Technische Universität München Fakultät für Architektur Baudenkmalpflege: Schreibwerkstatt. M.A. Sophia Pritscher
Wissenschaftlichen Arbeiten für Masterstudierende der Architektur
Collagierte Utopien – Superstudios Zeitkritik
Verfasserin: Alina Burose Hohenwaldeckstraße 39 81541 München burose98@gmail.com
Studiengang: M.A. Architektur Wintersemester 2021/22 1. Fachsemester Matrikelnr. 03755326
Abstract Die vorliegende Arbeit fragt nach dem kritischen Narrativ der Collage. Das italienische Kollektiv Superstudio erlangte in den späten sechziger Jahren durch seine provokanten Darstellungen große Bekanntheit. Im Zentrum ihrer Arbeiten stehen utopische Urbanisationen fernab des für den Menschen gewohnten Maßstabs, welche unsere Welt dominieren sollen. Megastrukturen, die auf keinerlei bauliche Umsetzung abzielen, aber in ihrer Rezeption in ihrer Entstehungszeit wie auch heute Interesse wecken. Zur Intention gehörte die direkte Kritik an der zeitgenössischen Architektur und an der Rolle des Architekten. In dieser Arbeit soll die Wirkung Superstudios Arbeiten zur Entstehungszeit aufgezeigt und über eine biographische Einordnung in einen Kontext gesetzt werden. Nach einem Überblick über das gemeinsame Schaffen der Architekten folgt eine Vertiefung des Monumento Continuo mit seiner Weiterführung als Supersuperficie. Die Collage „Supersurface: The Happy Island“ zeigt dieses exemplarisch. Beispielhaft werden mithilfe einer Bildbeschreibung und -interpretation die einzelnen verwendeten Elemente benannt und auf ihre Wirkung hin untersucht. Dadurch soll die kritische Intention der Collage belegt werden. Es folgt ein Ausblick hinsichtlich möglicher Einflüsse Superstudios auf realisierte Architekturen.
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Gliederung: Abstract ……………………………………………………………………………….2 Gliederung …………………………………………………………………………….3 1. Bilder als Form der Kritik – Rezeption Superstudios …………………………4 2.
Superstudio ……………………………………………………………………..5 2.1 Megastruktur und Utopie ………………………………………………..6 2.2 Il Monumento Continuo – die Megastruktur als unendliche Urbanisation ………………………………………………………………7
3. Superstudios Supersuperficie – „Supersurface: The Happy Island“………..8 3.1 Bildbeschreibung …………………………………………………………8 3.2 Interpretation ………………………………………………………..…….9 4. Der Architektonische Diskurs – Ein Ausblick für Zukunftsmodelle …………11 Literaturverzeichnis ………………………………………………………………….13 Erklärung………………………………………………………………………………14
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1. Bilder als Form der Kritik – Rezeption Superstudios Die Collagen Superstudios sind seit jeher für ihren utopischen oder gar fiktionalen Charakter bekannt. Max Ernst nannte das Collagieren die „systematische Ausbeutung des zufälligen oder künstlich provozierten Zusammentreffens von zwei oder mehr wesensfremden Realitäten auf einer augenscheinlich dazu ungeeigneten Ebene – und der Funke Poesie, welcher bei der Annäherung dieser Realitäten überspringt.“1 Als die italienischen Architekturzeitschriften Casabella und Domus Arbeiten Superstudios veröffentlichten, rief dies in der Regel zwei mögliche Reaktionen hervor: entweder lobten Kritiker den besonderen und originellen Ansatz oder aber empfanden diesen als unbedeutend und weniger erwähnenswert. Schärfere Kritik zeigte sich nicht allzu oft, da den Beiträgen vorzugsweise mit Ignoranz begegnet wurde, um ihnen jene Präsenz und damit verbundene Relevanz zu entziehen. Nichtsdestotrotz sorgten die Publikationen diverser Stadtutopien, Designprojekte und Wettbewerbsbeiträge für eine Reichweite von internationalem Rang. Während sich die Resonanz auf nationaler Ebene eher negativ verhielt, zeigten sich Europa, Nordamerika und Japan interessierter und auch positiv gestimmt. Ebenfalls Lob gab es aus dem Bereich der bildenden Kunst, auch seitens italienischer Protagonisten. Diese betrachteten die Arbeiten nicht nur im Rahmen der Architettura Radicale2, sondern bezogen sich in Diskussionen auch auf die Architektur- und Kunstavantgarde.3 Trotzdem fehlte es an wichtigen Reaktionen renommierter Architekturkritiker. Den Höhepunkt medialer Aufmerksamkeit erreichte Superstudio Anfang der 1970er Jahre.4 Die von Max Ernst oben verwendeten Begriffe „Provokation“, „wesensfremde Realität“, „Ebene“ und „Poesie“ sind in Bezug auf Superstudio treffend formuliert. Obwohl es vielseitige Reaktionen gab, mangelte es jedoch an Berücksichtigung dieser eigentlich ironischen Intention. In dieser Arbeit soll es um eine vielschichtigere Betrachtung Superstudios Architekturcollagen gehen. Bevor im weiteren Verlauf eine beispielhafte Collage anschaulich beschrieben und interpretiert werden soll, bedarf es zuerst einer kurzen biographischen Einordnung. Daran anknüpfend werden die aus den Arbeiten resultierenden Theorien als in den Collagen sichtbare Elemente benannt und erklärt.
Uwe M. Schneede: Die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert. Von den Avantgarden bis zur Gegenwart. C. H. Beck, München, 2001, S. 90. 1
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Eine kurze Erläuterung zur Architettura Radicale folgt in Kapitel 2.2.
Vgl. Stauffer, Marie Theres: Figurationen des Utopischen: Theoretische Projekte von Archizoom und Superstudio, Kunstwissenschaftliche Studien, Bd. 6, Deutscher Kunstverlag, München, 2008, S. 26 zitiert nach Celant. Senza titolo, 1971, S. 76–81. 3
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Vgl. Stauffer, Figurationen des Utopischen, 2008, S. 32.
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2. Superstudio Mit seinem Abschluss an der Architekturfakultät der Universität Florenz gründete Adolfo Natalini 1966 Superstudio. Zur gleichen Zeit gründete sich die Gruppe Archizoom an der Florentiner Universität.5 Sowohl Archizoom als auch Superstudio erlangten ihre erste öffentliche Aufmerksamkeit durch zwei Ausstellungen zum Thema „Superarchitettura“. Im November 1966 fand die erste der beiden in der Galleria Jolly 2 in Pistoia statt und wurde neben Archizoom und Superstudio auch von Cristiano Toraldo di Francia organisiert, welcher sich kurz darauf Natalini anschloss. Nach der zweiten Ausstellung „Superarchitettura II“ im März 1967 in der Galleria Comunale in Modena traten auch Gian Piero Frassinelli, Alessandro Magris und Roberto Magris Superstudio bei. 1970 folgte schließlich Alessandro Poli.6 Seine späteren Mitstreiter kannte Natalini bereits seit seinem Studium. Das praktische Bauen blieb in der weiteren Zusammenarbeit nahezu aus. Bei Auftragsentwürfen und Wettbewerben handelte es sich im seltenen Fall der Umsetzung lediglich um Sanierungsarbeiten und Innenausbauten. Ausstellungsarchitekturen bildeten die übrigen Arbeiten. Bedingt durch die mangelnde Verwirklichung von Bauaufträgen fiel der Enthusiasmus für theoretische Projekte entsprechend größer aus.7 Superstudios Interesse galt nicht ausschließlich der Architektur, sondern umfasste neben Design und Urbanismus auch Teile der Philosophie und Kulturanthropologie. Dies zeigte sich vorrangig durch die Tätigkeit an der Universität Florenz. Dort wirkten einige Mitglieder nach ihrem Studium zuerst als wissenschaftliche Assistenten und lehrten ab 1970 selbst als Dozenten. Im Rahmen der akademischen Ausbildung setzten sie auf Architekturutopien als „Denkräume“ und „mentale Experimentierstrukturen“. Dies motivierte sie einerseits in ihrer allgemein eher theoretischen Reflexion von Architektur, sollte andererseits aber auch die fehlende Praxis kompensieren.8 Das „experimentelle Theoretisieren“9 diente als Basis späterer Stadtutopien. Während eine Reihe an Utopien und damit verbundener Bilder und Maifeste aus dem weiteren Schaffen Superstudios hervorging, arbeiteten die einzelnen Mitglieder mit der Zeit immer individueller oder nur gezielt miteinander. Dies führte schließlich zur Auflösung des Kollektivs 1986.10 Aufgrund vieler Parallelen beschäftigen sich viele Publikation gleichrangig mit beiden Kollektiven. Archizoom wird hier lediglich zur zeitlichen Einordnung genannt, aber in sich sowie der wechselseitige Einfluss nicht weiter vertieft. 5
Vgl. Lang, Peter; Menking, William: Superstudio. Life without objects, Skira, Genf, 2003, S. 15-16. 6
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Vgl. Stauffer, Figurationen des Utopischen, 2008, S.18.
8
Vgl. Stauffer, Figurationen des Utopischen, 2008, S. 19.
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Vgl. Ebd.
Vgl. Ebd. zitiert nach Natalini. Superstudio in Middelburg: Avant-garde and Resistance, in: Byvanck, Valentijn (Hrsg.). Superstudio. The Middelburg Lectures, Middelburg: De Vleeshal and Zeeuws Museum, 2005, S. 25–28. 10
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2.1 Megastruktur und Utopie Zentral für das weitere Vorgehen ist die Klärung der Begriffe „Megastruktur“ und „Utopie“. „Megastrukturen gelten im Allgemeinen als Utopien“11, wodurch sich der entscheidende Bezug der beiden Begriffe ergibt. Architektur und Stadtplanung gehen daraus nicht nur assoziativ hervor. So bedient sich der Begriff „Megapolis“ ebenfalls der griechischen Vorsilbe „Mega“ und fand vor allem in der Diskussion der Sechziger Jahre über die Problematik des Städtewachstums seine Verwendung. Der damit einhergehende Strukturalismus stärkte wiederum den Begriff „Struktur“.12 Reyner Banham schreibt zu Beginn seines Buches Megastructure. Urban futures of the recent past den Satz: „Megastrukturen ihrer Zeit waren immer große Gebäude – aber nicht alle großen Gebäude der Zeit sind gleich Megastrukturen.“13 Jenes zeigt, dass Megastrukturen sich durchaus im Feld des Machbaren befinden. Superstudio zielte nicht auf eine mögliche Umsetzung ihrer Entwürfe ab. Vielmehr sind diese „als Werke zu verstehen, die ihre Realisierungen in Publikationen oder Ausstellungen fanden. Dabei sind Bild und Text gleichermaßen als Theoriebeitrag zu verstehen“.14 So beinhaltet der Begriff „Utopie“ zwar eine mögliche Zukunft, die sich im Fall von Superstudio allerdings im rein Theoretischen und Fiktionalen befindet. Ziel ist ein ironischer Diskurs zur „kritischen Reflexion über die gebaute und imaginierte Architektur der modernen Gesellschaft“.15 Im Falle von Superstudio zeigt sich die Megastruktur als utopisches Konstrukt im Modell des Monumento Continuo.
2.2 Il Monumento Continuo – die Megastruktur als unendliche Urbanisation 1969 begann Superstudio mit dem Entwurf des Monumento Continuo, worauf eine Reihe weiterer Utopien samt diverser Fassungen folgte. Das Monument Continuo steht im Folgenden prägend als Schlüsselfigur für das weitere Vorgehen. Vgl. Düesberg, Christoph: Megastrukturen. Architekturutopien zwischen 1955 und 1975, Dom publishers, Berlin, 2013, S. 25. 11
Vgl. Banham, Reyner: Megastructure. Urban futures of the recent past, New York, 1976, S. 7. 12
13
Vgl. Ebd.
14
Stauffer, Figurationen des Utopischen, 2008, S. 10.
15
Vgl. Ebd.
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Für die weitere Auseinandersetzung zur Intuition der Modelle und Theorien, ist Superstudios Zugehörigkeit zur italienischen Architettura Radicale zu nennen. Dabei handelt es sich nicht um eine gegründete Bewegung, sondern um eine begriffliche Zusammenführung.16 Diese bezeichnet vornehmlich Architekten mit einer Tätigkeit an den Schnittstellen zu Design, bildender Kunst und experimenteller Theorie. 17 Marie Theres Stauffer, Kunsthistorikerin und Förderungsprofessorin des Schweizerischen Nationalfonds an der Unité d'histoire de l'art der Universität Genf, beschreibt das Monumento Continuo als „ein abstraktes orthogonales Volumen mit glatter, weißer Oberfläche […]. Diese Struktur dehnt sich entweder in linearer Form über die Erde aus oder dominiert als geometrisiertes Objekt einen Kontext.“18 Die verschiedenen Weiterentwicklungen weisen Varianz in der Oberfläche auf: je nach Fassung zeigt sich die Oberfläche mit einem Raster überzogen, opak oder leicht transparent. Der Verweis auf die Dimensionierung und damit einhergehende Ausdehnung ist für die weitere Betrachtung essentiell und wird im späteren Verlauf vertieft. Als erstes Modell einer totalen Urbanisation entstand das Il Monumento Continuo im Rahmen eines Wettbewerbs zum Thema „rasch realisierbare Utopie“, ausgelobt im Zusammenhang mit der Grazer Dreiländer-Biennale „Trigon“.19 Superstudio gewann dabei einen Preis und durfte den Beitrag im Grazer Künstlerhaus auf der Biennale ausstellen. Im Gegensatz zum Begleitenden Katalog „Architektonisches Modell einer totalen Urbanisation“, publizierten 1969 und 1970 italienische und englischsprachige Architekturmagazine kürzere Varianten des Projekts, was Superstudio in seinem Bekanntheitsgrad wachsen ließ.
3. Superstudios Supersuperficie – Supersurface: The Happy Island 1971 folgte eine weiterentwickelte Fassung des Monumento Continuo: Im Rahmen der New Yorker Ausstellung „Italy: The new domestic landscape“
Den Begriff Architettura Radicale prägte der Kunsthistoriker Germano Celant um 1972. Vgl. Celant. Radical Architecture, 1972, S. 380-388. 16
Neben Superstudio und Archizoom zählen allein in Florenz Remo Buti, Gianni Pettena, die Gruppe U.F.O., Zziggurat und 9999 zur Architettura Radicale. Diese sowie die Vertreter weiterer italienischer Städte werden für eine klarere Themeneingrenzung nicht erläutert. Vgl. dazu Celant. Radical Architecture, 1972. 17
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Stauffer, Figurationen des Utopischen, 2008, S. 55.
Vgl. Stauffer, Figurationen des Utopischen, 2008, S. 54 zitiert nach Koren, Hanns. Trigon ‘69, in Trigon ‘69, Katalog der Ausstellung Biennale Graz, Graz: Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum/Grazer Druckerei, 1969. 19
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entwarf Superstudio das Filmprojekt Supersuperficie.20 Dem eilte ein Prozess voraus, den die Architekten gar nicht mehr als den geläufigen Akt des Entwerfend sahen, sondern als „Form des Philosophierens“.21 Ziel war es hier, auf jene „volumentrisch-körperliche Architektur“ in Gänze zu verzichten. Superstudio reduzierte das Konzept des Monumento Continuo auf ein zweidimensionales Raster, welches den gesamten Erdball bedeckt. Über die linearen Bahnen sollten die dort befindlichen Menschen mit allem Lebensnotwendigen an jedem Ort versorgt werden können, woraus sich eine absolute Freiheit in ihrer Existenz und Bewegung ergibt. Durch die daraus resultierende Zugänglichkeit ergibt sich eine verstärkte Form der Globalisierung, da die ganze Welt so miteinander vernetzt sein würde. Darüber hinaus lässt sich die nun gegebene Beziehung zu Besitz und Konsum als „nomadische Existenz“ bezeichnen.22
Abb. 1: Superstudio: „Supersurface: The Happy Island“, 1972 Quelle: Museum of Modern Art, New York (https://www.moma.org/collection/works/869 vom 07.03.2022)
Supersuperficie bildet die originale und italienische Fassung des Modells und wird wie auch Monumento Continuo im weiteren Verlauf der Arbeit so benannt. Die ebenfalls gängige, englische Bezeichnung lautet Supersurface, wie es auch dem englischen Titel der beschriebenen Collage zu entnehmen ist. 20
Vgl. Stauffer, Figurationen des Utopischen, 2008, S. 113 zitiert nach Natalini, Adolfo (Hg.): Superstudio con figure 1966-72, Florenz, 1979, S. 46. 21
Vgl. Stauffer, Figurationen des Utopischen, 2008, S.18 zitiert nach Natalini, Adolfo (Hg.): Superstudio con figure 1966-72, Florenz, 1979, S. 43-82. 22
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Die Collage „Supersurface: The Happy Island“ (Abb. 1) entstand durch Superstudio im Jahr 1972.23 Dabei handelt es sich um aufgeklebte Bildausschnitte, Tinte, Airbrush und Grafit auf Papier in den Maßen 50.2 x 70.2 cm. Heute gehört sie zum Scala Archiv in Florenz und war zuletzt Teil der Ausstellung „Cut ’n’ Paste: From Architectural Assemblage to Collage City“ im Museum of Modern Art in New York. Die Szenerie der Collage zeigt zwei Personen auf einer Grünfläche inmitten des Monumento Continuo in seiner Form als Supersuperficie. 3.1 Bildbeschreibung In Normalperspektive erstreckt sich das Supersuperficie als ein den Boden bedeckendes Raster in filigranen Linien bis zum Horizont. Während im vorderen Bereich noch großflächige Quadrate des Rasters zu erkennen sind, scheinen sie sich immer weiter nach hinten bis ins unendliche zu verdichten bis das Trennen der einzelnen Linien mit dem bloßen Auge schier unmöglich wird. Zentral im Vordergrund ist ein Ausschnitt mit einer Rasenfläche zu sehen, auf der sich zwei Personen befinden. Mit den Linien des Rasters fluchtend fügt sich die Fläche der Strenge ihrer Umgebung, wobei sie sich im vorderen Bereich wieder verjüngt und die ähnliche Form einer Raute annimmt. Inmitten der Grünläche steht eine dem Betrachter zugewandte Frau in einem hellen Etuikleid, mit kinnlangem und blondem Haar. Vor ihr befindet sich ein aufgestelltes Bügelbrett mit dem zugehörigen Eisen auf der linken und einem Radio auf der rechten Seite. Rechts hinter der Frau steht ein Handrasenmäher, vor ihr und dem Brett eine dunkle Vase mit einem rot blühendem Strauß sowie eine kleine Stoffpuppe, welche an dem Bügelbrett lehnt. Die Puppe und der Strauß gehören zu einer ganz vorn ausgebreiteten, roten Decke, auf welcher noch ein Stofftier, diverse Bücher, ein Helm, eine kleine Schachtel, eine Handtasche sowie an Schmucksammelsorium aus kleinsten Teilen liegt. Links des Bügelbretts, auch hinter der Decke, befindet sich noch ein Regal mit zwei Böden, auf welchen ebenfalls kleine, zusammenhangslose Gegenstände aufgestellt sind. Im hinteren Teil der Rasenfläche und im Mittelgrund des Bildes sitzt ein Mann in weißem T-Shirt und dunkler Hose auf einem Stuhl. Links davon hängt eine Auswahl verschiedener Kleider und Mäntel ohne eine sichtbare Kleiderstange. Ebenfalls links aufgereiht sind drei Paar Schuhe zu sehen. Während sich die beschriebene Szenerie in satten Farben zeigt, verschwimmt die Umgebung in verschiedenen Blaunuancen mit vereinzelten Grünakzenten. Das Blau im Vordergrund ist noch sehr hell, nimmt allerdings zusammen mit dem sich verdichtenden Raster im Hintergrund einen dunkleren Ton an. Unendlichkeit und Tiefe des Bildes werden dadurch stark unterstrichen. Die über dem Horizont liegende Fläche, oder auch Himmel, ist am oberen Rand dunkler und wird Richtung Bildmitte heller.
Zum Entstehungsjahr gibt es verschiedene Angaben. Während das Museum of Modern Art in New York das Jahr 1971 angibt, wird sich in dieser Arbeit auf Stauffer, Figurationen des Utopischen, 2008, S. 239 berufen. 23
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3.2 Interpretation 1972 entstanden, zeigt die Collage eine Darstellung des Monumento Continuo, welche ihrer ursprünglichen Fassung 1969 in seiner Weiterentwicklung drei Jahre voraus ist. Deren Bezeichnung ist aus dem Titel der Arbeit zu entnehmen: Supersurface, also Supersuperficie. Dabei ist festzustellen, dass es bei dem Supersuperficie nicht um ein in der Collage befindliches Objekt handelt, sondern um eine unendliche Struktur, die sich über die gesamte Erdoberfläche zu legen scheint. Durch das Raster gibt es eine starke Richtung samt damit verbundener Strenge vor, welche durch Personen und Gegenstände auf der Rasenfläche nur geringfügig aufgelockert wird. Die aus der Oberfläche ersichtliche Unendlichkeit und Linearität wirken wie etwas künstlich und unnatürlich Auferlegtes, wovon für die Betrachtenden eine gewisse Bedrohlichkeit ausgeht. Es stellen sich Fragen zum Ursprung dieser künstlich angelegten Ordnung und ihrem weiteren, nicht abgebildeten Ausmaß. Diese Beliebigkeit hat den Anschein, als „könne [es] überall verwendet werden und erlaube es, eine unendlich fortsetzbare, vollkommen gleichmäßige Architektur zu produzieren.“24 Darüber hinaus werden Gefühle der Leere, Anonymität und Kälte assoziiert. Letzteres stützen die eingesetzten Farben. Die kühlen und gedeckten Blautöne zeichnen durch ihre Unschärfe einen tristen Himmel, der durch das Überlappen der Flächen an einen Schauer oder sogar nebel- oder rauchartige Schwaden erinnert. Auf der Oberfläche befinden sich zusätzlich einige Grünakzente, die entweder als lediglich kompositorisches Pendant zur offenliegenden Rasenfläche interpretiert werden können, oder aber als eben jenes weitere Grün in Form von Natur und Pflanzen, auf welcher das Monumento Continuo wie eine transluzente Decke liegt und dadurch ein gefiltertes Abbild dessen zeigt. Dieses wäre als unterdrückendes und zerstörerisches Element zu deuten, welches jegliche Form von Natur im Keim erstickt – jene fernab der „geplanten“ oder zugelassenen Insel. Die Szenerie auf der Grünfläche wirkt wie eine häusliche Idylle, als Insel schwimmend auf dem unendlichen Raster – so lässt sich auch der zweite Teil des Titel „The Happy Island“ schnell im Bild wiederfinden. Spätestens auf den zweiten Blick sollte jedoch klar sein, dass es sich bei dem Titel um eine ironische Formulierung handelt. Während das Konzept einer scheinbar einsamen Insel inmitten einer künstlichen und unnatürlichen Struktur von unendlichem Ausmaß schon von ausreichend Unbehagen zeugt, strahlen die abgebildeten Personen eine zusätzlich unangenehme und bedrohliche Stimmung aus. Erwartungsvoll den Betrachtenden entgegenblickend befinden sich die Personen, eine Frau und ein Mann, vermutlich in den Dreißigern, zwar auf der gleichen Seite, strahlen allerdings nicht nur räumlich, sondern auch zwischenmenschlich eine gewisse Distanz aus. Ob es sich dabei um eine eheähnliche Beziehung handelt, lässt sich nicht genau sagen, aber auch nicht ausschließen, da es sich um eine bewusste Setzung einer weiblichen und einer männlichen Person handeln könnte. Dieses liegt begründet in der Annahme, dass das Prinzip des Monumento Continuo es ermöglicht, „die Erde für eine Stauffer, Figurationen des Utopischen, 2008, S. 55 zitiert nach Natalini (Hg.). Superstudio ..., 1979, S. 9. 24
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zunehmend verarmende und anwachsen Bevölkerung effizient zu bebauen.“25 Jenes zeigt sich auch in der übrigen Bildkomposition. Die zu sehenden Gegenstände deuten durch ihre Aufreihung auf eine Flohmarktsituation hin. Eben diese „freie“ und legere Form des Verkaufs, die Anordnung der Gegenstände sowie die dadurch abgebildete Bandbreite strahlen Individualität und Unordnung aus, welches wiederum im starken Kontrast zu der nahezu klinischen Umgebung steht. Gleichzeitig stellen diese den willkürlichen Konsum der Gesellschaft dar und schlagen das Nomadenleben als Gegenentwurf vor. Insgesamt lässt sich die Collage als ironischen Diskurs lesen, welcher eine „[kritische] Reflexion über die gebaute und imaginierte Architektur der modernen Gesellschaft“26 abbildet und so den Zeitgeist der Sechziger und frühen Siebziger Jahre in „Technik, Kultur und all den unvermeidlichen Imperialismen“ kritisiert.27 4. Der Architektonische Diskurs – Ein Ausblick für Zukunftsmodelle Der Begriff des Architektonischen Diskurses geht mit der ersten Veröffentlichung Superstudios Stadtutopien in der italienischen Architekturzeitschrift Domus einher: Die zugehörige Betitelung des „Bilddiskurses“ verdeutlicht, dass es sich hierbei „um Theorien und nicht um unmittelbar realisierbare Vorschläge handelt“.28 Diese Intention ist sich bei damaligen wie auch heutigen Kritiken an Superstudio, dem Monumento Continuo und anderen Utopieansätzen immer wieder vor Augen zu führen. Wie zu Beginn erwähnt, wurde die eigentlich ironische Rhetorik nicht berücksichtigt, wodurch die Arbeiten zwar die gewollte Rezeption erfuhren und auch heute noch erfahren, jedoch der Schritt zur eigentlichen Interpretation in den meisten Fällen fehlt. Unter der Annahme, die Collagen würden wünschenswerte und in naher Zukunft realisierbare Stadtutopien zeigen, sind entsprechende Kritiken nachvollziehbar, zeigen allerdings eine nur oberflächliche Auseinandersetzung mit Thematik und Darstellungsform. Das theoretische Arbeiten in Form der Lehre stellte sich später als besonders wichtig für Superstudio heraus, da der akademische Raum die Grundlage des Philosophierens bildete. Besonderes Interesse gab es seitens der Architectural Association School of Architecture in London. Auf die Initiative von Rem Koolhaas hin, durfte u.a. Adolfo Natalini entsprechende Lehrveranstaltungen abhalten und sich so am vermittelten Lehrinhalt beteiligen. Der vermittelte Einfluss zeigt sich nicht nur in frühen Arbeiten von Rem Koolhaas, sondern ist 25
Stauffer, Figurationen des Utopischen, 2008, S. 57.
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Stauffer, Figurationen des Utopischen, 2008, S. 10.
Vgl. Stauffer, Figurationen des Utopischen, 2008, S. 58 zitiert nach Natalini (Hg.). Superstudio ..., 1979, S. 9. 27
Vgl. Stauffer, Figurationen des Utopischen, 2008, S. 46 zitiert nach Superstudio. Discorsi per immagini, in Domus No. 481, 1969, S. 44-45. 28
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auch bei anderen namhaften Architekten und Architektinnen wie beispielsweise Zaha Hadid erkennbar.29 Trotz nachweisbarer Referenzen und merklich technischem Fortschritt, befinden sich jene Stadtutopien weder im Bereich des Möglichen, noch werden sie angestrebt. Die allgegenwärtige Faszination utopischer Lebensformen spiegelt sich weiterhin in Architektur, Design und bildender Kunst wieder, doch dienen sie auch heute als Kritik und Überzeichnung. Superstudios Beiträge, insbesondere die Collagen, können daher auf die gleiche Weise wie zur Entstehungszeit rezipiert werden.
Vgl. Stauffer, Figurationen des Utopischen, 2008, S. 27 mit Verweis auf Navone/ Orlandoni. Architettura Radicale, 1974, S. 38. Auf die Lehrveranstaltungen an der Architectural Association wies Natalini im Gespräch mit der Autorin selbst hin (Gespräch mit Natalini, Florenz, Oktober 1999). 29
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Literaturverzeichnis - Banham, Reyner: Megastructure. Urban futures of the recent past, New York, 1976 - Düesberg, Christoph: Megastrukturen. Architekturutopien zwischen 1955 und 1975, Dom publishers, Berlin, 2013 - Lang, Peter; Menking, William: Superstudio. Life without objects, Skira, Genf, 2003 - Stauffer, Marie Theres: Figurationen des Utopischen: Theoretische Projekte von Archizoom und Superstudio, Kunstwissenschaftliche Studien, Bd. 6, Deutscher Kunstverlag, München, 2008 - Schneede, Uwe: Die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert. Von den Avantgarden bis zur Gegenwart. C. H. Beck, München, 2001
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