Pflegebedürftig. Der Ratgeber

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Pflegebedürftig Der Ratgeber

UWE WOLFS

Für alle Fragen rund um das Thema Pflegeversicherung, Wohnen, Betreuung, Pflege und Recht

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Inhalt


Vorwort Einführung Hilfsangebote in unterschiedlichen Lebenssituationen – Ein kurzer Überblick 1

1.6 1.7 1.8

Pflegebedürftigkeit und Pflegestufen – Ein Beratungsgespräch Ziele der sozialen Pflegeversicherung Voraussetzungen für einen Antrag auf Pflegeleistungen Begriff der Pflegebedürftigkeit Formen der Hilfeleistung Ermittlung des zeitlichen Umfangs des regelmäßigen Hilfebedarfs Der Weg zur Pflegestufe Ergebnis der Begutachtung Stufen der Pflegebedürftigkeit

2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5

Barrierefreies Wohnen in den eigenen vier Wänden Ziele der Wohnberatung Wohnungsanpassung Finanzierung der Wohnungsanpassung Wohnungsanpassung in einer Mietwohnung Barrierefreie Mietwohnungen

3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6

Betreutes Wohnen – Möglichkeiten und Grenzen Wohnanlage und Umfeld Die Wohnungsausstattung Grundleistungen der Betreuung Wahlleistungen Kosten und Finanzierung Weiteres Vorgehen

1.1 1.2 1.3 1.4 1.5


Inhalt

4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5

Ambulante Beratung, Betreuung und Pflege Beratung und Pflegeberatung Pflegegeld Pflegesachleistungen Kombination von Geld- und Sachleistungen Häusliche Krankenpflege und Behandlungspflege durch die Krankenversicherung 4.6 Betreuung von Menschen mit Demenz 4.7 Häusliche Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson 4.8 Soziale Absicherung der Pflegeperson und Pflegezeit 5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6

Tages-/Nachtpflege und Kurzzeitpflege Angebote der Tages- und Nachtpflege Vertragliche Grundlagen und Finanzierung Der Tages- bzw. Nachtverlauf Angebot der Kurzzeitpflege Vertragliche Grundlagen und Finanzierung Leistungen einer Kurzzeitpflegeeinrichtung

6 6.1 6.2 6.3 6.4

Wohngemeinschaften Bedeutung der Wohngemeinschaften Organisation und Ausgestaltung Kosten und Finanzierung Das Leben in einer Wohngemeinschaft

7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6

Vollstationäre Versorgung – Die Senioreneinrichtung Auswahl einer Einrichtung Der Einzug Vertragliche Bedingungen Grundlagen der Finanzierung Das Leben in einer stationären Einrichtung Möglichkeiten der Mitbestimmung und Teilhabe


8 8.1 8.2 8.3 8.4

Gesetzliche Betreuung und Vorsorgevollmacht Wann wird eine gesetzliche Betreuung notwendig? Das Betreuungsverfahren Aufgaben des gesetzlichen Betreuers Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung

9

Weitere rechtliche und allgemeine Aspekte bei Pflegebedürftigkeit 9.1 Die Patientenverfügung 9.2 Freiheitseinschränkende Maßnahmen 9.3 Widerspruchsverfahren bei Pflegeeinstufung 9.4 Klageverfahren bei Pflegeeinstufung

Anhang Stichwortverzeichnis A–Z Anlagen Literaturhinweise Weiterführende Adressen


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Einführung

Einführung Hilfsangebote in unterschiedlichen Lebenssituationen – Ein kurzer Überblick Seit etwa hundert Jahren werden, als Folge eines stetig steigenden Lebensstandards und einer besseren medizinischen Versorgung, die Menschen in Deutschland und in anderen Industrieländern immer älter. Der Anteil der Menschen über 65 Jahre hat sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts vervierfacht. Die längere Lebensdauer bietet den Menschen die Chance, noch sehr lange nach dem Renteneintritt das Leben in der Gemeinschaft aktiv mit zu gestalten. Erst mit zunehmend hohem Lebensalter steigt die Gefahr der Pflegebedürftigkeit, und mit diesem Anstieg steigen auch die Anforderungen an unser Gesundheits- und Sozialsystem. Im Jahr 2005 lag die Zahl der Pflegebedürftigen bei den 70- bis unter 75-Jährigen bei nur fünf Prozent, bei den über 90-Jährigen jedoch bei 60 Prozent. Von den 2,25 Millionen Pflegebedürftigen im Jahr 2007 wurden knapp zwei Drittel zu Hause versorgt, davon wiederum gut zwei Drittel durch Angehörige und ein Drittel durch ambulante Pflegedienste. Rund 700.000 Menschen wurden in stationären Einrichtungen versorgt. Da die Zahl der Menschen, die ein hohes und sehr hohes Alter erreichen, zunimmt, wird sich in den nächsten 20 Jahren auch die Zahl der Pflegebedürftigen um schätzungsweise eine weitere Million erhöhen. Diese Zahlen des statistischen Bundesamtes verdeutlichen die Veränderung der Bevölkerungsstruktur im Alter hinsichtlich zunehmender Hilfe- und Pflegebedürftigkeit. Diese Entwicklung weist der Gesellschaft die Aufgabe zu, Wege und Lösungen zu finden, um pflegebedürftigen Menschen ein würdevolles Leben und ihnen und den pflegenden Angehörigen die Teilhabe am Leben so gut es geht zu ermöglichen. Mit einer kleinen Pflegereform im Jahr 2008 wurde bereits auf diese wach-


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senden Anforderungen reagiert. In der Folge soll auch der Begriff Pflegebedürftigkeit neu definiert werden. Daran arbeiten derzeit die Politik und die Verbände intensiv. Wie aber können Menschen mit zunehmendem Alter ihr Leben möglichst unabhängig gestalten? Wie gehen sie mit hinzukommender Hilfe- und Pflegebedürftigkeit um? Vor allem aber: Sind die Hilfsmöglichkeiten, die sich aus der zuvor genannten Pflegereform und anderen gesellschaftlichen und rechtlichen Veränderungen entwickeln, wirklich bekannt? Für die Antwort auf viele Fragen und Probleme und je nach individueller Situation benötigt man spezielleres Wissen. Vieles ist oftmals nicht oder nur unvollständig bekannt und muss, vor allem bei schnell eintretender Hilfe- und Pflegebedürftigkeit, zeitnah als Information zur Verfügung stehen. In den Kapiteln dieses Buchs wird anhand individualisierter Fälle dargestellt, welche Möglichkeiten sich bei Menschen ergeben können, die mit zunehmendem Alter Einschränkungen in der Mobilität erleben oder gar pflegebedürftig werden. Die Inhalte bieten zahlreiche Informationen in einer leicht verständlichen Sprache und einen praktischen Zugang zu teilweise sehr komplexen Themen wie unterschiedlichen Wohnformen, den Leistungen der Pflegeversicherung und anderer Kostenträger, den Angeboten professioneller Pflegeeinrichtungen sowie den rechtlichen Rahmenbedingungen. Am jeweiligen Kapitelschluss befinden sich Hilfsmittel wie Checklisten und Hinweise auf Informationsquellen mit vertiefenden Inhalten. Kapitel 1 Pflegebedürftigkeit und Pflegestufen – Ein Beratungsgespräch In diesem grundlegenden Kapitel wird der Leser mit der Situation vertraut gemacht, in die er eintritt, wenn er sich zum ersten Mal zu einem Beratungsgespräch mit einem Pflegeberater ent-


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Einführung

schließt. Mit welchen Erwartungen darf er in das Gespräch gehen? Welche Hilfen werden ihm dort angeboten? In diesem Kapitel wird in einem der Praxis nachempfundenen Beratungsgespräch neben den Zielen der Pflegeversicherung der Begriff der Pflegebedürftigkeit erläutert, wie ihn das Pflegegesetz versteht. Ausführlich werden die Vorgehensweise zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit und die Ermittlung des Pflegebedarfs beschrieben. In lebendig anschaulicher Weise wird dabei der Weg von der Antragstellung bei der Pflegekasse über die Vorbereitung des Besuchs durch den Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung und die Durchführung der Begutachtung bis hin zum Bescheid durch die Pflegekasse nachgezeichnet. Kapitel 2 Barrierefreies Wohnen in den eigenen vier Wänden Hier werden Möglichkeiten und Maßnahmen dargestellt, die in der eigenen Wohnung umgesetzt werden können, um diese barrierefrei zu gestalten. Hindernisse entstehen häufig durch bauliche Situationen und Ausstattungen, wie beispielsweise eine hohe Badewanne oder eine zu schmale Tür. In vielen Kommunen wird zu diesem Thema eine Wohnberatung angeboten. Zusätzlich können die neu entstehenden Pflegestützpunkte beratend unterstützen. Ziel soll es sein, die Wohnung so zu gestalten, dass diese auch mit körperlicher Beeinträchtigung in vollem Umfang genutzt werden kann. Die Veränderung der Wohnung in einzelnen Bereichen und die mögliche Finanzierung bilden den Schwerpunkt des Kapitels. Kapitel 3 Betreutes Wohnen – Möglichkeiten und Grenzen Dieses Kapitel befasst sich mit Angeboten des betreuten Wohnens. Diese Wohnform wird vermehrt seit etwa Anfang der neunziger Jahre angeboten und erfreut sich zunehmender


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Nachfrage. In den Bundesländern gibt es hierzu durch die zuständigen Ministerien vereinzelt Qualitätsvorgaben, welche auf allgemein anerkannten DIN-Normen beruhen. Diese Normen machen Aussagen zur Barrierefreiheit der Wohnungen, der Lage und Anbindung an die örtliche Umgebung sowie zu den Vertragsverhältnissen und Betreuungsleistungen. Das Kapitel weist auch auf Leistungsgrenzen des betreuten Wohnens hin. Kapitel 4 Ambulante Beratung, Betreuung und Pflege Neben der barrierefreien Gestaltung des Wohnraumes können, bei zunehmender Hilfe- und Pflegebedürftigkeit, Angebote der ambulanten Versorgung zusätzlich genutzt werden, um ein möglichst langes Leben in der eigenen Häuslichkeit zu gewährleisten. Die Möglichkeiten der ambulanten Betreuung, Beratung und Pflege werden erörtert. Weitere Themen sind die Differenzierung von Pflegegeldleistungen und Pflegesachleistungen, die Kombinationen aus beiden Leistungsformen sowie weitere mögliche Leistungen im ambulanten Bereich. Unterstützungsmöglichkeiten für die Pflegeperson werden ebenfalls erörtert. Kapitel 5 Tages-/Nachtpflege und Kurzzeitpflege Ambulante Dienste kommen immer nur für die vereinbarten Tätigkeiten ins Haus. In der übrigen Zeit sind es oft die Angehörigen, die den Pflegebedürftigen versorgen. Das kann zu großen Belastungen führen, etwa wenn die pflegende Tochter berufstätig ist oder krank wird. Hier gibt es die Möglichkeit einer erweiterten oder ersatzweisen Versorgung des Pflegebedürftigen. Zur Stützung und Ausweitung der Pflege im häuslichen Bereich hat der Gesetzgeber mit der Pflegereform 2008 dazu die Angebote der Tages- und Nachtpflege deutlich besser finanziert. Vor allem die Tagespflege erhält damit einen deutli-


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Einführung

chen Entwicklungsschub. In diesem Kapitel werden neben dem Leistungsspektrum der Tages- und Nachtpflege auch das Angebot der Kurzzeitpflege, die damit verbundenen Leistungen sowie die dazu nötige Finanzierung erörtert. Kapitel 6 Wohngemeinschaften Eine für ältere Menschen relativ neue Wohnform, die seit etwa zehn Jahren immer bekannter geworden ist und häufiger genutzt wird, ist die Wohngemeinschaft. Hierbei beschließen Menschen gemeinsam, Wohnräume zu mieten oder zu kaufen, Pflege- und Betreuungsleistungen rund um die Uhr zu organisieren und ihren Alltag zu gestalten. Dabei müssen besondere Bedingungen, die das Wohnen und Leben in solch einer Senioren-WG beeinflussen, berücksichtigt werden. Das Kapitel beschreibt diese Alternative zur vollstationären Pflege und erläutert die inhaltlichen und finanziellen Bedingungen. Kapitel 7 Vollstationäre Versorgung – Die Senioreneinrichtung Das Wohnen und Leben in einer vollstationären Senioreneinrichtung hat sich seit Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 und der damit verbundenen Qualitätsanforderungen deutlich verändert. Zum einen ziehen immer mehr Menschen mit Mehrfacherkrankungen und höherer Pflegebedürftigkeit ein, die häuslich nicht mehr versorgt werden können, zum anderen steigen die Maßstäbe, die an die Wohn-, Pflege- und Betreuungsqualität angelegt werden. Neben den zu erwartenden differenzierten Angeboten einer Einrichtung, den Einzugsvoraussetzungen und den Mitbestimmungs- und Teilhabemöglichkeiten werden die finanziellen Rahmenbedingungen in diesem Kapitel erläutert.


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Kapitel 8 Gesetzliche Betreuung und Vorsorgevollmacht Für einige Menschen ist eine gesetzliche Betreuung notwendig, wenn sie, je nach vorhandenen oder verbliebenen Fähigkeiten, ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr selbst regeln können. Hierbei wird durch ein zuständiges Gericht im Rahmen eines Verfahrens eine Betreuung bestimmt. Der Aufgaben- und Wirkungskreis eines Betreuers, der der gesetzliche Vertreter des Betreuten ist, wird vom Gericht in einer Bestellungsurkunde festgelegt. Die Darstellung der Möglichkeiten einer Vorsorgevollmacht oder Betreuungsverfügung im Vorfeld einer gerichtlich angeordneten Betreuung sowie der Rechte des unter Betreuung stehenden Menschen rundet das Kapitel ab. Kapitel 9 Weitere rechtliche und allgemeine Aspekte bei Pflegebedürftigkeit Dieses Kapitel befasst sich mit weiteren rechtlichen Grundlagen und Möglichkeiten, die im Gesamtzusammenhang bei Pflegebedürftigkeit wichtig sein können. Neue rechtliche Regelungen zur Patientenverfügung und die Form und Wirkung einer solchen Verfügung werden beschrieben. Außerdem werden allgemeine Bedingungen von so genannten freiheitseinschränkenden Maßnahmen bei Selbst- oder Fremdgefährdung sowie Überlegungen zur Reduzierung solcher Maßnahmen angesprochen. Das Kapitel schließt mit den rechtlichen Möglichkeiten des Pflegebedürftigen bei angenommener falscher Pflegeeinstufung ab.


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Pflegebedürftigkeit und Pflegestufen – Ein Beratungsgespräch

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Pflegebedürftigkeit und Pflegestufen – Ein Beratungsgespräch

1.1

Ziele der sozialen Pflegeversicherung

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1.2

Voraussetzungen für einen Antrag auf Pflegeleistungen

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1.3

Begriff der Pflegebedürftigkeit

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1.4

Formen der Hilfeleistung

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1.5

Ermittlung des zeitlichen Umfangs des regelmäßigen Hilfebedarfs

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1.6

Der Weg zur Pflegestufe

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1.7

Ergebnis der Begutachtung

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1.8

Stufen der Pflegebedürftigkeit

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Pflegebedürftigkeit und Pflegestufen – Ein Beratungsgespräch

1.1 Ziele der sozialen Pflegeversicherung Das Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit, auch als Soziale Pflegeversicherung oder SGB (Sozialgesetzbuch) XI bezeichnet, ist am 1. Januar 1995 als fünfte Säule der Sozialversicherungen in Kraft getreten und wurde zuletzt im Jahr 2008 reformiert. Die Grundsätze des Gesetzes lauten „Vorrang der häuslichen Pflege“ und „Vorrang von Prävention und Rehabilitation“. Pflegebedürftige sollen so lange wie möglich in ihrer häuslichen Umgebung bleiben können. Leistungen der teilstationären Pflege (Tages- und Nachtpflege), der Kurzzeit- und vollstationären Pflege kommen erst nachrangig in Betracht. Die Pflegekassen lassen über den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (im Folgenden MDK genannt) prüfen, inwieweit Maßnahmen zur Prävention oder Rehabilitation geeignet, notwendig und zumutbar sind. Da die Pflegekassen nicht selber Träger dieser Leistungen sind, wirken sie bei den zuständigen Leistungsträgern darauf hin, dass frühzeitig alle Maßnahmen zur Prävention, Krankenbehandlung und Rehabilitation eingeleitet werden, um Pflegebedürftigkeit nicht eintreten zu lassen oder sie zu überwinden, zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu verhindern. Die private Pflegeversicherung orientiert sich in ihren Leistungen an denen der sozialen Pflegeversicherung. Sie bedient sich für die Begutachtung nicht des MDK, sondern eines privaten Unternehmens. Die Pflegebedürftigen sollen ein möglichst selbstbestimmtes und selbstständiges Leben führen. Sie können, soweit dies notwenig und wirtschaftlich ist, zwischen zugelassenen ambulanten und teil- oder vollstationären Einrichtungen wählen. Religiöse und kulturelle Bedürfnisse sowie Wünsche nach gleichgeschlechtlicher Pflege sollen nach Möglichkeit berücksichtigt werden. Die Kompetenz und Motivation pflegender Angehöriger soll gestärkt werden. Ziel der Pflege ist es, die Pflege-


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bedürftigen zu aktivieren, um vorhandene Fähigkeiten zu erhalten oder verlorene Fähigkeiten zurückzugewinnen. Die Pflegeversicherung bietet jedoch trotz dieser genannten Ziele nur eine Grund- oder Teilsicherung, vergleichbar etwa einer Teilkaskoversicherung, sie unterstützt und ergänzt die Leistungen von Familienangehörigen oder anderen Pflegepersonen, ersetzt diese aber nicht vollständig. Ihre Leistungen sind durch festgelegte Höchstwerte begrenzt, die von der jeweiligen Pflegestufe abhängen, welche einem Pflegebedürftigen zuerkannt wird. So kommt es, dass trotz der Pflegereform von 2008 und der damit verbundenen Erhöhung der Leistungen viele Pflegebedürftige oder deren unterhaltspflichtige Angehörige entweder aus eigener Tasche dazuzahlen oder Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen. Dies gilt in hohem Maße, wenn vollstationäre Pflege erforderlich ist. Was das alles im Einzelnen bedeutet, soll in dem folgenden Beratungsgespräch erläutert werden. Das Ehepaar Herting lebt in einer kleinen Vorortsiedlung einer Großstadt. Sie wohnen zur Miete in einer Drei-Zimmer-Wohnung eines Mehrfamilienhauses. Herr und Frau Herting genießen seit einigen Jahren ihre wohlverdiente Altersruhe. Regelmäßig fahren sie mit ihrem Pkw in die Innenstadt oder suchen sich Ausflugsziele in der näheren Umgebung. Beide sind sehr an kulturellen Veranstaltungen interessiert und verbinden mit ihren Ausflügen gerne einen Museums- oder Theaterbesuch. Da sie seit Jahrzehnten in ihrem Vorort wohnen, kennen sie ihre Nachbarschaft gut und haben einen regen Kontakt mit den Menschen in ihrem Umfeld. Außerdem sind beide in der Kirchengemeinde aktiv und engagieren sich ehrenamtlich in einer Seniorenbegegnungsstätte. Trotz ihrer eigentlich guten Gesundheit erlitt Frau Herting vor einigen Monaten einen leichten Schlaganfall und musste für mehrere Wochen ins Krankenhaus. Dort bekam sie viele Therapien und erholte sich schnell, so dass sie bald wieder nach Hause ent-


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Pflegebedürftigkeit und Pflegestufen – Ein Beratungsgespräch

lassen werden konnte. Eine leichte Lähmung des rechten Beins und des rechten Arms ist ihr aber geblieben, daher hat sie einige Probleme im Alltag und benötigt Hilfe bei der Körperpflege sowie beim An- und Auskleiden. Ihr Mann steht ihr dabei zur Seite und übernimmt auch manche Tätigkeiten im Haushalt, doch fühlt er sich manchmal überfordert, da seine Kräfte nachlassen. Der Hausarzt hat Frau Herting Krankengymnastik verordnet, die ihr gut tut und ihre Beweglichkeit verbessert. Dennoch muss sie sich eingestehen, dass sie noch eine Weile Hilfe brauchen wird, am besten wohl professionelle Hilfe. In einem Telefonat mit ihrer Pflegekasse haben Frau und Herr Herting von einem Pflegestützpunkt in der Nähe ihres Wohnortes erfahren und mit einer Pflegeberaterin, Frau Wulf, ein Beratungsgespräch vereinbart. Sie wollen wissen, welche Leistungen sie über die Pflegeversicherung erhalten können und was sie dafür tun müssen.

1.2 Voraussetzungen für einen Antrag auf Pflegeleistungen Frau Herting: Danke, dass Sie sich Zeit nehmen für meine Fragen. Am Telefon haben mein Mann und ich Ihnen unsere Situation ja schon kurz geschildert, aber heute möchte ich mich erst einmal allgemein über die Pflegeversicherung informieren. Im Internet hat mein Mann schon einiges gefunden. Auch aus dem Freundeskreis haben wir Informationen erhalten, die aber zum Teil sehr unterschiedlich sind. Vieles ist uns dabei unklar geblieben und wir haben noch viele Fragen. Die erste ist: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ich überhaupt Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten kann? Frau Wulf: Die erste Voraussetzung für Leistungen aus der Pflegeversicherung ist, dass ein Versicherungsverhältnis besteht oder bestanden hat, das heißt, dass jemand bei einer Pflege-


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kasse versichert ist oder versichert war. Ich nehme an, dass Sie diese Voraussetzung erfüllen (Frau Herting nickt), denn wie in der Krankenversicherung besteht auch in der Pflegeversicherung eine Versicherungspflicht für alle, und zwar, je nach Status und Einkommen, in der sozialen oder der privaten Pflegeversicherung. Die zweite Voraussetzung ist, dass der Versicherte, bevor er Leistungen beanspruchen kann, eine so genannte Vorversicherungszeit von mindestens zwei Jahren in den vergangenen zehn Jahren hat, das heißt, dass er innerhalb der zehn Jahre, die vor seinem Antrag auf Leistungen aus der Pflegeversicherung liegen, mindestens zwei Jahre lang versichert gewesen ist und Beiträge gezahlt hat. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Jemand beantragt am 1. Juli 2010 Leistungen aus der Pflegeversicherung, hat sich aber erst ab 1. Januar 2009 versichert, dann beträgt seine Vorversicherungszeit erst 18 Monate, also nicht die vorgeschriebenen zwei Jahre, und er kann Leistungen erst ab dem 1. Januar 2011 in Anspruch nehmen. Hätte er dagegen schon vor dem 1. Juli 2008 eine Pflegeversicherung abgeschlossen, dann wäre die Vorversicherungszeit von zwei Jahren gegeben, er kann also Leistungen ab dem 1. Juli 2010 erhalten. Wenn diese beiden Voraussetzungen erfüllt sind, muss allerdings, als dritte Voraussetzung, auch noch Pflegebedürftigkeit im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes vorliegen. In diesem Gesetz und in den für die Pflegeeinstufung entwickelten Begutachtungsrichtlinien sind der Begriff der Pflegebedürftigkeit und der Umfang der zu berücksichtigenden Hilfen bei den Verrichtungen des täglichen Lebens eng definiert.


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Pflegebedürftigkeit und Pflegestufen – Ein Beratungsgespräch

1.3 Begriff der Pflegebedürftigkeit

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Frau Herting: Können Sie mir das näher erklären? Was heißt „Pflegebedürftigkeit im Sinne des Gesetzes“ und dass dieser Begriff eng definiert ist? Frau Wulf: Das Gesetz legt nicht fest, was Pflegebedürftigkeit überhaupt ist (das könnte kein Gesetz jemals tun), sondern es legt fest, welcher Bedarf an Pflege vorliegen muss, damit staatliche Hilfe in Form von finanziellen oder Sachleistungen in Anspruch genommen werden kann. Damit ist der Aufwand an Zeit gemeint, der für die Pflege nötig ist. Erst wenn dieser Aufwand an Zeit eine bestimmte Mindesthöhe erreicht oder überschreitet, liegt Pflegebedürftigkeit „im Sinne des Gesetzes“ vor. Wird diese Mindesthöhe nicht erreicht, besteht kein Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung. Darin liegt die Einschränkung, die ich meinte, als ich sagte, das Gesetz definiere den Begriff „Pflegebedürftigkeit“ eng. Von diesem Zeitaufwand hängt es auch ab, welche Pflegestufe jemandem zuerkannt wird. Von diesen Pflegestufen haben Sie sicher schon gehört. Frau Herting: Ja, und dazu habe ich auch einige Fragen. Aber zunächst möchte ich doch wissen, wen das Gesetz überhaupt für pflegebedürftig hält.

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Frau Wulf: Als pflegebedürftig im Sinne des Gesetzes gelten nur Menschen, die in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im täglichen Leben auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate.


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Wichtig sind hier die Worte „in erheblichem oder höherem Maße“. „Leichte“ Fälle bleiben also ausgeschlossen. Doch darauf kommen wir sicher noch zurück. Wichtig sind auch im zweiten Punkt die Worte „gewöhnlich und regelmäßig“ und im dritten „mindestens sechs Monate“. Frau Herting: Können Sie mir diese einzelnen Punkte näher erläutern? „Krankheit oder Behinderung“ haben Sie zuerst gesagt. Fallen alle Erkrankungen darunter oder sind nur bestimmte Formen von Krankheit oder Behinderung gemeint?

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Frau Wulf: Das Gesetz unterteilt zunächst grob Krankheiten oder Behinderungen in drei Gruppen: Verluste, Lähmungen oder andere Funktionsstörungen am Stütz- und Bewegungsapparat, Funktionsstörungen der inneren Organe oder der Sinnesorgane, Störungen des Zentralnervensystems wie Antriebs-, Gedächtnis- oder Orientierungsstörungen sowie endogene Psychosen, Neurosen oder geistige Behinderungen. Es kommt dabei nicht so sehr darauf an, wie schwer eine Krankheit oder Behinderung ist. Entscheidend ist vielmehr, welcher individuelle Hilfebedarf sich aus den konkreten Schädigungen und Beeinträchtigungen sowie aus den noch vorhandenen Fähigkeiten ergibt, und zwar in Bezug auf die täglich anfallenden Verrichtungen, die medizinisch und pflegerisch notwendig sind. Ferner müssen die Wohnverhältnisse sowie die individuelle Pflegesituation anhand der Lebensgewohnheiten berücksichtigt werden. Sie sehen also auch hier, dass es wieder darum geht, Gesichtspunkte festzulegen, die eine Unterscheidung zwischen „wird anerkannt“ und „wird nicht anerkannt“ ermöglichen.


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Pflegebedürftigkeit und Pflegestufen – Ein Beratungsgespräch

Frau Herting: Gilt diese Unterscheidung auch „für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im täglichen Leben“, wie Sie aus dem Gesetz zitierten? Das hört sich doch zunächst sehr umfassend an.

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Frau Wulf: Ja, gemeint sind die ganz gewöhnlichen, sich alle Tage wiederholenden Verrichtungen wie aufstehen, sich waschen, sich ankleiden, essen und trinken, aus dem Haus gehen, einkaufen und dergleichen mehr, alles, was im Tagesablauf auch ein gesunder Mensch gewöhnlich tut. Aber das Gesetz will und muss auch hier wieder genau sein, denn die Formulierung „alle Verrichtungen“ wäre zu unbestimmt. Deshalb werden vier Bereiche angegeben, in denen insgesamt 21 einzelne Verrichtungen genannt und näher beschrieben werden. Diese vier Bereiche sind: Körperpflege und Darm- und Blasenentleerung, Ernährung, Mobilität, Hauswirtschaftliche Versorgung. Und hier gibt es wieder eine Einschränkung: Sollten Sie lediglich Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen, so wären Sie noch nicht pflegebedürftig im Sinne des Gesetzes. Das wären Sie erst, wenn Sie zusätzlich auch regelmäßig mindestens einmal am Tag Hilfe aus einem oder mehreren der drei anderen genannten Bereiche brauchten, etwa bei der Körperpflege, und dafür eine genau festgelegte Mindestzeit aufgewendet werden müsste. Und noch eine Einschränkung ist wichtig. Sie steckt im Wort „regelmäßig“. Entscheidend für die Feststellung und die Höhe einer Pflegestufe ist, wie häufig, in welchem zeitlichen Umfang und in welcher Hilfeform in den einzelnen Verrichtungen ein regelmäßiger Hilfebedarf besteht. Ein geringfügiger, nicht regelmäßiger oder kurzzeitiger Hilfebedarf führt nicht zur Anerkennung einer Pflegestufe. Hilfestellungen, die über die


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definierten Verrichtungen hinausgehen, können bei der Feststellung der Pflegestufe nicht berücksichtigt werden. Frau Herting: Oh, das ist viel auf einmal! Und alles so zusammengedrängt in wenige Begriffe. Ich bin an den „einzelnen Verrichtungen“ hängen geblieben. Welche sind das? Frau Wulf: Ich habe hier eine Übersicht, in der diese einzelnen Verrichtungen aus den vier Bereichen – es sind genau 21 – mit Minutenwerten aufgeführt sind. Der MDK benutzt diese Vorlage, wenn er die Pflegebedürftigkeit eines Antragstellers prüft. Am besten gehen wir dieses Blatt einmal durch, es zeigt sehr konkret, was „pflegebedürftig im Sinne des Gesetzes“ meint. Sie können diese Übersicht nachher auch mit nach Hause nehmen, sie enthält einige Erläuterungen, auf die wir jetzt nicht einzugehen brauchen. (Siehe Anlage 1) Sehen Sie hier, Bereich Körperpflege: Dazu gehören neben dem Waschen, Duschen und Baden die Zahnpflege, das Frisieren und das ein- bis zweimal wöchentliche Waschen und Trocknen der Haare und das Rasieren sowie die Intimhygiene nach Darmund Blasenentleerung. Schminken gehört nicht dazu. Bei jeder einzelnen Verrichtung ist angegeben, welche Zeit (durchschnittlich) ein gesunder Mensch dafür braucht: 

1. Waschen Ganzkörperwäsche: Waschen Oberkörper: Waschen Unterkörper: Waschen Hände/Gesicht:

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20–25 Minuten 8–10 Minuten 12–15 Minuten 1–2 Minuten


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Barrierefreies Wohnen in den eigenen vier W채nden

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00 00 2.1

Ziele der Wohnberatung 00

2.2

Wohnungsanpassung

2.3

Finanzierung der Wohnungsanpassung

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2.4

Wohnungsanpassung in einer Mietwohnung

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2.5

Barrierefreie Mietwohnungen

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Barrierefreies Wohnen in den eigenen vier Wänden

Barrierefreies Wohnen in den eigenen vier Wänden “My home is my castle.” Dieses geflügelte Wort gilt nicht nur für unsere britischen Nachbarn, sondern gleichermaßen für deutsche Verhältnisse. Die eigene Wohnung, das eigene Haus ist der privateste und intimste Bereich, in dem ein Mensch sich zurückziehen und nach seinen Bedürfnissen leben kann. Die Ausstattung der eigenen vier Wände und die Gestaltung des Lebens darin spiegeln die hohe Individualität eines jeden Menschen wider. Dies gilt für Menschen in jedem Alter, gewinnt jedoch meist an Bedeutung im höheren Lebensalter, wenn man nicht mehr berufstätig ist und mehr Zeit daheim verbringt. Dann kann das Zuhause zum wichtigsten Lebensbereich werden. Ehepaar Berger lebt seit 45 Jahren gemeinsam in einem Einfamilienhaus. Schon die Eltern von Frau Berger haben in diesem Haus gelebt und sie und ihr Mann können sich keine andere Wohnsituation vorstellen, da sie das Haus und den Garten über viele Jahre gut gepflegt und nach ihren Wünschen geschmackvoll ausgestaltet haben. Frau und Herr Berger sind vor mehr als zehn Jahren in die Altersruhe gegangen. Sie kennen viele Menschen in der Straße und haben guten Kontakt zu den unmittelbaren Nachbarn. Das Haus hat zwei Etagen: Wohnzimmer, Küche und Esszimmer liegen im Erdgeschoss, Schlafzimmer, Bad und Nebenräume befinden sich in der ersten Etage. Herr Berger hatte vor einigen Monaten einen leichten Schlaganfall erlitten und ist seitdem, trotz einer durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme, leicht gelähmt, in seiner Bewegungsfreiheit dadurch eingeschränkt und unsicher beim Gehen. Bei seiner Pflegekasse hatte er eine Pflegestufe beantragt und auch kürzlich die Stufe I genehmigt bekommen. Das Überwinden der Treppe wird für Herrn Berger zur täglichen Qual und er sieht die Gefahr, dass er stürzen könnte.


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Jeder Mensch hat vielleicht schon wie Herr Berger erlebt, was es bedeutet, wenn die eigene Beweglichkeit eingeschränkt ist, sei es infolge eines Unfalls oder nach einem operativen Eingriff. Die Probleme fangen beim täglichen Duschen und Ankleiden an und setzen sich fort, wenn man die Wohnung verlässt und sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem eigenen Pkw fortbewegt. Ist diese Situation zeitlich begrenzt, richtet man sich auf die entstandenen Einschränkungen ein, weil man ja weiß, dass alles nur von vorübergehender Dauer ist. Wie reagieren wir aber, wenn Bewegungseinschränkungen dauerhaft sind und das Treppensteigen oder die Benutzung des Badezimmers zur täglichen Qual wird? Hier bauen sich Barrieren auf, die zunächst unüberwindlich scheinen. Ziel muss es dann sein, die eigene Wohnung und den Zugang zu ihr barrierefrei zu gestalten, das heißt, Veränderungen so durchzuführen, dass ein möglichst selbstständiges, möglichst wenig eingeschränktes Leben erhalten bleibt. Für Herrn Berger sind die Überwindung der Treppe und der tägliche Wechsel der Etagen sowie die Benutzung des Wannenbades zu seinen größten Problemen geworden. Während des Kuraufenthaltes hatte ihm ein Mitpatient erzählt, er lasse daheim gerade sein Haus umbauen. „Barrierefreies Wohnen!“, hatte er gesagt und hinzugefügt: „Das wäre doch auch etwas für Sie! Fragen Sie mal Ihre Pflegekasse, die kann Sie beraten und weiß auch, welche Zuschüsse Sie zu den Umbaukosten erhalten können.“ Außerdem hatte Herr Berger dort von so genannten Pflegestützpunkten gehört, die zu Beratungszwecken eingerichtet werden, sowie von Wohnberatungsstellen, die häufig bei den Städten und Kreisen angesiedelt sind. Auch an diese Beratungsinstitutionen könne er sich mit seinem Anliegen wenden. Dafür müsse er nichts bezahlen, die Beratung durch eine kommunale Wohnberatungsstelle oder einen Pflegestützpunkt, auch in der eigenen Häuslichkeit, sei in der Regel nicht mit Kosten für den Nutzer verbunden. Wenn diese Kosten


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Barrierefreies Wohnen in den eigenen vier Wänden

doch berechnet werden sollten, könnten sie eventuell beim Zuschuss durch die Pflegekasse berücksichtigt werden (siehe Abschnitt 2.3). Wieder daheim, beschließt Herr Berger, von diesen Möglichkeiten Gebrauch zu machen, und wendet sich an die Wohnberatungsstelle seiner Kommune.

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2.1 Ziele der Wohnberatung

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Zunächst erläutert deren Mitarbeiter Herrn Berger die Aufgaben und Ziele, die die Wohnberatungsstellen verfolgen, um eine umfassende Hilfe gewährleisten zu können. Diese stellen sich Herrn Berger wie folgt dar: Beratung über die Möglichkeiten, die Wohnung oder das Haus durch Umbauten an die jeweiligen Bedürfnisse anzupassen, sowie Erarbeitung konkreter Lösungsvorschläge, Information über die Finanzierung der Anpassungsmöglichkeiten, Hilfestellung bei der Beantragung von Zuschüssen oder der Klärung der Wohnungsanpassung mit dem Vermieter, Hilfestellung beim Einholen und Prüfen von Kostenvoranschlägen durch Handwerksfirmen, Beratung bei der Umsetzung der Maßnahmen durch die Handwerksfirmen sowie Prüfung der ordnungsgemäßen Durchführung, Hilfestellung bei einem eventuellen Umzug, wenn die Anpassung der Wohnung nicht möglich ist.

2.2 Wohnungsanpassung Nachdem Herr Berger sich bei der Wohnberatungsstelle in einem ersten Kontaktgespräch über die Ziele und Möglichkeiten


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informiert hat, vereinbaren er und seine Frau den Besuch eines Beraters in ihrem Haus, um Lösungsansätze direkt vor Ort zu bekommen. Sie erhalten dabei umfassende Informationen zu vielen Aspekten der Wohnungsanpassung, welche vor allem in den DIN-Normen 18024 und 18025 festgelegt sind und als Orientierung für das barrierefreie Bauen dienen. Diese Informationen scheinen ihnen im ersten Moment nur teilweise zu ihrer Situation zu passen. Trotzdem hören sie erst einmal interessiert zu: 

Hauseingang Der Hauseingang sollte gut beleuchtet sein und eventuell einen Bewegungsmelder erhalten. Namensschilder und Hausnummern müssen für externe Hilfsdienste wie Notarzt, Rettungswagen oder Hausnotrufdienst gut erkennbar und möglichst beleuchtet sein. Bei Fußmatten ist darauf zu achten, dass sie bodengleich (in eine Vertiefung eingelegt) sind, und bei der Haustür, dass sie sich leicht öffnen lässt und einen Feststellmechanismus hat. Falls Stufen zum Hauseingang führen, können beidseitig Griffe oder Handläufe bis zur Tür sehr hilfreich sein. Für Rollstuhlfahrer könnte beispielsweise eine Rampe angebracht werden. Der Hauseingang sollte gut überdacht sein, damit man bei schlechtem Wetter die Tür in Ruhe aufschließen kann.

Flur und Treppenhaus Im Flur leistet ein Stuhl gute Dienste, damit man sich beim Anziehen der Schuhe setzen kann. Auch eine Ablage für Einkaufstaschen ist sehr sinnvoll. Der Briefkasten sollte in mittlerer Höhe angebracht sein (das gilt auch, wenn er sich außen am Haus befindet und von dort zugänglich ist). Das Treppenhaus kann mit einem zweiten Handlauf ausgestattet werden, um ein

Im Buch geht es weiter …


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Pflegebedürftigkeit und Pflegestufen – Ein Beratungsgespräch


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Der Autor Uwe Wolfs ist Leiter einer Altenpflegeeinrichtung, die Anfang der 1990er Jahre nach völlig neuen Grundsätzen erbaut worden ist. Was dabei entstand, ist ein Dorf, in dem manch einer gerne Urlaub machen würde und die meisten, die hier leben, ihren Lebensabend verbringen. Betritt man dieses Dorf, begegnen einem viele ältere Menschen, die meisten noch rüstig zu Fuß, manche an Gehhilfen, manche in Rollstühlen, und dazwischen wie selbstverständlich immer wieder spielende Kinder. Wolfs ist ein Altenpfleger mit Herz und Verstand. Zunächst jedoch hatte er andere Berufsziele. 1961 geboren, war er während seiner Schulzeit in der Jugendarbeit aktiv. Danach absolvierte er eine Ausbildung zum Verwaltungsangestellten. Nachdem er sich für den Zivildienst entschieden hatte, führte ihn der Weg, eher unfreiwillig, in die Arbeit in einem Alten- und Pflegeheim. „Dort“, so sagt er, „lernte ich von der ,Pieke’ auf, wie man pflegt und betreut. Viele der älteren Damen auf der Frauenstation waren sehr desorientiert. Einige konnten jedoch noch schöne Anekdoten aus ihrer Kindheit erzählen – zum Beispiel vom Landleben in Ostpreußen der Jahrhundertwende –, und mir wurde bereits in diesen ersten Wochen deutlich, wie wichtig für die Menschen die Auseinandersetzung mit ihrer Biografie ist und wie viel Wertvolles darin steckt.“ Damit war für ihn klar, dass er nach seinem Zivildienst weiter in der Altenpflege arbeiten wollte. Nach seiner Ausbildung war er zunächst mehrere Jahre als Altenpfleger in der Altenarbeit und in der Behindertenarbeit tätig. Für sein Menschenbild waren die Erfahrungen in der Altenarbeit teilweise ernüchternd, gaben ihm aber auch den Anstoß, darüber nachzudenken, was man verändern könnte, um menschenwürdigere Verhältnisse zu schaffen.


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Der Autor

„Hier hatte ich in der Altenarbeit erlebt, dass auf großen Stationen teilweise bis zu vierzig Menschen zusammenlebten. Die meisten waren überwiegend in Mehrbettzimmern zu dritt oder zu viert untergebracht, ohne Möglichkeit, ihre Privat- und Intimsphäre zu schützen. In der Arbeit mit Menschen mit Behinderung lernte ich erstmals die Arbeit in kleinen Gruppen mit familienähnlichen Strukturen und Tagesabläufen kennen. Während der zwei Jahre meiner Tätigkeit in der Behindertenarbeit dachte ich, dass ähnliche Strukturen doch auch in der Altenarbeit möglich sein können.“ Als in der Stiftung, für die er tätig ist, die Überlegungen für eine grundlegende Neukonzeption in der Altenarbeit reiften und zum Bau des Dorfes führten, in dem zukünftig ältere Menschen in verschiedenen Wohnformen zusammen mit jungen Familien leben sollten, erfüllte sich für ihn ein lang gehegter Wunsch. „Die Chance, die Erfahrungen aus der Wohngruppenarbeit mit den behinderten Menschen in die nun neu zu entwickelnde Altenarbeit einfließen zu lassen, war groß. Die Häuser waren ebenerdig angelegt und es waren kleinere Wohneinheiten mit familiärem Charakter entstanden. Die Privatsphäre, die Biografie und die individuellen Wünsche und Bedürfnisse der Menschen konnten nun besser berücksichtigt werden. Auch war es nun möglich, das Zusammenleben und den Alltag so zu gestalten, dass sie sich nicht mehr von der Normalität außerhalb einer Alteneinrichtung unterschieden.“ Natürlich brauchte es für derartige Neuerungen in der Altenarbeit auch entsprechend ausgebildete Mitarbeiter, die in der Lage waren, die Vorstellungen in die Praxis umzusetzen. Nachdem Wolfs bereits zwei Jahre als Honorardozent in der Altenpflegeausbildung tätig gewesen war, absolvierte er deshalb eine Weiterbildung zum Lehrer für Pflegeberufe und arbeitete zehn Jahre, davon überwiegend als Schulleiter, in der Aus-, Fort-


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und Weiterbildung im Bereich der Pflege und beratend in der Organisations- und Qualitätsentwicklung der Altenpflege. „Wichtig war mir, den Auszubildenden neben fundiertem Basiswissen eines Pflegeberufes auch neue Ansätze der Altenarbeit zu vermitteln. Dazu gehörte eben auch, Kenntnisse zu vermitteln über die Aspekte des Wohnens und Zusammenlebens und darüber, wie das in der Praxis umgesetzt werden kann.“ Seit 2003 leitet Wolfs nun den Altenbereich dieses Dorfes mit angeschlossenem betreuten Wohnen und einem Kurzzeitpflegeangebot, ist aber darüber hinaus auch als Fachdezernent für die Altenarbeit beim gleichen Träger aktiv. In dieser Funktion hat er eine weitere Einrichtung speziell für Menschen mit Demenz konzipiert. Daneben leitete und begleitete er zwei Beratungs- und Begegnungseinrichtungen in der offenen Altenarbeit. Heute ist er zusätzlich mit der Leitung eines ambulanten Pflegedienstes betraut. Mit seiner Tätigkeit geht die ständige Überprüfung und Anpassung der Arbeit in den zahlreichen Einrichtungen des Trägers an die sich verändernden gesellschaftlichen und rechtlichen Bedingungen im Alten- und Pflegesektor einher. Dass dies viel Kraft und Aufmerksamkeit neben der täglichen Arbeit verlangt, ergibt sich schon aus dem Umstand, dass, wie Wolfs sagt, „die Strukturen der ambulanten und stationären Altenarbeit in Deutschland sich mittlerweile deutlich weiterentwickelt haben. So haben sich mit der Einführung der Pflegeversicherung 1995 neben der neuen Finanzierung der Pflege auch die fachlichen Anforderungen an die Arbeit in den Einrichtungen verändert. Menschen, die heute beispielsweise in eine vollstationäre Altenhilfeeinrichtung einziehen, sind zunehmend älter, leiden an mehreren Grunderkrankungen gleichzeitig und sind somit pflegebedürftiger als noch vor wenigen Jahren. Hier greift das Ziel ambulant vor stationär der Pflegeversicherung. Trotzdem haben sich die Lebensbedingungen, etwa in der Wohnraum- und Alltagsgestaltung, in denselben Einrichtungen


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weiter zum Positiven entwickelt, zum Schutz der Privatheit, der Individualität, der Selbstbestimmung. Heute spricht man bereits von der vierten Generation des ,Altenheimbaus’, dem Typ der Hausgemeinschaften, die sich an familienähnlichen Strukturen orientieren.“ Doch was treibt Uwe Wolfs dazu, neben all seiner vielen anderen Arbeit auch noch einen Ratgeber zu schreiben? Die Antwort: Es ist die große Ratlosigkeit und Verunsicherung der Menschen, nicht nur der Betroffenen, sondern auch deren Angehörigen, die ihm in seiner täglichen Praxis begegnet. Denn im Zuge der Erweiterung und Verbesserung des Leistungsangebots im Bereich der Altenbetreuung und der Pflege wuchs auch dessen Unübersichtlichkeit. „Viele Menschen haben häufig keine Kenntnisse über die Möglichkeiten und Grenzen des Systems der Pflege. Auch die nach der Pflegereform 2008 veränderten und neuen Leistungen, etwa der Verbesserung in der Betreuung von Menschen mit Demenz oder der Beratungsleistungen, sind vielfach noch unbekannt. Deshalb habe ich dieses Buch geschrieben, und ich habe es so geschrieben, dass die Menschen Vertrauen fassen in die Chancen, die sich ihnen bei einem befürchteten oder bereits eingetretenen Hilfebedarf heutzutage eröffnen und sie selbstbestimmt und in Würde ihren Weg finden lassen.“


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