgemeinschaften“ während des Winters.
... wie die Rehe in der Jägersprache genannt werden? Die männlichen Tiere heißen Böcke, die weiblichen Ricken. Die jungen bis einjährigen Rehe nennt man Bockkitz oder Rickenkitz. Das einjährige weibliche Reh, das noch kein Kitz geboren hat, wird Schmalreh genannt. Das einjährige männliche Reh ist ein sogenannter Jährling oder Jährlingsbock. Ein junger Rehbock, dessen Gehörn eine gute Entwicklung zeigt, wird respektvoll Zukunftsbock genannt.
... wie alt und wie groß Rehe werden? Rehe können etwa 12 bis 14 Jahre alt werden. Sie erreichen eine Kopfrumpf-Länge von 100 bis 140 cm und eine Schulterhöhe von 60 bis 90 cm. Männliche Tiere haben ein Durchschnittsgewicht von 15 bis 20 kg, weibliche wiegen 10 bis 15 Prozent weniger. Das Sommerfell ist leuchtend rotgelb, das Winterfell graubraun. Hören und riechen können sie sehr gut. Das Sehvermögen allerdings ist stark eingeschränkt. Rehe nehmen in erster Linie nur starke Hell-DunkelKontraste und Bewegungen wahr. Rehe ernähren sich hauptsächlich von Gräsern, Kräutern, Feldfrüchten, Eicheln, Bucheckern, Pilzen und Beeren.
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Esskultur in Hildesheim
Aus dem Kochbuch von Henriette Davidis; Fortsetzung Seite 354.
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Esskultur in Hildesheim
Zerwirken – Vom Reh zum Filet Fotoarbeit von Katharina Guntermann und Daniela Guhl
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Esskultur in Hildesheim
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Esskultur in Hildesheim
Gute Gründe für heimisches Wildfleisch (Wildbret) Ansgar Lehne
Wildbret wird natürlich erzeugt: Wildtiere ernähren sich ausschließlich vom Nahrungsangebot der Natur. Wildbret ist unbelastet: Im intakten Naturkreislauf gelangen keine schädlichen Fremdstoffe in das Fleisch. Es ist daher frei von Hormonen und Medikamenten. Wildbret ist bekömmlich: Wildtiere haben überwiegend Muskelfleisch. Wildbret ist daher von Natur aus mager und deshalb eiweißreich, leicht verdaulich, cholesterin- und kalorienarm.
Wildbret ist frisch: Der Weg von den Revieren über das Kühlhaus zu Ihrer Küche ist kurz, das Fleisch bleibt frisch. Wildfleisch ist fettarm, vitaminreich, schmackhaft, fein und hochwertig verarbeitet sowie küchen- und bratfertig geschnitten. Aufgrund seiner speziellen Eiweißzusammensetzung ist es leicht verdaulich und liegt damit voll im Trend der modernen und bewussten Ernährung.
Eigenschaften verschiedener Fleischsorten Tierart
Eiweiß %
Fett %
Kohlenhydrate % kJ/100 g
Schwein
10–14
35–55
0,3–0,5
1675–2510
Rind
16–19
10–14
0,3–0,5
840–1425
Ente
16–21
6–29
0,2–0,4
630–1360
Gans
14–16
26–32
< 0,1
1300–1530
Huhn
17–21
5–25
< 0,1
610–1215
Hase
20–23
0,9–5
0,1–0,5
480–545
Hirsch
18–22
1–5
0,2–0,5
440–525
Reh
21–23
0,7–6
0,2–0,5
440–560
Wildente
19–23
2–3
0,3–0,5
460–500
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Esskultur in Hildesheim
Klassischer Rehrücken Für 4 Personen Vorbereitungszeit ca. 25 Minuten plus ca. 80 Minuten Garzeit
Zutaten
1 mittelgroßer Rehrücken Butter Salz Pfeffer aus der Mühle 8 zerstoßene Wacholderbeeren 1 gepresste Knoblauchzehe 350 ml Fleischbrühe 1 Karotte 1 Zwiebel 1 Scheibe Sellerie 1/2 Stange Lauch
Fortsetzung von Seite 341
Zubereitung
Die innere Haut des Rehrückens entfernen, die Filets unter dem Rückgrat auslösen und aufheben für eine Pastete. Die untere Seite salzen, den Rücken in einen Bräter legen und mit zerlassener Butter übergießen. Mit Salz, Pfeffer, Wacholderbeeren und Knoblauch würzen und die Brühe dazu gießen. Das Gemüse klein schneiden und ebenfalls dazugeben. Den Rücken im Ofen etwa 80 Minuten garen, dabei mehrmals mit dem Bratensud übergießen. Die Rückenfilets abtrennen und in Scheiben schneiden. Mit Sommergemüse, gebratenen Kartoffeln und der Natursoße servieren. Dazu passt ein leichter Spätburgunder.
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Esskultur in Hildesheim
Hildesheim schwelgt und genießt ...
... während der Hildesheimer Gourmettage
... auf dem Weinfest
Seit drei Jahren stellen im frühen Sommer Hildesheimer Gastronomen und Hildesheimer Köche im Herzen Hildesheims ihre Kochkünste vor. In Buden und Zeltrestaurants kann man sich auf dem Platz an der Lilie hinter dem Rathaus drei Tage lang den Gaumen verwöhnen lassen und in den herrlichen Köstlichkeiten schwelgen. Der Schwerpunkt liegt auf den Schätzen, die die regionale Küche zu bieten hat, aber wer will, kann auch – wie hier auf dem Bild – schwäbische Schupfnudeln (auch „Bubaspitzle“ genannt) mit Sauerkraut oder Maultaschen probieren.
Im Mai findet das traditionsreiche Hildesheimer Weinfest auf den Plätzen rund ums Rathaus statt. Fünf Tage lang herrscht kultivierte Fröhlichkeit und Leichtigkeit des Weines. Winzer, Weinhändler und Genossenschaften reisen mit ihren köstlichsten Tropfen an: aus den besten Lagen der Rheinterrassen, von der Mosel und aus Baden-Württemberg. Komplettiert wird die Vielfalt der Rebsorten und Anbaugebiete durch die Hildesheimer Weinhändler und Gastronomen. Auch eine besondere, vor allem rare Spezialität kann man hier probieren: Wein aus Hildesheim, aus dem kleinen Weinberg im Magdalenengarten. Offiziell wird das Fest durch den Oberbürgermeister und die Weinkönigin eröffnet. Weintypische Speisen und ein tägliches Musikprogramm runden das Weinfest ab.
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Esskultur in Hildesheim
... auf dem Weihnachtsmarkt
... und im Biergarten
Vom 26. November bis 27. Dezember verwandeln sich Marktplatz und Lilie schon seit Jahrhunderten rund um das Rathaus in eine romantische Budenstadt. Gerüche von gebrannten Mandeln, Schmalzgebäck und Glühwein mischen sich mit dem Duft der Tannen rund um die Buden zu einem herrlichen Vorweihnachtsaroma. Lichtinstallationen und Projektionen verleihen dem historischen Marktplatz eine zauberhafte Atmosphäre, die auf den Heiligen Abend und das Weihnachtsfest einstimmt.
Wer aber den ganzen Sommer über mit Freunden im Freien unter einem schönen Laubdach schwelgen und es sich gut sein lassen will, der kann dies im wohl schönsten Biergarten Hildesheims tun: im Biergarten Klee hinter dem Kehrwiederwall. Mit Kiesboden und altem Baumbestand und original bayerischen Spezialitäten entfaltet sich hier im Sommer eine ganz besondere Atmosphäre.
Die Gourmettage, das Weinfest und der Weihnachtsmarkt werden von der Dehoga Hildesheim veranstaltet.
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Esskultur in Hildesheim
Der Wunschpavillon am Stadttheater Hildesheim Ein Vermittlungs-Projekt zwischen Stadt und Theater Von Simone Brandenberg
Inspiriert vom Spielzeitthema „Wunschwelt“ eroberte der Wunschpavillon den Theatervorplatz von September 2006 bis Juli 2007 als Ort der Wünsche für das Theater und seine Stadt. Jenseits von Theaterkonventionen und dem Spielplan des Großen Hauses suchte das Stadttheater Hildesheim den direkten Kontakt mit seinem Publikum und der Bevölkerung der Stadt.
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Der Wunschpavillon – ein Relais zwischen Theater und Stadt
Ziel des Theaters war es, die Bürgerinnen und Bürger zu einer Auseinandersetzung mit der urbanen und sozialen Wirklichkeit der Stadt anzuregen und den Wünschen nach Veränderung und Partizipation einen Platz einzuräumen. Als ein räumlicher und inhaltlicher Knotenpunkt der Kulturszene mitten in Hildesheim setzte der Wunschpavillon zahlreiche Impulse für neue Kooperationsformen und Projektideen, die das Potential von Laien, Institutionen und Initiativen der Stadt bündelten und für die Zukunft aktivierten.
Esskultur in Hildesheim
Der Wunschpavillon – eine Wunschweltenfabrik
Mit der Sammlung von konkreten Wünschen und vagen Ideen wurden neue Bevölkerungsschichten angesprochen und aktiv in die Gestaltung von Theater und kulturellem Leben der Stadt eingebunden. Dabei entstanden beispielsweise ein Tanzcafé für Seniorinnen im Mehrgenerationen Haus, ein Kommunikationsparcours für Schulen in Zusammenarbeit mit dem Theaterpädagogischen Zentrum und ein Schulungsprogramm für Schülerfirmen der Stadt mit der Wirtschaftsförderungsgesellschaft HI-REG.
Der Wunschpavillon – ein Bühnen- und Ausstellungsraum
Abgeleitet von den Inszenierungen im Großen Haus des Stadttheaters wählte das Team des Wunschpavillons je einen „Wunsch des Monats“ wie Freiheit oder Kommunikation und entwickelte dazu in Zusammenarbeit mit Künstlern und Institutionen interaktive Ausstellungen und Veranstaltungen wie die monatliche Kochreihe „Essen am Ersten“. Mit Gesprächsangeboten an das Theaterpublikum wie dem „Kamingespräch“ mit dem Ensemble im Anschluss an die Theatervorstellungen etablierte sich der Wunschpavillon als Ort der individuellen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen fernab der großen Podien.
Der Wunschpavillon – ein multifunktionaler Raum Der Wunschpavillon – ein außerschulischer Lernort In Zusammenarbeit mit über 100 Kulturwissenschaftlern, freien Künstlern und Mitarbeitern des Stadttheaters entwickelte das theaterpädagogische Team des Wunschpavillons zahlreiche „Klassenzimmer“ für Schulen und Kindergärten. Damit erlebten über tausend Kinder und Jugendliche einen spielerischen Zugang zum Theater. Durch die Vermittlung von aktuellen Themen wie Nachhaltigkeit oder Arbeit wurde auch der kulturpolitische Auftrag der ästhetischen Bildung eines bisherigen Nicht-Publikums durch das Stadttheater umgesetzt.
Eine Spielzeit lang präsentierte sich der Wunschpavillon als Klassenzimmer, Wunschlabor, Ideenschmiede, Diskussionsort, Bühne und Treffpunkt mitten in der Stadt. Als Theatercafé gewährte er einen regelmäßigen Zugang, um Menschen mit ähnlichen Interessen und Ideen zu treffen, Gespräche zu führen, Kontakte zu knüpfen oder gar eigene Projekte zu entwickeln. In Kooperation mit über 30 Institutionen, Vereinen, Firmen oder Initiativen fanden über 200 Veranstaltungen im Pavillon statt, die in den 42 Wochen zwischen September 2006 und Juli 2007 von über 5000 Menschen besucht wurden. Der Wunschpavillon wurde gefördert und unterstützt im Fonds Heimspiel der Kulturstiftung des Bundes und von: Bürgerstiftung Hildesheim, Freunde des Stadttheaters, Friedrich-Weinhagenstiftung, Audio Werft, Elektro Lindemann und dem Sponsorenclub des Stadttheaters.
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Esskultur in Hildesheim
Essen am Ersten – „Wir haben schon mal was vorbereitet“ Die Hildesheimer Kochreihe im Wunschpavillon mit Moritz Tittel, Dr. Simon Frisch und Lisa May Die Geschichte der Kochreihe
Die Reihe Monat für Monat
Im Sommer 2006 setzten sich Moritz Tittel und Simon Frisch an einem Biertisch zusammen mit dem Wunsch, gemeinsam eine Kochreihe zu machen, live im Kontakt mit dem Publikum, zum Gucken, Riechen und Schmecken. Schnell war Lisa May als ihre reizende Assistentin gefunden und so war das Trio perfekt. Der Wunschpavillon vor dem Theater war der prädestinierte Ort. Und so kam es, dass bei der Eröffnungsveranstaltung des Pavillons im Oktober wegen einer gekochten Kartoffel das Licht ausging – „Essen am Ersten war geboren“. Ohne weitere Zwischenfälle kochten die drei an jedem Ersten eines Monats – gleich welcher Wochentag – ab 18 Uhr raffinierte oder einfache Rezepte vor schau- und vor allem probierlustigem Publikum. Zu jedem Abend hatten sie „schon mal was vorbereitet“ und jedes Mal wurde ein „Gerät des Monats“ gekürt. Um auch von der letzten Reihe aus jeden Handgriff verfolgen zu können, übertrug eine Videokamera mit angeschlossenem Beamer Details von Schneidebrett, Topf und Pfanne an die Wand. Die fertigen Gerichte machten auf Tellern die Runde im Publikum. Jeder konnte probieren und am Ende waren immer alle Töpfe leer.
Zum Auftakt im November 2006 wetteiferten Moritz Tittel und Simon Frisch um die beste Zubereitungsart von Saltimbocca: „Gerollt oder flachgelegt?“ titelte die Hildesheimer Allgemeine Zeitung.
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Esskultur in Hildesheim
Im Februar stellte die Hildesheimer Küchengerätefirma Lurch den drei Köchen Geräte zum Testen zur Verfügung, mit denen diverse Hart- und Weichgemüse in die phantasievollsten Formen überführt wurden, um dann in einem Wok zu einer schmackhaften asiatischen Pfanne veredelt zu werden.
Im Dezember kurbelte das Küchenteam dann mit Hilfe des Publikums endlose Bahnen Nudelteig durch eine Nudelmaschine, um nach vier Stunden die köstlichsten Ravioli der Welt zu servieren – ausgestochen, ganz weihnachtlich, in Plätzchenformen.
Der März stand unter dem Wunschpavillonthema „Kommunikation“. Zu diesem Zweck verkleideten sich die drei Köche als die drei weisen chinesischen Affen, von denen sich einer die Augen, einer die Ohren und einer den Mund zuhält. So mussten sich ein Blinder, ein Stummer und ein Tauber über die Zubereitung der Rezepte verständigen ...
An Neujahr blieb die Küche geschlossen.
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Esskultur in Hildesheim
Essen am Ersten – „Wir haben schon mal was vorbereitet“ Im April ließ das „Essen am Ersten“-Team eine alte Tradition wieder aufleben und der Wunschpavillon wurde zum Backhaus. Wie früher, wenn am Backtag der Ofen im Dorf angeheizt wurde und alle ihren Brot- und Kuchenteig brachten und man schwatzte und sich austauschte, während das Brot buk, so stand auch am 1. April im Wunschpavillon ein heißer Ofen bereit, und viele Hildesheimerinnen und Hildesheimer brachten ihren Brotund Kuchenteig oder rührten vor Ort Teige zusammen. Bald war der Wunschpavillon eine lustige Backstube, in der man buk, schwatzte und sich austauschte. Eine besondere Entdeckung waren die Nachbildungen der „Welfenformen“ der Firma Lurch.
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Spanien ist im Mai am schönsten, und so baten Simon Frisch, der Schauspieler Moritz Tittel und ihre reizende Assistentin Lisa May für den 1. Mai Vicente Hernandez vom Moritzberg darum, etwas spanische Atmosphäre auf den Theatervorplatz zu zaubern und seine inzwischen schon zu einer Hildesheimer Spezialität gewordene Paella zu kochen. Vicente kam und alles war original spanisch! Gekocht wurde im großen Stil, mit allem Caramba, was dazu gehört: Scampi, Hühnerbeine, Muscheln, Tintenfisch ... in einer riesigen Pfanne im Freien. Dazu wurde herrlicher „tinto de verano“ und leckeres spanisches Bier gereicht.
Esskultur in Hildesheim
„Essen am Ersten“ verabschiedete sich am 30. Juni mit dem Programm „Essen am Letzten“ mit dem Abschlussfest des Wunschpavillons und gab noch einmal seinen (selbstgemachten) Senf, sein (selbstgemachtes) Ketchup und seine (selbstgemachte) Mayonnaise zu den Biofleischspezialitäten von Petra Kalkstein und Kalle Buchheister und den Grillspezialitäten der Don-Bosco-Catering-Schülerfirma.
Am 1. Juni luden die drei Köche den Hildesheimer Liedermacher Siggi Stern in ihre Küche ein zu einem „Küchenkonzert“. Auf dem Speiseplan standen Grünkernsuppe, frisches Saisongemüse und Obst. Am mitgebrachten Küchentisch wurde viel gesungen, gegessen und erzählt – ein Abend nach dem Motto: „Plenus venter cantat libenter“ (ein voller Bauch singt gern) – und Siggi zeigte Dias von seinen Reisen durch Küchen in ganz Europa.
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Esskultur in Hildesheim
Essen am Ersten – Zuhause an fremden Tischen „Wir haben schon mal was vorbereitet“ Die Gerichte und die Geräte des Monats: November: Feigensalat mit Mozzarella und Parmaschinken, Saltimbocca, Himbeerquarkspeise Gerät des Monats: Zestenreißer Dezember: Gefüllte Ravioli selbst gemacht, ausgestochen mit Plätzchenformen Gerät des Monats: Nudelmaschine Februar: Asiatische Currypaste, dazu allerlei mit unterschiedlichen Geräten kleingemachtes Gemüse aus dem Wok und Reis Gerät des Monats: Alle Lurchgeräte März: Hühnerbein, Zucchini in Schinken, Mang Gerät des Monats: Pfeffermühle mit Peugeotmahlwerk von Moritz April: Backhaus Kuchen, Quiches, Brote, Muffins ... Gerät des Monats: Welfenformen Mai: Spanische Paella mit Vicente Hernandez Gerät des Monats: Paellapfanne Juni: Küchenkonzert: Siggi Stern Fränkische Grünkernsuppe, frisches Obst, frisches Gemüse Gerät des Monats: Schöpflöffel Essen am Letzten Juni: Senf, Tomatenketchup und Mayonnaise Gerät des Monats: Kaffeemühle zum Senfkörnermahlen
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Der Hildesheimer Liedermacher Siggi Stern (geb. 1976) bezeichnet sich selbst gerne als „Küchensänger und Wanderarbeiter“. Seit 2003 war er in etwa 100 Küchen zwischen Kiel und Luzern mit seinem Programm „Zuhause in fremden Küchen“ zu Gast. Dabei spielt er seine eigenen Küchenlieder, liest Küchengeschichten und zeigt die bisherigen GastgeberInnen und ihre Küchen auf Dias. Meistens wird vorher zusammen gekocht und gegessen, und manchmal auch hinterher zusammen gesungen. Eine ausführliche Dokumentation findet sich auf www.herzbesetzer.de.
Esskultur in Hildesheim
Und von zuhause Grünkernschrot Als Suppe auf dem Tisch Passt nun wirklich nur bedingt Zum Blechkuchen mit Fisch Doch hinterher ein Wodka drauf Dann stimmt’s mit einem Mal Egal wie weit der Baikalsee Vergessen ist der Ural aus: Blechkuchen mit Fisch
Küchenkonzert mit Grünkernsuppe bei Familie Frank, Tjumen / Sibirien 2006
„In der Welt zusammenleben heißt wesentlich, dass eine Welt von Dingen zwischen denen liegt, deren gemeinsamer Wohnort sie ist, und zwar in dem gleichen Sinne, in dem etwa ein Tisch zwischen denen steht, die um ihn herum sitzen; wie jedes Zwischen verbindet und trennt die Welt diejenigen, denen sie jeweils gemeinsam ist.” Hannah Arendt Manchmal wollen die Gastgeber noch den Tisch raus tragen, damit mehr Platz in der Küche ist. Und ich sage dann, auf gar keinen Fall, und dass sie noch sehen werden warum. Denn der Tisch verbindet und trennt gleichzeitig. Gerade, wenn man sich noch nicht gut kennt, hat man genügend Abstand und kann dem anderen trotzdem schon mal ein Bier rüber schieben. Am Ende von fast jedem Küchenkonzert bitte ich die Gäste dann, sich vorzustellen, dass der Tisch zwischen uns plötzlich verschwindet. Schwupps, ist man ein Stuhlkreis, und man muss in die Mitte und Ententanz vormachen. Für die meisten ist das ziemlich peinlich. Deshalb ist es gut, dass es Tische gibt, an denen man sich näher kommen kann. Meine Lieder sind übrigens voll von Tischen. Oft ist es mein roter Küchentisch, mit dem ich sogar schon mal auf Tournee war...
Einen Spalt fünffingerbreit Unter der Tür Für all das Ungeziefer dieser Stadt Für alle heimatlosen Katzen Für jeden Streuner, der heut Nacht Noch kein Bett gefunden hat Und vom Boden kann man essen Man soll immer dort was finden Was den gröbsten Hunger stillt Und am Ecktisch Kreise sitzen Über Naturgesetze streiten Bis kein einziges mehr gilt aus: Unser Haus
Die Nacht hat sie an Land gespült Oder hast Du sie selbst da raus gezogen Zum Schwimmen viel zu müde Sitzt sie jetzt in Deiner Küche und trinkt Vor den Fenstern steigt die Flut an Und Dein Tisch ist eine Insel An den Füßen Deine Strümpfe Löscht sie die Ladung und erzählt Vom Meer aus: Hafen sein
Küchentisch von Familie Frank, Tjumen/ Sibirien 2006
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Esskultur in Hildesheim
TonTopf – Tonkuhles tönende Kochshow Kontakt
Eine Kochshow im Radio – geht das überhaupt? Na klar! Seit Januar 2005 kochen wir (Julia E.-M. Behrens und Rainer Sander) in unserer Sendung TonTopf – Tonkuhles tönende Kochshow mit wechselnden Gästen. Das Rezept der jeweiligen Sendung wird vom Gast bestimmt, der auch für die Musikauswahl zuständig ist. Und bisher waren die Gerichte immer lecker. Was liegt da näher, als die Gelegenheit zu nutzen und die Rezepte in diesem Kochbuch zu veröffentlichen. So kochen wir in Hildesheim und das sogar im Radio! In unserer Sendung schaffen wir durch das gemeinsame Kochen eine angenehme, private Atmosphäre, in der es Spaß macht, mit unseren Gästen über ihre Person, ihre Arbeit, ihre Hobbies und vieles mehr zu plaudern. Wir haben unseren TonTopf bewusst lokal ausgerichtet und versuchen zeitnah auf aktuelle Lokaltermine einzugehen. Es werden Gäste eingeladen, die in Hildesheim leben, dort arbeiten bzw. eine Verbindung zu Hildesheim haben. Ein toller Nebeneffekt zu den ganzen wissenswerten Dingen, die man an so einem Kochtermin erfährt: einmal im Monat richtig satt werden – und das auch noch richtig lecker! Es lohnt sich also, die Gerichte aus TonTopf – Tonkuhles tönende Kochshow einmal nachzukochen. Und wir sind sicher, dass es nicht bei einem Ma(h)l bleiben wird. TonTopf – Tonkuhles tönende Kochshow gibt es jeden vierten Samstag im Monat auf Radio Tonkuhle (105,3 MHz) oder im Internet unter www.tontopf-hildesheim.de 356
www.tontopf-hildesheim.de Julia E.-M. Behrens Zierenbergstraße 123 31137 Hildesheim Tel.: 0 51 21 / 8 64 67 mobil: 01 79 / 2 28 19 11 julia.behrens@tontopf-hildesheim.de Rainer Sander Godehardistraße 15 31137 Hildesheim Tel.: 0 51 21 / 2 24 44 mobil: 01 79 / 2 28 19 10 r.sander@tontopf-hildesheim.de
Im Tonstudio
Alle nachfolgend aufgeführten TonTopf-Gäste sind mit ihrem Rezept im Rezeptteil des KochKulturBuches vertreten:
Klaus Beste, Hildesheimer Konditormeister
Esskultur in Hildesheim
Brigitte und Thomas Beyerling, Hobby-Köche mit digitalem Kochbuch
Achim Falkenhausen, Kapellmeister, stellvertretender Generalmusikdirektor
Vicente Hernandez, Inhaber von El Mercado (Spanische Lebensmittel)
Henning Blum, Bosch-Betriebsratsvorsitzender
Dr. Simon Frisch, Medienwissenschaftler der Universität Hildesheim
Prof. Dr. Martha Jansen, Präsidentin des Niedersächsischen Landesrechnungshofs
Gerd Diedrich, Kapitän auf großer Fahrt, Marinekameradschaft Hildesheim
Dirk Fröhlich, Rock Delta D-Capt’n und Radiomoderator
Wolfgang Kähler, Zugeordneter Meister vom Stuhl der FreimaurerLoge Hildesheim
Hubsi Eggeling, Gitarrist und Gründungsmitglied der Blues Guys
Agnes Hiller, bis 2007 Geschäftsführerin von Radio Tonkuhle
Kara M., Sängerin
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Esskultur in Hildesheim
Gerald Knetsch, Vertriebsleiter und Prokurist der Lurch AG
Waldemar Lorenz, Programmgestaltung, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Cyclus 66
Gerda Schultze-Tostmann, Gästeund Kostümführerin in Hildesheim
Dr. Hans-Günther Krane, Kämmerer der Stadt Hildesheim (bis 12/2006)
Hartmut Möllring, Niedersächsischer Finanzminister
Dr. Ulrich Steinmetz, Fundraiser der Stiftungsuniversität Hildesheim bis 3/2007
Dr. Ulrich Kumme, Oberbürgermeister der Stadt Hildesheim (2002–2006)
Henner Molthan, Techniker bei Radio Tonkuhle
Moritz Tittel, Schauspieler am Hildesheimer Stadttheater von 2003 bis 2007
Dr. Katja Lembke, Direktorin des Römer- und Pelizäus-Museums
Clemens Rumpf, Präventionsbeauftragter der Polizeiinspektion Hildesheim
Vera und Walter Wallott, bis Juni 2005 Pressesprecher der Polizei Hildesheim
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Esskultur in Hildesheim
Das Tontopf Team Julia Behrens und Rainer Sander 359
Esskultur in Hildesheim
Die „Hildesheimer Tafel“
Annelore Ressel
In Deutschland muss niemand verhungern ... Dieser oft gehörte Satz ist nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte der Wahrheit lautet: Ernährung ist mit bis zu 25 Prozent der größte Einzelposten im Haushaltsbudget ärmerer Menschen. Dieser Posten ist variabel und gehört nicht zu den festen Ausgaben wie zum Beispiel Miete etc. Deshalb werden aus diesem Budget nicht aufschiebbare oder unvorhersehbare Kosten (neue Schuhe für
die Kinder usw.) finanziert. Die Folge ist Mangel- und Fehlernährung gerade bei Kindern. Betroffen von finanzieller Armut sind in Deutschland zwei Millionen Kinder. Diese wirtschaftliche Armut wirkt sich aber nicht nur negativ bei der Versorgung mit wichtigen Nährstoffen aus, sondern verhindert oftmals die Einbindung in soziale, kulturelle und medizinische Zusammenhänge. Dies bewirkt eine gesellschaftliche Isolation – eine Tatsache, die fatale Folgen für die gesamte Gesellschaft haben kann, wenn nicht gegengesteuert wird. „Und genau das erfolgt durch das soziale Angebot der Hildesheimer Tafel“, sagt deren Vorsitzende, Annelore Ressel. „Die von uns eingesammelten und abgegebenen Lebensmittel helfen Mangel- und Fehlernährung zu verhindern. Darüber hinaus werden die Familien auch finanziell entlastet. Eltern Hildesheimer Tafel
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Esskultur in Hildesheim
verwenden die Einsparungen, um ihren Kindern zum Beispiel den Eintritt in einen Verein, die Teilnahme an einer Klassenfahrt, einer Geburtstagsfeier oder einen Kinobesuch und Ähnliches zu ermöglichen.“ Am 12. Oktober 2007 hat die Hildesheimer Tafel ein Kinder- und Jugendrestaurant „K.bert“ eröffnet. Ein Projekt, das gesundes und preiswertes Essen nicht nur für Kinder und Jugendliche aus finanziell schwachen Familien anbietet, sondern für alle Kinder und Jugendlichen von sechs bis 16 Jahren, unabhängig von Herkunft und Status. Dabei geht es auch darum, bei denen, die es durch ihre soziale Herkunft leichter haben, ins Leben zu starten, menschliche und soziale Verantwortung gegenüber denen, die es schwerer haben, zu wecken und zu fördern. Darüber hinaus bietet das Kinder- und Jugendrestaurant auch die Möglichkeit, sich kennen zu lernen, eine Chance, die sich durch die faktische Trennung von Stadtgebieten nach sozialer Herkunft und der damit einhergehenden sozialen Abgrenzung von Kindergarten und Schule nur in Ausnahmefällen ergibt. Geht das Konzept auf, nehmen hier nicht nur von 12 bis 15 Uhr Schüler bis zu 16 Jahren ihr Essen sein – 50 Cent fürs Frühstück, 1,50 Euro fürs Mittagessen sind zu bezahlen –, sondern lernen auch noch gute Manieren. Auch einfaches Essen selbst zuzubereiten wird angeboten. Eine Erzieherin, eine Aufsicht, zwei Küchenmitarbeiter, eine Hauswirtschafterin und ein Fahrer, die von der Arbeitsagentur bezahlt werden, kümmern sich dabei um die Schüler.
Leitsätze des Vereins „Hildesheimer Tafel e. V.“
– Da Menschen mit geringen finanziellen Mitteln u. a. sich und ihre Familie oft nur „mangelhaft“ ernähren können, hat sich die „Hildesheimer Tafel“ zur Aufgabe gemacht,
zum menschlichen Verzehr noch bestens geeignete Lebensmittel einzusammeln und an bedürftige Menschen und soziale Einrichtungen weiterzugeben. Damit geben wir diesen Menschen die Möglichkeit, sich und vor allen Dingen ihre Kinder gesund und vollwertig ernähren zu können. – Wir bewahren mit unserer Arbeit zudem hochwertige Lebensmittel vor der Vernichtung. – Wir führen Menschen an Lebensmittel heran, die sie sich aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation nicht leisten können und somit auch noch nie probiert haben. – Wir erklären ihnen den Gesundheitswert dieser Lebensmittel und wie sie diese Lebensmittel verwenden und zubereiten können. – Durch Rat und Tat helfen wir Menschen, bei denen es möglich ist, von Transferleistungen und somit auch von unserem Angebot weitestgehend unabhängig zu werden.
Geschäftsstelle:
Richthofenstr. 2a, 31137 Hildesheim Tel.: 05121–298 48 21, Fax: 05121–298 48 23 Mo., Di., Mi. und Fr. von 8 bis 17 Uhr Do. von 8 bis 13.30 Uhr Internet: www.hildesheimer-tafel.de
Lebensmittelausgabe:
Steuerwalder Str. 100, 31137 Hildesheim Mo., Di., Mi. und Fr. von 8 bis 16.30 Uhr Do. von 8 bis 13.30 Uhr
Kinder- und Jugendrestaurant „K.bert“ Kardinal-Bertram-Straße 9, 31137 Hildesheim Tel. 05121–999 01 49
Öffnungszeiten
Während der Schulzeiten: 7.15 Uhr bis 16 Uhr Während der Ferien: 9 Uhr bis 16 Uhr
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Esskultur in Hildesheim
Fotoarbeit: Einladen – Ausladen – Schnippeln Von Astrid Oltmann Meine Arbeiten zeigen den Arbeitsalltag bei der „Hildesheimer Tafel“. Dabei habe ich den Fahrer des Lieferwagens begleitet, um mitzuerleben, wie und wo die Ware verladen wird. Eine weitere Arbeit ist das Ausladen der Lebensmittel und der sich daran anschließende Arbeitsablauf, das Sortieren der Lebensmittel. Aus Rücksicht auf die Lebensmittelempfänger habe ich keine Fotografien von den Bedürftigen erstellt. Auch auf die erkennbare Darstellung der dort arbeitenden Angestellten, die meistens ehrenamtlich, auf ABM-Basis und nach 1,50-€-Regel beschäftigt sind, wurde weitestgehend verzichtet.
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Esskultur in Hildesheim
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Esskultur in Hildesheim
Fotoarbeit: Handarbeit Von Nadine Heitkamp In dieser Arbeit stehen nicht die Empfangsbedürftigen, deren Situation oder die helfenden Personen im Vordergrund. Es geht allein um den Vorgang, die Handtätigkeiten, die Tag für Tag in den Räumen der Hildesheimer Tafel ablaufen: Die ankommenden Lebensmittel werden geprüft, gegebenenfalls gesäubert und ordentlich verpackt, so dass einige Stunden später die Lebensmittelempfänger sie sich abholen und daraus zu Hause ihren kulinarischen Vorlieben nachkommen können.
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Esskultur in Hildesheim
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Esskultur in Hildesheim
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Esskultur in Hildesheim
Rezepte aus der Justizvollzugsanstalt für Frauen Abteilung Hildesheim Andrea Marsal Vollzugsabteilungsleiterin /Sozialer Dienst Hildesheim ist eine Abteilung des zentralen Frauenvollzugs in Niedersachsen mit 64 Haftplätzen der geschlossenen Strafhaft, untergebracht in einem ehemaligen Benediktinerkloster. Die erwachsenen Frauen kommen hauptsächlich aus dem Großraum Hannover und dem südöstlichen Niedersachsen. Eines der zahlreichen Projekte ist der kulturelle Nachmittag in unserer Wohngruppe. Hier leben acht inhaftierte Frauen in einer Wohngemeinschaft zusammen und strukturieren selbstständig ihren Tagesablauf. Einmal
im Monat sonntags gestaltet eine von ihnen einen kulturellen Nachmittag. Das Thema für die drei Stunden ist dann der Heimatort oder das Heimatland der inhaftierten Frau. So kocht sie leckere Gerichte für ca. zehn Personen und bringt uns das Land in Form von Videofilmen, Kartenmaterialien und Fotobänden näher. Auf diesem spannenden und interessanten Weg haben wir schon eine Menge Städte in Deutschland, aber auch weiter entfernt liegende Länder wie Ghana und Norwegen „besucht“. Gemeinsame Tafel beim kulturellen Nachmittag
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Esskultur in Hildesheim
Bevor die Frauen in die Wohngruppe verlegt werden, müssen sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Gemeinschaftsfähigkeit, Drogenfreiheit und hausordnungsgemäßes Verhalten gehören u. a. dazu. Kommt eine Frau jedoch aus einem Land mit viel versprechenden Rezepten und interessanten Kulturen, wünschen sich die Frauen aus der Wohngruppe schon einmal eine vorzeitige Verlegung der Mitinhaftierten in ihre Wohngruppe, nur um in den Genuss eines weiteren spannenden kulturellen Nachmittags zu kommen! Wir wünschen den Lesern der nachfolgenden Rezepte und Geschichten viel Spaß beim Nachkochen und ebenso vergnügliche Stunden beim Verzehr, wie wir es zusammen mit den inhaftierten Frauen hatten.
Impressionen aus der Haftanstalt
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Esskultur in Hildesheim
Rezepte aus Ghana Suppe mit Erdnussbutter und Rindfleisch 2 Zwiebeln Öl Rindfleisch (Suppenfleisch o. ä.) 1 1/2 kleine Dosen Tomatenmark passierte Tomaten (Tetrapack) Maggiwürfel (fette Brühe o. ä.) 3 EL Erdnussbutter Salz Die Zwiebeln in Würfel schneiden und in Öl anbraten. Das Rindfleisch in gulaschartige Stückchen schneiden und hinzufügen. Das Fleisch nur ganz kurz anbraten (sonst wird es zäh), dann mit Wasser ablöschen, so dass das Fleisch im Wasser kochen kann. Tomatenmark hinzugeben und verrühren, wieder mit etwas Wasser ablöschen. Passierte Tomaten hinzufügen und umrühren. 1 – 1 1/2 Maggiwürfel hinzugeben. Die Erdnussbutter mit Wasser vermengen und auch dazugeben. Alles ca. 45–60 Minuten köcheln lassen. Mit Salz abschmecken.
Soße mit Makrele
für Nudeln, Reis, Fufu oder Jam 1/2 Tasse Öl 1 1/2 Zwiebeln 1 1/2 kleine Dosen Tomatenmark Maggiwürfel Passierte Tomaten 2 Dosen Makrelenfilet 3–4 Eier Das Öl erhitzen, die Zwiebeln darin anbraten. Erst Tomatenmark, dann Maggiwürfel und die passierten Tomaten dazugeben. Die Makrelenfilets ohne Öl (vorher gut abgießen) hinzugeben und zum Schluss die Eier unterrühren. Fertig!
Fufu: breiähnliche, klebrige Masse (wie Kartoffelbrei), im Afroshop erhältlich. Jam: Kartoffelähnliche Wurzel (im Afroshop erhältlich). Muss geschält und gewürfelt werden. Anschließend in Salzwasser kochen.
Plantain (Kochbananen)
Beliebig viele Kochbananen in Scheiben schneiden, kurz im Salzbad baden und in Öl in der Pfanne goldbraun anbraten. Mhhhh lecker!
Mein Land
Ghana wird als „Land der starken Frauen“ bezeichnet. „Das Huhn weiß, dass der Tag anbricht, lässt jedoch den Hahn krähen.“ Es gibt freie Partnerwahl, Scheidungen und alleinerziehende Mütter, die nicht von der Gesellschaft verstoßen werden. Die Amtssprache ist Englisch, die häufigste Sprache nennt sich jedoch Akan. Ghana ist auch als „Land der 1000 Feste“ bekannt, Ghanaer lieben das Feiern.
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Esskultur in Hildesheim
Rezepte aus Lüneburg
Rezept aus dem Iran
Lüneburger Spargel-Essen
Fesenjan (Für 4 Personen) 2 Zwiebeln 4–5 EL Öl (Pflanzen-/Sonnenblumenöl) 1 Teelöffelspitze Salz 1 Teelöffelspitze Kurkuma 500 g Rindfleisch 1 l Wasser 500 g Walnüsse (gerieben) 1 l Granatapfelsaft 1 Tasse Zucker 250 g Basmati-Reis Salz, Öl Safran, Würfelzucker Die Zwiebeln in Würfel schneiden und mit Öl, Salz und Kurkuma in einem Topf anbraten, bis sie goldbraun werden. Das Rindfleisch in kleine Würfel schneiden, zu den Zwiebeln dazugeben und zusammen ca. 10 Minuten braten, bis das Fleisch die Farbe verändert, aber noch nicht gar ist. Wasser dazugießen und warten, bis das Wasser kocht, danach kommen die Walnüsse, der Saft und der Zucker hinein. Auf kleiner Flamme ca. 2 1/2 Stunden weiter köcheln (Stufe 1 Elektroherd), bis die Masse dickflüssig wird, zwischendurch umrühren. Wenn es nicht süß genug ist, Zucker noch dazugeben.
4 kg frischer Heide-Spargel 3 kg frische Heide-Früh-Kartoffeln 1 l Sauce Hollandaise (keine selbst gemachte) 500 g Butter Den Spargel schälen, dann 10–15 Minuten garen lassen. Die Kartoffeln ca. 20 Minuten kochen. Die Sauce Hollandaise aufwärmen. Die Butter zum Schmelzen bringen und extra servieren.
Erdbeer-Traum
ca. 1 kg Erdbeeren 1/2 1 Himbeersirup 8 Blatt rote Gelatine 2 Päckchen Vanillinzucker 1/2 l kaltes Wasser Die Erdbeeren waschen und in eine kalt ausgespülte Form geben. Den Himbeersirup erhitzen, die Gelatine nach Vorschrift einweichen, ausdrücken und in dem heißen Sirup auflösen. Den Vanillinzucker mit auflösen. Damit die Masse schneller fest wird, erst jetzt das kalte Wasser dazugeben. Die Flüssigkeit über die Erdbeeren gießen und die Schälchen in den Kühlschrank stellen. Dazu kann man Sahne, Vanillesoße oder Eis servieren.
Meine Stadt
Lüneburg ist mit ca. 72 000 Einwohnern die drittgrößte Mittelstadt im Land Niedersachsen. Eine Besonderheit ist das so genannte Senkungsgebiet, das durch den vermehrten Salzabtrag über Jahre hinweg entstand; dadurch begann sich die Oberfläche um mehrere Meter abzusenken. Sehenswert ist auch die weitläufige Lüneburger Heide mit ihren „vielen Gesichtern“ ...
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Mein Land
Das Rezept wurde meistens im Winter gekocht und zu Festlichkeiten, damit wurde den Gästen Respekt, Ehre, Liebe und Zuneigung vermittelt. Oft wurden die Speisen auf dem Boden serviert, weil der Prophet Mohammed früher mit seinen Leuten auch auf dem Boden gespeist hat. Früher hat man auch einen großen Topf mit Kohle genommen, da man ja noch keine Heizung hatte, und hat dann den Topf mit der glühenden Kohle unter den Tisch gestellt und eine dicke Decke über den Tisch gelegt, damit dann alle am Tisch sitzen und es warm haben.
Esskultur in Hildesheim
Rezepte aus Norwegen Norwegische Knödel-Raspeboller Kartoffeln Mehl Salz Margarine Die Kartoffeln reiben und mit etwas Mehl andicken. Schwach salzen (Norweger salzen ihre Speisen nur sehr, sehr wenig). Aus der Kartoffelmasse Knödel formen, in kochendes Salzwasser legen und ca. 20 Minuten kochen lassen. Danach in heißer Margarine anbraten. Schmeckt sehr stark nach mehliger Kartoffel!
Kjöttpolser – norwegische Fleischwurst Fleischwurst Margarine (aus Norwegen, am besten SoftFlora, sie schmeckt etwas salziger) Die Fleischwurst in Scheiben schneiden und in heißer Margarine anbraten. Dazu eine Bratensoße reichen.
Kälrod – Norwegischer Kohl Kohl Salzwasser norwegischer Pfeffer Der Kohl wird geschält und in Würfel geschnitten, dann in etwas Salzwasser ca. 50 Minuten sprudelnd gekocht, danach wird die Flüssigkeit abgegossen. Der Kohl wird nun zu einem Püree gestampft und mit etwas norwegischem Pfeffer abgeschmeckt. Zu jedem Essen in Norwegen wird Flat Brod gereicht, ein sehr dünnes Knäckebrot.
Zu diesen Pfannkuchen wird gewürfelter, geräucherter und ausgelassener Speck gereicht, der auch in norwegischer Margarine gebraten wird. Dazu als Beilage eine norwegische Marmelade.
Mein Land
Die Norweger essen immer und überall Trockenfisch, ein geräucherter, getrockneter Fisch jeder Art. In Norwegen wird das „Mittagessen“ nicht, wie bei uns üblich, zur Mittagszeit eingenommen, sondern abends zwischen 21 und 22 Uhr. Je süßer die Speise zubereitet wurde, desto besser schmeckt es den Norwegern. Die Lieblingsspeise eines Norwegers ist immer noch frischer Lachs, ob als Mittagessen, zum Flat Brod oder einfach zwischendurch. Frischer Lachs aus Norwegen ist hauchdünn und zergeht auf der Zunge und ist mit Lachs in Deutschland in keinster Weise zu vergleichen. Der Tisch in Norwegen wird ständig üppig gedeckt, ob mit warmem Essen, Herzhaftem oder Süßem. Essen ist eine Leidenschaft des Norwegers.
Norwegischer Pfannkuchen ca. 300 g Mehl 2 Eier etwas Wasser und viel Zucker Daraus einen Teig rühren und Pfannkuchen ausbacken.
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Esskultur in Hildesheim
Fotoarbeit: Die Küche im Hildesheimer Frauengefängnis von Tinatin Su-Tsereteli Wie geht es in Küchen zu, die sich in geschlossenen, für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Institutionen befinden? Diese Frage hat mich für meine fotografische Arbeit beschäftigt, und so fiel meine Wahl auf das Frauengefängnis in Hildesheim. Wie und was kochen die Insassen, wie ist der Ablauf strukturiert, was ist das Besondere an der Kochsituation an einem solchen Ort? Während sechs Visiten im Frauengefängnis hatte ich Gelegenheit, die Großküche sowie die Kochabläufe vor Ort zu fotografieren. Dabei war es mir wichtig, die besondere Atmosphäre dieses Ortes einzufangen.
Vorbereitung für den Tag
Blick auf den Arbeitsprozess
Büro der Küchenaufsicht
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Esskultur in Hildesheim
Einblick – in eine offene Schublade
Ausblick – über den dampfenden Ofen
Zwei Insassinnen in der Gefängnisküche
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Fotoprojekt Hildesheim kulinarisch
Hilde konsumiert anders Die andere Stadtführung
Wer profitiert beim Kaffeeanbau vom fairen Handel? Wie schmeckt Schokolade ohne Sojalecithin? Was futtert der Fisch, mit dem mein Fisch gefüttert wird? „Hilde konsumiert anders“ ist eine Gruppe junger Stadtführerinnen und Stadtführer, die konsum- und globalisierungskritische Rundgänge durch die Hildesheimer Innenstadt für Schulklassen und andere Interessierte anbietet.
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Statt bekannte Sehenswürdigkeiten zu besichtigen, richten wir unseren Blick auf die Schaufenster einiger Konzernfilialen und gehen bestimmten Produktionsweisen auf den Grund. Wir sprechen über die Wirkung, die unsere Konsumprodukte in anderen Teilen der Welt haben. An mehreren Stationen wird erklärt, wer für ökologische und soziale Missstände in anderen Ländern verantwortlich ist und wie wir durch unser Konsumverhalten Einfluss nehmen. Wir wollen deshalb nicht anprangern, sondern vor allem auf Alternativen zum gewohnten Konsumverhalten aufmerksam machen und die Möglichkeiten jedes und jeder Einzelnen vorstellen, Einfluss zu nehmen und Veränderungen zu bewirken. Das Projekt stammt aus Hannover, wo es „KonsuMensch“ heißt. Mehr dazu im Internet unter www.konsumensch.net. In Hildesheim sind wir am besten über konsumiert-anders@gmx.de zu erreichen.
Fotoprojekt Hildesheim kulinarisch
Kleine Siegelkunde Das Bio-Siegel
Das FAIRTRADE-Siegel
Die meisten Bioprodukte findet man im Bioladen um die Ecke. Aber immer mehr Supermärkte haben Biobananen und Co. in ihrem Sortiment. Das Bio-Siegel ist wie das FairtradeSiegel ein Garant für Transparenz, wenn gerade nicht die Möglichkeit besteht, beim Bauern des Vertrauens nachzufragen.
Die Nutzung des Bio-Siegels richtet sich nach den Kriterien der EG-Öko-Verordnung. In ihr ist unter anderem festgeschrieben, dass gentechnisch veränderte Organismen und die Bestrahlung von Öko-Lebensmitteln verboten sind. Außerdem wird auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und leicht lösliche mineralische Dünger verzichtet. Die Verwendung des Bio-Siegels fordert bei der Tierzucht flächengebundene, artgerechte Tierhaltung und die Fütterung mit ökologisch produzierten Futtermitteln ohne Zusatz von Antibiotika und Leistungsförderern. www.bio-siegel.de
Das FAIRTRADE-Siegel wird in Deutschland vom Verein TransFair vergeben. TransFair handelt nicht mit eigenen Waren, sondern vergibt das Siegel für fair gehandelte Produkte, um benachteiligte Produzentenfamilien in Afrika, Asien und Lateinamerika zu fördern und durch Fairen Handel ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Das Siegel garantiert außerdem den beschränkten Einsatz von Pestiziden, das Verbot von gentechnischer Veränderung und Transparenz für die Verbraucher. In rund 27 000 Supermärkten in Deutschland, im Lebensmittelgeschäft um die Ecke sowie im engagierten Versandhandel werden Produkte mit dem TransFair-Siegel für kontrolliert Fairen Handel angeboten – und natürlich auch in den 800 Weltläden. www.transfair.org
Im Hildesheimer Weltladen von El Puente gibt es auch Produkte mit dem Siegel. Aber auch alle anderen Produkte sind fair gehandelt, da El Puente für partnerschaftlichen Handel steht und überhaupt maßgeblich an der Etablierung des Fairen Handels beteiligt war und ist. www.el-puente.de
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