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„Durchlauchtigster Prinz, freundlich Geliebter Neveu“ Heinrich Prinz von Preußen (1747–1767) Neffe Friedrichs des Großen
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Michael Sachs
Durchlauchtigster Prinz, freundlich Geliebter Neveu Heinrich Prinz von Preußen (1747–1767) Neffe Friedrichs des Großen
Sein Leben und tragischer Tod in Zeitzeugenberichten
alcorde verlag
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Š alcorde Verlag, Essen, 2012 Š Prof. Dr. med. Michael Sachs Richard-Wagner-Str. 51, 60318 Frankfurt am Main Lektorat: Hans-Joachim Pagel, Essen Satz, Layout und Einbandgestaltung: alcorde Verlag, Essen Gesamtherstellung: Griebsch & Rochol Druck, Hamm ISBN: 978-3-939973-12-6
5 INHALT
Vorwort
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Der König und der Kronprinz bei der Belagerung von Schweidnitz Eine historische Momentaufnahme
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Die „Éloge du Prince Henri de Prusse“ von Friedrich dem Großen Der Text der „Éloge“ Die Entstehung der „Éloge“
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Das Leben Prinz Heinrichs von Preußen Frühe Kindheit (1747–1756) Im Siebenjährigen Krieg (1756–1763) Jünglingsjahre (1763–1767) Krankheit und Tod Die Trauer des Königs Die Beisetzung Prinz Heinrichs
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Exkurs: Maßnahmen nach Prinz Heinrichs Tod zur Bekämpfung der Pocken in Preußen
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Die Erziehung und Bildung Prinz Heinrichs Eine königliche Instruktion Der „Télémaque“ – ein literarisches Erziehungsprogramm Die Interessen des Prinzen
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Prinz Heinrich und seine Geschwister Prinz Heinrich und der Thronfolger Prinz Friedrich Wilhelm Prinz Heinrich und seine Schwester Prinzessin Wilhelmine
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Schlusswort Prinzessin Wilhelmine über ihren Bruder Prinz Heinrich
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inhalt
Anhang Friedrich der Große: „Éloge du Prince Henri de Prusse“ – Das französische Original
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Von Prinz Heinrich 1766 gekaufte Bücher
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Stammtafel: Die Familie des Prinzen Heinrich
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Rangliste des Kürassier-Regiments von Prinz Heinrich 1766
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Verzeichnis der Abbildungen
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Quellen- und Literaturverzeichnis
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Anmerkungen
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Personenregister
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7 VORWORT
Auf den ersten Blick mag es vermessen erscheinen, den Tausenden von Publikationen über König Friedrich II. von Preußen, der schon zu seinen Lebzeiten den Beinamen „der Große“ erhielt, noch eine weitere hinzufügen zu wollen. In dieser Arbeit soll aber das psychologisch interessante Verhältnis des preußischen Königs zu seinem Neffen Prinz Heinrich dem Jüngeren von Preußen untersucht werden, das bisher in der exorbitanten Friedrich-Literatur nicht oder nur kaum beachtet wurde. Dieser Neffe war nämlich der einzige Verwandte Friedrichs, den der zwangsweise verheiratete und kinderlose König „wie einen eigenen Sohn liebte“ und in den er weit größere Hoffnungen setzte als in dessen älteren Bruder, den offiziellen „Prinzen von Preußen“ und Thronfolger Friedrich Wilhelm. Heinrichs früher Tod (1767) stürzte den König, der Tausende von Soldaten in seinen Kriegen opferte, in eine tiefe Depression. Dem gerade Neunzehnjährigen widmete er eine Gedenkrede („Éloge du Prince Henri de Prusse“), die zu seinen liebevollsten Schriften gehört und die er öffentlich in der Berliner Akademie der Wissenschaften vortragen ließ. Grund genug, sich mit dem Leben dieses jungen Prinzen zu beschäftigen, der seinerzeit nach dessen älterem Bruder (dem späteren König Friedrich Wilhelm II.) Nummer zwei der preußischen Thronfolge gewesen war. Ein besonderes Interesse gewinnt diese Gedenkrede auch durch die offensichtliche Identifikation des Königs mit den Eigenschaften seines Neffen, über den er schrieb: „Ein Vater kann seinen einzigen Sohn nicht mehr beweinen als ich diesen liebenswerten Jüngling.“ Mit dieser Arbeit soll versucht werden, das vom König in seiner 1768 publizierten Gedenkrede gezeichnete Bild seines Neffen mit den überlieferten historischen Quellen zu vergleichen: Briefen und Erinnerungen von Verwandten und anderen Zeitgenossen, amtlicher Korrespondenz und persönlichen Dokumenten aus dem Nachlass des Prinzen. Besonderes Augenmerk soll dabei auch auf die recht gut dokumentierte Krankengeschichte des Prinzen gelegt werden, denn sie bietet ein anschauliches Bild ärztlicher Diagnostik und Behandlung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Anders als in anderen historisch-biographischen Arbeiten sollen hier die aufgefundenen Quellen selbst die Zeit beleuchten – auf eigene Wertungen und Interpretationen, die oft nur Projektionen des jeweiligen Autors
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vorwort
in die Vergangenheit sind, wird weitgehend verzichtet. Die Rezeption Friedrichs II. sagt oft mehr über das Zeitalter des Rezipienten (und über diesen) als über den Rezipierten selbst aus: Von der preußischen Heldengeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts („Der Alte Fritz“) über die Hervorhebung des „friderizianischen Beispiels“ im verzweifelten Kampf des kleinen preußischen Staates gegen eine vielfache feindliche Übermacht während des Dritten Reiches („Durchhaltefritz“) bis hin zu einer differenzierteren Darstellung seines sehr widersprüchlichen Denkens, Fühlens und Handelns in der Friedrich-Literatur Nachkriegsdeutschlands wandelt sich das Bild dem jeweiligen „Zeitgeist“ entsprechend. Daher ist dieses Buch keine fortlaufend erzählte Biographie. Es zieht möglichst alle heute noch erreichbaren, oft weit verstreuten und nicht immer leicht zugänglichen Quellen zum Leben Heinrichs von Preußen heran und präsentiert sie in zahlreichen Zitaten, versehen mit knappen, für das Verständnis notwendigen historischen Erläuterungen. Geordnet sind sie teils chronologisch, teils nach einigen wenigen Sachthemen. Das so entstehende Mosaik, ergänzt durch zeitgenössische Bilder und Abbildungen wichtiger Dokumente, wird von zwei, das Charakterbild des Prinzen im Ganzen entwerfenden Texten gerahmt: von der schon erwähnten „Éloge“ Friedrichs und von einer Portraitskizze, die Heinrichs Schwester Wilhelmine Jahre nach seinem Tod geschrieben hat. Dies zeigt, und das Buch soll es noch deutlicher zeigen: Dem Verfasser liegt besonders die Sammlung und Sicherung der jederzeit von der Zeit bedrohten historischen Quellen am Herzen. Sie sind und bleiben die Grundlage jeder sie deutenden Geschichtsschreibung.
Michael Sachs Frankfurt am Main, im Januar 2012
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Der König und der Kronprinz bei der Belagerung von Schweidnitz Eine historische Momentaufnahme
Schweidnitz (Schlesien), im September 1762. Der Siebenjährige Krieg nähert sich seinem Ende. Nach dem unverhofften Separatfrieden mit Russland im Mai gelingt es den preußischen Truppen, weite Teile Schlesiens zurückzugewinnen. Nur die stark ausgebaute Festung Schweidnitz wird noch von österreichischen Truppen gehalten und widersetzt sich lange der preußischen Belagerung. An dieser Belagerung nimmt auch Prinz Friedrich Wilhelm teil. Er ist der älteste Sohn August Wilhelms, des nächstjüngeren Bruders und Thronfolgers König Friedrichs, und war nach dem frühen Tod seines Vaters 1758, erst vierzehnjährig, offiziell zum „Prinzen von Preußen“ und damit zum Thronfolger ernannt worden. Diesen Neffen hatte der König schon im März 1762 in sein Winterlager nach Breslau beordert und dann in sein Hauptquartier in Peterswalde in der Nähe von Schweidnitz mitgenommen. Der dem Knabenalter entwachsende Prinz – er wird im September achtzehn Jahre alt – soll unter den Augen des Königs zum Soldaten und 1 künftigen Heerführer heranreifen. Friedrich betrachtet diesen jungen Mann, der einmal sein Nachfolger werden soll, mit wachsender Sorge: Besitzt er die dafür notwendigen Eigenschaften? Sein Verstand, sein Charakter – genügen sie den hohen Forderungen, die Friedrich an einen künftigen Träger der Krone stellt? Der Prinz betreibt mit Eifer wohl nur sein Violoncello-Spiel, er liebt die Musik, und kaum in Breslau angekommen, hält er Ausschau nach einem guten Instrument, nach Noten, nach Mitspielern. Aber sonst? Er liebt das Theater, Tanz, Zerstreuungen, die heiteren Seiten des Lebens, alles, wobei er sich nicht anstrengen muss. Und geht etwas nicht nach seinen Wünschen – wie auch wieder hier in Breslau, wo sein Taschengeld nicht ausreicht, sich einen Pelz gegen die Frühjahrskälte zu kaufen –, dann lässt er den Kopf hängen, gibt sich trübseligen Stimmungen hin, sieht sein baldiges Ende voraus und schreibt seinem „lieben Linchen“ (dem geliebten Lehrer Béguelin in Magdeburg) wehmütige Abschiedsbriefe. Diese Trägheit, diese Kopfhängerei, dieser Hang zu melancholischen Ahnungen und Träumereien – werden sie sich vertreiben lassen? Der König scheint es zu hoffen. „Mein Neffe beginnt zu erwachen“, schreibt er in einem Brief vom 4. Juni 1762, „er besitzt viel Sanftmut, es mangelt ihm nicht an
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der könig und der kronprinz bei schweidnitz
Abb. 2: Plan der Belagerung der Festung Schweidnitz*
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Geist; es ist da nur eine große Schüchternheit, die ihn zurückhaltend sein lässt.“ Doch diese Hoffnung trog – und die Entwicklung des Thronfolgers in den kommenden Jahren wird den König zu der endgültigen Überzeugung kommen lassen, dass dieser sein Neffe nicht nur unfähig, sondern auch unwürdig ist, dereinst den preußischen Thron zu besteigen. 1770 – da sind alle Versuche Friedrichs, ihn zu ernsthafter Arbeit anzuhalten und 3 in die Staatsgeschäfte einzuführen, gescheitert , die desaströse erste Ehe Friedrich Wilhelms und seine Scheidung schon Vergangenheit4 – wird Friedrich in einem Brief an seine Schwester Ulrike, Königin in Schweden, ein vernichtendes Urteil fällen: „Nichts hat er von der Erscheinung noch von * Nähere Erläuterungen zu dieser und den folgenden Abbildungen siehe S. 165 ff.
der könig und der kronprinz bei schweidnitz
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dem Geiste seines Vaters; linkisch in allem, was er tut, plump, starrköpfig, launenhaft, liederlich und sittenlos, dumm und unerfreulich – das ist sein naturgetreues Portrait. Er verursacht mir hundertfältigen Kummer und verbittert meine alten Tage. […] Er ist der Ausschuß der Familie. Ich spreche darüber nicht und suche seine Fehler nach Möglichkeit zu bemänteln, aber er ist ein trauriges Geschöpf, und auch in der Öffent5 lichkeit weiß man nur allzu gut Bescheid.“ Dieses Urteil stammt, wie gesagt, aus späteren Jahren. Doch schon 1762 zeichnen sich die Konturen dieses Negativbildes des Thronfolgers ab, und sie treten um so deutlicher in Erscheinung, als ihm ein positives Bild entgegensteht: das Bild des gut drei Jahre jüngeren Bruders Heinrich. Dieser ist das genaue Gegenteil Friedrich Wilhelms: hoch begabt, wissbegierig, belesen, liebenswürdig, anmutig – ein Ebenbild seines Vaters und mit seinen vierzehn Jahren schon ein begeisterter Soldat. Ihn beseelt, wie einst den König in seinen jungen Jahren, der Wunsch, einmal Großes zu leisten und sich Ruhm zu erwerben. Damit hat er alle Eigenschaften, die ein Kronprinz in Friedrichs Augen haben sollte, und deshalb liebt ihn dieser wie seinen eigenen Sohn und betrachtet ihn als eine große Hoffnung für das Haus Brandenburg. Wie gern wäre Heinrich, anders als sein Bruder, zum König nach Schlesien gegangen, um den Krieg mitzuerleben! Doch Friedrich hatte ihm das untersagt, und der Zurückgewiesene weint tagelang. Der König hatte sein Nein nicht nur damit begründet, dass Heinrich noch zu jung sei, sondern auch damit, dass er, der König, nicht leichtfertig alle Hoffnungen des Staates auf einmal offenen Gefahren habe aussetzen dürfen (so in der „Éloge“). Eine „Hoffnung des Staates“ (eine wiederkehrende Formel für „Thronfolger“) aber durfte und wollte er solchen Gefahren durchaus aussetzen: Friedrich Wilhelm. In Breslau ist das noch harmlos: Der König nimmt den Neffen mit auf seinen Ausritten, zu militärischen Übungen, zu Truppenbesichtigungen, übergibt ihm das Kommando über ein Regiment, mit dem der Prinz exerzieren darf (er macht das gut und freut sich über das ehrliche Lob Friedrichs).Vor Schweidnitz aber wird es ernst. Die Belagerten schießen auf alles, was sich ihren Befestigungen nähert. Doch Friedrich, manchmal tollkühn, reitet durch die Laufgräben vor der Festung, gerät gelegentlich in die Schusslinie (im Volk geht die Mär um, er sei kugelfest) und nimmt Friedrich Wilhelm dabei mit. Will er dem Schicksal einen Wink geben, damit es das ihn quälende Thronfolgerproblem in seinem Sinne für ihn löst? Die Frage (und jede Antwort darauf) ist spekulativ.
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der könig und der kronprinz bei schweidnitz
Doch dann geschieht es – an einem Tag im September 1762 (das genaue Datum ist unbekannt): Wieder sind der König und seine Begleiter, unter ihnen Friedrich Wilhelm, den Belagerern zu nahe gekommen. Was sich dann ereignet, beschreibt Carlyle so: „Der König besichtigte die Laufgräben vor Schweidnitz. Eine Kanonenkugel schlug das Pferd des Pagen von Pirch zu Boden. Bei Pirchs Unfall schlug auch das Pferd des Prinzen von Preußen wild aus und warf seinen Reiter in die Höhe. Die Leute meinten, der Prinz wäre erschossen, und jedermann war voller Bestürzung. Die Aufregung war groß, nur den König hörte man mit heller Stimme ausrufen: ‚Pirch, vergiß Er seinen Sattel nicht!‘“ (Seinen 6 = den Sattel des vermeintlich toten Thronfolgers oder den Pirchs?) Eine friederizianische Anekdote berichtet dasselbe, gibt nur die Worte des Königs etwas anders wieder: „Der Prinz von Preußen ist gefallen; nehmt seinem Pferd Zaum und Sattel ab.“ 7 Von Bestürzung also keine Rede. Friedrich Wilhelm erzählt den Vorfall seinem Lehrer Béguelin erst in einem Brief vom 17. Oktober 1762 aus Peterswalde, ohne irgendwelche Worte des Königs mitzuteilen, die er (wenn sie denn so oder so ähnlich wirklich gesprochen wurden) in dieser Situation auch kaum gehört haben kann: „Kaum war ich drauf [auf dem Rücken des Pferdes], als ein Kanonenschuß das Pferd des Königlichen Pagen Pirch neben mir tötete. Schließlich komme ich hinkend in meine Unterkunft zurück und legte mich hin. Ein Chirurg des Königs rieb und zupfte mich am Arm, verursachte mir Schmerzen, was ich ihn spüren ließ. Dennoch 8 machte er Verbände am Bein und die ganze Nacht schlief ich nicht und litt sehr.“ Friedrich Wilhelm überlebt, nur leicht verletzt. Das Schicksal hatte anderes vor: Knapp fünf Jahre später, am 26. Mai 1767, stirbt Prinz Heinrich, neunzehn Jahre alt, des Königs große Hoffnung, an einer Pockeninfektion. Neunzehn Jahre später, am 17. August 1786, wird sein Bruder König von Preußen: als Friedrich Wilhelm II.
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Die „Éloge du Prince Henri de Prusse“ von Friedrich dem Großen
Der 1767 im Alter von neunzehn Jahren an den Pocken verstorbene Prinz Heinrich von Preußen9 wäre heute bereits völlig vergessen, hätte sein Onkel König Friedrich II. von Preußen nicht nach dessen Tod eine ungewöhnlich warmherzige Gedenkrede („Éloge“) auf seinen Neffen verfasst und publiziert. Friedrich hat viele Elogen geschrieben und in feierlichen Sonderveranstaltungen vor der Berliner Akademie der Wissenschaften und Künste verlesen lassen. Immer galten Abb. 3: Friedrich II. der Große sie Menschen, die in ihrem Leben Bedeutendes geleistet und sich in den Augen des Königs große Verdienste erworben hatten. Nur einmal – dieses Mal – galt seine gedenkene Lobrede einem Menschen, der noch nichts dergleichen vollbracht, wohl aber in seinen Anlagen, in seinem Charakter und in seiner Entwicklung große Hoffnungen auf derlei Leistungen geweckt hatte – im König und in vielen, die ihn haben aufwachsen sehen: Prinz Heinrich, dem jüngeren Sohn seines Bruders August Wilhelm. Der Historiker Walter Elze schrieb in der Einleitung zu seiner Übersetzung der „Éloge“, in der Weltgeschichte sei „von keinem Herrscher […] ein solches Lob des jugendlichen Menschen“ überliefert. „Es war die Absicht des Königs, in der Rede ein überdauerndes Denkmal für den früh Verstorbenen zu schaffen, 10 der ihm der Unsterblichkeit wert schien.“ Wie schon im Vorwort erwähnt, gewinnt diese Gedenkrede aber besonderes Interesse durch die offensichtliche Identifikation des Königs mit seinem Neffen, den er „wie einen eigenen Sohn liebte“ und über den er an seinen Bruder Heinrich schrieb: „Ein Vater kann seinen einzigen Sohn nicht
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die „éloge du prince henri de prusse“
Abb. 4: Szene aus dem Film „Der Große König“
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mehr beweinen als ich diesen liebenswerten Jüngling.“ Friedrich II. hat der Nachwelt damit nicht nur ein Bild des früh verstorbenen Prinzen überliefert, wie er ihn sah, sondern auch indirekt beschrieben, wie er selbst als jugendlicher Prinz gewesen zu sein glaubte. „Das Geheimnis der Gedenkrede 12 liegt darin, daß Friedrich der Große im Bilde des Neffen zugleich selbst erscheint.“ Außerdem stellte er in dieser Rede dem Thronfolger Friedrich Wilhelm, der sie bei ihrer Verlesung anhörte, noch einmal ein Vorbild vor Augen. Ob bei der Beziehung zwischen dem König und seinem anmutigen, gutaussehenden Neffen auch homoerotische Gefühle eine Rolle spielten, von denen der König bekanntlich nicht frei war, muss ungeklärt bleiben – 13 die Quellen sagen darüber nichts. Die Beziehung des Königs zu seinem Neffen Prinz Heinrich hat auch in dem historisch gut recherierten Historienfilm „Der große König“ aus 14 dem Jahre 1942 eine große Rolle gespielt. Die Darstellung dieser Beziehung wird in diesem Film dazu verwendet, die Menschlichkeit des Königs während eines unmenschlichen Krieges zu zeigen, der das Königreich Preußen an den Rand der Katastrophe brachte und vom König mit beispielloser Härte gegen Freund und Feind (Österreich, Frankreich und Russland) geführt wurde. Dieser fast hoffnungslose Dreifrontenkrieg und der kompromisslose Durchhaltewille des Königs selbst in verzweifelter Situation wurde in dem 1942 produzierten Film aus propagandistischen Gründen natürlich besonders herausgestellt („Durchhaltefritz“).
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der text der „éloge“ DER TEXT DER
„ ÉLOGE “
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„Meine Herren! Ein verständiger Mensch darf sich gewiß dem Kummer hingeben, wenn er mit seinem Vaterlande und einem zahlreichen Volke den Schmerz um einen unersetzlichen Verlust teilt. Es ist nicht die Aufgabe der Philosophie, das natürliche Gefühl in uns zu ersticken; sie beschränkt sich darauf, die Ausbrüche der Leidenschaften in die rechte Bahn zu lenken und zu mäßigen. Sie wappnet das Herz des Weisen mit so viel Festigkeit, daß er sein Unglück mit Seelengröße trägt, würde ihn aber tadeln, wenn er Verlust und Unglück seiner Mitbürger mit dumpfer Gleichgültigkeit und kaltem Blick ansähe. Es muß mir also vergönnt sein, meine Stimme mit der so vieler tugendhafter Bürger zur Klage um einen jungen Prinzen zu vereinen, den die Götter der Welt nur gezeigt und wieder genommen haben. Die hohe Geburt, die Prinz Heinrich dem Thron so nahe stellte, war nicht die Ursache so allgemeiner Trauer: Hoheit, Glanz und Macht flößen nur Furcht ein, erzwungene Ergebenheit und Respekt, der ebenso leer ist wie das Idol, dem man ihn erweist. Stürzt das Idol, so ist es mit der Achtung vorbei, und die Bosheit schlägt sie in Trümmer. Nein, meine Herren, was man am Prinzen Heinrich schätzte, ist nicht das Werk des Schicksals, sondern das Werk der Natur, seine Geistesgaben und Herzenseigenschaften, das eigenste Verdienst. Dieser Jüngling, der keine Spur seines Daseins zurückließ, verdient unsere Trauer, weil er zu den schönsten Hoffnungen berechtigte und wir nur wenige Prinzen zu verlieren haben. Meine Herren, worauf beruht die Stärke eines Staates? Auf den weiten Grenzen, die vieler Verteidiger bedürfen? Auf den durch Handel und Gewerbefleiß angehäuften Reichtümern, deren Nutzen allein in ihrer guten Anwendung liegt? Auf zahlreichen Völkern, die sich gegenseitig vernichten würden, wenn ihnen die Führer fehlten? Nein, meine Herren, das alles ist roher Stoff, der nur so weit Wert und Bedeutung hat, als Klugheit und Geschicklichkeit ihn zu kneten weiß. Die Stärke der Staaten beruht auf den großen Männern, die ihnen zur rechten Stunde geboren werden. Man durchlaufe die Weltgeschichte, und man wird sehen, daß die Zeiten des Aufstiegs und des Glanzes der Reiche die waren, wo erhabene Geister, tugendhafte Seelen, Männer von hervorragendem Talent in ihnen glänzten und die Last der Regierung unter hochherzigen Anstrengungen trugen.
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die „éloge du prince henri de prusse“
Ein unbestimmtes Gefühl durchbebt die Welt, wenn Männer von hoher Geburt sterben; denn man erwartete wichtige Dienste von ihnen.Vernichtet ein rauher Winter eine zarte Pflanze kurz vor ihrer Blüte, so beklagt man das mehr als den Fall eines alten Baumes, dessen Säfte eingetrocknet sind und dessen Äste verdorren. Ebenso, meine Herren, empfindet es die Menschheit schmerzlicher, wenn ihre Hoffnungen ihr kurz vor der Erfüllung geraubt werden, als wenn ein Greis die Welt verläßt, von dessen gebrechlichem Alter wir nicht mehr so viel erwarten durften wie von seiner Jugend. Auf wen hätten wir je festere Hoffnungen gründen können, als auf den Prinzen, dessen geringste Handlungen uns seinen bewunderungswürdigen Charakter enthüllten, der bereits ahnen ließ, was er eines Tages leisten könnte? Wir sahen den Keim von Talenten und Tugenden wachsen und gedeihen, auf einem Felde, das reiche Ernte versprach. Die aufgeklärtesten und welterfahrensten Leute, die viel in den Herzen der Menschen geforscht haben, wissen tief in den Seelen zu lesen, welche Taten man von ihnen erwarten kann. Was fanden sie nicht alles bei dem jungen Prinzen? Eine Seele, die den Stempel der Tugend trug, ein Herz voll edler Gefühle, einen wißbegierigen Geist, einen Genius von höchstem Schwunge, ein männliches und vor der Zeit gereiftes Urteil. Wollen Sie Beispiele dafür, wieviel die Vernunft in einem so zarten Alter über ihn vermochte? Meine Herren, gedenken Sie an jene sturmbewegten, unglücksreichen Tage, da das betörte Europa sich verschworen hatte, unsere Monarchie zu stürzen, da wir rings nur Feinde sahen und es schwer war, die Freunde herauszufinden. Damals verließ der Prinz von Preußen Magdeburg, dessen Wälle der königlichen Familie als letzte Zuflucht dienten, um den König in den Feldzug von 1762 zu begleiten. Prinz Heinrich brannte darauf, wie sein Bruder in den Krieg zu ziehen; aber er begriff nicht nur, daß seine Jugend den Strapazen nicht gewachsen war, sondern auch, daß der König, sein Oheim, nicht leichtfertig alle Hoffnungen des Staates auf einmal offenen Gefahren aussetzen durfte. Diese Erwägungen bestimmten ihn, sich ganz dem Studium hinzugeben. Er sagte, er wolle jeden freien Augenblick, den er nicht dem Ruhme weihen könnte, nutzbringend anwenden. Seine Fortschritte entsprachen seinem Entschluß. Unser Prinz wußte, daß die Natur ihm, wie allen Menschen, nur die Fähigkeit, sich zu unterrichten, verliehen hätte, daß er daher alles lernen müßte, was ihm unbekannt wäre. So füllte er denn sein Gedächt-
der text der „éloge“
Abb. 5: Titelblatt der französischen Erstausgabe der „Éloge du Prince Henri de Prusse“ von Friedrich dem Großen
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die „éloge du prince henri de prusse“
nis, diese kostbare Vorratskammer, mit Kenntnissen an, von denen er sein Leben lang Gebrauch machen konnte. Er war überzeugt, daß die Einsicht, die man durch das Studium gewinnt, die Erfahrung frühzeitig reift, und daß eine gründlich durchdachte Theorie die Praxis leicht macht. Wollen Sie wissen, welch weites Gebiet von Kenntnissen er umfaßte? Er beherrschte die Geschichte von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Mit besonderem Fleiße hatte er sich die Charaktere der großen Männer, die wichtigsten, auffälligsten Ereignisse eingeprägt. Er wußte, was zum Aufstieg und Untergang der Reiche am meisten beigetragen hat. Diese kostbare, erlesene Auswahl aus der Geschichte hatte er sich ganz zu eigen gemacht. Es gab kein militärisches Werk von einigem Rufe, das er nicht studiert und über das er nicht die Meinung erfahrener Leute eingeholt hätte. Wollen Sie noch unzweideutigere Zeugnisse für seinen Eifer, sich gründlich zu unterrichten? Vernehmen Sie denn, meine Herren: er hatte die verschiedenen Befestigungssysteme durchgenommen; da er sich aber auf diesem Gebiet noch nicht so erfahren fühlte, wie er gewünscht hätte, nahm er sechs Monate lang Unterricht bei Oberst Ricaud, ohne daß ihn jemand dazu angeregt hätte, ja, ohne Vorwissen seiner Eltern! Mit achtzehn Jahren wußte er die Systeme von Descartes, Leibniz, Malebranche und Locke darzustellen. Ja, sein Gedächtnis hatte nicht allein alle diese abstrakten Dinge erfaßt; seine Urteilskraft hatte sie auch geläutert. Er war erstaunt, in den Forschungen dieser großen Geister weniger Wahrheiten als geistreiche Voraussetzungen zu finden, und er war mit Aristoteles zu der Ansicht gelangt, daß der Zweifel der Vater der Weisheit sei. Ein guter Kopf ist fähig, sich auf jedem Gebiet zu betätigen. Er gleicht einem Proteus, der mühelos seine Gestalt wechselt und stets wirklich als das erscheint, was er darstellt. Mit dieser glücklichen Anlage geboren, bezog unser Prinz auch die Praxis der Kriegskunst in den Kreis seiner Kenntnisse ein. Für alles, was er unternahm, schien er geschaffen. Sein Wetteifer und seine militärische Neigung traten besonders bei den jährlichen Revuereisen hervor, die er im Gefolge des Königs durch alle Provinzen unternahm. Er kannte die Armee und war ihr bekannt. Er beherrschte die gefahrvolle Kriegskunst von den geringsten Einzelheiten bis zu den schwersten Aufgaben. Dabei war er stets guter Laune, mäßig in seinen Sitten, geschickt in allen Leibesübungen, beharrlich in seinen Unternehmungen, unermüdlich in der Arbeit und ein Freund von allem, was nützlich und ehrenvoll ist.
der text der „éloge“
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So viele hervorragende Talente, mit denen die Natur Prinz Heinrich begabt hatte, würden jedoch kein vollkommenes Lob ausmachen, ohne die Eigenschaften des Herzens, die für alle Menschen, besonders aber für die Großen so wichtig sind. Sie setzten seinem Charakter erst die Krone auf. Wer will mich Lügen strafen, wenn ich sage, daß Prinz Heinrich, der mit feurigem Gemüt geboren war, seine Lebhaftigkeit durch Klugheit zu zügeln wußte? Wer immer die Ehre hatte, ihm näherzutreten, wußte, daß man ihm ruhig sein Herz ausschütten konnte, ohne befürchten zu müssen, daß er ein ihm anvertrautes Geheimnis verriete. Sein Herz war das Schönste und Edelste an ihm. Er war sanftmütig gegen alle, die ihm nahten, mitleidig gegen die Unglücklichen, zärtlich gegen die Leidenden, menschlich gegen jedermann. Er teilte den Gram der Betrübten, trocknete die Tränen der vom Schicksal Verfolgten und überschüttete die Dürftigen mit Wohltaten. Die Herzensgüte war ihm angeboren. Es kostete ihm so wenig, sie zu betätigen, daß man deutlich erkannte: sie floß aus einer lauteren, unerschöpflichen Quelle. Warum ließ ein feindliches Geschick sie so bald versiegen? Soll ich die kurze Zeit vergessen, die er bei seinem Regiment zugebracht hat? Ihr, seine Offiziere, und Ihr, tapfere Kürassiere, die stolz waren, unter ihm zu dienen: wird einer unter Euch mir widersprechen, wenn ich sage: Ihr habt ihn nur durch seine Wohltaten kennen gelernt, und dieser junge Prinz konnte Euch allen Führer und Vorbild sein? Sie wissen es selbst, meine Herren, daß völlige Uneigennützigkeit die Quelle ist, aus der alle Tugenden fließen. Der Selbstlose zieht Ehre und Ruf den Vorteilen des Reichtums vor, Billigkeit und Gerechtigkeit den Trieben zügelloser Begehrlichkeit, die Wohlfahrt von Staat und Gesellschaft dem Eigennutz und dem Vorteil der Familie, das Heil und die Erhaltung des Vaterlandes der Selbsterhaltung, den Gütern, der Gesundheit, dem Leben. Kurz, sie erhebt den Menschen über das Menschliche und macht ihn fast zum Bürger des Himmels. Diese edle, hochherzige Gesinnung äußerte sich in allen Handlungen des Prinzen. Wie sehr wünschte er seinem Bruder, dem Prinzen von Preußen, eine fruchtbare Ehe! Obwohl er sich nicht verhehlen konnte, daß die Kinderlosigkeit dieser Ehe ihm die Anwartschaft auf den Thron brächte, war er aufrichtig erfreut, als er die Entbindung der Prinzessin Elisabeth, seiner Schwägerin, erfuhr, und bedauerte allein, daß sie keinem Prinzen das Leben geschenkt hatte! Es fiele mir nicht schwer, Ihnen noch ähnliche Züge anzuführen, die Sie mit Liebe erfüllen und zur
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die „éloge du prince henri de prusse“
Bewunderung hinreißen würden. Aber gestatten Sie mir, daß ich hierbei stehen bleibe und den Schleier nicht lüfte, der den ungeweihten Blicken verbirgt, was im Innern des Königshauses vorgeht. Wer sollte nach allem, was Sie vom Prinzen Heinrich vernommen haben, nicht befürchten, daß die außerordentliche Selbstzufriedenheit aller Menschen, die Bedeutung, die sie ihren geringsten Handlungen zuschreiben, die schmeichlerische Neigung, sich selbst Beifall zu zollen, das Herz eines Jünglings mit einer stets abstoßenden, wenn auch nicht ganz unbegründeten Eitelkeit geschwellt hätte! Welche Klippe für die Eigenliebe bilden so zahlreiche Talente, ja selbst so viele Tugenden! Zum Glück hatten wir für ihn nichts zu befürchten. Etwas Höheres bewahrte ihn vor dieser gefährlichen Klippe. Sie wissen, seine schöne Seele war die einzige, die mit sich selbst nicht zufrieden war. Die Eigenschaften, die er besaß, genügten ihm nicht; er machte sich einen höheren Begriff von denen, die er zu erwerben hoffte. Das war es, was seinen Eifer entflammte, sich die ihm fehlenden Kenntnisse anzueignen. Er wollte auf allen Gebieten der Vollendung so nahe kommen, wie es der menschlichen Schwachheit verstattet ist. Aber wenn auch Eitelkeit ihm eine lächerliche Schwäche deuchte, so war er doch gegen die Lockungen des Ruhmes nicht fühllos. Welcher tugendhafte Mensch hat den Ruhm je verschmäht? Er ist die letzte Leidenschaft des Weisen; die strengsten Philosophen haben ihn nicht auszurotten vermocht. Gestehen wir es offen: das Streben nach dauerndem Ruhme ist die mächtigste und hauptsächlichste Triebfeder der Seele, ist die Quelle und ewige Grundlage der Tugend. Aus ihr entstehen alle Taten, durch die sich die Menschen unsterblich machen. Prinz Heinrich wollte seinen Ruf nicht der niedrigen Gefälligkeit des Pöbels verdanken, des verächtlichen Anbeters des Glücks, der seine Abgötter knechtisch beweihräuchert, auch wenn sie verdienstlos sind. Er strebte nach einem Ruhme, der von seiner Person unzertrennlich war und den kein Neid anzweifeln konnte. Er wollte keinen erborgten Namen, sondern echten, von einem unveränderlichen Charakter getragenen Ruhm. Wir sahen den Prinzen in die Welt treten, die Bahn des Ruhmes tat sich vor ihm auf. Wir glaubten einen Wettläufer zu sehen, der seinen Lauf glorreich vollenden würde. Seine blühende Jugend schwellte unser Hoffen. Schon im voraus genossen wir alle seine Verdienste. Ach! Wir wußten nicht, daß ein düsteres Verhängnis ihn uns so bald rauben würde!
der text der „éloge“
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Plötzlich wurde er von einer ebenso heftigen wie furchtbaren Krankheit ergriffen. Der Prinz, der keine Furcht kannte, scheute sich auch nicht vor den Blattern, obwohl sie im letzten Winter so große Verheerungen angerichtet hatten und fast jedermann mit Schrecken erfüllten. Bewundern Sie seine Menschlichkeit! Als die Ärzte ihm seine Krankheit nannten, verbot er den Zutritt allen seinen Dienern, die bisher von den Blattern verschont geblieben waren. Der Prinz sagte, wenn man ihm seine Ruhe nicht rauben wolle, müsse man ihn allein die Gefahr bestehen lassen und ihn nicht dem aussetzen, andere anzustecken. Ein Flügeladjutant des Königs, der keine Blattern gehabt hatte, erbot sich, bei ihm zu wachen, aber der Prinz ließ es nicht zu. Er fürchtete, das Leben seiner Umgebung in Gefahr zu bringen, und trotzte selbst der Gefahr. Diese Herzensgüte und edle Gesinnung, diese hochherzige Denkweise, diese Menschlichkeit, die Krone aller Tugenden, kennzeichneten ihn bis zum letzten Augenblick. Geduldig ertrug er sein Leiden, blickte dem Tod furchtlos entgegen und starb wie ein Held. Gedenken Sie, meine Herren, des Schicksalstages, da das schnell sich verbreitende Gerücht uns plötzlich die traurigen Worte verkündete: »Prinz Heinrich ist tot!« Welche Bestürzung! Welch aufrichtige, wenn auch vergebliche Klagen! Das, meine Herren, ist das Vorrecht der Tugend, wenn sie in ihrer ganzen Reinheit erstrahlt: So sehr die Menschen auch zum Laster neigen, sie müssen doch zu ihrem eigenen Besten die Tugend lieben und ihr Gerechtigkeit widerfahren lassen. Der aufrichtige Beifall des ganzen Volkes, das allgemeine Zeugnis der öffentlichen Hochachtung, das Lob, das Prinz Heinrich nach seinem Tode gezollt ward, also zu einer Zeit, wo er jeder Schmeichelei entrückt war –, gehört das alles nicht zu jenen einmütigen Kundgebungen, worin die Stimme Gottes sich durch die Stimme eines ganzen Volkes zu offenbaren scheint? Messen wir also das Leben der Menschen nicht nach seiner längeren oder kürzeren Dauer, sondern nach dem Gebrauche, den sie von der Zeit ihres Daseins gemacht haben. O liebenswerter Prinz! Deine Weisheit ließ Dich diese Wahrheit einsehen. Dein Lebenslauf war kurz, aber Deine Tage waren inhaltsreich. Ach! meine Herren, diese traurigen Betrachtungen vermögen unseren Gram nicht zu lindern. Aber achten wir die Beschlüsse der Vorsehung und bedenken wir, daß wir als Menschen dem Leid unterworfen sind. Der Feige erliegt unter seiner Last, doch der Beherzte erträgt es standhaft. Könnte dieser liebenswerte und geliebte Prinz unsere Klagen und die
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die „éloge du prince henri de prusse“
Schmerzenslaute so vieler Leidtragenden hören, er mißbilligte diese traurigen Zeugnisse unseres ohnmächtigen, fruchtlosen Schmerzes. Er würde denken: da er uns in der kurzen Frist seines Lebens nicht so nützlich sein konnte, wie es in seiner edlen Absicht lag, so sollten wir zum mindesten aus seinem Tode eine Lehre ziehen. O Ihr, erlauchte Jünglinge, die Ihr Euch dem Waffenberufe widmet und nur für den Ruhm lebt, tretet an sein Grab! Erweist die letzte Pflicht dem Prinzen, der mit Euch wetteiferte und Euch ein Vorbild war! Seht, was uns von ihm bleibt: ein entstellter Leichnam, Gebeine, Asche, Staub – das gemeinsame Schicksal aller, die des Todes Sense weggemäht hat! Doch bedenkt zugleich, was ihn unvergänglich überlebt, das Andenken an seine hohen Eigenschaften, das Beispiel seines Lebens, das Vorbild seiner Tugenden. Mir ist, als sähe ich seine erloschene Asche sich aufs neue beleben, aus dem Grab auferstehen, in dem seine kalten Überreste ruhen, und also zu Euch sprechen: »Euer Leben ist eng begrenzt, wie lange es auch währe. Eines Tages werdet Ihr alle die sterbliche Hülle ablegen. Benutzt die Frist zur Tätigkeit. Seht, wie rasch meine Tage entschwanden. Soll Euer Andenken Euch überleben, so beherzigt, daß Euer Name nur durch edle Taten und Tugenden der zerstörenden Zeit und dem Dunkel der Vergessenheit entgeht.« Auch Ihr, tapfere Verteidiger des Vaterlandes, die Ihr mit beispielloser Anstrengung dem Ansturm ganz Europas Trotz botet, Ihr, höchste Diener des Staates, die Ihr in Euren verschiedenen Ämtern für das öffentliche Wohl wirkt, tretet an das Grab dieses Jünglings! Möge er, den wir wegen seiner Talente und seltenen Tugenden betrauern, Euch in dem Glauben befestigen, daß nicht hohe Würden noch äußere Ehrenzeichen, noch selbst die erlauchteste Geburt denen Achtung erwirbt, die an der Spitze der Völker stehen. Nur ihre Verdienste, ihr Eifer, ihre Arbeit, ihre treue Hingabe an das Vaterland können ihnen den Beifall des Volkes, der Weisen und der Nachwelt erwerben. Da ich Euch alle an das Grab geführt habe, wie könnte ich allein nicht herantreten? Mein Prinz! Du wußtest, wie teuer Du mir warst, wie wert ich Dich hielt! Kann die Stimme der Lebenden zu den Toten dringen, so leihe Dein Ohr einer Stimme, die Dir nicht fremd war, und erlaube, daß ich Dir dies vergängliche Denkmal errichte, das einzige, ach, das ich Dir setzen kann! Versage es einem an Dir hängenden Herzen nicht, von Deinem Schiffbruch so viel Trümmer zu retten, als es vermag, um sie im Tem-
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pel der Unsterblichkeit niederzulegen. Ach! Solltest Du mich lehren, wie sehr der Mensch mit den wenigen ihm beschiedenen Tagen haushalten muß? Sollte ich von Dir lernen, dem herannahenden Tode zu trotzen, ich, den Alter und Hinfälligkeit jeden Tag mahnen, daß er dicht am Ziel seines Lebens steht? Nie wird Dein herrlicher Charakter aus meinem Gedächtnis entschwinden. Ewig wird mir das Bild Deiner Tugenden gegenwärtig sein. Ewig wirst Du in meinem Herzen leben. Dein Name wird sich in alle meine Gespräche mischen, und Dein Andenken wird erst mit dem letzten Atemzuge in mir erlöschen. Schon sehe ich das Ende meiner Laufbahn und den Augenblick, teurer Prinz, wo das höchste Wesen unser beider Asche auf immer vereinen wird. Der Tod, meine Herren, ist uns allen beschieden. Wohl denen, die mit dem tröstlichen Bewußtsein sterben, daß sie die Tränen der Überlebenden verdienen!“
DIE ENTSTEHUNG DER
„ ÉLOGE “
Ende des Jahres 1767 – wenige Monate nach dem Tode des Prinzen – beauftragte Friedrich der Große den aus Frankreich stammenden Lehrer an der „Académie Militaire“ in Berlin, seinen Vorleser Dieudonné Thiébault, die von ihm verfasste „Éloge“ zu überarbeiten und auf einer Sitzung der Berliner Akademie der Wissenschaften vorzulesen. In seinen Erinnerungen berichtet Thiébault über dieses Gespräch mit dem König; dabei zitiert er zunächst dessen an ihn gerichtete Worte: „,Sie wissen, mein Herr, von dem großen Verlust, den der Staat und ich durch den Tod eines hoffnungsvollen jungen Prinzen erlitten haben. Das Unglück hat besonders mich tief betroffen, aber ich habe mich nicht darauf beschränken wollen, ihm nutzlose Thränen nachzuweinen. Ich habe geglaubt, daß das Leben des prächtigen Jünglings anderen Fürstensöhnen und gewiß auch allen anderen, die einem edlen Ehrgeiz zugänglich sind, als Vorbild dienen könnte. Um also meinen Schmerz der Gesellschaft dienstbar zu machen, habe ich eine Lobrede auf meinen geliebten, tiefbetrauerten Neffen niedergeschrieben. Ich wünsche, mein Herr, daß diese Rede in einer öffentlichen Sitzung meiner Akademie verlesen wird und ich habe Sie dazu ausersehen, diese Vorlesung zu halten. Indessen betrachte ich meinen Aufsatz als noch nicht ganz fertig; an mehreren Stellen wird noch die Feile anzulegen sein. Zudem wünsche
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ich, daß Sie eine Abschrift machen, da, wie Sie sehen, die Schrift überall durch Ausstreichungen und Aenderungen fast unleserlich gemacht ist. Doch Sie kennen meine Handschrift oder vielmehr mein Gekritzel nicht, deshalb werde ich Ihnen die Rede, so wie sie ist, selbst vorlesen, damit Sie nachher leichter herausbringen können, was ich habe sagen wollen. Außerdem erwarte ich noch von Ihnen, daß Sie mir etwaige Sprachfehler und Verstöße gegen die Regeln der Redekunst anzeigen.‘ […] Hierauf nahm er [Friedrich II.] sein Heft von dem viereckigen Tischchen, das er gewöhnlich vor sich hatte und worauf meistens einige Bücher, ein Schreibgeschirr, weißes Papier und mehrere Tabaksdosen lagen. Zuerst las er wie ein Mensch, der sich selbst beherrschen will; man merkte es am Ton seiner Stimme, der er Festigkeit zu geben sich bemühte, er sprach langsam und machte häufige und ziemlich lange Pausen. Aber schon bei der zweiten oder dritten Seite begann seine Stimme zu schwanken. Die Thränen stiegen ihm in die Augen, er mußte oft innehalten und nach seinem Taschentuch greifen. Er wischte sich das Gesicht ab, hustete, räusperte sich: trotz alledem kam er nicht bis zum Ende der vierten Seite, seine Augen schwammen in Thränen und sahen nicht mehr, seine erloschene und ganz erstickte Stimme konnte kein Wort mehr hervorbringen und mit einem Schluchzen, dem er nicht mehr widerstehen konnte, streckte er die Hand nach mir aus und reichte mir stillschweigend das Heft. Ich nahm es und blickte voll Achtung und Mitgefühl auf diesen großen Mann, der wie alle andern dem rührendsten und menschlichsten Gefühl nachgab.Als er nach ungefähr einer oder zwei Minuten wieder imstande war zu sprechen, sagte er zu mir: ,Sie haben begrif16 fen, was ich von Ihnen erwarte? Gehen Sie, ich wünsche Ihnen guten Abend.‘“ Dass diese Schilderung wohl nicht übertrieben ist, beweist ein offensichtlich durch Tränen verschmierter eigenhändiger Brief des Königs an seinen Bruder Heinrich vom 27./28. Mai 1767, kurz nachdem dieser die Nachricht vom Tode seines Neffen erhalten und dem König kondoliert hatte: „Mein lieber Bruder. Ich erhielt Deinen traurigen Brief und danke Dir von Herzen für Deine Anteilnahme an meiner Trübsal. Diese Nachricht hat mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Ich liebte dieses Kind wie meinen eigenen Sohn. Für den Staat ist es ein großer Verlust. Meine Klagen sind vergeblich. Gott kann das Geschehene nicht ungeschehen machen. Wir haben ihn für immer verloren; meine Hoffnungen sinken mit ihm ins Grab. So ist das Leben! Man hat nichts davon als den Schmerz, seine teuersten Anverwandten begraben zu müssen. Ich umarme Dich, lieber Bruder. Gebe der Himmel, daß er der Letzte ist, dem ich diese traurige Pflicht erweise.“ 17 Der König ist verzweifelt, der Mann, der Tausende Soldaten ohne äußere Zeichen der Rührung in den Tod geschickt hatte, weint zum fassungs-
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losen Erstaunen seiner Umgebung um diesen Prinzen. Wieder zeigen sich hier, deutlicher noch als sonst, die beiden unterschiedlichen Seelen in des Königs Brust: Einerseits führt er einen erbarmungslosen Krieg, andererseits trauert er in anrührender Weise um einen Menschen; zum einen ist er der alles beherrschende, das Land seiner Staatsräson unterwerfende absolutistische König, zum anderen zugleich der feinsinnige und gelehrte „Philosophe du Sans-Souci“, als den er sich selbst in seinen von ihm herausgegebenen Gedichtsammlungen von 1750, 1752 und 1760 bezeichnet. Erkennbar werden diese Gegensätze auch in den beiden völlig verschiedenartigen Unterschriften des Königs: in einem französischsprachigen persönlichen Brief das fein geschriebene „Federic“ (siehe Abb. 27: Schreiben vom 28. Mai 1767) und in einem militärische Belange behandelnden Kanzleischreiben in deutscher Sprache das schwungvolle, grobe „Fch“ (siehe Abb. 19: Schreiben vom 27. Februar 1767). Am 30. Dezember 1767, dem zwanzigsten Geburtstag des Prinzen Heinrich, wurde dann auf Veranlassung des Königs in der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften auf einer außerordentlichen Sitzung in Berlin die Gedenkrede des Königs auf seinen Neffen verlesen. Thiébault berichtet in seinen Erinnerungen, dass er diese Rede in der Akademiesitzung vorgetragen habe: „Der Hof, die Minister und die fremden Gesand18 ten wohnten dieser Vorlesung bei […]“ Der König war demnach nicht anwesend. Einer der Kammerherren des Königlich Preußischen Hofes, Reichsgraf Ahasverus Heinrich von Lehndorff, bestätigt das in seinen Tagebüchern: „An der Akademie wird eine vom König verfaßte Rede über den Tod des seeligen Prinzen verlesen, die sehr rührend ist. Der Zudrang zum Auditorium ist gewaltig, die Prinzen des Königlichen Hauses und die fremden Gesandten wohnen der 19 Sitzung bei.“ Wenig später erschienen verschiedene gedruckte Ausgaben dieser Gedenkrede: eine Ausgabe des französischen Originaltextes (siehe Abb. 5) und eine deutsche Übersetzung, beide bei dem Verleger Christian Friedrich Voss in Berlin, der auch die offizielle (gekürzte und aus politischen Gründen überarbeitete) Fassung der Gedichte des Königs 1760 neu herausgebracht hatte, und ein Nachdruck des französischen Textes in England.
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Das Leben Prinz Heinrichs von Preußen
Im Folgenden werden aus den zahlreichen archivalischen und gedruckten Quellen zunächst die Fakten aus dem Leben des Prinzen in Form eines chronologischen Lebenslaufes dargestellt. Nähere Angaben zu den Personen und Ereignissen enthalten die Anmerkungen. Über die Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb der königlichen Familie, deren Angehörige nicht selten gleiche oder sehr ähnliche Namen tragen, orientiert die ebenfalls im Anhang zu findende Stammtafel.
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(1747–1756) Die ersten sieben Lebensjahre verbrachte der Prinz mit seinen Eltern, seinem älteren Bruder Friedrich Wilhelm und seiner jüngeren Schwester Wilhelmine im Sommer in Schloss Oranienburg, der Residenz seines Vaters, und im Winter im Kronprinzenpalais zu Berlin. Sein Vater Prinz August Wilhelm war der älteste unter den jüngeren Brüdern des kinderlosen Königs und daher dessen Thronfolger. Die Erziehung des Prinzen erfolgte durch aus Frankreich oder aus der französischen Schweiz stammende Lehrer (Béguelin und Andrié) in französischer Sprache. Den Religionsunterricht erteilte der evangelisch-reformierte Hof- und Domprediger August Friedrich Wilhelm Sack. Die militärische Ausbildung (in deutscher Sprache) übernahmen preußische Offiziere. Zur Lektüre des jungen Prinzen gehörten in diesen Jahren „Don Quichotte“ und „Télémaque“, außerdem besuchte er französische Theateraufführungen (Werke von Molière und Destouches). 1755 siedelte der siebenjährige Prinz mit seiner Schwester in das Königliche Schloss zu Berlin über, um unter der Aufsicht ihrer Großmutter, der „Königin-Mutter“ (der Witwe Friedrich Wilhelms I.) weiter erzogen zu werden. Ob der König Gründe hatte, der Erziehung des Prinzen durch seinen Bruder (der ein langjähriges außereheliches Verhältnis mit der Hofdame Sophie Marie Gräfin Voss hatte) und dessen Frau zu misstrauen, ist nicht überliefert. Sicher ist, dass der König als Oberhaupt der ganzen königlichen Familie von seinem Recht, ja seiner Pflicht Gebrauch machte, auch über die Erziehung und Ausbildung seiner Neffen zu wachen.20
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Abb. 6: Schloss Oranienburg
Abb. 7: Prinz August Wilhelm, der Vater des Prinzen Heinrich
Abb. 8: Prinzessin Luise Amalie, die Mutter des Prinzen Heinrich
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1747–1748 30. Dezember 1747 Friedrich Heinrich Carl Prinz von Preußen wird im Kronprinzenpalais („Palais des Prinzen von Preußen“; Unter den Linden zu Berlin) geboren.21 Er ist der zweite Sohn des Thronfolgers („Prinz von Preußen“) August Wilhelm von Preußen und dessen Ehefrau Louise Amalie geb. Prinzessin von Braunschweig-Bevern. Heinrich (wie er allgemein genannt wird) ist zu diesem Zeitpunkt nach seinem Vater und seinem älteren Bruder der Dritte in der königlich preußischen Thronfolge. Unter den Gratulanten befindet sich auch der König von England, Georg II. Er gratuliert aber nicht den Eltern, sondern dem Onkel, also Friedrich II., dem Familienoberhaupt, Abb.9: Glückwunschschreiben des Königs als seinem „Frére et Georg II. von Großbritannien und Irland Cousin“. 16. Januar 1748 Prinz Heinrich wird im Dom zu Berlin durch Hofprediger August Friedrich Wilhelm Sack nach evangelisch-reformiertem Ritus getauft. Taufpate ist sein Onkel, König Friedrich II.: „Seine Majestät haben ihn über die Taufe gehalten.“ 22 Am Tag seiner Taufe wird Prinz Heinrich auch der Königlich Preußische Hohe Orden vom Schwarzen Adler verliehen. Er ist damit der 181. Ritter des Schwarzen Adlerordens.23 Friedrich der Große schreibt am selben Tage aus Berlin an Pierre Louis Moreau de Maupertuis, den Präsidenten der Akademie der Wissenschaften in Berlin: „Ich erhalte Ihren Brief bei der Rückkehr von einem atto di fè. Mein Bruder, meine Schwägerin und ich haben zu dritt ein Kind gemacht, dessen Pate ich war. Sie sehen, welche Mittel Gott anwendet, um seine Kirche zu bilden! Wer hätte gedacht, daß ein eifriger Schüler Epikurs andächtig Wasser auf das Haupt eines Kindes hätte gießen lassen,
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im Namen von drei Personen, die nur eine einzige sind, und daß ich nun wirklich einen Christen fabriziert habe!“ 24
1754 12. Juli 1754 Major Graf Heinrich Adrian Borcke25, seit 1751 Gouverneur (Erzieher) des Prinzen Friedrich Wilhelm, gibt im Schloss Charlottenburg ein Fest zu Ehren des „kleinen Prinzen Heinrich“. Über das Fest notiert Graf Lehndorff in seinem Tagebuch26: „Nun begebe ich mich nach Charlottenburg, wo Graf Borck ein nettes Fest gibt, das er für den kleinen Prinzen Heinrich sehr hübsch arrangiert hat. Die Lästerzungen behaupten, er nehme den kleinen Heinrich nur zum Vorwand, alle H. flammten vielmehr der Henriette Bredow zu Abb.10: Oberst Heinrich Adrian Ehren, in die unser guter Graf Graf von Borcke verliebt sei.“ 27 19. August 1754 Der ältere Bruder Prinz Friedrich Wilhelm, knapp zehn Jahre alt, siedelt mit seinem Gouverneur Graf Borcke nach Potsdam über, um unter den Augen des königlichen Onkels erzogen zu werden. Die örtliche Trennung zwischen den Brüdern hat einen Briefwechsel über alltägliche Dinge in französischer Sprache zur Folge, der am 4. September 1754 beginnt und bis zum Sommer 1756 erhalten ist.28 20. August 1754 Prinz August Wilhelm schreibt an seinen Bruder Friedrich II., dass er es nicht versäumen werde, „die wirtschaftlichen Verhältnisse meines zweiten Sohnes nach Deinen Absichten zu regeln und Dich nach dem Manöver an die Ernennung eines Gouverneurs zu erinnern“.29 4. September 1754 Brief des sechsjährigen Prinzen Heinrich aus Berlin an seinen Bruder. Er bedankt sich darin für die Melonen, die dieser ihm aus Potsdam geschickt hat.30
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1755 Februar 1755 Prinz Heinrich und seine Schwester Prinzessin Wilhelmine siedeln mit ihren Eltern in das Königliche Schloss nach Berlin über, um unter Aufsicht der Königin-Mutter Sophie Dorothea, der Witwe Friedrich Wilhelms I., erzogen zu werden.31 März 1755 Der Prinz besucht in Berlin verschiedene Theatervorstellungen: „Timon, der Menschenfeind“; „L’école des maris“, „Georges Dandin“ (Molière), „Le Glorieux“ (Philippe Néricault Destouches).32 22. Juli 1755 Brief des siebenjährigen Prinzen Heinrich aus Berlin an seinen Bruder. Er lese gerade den dritten Band von „Don Quichotte“ von Michel de Cervantes über die Hochzeit von Gamache.33 Außerdem bittet er seinen Bruder, seine Glückwünsche an Graf Borcke zu dessen „Avancement“ (Beförderung zum Obrist-Lieutenant) auszurichten. Auch berichtet er, dass die Äbtissin von Quedlinburg gestorben sei und seine Tante Prinzessin Amalie [eine unverheiratete Schwester des Königs] deren Nachfolgerin werde. Im Theater spiele man gerade „Georges Dandin“. Prinz Heinrich befindet sich offenbar bei der Königin-Mutter, da er deren Grüße an seinen Bruder ausrichtet.34 Juli 1755 Der Prinz liest den „Télémaque“ von François de Salignac de la Motte-Fénelon, den dieser als Erzieher für den französischen Kronprinzen geschrieben hatte (siehe unten S. 122 ff.).35 November 1755 Prinz Heinrich erhält Exerzierunterricht mit Gewehr, Säbel und Koppel. Zu diesem Zweck bittet er seinen Bruder in seinem Schreiben vom 21. November 1755: „Schicke mir ein Gewehr, ein bißchen kleiner als das, was Du hier hattest, mit dem Bajonett, einen Säbel und ein Koppel, weil ich anfange zu exerzieren.“ Am 10. Dezember 1755 bedankt sich Prinz Heinrich bei seinem Bruder für Gewehr und Säbel und findet beide „sehr schön“.36 – Prinz Heinrichs Ausbilder war vermutlich Hauptmann von Zitzewitz.37 November 1755 Über das Verhältnis des Prinzen August Wilhelm zu seinen Kindern schreibt Graf Lehndorff in sein Tagebuch: „Es gibt nichts Zärtlicheres als diesen biederen Prinzen gegenüber seinen Kindern, wenn er mit ihnen allein ist. In der Öffentlichkeit ist es anders, da hält ihn wohl ein wenig falsche Scham zurück. Man muß aber auch diesen königlichen Kindern gerecht werden, die wirklich himmlisch sind. Der ältere besitzt neben viel Schüchternheit viel gesunden Menschenverstand, der jüngere ist
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von entzückender Anmut, und bei der Prinzessin deuten alle Anzeichen darauf hin, daß sie eines Tages recht liebenswert sein wird.“ 38 30. Dezember 1755 Geburtstagsfeier für Prinz Heinrich, organisiert durch das Hofpersonal der Königin Elisabeth in der Wohnung eines Fräulein Cocceji. Über diese Geburtstagsfeier schreibt Graf Lehndorff am 31. Dezember 1755 in sein Tagebuch: „Nach dem Diner bei der Königin geben wir dem kleinen Prinzen Heinrich aus Anlaß seines Geburtstages in der Wohnung des Fräulein Cocceji ein Fest. Es ist ein liebenswürdiges Kind; er würde noch besser sein, wenn seine Erziehung es wäre. Man will ihm einen Erzieher geben, und zwar einen Kapitän aus dem Regiment Meyerinck.“ 39 – Bei diesem Kapitän handelte es sich vermutlich um den eben erwähnten Hauptmann von Zitzewitz.
1756 Januar 1756 Die beiden Prinzen Heinrich und Friedrich Wilhelm begegnen in Berlin dem aus Italien stammenden Breslauer Domherrn Abbé Giovanni Battista Bastiani und bewundern ihn. Bastiani ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten in der Umgebung Friedrichs II.; der Abbé wird in den Erinnerungen Casanovas ausführlich erwähnt als ein für beide Geschlechter offener Liebhaber.40 Über den Umgang der Prinzen notiert Graf Lehndorff: „Unsere Prinzen haben jeden Winter einen neuen Freund; jetzt ist es Herr Bastiani, ein ehmaliger Lakai, der Sohn eines Schneiders in Venedig. Nach ihrer Ansicht ist er das größte Genie.“ Lehndorff meint jedoch, Bastiani gehöre zu denjenigen Individuen, „die sich höchstens körperliche Vorzüge zuschreiben dürfen“.41 Abb. 11: Brief des achtjährigen Heinrich
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31. Juli 1756 Brief des achtjährigen Prinzen Heinrich aus Berlin (Schloss Schönhausen, Residenz der Königin) an seinen Bruder. In diesem Brief schreibt er: „Man sagt hier, daß wir keinen Krieg haben werden, sondern daß es einzig ein Lager in Spandau geben wird“; der bevorstehende – präventive – Einmarsch in Sachsen (29. August 1756), mit dem der Siebenjährige Krieg begann, wurde also vom König auch vor seiner Familie geheim gehalten.42 Seit Monaten schon beschäftigt sich der Prinz mit dem Leben und Sterben von Heinrich von Bourbon, der von 1594 bis zu seiner Ermordung 1610 als Heinrich IV. König von Frankreich war. Nachdem er bereits einen Brief vom 27. Februar mit dem Gruß „votre très humble et très obéïssant frère Henri IV., tué par Ravaillac 1610“ beschlossen hat43, unterschreibt er auch den Brief vom 31. Juli wiederum in Anspielung auf Heinrich IV. mit „Henri IV Empereur excomunié“.
IM SIEBENJÄHRIGEN KRIEG
(1756–1763) Hintergründe und Verlauf des Siebenjährigen Krieges brauchen hier 44 nicht dargestellt zu werden , nur zu einzelnen in den Quellen erwähnten Ereignissen werden kurze Erläuterungen gegeben. Nur so viel und sehr verkürzt: Es ging in diesem Krieg wesentlich um die Position, die sich Preußen im Zusammen- und Widerspiel der europäischen Großmächte (in der Hauptsache Österreich, Frankreich und Russland) im 18. Jahrhundert errungen hatte, zuletzt durch die Annektion Schlesiens im ersten Schlesischen Krieg 1740/41. Das Hauptinteresse der Gegner Preußens war, dessen Macht wieder auf ein Minimum zu beschränken (für Österreich gehörte dazu unabdingbar die Rückgewinnung Schlesiens), das Hauptinteresse Preußens, diese Macht zu erhalten und zu festigen. Aus diesem Interessenkonflikt entwickelte sich ein siebenjähriges Ringen, in dem bald die eine, bald die andere Seite die Oberhand gewann, bis endlich die gänzliche Erschöpfung der Ressourcen der kriegführenden Parteien und ein Frontwechsel Russlands auf die Seite Preußens zu einem Friedensschluss führten. Dies gilt für den Schauplatz Europa. Man muss aber hinzunehmen, dass gleichzeitig England und Frankreich (und zuletzt auch Spanien) einen er-
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bitterten Krieg um ihre Kolonien in Nordamerika, Indien und Afrika führten, der ihr Engagement auf dem europäischen Kontinent wesentlich mitbestimmte. Berücksichtigt man dies, so kann man den Siebenjährigen Krieg bereits einen ersten Weltkrieg nennen. Nicht nur für Preußen war er eine Katastrophe. Hier, in Sachsen, in Schlesien und anderenorts, wurden ganze Landstriche verwüstet, selbst die Hauptstadt Berlin wurde vorübergehend durch russische Truppen erobert. Etwa 180 000 preußische Soldaten wurden während dieses Krieges getötet oder starben an den Folgen der erlittenen Verletzungen oder durch Seuchen. Die kriegsbedingten Verluste der preußischen Zivilbevölkerung durch Hungersnöte und Seuchen dürften noch höher gewesen sein – und das bei einer Bevölkerung von damals nur etwa fünf Millionen Menschen. Die Menschenverluste Preußens während des Siebenjährigen Krieges lagen damit prozentual höher als die Bevölkerungsverluste Deutschlands im Ersten oder Zweiten Weltkrieg! Trotzdem konnte Preußen einen Dreifrontenkrieg gegen drei mächtige Feinde bestehen und das 1740/45 eroberte Schlesien behalten. Ein Triumph für den preußischen König – Preußen 45 war zu einer europäischen Großmacht geworden. Nach dem Beginn des Siebenjährigen Krieges (1756) und besonders nach dem Tod seines beim König wegen militärischer Misserfolge in Ungnade gefallenen Vaters (1758) begann ein tiefer Einschnitt in Leben des jungen Prinzen Heinrich: die kriegsbedingte Flucht der Frauen und Kinder der königlichen Familie mit ihrem Hofstaat aus Berlin in die Festung Magdeburg, wohin auch der Staatsschatz und das Staatsarchiv gebracht worden waren. Die erwachsenen männlichen Mitglieder der königlichen Familie und des Hofes befanden sich im Kriege. Die Nahrungsmittel waren knapp, die königliche Familie wohnte in vergleichsweise beengten Verhältnissen in Bürgerhäusern oder Verwaltungsgebäuden (siehe Abb. 13). Prinz Heinrich befand sich zwischen seinem neunten und 16. Lebensjahr vorwiegend in Gesellschaft seiner Mutter und seiner Tanten (der Ehefrauen des Königs und dessen Brüder Heinrich und Ferdinand). Eine von ihnen scheint dabei nicht nur für Prinz Heinrich im Vordergrund zu stehen: Prinzessin Wilhelmine, die Ehefrau Prinz Heinrichs des Älteren, bei Hofe „Prinzessin Heinrich“ genannt. Am Krieg teilzunehmen, was sich der Vierzehnjährige im letzten Kriegsjahr (1762) sehnlichst wünscht, wird ihm von seinem königlichen Onkel nachdrücklich verboten. Zu dieser Zeit erhält Prinz Heinrich auch Tanzunterricht in Magdeburg.
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1756 23. Oktober 1756 Der Prinz beglückwünscht in einem Schreiben von Berlin aus seinen Onkel zu dessen Sieg bei der „Bataille de Lowositz“ (Lobositz an der Elbe; Lovosice, Böhmen).46 Das war die erste Schlacht im Siebenjährigen Krieg. Friedrich hatte diesen Krieg am 29. August 1756 begonnen mit einem Einfall (ohne Kriegserklärung) in das neutrale Sachsen, hatte die kleine sächsische Armee, die kaum Widerstand leistete und sich in der Festung Königstein an der Elbe verschanzte, eingeschlossen und Abb. 12: Brief des Prinzen Heinrich an seinen die Grenze zu BöhOnkel nach dessen Sieg bei Lobositz men überschritten, um ein bei Lobositz versammeltes Armeekorps der Österreicher anzugreifen, das sich anschickte, die sächsischen Truppen zu entsetzen. Die Österreicher unterlagen (am 1. Oktober 1756). 30. Dezember 1756 Prinzessin Wilhelmine besucht mit ihrer Schwester, der Erbprinzessin Karoline von Hessen-Darmstadt (verheiratet mit dem damaligen preußischen General Erbprinz Ludwig zu Prenzlau), die Kindergeburtstagsfeier „du petit prince Henri“, die seine Mutter ausgerichtet hat.47
1757 16. Januar 1757 Prinzessin Wilhelmine „soupiert“ bei Prinzessin Amalie (der Schwester des Königs) gemeinsam mit dem Prinzen von Preußen und seinen beiden kleinen Söhnen.48
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Anfang Juli 1757 Prinz Heinrich nimmt an der Beisetzung seiner Großmutter (der „Königin-Mutter“, der Mutter Friedrichs des Großen) Sophie Dorothea Königin von Preußen im Berliner Dom teil. Sie war am 28. Juni gestorben. In seinem Tagebuch notiert Graf Lehndorff am 4. Juli 1757: „Als alles versammelt ist, tragen vier andere Kammerherren den Sarg bis an den Leichenwagen, der mit acht mit schwarzem Sammet bekleideten Pferden bespannt ist. Voraus schreiten die Lakaien, die Läufer, die Kammerdiener, der Oberhofmeister und der Hofmarschall der verewigten Königin. Hinter dem Sarg geht voran Prinz Friedrich, begleitet vom Marschall Kalckstein, hinter diesem sein Hofmeister Graf Borck, dann Prinz Heinrich, geführt von Herrn v. Viereck 49, der Markgraf von Schwedt und Herr v. Happe 50, nun alle Staatsminister, die Hofchargen und die Hofdamen. Der Zug, begleitet von zweihundert fackeltragenden Pagen, geht ganz langsam durch ein Spalier von Gardesoldaten bis zum Dom. Hier nehmen wieder die Kammerherren [darunter Graf Lehndorff] den Sarg und tragen ihn bis zur Tür […] und steigen in die Gruft hinab.“ 51 Die Söhne der verstorbenen Königin-Mutter befinden sich zu dieser Zeit alle im Krieg, deshalb sind die Söhne des Thronfolgers, Prinz Friedrich Wilhelm und sein Bruder Heinrich, die ranghöchsten Mitglieder des Königshauses in Magdeburg; die „regierende Königin“, die Ehefrau Friedrichs II., wird hier nicht erwähnt. 19. Juli 1757 Zwischen dem König und dem Thronfolger, seinem Bruder August Wilhelm, kommt es zu einem schweren Zerwürfnis, nachdem dieser – aus der Sicht des Königs – als Heerführer versagt hatte. Beim Rückzug der Armee nach der verlorenen Schlacht bei Kolin (Mittelböhmen, am 18. Juni 1757) aus Böhmen hatte das von August Wilhelm geführte Armeekorps schwere Verluste erlitten, für die der König seinen Bruder verantwortlich macht. In einem Brief aus Leitmeritz schreibt er ihm: „Du weißt nicht, was Du willst, noch was Du tust. […] Du wirst immer ein kläglicher Heerführer sein. Kommandiere doch einen Harem von Hoffräuleins, wohlan; aber solange ich lebe, vertraue ich Dir keine 10 Mann mehr an. Wenn ich tot bin, mache soviel Dummheiten, wie Du willst; sie kommen dann auf Dein Konto; aber solange ich lebe, sollst Du keine mehr machen, die den Staat schädigen. Das ist alles, was ich Dir zu sagen habe. Mögen Deine Offiziere jetzt die Schweinerei, die Du angerichtet hast, wieder gutmachen. Prüfe Dich selbst, was Du leisten kannst, ehe Du um ein Kommando bittest. Was ich Dir sage, ist hart, aber wahr; Du zwingst mich
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dazu, indem Du es dahin bringst, daß die Armee und ich ihren Ruf einbüßen und der Staat zugrunde geht.“ 52 – Der Thronfolger, tief verletzt, gibt sein Kommando ab, scheidet aus der Armee aus und zieht sich in sein Schloss Oranienburg zurück, wo er ein Jahr später stirbt – an gebrochenem Herzen, wie man damals sagte.53 16.–18. Oktober 1757 Auf Befehl des Königs flieht der Hof unter deprimierenden Umständen vorübergehend mit den beiden Prinzen aus Berlin in das Gefängnis zu Spandau. Der Kriegsschaupletz hatte sich nach Sachsen und Thüringen verlagert, einem österreichischen Stoßtrupp der Kavallerie war es sogar gelungen, bis nach Berlin vorzudringen, er zog sich aber alsbald wieder zurück. Lehndorff bezeichnet den 16. Oktober 1757 als „den traurigsten Tag meines Lebens“. „Vier Verbrecher, Eisen an den Füßen und eine kleine Lampe in der Hand, führen Ihre Majestät und die Prinzessin in die Wohnung, die aus fünf Räumen besteht, in denen die Fenster zerbrochen sind, keine Tür schließt, kein Stuhl zu erblicken ist […]. Ich muß noch bemerken, daß sich unter diesen Gemächern das Pulvermagazin befindet und daß man alle Augenblicke die Warnung erhält, man dürfe nicht zu stark heizen, wolle man nicht ein furchtbares Unglück anrichten. Man muß also zwischen Erfrieren und Indieluftfliegen wählen […]“ 54 23. Oktober 1757 Angesichts der Gefährdung der Hauptstadt verlässt der Hof mit hundertzwanzig Kutschen und Wagen Berlin und flieht über Potsdam, Brandenburg, Ziesar und Möckern nach Madgdeburg, die stärkste preußische Festung. Hier erkrankt Prinz Heinrich und wird von Frau von Borcke gepflegt.55 Der Hof richtet sich in den Palaisgebäuden am „Neuen Markt“ (am heutigen „Domplatz“) ein: die Königin im Haus des Gouverneurs (ehem. Gouverneursstraße/Ecke Fürstenwallstraße), die Ehefrau des Thronfolgers Prinzessin Amalie mit ihren drei Kindern im Königlichen Palais (Domplatz 2–3 mit einem Garten, in dem die kleine Wilhelmine Bohnen anpflanzt [siehe unten S. 61]), die Ehefrau des Prinzen Heinrich, Prinzessin Wilhelmine („Prinzessin Heinrich“), in der Domprobstei (ehem. Domplatz 10), die unverheiratete Schwester des Königs Prinzessin Amalie in der Domdechanei (Domplatz 5). – Der erste Magdeburger Aufenthalt der königlichen Familie während des Siebenjährigen Krieges dauert bis Januar 1758.56 27. November 1757 Prinzessin Wilhelmine und Prinzessin Luise halten sich mit den beiden kleinen Prinzen bei der Königin und der Prinzessin Amalie von Preußen auf, als die Nachricht von der ver-
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Abb. 13: Der Marktplatz der preußischen Festung Magdeburg um 1770. Kolorierter Kupferstich.
lorenen Schlacht bei Breslau (22.–25. November 1757) eintrifft. Über eine Stunde herrscht entsetztes Schweigen im Saal („Personne de nous ne dit un mot. Après un long silence …“).57 Während der König bei Roßbach (westlich von Leipzig) am 5. November einen glänzenden Sieg über die Franzosen und die Reichsarmee errungen hatte, hatte sich die Lage in Schlesien zugespitzt: Die Österreicher hatten die wichtige Festung Schweidnitz erobert und die Preußen bei Breslau vernichtend geschlagen. 18. Dezember 1757 Prinzessin (Amalie) von Preußen „soupiert“ mit ihren jungen Prinzen bei Prinzessin Wilhelmine („Prinzessin Heinrich“).58
1758 27. Januar 1758 Prinzessin Wilhelmine besucht den erkrankten jungen Prinzen Heinrich, den sie „sehr schwach, aber ohne Fieber“ antrifft. Auch dessen älterer Bruder Prinz Friedrich Wilhelm war erkrankt, konnte aber seine Tante Wilhelmine schon wieder besuchen. Zwei Tage später erkrankt Prinzessin Wilhelmine selbst an Fieber.59
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Mitte Februar 1758 Die beiden Prinzen kehren von Magdeburg nach Berlin zurück. „Sie sind von allen, die sich im Oktober dorthin geflüchtet hatten, am längsten dort geblieben“ (Lehndorff)60, vermutlich weil sie erkrankt waren. – Prinzessin Wilhelmine war bereits am 30. Januar über Wustermark nach Berlin zurückgekehrt.61 23. Februar 1758 Geburtstagsfeier der Prinzessin Wilhelmine, zu der auch Prinz August Wilhelm von Preußen, seine Ehefrau und ihre beiden Söhne erscheinen.62 12. Juni 1758 Prinz August Wilhelm von Preußen stirbt im Schloss zu Oranienburg. Friedrich der Große gibt den behandelnden Ärzten (den „Äskulapischen Henkern“) die Schuld am Tod seines „geliebten Bruders“ (den er noch ein Jahr zuvor nach dem Rückzug der preußischen Truppen aus Böhmen auf ehrverletzendste Weise abgekanzelt hatte). Er hält einen „coup des sang“ (Blutsturz, Schlaganfall) für die Todesursache, denn der Kronprinz hatte kurz vor seinem Tod Nasenbluten. Wundarzt August Wilhelms war der „chirurgien Puchtert“; er soll „aus eigenem Antriebe“ Aderlässe beim Prinzen durchgeführt haben.63 Dabei dürfte es sich um denselben Regimentsfeldscher Johann Friedrich Puchtert im Kürassieregiment zu Kyritz gehandelt haben, der 1767 Prinz Heinrich behandeln wird (siehe unten S. 81). Graf Lehndorff geht in seinen Tagebüchern ausführlich auf den Tod des von ihm geliebten „anbetungswürdigen Prinzen“ ein: „Zu seinem Stabsarzt Pichler von seinem Kavallerieregiment [Kürassier-Regiment 2 (zu Pferde), dessen Chef der Thronfolger war], den er sehr gerne hatte, äußerte er: ‚Wenn ich sterbe, so wünsche ich, daß man mich öffne, damit man sieht, daß du mich nicht vernachlässigt hast.‘ Der Prinz schien über die Ankunft seiner Schwester [Amalie] nicht sehr erfreut zu sein, war aber erzürnt über das Eintreffen des Arztes Meckel, weil er diesen nicht leiden konnte und Muzelius gewünscht hatte.“ Nach dem Blutsturz des Thronfolgers kam es später zu einem offenen Streit zwischen Meckel und Muzelius über die Notwendigkeit eines Aderlasses (ausgerechnet bei einem „Blutsturz“!), wobei Mutzel (Muzelius) erneute Aderlässe dringend empfahl. Der Thronfolger wurde in Oranienburg seziert, seine Eingeweide wurden in einem speziellen „Gefäß“ getrennt von der sterblichen Hülle (in einem Eichensarg) beigesetzt.64 Der König äußerte später über den Tod seines Bruders zu seinem Vorleser de Catt: „Man hat ihn wahrhaftig getötet, weil man der Ansicht
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Mutzels nicht folgen wollte, der für wiederholte Aderlässe gestimmt hatte.“ 65 Über das Ende des Thronfolgers berichtet auch Frau von Kleist der Gräfin Voss: „Der Prinz hat sehr wohl gewußt, daß er dem Tode entgegen ging, […]. Bereits vier Wochen vor seinem Ende bereitete er seinen alten Regiments-Chirurgus, den er immer bei sich hatte, darauf vor und sagte ihm: daß er deshalb Berlin verlasse, um in Oranienburg ruhig sterben zu können.“ Er sei entschlossen, „weder einen Arzt vorzulassen, noch Heilmittel zu nehmen; denn eine feste und gewisse Hoffnung sage ihm, daß es bald mit ihm aus sein werde“. Seine letzten Worte seien gewesen: „Jesus, erbarme dich meiner.“ 66 Juni 1758 Im Testament des Prinzen August Wilhelm geht seine Ehefrau fast leer aus; die ihr geltenden Bestimmungen sind beleidigend. Er bittet sogar seine vertraute Schwägerin („Prinzessin Heinrich“), die Erziehung seiner Tochter Wilhelmine zu übernehmen. Seine drei Kinder sollen ausdrücklich nicht bei ihrer Mutter wohnen. Seinen gesamten Besitz vermacht er seinen Kindern. Sein handschriftlicher Nachlass wird seinem ältesten Sohn Friedrich Wilhelm zugesprochen, seine Bücher erhält sein Sohn Heinrich. Der Prinz hinterlässt aber vor allem Schulden (insgesamt über 170 000 Taler), außerdem hatte er die Möbel des ihm vom König auf Lebenszeit überlassenen Schlosses Oranienburg und den ihm von seiner Frau geschenkten Schmuck verkauft! Ferner bittet er den König, seinen Söhnen die Führung über seine beiden Regimenter zu geben mit den Worten: „Das würde mich freuen, aber ich kann es nicht hoffen.“ 67 18. Juni 1758 Prinzessin Wilhelmine („Prinzessin Heinrich“) sieht zum ersten Mal nach dem Tode des Thronfolgers dessen Ehefrau und die beiden jungen Prinzen, was ihr einen „fürchterlichen Schmerz“ bereitet.68 21. Juni 1758 Friedrich II. dankt in einem Schreiben (in deutscher Sprache) seinem im Ruhestand befindlichen Generalfeldmarschall Christoph Wilhelm von Kalckstein für dessen Sorge für die hinterbliebenen Söhne des verstorbenen Thronfolgers: „[…] so könnet Ihr versichert sein, dass Ich von solchem sensiblement gerühret worden bin und es auf das dankbarste erkenne, wenn Ihr Euch Meinem Verlangen confirmiren und für das Wohlsein und gute Erziehung der von Meines verstorbenen Bruders, des Prinzen von Preußen hinterlassenen Söhne, besonders des ältesten, mit Sorge tragen wollet. […] Friderich.“ 69 Kalckstein war als Oberst Hofmeister des damaligen Kronprinzen
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Friedrich von 1718 bis zu dessen Konfirmation (1729). Somit war Kalckstein ein enger Vertrauter des Königs während dessen schwierigster Jugendjahre gewesen, die ein Jahr später in einer Katastrophe enden sollten: der Inhaftierung Friedrichs in der Festung Küstrin wegen versuchter Fahnenflucht und der Hinrichtung seines Freundes Leutnant Hans Hermann von Katte (1704–1730) wegen Komplizenschaft und Fluchthilfe.70 28. Juni 1758 Jean-Henri d’Andrié auf Schloss Gorgier im damals preußischen (heute schweizerischen) Neuchâtel („Johann Heinrich Baron von Andrié“) wird als „assistent tutor“ des jungen Prinzen Heinrich von Preußen erwähnt.71 6. Juli 1758 Prinzessin Wilhelmine diniert mit den drei Kindern des verstorbenen Thronfolgers in Schönhausen, wo sie den Leichenzug mit dem Sarg des Verstorbenen auf dem Wege von Oranienburg nach Berlin sieht, was sie „extrêmement touchée“.72 11. Juli 1758 Beide jungen Prinzen nehmen abends geAbb. 14: Der Sarg des Prinzen gen 11 Uhr an der BeisetAugust Wilhelm zung ihres Vaters in der Gruft des Berliner Doms teil: „Obersten tragen den Sarg, hinter dem die beiden jungen Prinzen, von denen der ältere heftig weint, mit den Staatsministern und Generalen folgen. Die ganze Feierlichkeit ist in einer halben Stunde beendigt.“ Der König ist zu dieser Zeit im Felde bei der Belagerung von Olmütz in Mähren.73 13. Juli 1758 Die drei Kinder des verstorbenen Thronfolgers essen gemeinsam mit der Prinzessin Wilhelmine und dem Grafen Friedrich Paul und der Gräfin Marie Kameke in Charlottenburg.74 20. August 1758 Die Prinzessin von Preußen verlässt mit ihren drei Kindern und ihrem Hofstaat Berlin und geht nach Potsdam75, wahrscheinlich aufgrund der unsicheren militärischen Lage (die russische Hauptarmee war inzwischen bis zur Oder vorge-
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rückt; Friedrich zwingt sie nach der auf beiden Seiten äußerst verlustreichen Schlacht bei Zorndorf am 25. August 1758 zum Rückzug). 27. August 1758 Prinz Heinrich schreibt seinem Bruder, dass er den König um das „Portepee“, das heißt um die Ernennung zum Offizier, gebeten habe.76 4. September 1758 Der König wirft Oberst Graf Borcke vor, sich mit den beiden Prinzen zu voreilig vor dem anrückenden Feind nach Rathenow zurückgezogen zu haben.77 Prinzessin Wilhelmine (die Schwester der Prinzen) schreibt später über diese Zeit: „Meine Brüder gehen von Potsdam nach Rathenow; es ist das erste Mal, dass ich mich von meinen Brüdern trennte; es war eine äußerst ergreifende Szene, die meine Gouvernante zu Tränen rührte. Ich liebe meine Brüder sehr, mache jedoch einen großen Unterschied zwischen ihnen, indem ich eine entschiedene Vorliebe für meinen Bruder Heinrich hege, dessen Alter wie auch sein Charakter mir näher sind; wir waren ein Herz und eine Seele.“ 78 26. September 1758 Die Königin Elisabeth Christine von Preußen erwähnt in einem Brief an ihren Bruder, den preußischen Generalleutnant Prinz Ferdinand von Braunschweig, dass die Prinzessin von Preußen [August Wilhelmes Witwe Luise Amalie] nach Magdeburg gehe, um dort „Wochen zu halten“.79 12. Oktober 1758 Die beiden Prinzen befinden sich in Potsdam, weil Berlin militärisch zu unsicher erscheint. So notiert Graf Lehndorff in seinem Tagebuch unter dem 12. Oktober: „Als ich auf meiner Rückreise durch Potsdam kam, fand ich dort unsere jungen Prinzen, die man noch dort ließ, weil man befürchtete, es könnte irgendein feindliches Streifkorps nach Berlin kommen.“ 80 30. Oktober 1758 Prinz Georg Carl Emil, Sohn des Prinzen von Preußen, wird wenige Monate nach dem Tod seines Vaters in Magdeburg geboren. Er stirbt bereits fünfzehn Wochen später, am 15. Februar 1759.81 Dezember 1758 Der König trifft die beiden Prinzen mit ihrem Gouverneur Borcke in seinem Winterquartier in Torgau und ernennt Prinz Heinrich formal zum Chef des Kürassierregiments (Regiment zu Pferde) 2, das in Friedenszeiten in der Umgebung von Kyritz stationiert ist. Prinz Heinrich erhält das im August erbetene „Portepee“ aus den Händen seines Onkels.82 Dieser schreibt an seinen Bruder Heinrich am 12. Dezember 1758 aus dem Feldlager
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Kottbus nach Dresden, dass er seine beiden Neffen in Torgau am 10. Dezember gesehen habe: „Ich habe den älteren zu seinem Vorteil verändert gefunden und den jüngeren reizend.“ 83 Der König verleiht Prinz Friedrich Wilhelm den Titel „Prinz von Preußen“, den offiziellen Titel des Thronfolgers. Am 11. Dezember 1758 notiert dies Prinzessin Wilhelmine in ihrem Kriegstagebuch.84 21. Dezember 1758 Die Königin erwähnt in einem Brief aus Berlin an ihren Bruder Prinz Ferdinand von Braunschweig, dass der König mit seinen beiden Neffen (in Torgau) sehr zufrieden gewesen sei. Er betrachte seine beiden Neffen als seine Kinder und sie sollen ihn als ihren Vater ansehen: „Aimez-moi, mes chers enfants, répondez à l’amitié que j’ai pour vous.“ 85
1759 5. Januar 1759 Die verwitwete Prinzessin von Preußen kommt mit ihrem neugeborenen Sohn von Magdeburg, wo sie entbunden hat, nach Berlin.86 15. Februar 1759 Prinz Georg Carl Emil stirbt und wird später im Berliner Dom beigesetzt.87 Bereits am 7. Februar erwähnt Prinzessin Wilhelmine in ihrem Kriegstagebuch, dass der kleine Prinz Charles Émile krank sei und seit ein paar Tagen öfter an Krämpfen („souvent les convulsions“) leide. „Nachdem man ihn geöffnet hatte, fand man eine beachtliche Ablagerung im Kopf.“ 88 Vielleicht fand man ein Haematom im Gehirn nach einem Sturz, was die Krämpfe des Kindes erklären würde. 21. Februar 1759 Prinzessin Wilhelmine und ihre Schwägerin Prinzessin Amalie nehmen in Berlin an einer Gehirnsektion („dissection de la cervelle d’un homme“) unter Leitung des Anatomen und Geburtshelfers Prof. Dr. med. Johann Friedrich Meckel d. Ä. (1724–1774) teil.89 Vielleicht war der unklare Befund im Hirn des gerade verstorbenen kleinen Prinzen Carl Emil die Ursache für das Interesse der beiden preußischen Prinzessinen an der Anatomie des Gehirnes. 23. Februar 1759 Geburtstagsfeier der Prinzessin Wilhelmine, zu der auch die Prinzessin Amalie und die beiden kleinen Prinzen Friedrich (Wilhelm) und Heinrich erscheinen.90 10. August 1759 Die beiden jungen Prinzen verlassen Berlin in Richtung Magdeburg, nachdem das Gerücht („on dit“) in Berlin aufge-
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kommen war, dass die Österreicher nur drei Stunden von Berlin entfernt seien.91 Demnach werden der Thronfolger und dessen jüngerer Bruder schon vor der Schlacht bei Kunersdorf in Sicherheit gebracht. Mitte August 1759 Nach der Schlacht bei Kunersdorf östlich von Frankfurt/Oder am 12./13. August 1759 befiehlt der König, seine Familie müsse Berlin verlassen und sich wieder nach Magdeburg begeben. Russische und österreichische Truppen drohen auf Berlin zu marschieren. Nach der verheerenden Niederlage schreibt der König am 12. August 1759 völlig verzweifelt an seinen vertrauten Minister Graf Finckenstein: „Ich habe keine Reserven mehr und um nicht zu lügen, halte ich alles für verloren. Ich werde den Untergang meines Vaterlandes nicht überleben. Für immer adieu.“ 92 Am 13. August fordert der König Graf Finckenstein auf, Berlin zu verlassen und nach Magdeburg zu gehen; dorthin sind auch die Briefe an den Minister seit dem 16. August und in den nächsten Monaten adressiert. Oktober 1759 Die Königin, die Prinzessin-Witwe von Preußen und ihre drei Kinder sind in Magdeburg und speisen mehrfach bei der Prinzessin Wilhelmine. Ende Oktober üben die Prinzen Friedrich Wilhelm und Heinrich auf einer Reitbahn („manège“).93 20. November 1759 Die beiden jungen Prinzen verlassen Magdeburg und gehen zurück nach Berlin, der übrige Hof folgt einige Tage später.94
1760 Januar 1760 Die beiden jungen Prinzen speisen mehrfach bei Prinzessin Wilhelmine.95 An den Essen nehmen gelegentlich auch gefangene feindliche Offiziere aus dem Hochadel teil, die sich in Magdeburg – auf ihr Ehrenwort als Offiziere – frei bewegen können. 4. März 1760 Erlass des Königs aus Freiberg an Graf Finckenstein in Berlin, die königliche Familie, die inzwischen wieder in Berlin ist, solle sich erneut (also zum dritten Male während des Krieges) nach Magdeburg begeben. Am 19. März trifft die Familie in Magdeburg ein und bleibt dort drei Jahre bis zum Ende des Krieges.96 30. Juni 1760 Die beiden jungen Prinzen speisen in Magdeburg bei der Prinzessin Wilhelmine.97 1. September 1760 Gräfin Voss notiert in Magdeburg in ihrem Tage-
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buch, Graf Borcke spiele bei der Prinzessin von Preußen Karten mit ihr und ihrem Mann. – Am 11. September spielt die Gräfin Voss „Komet“ mit dem jungen Prinzen von Preußen; „beim Souper saß ich zwischen der Henckel und dem Prinzen Heinrich“. – Außerdem spielt man Tarok, Pharao, Blinde Kuh und führt Theaterstücke auf. – Am 16. September 1760 notiert sie: „Abends waren wir bei der Prinzessin von Preußen, wo auch die jungen Prinzen mit ihren Gouverneuren waren […] Ich spielte Komet mit dem Prinzen von Preußen, dann wurde Commers gespielt […] Der Herzog von Württemberg führt in Halle Krieg wie ein Straßenräuber.“ 98 6. November 1760 Der junge Prinz Heinrich beglückwünscht in einem Schreiben seinen Onkel von Magdeburg aus zu „dem Erfolg seiner Truppen in Torgau“.99 Dort, an der Elbe, in Sachsen, hatte Friedrich einmal mehr die Österreicher unter ihrem Oberbefehlshaber Daun attackiert und die Schlacht (am 3. November 1760), wenn auch knapp, gewonnen. Die Österreicher wie geplant ganz aus Sachsen zu vertreiben gelang nicht, Daun behauptete sich in Dresden. 26. November 1760 Der König fordert Graf Borcke in einem Handschreiben („so die Ueberkunft der beiden Prinzen königlichen Neveux nach Leipzig au préalable anbetrifft“) auf, seine beiden Neffen zu ihm nach Leipzig ins Winterquartier zu bringen. Auch er selbst plane, in ca. sechs bis acht Tagen nach Leipzig zu kommen.100 Dezember 1760 Laut Carlyle befindet sich der König vom 8. Dezember 1760 bis 17. März 1761 im Apelschen Hause in Leipzig. Bis Mitte Januar hatte er auch seine beiden Neffen Friedrich Wilhelm und Heinrich bei sich.101 In diesem Zusammenhang notiert Graf Lehndorff am 20. Dezember 1760 in sein Tagebuch: „Die jungen Prinzen von Preußen erhalten vom König den Befehl, nach Leipzig zu kommen. Sie sind darüber voller Freude, besonders da sie über Dessau reisen, wo sie den dortigen Hof besuchen und eine Nacht zubringen werden.Von dem älteren Prinzen muß ich sagen, daß er sich sehr zu seinem Vorteil verändert; er scheint ein gutes Herz zu haben, was bei einem Prinzen eine Hauptsache ist.“ Am 21. Dezember 1760 schreibt er: „Graf Borck hat seine Frau nach Leipzig nachkommen lassen. Man schließt daraus, daß die Prinzen den ganzen Winter in Leipzig zubringen werden. Der König, der im allgmeinen in sehr guter Stimmung sein soll, hat zu
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mehreren Heiraten seine Einwilligung gegeben. Unter anderem hat der zweite Hofmeister des Prinzen von Preußen namens Beguelin, ein Philosoph und richtiger Stoiker, der an kein Weib zu denken schien, um die Erlaubnis nachgesucht, Fräulein Peloutier, die Tochter der Frau Kuhn, zu heiraten, eine heimliche Liebe, die er schon 10 Jahre lang im Herzen hegte und die nun endlich an den Tag kommt.“ 102 23. Dezember 1760 Die beiden Prinzen reisen mit Graf Borcke nach Leipzig in das Winterquartier des Königs ab. Gräfin Voss berichtet darüber am 24. Dezember 1760 in ihrem Tagebuch: „Alle Prinzen sind gestern nach Leipzig zum König abgereist“, und am 12. Januar 1761: „Die Prinzen waren wieder da und Alle sehr zufrieden und entzückt von ihrem Besuch beim König.“ 103 – Die Königin berichtet bereits am 17. Dezember 1760 ihrem Bruder Prinz Ferdinand von Braunschweig über die bevorstehende Abreise der jungen Prinzen zum König.104
1761 12./13. Januar 1761 Rückkehr der Prinzen nach Magdeburg. In seinem Tagebuch notiert Graf Lehndorff am 13. Januar 1761: „Unsere Prinzen kommen von Leipzig zurück. Der König hat sie mit Auszeichnungen überhäuft. Den älteren behandelt er als einen großen Jungen und den jüngeren hätschelt er wie ein Kind. Dem Grafen Borck hat Seine Majestät wegen der guten Erziehung Komplimente gemacht. Die Prinzen hatten die Ehre, alle Tage mit dem König zu dinieren, während sie abends auf ihren Zimmern soupierten, wozu sie eine Menge Gäste einluden. Der König hat dem älteren einen Brilliantring und 80 Taler und dem jüngeren eine goldene Uhr und 50 Taler geschenkt. Das ist wohl sonst nicht vorgekommen, daß man dem Erben einer Krone 80 Taler zum Geschenk macht; aber bei uns ist es im Königshause seit drei Generationen so der Brauch.“ 105 7. Februar 1761 Prinz Heinrich und seine Schwester Wilhelmine erhalten Unterricht bei einem „maître à danser“ (Tanzlehrer) in Magdeburg.106 5. März 1761 Prinzessin Wilhelmine organisiert in Magdeburg einen kleinen Maskenball für die drei Kinder des verstorbenen Prinzen von Preußen.107 30. Juli 1761 Die drei Geschwister tanzen bei der Prinzessin Wilhelmine in Magdeburg „jusqu’à 3 heures après minuit“.108
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3. September 1761 Prinz Heinrich ist einer der Mitspieler bei einer Aufführung von „Le philosophe marié“, einer Komödie von Philippe Néricault Destouches. Ferner sind verschiedene Hofdamen und alle Gesandten („tous conseillers d’ambassade“) an der Aufführung beteiligt.109 9. November 1761 Prinz Heinrich wird anläßlich der Taufe einer Cousine (Tochter des Prinzen Ferdinand von Preußen) in Mageburg erwähnt: „Frau Prinzessin Ferdinand hat eben ihre kleine Prinzessin taufen lassen. Um 4 Uhr versammelten sich alle Herren und Damen in ihrem Vorzimmer. Sie hatten die Ehre, der Frau Prinzessin ihre Glückwünsche darzubringen. Diese lag schön wie ein Engel in einem Bett von grünem Damast mit Goldlitzen. […] Um 5 Uhr kamen die Königin und der ganze Hof an. Herr Sack nahm die Taufhandlung vor. Prinzessin Wilhelmine hielt die junge Prinzessin über die Taufe, geführt von ihrem Bruder, dem Prinzen Heinrich. Das Kind war sehr hübsch angezogen. […] Es waren über 150 Personen anwesend. Als alles zu Ende war, wurde ein sehr reichlicher Imbiß gereicht, und ich hatte mein Vergnügen an den erstaunten Gesichtern dieser Provinzdamen [in Magdeburg], die noch nie eine derartige Festlichkeit mitgemacht hatten.“ 110 30. Dezember 1761 Prinzessin Wilhelmine erwähnt in ihrem Tagebuch eine Geburtstagsfeier zu Ehren des jungen Prinzen Heinrich bei der Königin von Preußen.111 Bei diesem Anlass trägt die bei den Damen des Hofes wohlgelittene preußische Dichterin Anna Louisa Karsch[in]112 ein Gelegenheitsgedicht vor: Ein persischer Prinz („Ben-Ha-Alim“), Neffe des „Schachs“, geht mit dem Großvezier spazieren, sieht einen armen verkrüppelten Kriegsveteranen und gibt ihm großzügig aus „frommer Menschlichkeit“ die Hälfte seines Taschengeldes. Später wird Friedrich der Große in seiner „Éloge“ ebenfalls des Prinzen „Freigiebigkeit an den Bedürftigen […], die in Not waren“ rühmen. Der Persische Prinz, eine Erzählung, an Ihro Königliche Hoheit den Prinzen Heinrich von Preussen. Ben=Ha=Alim, ein Prinz erzogen an dem Thron, Des grossen Persers Schachs, war seines Bruders Sohn, Jung, lieblich, angenehm, und in dem ganzen Lande Ein kleines Wunderwerk von keimendem Verstande.
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Ben=Ha=Alim gieng einst mit seinem Großvezier Lustwandeln in breitschattigen Alleen. Ein armer alter Mann blieb in der Ferne stehen; Wie ich im schlechten Rock einst an der Kirchenthür Versteckt, anbethen stand, und schüchtern neben mir Vorbey sah reiche Leute gehen: So niederblickend blieb der arme Perser stehen. „Gegrüsset seyst du mir, o Greiß! „Dich seegne der Prophet, und Gott, der ihn gesendet! So spricht Ben=Ha=Alim zum alten Mann gewendet, Der ihn mit nichts zu danken weiß, Als nur mit einer stillen Zähre, Die von der Wang herunter fließt. Schon froh, daß ihn der Prinz gegrüßt, Vergaß er, daß er nackt und daß er hungrig wäre; Die Hände faltet er auf seinem Stab, und hebt Das Auge zu dem Gott, der allem, was da lebt Auf Erden, Speise giebt. Ach spricht Ben=Ha=Alim, Der arme Mann! er betet für mein Leben! Ich wolt ihm ohne dies schon geben. Mein lieber Großvezier! vernimm, Du gabst mir heute Zechinen! Sie sollten auf den Monath mir, Zu meinen kleinen Kosten dienen; Der alt gewordne Perser hier Braucht Geld zu Rock und Brodt, er soll die Hälfte haben. Der junge Prinz sprach so, und seine Finger gaben Den halben Reichthum in die Hand Des Mannes, der vor ihm als wie versteinert, stand! Zu angenehm erschrack er vor so vielem Gelde. Prinz! sprach der Großvezier, dich lohn der Prophet, Dann dieser Greiß that jung auch tapfer in dem Felde; Siehst du nicht, wie er hinken geht? Und welche Narben auf den Wangen Er von den Wunden hat, die ihm der Feind gemacht? Sein Leben war ihm feil in mehr als einer Schlacht. Die Hälfte gabst du ihm, doch hast du nicht bedacht Wenn nun bald noch ein Armer käme? O! sprach der allerliebste Sohn
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Der frommen Menschlichkeit,Vezier! dann wüst ich schon Auch Rath dafür. Mitleidig nähme Ich meines Reichthums Ueberrest, Und theilt ihn mit dem Mann, den ganz das Glück verläßt. Du lehrst mich ja,Vezier! man soll die Menschen lieben. Ich wollt es thun, und stünde kein Geboth Dazu im Alcoran geschrieben; Tief rührte mich des armen Mannes Noth. Heyl sey dir, guter Prinz! sprach der Vezier, und redte Mit Freudenthränen mehr in seinem Angesicht, Als Cicero hoch ausgerufen hätte Zum Lob Ben=Ha=Alim. Sprich, Heinrich! würde nicht Dein ganzes Herz gewogen werden, Dem Ha=Alim, von dem das Buch der Perser spricht? Die Menschen=Liebe war sein größt Gesetz auf Erden. 113 Mich dünkt, du gleichest ihm an Herzen und Gebehrden!“
1762 14. März 1762 Der Kronprinz reist auf Befehl des Königs zusammen mit seinem Gouverneur von Magdeburg nach Breslau, um am Feldzug in Schlesien teilzunehmen. Prinz Heinrich bleibt aber am Hof in Magdeburg zurück, „da seine Jugend den Strapazen des Krieges noch nicht gewachsen war und der König nicht leichtfertig alle Hoffnungen des Staates auf einmal der Gefahr aussetzen wollte“ [„Éloge“; siehe oben S. 16] und erhält, da Graf Borcke den älteren Bruder begleitet, einen neuen Gouverneur.114 Bereits im Januar hatte Graf Lehndorff über den bevorstehenden Kriegseinsatz des Kronprinzen in sein Tagebuch geschrieben: „Seine Majestät schickt an den Prinzen von Preußen Befehl, seine Kriegsausrüstung zu besorgen und sich nach Breslau zu begeben, um den nächsten Feldzug mitzumachen. Wir sind um diesen Prinzen sehr in Sorge, seine Erhaltung muß allen ehrlichen Menschen am Herzen liegen, umso mehr, als ihn seine persönlichen Eigenschaften uns so teuer machen. Er ist gut und liebenswürdig und besitzt viel Geist. Für sein Alter ist er erstaunlich groß, und seine Gesundheit erscheint besonders kräftig. Sein Bruder, Prinz Heinrich, ist in Verzweiflung darüber, daß er nicht mitreisen darf. Er weint Tag und Nacht, besonders, weil er auch den Grafen Borcke verliert, dem er sehr zu-
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getan ist, und der den älteren Bruder begleiten wird. Ich glaube aber, Graf Borcke wird die Strapazen eines Feldzuges nicht aushalten. Er ist körperlich schon so aufgebraucht, daß ihm jedes Lüftchen unbequem ist. Im August zog er sich eine Kolik zu, als er eines Abends bei der Königin auf der Rampe soupierte. Obwohl er kaum 40 Jahre zählt, sieht er schon so alt aus, daß ihm bei seiner Ankunft hier ein Mann aus dem Hause, in dem er wohnt, aus dem Wagen half und ihm das Kompliment machte, es sei doch sehr hart, ‚das er bey einem so hohen Alter hätte die Reise unternehmen müssen‘.“ 115 März 1762 Der König ernennt Freiherr von Buddenbrock zum Oberhofmeister (Gouverneur) des Prinzen Heinrich. Buddenbrock ist seit 1758 Gouverneur des Kadettenkorps; wegen einer 1745 erlittenen Kopfverletzung, durch die er fast ganz erblindete, kann er nicht am Krieg teilnehmen. Graf Lehndorff notiert dazu am 14. März 1762 in sein Tagebuch: „Am 12. dieses Monats trafen die letzten Befehle des Königs für die Abreise des Prinzen von Preußen ein. Gestern Abend nahm er zärtlichen Abschied vom ganzen Königshause, und heute früh reiste er ab. Die ganze hiesige Bürgerschaft gab ihm das Geleite, und wir alle gaben ihm unsere besten Wünsche mit auf dem Weg. Bis jetzt scheint er gut geartet und liebenswürdig seinem Äußeren und Inneren nach. Möge Gott in seiner Gnade ihn vor allem Übel bewahren! Prinz Heinrich, sein Bruder, hat bereits seinen neuen Hofmeister bei sich, den General Buddenbrock, dem man allgemein nur Gutes nachsagt. Allein er ist immer noch blind, und mir scheint, daß die Haupteigenschaft eines Hofmeisters die ist, gute Augen zu haben.“ Und ebenfalls im März 1762 notiert Graf Lehndorff: „Der König schickt dem General Buddenbrock eine sehr gnädige Antwort auf dessen Anfrage bezüglich der Mittel, aus denen der Unterhalt des Prinzen Heinrich nach der Abreise seines Bruders bestritten werden soll. Er soll 6000 Taler bekommen und 60 Taler monatlich zum Spiel. – Der Prinz von Preußen fand die Wege [von Magdeburg nach Breslau] so schlecht, daß er gezwungen war, über Berlin zu reisen, obwohl der König es ihm verboten hatte.“ 116 2. April 1762 Prinz Friedrich Wilhelm schreibt aus Breslau an seinen Bruder Prinz Heinrich (in Magdeburg), der unter einer fiebrigen Erkrankung leidet und von Dr. med. Cothenius [siehe Anm. 221] im Auftrage des Königs behandelt wird. Ferner wird in dem Brief ein Essen russischer Generäle beim König erwähnt und dass der Thronfolger Violoncello spielt.117
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6. April 1762 Prinz Heinrich bedankt sich bei seinem königlichen Onkel für die freundlichen Worte, die dieser über ihn zu seinem Bruder gesagt und die ihm von seinem Bruder mitgeteilt worden seien. Außerdem bedankt er sich für die Erhöhung seiner bescheidenen Einkünfte, die ihm Generalmajor Buddenbrock mitgeteilt habe.118 7. April 1762 Prinz Friedrich Wilhelm schreibt an seinen Bruder Heinrich, der König habe sich nach ihm und seiner Gesundheit erkundigt („il est fort impatient d’apprendre des nouvelles de votre santé“). Außerdem schickt er seinem Bruder eine Tafel Schokolade, um ihn nach dem Fieber zu stärken („C’est une livre de chocolat pour tous les deux, cela vous redonnera vos forces après la fièvre“).119 30. Mai 1762 Prinz Heinrich nimmt in Magdeburg an der Feier des königlichen Hofes anlässlich des Friedensschlusses mit Russland teil. Über diese Feier schreibt Graf Lehndorff in sein Tagebuch: „Die Bekanntmachung des Friedens geht unter allem erdenklichen Zeremoniell vor sich. Um 8 Uhr morgens ist Zusammenkunft beim jungen Prinzen Heinrich, alle Kollegien und mehrere Damen haben sich eingefunden, die ganze Garnison ist angetreten, und unter Zimbel- und Trompetengeschmetter wird die Bekanntmachung des Friedens zwischen unserem König und dem anbetungswürdigen Kaiser von Rußland [Zar Peter III.] laut verlesen. Dann begibt sich die Königin mit sämtlichen Prinzessinnen nach dem Dom, wo das Te Deum gesungen wird. Zum Diner findet bei der Königin ein großes Festmahl für sämtliche Minister und Generale und Stabsoffiziere statt. Abends erscheint alles in Gala am Hof.“ 120 Der Jubel gilt einem der „Mirakel des Hauses Brandenburg“121, durch die Preußen im Siebenjährigen Krieg mehrmals vor dem Untergang gerettet wurde: Am 5. Januar 1762 war die Zarin Elisabeth, eine entschiedene Gegnerin Friedrichs, gestorben, und ihr Nachfolger, Zar Peter III., ein glühender Verehrer des Preußenkönigs, stellte sofort alle Kampfhandlungen ein, schloss mit Friedrich unter Verzicht auf jeden Gebietserwerb am 5. Mai 1762 einen Separatfrieden und am 19. Juni 1762 sogar ein Bündnis gegen den bisherigen Alliierten Österreich. Das ermöglichte es Friedrich, alle Kräfte auf die endgültige Rückeroberung Schlesiens zu konzentrieren und das Ende des Krieges herbeizuführen. 14.–18. Juni 1762 Prinz Heinrich begleitet seine Mutter und seine Schwester Prinzessin Wilhelmine zu einer mehrtägigen Familienfeier nach Hundisburg bei Magdeburg, wo sie sich mit ihren braun-
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schweigischen Verwandten treffen. Graf Lehndorff berichtet darüber: „Ein reizenderes Bild aber als unser Prinz Heinrich und die Prinzessin Wilhelmine mit den braunschweigischen Kindern zusammen läßt sich kaum denken; es herrscht eine Freundschaft und ein Jubel, als wären sie ihr ganzes Leben beisammen gewesen. […] Wir warten hier immer auf den Befehl zur Rückreise nach Berlin. […] Es gibt nichts Lächerlicheres als die Lebensweise, die man hier jetzt führt. Alles stirbt fast vor Hunger und schränkt sich ein, so gut es geht; dabei wird aber mit solcher Leidenschaft gespielt […]. Man ist einzig damit beschäftigt, sich gegenseitig möglichst viel Geld aus der Tasche zu ziehen.“ 122 20. Oktober 1762 Prinz Friedrich Wilhelm schreibt aus dem Generalquartier in Peterswalde (Schlesien) an seinen Bruder Prinz Heinrich. Er beglückwünscht ihn zu seiner geplanten Reise ins Winterquartier des Königs und bittet ihn, ihm einen Spazierstock („canne“) zu besorgen.123 27. November 1762 Der Thronfolger berichtet seinem Bruder aus Meißen, dass er in Berlin gewesen sei und bald in das Winterquartier nach Leipzig komme. Der Bruder des Königs (Prinz Heinrich) habe ihm ein Pferd geschenkt.124 1. Dezember 1762 Prinz Heinrich bedankt sich von Magdeburg aus in einem Schreiben an seinen Onkel für die Einladung, ihn in seinem Winterquartier zu besuchen.125 Dezember 1762 Tagebucheintrag Graf Lehndorff: „Der König hat auch seinen Neffen, den Prinzen Heinrich, den er so gern hat, nach Leipzig kommen lassen. Sein Bruder, der Prinz von Preußen, soll sowohl an Kraft wie an Verstand [!] zugenommen haben.“ 126 Kabinetssekretär August Friedrich Eichel schreibt aus Leipzig am 8. Dezember 1762 an Staatsminister Graf Finck von Finckenstein (in deutscher Sprache): „Es ist ein Schreiben an des jungen Prinzen Heinrich Hoheit, desgleichen an Herrn Generalmajor von Buddenbrock nach Magdeburg ergangen, nach welchem beide auf den 15. dieses anherokommen sollen.“ 127 15. Dezember 1762 Prinz Heinrich trifft mit Generalmajor Buddenbrock in Leipzig im Winterquartier des Königs ein. Dieser zweite Aufenthalt von Prinz Heinrich im königlichen Hauptquartier hat zur Folge, dass er sich enger an den König anschließt und die Gefühle der Verehrung und Liebe für seinen Onkel auch auf seine junge Schwester überträgt.128
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19. Dezember 1762 Prinz Ferdinand von Braunschweig sendet als Anlage zu einem Brief an seine Schwester, Königin Elisabeth Christine von Preußen, einen Plan von der Belagerung Kassels für den jungen Prinzen Heinrich.129
1763 Januar 1763 Der König lebt in stiller Zurückgezogenheit in Leipzig; nur durch seine Neffen erfährt er, „wie man sich in Leipzig vergnügt“. Dies schreibt er am 14. Januar 1763 an seinen Bruder Heinrich nach Berlin und fährt fort: „Ich höre nur von Bällen und Redouten, und um Dir einen Begriff davon zu machen, eine Frau Friedrich, ehedem Gärtnerin in Seidlitz [wohl Gross-Sedlitz bei Prina], jetzt die Frau eines Offiziers bei den Freihusaren, ist eine der Hauptheldinnen auf diesen Festen […] Laß in den Berliner Kirchen dafür beten, daß der Himmel unsere jungen Leute vor den Gefahren, die sie dort laufen, behüte.“ 130 Ende Januar 1763 Der König schickt den Thronfolger und Prinz Heinrich an den Hof in Gotha zur Herzogin Louise Dorothea von Sachsen-Gotha wahrscheinlich zum Zweck der Brautsuche für den achtzehnjährigen Thronfolger. Graf Lehndorff notiert dazus am 24. Januar 1763 in sein Tagebuch: „Alle Nachrichten besagen, daß wir den Frieden in sicherer Aussicht haben; wir fassen deshalb mit der größten Freude unsere baldige Rückkehr nach Berlin ins Auge. Der König soll in Leipzig in der besten Stimmung sein. Er hat unsere beiden jungen Prinzen Friedrich und Heinrich an die Höfe von Eisenach und Gotha geschickt. Es gibt Leute, die annehmen, der Zweck sei, die gothaische Prinzessin mit dem älteren Prinzen zu verloben. Da sie indes vier Jahre älter ist als der Prinz, so spricht das doch dagegen.“ In einem Brief vom 31. Januar 1763 schreibt der König aus Leipzig an die Herzogin: „Meine Frau Cousine, Nicht genug, daß Sie meine dummen Streiche in Güte ertragen, bitte ich Sie auch, teure Herzogin, Ihre Nachsicht auf meine Neffen auszudehnen. Sie werden die Ehre haben, Ihnen ihre Aufwartung zu machen.Wenn sie Ihnen von meiner Gesinnung berichten, werden Sie sich überzeugen, daß ich stets in derselben Weise über Sie spreche und daß mein übervolles Herz sich unhemmbar in den Gefühlen der Bewunderung ergießt, die Sie allen einflößen, die Ihnen nähertreten durften. Ich habe zu meinen Neffen gesagt: Ihr müßt meine ehrwürdige Freundin besuchen und ihr sagen, daß mein Herz ihr ewig dankbar sein wird. –
im siebenjährigen krieg
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Hätte ich gekonnt, anbetungswürdige Herzogin, ich wäre mitgereist und hätte Ihnen persönlich gehuldigt; aber mich hält hier ein Grund zurück, den Sie gewiß billigen werden: wir schließen nämlich schlecht und recht Frieden! Unterhandlungen, ein Wust von Schreibereien,Vereitlung von Gaunerkniffen, Aufklärung von Zweideutigkeiten, Sicherung gegen Ausflüchte – kurz eine notwendige, aber keineswegs belustigende Arbeit, die fabelhaft anstrengt. […]. Ich verbleibe, Frau Cousine, Euer Hoheit getreuester Freund,Vetter und Diener Friedrich.“ 131 19. Januar 1763 Königin Elisabeth Christine schreibt aus Magdeburg ihrem Bruder Prinz Ferdinand von Brauschweig, dass sie noch nichts vom Frieden und auch noch nichts von der Rückkehr des jungen Prinzen Heinrich gehört habe.132 15. Februar 1763 Mit dem Friedensschluss zwischen Preußen, Österreich und Sachsen in Hubertusburg bei Leipzig endet der Siebenjährige Krieg. Graf Lehndorff notiert: „Somit hat alle unsere Not ein Ende. Wenn man nun einmal bedenkt, welche unzähligen Opfer dieser Krieg gefordert hat, wie viele Provinzen verwüstet, wie viele Familien ruiniert worden sind, und das alles, um die Herrscher in dem status quo ante zu sehen, so möchte man über den Wahnwitz der Menschheit laut aufAbb.15: Reichsgraf Ernst Ahasverus schreien.“ 133 Heinrich von Lehndorff (1727–1811)