„ The Anthropocene might seem to offer a dystopic future that laments the end of the world, but imperialism and ongoing (settler) colonialisms have been ending worlds for as long as they have been in existence.“
DAS WEISSE ANTHROPOZÄN
PLURAL REALITIES
WS 2022/23, FAKULTÄT ARCHITEKTUR TECHNISCHE HOCHSCHULE NÜRNBERG GSO
ALINA BUROSE
1. Einleitung
2. Das Anthropozän – Macht den Menschen
2.1 Das Wir gewinnt – Von der Kollektivierung einer Verantwortung
2.2 Ending Worlds – Ein Dystopiegefälle
3. DesignBuild – Methodik und Kritik
3.1 Entwicklungshilfe – Humanitärer Fetisch
3.2 Sie haben uns ein Denkmal gebaut – Die architektursoziologische Sicht
4. Ausblick
1. Einleitung
Im Herbst 2022 schrieb die Fachhochschule Dortmund eine eigene Professur unter dem Titel „ DesignBuild – Entwurf und Realisierung“ aus.1 DesignBuild beinhaltet einen praxisbezogenen Lehransatz im Fachbereich Architektur und nimmt stetig an Popularität zu. Neben der FH Dortmund betrifft es nicht nur deutsche Hochschulen und Universitäten, sondern weltweite Einrichtungen, die involviert sind. Da es sich um vornehmlich weiße Studierende handelt, die an der Praxis teilnehmen und viele Gemeinschaften im globalen Süden, die Empfänger*innen der realisierten Bauten sind, lässt sich das akademische Programm in den Kontext sogenannter Entwicklungshilfe setzen. Während Kritiker*innen neokoloniale Narrative in den Projekten ausmachen, halten Initiator*innen dagegen, dass das Beziehen der Leistungen den Gemeinschaften hilft und eine gute Absicht bestünde.
Die Debatte lässt sich im größeren Umfang auf die Auseinandersetzung mit strukturellem Rassismus im Alltag übertragen. Es stellt sich die Frage nach neokolonialen Narrativen, die bewusst oder unbewusst funktionieren können. Um den Ursprung des sowohl verinnerlichten Denkens als auch der Vorwürfe zu erfassen, setzt sich diese Arbeit mit der kolonialen Vergangenheit des Anthropozän auseinander. Als eine Ära, die nicht nur signifikant vom Menschen beeinflusst, sondern auch globalisiert funktioniert, stellt das Anthropozän eine komplexe Bündelung geschichtlicher Zäsuren dar, welche sich auf den Beginn des Kolonialismus zurückführen lassen. Die Stimmen um DesignBuild eröffnen die Diskussion im architektonischen Kontext. Daher dient das Programm als exemplarischer Betrachtungsgegenstand. Ziel ist es nicht, Praktizierende eines neokolonialen Handelns zu überführen, sondern eine Sensibilität für strukturellen Rassismus zu erzeugen, welcher einer Selbstreflexion bedarf.
Das Anthropozän beschreibt weniger ein Zeitalter, sondern vielmehr ein planetarisches Phänomen. Es geht auf den geologischen Befund zurück, dass Menschen nachweisbare Spuren in Gesteinsschichten hinterlassen, was in der Vergangenheit als Grundlage für die Markierung neuer Zeitabschnitte diente. 2 Sie resultieren aus den Folgen menschlichen Wirkens: dem seit dem 16. Jahrhundert andauernden Kolonialismus, der darauf folgenden Industrialisierung im 18. Jahrhundert sowie dem rasanten technologischen Fortschritt seit Mitte des 20. Jahrhunderts. 3 Folglich ist das Anthropozän
1 Vgl. https://stellen.fh-dortmund.de <21.01.2023> [Professur DesignBuild].
2 Vgl. Ellis, 2020, S. 12.
3 Vgl. Stumm/Lortie, 2021, S. 12.
nicht nur eine in der Geologie verordnete Ära, sondern auch eine geoökonomische und politische. 4 Der Klimawandel dürfte die erste nachgewiesene Bedrohung darstellen, welche das Anthropozän hervorgebracht hat. 1989 erschien dazu Bill McKibbens
„Das Ende der Natur“, die erste bekannte Sachlektüre, die dieses Ausmaß erläutert. 5 Allerdings bleibt unberücksichtigt, dass es sich dabei um eine weiße Perspektive handelt. Die Geographin Kathryn Yusoff schreibt dem Anthropozän in A Billion Black Anthropocenes or None eine unzureichende Auseinandersetzung mit dessen kolonialen Vergangenheit zu. Sie unterscheidet in weißes und schwarzes Anthropozän, um zwei unterschiedliche Realitäten darzulegen. Sie spricht von einer „weißen Geologie des Anthropozäns“, welches es nicht nur zu hinterfragen gelte, sondern eine Art der „Wiedergutmachung“ verlange. 6
2.1 Das Wir gewinnt – Von der Kollektivierung einer Verantwortung
Der einseitigen Betrachtung zum Trotze erfolgt die Begegnung mit klimapolitischen Fragen im Kollektiv. So lauten Antworten darauf, was wir tun können und Ursachen darin, was wir falsch gemacht haben. Das Adressat des Wir pauschalisiert Menschen, als sei die Weltbevölkerung an den Ursachen Anthropozän gleichermaßen beteiligt und von den selben Konsequenzen betroffen. Diese Annahme geht bereits aus den Begriff Anthropozän hervor, da dieser vom griechischen Wort anthropos abgeleitet soviel wie Mann oder in semantischer Erweiterung Mensch bedeutet. Folglich bringt er „in keiner Weise zum Ausdruck […], dass nicht alle Menschen, die seit dem späten 18. Jahrhundert auf der Welt gelebt haben, die Ideologie, Technologie und Kultur in die Welt gesetzt haben, von der die gewalttätigen Verhältnisse herrühren, die zu dem lebenszerstörenden Bedingungen“ geführt haben.7 Die Menschheit als zerstörerisches Kollektiv ist kein korrektes Motiv, da es jene Menschen in die Unsichtbarkeit verbannt und somit entmenschlicht, die vor dem Kolonialismus im Einklang mit der Natur lebten und den Planeten nicht nachhaltig beeinflussten. 8 Eine Gleichverteilung der Verantwortung dient der Tilgung eines schlechten Gewissens. Das Wir -Adressat wirkt gleichzeitig einer möglichen Bedrohung des Neoliberalismus entgegen, da es als selbsterhaltendes Narrativ fungiert, indem es die Spuren von Völkermord, Sklaverei und Zwangsarbeit verwischt. Die Praktiken, auf denen der Reichtum ehemaliger Kolonialmächte gründet sowie deren bis heute anhaltender geopolitischer Einfluss
4 In dieser Arbeit wird es verstärkt um die sozialen und politischen Komponenten des Anthropozän gehen. Naturwissenschaftliche Aspekte bleiben weniger berücksichtigt.
5 Vgl. Ellis, 2020, S. 26.
6 Vgl. Yusoff, 2018, S. 13-14.
7 Krasny, 2022, S. 21, vgl. auch Yusoff, 2018, S. 13-14.
8 Vgl. Ellis, 2020, S. 137-138.
erfahren eine systematische Entkräftung aufgrund mangelnder Sichtbarkeit und Anerkennung. 9
2.2 Ending Worlds – Ein Dystopiegefälle
Neben einem Narrativ, welches die Verantwortung für und um das Anthropozän von sich weist, existiert auch das der Dystopie, welches den Untergang der Welt vermittelt. Einhergehend mit dem Adressat des Wir verbreitet es die Annahme, dass auch die Konsequenzen des Anthropozän pauschal anwendbar seien. Während sich weiße Gesellschaften des globalen Nordens erstmals den Auswirkungen des Anthropozän ausgeliefert fühlen, ist Angst im globalen Süden seit dem 16. Jahrhundert zugegen. Die Exportgüter der Kolonialmächte bestanden aus wissentlich herbeigeführten Katastrophen für jene Völker. Genozid, Versklavung und Ausbeutung traten unter dem Deckmantel der Zivilisation, Modernisierung, des Fortschritts und Kapitalismus auf.10 Yusoff spricht dabei von Welten, die bereits Untergänge durch den Imperialismus erfahren haben:
„The Anthropocene might seem to offer a dystopic future that laments the end of the world, but imperialism and ongoing (settler) colonialisms have been ending worlds for as long as they have been in existence.“ 11
3. DesignBuild – Methodik und Kritik
Der Begriff DesignBuild findet seinen Ursprung in der Bauindustrie. Dort steht er für „einen Prozess, bei dem die Realisierung eines Bauwerkes von der konzeptionellen Entwicklung, über den Entwurf bis hin zur Ausführung in einer Hand liegt“.12 Bevor in den Siebzigerjahren Universitäten aus den USA den Begriff prägten, bildete in Deutschland Walter Gropius mit dem Bauhaus den Vorreiter für eine praxisnahe architektonische Ausbildung. Auch heute soll das akademische Programm Praxiserfahrung fördern. Es handelt sich um Projekte, welche Studierende vom Entwurf bis zur baulichen Fertigstellung begleiten. Der Fokus liegt dabei meist auf einem sozialen Adressat. So realisieren sie beispielsweise ein Krankenhaus, eine Ausbildungsstätte oder eine Unterkunft an Orten, wo diese benötigt scheinen. Die Beliebtheit von DesignBuild in der Lehre zeigt sich durch umfangreiche Publikationen und Ausstellungen. Nach dem Architekturmuseum der TU München und dem AIT Salon in Hamburg präsentier -
9 Vgl. Yusoff, 2018, S. 109.
10 Vgl. Ebd, S. 11.
11 Ebd, S. 11-12.
12 https://www.code.tu-berlin.de/ <21.01.2023> [DesignBuild].
te das Deutsche Architekturmuseum (DAZ) in Berlin im Herbst 2021 die Ausstellung „Experience in Action“ und damit die bisher größte zum Thema DesignBuild . „ DesignBuild -Projekte haben in den letzten Jahren durch ihren alternativen Lehransatz an den Hochschulen große Resonanz erfahren und werden weltweit angewandt und umgesetzt“ 13 schrieb das DAZ zur Ausstellung. Mit „weltweit angewandt“ ist allerdings nicht nur die Auswahl heute praktizierender Universitäten gemeint, sondern die letztendliche Realisierung in weiten Teilen Afrikas, Südamerikas oder Asiens. Während die Studierenden bevorzugt in ärmeren Regionen der Welt bauen dürfen und sollen, erlauben die Architekt*innenkammern nur temporäre Bauten innerhalb Deutschlands. Ein Grund dafür ist die Vermeidung von Konkurrenz für Architekt*innen.14 „Die Implementierung vieler Bauprojekte im globalen Süden“ 15 sorgt für den Vorwurf, die Praxis sei neokolonial geprägt. Das DAZ ließ die Kritik in Form eines Meinungs-Pin-Up zu. Dieses bestand aus Zitaten wie „Ist das nicht alles nur für diesen einen ‚Fancy Moment of Glory‘?“ 16, welche an den Wänden standen. Bestimmten Projekten zugeschrieben waren diese nicht, vielmehr gerieten sie in den Hintergrund. Daraus ergaben sich zwei verschiedene Leitfäden: zum Einen die anschauliche Dokumentation der Projekte und zum Anderen die unabhängigen, kritischen Anmerkungen. Die fehlende Verknüpfung schwächt nicht nur die Rezeption der kritischen Aussagen, sie gibt auch Auskunft über die selbstkritische Auseinandersetzung der Initiator*innen mit den Vorwürfen. Publikationen wie der zugehörige Ausstellungskatalog 17 oder fachspezifische Medien 18 folgen diesem Parallelprinzip, indem Kritik zwar abstrakt genannt, aber nicht in seiner Ursache oder Berechtigung ausgeführt wird.19 Es erschließt sich die Annahme, dass sich dieser Umstand auf die zuvor erläuterte, unzureichende Auseinandersetzung des Anthropozän projizieren lässt.
3.1 Entwicklungshilfe – Humanitärer Fetisch
Vorerst ist DesignBuild anteilig in den Kontext humanitärer Hilfe zu verordnen. Das
13 http://www.daz.de/ <21.01.2023> [DesignBuild].
14 Vgl. Weißmüller, 18.05.2020.
15 Vgl. http://www.daz.de/de/designbuild-in-der-architektur-zwischen-ambition-und-realitaet/, zuletzt aktualisiert am 07.01.2023.
16 Vgl. Ausstellung Experience in Action – DesignBuild in der Architektur vom 04.09.2021 bis 31.10.2021 im Deutschen Architekturzentrum Berlin.
17 Vgl. Bader/Lepik, 2020.
18 Vgl. dazu Stock, 17.2020, vgl. auch Weißmüller, 18.05.2020.
19 Ein nicht unerheblicher Anteil der Medienlandschaft klammert das Thema aus. Vgl. dazu Werbung des Bund Deutscher Architektinnen und Architekten: https://www.bda-bund.de/ <21.01.2023> [Experience in Action], vgl. auch https://www.baunetz.de <21.01.2023> [DesignBuild in Uganda], vgl. auch Schade-Bünsow, 18.2021.
Auswärtige Amt definiert humanitäre Hilfe als Unterstützung für „Menschen, die sich aufgrund von Krisen, Konflikten oder Naturkatastrophen in einer akuten Notlage befinden und diese aus eigener Kraft nicht bewältigen können. Ihr Ziel ist es, betroffenen Menschen […] eine Lebensperspektive zu erhalten und menschliches Leid zu lindern.“ 20 Zudem handelt es sich um Unternehmungen, die dem wirtschaftlichen Machtgefälle zwischen Nord und Süd entgegenwirken. Allerdings geht damit die Bezeichnung entsprechender Territorien als sogenannte Entwicklungsländer einher – was humanitäre Hilfe im Sprachgebrauch zur Entwicklungshilfe macht. Deutschland als ehemalige Kolonialmacht nutzt das Konzept der Entwicklungshilfe , um eine Wiedergutmachung auszusprechen. Andreas Freytag, Kolumnist der WirtschaftsWoche , erkennt jene Hilfen als ein großes Potential an, welches nur sinnvoll genutzt werden müsse. In seinem Text „Wem nützt die Debatte um den Kolonialismus?“ von 2020 befürchtet er, dass mit der weiteren Aufarbeitung der Kolonialzeit nur weitere Schuldzusprechungen an die ehemaligen Besatzer*innen kämen, was „wie eine Reinwaschung gegenwärtiger korrupter Regime von aller Schuld an den heutigen Problemen [wirke].“ Freytag sieht darin ein „bequemes Narrativ für unfähige Regierungen“ und die wirtschaftliche Diskrepanz zwischen europäischen und afrikanischen Staaten selbstverschuldet, da nach dem Ende der Kolonialzeit „die Wirtschaft auf einen Wachstumspfad“ gebracht „und die Teilhabe der Menschen am Wohlstand“ ermöglicht hätte werden können. 21 Dass der Bedarf aus der Unterdrückung seitens der Kolonialmächte herrührt, geht aus dem positiv konnotierten Begriff der Hilfe nicht hervor. Vielmehr steht er in Abhängigkeit zum voranschreitenden Neokolonialismus. 22 Während im 16. Jahrhundert den Menschen in den Kolonien eine, den Weißen nach zu urteilen, „zivilisierte Lebensweise“ aufgezwungen werden sollte, versuchen die weißen Nachfahren „ihren Mut und ihr Mitgefühl unter Beweis zu stellen.“ 23 Die Regional Acvocacy Director für Afrika beim Global Health Advocacy Incubator Angela Bruce-Raebrun betont in ihrem Aufsatz „International Development has a Race Problem“, das Bleiben der Machtausübung. Sie schreibt, dass „dem Konzept der Entwicklungshilfe selbst race und Rassismus eingeschrieben sind, weil nur in diesem System weiße ressourcenreiche Mehrheitsgesellschaften bestimmen können, was genau und wie viel arme Personen of Color brauchen. Nur in diesem System können weiße Mehrheitsgesellschaften Regeln für die Bereitstellung dessen, was Personen of Color brauchen, aufstellen und natürlich auch ausgeklügelte Mechanismen erschaffen, um zu überwachen, wie gut sie die gespende -
20 https://www.auswaertiges-amt.de <21.01.2023> [Humanitäre Hilfe].
21 Freytag, 10.01.2020.
22 Vgl. Zakaria, 2022, S. 68-90.
23 Vgl. Ebd, S. 119.
ten Mittel verwaltet haben, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen.“ 24
Es geht darum Narrative zu dominieren. Die Autorin Juliette Singh spricht von Mastery , einer Meisterschaft, die den Kern weißer Vorherrschaft betitelt. Humanitäre Hilfe sieht sie als eine Praxis, die sich zwar entgegen imperialer Prinzipien stellt, diese aber im zeitgenössischen Kontext stützt. Dieses ambivalente Verhalten ist sinnbildlich für die komplexen Zusammenhänge, die es bei einer Auseinandersetzung mit verinnerlichter, kolonialer Ideologie zu entwirren gilt. 25 Singh geht einen Schritt weiter, indem sie von einem Humanitären Fetisch spricht, der sich lediglich einer Fantasie hingibt. Es handelt sich um eine logische Weiterentwicklung von Karl Marx’ Theorie des Warenfetischismus. Unter anderem warnt diese davor, den Kapitalismus lediglich als einen Austausch von Zahlungsmittel und Ware zu betrachten und die Hintergründe, wie die Produktionsverhältnisse, außer Acht zu lassen. 26 Anders als Marx prägte Sigmund Freud den Begriff Fetisch im Kontext der Sexualität seiner Psychoanalyse. Den Zusammenhang, den Singh an dieser Stelle herstellt ist jener, dass Freud den Fetisch als eine fantastische Strategie erwähnt, traumatische Erkenntnisse zu verdrängen. Hintergründe bleiben damit unbeleuchtet. Die Annahme liegt darin, dass sich diese Strategie auf den Umgang mit kolonialem Erbe, einem generationenübergreifenden Trauma, übertragen lässt.
3.2 Sie haben uns ein Denkmal gebaut – Die architektursoziologische Sicht Zwar liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit auf kritischen Narrativen, die sich auf die Hintergründe einer Architekturpraxis konzentrieren, doch geht mit gebautem Raum auch eine subjektive Rezeption einher. „Architektonischer Raum begrenzt die Raumfülle der menschlichen Raumwahrnehmung“ 27 und bildet einen existierenden Umstand, der zu Beginn 28 nicht hinterfragt werden kann. Nichtsdestotrotz verfügt Raum über eine Lesbarkeit hinsichtlich Gesellschaftsschicht, Geschlecht und Hautfarbe. Die entsprechende Wahrnehmung hängt von der jeweiligen Person, ihrem Stand und Position im Machtgefälle ab. Folglich handelt es sich bei der Bewertung gebauten Raums um keine Geschmacksfrage. 29 Für eine weitere gestalterische Auseinandersetzung ist die
24 Ebd, S. 87, zitiert nach Bruce-Reaburn, Angela: International Aid Has a Race Problem, DevEx, 17.05.2019.
25 Vgl. Singh, 2018, S. 98.
26 Vgl. Ebd, S. 102.
27 Schäfers, 2014, S. 30.
28 Insbesondere Kinder nehmen Raum nicht als das soziale Konstrukt war, was er ist.
29 Vgl. Weisman, 1994, S. 2. Bei Weisman liegt der Fokus auf gestalterische Diskriminierung, dennoch ist Wahrnehmung von gebautem Raum für die vorliegende Auseinandersetzung ge -
Anglobalisierung relevant. Geprägt von dem Harvard-Professor und Historiker Niall Ferguson diente der Begriff als Anleitung für junge US-Amerikaner*innen, andere Länder nach amerikanischem Bild umzugestalten und referenzierte das Vorgehen Großbritanniens in dessen Kolonien. 30 Der gestalterische Anspruch von gebautem Raum geht hier mit angestrebter sozialer und wirtschaftlicher Veränderung einher. Es ist auszuschließen, dass die Architektur eine Disziplin ist, die sich auf neutralem Terrain bewegt.
Die Wertschöpfung des Neokolonialismus liegt nicht mehr bei der Vereinnahmung von Territorien, sondern in der selbstinszenierten Wohltätigkeit. 31 Mit Stiftungen und Spenden einhergehende Berichterstattung ist meist eine aktiv weiße , während die Empfänger*innen, meist BIPOC 32, passiv karikiert werden und damit entmenschlicht. 33 DesignBuild bedient ungleiche Machtbeziehungen in der Architektur 34 und fördert neokoloniale Narrative, indem der Nutzen für die weißen Studierenden im Fokus steht. Das Vorgehen profitiert von der Unterdrückung marginalisierter Gemeinschaften, dessen Logik sich wiederum der Kapitalismus bedient: „Die hinter den Projekten stehenden Hochschulen, Lehrenden und Studierenden nutzen die Projekte in wirtschaftlicher, kultureller und symbolischer Hinsicht zu ihrem eigenen Vorteil.“ 35 Lorena Burbano und Sebastián Oviedo vom ecuadorianischen Architekturbüro Atarraya Taller de Arquitectura verweisen im Interview mit dem Architekturmuseum der TU München auf die starke Diskrepanz der einzelnen Projekte. Während es Verantwortliche gibt, die „Geld, Arbeitskräfte und Fachwissen zur Verfügung“ stellen, nutzen andere die Gemeinden als „Testlabor oder Marketingplattform“, wodurch es zu unnötigen Risiken über eine eklatante Qualitätsminderung bis hin zu nicht benötigten Gebäuden kommt. 36
4. Ausblick
Die vorangegangene Betrachtung zeigt, dass rassistische Narrative der Kolonialzeit dem Anthropozän einbeschrieben sind und es einer umfangreichen Auseinandersetzung bedarf, um diesen entgegenzuwirken. Formen einer Wiedergutmachung wie bisherige humanitäre Hilfe werden als unzureichend oder kritisch eingestuft. Seitens der nauso von Relevanz.
30 Vgl. Zakaria, 2022, S. 102.
31 Vgl. Ebd, S. 119.
32 BIPOC ist eine Abkürzung für Black, Indigenous, and People of Color.
33 Vgl. Zakaria, 2022, S. 113-118.
34 Vgl. Han Tran, 26.2022, S. 23.
35 Bader/Lepik, 2020, S. 40.
36 Ebd, S. 40.
Verfasserin besteht keine vollumfängliche Sicht hinsichtlich der Bewertung rassistischer Erfahrungen aufgrund des Privilegs als weiße Person gelesen zu werden und im nordeuropäischen Kontext sozialisiert worden zu sein. Um der lediglich weißen Perspektive entgegen zu wirken, wurde die Auswahl der Quellen angepasst.
Eine detaillierte Betrachtung einzelner DesignBuild -Projekte bleibt aus. Vielmehr folgt die Argumentation einem wissenschaftlichen Leitfaden, der versucht die architektonische Komponente mit aufzugreifen. Trotz der unterschiedlichen Vorraussetzungen, Umstände und Initiator*innen, ist hier eine Pauschalisierung notwendig, um die Aussagekraft nicht zu mindern. Nur weil sich Praktiken erst nach der Kolonialzeit etablieren, oder gar einer guten Absicht folgen, heißt das nicht, dass sie kein rassistisches Narrativ in sich tragen können. Als mögliche Alternative zur humanitären Hilfe können Reparationszahlungen gesehen werden. Diese werden bereits von Aktivist*innen gefordert, allerdings noch ohne einen Konsens zur Summe. Zuletzt bot die Bundesregierung der ehemaligen deutschen Kolonie Namibia eine Summe zur „Heilung der Wunden“ 37 in Höhe von zehn Millionen Euro an. Dabei ging es um eine Wiedergutmachung des Völkermords an den Herero und Nama, bei dem deutsche Soldaten etwa 80.000 Menschen töteten. Namibia lehnte ab und wertete das Angebot als „nicht akzeptabel“. 38 Es zeigt sich, dass weiße wirtschaftliche Interessen noch immer im Zentrum der Debatten stehen und die Anerkennung der Schuld aushebeln. Folglich können entsprechende Erfolge erst flächendeckend erzielt werden, wenn der Kapitalismus nicht mehr das Maß aller Dinge bildet. Ein voranschreitender Paternalismus wird auch in Zukunft Machtgefälle stärken.
37 https://www.sueddeutsche.de/ <21.01.2023> [Namibia Reparationen]. Eine Verwendung des Begriffs „Reparation“ lehnt die Bundesregierung in diesem Kontext ab. 38 Ebd.
Bau des Theaters und Kulturzentrums Guga S‘Thebe in Kapstadt.
Foto: RWTH AACHEN PBSA GATECH
https://www.sueddeutsche.de/kultur/architektur-lehre-kolonialismus-der-dicke-blaue-1.4911513 <21.01.2023>
Bau eines Krankenhauses in Ngaoubela, Kamerun.
Foto: TUM DesignBuild
https://www.architekturmuseum.de/ausstellungen/experience-in-action/ <21.01.2023>
„Experience in Action – DesignBuild in der Architektur“ im DAZ Berlin.
Foto: Leon Lenk Fotografie
https://www.daz.de/en/experience-in-action-2/ <21.01.2023>
„Experience in Action – DesignBuild in der Architektur“ im DAZ Berlin.
Foto: Leon Lenk Fotografie
https://www.daz.de/en/experience-in-action-2/ <21.01.2023>
Bader, Vera Simone; Lepik, Andres (Hg.): Experience in Action! DesignBuild in der Architektur, Edition Detail, München, 2020.
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Freytag, Andreas: Wem nützt die Debatte um den Kolonialismus? In: WirtschaftsWoche, 10.01.2020, URL: https://www.wiwo.de/politik/ausland/freytags-frage-wem-nuetzt-die-debatte-um-den-kolonialismus/25404802.html <21.01.2023>.
Han Tran, Kim: Über fehlende Zugänge in der Architektur, In: Bauwelt 26.2022, 20.12.2022.
Krasny, Elke: Das moderne Museum als Anthropozän-Institution – Für Feministisches Kuratieren im Zeitalter des Massensterbens, In: Kunstpädagogische Positionen, Band 57, Universitätsdruckerei Köln, 2020.
Lortie, Victor; Stumm, Alexander (Hg.): Überbau. Produktionsverhältnisse der Architektur im Anthropozän, Universitätsverlag der TU Berlin, 2021.
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Zakaria, Rafia: Against White Feminism – Wie weißer Feminismus Gleichberechtigung verhindert, hanserblau, München, 2022.
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https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/themen/humanitaere-hilfe/ huhi/205108<21.01.2023>
https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-Ausstellung_und_Veranstaltungen_in_Muenchen_7971680.html<21.01.2023>
https://www.bda-bund.de/events/experience-in-action/<21.01.2023>
https://www.code.tu-berlin.de/design-build.php<21.01.2023>
http://www.daz.de/de/designbuild-in-der-architektur-zwischen-ambition-und-realitaet/<21.01.2023>
https://www.sueddeutsche.de/politik/namibia-reparationen-kolonialismus-1.4996996<21.01.2023>