Technische Universität München Fakultät für Architektur Lehrstuhl für Theorie und Geschichte von Architektur, Kunst und Design Prof. Dr. Dietrich Erben Dr. Cole Collins
Form und Reform. Der gesellschaftliche Auftrag von Kunst und Architektur
Technische Universität München Fakultät für Architektur Lehrstuhl für Theorie und Geschichte von Architektur, Kunst und Design Prof. Dr. Dietrich Erben Dr. Cole Collins
Form und Reform. Der gesellschaftliche Auftrag von Kunst und Architektur
Verfasserin: Alina Burose Matrikelnr. 03755326 burose98@gmail.com
Architektur
Fachsemester
2022
Auf die Frage zum Wiederaufbau der Berliner Bauakademie von Karl Friedrich Schinkel antwortete Thomas Köhler, Direktor des Landesmuseum für moderne Kunst: „Die Schinkelsche Bauakademie existiert nicht mehr. Alles, was an ihrer Stelle in historischem Gewand errichtet würde, bliebe peinliche Attrappe.“ Seit1 der Wiedererrichtung des Berliner Schlosses als nahezu identische Kopie sind solche Aussagen aktueller denn je. Seit den 1990er Jahren liegt die Frage in der Luft, was mit dem ehemaligen Grundstück der Bauakademie und vielmehr Schinkels Erbe in Berlins historischer Mitte geschehen soll. Ein offener Programmwettbewerb von 2017 hätte nicht nur die Bandbreite der verschiedenen Möglichkeiten, sondern auch ein wenig Klarheit schaffen sollen. Doch unter dem Thema „So viel Schinkel wie möglich“ war kein Programm ausgeschrieben, weshalb es keinen Leitfaden seitens der Jury gab außer die Person Schinkel. Entsprechend unterschiedlich fielen die Ergebnisse aus und zu einer Entscheidung kam es nicht. Der Anlass für Diskussionen liegt nicht2 zuletzt an der bewegten Geschichte der Akademie und ihrem symbolischen Wert als Schinkels imaginäre Hinterlassenschaft.
In dieser Arbeit soll es um die Berliner Bauakademie von Karl Friedrich Schinkel als Mythos der Moderne gehen. Dabei fragt sie nach ihrer Rolle als Auslöser einer konstruktiven sowie stilistischen Reform und den Auswirkungen ihres Erbes auf die Moderne. Unter Berücksichtigung des Zeitgeschehens sowie Schinkels Biografie und ästhetischer Auffassung wird die Bauakademie in ihrer Entstehung näher erläutert. Nach einer Untersuchung ihrer stilistischen und konstruktiven Eigenschaften folgt eine nähere Betrachtung ihrer Rezeption in verschiedenen Zeitabständen, um Schlüsse hinsichtlich des aktuellen Diskurses zu ziehen.
Vgl. https://www.neuebauakademie.de/statements, zuletzt aktualisiert am1 20.08.2022.
Vgl. https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-2 Programmwettbewerb_Bauakademie_Berlin_entschieden_5389410.html, zuletzt aktualisiert am 20.08.2022.
Vor einer Auseinandersetzung mit Schinkels Bauakademie, bedarf es zunächst einer biografischen Einordnung. Dabei wird sein Werdegang mit dem Zeitgeschehen in Verbindung gebracht.
Geboren 1781 kommt Karl Friedrich Schinkel nur wenige Jahre vor der Französischen Revolution zur Welt. Nach dem frühen Tod seines Vaters zieht die alleinerziehende Mutter mit den insgesamt fünf Kindern 1794 nach Berlin, was diesen den Besuch eines Gymnasiums ermöglicht. Mit siebzehn Jahren besuchte er eine Ausstellung in der Preußischen Akademie der Künste, wo er in einem Entwurf Friedrich Gillys für ein Denkmal Friedrichs dem Großen einen Schlüsselmoment erfuhr. Er fasste darauf den Entschluss, selbst Architekt zu werden und begann noch im selben Jahr mit der zugehörigen Ausbildung. Durch deren Leitung der Institution entstand eine enge Freundschaft zu Friedrich Gilly sowie zu dessen Vaters David. Diese Zeit in Berlin war geprägt von dessen napoleonischer Besetzung: Das Bauen in Preußen stand weniger im Mittelpunkt, wodurch die Auftragslage extrem abnahm. Aufgrund der prekären Lage sah Schinkel sich gezwungen seinen Fokus stärker auf seine Tätigkeit als Maler und Zeichner zu legen, um an Geld zu kommen. 1809 heiratete er Susanne Berger, mit der er insgesamt vier Kinder bekam.3
Nachdem er als Geheimer Oberbauassessor in der Berliner Oberbauverwaltung tätig war, erlangte Schinkel 1815 die Position des Geheimen Oberbaurats. Diese ermöglichte ihm einen freieren Zugang zur Bautätigkeit. Theodor Fontane schrieb dazu, dass er „lediglich auf Vertrauen und Diskretion hin in diese Stelle eingeführt [wurde], denn noch war es ihm versagt geblieben, durch irgendeinen ausgeführten Bau von Bedeutung die Aufmerksamkeit oder gar Bewunderung der Fachleute auf sich zu ziehen.“ In den 1820er Jahren konnte Preußen seine4 Regierung und damit Authorität stärken, indem es von dem bisherigen ancien régime in einen modernen Nationalismus überging.5
Vgl. https://www.stadtmuseum.de/karl-friedrich-schinkel, zuletzt aktualisiert am3 20.08.2022, vgl. auch Forster, Kurt W.: „Schinkel – A Meander through his Life and Work“, Birkhäuser, Basel, 2018, S. 26ff
Vgl. Geist, Jonas: Karl Friedrich Schinkel. Die Bauakademie. Eine4 Vergenwärtigung“,Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 1993, S. 49, zitiert nach Fontane, Theodor: „Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 1. Teil: Die Grafschaft Ruppin“, Berlin, 1991, S. 104ff.
Vgl. Forster, S. 27.5
1830 folgte Schinkels Ernennung zum Geheimen Oberbaudirektor und Leiter der Oberbaudeputation. Von dort an überwachte er alle staatlichen Bauvorhaben Preußens im oberen Vermögenssegment. Schinkels Beratung belief sich nicht nur auf wirtschaftliche und funktionale, sondern insbesondere ästhetische Fragen, da es ihm möglich war, vorgelegte Entwürfe nach seinen Vorstellungen komplett abzuändern. Wenig später erreichte er den Höhepunkt seiner Karriere durch seine Beförderung zum Oberlandesbaudirektor und Architekten des Königs 6
Trotz seines Lebens während des anbrechenden Historismus, lassen sich Schinkels Werke nicht eindeutig einem Stil zuordnen. Friedrich Gilly als einer der deutschen Hauptvertreter des Klassizismus prägte Schinkel hinsichtlich dessen in seiner Lehre. Der folgende Historismus lies vergangene Stile zum7 Teil der Architekturikonographie werden. Während sich zeitgenössische8 Baumeister auf die Nachahmung dieser konzentrierten, forderte Schinkel eine Neuinterpretation der Baugeschichte:
„Ängstliche Wiederholung gewisser Anordnungen in der Architektur […] Warum wollen wir nicht versuchen, ob sich nicht auch für unsrige [Zeit] ein Stil auffinden lässt.“9
Nichtsdestotrotz war es nicht Schinkels Anspruch, eine Formensprache fernab jeglicher baulicher Referenz zu entwicklen. Als prägend für sein kreatives Schaffen erwies sich Schinkels Reise nach Italien von 1803 bis 1804. Aus fielen Aufzeichnungen, Skizzen und selbstverständlich späteren Gemälden lässt sich eine malerische Sicht auf Architektur lesen. Diese stellt „dominante Ordnungsprinzipien der klassischen vitruvianischen Tradition in Frage, etwa die Symmetrie der Baukörperkomposition und ihren städtebaulichen Rahmen, den geometrisch organisierten Achsenraum, der von Schinkel durch eine malerische, stadtlandschaftliche Auffassung ersetzt wird.“ Daraus ergab sich
Vgl. https://www.stadtmuseum.de/karl-friedrich-schinkel, zuletzt aktualisiert am6 20.08.2022.
Vgl. Ebd.7
Vgl. von Buttlar, Adrian: „Kuglers Schinkel – Eine Relektüre“, in: Espagne, Michel;8 Savoy, Bénédicte; Trautmann-Waller, Céline (Hrsgg.): „Franz Theodor KuglerDeutscher Kunsthistoriker und Berliner Dichter“, Berlin 2010, S. 112.
Vgl. https://klaustaubert.wordpress.com/2014/04/14/karl-friedrich-schinkel/, zuletzt9 aktualisiert am 20.08.22.
eine angemessen konstruierte und zeitgemäße Architektur. Schinkel fasste10 das Gebäude als zu komplex auf, als dass es einem Prinzip wie der Symmetrie unterzuordnen sei. Vielmehr sei mit der Asymmetrie die Vervollständigung des Bildes anzustreben anstelle nach dem Perfektionismus durch symmetrische Anordnung zu streben. Seine Ablehnung von der Idee der Symmetrie steht allerdings augenscheinlich im Kontrast zu vielen seiner Entwürfe. Die zuerst wahrgenommene Symmetrie, sei es in der Ansicht oder im Grundriss, kristallisiert sich bei genauerer Betrachtung in harmonisch angeordnete Elemente, die sich nicht der Symmetrie als durchgehendes System unterwerfen. Die Annahme liegt in einer von Schinkel angestrebten11 Koexistenz von Symmetrie und Asymmetrie als Idealfall.
Im Falle der Berliner Bauakademie fällt nicht selten die Bezeichnung Schinkelsche Bauakademie. Die Apposition Schinkelsch suggeriert nicht nur eine explizite „Autorenschaft des Entwerfens“, sondern vielmehr eine maßgebliche Errungenschaft, die mit der Emanzipation von sozialen Bedingungen einhergeht. Die Annahme setzt ein freies und unabhängiges Handeln Schinkels in Entwurf und Umsetzung der Bauakademie voraus. Dadurch fungierte er nicht mehr als „kreativer Mittler, sondern als Schöpfer per se.“ Das Heben von Karl Friedrich Schinkel auf ein Podest, was über den12 geläufigen Status des Architekten hinausgeht, betont seine Vielseitigkeit im künstlerischen Schaffen und damit verbundene, stark ausgeprägte Imagination. Dennoch ist immer eine „[an]gemessene Strenge des architektonischen Systems“ spürbar, welche seiner Funktion als preußischer Baumeister13 unterstreicht sowie die zuvor erläuterte Anwendung von Symmetrie für repräsentative Bauten stützt.
Die politische Verantwortung zeigte sich allgegenwärtig: Während Schinkels frühere Aufträge beispielsweise die Neugestaltung des Eisernen Kreuzes beinhalteten, welches Tapferkeit in den Befreiungskriegen gegen die napoleonische Herrschaft auszeichnete, sollte er als Geheimer Oberbaurat
Vgl. von Buttlar, S.112.
Vgl. Forster, S. 230 ff
Vgl. Bodenschatz, Harald: „Der rote Kasten. Zu Bedeutung, Wirkung und Zukunft
von Schinkels Bauakademie“, TRANSIT Buchverlag, Berlin, 1996, S. 59.
Vgl. von Buttlar, S. 112, zitiert nach Kugler, Franz: „Karl Friedrich Schinkel. Eine
Charakteristik seiner künstlerischen Wirksamkeit“, Berlin, 1842.
„Berlin in eine repräsentative Hauptstadt“ umgestalten. So erwies er sich14 später als prägend für „die unverwechselbare Stadtlandschaft der Berliner Mitte.“ Während des Baus der Berliner Bauakademie existierten bereits die15 Wache unter den Linden, das Alte Museum, die Friedrichswerdersche Kirche, die Packhofanlagen auf der Museumsinsel, die neue Wache sowie die Schlossbrücke. Bauten, an welche er bei der Vorlage des Entwurfs zur Bauakademie anknüpfen konnte.
In seinen 25 Jahren bei der Oberbaudeputation gelang es Schinkel, so Fontane, „Berlin, wie seine Bewunderer sagen, in eine Stadt der Schönheit umzugestalten, jedenfalls aber unsrer Residenz im wesentlichen den Stempel aufzudrücken, den sie bis diese Stunde trägt. Denn auch das, was nach ihm gebaut worden ist, ist zum guten Teile Geist von seinem Geist.“16
Vgl. https://www.stadtmuseum.de/karl-friedrich-schinkel, zuletzt aktualisiert am14 20.08.2022.
Vgl. Blauert, Elke: „Karl Friedrich Schinkels Berliner Bauakademie. Ein Beitrag zum15 Wiederaufbau“, Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann, Berlin, 1994, S. 3.
Vgl. Geist, S. 49, zitiert nach Fontane, Theodor: „Wanderungen durch die Mark16 Brandenburg, 1. Teil: Die Grafschaft Ruppin“, Berlin, 1991, S. 104 ff
Friedrich Wilhelm III. gründete 1799 im Zuge einer Kabinettsorder die „Allgemeine Bau-Unterrichtsanstalt für alle königlichen Staaten“, um „dem Mangel an tüchtigen Feldmessern, Baubediensteten und Bauhandwerkern, worüber in allen Provinzen bisher nicht ohne Grund geklagt wurde, abzuhelfen“. Preußen sah damit die Ausbildung staatlicher und weniger17 privater Architekten sowie einen sparsamen Ressourcenumgang gesichert. Seit 1699 bestand bereits Kunstakademie während der Regierungszeiten von Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II., welche „neben den freien Künsten auch die angewandte, die Baukunst, pflegen sollte.“ Als Institution deckte sie mehr den künstlerischen als den konstruktiven Part des Bauens. Um in keinem Konkurrenzverhältnis zu stehen, betonte die neugegründete Bauakademie zwar ihre Lehre mit technischem Schwerpunkt. Nichtsdestotrotz konnte sie keine klare Position zum Bestand beziehen, wodurch sie immer wieder zwischen Abhängigkeit und Autonomie wechselte. „Das wechselnde Verhältnis der Bauakademie zur Kunstakademie verdeutlicht zugleich die Suche nach einem neuen Architekturverständis“ Preußens. Zuerst unter dem Namen „Königliche18 Bauakademie zu Berlin“ geführt, trug sie 1831 bis 1848 die Bezeichnung „Allgemeine Bauschule“.19
Bevor Schinkel die neuen Räumlichkeiten der Berliner Bauakademie entwerfen und umsetzen konnte, gehörte er mit 18 Jahren selbst zu den Schülern des ersten Ausbildungsjahres. Zu der Zeit noch im ersten richtigen Sitz der Akademie, der Münze am Werderschen Markt, legte er 1802 seine Prüfung als Baukondukteur ab. 1806 zog die Bauakademie in die Zimmerstraße 25, Berlin Charlottenburg und damit an den damaligen Stadtrand. Die damit einhergehende Unzufriedenheit zeigte sich nicht nur im Lehrkörper, sondern auch durch die abnehmende Schüleranzahl.20
Zusammen mit Christian Peter Beuth, Leiter des Gewerbeinstituts, mit er gemeinsam England bereist hatte, schlug Karl Friedrich Schinkel 1831 Friedrich Wilhelm III. seinen Entwurf für den neuen Bau Bauakademie vor. 1832 bis21
Vgl. Bodenschatz, S. 34, zitiert nach Teut-Nedeljkow, 1979, S.58.
Vgl. Bodenschatz, S. 36-36, zitiert nach Max Lang.
Vgl. Blauert, S.2, zitiert nach Rave, Paul Ortwin: „Karl Friedrich Schinkel.
Lebenswerk. Berlin, Dritter Teil.“, Berlin 1962, S. 38-60.
Vgl. Bodenschatz, S. 36ff.
Vgl. Geist, S. 21, vgl. auch Blauert, S. 3 ff
1836 folgte der genehmigte Bau auf dem Gelände des alten Packhofes am Westufer der Spree, an der Straße unter den Linden, gegenüber dem barocken Zeughaus. Mit dem Einzug Bauakademie stieg nicht nur die Anzahl der neuen22 Schüler, sondern fand auch die Oberbaudeputation einen Platz in dem neu errichteten Bau. Das Zusammenlegen beider Institutionen diente als „Ausdruck gemeinsamer Arbeit an der Förderung der gewerblichen Produktion und der Anhebung des Ausbildungsniveaus in Preußen.“ Schinkel, zu der Zeit Leiter der Oberbaudeputation, bezog mit seiner Familie die von ihm vorgesehene Dienstwohnung in der Akademie, samt eigenem Atelier. Nach Schinkels Tod23 1841 beherbergte die Wohnung das erste ihm gewidmete Museum.
1879 ging das Gebäude in den Besitz der Königlich Technischen Hochschule zu Berlin über, wonach es unterschiedliche Nutzungen fand. Bis zur Zerstörung durch einen Luftangriff Ende des Zweiten Weltkriegs befanden sich dort in verschiedenen Abständen unterschiedliche Nutzungen: Beispielsweise die Königlich Preußische Messbild-Anstalt und die Hochschule für Politik.24
Markant für die äußere Erscheinung der Bauakademie waren ihre kubische Form und der rote Sichtziegel in der Fassade. Damit setzte sie stilistisch neue Maßstäbe. Willibald Alexis schrieb unter dem Stichwort „Berlin“ für den Brockhaus von 1839: „Am weitesten aber scheint [die Technik des Sichtmauerwerks] gediehen in dem neusten größeren Werk des Meisters, der Bauschule. Wieder ganz neu und eigentümlich zeigt sich in diesem kolossalen Gebäude, das wie ein roter Stempel in die Mitte des betriebsamen und des schönen Berlin gedrückt ist, die Fülle und Frische seines Genies. Ein wunderbarer Reichtum der Dekoration entfaltet sich in dem zierlichsten, geistreich gedachten Ornament und der Totaleindruck, weder Schloß, Kirche noch Wohnhaus, vielmehr in prachtvoller Würde den Charakter der Industrie repräsentierend, wirkt und spricht zu jedem Unbefangenen“. Als freistehender25
Kubus reiht sich die Akademie in eine Vielzahl von Schinkels Bauten ein. Die fehlende Einbindung durch Gebäude oder Straßen verlangt nach keiner
Vgl. Blauert, S. 2.22
Vgl. Geist, S. 21-24.23
Vgl. http://www.foerderverein-bauakademie.de/zeittafel.html, zuletzt aktualisiert am24 20.08.2022.
Vgl. Geist, S. 51, zitiert nach Brockhaus, Allgemeines Lexikon, Ausgabe 1839,25 Stichwort Berlin.
Schaufassade und erzeugt so eine „Architektur, die sich frei macht von den Hierarchien feudalen Städtebaus“. Insbesondere der Werdersche Markt,26 welcher als Überbleibsel dieser agglomerativen, absolutistischen Vorgehensweise galt, erhielt einen Bezug zum späteren Schinkelplatz und wurde dadurch ein zentraler Teil der Berliner Zentrumsentwicklung. Doch bleibt die Bauakademie aufgrund explizit dieser Position mit einer Besonderheit versehen, da sie sich in progressive Haltung gegenüber dem Berliner Schloss zeigte.
Die acht Fensterachsen wiesen eine Gliederung durch von unten nach oben aufbauende, leicht vorgesetzte Pfeiler sowie durch eine Markierung der Horizontalen in Form von links nach rechts angeordnete farblich leicht abgesetzter Ziegelbändern auf. Eben jene farbliche Absetzung fanden sich auch auf den Pfeilern als Rahmungen wieder. Die vier Geschosse waren zudem durch Ziegelschränkschichten akzentuiert. Diese Gliederung sorgte für eine weniger homogene und massige Erscheinung und erzeugt Spannung durch Plastizität und damit einhergehende Schattenwürfe. Zudem lässt sich Schinkels Element der Symmetrie im Verhältnis zur Asymmetrie wiederfinden.
Die Grundrisse bilden einen quadratischen Stempel ab, sehen allerdings nur in wenigen repräsentativen Geschossbereichen einer Symmetrie ähnlich; die dienenden Räumlichkeiten sind funktional ohne ein symmetrisches Muster angelegt. Während sich inmitten der Ansicht eine Achse ziehen lässt, welche eine Klappsymmetrie bestätigt, zeigten sich die Ornamente differenziert in Form plastisch modellierter Terrakotta-Platten als Narrativ für die Geschichte von Architektur. Die Tafeln wiederholten sich lediglich auf allen vier Seiten. Als tendenziell gleichseitiger Baukörper war keine opulente Eingangssituation gegeben, welches sich von den sonstigen Repräsentationsbauten, insbesondere dem Schloss, abhebt. Es handelte sich um zwei nebeneinander angeordnete Portale, welche wieder gleich scheinen, sich allerdings in der Rahmengestaltung di ff erenzierten: Das linke Portal zeigte den architektonischen Bezug zur Kunst, während das rechte Wissenschaft und Technik zum Thema hatte.27
Neben ihrem Narrativ lag die Besonderheit in den Terrakotta-Platten in ihrer Fertigung: Die Vorfertigung der Außenwände bedurfte einer äußerst sorgfältigen Ausführung, brachte aber ein neues Maß an Effizienz am Bau. Dieses Vorgehen war auf eine mögliche Reproduktion ausgelegt. Allgemein zeigte sich jedes
Vgl. Geist, S. 52.26 Vgl. Ebd. S. 21ff27
Bauteil zweckbestimmt. Die Gliederung sowie die Fassade in Rohziegeln betonten die Konstruktion der Bauakademie, was für eine authentische Anmutung sorgte. Hinzu kommt Schinkels erste Anwendung der Skelettbauweise. Dazu waren zuerst Pfeiler und Stützen gesetzt und anschließend mit Ankern verbunden worden, bevor ein aufliegendes, segmentiertes Gewölbe hinzukam. Zuletzt folgten die Außenwände.28
Aus den zuvor erläuterten Gestaltungselementen sowie technischen Errungenschaften lässt sich eine architektonische Reform herauslesen. So stellte die Berliner Bauakademie „den ersten profanen repräsentativen Rohziegelbau Preußens dar, der durch seine besondere Konstruktion und Bautechnik richtungsweisend für die moderne Architektur wurde.“ Die29 Setzung des Kubus ging auch mit gesellschaftlichen und pädagogischen Idealen einher: Die räumliche Freisetzung symbolisierte die politische „Forderung nach freier Beweglichkeit des Geistes und des Kapitals.“ Ein30 Grundsatz, der sich auch auf die Moderne beziehen lässt.
Nichtsdestotrotz sah die Rezeption nicht durchgehend positiv aus. Schinkels Gegner nannten die Bauakademie nicht ohne Grund lediglich den „roten Kasten“. Friedrich Adler sprach 1869 von „vielfachem Tadel“ seitens der städtischen Bevölkerung. Ihre Kritik galt dem Form eines Würfels und der Kompaktheit des Baukörpers. Was uns heute an der Modernität Schinkels31 Baus gefällt, erschien dem Publikum des 19. Jahrhunderts fremd. Die32 Fachwelt gab sich gespalten. Nach Schinkels Tod wuchs zwar die Demut gegenüber seines Andenkens, doch gab es auch noch in der Weimarer Republik Stimmen auf beiden Seiten. Während Lobpreisungen Schinkels ausgesprochen wurden, hieß es in der Streitschrift Das steinerne Berlin von
Vgl. Blauert, S. 5-10.28
Vgl. Ebd. S. 4.29
Vgl. Geist, S. 52.30
Vgl. Bodenschatz, S. 31, zitiert nach Adler, Friedrich: „Die Bauschule zu Berlin von31 Carl Friedrich Schinkel“, 1869, in: „Festreden Schinkel zu Ehren 1846-1980“, Berlin, S. 101.
Vgl. Ebd. Zitiert nach Peschken, Goerd: „Preußens Mitte.“ in: Boberg, Jochen;32 Fichter, Tilman; Gillen, Eckhart (Hg.): „Exerzierfeld der Moderne. Industriekultur in Berlin im 19. Jahrhundert“, München, 1984, S. 51.
Werner Hegemann: „[Die Bauakademie] wirkt noch 100 Jahre nach ihrem Entstehen fremdartig und gewollt“.33
Nach ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde die Bauakademie zu einem essentiellen Kulturgut mit Erhaltungswert. Nicht nur, da es „das letzte große Werk Schinkels [war], das Gestalt angenommen hat, sondern vor allem eines der wenigen, dessen Inhalte und Formen er selbst bestimmen konnte. Insofern hat es den Charakter eines Vermächtnisses, in das die Summe seiner Erfahrungen und seine Vorstellung über die Erneuerung der Baukunst eingegangen sind.“ Nach dem Krieg sollte zunächst ihr Wiederaufbau folgen.34 SED-Chef Walter Ulbricht huldigte den Wert des Gebäudes in seiner Eröffnungsrede zur Deutschen Bauakademie 1851 und lobte die schöpferische Architektur Schinkels. In den folgenden Jahren begann ein Wiederaufbau. Als35 etwa 90 Prozent des Rohbaus stand und ein Großteil der fehlenden Fenster und Terrakotta-Replika fertiggestellt waren, wurden Ausgaben für die verbleibenden Baukosten abgelehnt und für einen Abriss gestimmt. Mit dem Ziel, die Akademie zu einem anderen Zeitpunkt wieder aufzubauen, wurden die verbleibenden Teile zwar eingelagert, aber nicht wieder verbaut. Mit der Bekanntgabe der Abrissabsichten durchzog eine Welle der Empörung die36 deutschsprachige Medienlandschaft. Neben den großen Zeitungen brachte Gerd Peschken 1961 sogar ein kleines Heft heraus: Schinkels Bauakademie in Berlin. Ein Aufruf zur Rettung. Es endet mit: „Wenn die Geschichte des modernen Städtebaus und der modernen Architektur in Deutschland einmal durchgearbeitet sein wird, wird man vermutlich endlich genau wissen, daß die Bauschule Schinkels das bedeutendste Gebäude ist, das in unserem Land im vorigen Jahrhundert gebaut worden ist und vielleicht auch, daß die Kupfergrabenlandschaft unsere schönste Landschaft und dieser Zeit ist. Die Fortsetzung der Zerstörung dieser Gegend unter dem Titel ‚Aufbau‘ würde nichts anderes sein als die Fortsetzung unseres geistigen Selbstmordes.“37 Nichtsdestotrotz wurde die Bauakademie von 1961 bis 1962 abgerissen.38
Vgl. Bodenschatz, S. 30.
Vgl. Geist, S. 21.
Vgl. Blauert, S. 13, zitiert nach: Tagesspiegel, 27.11.1960.
In Ost-Berlin war von „Abtragung“ anstelle von „Abriss“ die Rede.
Vgl. Peschken, Goerd: „Zum für März geplanten Abbruch der Bauakademie in
Berlin“, in: Bauwelt Heft 9, 1961, S. 240f.
Vgl. Blauert, S. 13.
Als wichtiger Gegenstand architektursoziologischer Betrachtung lässt sich in den erwähnten Medien eine Veränderung erkennen: Während vorige Kritiken sich mit der Bauakademie als existierender, gebauter Umstand beschäftigten und lediglich das Ableben Schinkels darin berücksichtigt wurde, bestand mit der Kritik am Abriss der Anspruch, das Gebäude zu retten und etwas zu bewirken. Die Annahme besteht daher von deutlich stärkerem Elan in der Kritikausübung und wirklichen Absichten dahinter. Hinzuziehen lässt sich die Ebene der damaligen Regierung. Das durch die SED beschlossenes Vorhaben schloss den öffentlichen Diskurs und die Einbindung der Fachwelt aus und stärkte dadurch deren Autorität. Kritik am Abrissvorhaben lässt sich als indirekte Kritik an der Regierung deuten.
Anstelle des versprochenen Wiederaufbaus wurde 1967 im Zuge der Sozialistischen Umgestaltung des Stadtzentrums das Ufer an der Spree mit dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR besetzt. Mit deren späterem Abriss nach der Wiedervereinigung erfolgte ein symbolischer Schritt zur kulturellen Entwertung dieser Architektur. Mit dieser (erneut)39 leerstehenden, aber kulturell extrem aufgeladenen Fläche eröffnete sich der architektonische Diskurs in viel größerem Ausmaß, der bis heute anhält, aber bisher zu keinem Konsens gekommen ist. Die Annahme besteht darin, dass der Fokus nun weniger auf der eigentlichen Nutzung des Spreeufers sondern mehr auf dem Umgang mit Schinkels Erbe liegt. Der Programmwettbewerb „So viel Schinkel wie möglich“ sowie die eingangs erläuterte Diskussion bestätigen dieses.
Vgl. Bodenschatz, S. 91-92.
Diskussionen um die Berliner Bauakademie existieren seit ihrem Bestehen und wurden nach ihrer Zerstörung immer lauter. Mit der Suche nach einem „schinkelwürdigen“ Gebäude kommt auch die Suche nach der Identität Berlins historischer Mitte. Die Bauakademie wurde mit der Zeit zu einer Art Mythos, welcher nicht nur für den Höhepunkt Schinkels Schaffen steht, sondern auch eine architektonische Hochphase Berlins symbolisiert. So ist sie gestalterisch und konstruktiv als Vorreiter der Moderne zu interpretieren, fungiert in ihrem Wert im aktuellen Diskurs allerdings nicht als solches, sondern wird eher auf ihren Schöpfer reduziert – auch hier nicht zuletzt durch die Apposition Schinkelsch. Als Gebäude mit eher modernen und weniger barocken Zügen bietet die Bauakademie Identifikationsmöglichkeiten für das heutige Bauen sowie ein entworfenes System, das sich trotz seiner Strenge als variabel und erweiterbar zeigt. Doch trotz der vielen Möglichkeiten und Ideen es zu einem Neubau gibt, zeichnet sich eines ab: Wo ein Würfel war, wird ein Würfel folgen. Trotz des Festhaltens an Karl Friedrich Schinkel, bleibt seine eigentliche Intention, angemessen und zeitgemäß zu bauen sowie seine Auffassung von Stil unberücksichtigt.
– Blauert, Elke: „Karl Friedrich Schinkels Berliner Bauakademie. Ein Beitrag zum Wiederaufbau“, Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann, Berlin, 1994
– Bodenschatz, Harald: „Der rote Kasten. Zu Bedeutung, Wirkung und Zukunft von Schinkels Bauakademie“, TRANSIT Buchverlag, Berlin, 1996
– Forster, Kurt W.: „Schinkel – A Meander through his Life and Work“, Birkhäuser, Basel, 2018
– Geist, Jonas: Karl Friedrich Schinkel. Die Bauakademie. Eine Vergenwärtigung“, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 1993
– https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen_Programmwettbewerb_ Bauakademie_Berlin_entschieden_5389410.html
– http://www.foerderverein-bauakademie.de/zeittafel.html
– https://klaustaubert.wordpress.com/2014/04/14/karl-friedrich-schinkel/
– https://www.neuebauakademie.de/statements
– https://www.stadtmuseum.de/karl-friedrich-schinkel
– Peschken, Goerd: „Zum für März geplanten Abbruch der Bauakademie in Berlin“, in: Bauwelt Heft 9, 1961
– von Buttlar, Adrian: „Kuglers Schinkel – Eine Relektüre“, in: Espagne, Michel; Savoy, Bénédicte; Trautmann-Waller, Céline (Hrsgg.): „Franz Theodor KuglerDeutscher Kunsthistoriker und Berliner Dichter“, Berlin 2010