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CRISTINA BACHER-RIEGER THOMAS RIEGER

DIE MENSCHEN VON KILIFI editionbaden


K

ilifi ist eine kleine kenianische Stadt mit rund 30.000 Einwohnern, 80 Kilometer nördlich von Mombasa. In der Umgebung befinden sich Sisal- und Cashew-Plantagen. Die Stadt lebt aber vor allem vom Tourismus und verfügt über zahlreiche Hotels, wunderschöne Badestrände und einen Jachthafen. Es gibt mehrere Banken, eine Post, eine Tankstelle, Einkaufsmöglichkeiten und einige Schulen, ein College und ein Waisenhaus. – So lauteten die ersten Informationen, die wir in Vorbereitung auf unseren Kenia-Urlaub über jenen Ort einholten, in dessen Nähe sich die von uns gebuchte Sea Lodge befindet. Selbst wissend, dass die Uhren in Afrika anders ticken, gewannen wir durch diese Beschreibung unweigerlich das gewohnte Bild typisch touristisch ausgerichteter Badeorte, wie man sie aus Urlauben im südlichen Europa kennt. Neugierig auf ein möglichst authentisches Afrika, trösteten wir uns über eine leise aufflackernde Enttäuschung hinsichtlich des scheinbar alles nivellierenden Tourismus mit dem Argument hinweg, dass es schließlich den damit verbundenen Strukturen zu verdanken ist, derart entfernte Ziele relativ unkompliziert bereisen zu können. Unsere Befürchtungen erwiesen sich bereits am Weg vom Flughafen zum Hotel als obsolet, führte er uns doch mitten durch die Slums am Rand von Mombasa und die vielen kleinen Ansiedlungen an der Hauptstraße. Der Schock und das Staunen über die unbeschreibliche Armut der unzähligen Menschen, die sich scheinbar planlos in kaum asphaltierten Straßen nebeneinander aufhielten oder vielleicht für uns unerklärlichen Geschäften nachgingen – meist barfuß und dennoch irgendwie reich an Würde und wunderschön in ihren bunten Tüchern und Gewändern – saßen tief. Wir ahnten, dass wir hier erstmals mit einer Lebenshaltung konfrontiert wurden, die mit unseren herkömmlichen Parametern von Reichtum und Armut und dem damit verbundenen Verständnis von Glück und Unglück nicht bedient werden kann.


„Yes, all the children go to primary school!“, erzählte uns sichtbar stolz Last, unser Fahrer – der übrigens Last heißt, weil er der Letzte von 14 Kindern ist. Zeitig in der Früh auf der Fahrt zum Tsavo Nationalpark entdeckten wir erstmals die Menschen von Kilifi. Von einer Stadt war in der Tat nicht wirklich etwas zu erkennen, vielmehr da und dort kleine mehr oder weniger verputzte, höchstens einstöckige Häuser neben dorfartig angeordneten, sauber gekehrten traditionellen Lehmhütten. Dazwischen tummelten sich schwarze Frauen, die ihre Kinder zur Schule schickten. Die vorwiegend nicht befestigten Straßen waren von Kindern am Weg zum Unterricht gesäumt. (Sie tragen alle auffallend gepflegte und farbenprächtige Uniformen; Schuhe scheinen sich nicht alle leisten zu können, und als Schultasche dienen vorwiegend kleine Säckchen.) Dennoch: Was sich uns hier bot, war von einer zarten Poesie und erinnerte an Erzählungen unserer Großeltern aus längst vergangenen Zeiten auf dem Land. Auf unserem weiteren Weg durchquerten wir wieder die Slums am Rande der Großstadt. Die Menschen kamen uns aber nicht mehr so ziellos vor oder machten zumindest den Eindruck, an ihrer scheinbaren Ziellosigkeit gar nicht so zu leiden, wie wir Europäer uns das vorstellen. Weder in ihren Augen noch durch ihre Haltung oder ihr soziales Verhalten war eine Spur der Verzweiflung zu erkennen, wie wir es doch bei dem Anblick vieler Menschen in unseren Großstädten gewohnt sind. Vielmehr überwältigte uns ein im wahrsten Sinne unbeschreibliches Bild geerdeter Gelassenheit. Pole pole, das auf Swahili so viel heißt wie keep cool, ist in Kenia eine häufig verwendete Redewendung. Pole pole, sagte stets auch Last, ein wenig schüchtern lächelnd, am Ende seiner Erzählungen über die unterschiedlichsten Zustände in seinem Land. Besonders erschüttert hat uns die Tatsache, dass die meisten Menschen keine fixe Arbeit haben, sondern täglich aufs Neue ihr Glück versuchen. Dies erklärt auch die unzähligen Baracken entlang der Straße, vor denen alles – von Kleidung und Bananen bis zu Sofas und alten Reifen – angeboten wird. Eine andere Erzählung zeugt wiederum von der archaischen Vielfalt, die in diesem Land herrscht. Sie handelt von den ganz anders gearteten Problemen der Massai, von denen es nur noch eine kleine, aber wichtige Minderheit in Kenia gibt und die sich tatsächlich so gut wie ausschließlich von Polenta und Kuhmilch ernährt. Als Löwen einst vermehrt ihre kostbaren Kühe rissen, baten die Massai erfolglos die Regierung um Hilfe. Um sich dennoch Gehör zu verschaffen, köpften sie ihrerseits einige Löwen und


Mohammed, 18 Jahre. Seinen selbst gefertigten Muschelschmuck verkauft er am Strand von Kilifi.



Liebe auf den ersten Blick: Die 14 Monate alte Tochter von Yvonne liebt Ananas und Zuckerln 端ber alles!



Nichts als die Neugier verschlug uns nach Kilifi, einer kleinen Stadt an der kenianischen Ostküste. Die Begegnung mit den Menschen von Kilifi machte den ungewöhnlichen Ausflug aber rasch zu einer Reise voll äußerer Schönheit und innerer Poesie.

VERLAG POLLISCHANSKY


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