Fehlender Feminismus – Ein architektonischer Diskurs

Page 1

Technische Universität München Fakultät für Architektur Lehrstuhl für Theorie und Geschichte von Architektur, Kunst und Design Prof. Dr. Dietrich Erben

Fehlender Feminismus –

Ein architektonischer Diskurs

Verfasserin: Alina Burose Matrikelnr. 03755326 burose98@gmail.com

Studiengang: M.A. Architektur Sommersemester 2022 2. Fachsemester

Foto: Yvonne P. Doderer, ArchPlus Ausgabe 246

Abstract

Die vorliegende Arbeit untersucht den zeitgenössischen Diskurs zu feministischer Architektur. Dafür wird die strukturelle Diskriminierung von weiblich sozialisierten Personen im öffentlichen, gebauten Raum erläutert und in den Kontext der Architektursoziologie eingeordnet. Zunächst werden dazu die Begriffe Care Arbeit und White Feminism definiert, um essentielle Bedingungen des Diskurses zu gewährleisten. Bestehende Strukturen als Status Quo werden daraufhin kritisch hinterfragt und in ihren Schwächen benannt. Obwohl es sich bei den meisten Problemstellungen um sozial verankerte handelt, fragt diese Arbeit nach dem Einfluss der gebauten Umwelt und den daraus resultierenden Anforderungen an eine feministische und dadurch inklusive Architektur und Stadtplanung. Der Aufbau folgt keinem stringenten Narrativ, sondern bildet mehrere mit Architektur und Stadtplanung verknüpfte Teile ab. Es folgen geplante und umgesetzte Projekte unterschiedlichen Maßstabs, welche anhand der zuvor herausgearbeiteten Bedingungen an feministischen und dadurch inklusive Raum überprüft werden. Die Stadt Wien beschäftigt sich seit etwa dreißig Jahren mit dem Gender Planning und nimmt damit eine Vorreiterrolle ein. Architektonische Maßnahmen und Raumkonzepte der Stadt werden im Folgenden untersucht und den vorangegangenen Thesen und Fragen beispielhaft zugeführt. Dabei liegt der Schwerpunkt auf Spielplätzen, Parks und neu errichteten Quartieren. Für ein umfangreiches Bild des zugehörigen Diskurs sind verschiedene Teile der deutsch- und englischsprachigen Medienlandschaft ein maßgeblicher Teil der kritischen Reflexion. Durch das Aufzeigen der Berichterstattung stellt sich der Ton öffentlicher Diskussionen dar. Zuletzt folgt ein Ausblick hinsichtlich feministischem Einfluss auf zukünftige Architekturen und Stadtentwicklungen.

2
Gliederung Abstract ……………………………………………………………………………….2 Gliederung …………………………………………………………………………….3 1. Einleitung……………………………………………………………………………4 2. Urbane Unsichtbarkeit – Gender Studies in Architecture……………………..5 2.1 Care Arbeit = Unsichtbare Arbeit………………………………………..7 2.2 White Feminism – Das rassistische Erbe der Gleichberechtigung..…9 3. Der Status Quo gebauter Umwelt…..…………………………………………14 3.1 Chancen durch Mobilität – Stadtplanung und Verkehrspolitik…..…15 3.2 Sicherheit im öffentlichen Raum……………………………………….16 4. Was Architektur leisten muss……………..……………………………………19 5. Das Gender Planning der Stadt Wien…………………………………………24 5.1 Wie weiblich ist Wien? – Die Frauen-Werk-Stadt…..….………….…25 5.2 Gender inklusive Freiräume…………..…………….………………..…26 6. Der architektonische Diskurs – Ein Ausblick….…………………….…………29 Bibliografie…………………………………………………………………………….30 Erklärung………………………………………………………………………………33 3

Einleitung

„How will we live together“ lautete 2021 das Thema der 17. Architekturbiennale in Venedig. Bedingt durch die Coronapandemie nahm die Frage nach einem1 möglichen Zusammenleben noch eine weitere Komponente auf – neben den ohnehin zu berücksichtigen Themen wie Klimawandel, Überbevölkerung, daraus resultierender Raumknappheit und Überalterung vieler Gesellschaften. Was jedoch nicht im Zentrum der Diskussion stand, ist die Tatsache, dass sich die präsentierten Raum- und Stadtkonzepte in der Regel nur an die Hälfte der Bevölkerung richten: die männlich sozialisierte.

In dem 2020 erschienenen Buch „Unsichtbare Frauen – Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert“ zeigt Caroline Criado-Perez systematische Benachteiligung von Frauen in unterschiedlichen Lebensbereich auf. Von medizinischen Studien an ausschließlich männlicher Anatomie über die Verdrängung von Frauen aus der Informatik bis hin zu lebensgefährlichen Situationen durch das fehlen öffentlicher Sanitäreinrichtungen. Die Liste ist lang und führt von vermeintlich kleinen Alltagssituationen zu einem übergeordneten, diskriminierenden System – durch fehlende Datenerhebung bezüglich Frauen, transgeschlechtlichen, nicht binären Personen, sprich im Allgemeinen Menschen, die nicht dem Bild des durchschnittlich großen und schweren, weißen Mannes mittleren Alters entsprechen. Diese nun sehr einseitige und spezifisch ausgerichtete Datenlage bildet allerdings die Grundlage für die meisten Konfliktentscheidungen.2

Architektur und Stadtplanung bilden keine Ausnahme, sondern tragen als gebauter Umstand maßgeblich zu ausgeprägten Vor- und Nachteilen bei. Es ist einfach gebaute Umwelt als eine neutrale Form menschlicher Errungenschaft und öffentlichem Lebens zu sehen. Dennoch ist ihr Ziel „Inklusion, Integration und die3 Schaffung von öffentlichen Räumen.“4

Vgl. https://www.labiennale.org/en/news/biennale-architettura-2021-how-will-we-live-1 together, zuletzt aktualisiert am 18.08.2022.

Vgl. Criado-Perez, Caroline: „Unsichtbare Frauen: Wie eine von Daten beherrschte Welt2 die Hälfte der Bevölkerung ignoriert“, btb, München, 2020.

Vgl. Weisman, Leslie: „Discrimination by Design: A feminist Critique of the Man-Made3 Environment“, University of Illinois Press, Champaign 1994, S. 2.

Vgl. Czaja, Wojciech: „Statt der Machos Stadt der Frauen“, Bauwelt 17.2021, 17.08.2021.

1.
4 3

In dieser Arbeit soll es um Feminismus in der Architektur gehen und den damit verbundenen Ansätzen zu gendergerechtem Bauen. Dieser Kontext geht mit Begriffen aus den Sozialwissenschaften, der Architektursoziologie, einher, die im weiteren Verlauf Erklärung und Einordnung finden. Durch verschiedene Texte in Literatur und Medien wird versucht ein repräsentatives Narrativ zum aktuellen Diskurs Feminismus in der Architektur abzubilden. Aus diesen gehen die zugehörigen Problemstellungen hervor, welche anschließend in ihren Ursachen benannt und erläutert werden. Lösungsorientierte Ansätze in Form geplanter oder bereits umgesetzter Architekturen schließen zum Teil erläuterte Umstände, um die erforderlichen Maßnahmen für eine nicht oder weniger diskriminierende Umwelt zu verdeutlichen. Zuletzt folgt dazu spezifisch die feministische Stadtplanung Wiens als umfängliches Beispiel mit anschaulichen Resultaten.

4

2. Urbane Unsichtbarkeit – Gender Studies in Architecture

In den folgenden Kapiteln wird die Schnittstelle der Architektur zu den Sozialwissenschaften bedient: die Architektursoziologie. Die Soziologie hat es sich als Wissenschaft zur Aufgabe gemacht „das Soziale als eigene Realität herauszuarbeiten und in seinen Strukturen zu verdeutlichen.“ Die5 Architektursoziologie behandelt explizit den Bezug zum gebauten Raum. Bereits bestehende Disziplinen wurden in der Vergangenheit erweitert und um weitere in Bezug auf Geschlechterkomponenten ergänzt, woraus Frauenforschung, Queer sowie Gender Studies als eigene Felder hervorgingen. Bei Frauenforschung handelt es sich um den zunächst verwendeten Begri ff zur Forschung bezüglich Benachteiligung von Frauen und Mädchen. Gender Studies bedeutet eine inklusive6 Herangehensweise jedweden Geschlechts, wodurch, wie auch in dieser Arbeit, dieser Begriff zusammen mit dem Feminismus genannt wird.

Der Forschungsgegenstand der Gender Studies liegt „in der Analyse des hierarchischen Geschlechterverhältnisses – z.B. in Bezug auf die Geschlechterdifferenz, die Geschlechterrolle und Geschlechtsidentität – sowie dessen Manifestation in verschiedenen Gesellschaftsbereichen bzw. -feldern.“ In7 Bezug auf Architektur und deren Soziologie spielt der Einfluss gebauten Raums auf soziale Gefüge und Verhaltensweisen eine Rolle. Die Annahme liegt darin, dass es „keine soziale und kulturelle Erscheinung und damit verbundene Formen des Handelns [gibt], die nicht mit spezifischen Raumstrukturen in Verbindung zu bringen wären.“ Der heutige Stand und damit verbundene Status Quo gebauter Umwelt8 wird im weiteren Verlauf der Arbeit erläutert.

Vgl. Schäfers, Bernhard: „Architektursoziologie. Grundlagen – Epochen – Themen“, VS5 Verlage für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2014, S. 20.

Vgl. https://www.uni-paderborn.de/universitaet/genderportal/gender-glossar/gender-6 studiesgeschlechterforschung, zuletzt aktualisiert am 18.08.2022, zitiert nach: Rendtorff, Barbara: „Stichworte und Begriffe aus der Geschlechterforschung.“, in: Rendtorff, Barbara; Mahs, Claudia; Wecker, Verena (Hg.): „Geschlechterforschung. Theorien, Thesen, Themen zur Einführung.“, Kohlhammer, Stuttgart, 2011, S. 220-233.

Vgl. https://www.uni-paderborn.de/universitaet/genderportal/gender-glossar/gender-7 studiesgeschlechterforschung, zuletzt aktualisiert am 18.08.2022, zitiert nach: Feldmann, Doris; Schülting, Sabine: „Gender Studies/Gender-Forschung.“, in: „Metzler Lexikon Gender Studies / Geschlechterforschung. Ansätze – Personen – Grundbegriffe.“, Knoll, Renate (Hg.), J. B. Metzler, Stuttgart, 2002, S. 143-145.

Vgl. Schäfers, S. 36.8

5

Um die daraus resultierenden Punkte zu benennen, ist das Modell des three legged equality stool , dem „dreibeinigen Stuhl der Gleichheit“, heranzuziehen. Dieses9 beinhaltet drei interdisziplinäre Ansätze zur Sicherstellung von Gendergerechtigkeit: die Gleichstellung vor dem Gesetz (equal treatment), bedürfnisorientierte und geschlechtsbezogene Maßnahmen für Frauen (women’s perspektive) sowie die Übertragung einer breiteren Verantwortung auf das bisher normative männliche Geschlecht in Bezug auf die Normalisierung und Akzeptanz von Gendergerechtigkeit (gender perspektive).10

Im weiteren Verlauf ist weniger von „Frauen", sondern mehr von „weiblich sozialisierten Personen“ die Rede. Dieses soll zwischen biologischem und gesellschaftlichen Geschlecht unterscheiden und den Fokus auf Problematik durch gesellschaftlich anerzogenes Verhalten legen. Die englische Sprache11 unterscheidet dabei in die Terme sex für biologisches und gender für gesellschaftliches Geschlecht, während das Deutsche nur den einen Begriff des Geschlechts kennt. Sex, das biologische Geschlecht soll in dieser Arbeit von weniger Bedeutung sein, weshalb sich „Geschlecht" auf gender beziehen wird.

Die Bezeichnung „weiblich sozialisierte Person“ dient daher eher als Spektrum mit Raum zur Identifikation ohne absolut vom weiblichen Geschlecht zu sprechen. Darin inkludiert sind selbstverständlich transgeschlechtliche und nicht binäre Personen ohne irgendeine Art von Geschlecht, Empfinden oder Orientierung zu definieren oder auszuschließen.

Bei der Erläuterung systematischer Diskriminierung von weiblicher Sozialisierung wird es dennoch zur Pauschalisierung von Personengruppen in der Gesellschaft, Regierungsorganen in der Entscheidungskraft und den gegebenen gebauten Umständen kommen. Dass es immer wieder Ausnahmen gibt und beispielsweise auch ein Wandel in einzelnen Strukturen (wie z.B. Rollenverteilung der Geschlechter, zunehmende Erwerbstätigkeit von weiblich sozialisierten Personen), wird nur in einzelnen Zusammenhängen genannt, um vornehmlich auf den Widerspruch von Bestand und Gegenwart aufmerksam zu machen. Das bedeutet nicht, dass männlich sozialisierte Personen nicht von angesprochenen Themen betroffen und

Vgl. Booth, Christine; Bennett, Cinnamon: “Gender Mainstreaming in the European Union:

Towards a New Conception and Practice of Equal Opportunities?”, European Journal of Women’s Studies Vol. 9, 2000, S. 433-434.

Vgl. Grenell, 2015.

Vgl. Criado-Perez, S.14-15.

9
10
11 6

diskriminiert sein könnten. Nichtsdestotrotz pauschalisiert diese Arbeit männlich wie weiblich sozialisierte Personen, Männer und Frauen, um die Themen so anschaulich wie möglich zu gestalten. Den Verlust der Aussagekraft durch ständiges Einschränken beschreibt die britische Autorin Laurie Penny in ihrem Manifest „Unsagbare Dinge – Sex, Lügen und Revolution“ sehr eindringlich: „Wenn Frauen Frauenfeindlichkeit thematisieren, werden sie oft gebeten, ihre Sprache zu mäßigen, um die Gefühle der Männer nicht zu verletzen. Sagt nicht: „Männer unterdrücken Frauen […] Sagt stattdessen: „Manche Männer unterdrücken Frauen.“ […] Mit einer solchen Haarspalterei kann man Frauen wirkungsvoll das Maul stopfen. […] Ich beobachte diese Maulkorbtechnik in allen sozialen Bewegungen, mit denen ich zu tun habe: Schwarze werden gebeten, die Gefühle Weißer zu berücksichtigen, ehe sie über Erfahrungen sprechen; Schwule und Transsexuelle werden gebeten, sich doch bitte nicht so zu echauffieren, damit sich Heterosexuelle nicht unwohl fühlen. Also schwächen wir unsere Aussagen mit Entschuldigungen, Einschränkungen und Besänftigungen ab.“12

Die Berechtigung des Pauschalisierens drückt sich im weiteren Verlauf der Arbeit darüber hinaus in Belegen in Form von erhobenen Daten aus. Zugehörige repräsentative Studien unterscheiden meist zwischen Männern und Frauen; diese Bezeichnungen werden beim Zitieren und Nennen von Ergebnissen beibehalten.

2.1 Care Arbeit = Unsichtbare Arbeit

Die Bundeszentrale für politische Bildung beschreibt Care Arbeit als „Tätigkeiten des Sorgens und Sichkümmerns. Darunter fallen Kinderbetreuung oder Altenpflege, aber auch familiäre Unterstützung, häusliche Pflege oder Hilfe unter Freunden“. Daran führt sie an: „Bislang wurden diese Arbeiten überwiegend von Frauen geleistet, oft als unbezahlte Hausarbeit gesellschaftlich als notwendig und selbstverständlich angesehen. Aber mit dem Wandel der Geschlechterordnung werden auch Hausarbeit, Sorge und Fürsorge neu verteilt – weiterhin überwiegend zwischen Frauen. Migrantinnen aus armen Ländern bedienen die steigende Nachfrage in Ländern des globalen Nordens.“13

Vgl. Penny, Laurie: „Unsagbare Dinge – Sex, Lügen und Revolution.“, Edition Nautilus,12 Hamburg, 2015, S.76.

Vgl. https://www.bpb.de/themen/familie/care-arbeit/, zuletzt aktualisiert am 18.08.2022.

13 7

Damit deutet sie einen vermeintlichen Fortschritt in der Gesellschaft an, revidiert diesen allerdings durch unzureichende Repräsentativität von weiblich sozialisierten Personen, die keine Care Arbeit übernehmen oder sich diese mit anderen Personen gleichberechtigt teilen. Care Arbeit ist nicht nur maßgeblich bedeutend in Bezug auf Gender Studies, sondern auch in politischen wie gestalterischen Entscheidungen zu berücksichtigen. Die weibliche Sozialisation beinhaltet größtenteils das Übernehmen unentgeltlicher Aufgaben, welcher für den Alltag relevant sind. Das Problem der zusätzlichen Förderung der Erwerbstätigkeit von Frauen ist das „Konzept der doppelten und widersprüchlichen Vergesellschaftung von Frauen“.14 Dieses beschreibt die gesellschaftliche Einbindung von weiblich sozialisierten Personen sowohl in marktvermittelte Lohnarbeit als auch privat geleistete Care Arbeit. Eine doppelte Vergesellschaftung bedeutet doppelte Arbeit und erkennt den Wert und die Notwendigkeit von Care Arbeit noch immer nicht an. Erst mit der Betrachtung dieser als vollwertig geleistete Arbeit ist eine Perspektive in Richtung Gleichberechtigung möglich.

In Bezug auf Architektur gilt Stadt da allgemein als „Ort der Aufspaltung von gesellschaftlich notwendiger Arbeit in marktvermittelte bezahlte und häuslich unbezahlte Arbeit“ . Konkret sorgt die Auslagerung der Erwerbstätigkeit für eine15 Zonierung der Städte. Während Produktionsstätten als solche geplant und angelegt werden, organisiert sich die Care Arbeit dezentral. Diese Raumorganisation16 spiegelt die gesellschaftliche Organisation von Arbeit wider: unsichtbare Arbeit wird zur „Privatangelegenheit“. So erhält Architektur im punkto Wohnungsbau eine17 genauso entscheidende Rolle: die eigene Wohnung bedeutet nicht nur Erholung, Rückzug und Familienleben, sondern ist gleichwertig mit einem Arbeitsplatz, der de facto nicht verlassen werden kann. Durch die fehlende räumliche Trennung der Arbeit, die im Privaten stattfindet, ist eine zusätzliche Belastungsquelle erkennbar.18

Vgl. Becker Schmidt, Regina und Knapp, Gudrun-Axeli14

Bauhardt, Christine: „Stadtentwicklung und Verkehrspolitik. Eine Analyse aus15 feministischer Sicht“, in: Hellmut Wollmann (Hg.), Birkhäuser Verlag, Berlin, 1995, S. 40.

Vgl. Ferlinden, Ulla: „Kritik der Stadtsoziologie – Zur Raumrelevanz der Hauswirtschaft“,

in: Dörhöfer, Kerstin (Hg.): „Stadt-Land-Frau: soziologische Analysen, feministische Planungsansätze, Freiburg, 1990, S. 31-66.

Vgl. Bauhardt, S. 40.

Zwar wird dieser Punkt beim Thema Mobilität sowie gebauten Beispielen wieder

aufgegriffen, der Wohnungsgrundriss und die damit verbundenen Veränderungen allerdings zur thematischen Eingrenzung nicht genauer betrachtet.

16
17
18
8

2.2

White Feminism – Das rassistische Erbe der Gleichberechtigung

Im Folgenden wird es um die Rolle des Weißseins und nicht Weißseins als weiblich sozialisierte Person gehen. Wie auch bei der Unterscheidung zwischen biologischem und gesellschaftlichem Geschlecht, geht es nicht darum, wer wirklich weiß ist und wie Weißsein im Aussehen definiert wird, sondern um die Wahrnehmung der Gesellschaft und die Zugehörigkeit, bestehend aus Herkunft und Identität, und die damit einhergehenden Vor- oder Nachteile. Von Bedeutung ist hier das Machtgefälle des globalen Nordens gegenüber dem Süden, hervorgehend aus der Kolonialzeit.

Die seitens der Bundeszentrale für politische Bildung genannte „steigende Nachfrage in Ländern des globalen Nordens“ deutet auf das Problem des sogenannten White Feminism hin, vertieft dieses allerdings nicht weiter. Vielmehr scheint es wie ein unausweichlicher Fakt. Zwar handelt es sich, wie bei der Care Arbeit auch, um ein Faktum der Realität, dennoch stellt die Formulierung den Feminismus des Westens, den Weißen Feminismus, auf ein Podest mit Priorität gegenüber Veränderungen im globalen Süden. Das bedeutet, dass der Prozess der Gleichberechtigung dort für weniger relevant erachtet wird und darüber hinaus immigrierende Personen nur als eine Art „Unterstützung“ fungieren sollen. Das Streben nach Gleichberechtigung richtet sich nicht nur an die Unterscheidung zwischen verschiedenen Geschlechtern, sondern bedarf der Betrachtung aller erdenklichen Privilegien, die ein Mensch genießen kann, um Diskriminierung zu entgehen. Eines davon: das Privileg nicht aufgrund der Hautfarbe von der Gesellschaft ausgeschlossen oder benachteiligt zu werden. Nur mit der Beseitigung von Überlegenheiten ist es möglich, „die Freiheit und die politische Teilhabe aller Frauen zu fördern“.19

Rafia Zakaria trifft mit ihrem Buch „Against White Feminism – Wie weißer Feminismus Gleichberechtigung verhindert“ diesen wunden Punkt:

„Eine weiße Feministin ist eine Person, die nicht wahrhaben will, welche Rolle Weißsein und die damit verbundenen Privilegien dabei gespielt haben und immer noch spielen, Themen und Überzeugungen weißer Feministinnen als integrale Anliegen für alle Feministinnen und den Feminismus als Ganzes zu bezeichnen. […] Allgemeiner ausgedrückt: Weiße Feministinnen akzeptieren die Vorteile weißer

Vgl. Zakaria, Rafia: „Against White Feminism – Wie weißer Feminismus

Gleichberechtigung verhindert.“, hanserblau, München, 2022, S. 8.

19
9

Vorherrschaft auf Kosten von Personen of Color, während sie gleichzeitig behaupten, die Gleichberechtigung der Geschlechter zu unterstützen und solidarisch mit „allen“ Frauen zu sein.“20

Unternehmungen, dem wirtschaftlichen Machtgefälle zwischen Nord und Süd entgegenzuwirken, belaufen sich meist auf sogenannte Entwicklungshilfen; einhergehend mit der Bezeichnung entsprechender Territorien als Entwicklungsländer. Beide Begriffe sind kritisch zu sehen, da die vermeintlich benötigte Hilfe der Länder aus der Unterdrückung durch ehemalige Kolonialmächte resultiert und dadurch in Abhängigkeit zum heutigen Neokolonialismus steht.21

Systematischen Rassismus in der Unterstützung seitens reicher Industriestaaten und weißen Protagonist*innen legt Angela Bruce-Raebrun, Regional Acvocacy Director für Afrika beim Global Health Advocacy Incubator, in ihrem Aufsatz „International Development Has a Race Problem“ dar. Sie kritisiert, dass „dem Konzept der Entwicklungshilfe selbst race und Rassismus eingeschrieben sind, weil nur in diesem System weiße ressourcenreiche Mehrheitsgesellschaften bestimmen können, was genau und wie viel arme Personen of Color brauchen. Nur in diesem System können weiße Mehrheitsgesellschaften Regeln für die Bereitstellung dessen, was Personen of Color brauchen, aufstellen und natürlich auch ausgeklügelte Mechanismen erschaffen, um zu überwachen, wie gut sie die gespendeten Mittel verwaltet haben, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen.“22

Im Herbst 2021 stellte das Deutsche Architekturzentrum (DAZ) in Berlin studentische Arbeiten unter dem Namen „Experience in Action“ aus. Bei den Projekten handelte es sich um realisierte Bauten des Programms DesignBuild, welches Praxiserfahrung in der Architektur fördert. Dazu erarbeiten Studierende einen Entwurf mit sozialem Hintergrund, (wie zum Beispiel ein Krankenhaus, eine Ausbildungsstätte oder Notunterkunft) welcher anschließend geplant und vor Ort von den Studierenden umgesetzt wird.

DesignBuild Projekte haben in den letzten Jahren durch ihren alternativen Lehransatz an den Hochschulen große Resonanz erfahren und werden weltweit

Vgl. Ebd, S.7-8.

Vgl. Zakaria, S. 68-90.

Vgl. Ebd, S. 87, zitiert nach Bruce-Reaburn, Angela: „International Aid Has a Race

Problem“, DevEx, 17.05.2019.

20
21
22
10

angewandt und umgesetzt“ schrieb das DAZ zur Ausstellung. Bevor in den23 Siebzigerjahren Universitäten aus den USA den Begriff DesignBuild prägten, bildete in Deutschland Walter Gropius mit dem Bauhaus den Vorreiter für eine praxisnahe architektonische Ausbildung. Mit „weltweit angewandt“ ist allerdings nicht nur die Auswahl heute praktizierender Universitäten gemeint, sondern die letztendliche Realisierung in weiten Teilen Afrikas, Südamerikas oder im Süden und Südosten Asiens. Während die Studierenden bevorzugt in ärmeren Regionen der Welt bauen dürfen und sollen, sind in Deutschland nur temporäre Gebäude im Rahmen des DesignBuild erlaubt. Ein Grund dafür ist die Vermeidung von Konkurrenz für Architekt*innen.24

Im Weiteren leitete das DAZ die zugehörige Diskussion ein: „Durch die Implementierung vieler Bauprojekte im globalen Süden bekommen kritische Stimmen mit dem Vorwurf so neokoloniale Strukturen zu fördern vermehrt Raum und die Forschungsmethode rückt in einen öffentlichen und auch komplexen Diskurs. Es haftet das Stigma eines strukturellen Machtgefälles ebenso an ihr, wie auch die unzähligen erfolgreich umgesetzten Projekte auf der ganzen Welt.“25

Viele Berichterstattungen folgen der Kritik spärlich; nennen zwar den abstrakten Vorwurf neokolonialistischer Strukturen, gehen auf diesen allerdings nicht weiter ein. Einige andere ignorieren diesen komplett. Neben Neokolonialismus ist auch26 27 das Konzept der Anglobalisierung zu nennen. Der Harvard-Professor und Historiker Niall Ferguson leitete damit junge US-Amerikaner*innen an, andere Länder nach amerikanischem Bild umzugestalten und referenzierte das Vorgehen Großbritanniens in dessen Kolonien. Der gestalterische Anspruch von gebautem28 Raum geht hier mit angestrebter sozialer und wirtschaftlicher Veränderung einher.

Vgl. http://www.daz.de/de/designbuild-in-der-architektur-zwischen-ambition-und-23 realitaet/, zuletzt aktualisiert am 18.08.2022.

Vgl. Weißmüller, Laura: „Der dicke Blaue“, Süddeutsche Zeitung, 18.05.2020.24

Vgl. http://www.daz.de/de/designbuild-in-der-architektur-zwischen-ambition-und-25 realitaet/, zuletzt aktualisiert am 18.08.2022.

Vgl. dazu Stock, Wolfgang Jean: „Chance und Gefahr zugleich“, Bauwelt 17.2020,26 18.08.2020, vgl. auch Weißmüller, Laura: „Der dicke Blaue“, Süddeutsche Zeitung, 18.05.2020.

Vgl. dazu Werbung des Bund Deutscher Architektinnen und Architekten: https://27 www.bda-bund.de/events/experience-in-action/, zuletzt aktualisiert am 13.07.2022, vgl. auch „DesignBuild in Uganda – Ausstellung und Veranstaltungen in München“, Baunetz, 04.07.2022, vgl. auch Schade-Bünsow, Boris: „Den Gemeinschaftssinn in der Architektur verstehen“, Interview mit Ralf Pasel, Bauwelt 18.2021, 31.08.2021.

Vgl. Zakaria, S. 102.28

11

Das allgemeine Narrativ von DesignBuild beschreibt die Studierenden in ihrer aktiven Rolle. „Die Studierenden planen und realisieren“ oder „lernen […] die gesellschaftliche Dimension ihrer Disziplin kennen.“ In dem 2020 in der29 Süddeutschen Zeitung erschienenen Artikel „Raus mit euch“ widmet sich die Autorin Evelyn Pschak einem in Rahmen des DesignBuild entstandenen Kulturzentrums im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca. Dabei erwähnt sie explizit die Architekturstudentin Madlen Felber. Über diese erfahren die Leser*innen, was ihre Aufgaben während des Bauprozesses waren und über sie als Person, dass sie 23 Jahre alt ist, aus Schrobenhausen kommt und während ihres Interviews ein gelbes Protest-T-Shirt trägt, „um sich gemeinsam mit ihren Kommilitonen der Hochschule München für den Erhalt des dazugehörigen Fachgebiets für Planen und Bauen im globalen Kontext einzusetzen.“

Sprich für das Bleiben von30 Förderprogrammen, die DesignBuild Projekte ermöglichen. Als weitere Akteurin benennt Pschak die Architektin und Professorin Ursula Hartig, welche auch bei dem Projekt in Mexico dabei war. Die Sichtbarkeit von weiblich sozialisierten Personen ist dadurch gegeben , allerdings bezieht es sich ausschließlich auf die weißen. Von31 den Mexikaner*innen, für welche das Kulturzentrum entstanden ist, gibt es kein Narrativ, welches diese zu aktiven Personen machen könnte.32

Das einseitige Narrativ, wie anhand der Berichterstattung zu DesignBuild geschildert, verschiebt den Fokus. Wo das Argument des sozialen Projekts dem Vorwurf des Neokolonialismus entgegenwirken soll, „gibt die gute Tat, Frauen of Color zu retten, weißen Frauen das Anrecht auf einen Artikel, der ihren Ruf verbessert und ihren beruflichen Status erhöht, ohne dass ihnen die Ironie dieses Vorgangs bewusst wird.“ Im Fokus bei diesem Verhalten stehen weiße weiblich33 sozialisierte Personen und weiße Feministinnen, da bei feministischen Forderungen zwar alle weiblich sozialisierten Personen inkludiert sein sollten, sie sich aber meist

Vgl. Ausstellungskatalog „Experience in Action! DesignBuild in der Architektur“, Edition

Detail, München, 2020, Vorwort von Andres Lepik, S.6.

Vgl. Pschak, Evelyn: „Raus mit euch“, Süddeutsche Zeitung, 18.12.2020.

Die Nennung von weiblich sozialisierten Personen im Bereich der Architektur und des

Bauens ist relevant, weil es sich um eine männlich dominierte Branche handelt. Vgl. dazu u.a. „Frauen in der Architektur“, Studie der Technischen Universität München, Professur für Entwerfen und Holzbau, 2018.

Vgl. Pschak, Evelyn: „Raus mit euch“, Süddeutsche Zeitung, 18.12.2020.

Vgl. Zakaria. S.34.

29
30
31
32
33 12

nur auf weiße beziehen. Es wird ignoriert, „dass man von beiden Systemen, d.h.34 aufgrund von race sowie Gender, unterdrückt werden kann.“35

Vgl. Zakaria, S. 54-67. Zakaria kritisiert hier die feministischen Schlüsselwerke „Das34 andere Geschlecht“, „Der Weiblichkeitswahn“ sowie „Sexus und Herrschaft“.

Vgl. Ebd. S.56.35

13

3. Der Status Quo gebauter Umwelt

„Architektur ist gebauter bzw. umbauter Raum, d.h. durch Architektur wird die den Menschen umgebende Raumhülle in eine bestimmte, für ihn nützliche und ästhetische Form gebracht. Architektonischer Raum begrenzt die Raumfülle der menschlichen Raumwahrnehmung" und bildet einen existierenden Umstand, der36 zu Beginn nicht hinterfragt werden kann. Insbesondere Kinder nehmen Raum nicht als das soziale Konstrukt war, was er ist. Nichtsdestotrotz verfügt Raum über eine gewisse Lesbarkeit, aus der sich Gesellschaftsschicht, Hautfarbe und eben auch Geschlecht herauskristallisieren. Die entsprechende Wahrnehmung hängt von der jeweiligen Person, ihrem Stand und etwaigen Machtposition ab. Folglich handelt es sich bei der Bewertung des gebauten Raums um keine Geschmacksfrage.37

Virginia Woolf schrieb 1928 in ihrem Roman „Orlando“: "Der Mann sieht der Welt geradewegs ins Antlitz, als wäre sie für sein Belieben da und nach seinem Geschmacke gestaltet. Die Frau schaut sie mit einem Seitenblick an, der voll hintergründiger Gedanken, ja voll Misstrauen ist.“ Damit prangerte sie die38 damalige Verkehrsentwicklung in den USA an. In deren Zentrum stand Robert Moses, Stadtplaner von New York bis 1968 und Verfechter der autogerechten Stadt.39

Die Politik als Entscheidungskraft lässt Interesse im öffentlichen Raum zu oder lehnt entsprechende ab. Die derzeitige Lage richtet sich vielerorts in ihren Interessen noch immer an die heterosexuelle Kernfamilie, obwohl sich Zusammenleben und Rollenverteilung in den letzten Jahrzehnten sichtlich gewandelt haben. Urbane Strukturen in Deutschland gehen aus dem sogenannten Wirtschaftswunder der 1950er und 1960er Jahre hervor. Die männliche Sozialisation zielte auf das Bild des alleinigen Familienversorgers ab, der das Geld durch bezahlte Arbeit verdient und über jenes verfügt. Die Arbeit gestaltet sich in den meisten Fällen in regelmäßigen Zeitfenstern außerhalb des eigenen Zuhauses. Allgemeines Wohlergehen und schnelles Vorankommen beim Arbeitsweg stehen nicht nur im Interesse des

Vgl. Schäfers, S. 30.

Vgl. Weisman, S. 2.

Woolf, Virginia: „Orlando – Eine Biographie“, Suhrkamp Verlag, Berlin, 2020.

Robert Moses wird im Folgenden noch einmal erwähnt, als Person allerdings nicht weiter

vertieft. Vgl. dazu Pitzke, Marc: „Masterplaner Moses – Der Mann, der New York erfand“, Spiegel, 08.02.2007.

36
37
38
39
14

Arbeitnehmers, sondern genauso in dem der Politik, da die geleistete Arbeit von wirtschaftlicher Relevanz ist.

Weibliche sozialisierte Personen finden sich zu der Zeit meist im Bild der traditionellen Hausfrau wieder. Diese verbringt den Großteil ihrer Zeit in den eigenen vier Wänden, da sich ihr Aufgabenfeld auf unbezahlte Care Arbeit beläuft, unter anderem Tätigkeiten im Haushalt, sowie die Betreuung von Kindern und ggf. Anderen pflegebedürftigen Familienmitgliedern. Das Verlassen des Hauses für beispielsweise Einkäufe und Arztbesuche ist für diese Art der Arbeit genauso notwendig, liegt allerdings nicht im Interessensbereich von Wirtschaft und Politik.40

3.1 Chancen durch Mobilität – Stadtplanung und Verkehrspolitik

In Sachen Stadtplanung und Verkehrspolitik ergab sich aus dem zuvor beschriebenen Umstand die autogerechte Stadt mit großspurigen Straßen und einem weitreichenden Angebot an Parkplätzen. Während Robert Moses New York dahingehend stark prägte, bildet Rudolf Hillebrecht eine zentrale Figur für Deutschland: Als einer der einflussreichsten deutschen Stadtplaner der Nachkriegszeit formte er das durch Luftangriffe stark zerstörte Hannover nach seinen Wünschen durch „kreuzungsfreie Schnellstraßen, Verkehrskreisel, aufgeständerte Hochstraßen und Unterpflasterbahnen“. Diesem Umbruch41 widmete 1959 der Spiegel die Titelseite „Das Wunder von Hannover“ und reihte42 sich damit in das allgemeine Lob deutscher Medien ein.

Dass auch im Detail immer das Auto Priorität ist, zeigt sich durch abgesengte Bordsteine, welche durch ihre Position alle Verkehrsteilnehmer betreffen. Während dem Auto ein nahezu barrierefreies Passieren von beispielsweise Einfahrten ermöglicht wird, sind Radfahrende genauso wenig privilegiert wie Fußgänger*innen. Zu letzteren gehört das etwaige Mitführen von zu schiebenen Kinderwägen, Taschen mit Einkäufen oder auch Rollstühlen, welche insbesondere einer barrierefreien Umgebung bedürfen. Da diese Tätigkeiten oft in den zuvor erläuterten

Vgl. Vu, Vanessa: „Die männliche Stadt“, Zeit Online, 27.09.2019.

Vgl. Ebd.

Vgl. „Das Wunder von Hannover, Der Spiegel, 02.06.1959.

40
41
42 15

Bereich der Care Arbeit fallen, sind hier weiblich sozialisierte Personen stärker betroffen und dadurch systematisch in ihrer Mobilität benachteiligt.43

Die Soziologin Marie Gilow führte eine Studie zum Thema erschwerte Mobilität durch. Dabei untersuchte sie die Auswirkungen kurzer, täglicher Fahrten heutiger Mütter, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Daraus resultierte die Forderung, dass weibliche Mobilität als anstrengende Arbeit gewertet werden müsse, da diese physisch sowie psychisch zehrend sei.44

Obwohl sich seither das angestrebte Rollenbild von männlicher und weiblicher Sozialisation verändert hat und dadurch beispielsweise erheblich mehr weiblich sozialisierte Personen einer beruflichen Tätigkeit in Voll- oder Teilzeit nachgehen, herrscht keine gleiche Verteilung in der Nutzung eines PKW. 62 Prozent aller Fahrzeuge in Deutschland sind auf Männer zugelassen. Zudem fahren diese im45 Schnitt doppelt so viele Kilometer am Tag. Daraus ergibt sich die Annahme, dass46 die derzeitig vorherrschende Verkehrspolitik noch immer einen Vorteil für männlich sozialisierte Personen schafft, da diese vermehrt das Auto als Beförderungsmittel nutzen.

Auch die verfügbaren Daten anderer Länder zeigen, dass weiblich sozialisierte Personen überall weitaus häufiger zu Fuß gehen oder öffentliche Verkehrsmittel in Anspruch nehmen , während die männlich sozialisierte Bevölkerung häufiger das47 Auto nutzt und bei diesem, sofern sich in einem Haushalt ein Auto geteilt wird, bei48

Vgl. Endler, S. 4343 Vgl. Endler, S. 44.44

Da es sich hier um eine Datenerhebung in Bezug auf das eingetragene Geschlecht45 handelt, wird hier von „Männern“ und nicht von „männlich sozialisierten Personen“ gesprochen.

Vgl. „Mobilität in Deutschland – Publikationen zur Erhebungswelle 2017“, Publikationen

MiD, 2017.

Vgl. Sustainable Mobility for All. 2017. Global Mobility Report 2017: Tracking Sector

Performance. Washington DC, 2017.

Vgl. Gauthier, Aimée; Kunieda, Mika: „Gender and Urban Transport: Smart and Affordable48 Module 7a Sustainable Transport: A Sourcebook for Policy-makers in Developing Cities“, GTZ, Eschborn, 2007.

46
47
16

der Inanspruchnahme Vorrang genießt. Jenes gilt beispielsweise auch für das49 Land Schweden, „das als feministisches Paradies gilt“.50

3.2 Sicherheit im öffentlichen Raum

Genauso wie Architektur sich an bestimmte Zielgruppen richten und attraktiv gestaltet sein kann, erweist sich Defensive Architecture als systematische Abwehr bestimmter Personen im öffentlichen Raum. Platztrenner verhindern beispielsweise eine Liege- bzw. Schlafmöglichkeit auf Parkbänken, genauso wie Bolzen, Spikes und Zäune in anderen Bereichen. Diese architektonischen Maßnahmen richten sich gegen obdachlose Menschen und verbannen Armut in die Unsichtbarkeit. Während Schutz- und Schlafplätze für die Einen unerreichbar gemacht werden, wird als Begründung die Herstellung eines Sicherheitsgefühls der Anderen aufgeführt. Insbesondere weiblich sozialisierte Personen sollen so mehr Sicherheit genießen dürfen, während aber auf der anderen Seite obdachlose Frauen und nicht cis männliche Menschen durch fehlende Schutzräume am häufigsten Gewalt51 ausgesetzt sind.52

Neben dieser drastischen Form der Platzzuweisung und systematischen Ausgrenzung, verhält sich Architektur allein durch ihren gestalterischen Anspruch oft subtiler, was aber nicht bedeutet, dass sie dadurch gleichermaßen zugänglich ist. Angsträume entstehen bereits, wenn Straßen und Plätze bei Dunkelheit nicht ausreichend ausgeleuchtet sind. Genauso verhält es sich mit monofunktionalen Bereichen und kaum belebten Erdgeschosszonen.53

Ein gängiges Beispiel für Angsträume sind Parkhäuser in Bahnhofsnähe. Dass dieser Umstand bei der Planung neuerer Projekte berücksichtigt werden kann, zeigt der 2020 eröffnete Fahrradspeicher am Nürnberger Hauptbahnhof, einem öffentlich

Vgl. Goldmark, Alex: „Census Data Show Public Transit Gender Gap“, Transportation49 Nation, 09.12.2012.

Vgl. Criado-Perez, S. 52, zitiert nach Ceccato, Vania: „Women’s victimisation and safety

in transit environments“, in: Crime Prevention and Community Safety, 2017.

cis ist die Kurzform für cisgender, welches eine Person beschreibt, deren biologisches,

bei der Geburt festgestelltes Geschlecht mit der eigenen Geschlechtsidentität übereinstimmt. Zur Herkunft Vgl. Kühne, Anja: „Was bedeutet Cisgender?“, Tagesspiegel, 05.01.2016.

Vgl. Endler, S.46.

Vgl. Groll, Tina: „Wir müssen das Dorf zurück in die Stadt bringen“, Interview mit Eva Kail,

Zeit Online, 13.02.2021.

50
51
52
53
17

zugänglichen Parkhaus für ausschließlich Fahrräder. Der Fahrradspeicher entstand im Rahmen der Umgestaltungsarbeiten am südlichen Ausgang des Hauptbahnhofs. Wo sich einst ein spärlich beleuchteter und unbehaglicher Parkplatz befand, ist heute der Nelson-Mandela-Platz mit üppigem Grün und vielen Sitzgelegenheiten.

Das hinzugekommene Parkhaus gewährleistet eine sichere Unterbringung für Fahr-, Lasten-, Liege- und Elektroräder ohne dabei als abgeschlossenes Volumen Angsträume zu erzeugen. Durch filigrane Stahlstützen ist er an allen Seiten einsichtig und verfügt über ein Schließ- , Beleuchtungs- und Überwachungssystem. Da letztere mehr einer technischen Ausstattung als räumlicher Gestaltung entsprechen, tragen sie zwar zur Sicherheit bei, wirken sich dennoch nicht auf das subjektive Befinden vorrangig weiblich sozialisierter Personen aus. Die Einsichtigkeit, welche bei Tageslicht natürliche Belichtung zulässt und den Bezug zum Außenraum aufrechterhält, tut dieses allerdings schon. Hinzu kommt die54 eingangs erwähnte unausgeglichene Verteilung der Geschlechter in Bezug auf das verwendete Transportmittel: Da Frauen statistisch gesehen das Auto weniger benutzen als Männer , beginnt durch die Förderung anderer Verkehrsmittel in ihrer55 Infrastruktur ein Wandel, der auch feministischen Forderungen entspricht

Nach diesem Beispiel kleineren Maßstabs wird es im weiteren Verlauf um Projekte städtebaulicher Dimension gehen, um die Wichtigkeit einer systematischen Veränderung zu erläutern. Architektur ist ein „schweres Medium“. Auf der einen56 Seite versucht sie den Bedürfnissen einer Gesellschaft gerecht zu werden und verändert sich stetig, während sie auf der anderen Seite aber als gebauter Umstand eine Art Status Quo bildet und bezüglich Wandel nur wenig Flexibilität bietet. Dennoch kann sie in Zukunft „femininer geplant werden. Das geht weit über die Vermeidung von Angsträumen oder die Benennung von Straßen mit weiblichen Namen hinaus.“57

Gespräch mit René Rissland vom zuständigem Planungsbüro SRAP Architekten, Vgl.

auch: „Schimmernde Speichen“, Bauwelt 5.2022.

Vgl. „Mobilität in Deutschland – Publikationen zur Erhebungswelle 2017“, Publikationen

MiD, 2017.

Vgl. Fischer, Joachim: „Die Bedeutung der philosophischen Anthropologie für die

Architektursoziologie“, in: Karl-Siebert Rehberg (Hg.), Soziale Ungleichheit – Kulturelle Unterschiede. Verhandlungen des 32. Kongresses.

Vgl. Bauwelt 17.2021, S.1.

54
55
56
57 18

4. Was Architektur leisten muss

Brasiliens Favelas bilden eigene Siedlungen in den Randbereichen großer Metropolen. Der visuelle Stereotyp zeigt Slums, „in denen Armut und Verbrechen herrschen und die Menschen in ständiger Angst vor marodierenden Banden leben.“ Trotz wahren Ursprungs dieser Vorstellung, gestaltet sich der Alltag von58 Bewohner*innen der Favelas gemeinschaftlicher als darin angenommen: Durch das gemeinsame Errichten illegaler Behausungen kommen sie dem Bedürfnis nach sozialem Wohnraum an für Arbeit und Verkehrsmittelnutzung günstigen Orten nach. Einem Bedürfnis oder vielmehr eine Notwendigkeit, welche der Staat nicht befriedigen kann. Zwar entwarf Brasilien 2009 einen Sozialwohnungsplan mit dem Titel „Minha Casa, Minha Vida“ (MCMV), übersetzt „Mein Haus, mein Leben“, hatte damit allerdings keinen Erfolg. Etwa 50 Millionen Menschen sollte das Projekt unterbringen; die meisten davon am äußersten Rand der West-Zone Rio de Janeiros. Diese gilt als nicht sehr zukunftsträchtige Region, da es kaum59 Arbeitsplätze gibt und die Gefahr der Entstehung weiterer „Armutsghettos“ besteht. Von hier müssen die Bewohner*innen bis zu drei Stunden in die Nord- und Zentralzonen fahren, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen. Allein der Weg zu Fuß zu nächsten Haltestation für öffentlichen Personennahverkehr dauert bei 60 Prozent der Wohnkomplexe etwa 30 Minuten. Das liegt zum einen an der kaum vorhandenen Infrastruktur und zum anderen an den von den Behörden missachteten Gemeinderegularien, welche die Umsiedlung der Menschen eigentlich in einem Radius von nicht mehr als sieben Kilometern vorsehen.60

Brasilien fügt sich dabei dem zuvor erläuterten Trend: 71 Prozent der Autos sind auf Männer zugelassen, welche doppelt so häufig Wege damit zurücklegen wie Frauen. Das bedeutet eine systematische Benachteiligung weiblich sozialisierter61 Personen, welche in diesem Rahmen umgesiedelt werden und dadurch an angemessener, vorhandener Infrastruktur verlieren. An den fehlenden Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln reiht sich das Problem der Care Arbeit als zusätzlich zu bewältigende Arbeit, was die Benachteiligung stärkt. Wie eingangs genannt organisieren sich die Favelas größtenteils gemeinschaftlich: dieses gilt auch für den

Vgl. Criado-Perez, S. 66.

Vgl. Ebd, zitiert nach https://www.habitatforhumanity.org.uk/country/brazil/, zuletzt

aktualisiert am 18.08.2022.

Vgl. Ebd, S. 66-68.

Vgl. Koch, Jacob; Lindau, Luis Antonio; Nassi, Carlos David: „Transportation in the

Favelas of Rio de Janeiro“, Lincoln Institute of Land Policy, 2013.

58
59
60
61
19

Alltag und das Zusammenleben als Gemeinde. In Haushalten alleinerziehender Mütter lebt häufig zusätzlich ein älteres Elternteil, wodurch sowohl die Versorgung der Eltern oder anderer pflegebedürftiger Familienmitglieder als auch die Betreuung der Kinder gewährleistet ist. Kleine Wohneinheiten sind daher eher selten und das Leben einzelner Familien ist dadurch nicht isoliert voneinander. Die Siedlungen von MCMV sehen dagegen das Wohnen als traditionelle Kernfamilie vor, weshalb die sonst üblichen Mehrgenerationen-Familien keinen Platz mehr finden. Der zur Verfügung gestellte, öffentliche Raum ist auf das Auto ausgelegt und etwaige Spielplätze sind nicht attraktiv oder sicher gestaltet.62

Zusammengefasst nimmt die Brasilianische Regierung durch den staatlich initiierten, sozialen Wohnraum die Lebensgrundlage vieler weiblich sozialisierter Menschen. Das Umsiedeln aus den Favelas weg bedeutet das Wegfallen von offiziellen Arbeitsplätzen , dem Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln sowie63 Betreuung von Kindern und Pflegebedürftigen. Um dennoch der Notwendigkeit einer Erwerbstätigkeit nachzukommen, verwandeln sich viele Wohnungen in illegale Arbeitsplätze. Folglich schafft Brasilien durch die Bekämpfung illegaler Wohnungen viele neue Probleme.64

Die zuvor beschriebenen Themen lassen u.a. auf eine zu fordernde Erreichbarkeit von Orten des täglichen Bedarfs schließen, die in keiner Abhängigkeit zum Besitz eines PKW stehen. Kurze Wege und gut ausgebaute Anbindungen für NichtAutofahrer*innen kommen nicht nur den klimatischen Veränderungen entgegen, sondern sind auch seit der Corona-Pandemie Teil von Stadtentwicklungen.65 Obwohl dieses nicht als feministisches Planungsverfahren gelabelt ist, bildet der66 Ansatz der 15-Minuten-Stadt mit dessen Forderungen viele Schnittstellen.

Den Begriff der 15-Minuten-Stadt prägte der an der Sorbonne Business School Panthéon lehrende Mobilitätsforscher und -planer Carlos Moreno. Zusammen mit Bürgermeisterin Anne Hidalgo initiierte er 2020 das Projekt Ville du quart d’heure als

Vgl. Criado-Perez, S. 68-69.

gleiches gilt auch für inoffizielle Arbeitsplätze, da es sich bei Hausangestellten in Brasilien

mehrheitlich um Frauen handelt.

Vgl. Criado-Perez, S. 70-71, zitiert nach Guimarães, Thiago: „Study Finds that ‘Minha

Casa Minha Vida’ Reproduces Social Injustice“, RioOnWatch, 29.10.2015.

Vgl. Geipel, Kaye: „Was brauchen wir wirklich?“, Bauwelt 19.2021.

Auf Gender Planning als solches wird im weiteren Verlauf eingegangen.

62
63
64
65
66 20

Teil der Pariser Verkehrswende. Der Name ist Programm. Alle Nutzungen des67 täglichen Bedarfs, wie Einkaufsmöglichkeiten, ärztliche Versorgung, Arbeitsplätze , Betreuungs- und Freizeitangebote sollen in dieser Modellstadt innerhalb eines Bewegungsradius von 15 Minuten im Idealfall zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sein.68

Der 2022 in Berlin stattfindende Bauwelt Kongress stellte unterschiedliche Projekte zum Thema 15-Minuten-Stadt vor. Darunter befanden sich unter anderem das Haus der Statistik in Berlin-Mitte sowie das Dragonerareal im Bezirk Kreuzberg. Den69 Vortrag zum Haus der Statistik hielt Urs Kumberger von Teleinternetcafe aus Berlin. Das Haus der Statistik diente ursprünglich als Sitz der Staatlichen70 Zentralverwaltung für Statistik, in welchem die SED-Regierung ihre Fünfjahrespläne erarbeitete. Während umliegende DDR-Großbauten mittlerweile unter Denkmalschutz stehen, war für das Haus der Statistik bis 2015 dem Abriss geweiht. Die in dem Zuge gegründete Initiative Haus der Statistik stellte ein erstes Standortentwicklungskonzept vor, nachdem eine Kunstaktion vor Ort auf die Verdrängung von Künstler*innen in Berlin aufmerksam machte. Das Konzept nannte sich „Zentrum für Geflüchtete – Soziales – Kunst – Kreative“. Letztendlich machte sich die Initiative 2016 durch die Übernahme der ZUsammenKUNFT Berlin eG (ZKB) handlungs- und rechtsfähig. Kurz darauf beschloss das Land Berlin, aus dem Areal schräg gegenüber dem Alexanderplatz ein Modellprojekt für Verwaltung, Kultur, Bildung, Soziales und Wohnen zu machen. Mit dem Anliegen, „Nachbarschaft und Stadtgesellschaft mittels Kolloquien und Planungslaboren in das Verfahren einzubinden“ , entschied sich die zuständige Koop5, eine Kooperation aus der71 ZKB, der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, dem Bezirksamt Berlin-Mitte sowie den landeseigenen Gesellschaften Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM) und Berliner Immobilienmanagement (BIM), gegen ein anonymes Wettbewerbsverfahren. Anstelle dessen initiierte sie ein sechsmonatiges Werkstattverfahren. Dabei lud ein Auswahlgremium verschiedene Planungsbüros ein, welche gemeinsam Entwurfskonzepte durchspielten. Der offene Prozess der

Vgl. Redecke, Sebastian: „Smarte Strukturen – große Wirkung?“, Bauwelt 19.2021.

Vgl. https://www.paris.fr/dossiers/paris-ville-du-quart-d-heure-ou-le-pari-de-la-

proximite-37, zuletzt aktualisiert am 18.08.2022.

Vgl. Programm des Bauwelt Kongress 2022: https://kongress.bauwelt.de/bauwelt-

kongress-2021-die-15-minuten-stadt/, zuletzt aktualisiert am 18.08.2022.

Vgl. Ebd.

Vgl. Stumm, Alexander: „Unwahrscheinlichkeitsrechungen. Das Haus der Statistik in

Berlin“, Bauwelt 19.2021.

67
68
69
70
71
21

Verfahrens ist bezeichnend, da der Anspruch nicht vom sonst üblichen Konkurrenzdenken geprägt war.72

Das Haus der Statistik zeigt einen Weg, wie temporäre Aktivierung ein möglicher „Schritt zu mehr Nachbarschaft“ sein kann. Ein Umstand, den Brasiliens Favelas73 leben, bei staatlichen Sozialwohnungen aber nicht beibehalten werden kann und für Städte in Deutschland und Europa genauso als Modell herangezogen werden sollte.

Des Weiteren hielten Sabine Müller von SMAQ und Anna Landqvist von Man Made Land einen Vortrag mit dem Titel „5-Minuten-Stadt: Ideal und Realität eines mischgenutzten Stadtquartiers – das Dragonerareal in Berlin-Kreuzberg“. Bei dem74 13,6 Hektar großen Areal handelt es sich um die ehemalige, gleichnamige Dragonerkaserne samt drei angrenzenden Flächen, zwischen Mehringdamm, Yorck-, Obentraut- und Großbeerenstraße. Heute fungiert der Komplex als Rathausblock, zwischen dem Finanzamt, einem Bio-Supermarkt, Clubs und weitreichenden Gewerbeflächen. Nachdem das Dragonerareal 2019 im Rahmen des Haupstadtfinanzierungsvertrags an das Land Berlin übertragen wurde, soll ähnlich wie am Haus der Statistik hier modellhaft „selbstverwaltete und kommunale Strukturen zusammen[finden].“ Vorgesehen sind 500 Wohnungen sowie 26.00075 Quadratmeter für ö ff entliche Nutzungen wie Gewerbe, Verwaltung sowie soziokulturelle Infrastruktur und qualitative Freiraumgestaltung. Dazu entstand (ähnlich zur Koop 5) die Koop6: das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, das Vernetzungstreffen Rathausblock sowie Delegierte aus dem Forum Rathausblock, des Berliner Immobilienmanagements (BIM) und der Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM).

Die Koop6 gestaltete das Wettbewerbsverfahren auch im Sinne des Werkstattcharakters, bei dem sich die Büros der beiden Vortragenden, SMAQ und Man Made Land, zusammen mit Barbara Schindler von KulturKommunikation durchsetzten. Ihr Entwurf „arbeite die historische Differenz zwischen der ehemaligen

Vg. Stumm, Alexander: „Unwahrscheinlichkeitsrechungen. Das Haus der Statistik in

Berlin“, Bauwelt 19.2021.

Vgl. Bauwelt 19.2021, S. 36-37.

Vgl. Programm des Bauwelt Kongress 2022: https://kongress.bauwelt.de/bauwelt-

kongress-2021-die-15-minuten-stadt/, zuletzt aktualisiert am 18.08.2022.

Vgl. „Kreuzbergs kooperative Fuge – Entscheidung fürs Dragoner Areal“, Baunetz,

31.01.2020.

72
73
74
75
22

Kasernenanlage und der gründerzeitlichen Blockrandbebauung heraus und schaffe gleichzeitig ein neues ausdrucksstarkes Stadtquartier.“ Da es sich auch hier um76 kein fertig umgesetztes Projekt handelt und demzufolge direkte Erfahrungswerte des dort einziehenden Lebens fehlen, können keine Aussagen zum Erfolg der Umsetzung getroffen werden. In Bezug auf Nachbarschaft, Erreichbarkeit und Versorgung innerhalb des Quartiers, nimmt das Dragonerareal dennoch eine besondere Rolle eine, da es sich, wie beim Bauwelt Kongress vorgestellt, sogar als 5-Minuten-Stadt nach außen verkauft; sprich eine Weiterführung und Ausreifung des Konzepts der 15-Minuten-Stadt auf engerem Raum und dadurch kürzeren Wegen. Diese kommen, wie auch beim Haus der Statistik, den Forderungen nach gewährleisteten Mobilitätschancen nach. Darüber hinaus sind beide Projekte bereichernd für die restliche Bebauung, insbesondere für die Bewohner*innen angrenzender Kieze, auch wenn sie nicht zum direkten Teil der neu entstehenden Nachbarschaft gehören. Durch die stark heterofunktionalen Gebäudetypen ist der Anschluss nach außen und eine ständige Belebung gewährleistet. Geplante Flächen für Urban Gardening und Treffpunkte heben die Lebensqualität.

Die Komplexität der Entstehungsprozesse beider Projekte macht auf die vielen Bedingungen und Bedürfnisse aufmerksam, die es an nachhaltig funktionierenden Wohnungsraum zu stellen gilt. Während das Beispiel MCMV als Alternative zu den Favelas um ein unzureichend durchdachtes Projekt seitens der brasilianischen Regierung handelt, zeigen das Haus der Statistik wie auch das Dragonerareal das dahinterstehende Engagement und den organisatorischen Aufwand sozialer Bauprojekte, welche durch Vereine, Initiativen und Kooperationen eingeleitet werden müssen. Die gezielte Förderung sozialen Wohnraums mit bedürfnisorientiertem Anspruch ist in Bauvorhaben der Bundesregierung bisher nicht erkennbar vorhanden und der freie Markt ebenso wenig davon dominiert. Die initiativgeleiteten Vorhaben Haus der Statistik sowie das Dragonerareal reagieren zwar wie viele weitere Projekte auf zeitgenössische Bedürfnisse und Herausforderungen, sind aber in dem Sinne nicht geschlechterspezifisch geplant oder als feministisch betitelt.

Aus diesem Grund handelt der weitere Verlauf dieser Arbeit vom expliziten Gender Planning der Stadt Wien und zugehörigen, umgesetzten Architekturen.

Vgl. Haller, Ruth: „Kooperation in Kreuzberg“, Bauwelt 5.2020, 03.03.2020.

76 23

5.

Das Gender Planning der Stadt Wien

Seit den 1990er Jahren integriert Wien den Feminismus in die aktive Stadtentwicklung. Im Zentrum dieser Arbeit steht Eva Kail, Obersenatsrätin und Expertin für frauengerechtes Planen und Bauen am zugehörigen Amt für strategische Planung. Konkret setzt sie sich mit ihrem Amt dafür ein, „dass Wien nicht nur eine lebenswerte, sondern auch eine grüne und sichere Stadt ist – für Männer und vor allem für Frauen.“ Ein zentraler Begriff des Gender Planning ist77 das Gender Mainstreaming . Dieses bedeutet konkret: „Es geht nicht nur um das78 biologische Geschlecht, sondern um die sozialen Rollen, die man hat. Habe ich einen versorgenden Alltag, kümmere ich mich um Kinder, um ältere Angehörige, oder fühle ich mich für das Einkaufen zuständig?“ Nach immer wieder heftigen79 Empörungen und Protesten verbucht Kail vor allem die letzten Jahre als regelrechten Umbruch. Sie spüre einen „noch viel stärkeren Rückenwind, was die Forderungen nach einer feministischen, gendergerechten Stadtplanung betrifft“ und sehe darin eine Parallele zum verstärkten Klimaaktivismus.80

Die britische Tageszeitung The Guardian widmete dem Gender Planning Wiens 2019 einen mehrseitigen Feuilleton-Artikel, nachdem die Stadt im gleichen Jahr zum zehnten Mal in Folge die Auszeichnung zur lebenswertesten Stadt der Welt erhielt.81 Darin nennt Elle Hunt die Seestadt Aspern als gelungenes Beispiel für die angewandte Stadtplanung: „Aspern geht gezielt auf Frauen und ihre Bedürfnisse ein. Das ist eine einzigartige Herangehensweise, die Wien seit mittlerweile 30 Jahren prägt.“ Neben der Seestadt Aspern gehören das Wohnquartier Frauen-Werk-Stadt82 sowie vereinzelte Straßen und Plätze Wiens zu den klaren Statements für gelebtes Gender Planning. Auf die Projekte wird im Folgenden vertieft eingegangen.

Vgl. Groll, Tina: „Wir müssen das Dorf zurück in die Stadt bringen“, Interview mit Eva Kail,

Zeit Online, 13.02.2021.

Unter gleicher Definition von der Stadt Wien auch als „Genderplus-Konzept“ aufgeführt,

vgl. Ebd.

Vgl. Heise, Katrin: "Kurze Wege und viel Freiraum: Feministische Stadtplanerin Eva Kail“,

Deutschlandfunkkultur, 18.03.2022.

Vgl. Czaja, Wojciech: „Statt der Machos Stadt der Frauen“, Bauwelt, 17.08.2021.

Vgl. https://www.wien.info/de/lifestyle-szene/lebenswerteste-stadt-350746, zuletzt

aktualisiert am 18.08.2022.

Vgl. Hunt, Elle: „City with a female face: how modern Vienna was shaped by women“,

The Guardian, 14.05.2019.

77
78
79
80
81
82
24

5.1 Wie weiblich ist Wien? – Die Frauen-Werk-Stadt

Laut Kail sei in dem Quartier Frauen-Werk-Stadt konkret auf „die Bedürfnisse der83 Leute, die das Viertel nutzen“ eingegangen. Als 1993 die Stadt Wien beschloss, neue Sozialwohnungen zu bauen, sammelte das Österreichische Statistische Bundesamt zuerst Daten. Die Besonderheit: die gesammelten Daten wurden nach Geschlechtern getrennt, da in dem neuen Viertel hauptsächlich weiblich sozialisierte Personen wohnen sollten.

Die gesammelten Daten und Umfrageergebnisse ergaben, dass „Frauen pro Tag mehr Zeit mit Haushalt und Kinderbetreuung verbrachten als Männer.“ Dieses deckt sich mit dem zuvor beschriebenen Umstand der Care Arbeit. So gibt das jüngste Weltwirtschaftsforums an, dass Frauen doppelt so viel Zeit wie Männer mit Care Arbeit verbringen. Das bedeutet, dass sie insgesamt mehr arbeiten, wenn bezahlte und unbezahlte Arbeit zusammengezählt würde.84

Die Planung des Wohnviertels berücksichtigte diese Ergebnisse und versuchte die Care Arbeit zu erleichtern. Beispielsweise sah sie einen eigenen Kindergarten vor, wählte die Nähe zu Schulen und schloss den Wohnkomplex direkt an das Verkehrsnetz der Straßenbahnen an. Hinzu kommt eine Arztpraxis, eine Apotheke sowie Gewerbeflächen im Wohnkomplex. Kurze und sichere Wege, welche die Kinder teilweise alleine zurücklegen können, entlasten enorm, da die „Begleitung der Kinder zur Schule, zu Ärzten und zu außerschulischen Aktivitäten“ in der Regel am meisten Zeit in Anspruch nimmt. Rasenflächen und Spielplätze erbringen die85 notwendige Sicherheit, da sie von jeder Wohnung aus einsichtig sind und der Komplex mit höchstens vier Wohnungen pro Stockwerk wirkt nicht zu groß oder unübersichtlich. Die Vermeidung von klassischen Angsträumen erfolgt durch ausreichende Beleuchtung öffentlicher Räume und Parkplätze und einsehbare Treppenhäuser. In den Wohnungen wurde die Care Arbeit durch einen offenen86 Grundriss berücksichtigt. Die Wohnung lässt sich von der Küche als Zentrum aus einsehen, wodurch Kinder während des Arbeitens in der Küche betreut werden

Die Aussage bezog sich auf Frauen-Werk-Stadt I, mittlerweile gibt es aber auch II und III.83

Vgl. Criado-Perez, S.71, zitiert nach Foran, Clare: „How to Design a City for Women. A84 fascinating experiment in gender mainstreaming.“, Bloomberg, 16.09.2013.

Vgl. Criado-Perez, S. 71-72, zitiert nach Ines Sánchez.85

Vgl. Grenell, Alexis: „Sex & the Stadt: Reimagining Gender in the Built Environment“,86 2015.

25

können und der Hausarbeit ein zentraler Ort in der Wohnung zugeschrieben wird und subtil mehr Sichtbarkeit entsteht.

Die Kriterien, nach denen die Frauen-Werk-Stadt entworfen wurde, zeigt eine klare Bevorzugung weiblicher Bedürfnisse, was den Vorwurf männlicher Diskriminierung aufkommen lässt. Nichtsdestotrotz wird dieser von den Gegebenheiten widerlegt.87 Ein Quartier, in welchem vornehmlich Frauen wohnen werden, darf auch als solches geplant werden. Es handelt sich hier um eine spezifische Adressbildung und die mehrmals erwähnte Bedürfnisorientierung, nach welcher es keinen universellen, sondern einen nutzer*innenspezifischen Raum gibt. Darüber hinaus zeigt der aufgezeigte Status Quo, dass bisher von einer männlich sozialisierten Bevölkerung bei der Planung von Architektur ausgegangen wurde und so eine klare Ungleichheit mit Einschränkungen für die weiblich sozialisierte vorliegt. Daraus resultiert die Annahme, dass „nach Jahrzehnten und Jahrhunderten einer gesellschaftlichen Schieflage es durchaus legitim [ist], dass zum Ausgleich ein paar Jahre lang eine gewisse Segregation stattfindet. […] Schwächere Stadtprotagonistinnen können in ihrer Emanzipation gestützt werden.“88

Das Mischviertel entspricht durch seine Erreichbarkeit durchaus den Anforderungen einer 15-Minuten-Stadt. Von dem Haus der Statistik und dem Dragonerareal sowie auch anderen Modellprojekten des zugehörigen Bauwelt Kongresses unterscheidet es sich maßgeblich durch den gezielten Entstehungsprozess und die gelungene Umsetzung. Gleichzeitig erinnert es an eine legal gebaute Favela, da die Gemeinschaft und gemeinsam genutzter Raum im Vordergrund stehen.89

5.2 Gender inklusive Räume

Die dänische Landschaftsarchitektin Bianca Hermansen stützt das bedürfnisorientierte Vorgehen: „Die Gestaltung kann neue soziale Verhaltensweisen schaffen […] Deshalb müssen unsere Entwürfe die Notwendigkeiten, das Verhalten, die Wünsche und Motivationen unserer aktuellen Nutzerïnnen reflektieren.“ Dabei geht sie auf die Rolle der Landschaftsarchitektur in puncto Freiraum- und Platzgestaltung ein. Bei den von ihr vorgestellten Projekten, Spielplätze und

Vgl. Grenell, 2015.87

Vgl. Czaja, Wojciech: „Statt der Machos Stadt der Frauen“, Bauwelt 17.2021, 17.08.2021.88 Vgl. Criado-Perez, S. 72-73.89

26

Schulhöfe in Dänemark, handelt es sich um bereits existierende Strukturen, welche anhand von nachträglich Maßnahmen erst gender inklusiv geworden sind.90

In Wien fand das Gender Planning auch im städtischen Bestand Anwendung. Mehr Grünanlagen mit Brunnen lockern den urbanen Raum auf und deutlich mehr Sitzgelegenheiten bieten Möglichkeiten zum Ausruhen. Diese sind nicht immer in einem separierten Park, sondern teilweise an viel befahrenen Straßen und Kreuzungen. Nichtsdestotrotz werden sie auch an diesen Stellen regelmäßig in Anspruch genommen.

Ein Beispiel der Platzgestaltung ist der Johann-Nepomuk-Berger-Platz in den Gemeindebezirken Ottakring und Hernals. Das Wiener Planungsbüro Carla Lo Landschaftsarchitektur entwarf dort im Dialog mit den Bürger*innen einen gemeinschaftlichen Ort für die Nachbarschaft. Durch das Integrieren der Bestandsbäume in einen geschützten sowie Spiel- und Freizeitangeboten im offenen Bereich entstand aus der zuvor verkehrsdominierten und kaum genutzten Fläche ein vielseitiger Aufenthaltsort. Auf diese Weise profitieren nicht nur die Anwohner*innen sowie Besucher*innen des Platzes, sondern der ganze Stadtraum durch eine klare Adressbildung, die Möglichkeit der Aneignung und die programmatische Schließung einer urbanen Fuge. Der Reumannplatz im91 Gemeindebezirk Favoriten ist auf gestalterischer Basis vergleichbar. Dort gibt es durch verschiedene Höhenniveaus inklusive, hölzerne Liegeplattformen sowie Fußball- und Basketballkäfige, welche durch zusätzliche Fluchtwege eine höheres Maß an Sicherheit gewährleisten im Gegensatz zu den üblichen Modellen. Die Besonderheit ist hinzukommend eine temporäre Namensänderung. Durch den Titel „Reumädchenplatz“ erfolgt ein explizites Adressat. Die Seestadt Aspern folgt dem Ansatz, durch Namensgebung Sichtbarkeit von Frauen zu generieren. Straßen und Plätze sind beispielsweise nach der Sängerin Janis Joplin, feministischen Autorin Simone de Beauvoir oder brasilianischen Architektin Lina Bo Bardi benannt. Das Wiener Straßennetz verzeichnete bisher knapp 92 Prozent männliche Namen. Durch derartige Maßnahmen soll diese Zahl „sukzessive nach unten korrigiert werden.“92

Vgl. Hermansen, Bianca: „Gender-inklusive Freiräume entwerfen“, Bauwelt 17.2021.90

Vgl. Carla Lo Landschaftsarchitektur: https://www.nextroom.at/building.php?id=40036,91 Zur städtebauliche Fuge und deren Transformation ist die Spiegelfabrik von Heide & von Beckerath in Fürth eine repräsentative Referenz, welche zudem die Themen der Aneignung und „alternativen“ Wohnformen und -gemeinschaften abbildet (Stadtbauwelt 6.2022).

Vgl. Czaja, Wojciech: „Statt der Machos Stadt der Frauen“, Bauwelt 17.2021, 17.08.2021.

92 27

Zudem sieht Wien weitere Schritte in Richtung Klimagerechtigkeit vor, welche mit der gendergerechten Stadtplanungspolitik einhergehen: Pop-up-Radwege, ein temporärer Pop-up-Swimming-Pool vor dem Westbahnhof sowie temporäre Straßensperrungen, die Fußgängerzonen erlauben. Zudem soll jede*r Wiener*in im Umkreis von 250 Metern Zugang zu einer attraktiven Grünfläche erhalten. Diese Impulse stammen aus dem Strategiepapier „Fachkonzept Grün- und Freiraum“ als Teil des Stadtentwicklungsplan STEP 2035. Das Planungsressort gab mit diesen ambitionierten Vorhaben Versprechen für die weitere Stadtgestaltung, konnte diese allerdings in dem Maße bisher nicht umsetzen. Aus diesem Grund werden die „monosaisonalen Maßnahmen [von der Fachwelt] als Urbanpolulismus und Geldund Ressourcenverschwendung kritisiert.“93

Vgl. Czaja, Wojciech: „Statt der Machos Stadt der Frauen“, Bauwelt 17.2021, 17.08.2021.

93 28

6. Der architektonische Diskurs – Ein Ausblick

In dieser Arbeit geht es um verschiedene Bestandteile des öffentlichen Diskurses über Feminismus in der Architektur. Dabei wurden Ansätze zum Verständnis von und zur Annäherung an gendergerechte Architekturen mit dem Fokus auf die weibliche Sozialisation umrissen und hinsichtlich feministischer Anforderungen überprüft. Trotz kritischen Stimmen ist ein Ausblick hinsichtlich weiterer Projekte in Deutschland und Europa erkennbar. Nicht zuletzt aufgrund erfolgreich umgesetztem Gender Planning in Wien. Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass sich der Feminismus durch das Gender Planning als integriertes und dadurch aktiv angewandtes Element der Wiener Stadtplanung zeigt. Das zuständige Amt für strategische Planung setzt den rechtlichen Rahmen und bildet dadurch einen deutlich niederschwelligeren Zugang für feministische Stadtplanung als in den anderen genannten Beispielen. Nichtsdestotrotz ist Wien eine der wenigen konkreten Referenzen, welche den Feminismus als Einfluss benennen und repräsentative Erfolge mit Erfahrungswert erzielt haben. Jüngere Unternehmungen stehen daher erst in der Zukunft zur genaueren Analyse. Eine bedürfnisorientierte Architektur, wie es die Frauen-Werk-Stadt mit ihren Studien zeigt, ist an ihre gesellschaftlichen Prozesse gebunden und bedarf daher einer architektursoziologischen Betrachtung. Die Annahme liegt darin, dass ein kritisches Hinterfragen des Status Quo notwendig ist, um sich gesellschaftlichem Wandel nicht nur anzupassen, sondern diesen zu fördern. Damit die Architektur einen Wandel erfährt und inklusiver wird, ist eine kulturelle Entwertung des gebauten94 Umstands notwendig.

Die vorangegangene Betrachtung zeigt, dass Diskriminierung durch Bauen und gebauten Raum vielschichtig sein kann und die damit einhergehende Berichterstattung einen großen Teil zu deren Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit beiträgt. Die deutsche und europäische Medienlandschaft versucht sich dem Thema Feminismus in der Architektur anzunähern, verordnet es aber innerhalb der Architektur und Stadtplanung noch immer an den Rand von Diskussionen, wodurch dieser optional und nicht notwendig erscheint. Parallelen sind zum Klimaaktivismus zu sehen, welcher durch wirtschaftliche Interessen auch nicht im Zentrum der Debatten steht. Folglich können entsprechende Erfolge erst flächendeckend erzielt werden, wenn der Kapitalismus nicht mehr das Maß aller Dinge bildet.

Vgl. Bodenschatz, Harald: „Der rote Kasten“, TRANSIT Buchverlag, Berlin, 1996, S.94 90-94.

29

Bibliografie

– Ausstellungskatalog „Experience in Action! DesignBuild in der Architektur“, Edition Detail, München, 2020

– Bauhardt, Christine: „Stadtentwicklung und Verkehrspolitik: Eine Analyse aus feministischer Sicht“, Hellmut Wollmann (Hg.), Birkhäuser Verlag, Basel, 1995

– Bodenschatz, Harald: „Der rote Kasten“, TRANSIT Buchverlag, Berlin, 1996

– Booth, Christine; Bennett, Cinnamon: “Gender Mainstreaming in the European Union: Towards a New Conception and Practice of Equal Opportunities?”, European Journal of Women’s Studies Vol. 9, 2000

– Burose, Alina: „Schimmernde Speichen“, Bauwelt 5.2022

– Criado-Perez, Caroline: „Unsichtbare Frauen: Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert“, btb, München, 2020

– Czaja, Wojciech: „Statt der Machos Stadt der Frauen“, Bauwelt, 17.08.2021

– „Das Wunder von Hannover, Der Spiegel, 02.06.1959

– „DesignBuild in Uganda – Ausstellung und Veranstaltungen in München“, Baunetz, 04.07.2022

– Endler, Rebekka: „Das Patriarchat der Dinge. Warum die Welt Frauen nicht passt“, DuMont Buchverlag, Köln, 2021

– Ferlinden, Ulla: „Kritik der Stadtsoziologie – Zur Raumrelevanz der Hauswirtschaft“, in: Dörhöfer, Kerstin (Hg.): „Stadt-Land-Frau: soziologische Analysen, feministische Planungsansätze, Freiburg, 1990

– Fischer, Joachim: „Die Bedeutung der philosophischen Anthropologie für die Architektursoziologie“, Karl-Siebert Rehberg (Hg.), Soziale Ungleichheit – Kulturelle Unterschiede. Verhandlungen des 32. Kongresses

– Gauthier, Aimée; Kunieda, Mika: „Gender and Urban Transport: Smart and Affordable Module 7a Sustainable Transport: A Sourcebook for Policy-makers in Developing Cities“, GTZ, Eschborn, 2007.

– Geipel, Kaye: „Was brauchen wir wirklich?“, Bauwelt 19.2021

– Goldmark, Alex: „Census Data Show Public Transit Gender Gap“, Transportation Nation, 09.12.2012

– Grenell, Alexis: „Sex & the Stadt: Reimagining Gender in the Built Environment“, 2015

– Groll, Tina: „Wir müssen das Dorf zurück in die Stadt bringen“, Interview mit Eva Kail, Zeit Online, 13.02.2021

– Haller, Ruth: „Kooperation in Kreuzberg“, Bauwelt 5.2020, 03.03.2020

– Heise, Katrin: "Kurze Wege und viel Freiraum: Feministische Stadtplanerin Eva Kail“, Deutschlandfunkkultur, 18.03.2022

30

– Hermansen, Bianca: „Gender-inklusive Freiräume entwerfen“, Bauwelt 17.2021, 17.08.2021

– Hunt, Elle: „City with a female face: how modern Vienna was shaped by women“, The Guardian, 14.05.2019

– „Kreuzbergs kooperative Fuge – Entscheidung fürs Dragoner Areal“, Baunetz, 31.01.2020

– Koch, Jacob; Lindau, Luis Antonio; Nassi, Carlos David: „Transportation in the Favelas of Rio de Janeiro“, Lincoln Institute of Land Policy, 2013

– „Mobilität in Deutschland – Publikationen zur Erhebungswelle 2017“, Publikationen MiD, 2017

– Penny, Laurie: „Unsagbare Dinge – Sex, Lügen und Revolution.“, Edition Nautilus, Hamburg, 2015

– Pitzke, Marc: „Masterplaner Moses – Der Mann, der New York erfand“, Spiegel, 08.02.2007

– Pschak, Evelyn: „Raus mit euch“, Süddeutsche Zeitung, 18.12.2020

– Redecke, Sebastian: „Smarte Strukturen – große Wirkung?“, Bauwelt 19.2021

– Schade-Bünsow, Boris: „Den Gemeinschaftssinn in der Architektur verstehen“, Interview mit Ralf Pasel, Bauwelt 18.2021, 31.08.2021

– Schäfers, Bernhard: „Architektursoziologie. Grundlagen – Epochen – Themen“, VS Verlage für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2014

– Stumm, Alexander: „Unwahrscheinlichkeitsrechungen. Das Haus der Statistik in Berlin“, Bauwelt 19.2021

– Sustainable Mobility for All. 2017. Global Mobility Report 2017: Tracking Sector Performance. Washington DC, 2017

– Vu, Vanessa: „Die männliche Stadt“, Zeit Online, zuletzt aktualisiert am 27.09.2019

– Weisman, Leslie: „Discrimination by Design: A feminist Critique of the Man-Made Environment“, University of Illinois Press, Champaign 1994

– Weißmüller, Laura: „Der dicke Blaue“, Süddeutsche Zeitung, 18.05.2020

– Woolf, Virginia: „Orlando – Eine Biographie“, Suhrkamp Verlag, Berlin, 2020

– Zakaria, Rafia: „Against White Feminism – Wie weißer Feminismus Gleichberechtigung verhindert.“, hanserblau, München, 2022

– https://www.bda-bund.de/events/experience-in-action/, zuletzt aktualisiert am 18.08.2022

– https://www.bpb.de/themen/familie/care-arbeit/, zuletzt aktualisiert am 18.08.2022

– http://www.daz.de/de/designbuild-in-der-architektur-zwischen-ambition-und-realitaet/, zuletzt aktualisiert am 18.08.2022

31

– https://kongress.bauwelt.de/bauwelt-kongress-2021-die-15-minuten-stadt/, zuletzt aktualisiert am 18.08.2022

– https://www.labiennale.org/en/news/biennale-architettura-2021-how-will-we-live-together, zuletzt aktualisiert am 18.08.2022

– https://www.nextroom.at/building.php?id=40036, zuletzt aktualisiert am 18.08.2022

– https://www.paris.fr/dossiers/paris-ville-du-quart-d-heure-ou-le-pari-de-la-proximite-37, zuletzt aktualisiert am 18.08.2022

– https://www.uni-paderborn.de/universitaet/genderportal/gender-glossar/genderstudiesgeschlechterforschung , zuletzt aktualisiert am 18.08.2022

– https://www.wien.info/de/lifestyle-szene/lebenswerteste-stadt-350746, zuletzt aktualisiert am 18.08.2022

32

Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.