Global+ | Winter 2017/18

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A tw uf ic klä kl ru un n gs g : zu W sa as m ist m g en ut ar e be it  ? En

NUMMER 68  |   winter 2017/18

Globalisierung und Nord / Süd-Politik

Arbeitsgemeinschaft Swissaid  |   Fastenopfer  |   Brot für alle  |   Helvetas  |   Caritas  |   Heks  |   www.alliancesud.ch

Big Data : Die neue Weltherrschaft Menschenrechte : So sieht es Ecuador

Klimaschutz : Bangladesch wartet nicht

Agenda 2030 : Schweiz muss Farbe bekennen


Kurz notiert Steueroptimierung als Geschäftsmodell dh. Die Veröffentlichung der Paradise Papers hatte zu einer verbreiteten kollektiven Empörung über die Praktiken der internationalen Steueroptimierungsindustrie geführt. Umso ernüchternder ist, wie bescheiden der Wille der Politik ist, ernsthaft gegen diese vorzugehen. Ein Bericht des EU-Rats schreckte davor zurück, auch Mitgliedsländer ( oder befreundete Länder wie die Schweiz ) als Steueroasen auf eine schwarze Liste zu setzen. Bei der Erarbeitung der Schweizer Steuervorlage 17 zeigt sich, dass diese zu einer Wiedergängerin der vom Volk abgelehnten USR III werden dürfte. In leicht abgewandelter Form dürfte sowohl die zinsbereinigte Gewinnsteuer wie auch die Patentbox wieder darin enthalten sein. Nicht nur einzelne Staaten, auch Kantone und Gemeinde lobbyieren intensiv für den Erhalt ihrer zweifelhaften Geschäftsmodelle. Mehr dazu auf der Alliance-Sud-Website. Dekarbonisierung kommt voran js. Während an der Klimakonferenz in Bonn um politische Schritte bei der Dekarbonisierung der Welt gerungen wurde, machte der norwegische Pen­sionsfonds zeitgleich Nägel mit Köpfen : Die Norges Bank, die den weltweit grössten, 1-Billio-

nen-US-Dollar schweren Staatsfonds verwaltet, drängt die Regierung da­rauf, sämtliche in der fossilen Industrie gehaltenen Aktien abzustos­sen. Das entspricht rund 6 Prozent aller Inves­titionen des Staatsfonds. Dadurch würden die durch den absehbaren dauerhaften ­Ölpreiszerfall erwarteten Anlagerisiken ­e liminiert. – Die Ankündigung führte zu einem unmittel­ baren Kurszerfall bei Aktien im fossilen Energiesektor und motivierte weitere Pensionskassen und Fonds, dem norwegischen Beispiel im Eiltempo zu folgen. Inzwischen haben laut Bloomberg bereits Fonds mit ­einem Anlagevermögen von 670 Milliarden Dollar verkündet, ihre fossilen Geschäfte abzustossen. Niederländischer Kontaktpunkt geht voran lm. Der nationale OECD-Kontaktpunkt ( NKP ) in den Niederlanden hat im November einer Klage von Greenpeace, Oxfam, BankTrack und Milieudefensie stattge­ geben. Diese hatten moniert, die ING Bank habe keinen Plan, wie sie dazu beitragen wolle, die CO2-Emissionen zu reduzieren. Die NGOs verlangen, dass die Bank im Einklang mit den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen konkre-

Impressum

Alliance Sud auf einen Blick

GLOBAL + erscheint viermal jährlich.

Präsidium Caroline Morel, Geschäftsleiterin Swissaid

Herausgeberin: Alliance Sud, Arbeitsgemeinschaft Swissaid | Fastenopfer | Brot für alle | Helvetas | Caritas | Heks E-Mail: globalplus@alliancesud.ch Website: www.alliancesud.ch Social Media Politik: www.facebook.com/alliancesud www.twitter.com/AllianceSud Social Media InfoDoc: www.twitter.com/doc_alliancesud Redaktion: Daniel Hitzig ( d h ) , Kathrin Spichiger ( k s ) Übersetzungen: Daniel Hitzig Bildredaktion: Nicole Aeby Grafik: Clerici Partner Design, Zürich Druck: s+z: gutzumdruck, Brig Auflage: 2400 Einzelpreis: Fr. 7.50, Jahresabo: Fr. 30.– Förderabo: mind. Fr. 50.– Inseratepreise/Beilagen: siehe Website Bildnachweis Titelseite: Blick ins AmazonVerteilzentrum in Phoenix/Arizona, USA. © R alph D. Freso /  Reuters Die nächste Ausgabe von GLOBAL + erscheint Ende März 2018.

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Geschäftsstelle Mark Herkenrath ( G eschäftsleiter ) Kathrin Spichiger, Matthias Wüthrich Monbijoustrasse 31, Postfach, 3001 Bern Tel. + 4 1 31 390 93 30 Fax + 4 1 31 390 93 31 E-Mail : mail@alliancesud.ch Entwicklungspolitik – Agenda 2030 Sara Frey, Tel. + 4 1 76 388 93 31 sara.frey@alliancesud.ch – Entwicklungszusammenarbeit Eva Schmassmann, Tel. + 4 1 31 390 93 40 eva.schmassmann@alliancesud.ch – Steuer- und Finanzpolitik Dominik Gross, Tel. + 4 1 31 390 93 35 dominik.gross@alliancesud.ch – Klima und Umwelt Jürg Staudenmann, Tel. + 4 1 31 390 93 32 juerg.staudenmann@alliancesud.ch – Handel und Investitionen Isolda Agazzi, Tel. + 4 1 21 612 00 97 isolda.agazzi@alliancesud.ch

te, ambitionierte und messbare Ziele zur Emissionsreduktion formuliere. Es ist das erste Mal, dass ein NKP eine Klage auf der Basis der globalen Bedrohung des Klimas akzeptiert. Das könnte neue Wege aufzeigen, um die Unternehmen wegen ihres CO2Fussabdrucks zur Rechenschaft zu ziehen. Gericht anerkennt Haftung für Klimaschäden js. Saúl Luciano Lliuya, ein Bauer in den peruanischen Anden, hat mit seiner Klage gegen den Energieriesen RWE einen weltweit wegweisenden Teilerfolg erzielt : Ein deutsches Berufungsgericht gab seinem Anliegen statt und anerkannte erstmals einen möglichen Kausalzusammenhang zwischen dem CO2-Ausstoss des Energiekonzerns und der drohenden Flutkatastrophe in Lliuyas Heimatstadt Huaraz. 50 000 BewohnerInnen sind von der klimawandel­ bedingten Gletscherschmelze existenziell bedroht. Lliuya verlangt von RWE – historisch gesehen einer der grössten CO2-Emittenten der Welt –, dass der Konzern ent­ sprechend seinem Anteil am globalen menschengemachten CO2-Ausstoss 0,5 Prozent der Kosten für die notwendigen Schutzund Klimaanpassungsmassnahmen in Huaraz übernimmt.

– Unternehmen und Menschenrechte Laurent Matile, Tel. + 4 1 21 612 00 98 laurent.matile@alliancesud.ch – Medien und Kommunikation Daniel Hitzig, Tel. + 4 1 31 390 93 34 daniel.hitzig@alliancesud.ch Regionalstelle Lausanne Isolda Agazzi /  L aurent Matile /  M ireille Clavien Tel. + 4 1 21 612 00 95 /  Fax + 4 1 21 612 00 99 lausanne@alliancesud.ch Regionalstelle Lugano Lavinia Sommaruga Tel. + 4 1 91 967 33 66 /  Fax + 4 1 91 966 02 46 lugano@alliancesud.ch InfoDoc Bern Dagmar Aközel-Bussmann /  Simone Decorvet /  E manuel Zeiter Tel. + 4 1 31 390 93 37 dokumentation@alliancesud.ch Lausanne Pierre Flatt /  N icolas Bugnon /  C écile Mégard /  Amélie Vallotton Preisig ( U rlaub ) Tel. + 4 1 21 612 00 86 documentation@alliancesud.ch


Paradiesische Freiwilligkeit Foto : © D aniel Rihs

Nach den Parlamentswahlen vom Herbst 2015 herrschte Ernüchterung in jenem Teil der Schweizer Bevölkerung, der sich für ein weltoffenes und solidarisches Land einsetzt. Gewonnen hatten die politischen Kräfte, die für nationalstaatlichen Egoismus und kurzfristige Wirtschaftsinteressen stehen. Economiesuisse, Swissholdings und andere Interessenvertreter multinational tätiger Konzerne jubelten : Endlich wieder ein Parlament, dem die Interessen der Grosskonzerne wichtiger sind als die Solidarität mit Benachteiligten und die humanitäre Tradition der Schweiz. Das ist schon eine Weile her. Inzwischen verdichten sich in der Bevölkerung die Zeichen für eine politische Trendwende. Im Februar 2017 hat das Schweizer Stimmvolk die Unternehmenssteuerreform III versenkt. Das ist auch aus entwicklungspolitischer Sicht erfreulich. Die ­Reform hätte neue Anreize für Unternehmen geschaffen, Gewinne aus Entwicklungsländern unversteuert in die Schweiz zu verlagern. Ende Oktober sprachen sich in einer repräsentativen Umfrage 77 Prozent der Befragten für die Konzernverantwortungsinitiative aus. Das war noch vor der Veröffentlichung der Paradise Papers. Danach wäre die Zustimmung vermutlich noch deutlicher ausgefallen. Die Schweizerinnen und Schweizer wünschen sich eine gesetzliche Verpflichtung für Unternehmen, auch im Ausland die Menschenrechte einzuhalten und die Umwelt zu schützen. Der Bundesrat scheint die Zeichen der Zeit allerdings noch nicht erkannt zu haben. Die revidierte Version der Unternehmenssteuerreform, die er in die Vernehmlassung geschickt hat, gleicht in entscheidenden Punkten der abgeschmetterten Vorgängerin. Bei den Uno-Verhandlungen in Genf zu einem verbindlichen menschenrechtlichen Regelwerk für Unternehmen stellt er sich quer – und stösst damit auch die Entwicklungsländer vor den Kopf. Die Konzernverantwortungsinitiative bekämpft er und beschwört die Selbstverantwortung. Unternehmen sollen sich freiwillig an die Menschenrechte halten und die Umwelt schützen. Wie das Prinzip der Freiwilligkeit funktioniert, zeigen die Paradise Papers : Unzählige Unternehmen nutzen höchst freiwillig jede kleinste Gesetzeslücke, um ihren Gewinn zu maximieren. Bei den Paradise Papers geht es um Steuervermeidung, nicht um die Verletzung von Menschenrechten und um verheerende Umweltschäden. Der massive Widerstand von Economiesuisse und Swissholdings gegen die Konzernverantwortungsinitiative macht aber klar, dass Grosskonzerne nicht nur mit der Steuermoral, sondern auch mit der Einhaltung der Menschenrechte Probleme haben. Umso erfreulicher ist, dass die Rechtskommission des Ständerates die Initiative ernst nimmt. Sie will wesentliche Punkte der Vorlage in ­einen parlamentarischen Gegenvorschlag aufnehmen. Wie der Gegenvorschlag im Detail aussehen soll, ist noch offen. Die Initiantinnen und Initianten, darunter auch Alliance Sud, haben Interesse signalisiert. Sie sind offen für den Dialog über ein Gesetz, das gegenüber dem Status quo massgebliche Verbesserungen bringen würde. Umfassende Sorgfalt in Sachen Menschenrechte und Umweltschutz darf für Unternehmen kein freiwilliger Akt mehr sein. Verstösse gegen die Menschenrechte müssen klare rechtliche Konsequenzen haben.

Foto : © Ivan Kashinsky /  Panos

Aus dem Inhalt

Ecuador hat erlebt, wie Profitinteressen gegen ­Menschenrechte ausgespielt werden.

4

Uno-Vertrag zu Menschenrechten  Klarer Nord-Süd-Graben

6

WTO-Ministerkonferenz  IT-Giganten greifen nach der Welt

8

Entwicklungszusammenarbeit  Kampf den Missverständnissen

Nach der Klimakonferenz COP 23  10 Die Mär vom rückständigen Süden Schweizer Bericht zur Agenda 2030  12 Zeit, Politikkohärenz ernst zu nehmen Bücher und Zeitschriften  14 Fairarscht oder fair gehandelt ?

Mark Herkenrath, Geschäftsleiter von Alliance Sud

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Interview mit Guillaume Long, ecuadorianischer Uno-Botschafter in Genf

«Profit darf kein Selbstzweck sein» Laurent Matile

Ende Oktober tagte in Genf unter der Präsidentschaft von

­Guillaume Long die dritte Sitzungsrunde einer intergouvernementalen Arbeitsgruppe ( IGWG ). Ihr Auftrag : Erarbeitung eines verbindlichen U ­ no-Vertrags zu transnationalen Unternehmen und Menschenrechten.

deutlich verbessert. Wurde die erste Sitzung noch von mehreren Ländern boykottiert, so hat unsere diplomatische Arbeit seither doch Früchte getragen. Die USA und Kanada bleiben zwar weiterhin aussen vor, doch mit Australien beteiligt sich jetzt ein wichtiges Land an den Sitzungen. Es steht viel auf dem Spiel, schliesslich geht es um eine Weltwirtschaftsordnung, die dem Kapital und grossen Unternehmen viel Straffreiheit einräumt, ohne dass sie sich für ihre Taten zu verantworten hätten. Wir sind nicht gegen ausländische Investitionen ( FDI ), denn

deren Rolle ist wichtig für die Entwicklung. Aber private Investitionen müssen die Menschen- und Arbeitsrechte sowie die Umwelt respektieren. Und das ist nicht immer der Fall. Mit der Verabschiedung der UnoLeitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sowie der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen sind in den letzten Jahren wichtige Schritte gemacht worden. Doch sie basieren auf Freiwilligkeit. Wir stellen fest, dass es für gewisse Länder immer noch tabu ist, im Bereich der Menschenrechte verpflichtende Regeln zu erlassen oder nur schon

Fotos : © M ark Henley /  A lliance Sud

Alliance Sud : Herr Botschafter, wie erklären Sie sich die extrem defensive Haltung der OECD-Länder, darunter auch die Schweiz, gegenüber dem Beschluss, einen verbindlichen UnoVertrag zum Thema multinationale Konzerne und Menschenrechte zu erarbeiten ? ­Guillaume Long : Es stimmt, dass gewisse OECD-Länder der Resolution 26/9 des Uno-Menschenrechtsrates von 2014 ängstlich bis feindselig gegenüber­ stehen. Die Diskussionen waren zwar schwierig, doch das Klima hat sich in der dritten Sitzung der Arbeitsgruppe schon

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darüber zu sprechen; ganz im Gegenteil zu den Investitionen, die sie mit Regeln schützen. Da wird mit verschiedenen Ellen gemessen; Ecuador und ­andere Länder haben hier eine grössere Meinungsverschiedenheit mit den OECD-Ländern. Wichtige Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien und Südafrika ­unterstützen diesen multilateralen Prozess. Wie kommt das, schliesslich gehören sie heute mit ihren Firmen auch zu den grossen globalen ­Investoren ? Wer verstanden hat, dass wir nicht prinzipiell gegen Investitionen sind, der unterstützt unsere Arbeit. Mehrere Länder des Südens waren Opfer verantwortungsloser multinationaler Unternehmen, ich denke an Indien mit der Katastrophe von Bhopal oder an die Apartheid in Südafrika. Aber auch China, dessen Unternehmen zunehmend in Entwicklungsländern – auch in Ecuador – aktiv sind, hat diese Ausbeutung erlebt. Die angesprochenen Schwellenländer vertreten durchaus unterschiedliche Posi­ tionen in gewissen Fragen. Interessant ist, dass just jene Länder mit der höchsten Regelungsdichte in Sachen Arbeitsrechte und Umweltschutz – etwa in Europa – sich gegen die verbindliche Einführung von weltweit gültigen Regeln wehren. Dass grenzenlose Deregulierung gut sei für alle, dass die unsichtbare Hand des Marktes alles regelt, das ist ein Mythos. Investoren brauchen qualifiziertes Personal, Rechtssicherheit und funktionierende, nicht korrupte Ins­ titutionen. Nur so können sie von Wettbewerbsgleichheit ( level playing field ) in einem günstigen Umfeld profitieren. Entwicklungsländer, die das auch so sehen, unterstützen den Vertrag. Müssten gleich lange Spiesse für alle nicht auch im Interesse der grossen Unternehmen sein ? Warum wider­

setzen sich Vertreter der Industrieverbände ( ICC, IOE, BIAC, FTA-BSCI ) dann der Arbeit am Uno-Vertrag ? Diese Interessenvertreter sprechen nicht für alle Unternehmen. Denn es gibt durchaus global tätige Firmen, die sich nicht scheuen, ihre Verantwortung wahrzunehmen. Ich hoffe, dass sie sich in Zukunft von ihren Sprechern distanzieren werden. Ab den 1980er-Jahren wurden die Rechte der Investoren ausgebaut, es wurden internationale Schiedsgerichte und Investitionsschutzabkommen geschaffen, weil man den nationalen Gerichten in Entwicklungsländern nicht traute. Streitigkeiten zwischen Staaten und Investoren werden darum – meist im Interesse der Investoren – auf internationaler Ebene behandelt. Wenn es jetzt darum geht, kompetente Organe zur Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen zu schaffen, werden jedoch Hindernisse in den Weg gelegt. Das ist ein eklatanter Widerspruch ! Wären solche Organe im Interesse des Grosskapitals, wären sie schon längst eingeführt worden. Länder wie Ecuador verurteilen das. Das hat nichts mit einer antikapitalistischen Haltung zu tun, aber es geht darum, festzuhalten, dass Menschlichkeit wichtiger ist als der Profit. Das Kapital ist ein wichtiger Entwicklungsfaktor, aber Profit darf kein Selbstzweck sein. Das ist eine der grossen Debatten zu ­Beginn des 21. Jahrhunderts. Die Schweiz hat während der dritten Sitzung der Arbeitsgruppe signalisiert, dass sie interessiert sei an «eventuellen Synergien» zwischen den «Elementen» eines bindenden UNVertrags und den Uno-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, aber die Umsetzung dieser Leitprinzipien als prioritär ansehe. Was halten Sie davon ? Das ist die Position vieler OECD-Staaten, namentlich auch der EU. Positiv ist, dass die Schweiz die Türen offen lässt und keine aggressive Haltung vertritt. Für uns sind die Uno-Leitprinzipien ein wichtiger Schritt in dieser Geschichte, die in den von uns vorgelegten Elementen eines Vertrags auch in transversaler Weise einfliessen. Die Leitprinzipien dürfen aber nicht als Vorwand gebraucht werden, um ein rechtlich bindendes Instrument zu verhindern. Es könnte dann proble-

matisch werden, wenn gewisse Länder – für die der Respekt ihrer Unternehmen vor den Menschenrechten wichtig ist – sich hinter der Freiwilligkeit von Massnahmen verschanzen, um die Debatte aufzuhalten. Frankreich hat im Februar 2017 ein Gesetz zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht für Unternehmen be-  ­schlossen, in der Schweiz soll via Volksinitiative eine solche eingeführt werden. Welche Rolle spielt diese Entwicklung bei Ihrer Arbeit für einen Uno-Vertrag ? Sie sind eine Inspiration ! Das französische Gesetz ist ein Schritt von Freiwilligkeit in Richtung Verbindlichkeit. Es ist wichtig, dass die Schweiz und andere Länder ähnliche Gesetzgebungen an die Hand nehmen. Das zentrale Element dabei ist die Verpflichtung auf eine Sorgfaltsprüfung, die sich über die gesamte Wertschöpfungskette erstreckt. Dabei ist die Frage des Gerichtsstands bei Verletzung der Sorgfalt entscheidend. Es kann nicht sein, dass ein multinationales Unternehmen in einem Land gravierende Schäden anrichtet und sich dann aus dem Staub macht, so wie wir es in Ecuador und anderen Ländern erlebt haben. Wir haben im Fall Chevron/Texaco gesehen, dass es quasi unmöglich war, den Konzern in den USA vor Gericht zu bringen. Es muss möglich werden, fehlbare Konzerne dort anzuklagen, wo sie ihren Hauptsitz haben.

Eine ungewöhnliche Karriere Guillaume Long ( 40 ), Sohn einer Französin und eines Briten, kam 1996 nach Ecuador. Dort lehrte er als Professor für Geschichte und Internationale Beziehungen, ehe er in der Regierung von Präsident Rafael Correa verschiedene Minister­ posten, zuletzt den des Aussen­ ministers, besetzte. In dieser Funktion leitete er auch die G-77, den losen Zusammenschluss sich entwickelnder Staaten. Heute leitet er die Uno-Mission Ecuadors in Genf.

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Foto : © B eawiharta /  Reuters

E-Commerce wird auch in Schwellen- und E­ ntwicklungsländern immer wichtiger. Bild : Im Hauptquartier von Mataharimall.com in Jakarta, Indonesien.

WTO-Ministerkonferenz in Buenos Aires

Arbeiten am digitalen Graben Isolda Agazzi

Auf leisen Sohlen – aber mit Riesenschritten – kommt

die Liberalisierung des grenzenlosen digitalen Handels. Nach ­offizieller Lesart geht es vorerst nur um harmlose technische Fragen. Doch die USA und ihre IT-Giganten stellen jetzt die ­Weichen zu ihren Gunsten.

Es ist das heisseste Eisen der 11. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation ( WTO ), die vom 10. bis 13. Dezember in ­Buenos Aires stattfindet : die Entfesselung des sogenannten ­E-Commerce. Seit anderthalb Jahren arbeiten namentlich die USA, die EU und Japan in sogenannten «Non Papers» daran. Es ist die Fortsetzung dessen, was die auf Eis gelegten Abkommen TISA, TPP und TTIP 1 hätten bringen sollen : die Sicherung der handelspolitischen Dominanz der Industrieländer im digitalen Zeitalter. 1 das plurilaterale Dienstleistungsabkommen ( Trade in Services Agreement ) , die transpazifische Partnerschaft ( Trans-Pacific Partnership ) und das Transatlantische Freihandelsabkommen ( Transatlantic Trade and Investment Partnership )

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Indien, die Gruppe afrikanischer Staaten und die am wenigsten entwickelten Länder ( LDC ) verweigern bis jetzt jede Verhandlung zu diesem Thema, zumal der Doha-Zyklus immer noch nicht abgeschlossen werden konnte. Zur Erinnerung : Dort geht es darum, die internationalen Handelsregeln zugunsten der Länder des Südens gerechter auszugestalten. Und die Schweiz ? Sie ist bereit, über den E-Commerce zu reden. Im WTO-Jargon heisst das, sie ist bereit, darüber zu verhandeln. Vor der Konferenz liegen die Positionen der Staaten weit auseinander : Die einen wollen über die Regulierung des elek­ tronischen Handels reden, andere wollen nichts davon hören. Ein Kompromiss könnte ein von allen getragener Aufruf mit folgenden Inhalten sein :


• Der elektronische Handel soll erleichtert werden ; • der E-Commerce soll mit einem Abkommen zu ­Handelserleichterungen gefördert werden ; • es braucht eine gemeinsame Haltung im Umgang mit elektronischen Unterschriften ; • es braucht mehr Transparenz bei der Authentifizierung von Verträgen ; • Entwicklung und Zusammenarbeit sollen ­gefördert ­werden. Ein «Nicht-Papier» mit Zündstoff Das «Non Paper» der USA ist zwar nicht Gegenstand der Verhandlungen, aber es spricht Bände. Sein Ziel ist, die bereits dominierende Rolle der US-Techgiganten ( Amazon, Apple, Google, Facebook, Microsoft etc. ) weiter auszubauen. Es sieht namentlich vor, • dass auf deren digitalen Produkten ( Musik, Videos, Games und Software ) keine Zölle mehr erhoben werden dürfen ; • dass der grenzüberschreitende Datenverkehr erlaubt werden und die Verpflichtung aufgehoben werden soll, dass Staaten ihre Daten innerhalb ihrer Grenzen ­verwalten müssen. Daten gehören heute zu den wichtigsten Reichtümern der Staaten und werden nicht umsonst als «Rohstoff der digitalen Ökonomie» bezeichnet, denn die Kontrolle von Daten ist eine wichtige Einkommensquelle für jene, die sie sammeln und auswerten. Die Silicon-Valley-Konzerne wollen – ohne dafür zu bezahlen – den weitgehenden Zugriff auf sensible persönliche Daten wie solche zur Gesundheit oder zu finanziellen Verhältnissen. Ginge es nach ihnen, so dürften auch Informationen zur nationalen Sicherheit, militärische und Geheimdienstinformationen ohne Einschränkung grenzüberschreitend verschoben werden. Klar, dass dies unvereinbar ist mit nationaler Souveränität und Sicherheit und dass der Schutz der Privatsphäre damit weiter ausgehöhlt würde. Business Europe, die Lobby der europäischen Industrie, ist sich dessen bewusst. In einem Brief an die Europäische Kommission vom 30. Oktober 2017 werden die US-Ansinnen im Hinblick auf die Ministerkonferenz in Buenos Aires unterstützt. Bedauert wird dagegen, dass es in diesen Fragen keine einheitliche Position innerhalb der EU gebe. Das habe auch zum Scheitern der TISA-Verhandlungen im Dezember 2016 geführt. Nationale Niederlassungen ... Was würde es bedeuten, wenn die Verpflichtung aufgehoben würde, dass transnationale IT-Firmen in den Staaten, deren Daten sie verwalten, eine Niederlassung betreiben müssen ? Wie sollen dann ihre Dienstleistungen reglementiert und besteuert werden ? Im Streitfall müssten Staaten ihr Recht wohl vor einem US-Gericht oder im Land des EU-Sitzes erkämpfen, wo ihre Daten verarbeitet werden. Die nationalen Institutionen hätten das Nachsehen, und die Konfliktlösung wäre ebenso langwierig wie kostspielig. Wie der internationale Gewerkschaftsdachverband Uni Global Union richtig feststellt, könnte es dabei auch zu Lohndumping kommen, wie es die EU mit «entsandten Arbeitnehmern» erlebt hat : Bezahlt werden nur noch die Löhne, die im Herkunftsland des Providers üblich sind, nationale Arbeits-

gesetze würden ausgehebelt. Der «Uberisierung» und Prekarisierung des Arbeitsmarkts würde weiter Vorschub geleistet : Nationale Firmen würden durch den Druck der IT-Giganten gezwungen, ihre Kosten bzw. die Löhne zu senken. National produzierte Medieninhalte von TV, Radio und Filmwirtschaft gerieten weiter unter Druck.  ... und weitere Forderungen Um den digitalen Graben nicht noch weiter anwachsen zu lassen, verlangen heute viele Staaten, dass ausländische Technologie-Investitionen an die Auflage gebunden bleiben, beim Aufbau nationaler Industrien zu helfen; etwa indem Ersatzteile lokal eingekauft werden müssen. Diese Regelungen sollen jetzt aufgehoben werden, selbst für die ärmsten Länder, die LDC. Die kommerziellen Erfolgsfaktoren der IT-Giganten sind in den sogenannten Quellcodes eingeschrieben. Bis jetzt waren die IT-Konzerne verpflichtet, diese den nationalen Regulationsbehörden mitzuteilen. Würde dies – wie im «Non Paper» skizziert – wegfallen, wäre das ein massiver Ausbau des Schutzes des geistigen Eigentums. Dieser ginge primär zulasten der LDC, würde aber für alle WTO-Mitgliedsländer Probleme in ­Bezug auf die nationale Sicherheit, den Schutz der Privatsphäre und den Technologietransfer mit sich bringen. Multinationalen Unternehmen soll das Recht eingeräumt werden, jedes Gesetzesprojekt und jede nationale Reglementierung vorgängig zu kommentieren. Begründet wird dies mit «Transparenz», damit es zu keinen Kohärenzproblemen in Sachen Regulierung käme. Ein zumindest sehr fragwürdiges ­Verständnis von Transparenz.

Cyber-Kolonialismus «Viele afrikanische Staaten haben weder Datenschutzgesetze noch solche über den elektronischen Handel oder zur Cyber-Kriminalität. Die Folgen davon sind verhängnisvoll, denn der ­digitale Graben wird gleichzeitig tiefer und selbstverständlicher. Die digitale Souveränität Afrikas ist bedroht, denn die Welt funktioniert heute datenbasiert, die afrikanischen Länder aber haben keine Cloud, verwalten keine Datencenter. Wir haben zwar viele kleine und mittlere Unternehmen in Afrika angesiedelt, aber viele arbeiten für solche aus dem Norden. In Sachen ­Datenschutz gibt es in Afrika überhaupt keine Regeln. Viele Staaten werden für eine Cyber-Kolonisierung ausgespäht. Wer heute keine Souveränität über die Daten hat, der erinnert stark an die Zeit vor einigen Jahrhunderten, als Afrika in die Hand von Sklavenhaltern fiel !» Abdullah Cissé, Rechtsprofessor und Mitglied der sene­ galesischen Anwaltskammer am Rand einer UNCTADVeranstaltung in Genf.

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Überzogene Erwartungen an die Armutsbekämpfung

Wo die Missverständnisse wuchern Eva Schmassmann

Entwicklungszusammenarbeit soll Migration verhin-

dern und Terrorismus vorbeugen. Das ist zu kurz gedacht. Eine

Foto : © C hristian Bobst

überfällige Klarstellung der Grenzen und Möglichkeiten von EZA.

Ein spielerischer Moment am Rand eines vom Heks mit Unterstützung der Deza d ­ urchgeführten Projekts im Südsudan.

Die gängigste Kritik an der Entwicklungszusammenarbeit ( EZA ) – geteilt auch von Wirtschafts-Nobelpreisträger Angus Deaton – ist nicht nur an Stammtischen, sondern auch im Parlament zu hören : Entwicklungszusammenarbeit nehme Regierungen aus der Pflicht, selbst für anständige Bildungs- und ­Gesundheitssysteme zu sorgen. Fakt ist aber, dass diese Kritik auf die Schweizer EZA in keiner Weise zutrifft. Denn die Schweiz leistet nur in Ausnahmefällen Budgethilfen an Regierungen in Entwicklungsländern. Und das ist gut so. In den Projekten der bilateralen EZA liegt der Fokus auf der Stärkung der Zivilgesellschaft. In Armut und ungerechten Verhältnissen lebende Menschen sollen in die Lage versetzt wer-

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den, von ihren Regierungen die Erfüllung staatlicher Aufgaben einzufordern. Statt Regierungen aus ihrer Verantwortung zu entlassen, geschieht damit das Gegenteil : Sie sollen einer verstärkten Kontrolle durch die eigene Bevölkerung ausgesetzt werden. Prioritäten statt Universalität Ein Vorwurf an die Schweizer Entwicklungspolitik, den auch der Entwicklungsausschuss der OECD in einer Peer Review 2013 geäussert hat, ist die breite Präsenz der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit ( Deza ) in ( zu ) vielen Ländern. Bundesrat Didier Burkhalter hielt dem sein Credo einer «Universa-


lität» der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit entgegen. Aus Sicht von Alliance Sud steigt das Risiko, dass Entwicklungs­ arbeit zu diplomatischen Zwecken missbraucht wird, je mehr sich ein Land in verschiedenen Aktivitäten geografisch verzettelt. Auch würde eine Konzentration der Mittel auf weniger Länder die Deza als Akteurin in den jeweiligen Ländern stärken und deren Effizienz erhöhen. Diese verstärkte Konzentration müsste sich konsequent am Grundauftrag der Schweizer EZA ( siehe Kasten ) ausrichten. Das heisst, sie soll sich auf die armen und ärmsten Länder fokussieren und aus Ländern mit mittleren Einkommen zurückziehen. Weiter sollte gefragt werden, wie viele andere Geberländer bereits in einem Kontext aktiv sind; denn die Schweiz sollte als Akteurin unter den grössten Gebern sein und damit grösseres politisches Gewicht haben. Ganz wichtig ist auch, ob ein Kontext überhaupt Entwicklungsfortschritte und eine Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft erlaubt. Autoritäre Re­ gimes wie Eritrea lassen diesbezüglich kaum Spielraum offen. Ist dieser zu klein, so muss die Schweiz von einem Engagement absehen. Prävention : günstiger als Krisenhilfe Von den Sparrunden im Parlament der letzten Jahre blieb die humanitäre Hilfe mehrheitlich verschont. Im Falle von plötz­ lichen Krisen, seien dies ein Tsunami oder ein Erdbeben, ist die Not sichtbar auf allen Kanälen; dementsprechend gross ist die Solidarität. Langfristig angelegte EZA ist vordergründig unspektakulär, sie muss darum im Parlament und der Öffentlichkeit mehr Überzeugungsarbeit leisten; dies, obwohl deren präventiver Nutzen unbestritten ist : Die Stärkung der Gesundheitsversorgung in Entwicklungsländern kann dem Ausbruch von Pandemien wirksam vorbeugen und damit neben menschlichem Leid auch finanzielle Folgekosten verhindern. Die Ernährungssicherheit etwa von Säuglingen zu gewährleisten, kostet viel weniger, als später die Folgen von Mangelernährung zu be­ handeln. Seit einiger Zeit soll EZA auch das Entstehen von gewalt­ tätigem Extremismus verhindern. Klar ist, dass die EZA mit ­ihrem Einsatz für eine gerechtere Verteilung von Ressourcen, funktionierende Institutionen, politische Teilhabe und Rechtsstaatlichkeit dazu tatsächlich einen Beitrag leistet. Ein Garant für die Verhinderung von Gewaltausbrüchen kann sie aber nicht sein ( siehe auch Global+ Nr. 66 : «Was leistet Gewalt­ prävention ?» ). EZA als Flucht( ursachen )bekämpfung ? Seit 2016 schreibt das Parlament der Schweizer EZA zudem eine Ausrichtung an den migrationspolitischen Interessen der Schweiz vor. Im Vordergrund steht dabei für gewisse Parteien die Absicht, die Fluchtbewegungen nach Europa und der Schweiz zu stoppen. Zu Ende gedacht, heisst das nichts anderes, als dass EZA nicht die Fluchtursachen bekämpfen soll, ­sondern die Flucht an sich. Aus Sicht von Alliance Sud ein problematischer Ansatz. Denn EZA zur Migrationsverhinderung müsste sich entsprechend der Entwicklung von Krisen und ­Katastrophen alle paar Jahre neu ausrichten. Langfristige ­Projekte könnten nicht mehr durchgeführt werden. Sicher kann EZA dazu beitragen, Fluchtursachen zu mindern, indem sie Perspektiven vor Ort bietet, indem sie sich für

Entwicklungszusammenarbeit in Verfassung und Gesetz Der Grundauftrag der Entwicklungszusammenarbeit leitet sich aus der Bundesverfassung ab. Diese erteilt dem Bund den klaren Auftrag, «zur Linderung von Not und Armut in der Welt, zur Achtung der Menschenrechte und zur Förderung der Demokratie, zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker sowie zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrund­ lagen» beizutragen. Das Bundesgesetz über die internationale Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe präzisiert weiter, dass die Ausgestaltung der Entwicklungszusammenarbeit «die Verhältnisse der Part­ nerländer und die Bedürfnisse der Bevölkerung, für die sie bestimmt sind», berücksichtigen muss. Sie soll ausserdem in erster Linie die ärmeren Ent­wicklungsländer, Regionen und Bevölkerungsgruppen unterstützen.

Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzt und damit die Handlungsspielräume der Zivilgesellschaft vor Ort vergrössert. Sie kann jedoch keine Garantie bieten, dass es nicht weiterhin zu Flucht und Migration kommt. Die Gründe für Flucht und Migration sind vielfältig. Neben richtiger Entwicklungszusammenarbeit trägt vor allem die Ausgestaltung der Steuer-, Handels- oder Klimapolitik der Industrienationen zu nachhaltiger Entwicklung bei. Konkret sind folgende Massnahmen zu ergreifen : • Die Unterbindung unlauterer Finanzflüsse. Das ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass Entwicklungsländern genug eigene Ressourcen zur Verfügung stehen, um ­ihren Bevölkerungen die erwarteten Basisdienstleistungen zu erbringen. • Die Reduzierung von Landwirtschaftssubventionen im Rahmen gerechter Handelsverträge, die den Zugang zu den Märkten der Industrieländer ermöglichen und entstehende Märkte in Entwicklungsländern schützen. • Wirksame Massnahmen gegen den Klimawandel und die Entwicklungsländer finanziell unterstützen, sich an dessen Folgen anzupassen. Erst wenn diese Politikfelder koordiniert und aufeinander abgestimmt sind, kann man von Politikkohärenz sprechen. Davon sind wir heute weit entfernt.

Der diesem Heft beigelegte Faltprospekt fokussiert auf Projekte von Nichtregierungsorganisationen ( NGOs ) in der EZA. Oft werden staatliche Entwicklungsprojekte von NGOs im Auftrag der Deza ­ausgeführt. Über diese Zusammenarbeit auf Projektebene hinaus braucht es eine Diskussion, inwiefern sich die staatliche und ­NGO-Entwicklungszusammenarbeit gegenseitig unterstützen und ihre je komplementären Rollen am besten ausfüllen. Zum Nutzen der ärmsten und verletzlichsten Menschen in den Entwicklungsländern.

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Alliance Sud sprach mit Saleemul Huq, Klima- und Entwicklungsforscher

Das arme Bangladesch geht voran Jürg Staudenmann

Der arme und bereits heute von einschneidenden

Klimaveränderungen gezeichnete Staat kann und will nicht auf überfällige Klimazahlungen aus dem Norden warten. Bangladesch stand bereits früh vor der Herausforderung, Land und Leute vor ­Klimaveränderungen zu schützen. Ein umfassender Climate Change Strategy and Action Plan ( CCSAP ) gab 2009 sechs strategische Richtungen für dringlichste Klimaanpassungsinterventionen und zur eigenen Emissionsreduktion vor. Zur Umsetzung des Aktionsplans sah sich die Regierung mangels inter­ nationaler Gelder gezwungen, einen Staatsfonds einzurichten. So ­finanziert die eigene Bevölkerung Bangladeschs seit Jahren dringende Klimaschutzmassnahmen – wie zum Beispiel die Erhöhung der Deiche um Dhaka aus den Sechzigerjahren – mit jährlich 100 Millionen US-Dollar selber. Währenddessen spielen die Indus­ trieländer noch immer auf Zeit. Gemäss Pariser Abkommen müssten sie die globalen Kosten mit Klimafinanzierungsbeiträgen bis mindestens 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr decken. Alliance Sud : Wieso finanziert ­Bangladesch – eines der ärmsten Länder der Welt – seine Klima­ anpassungsmassnahmen seit 2009 aus dem ­eigenen Staatshaushalt ? Saleemul Huq : Es standen damals noch keine grossen Klimafinanzierungsinstru­ mente zur Verfügung. Wir wussten : Wir brauchen die internationalen Fonds, aber wir werden nicht auf sie warten. Bangladesch hatte angesichts der fortschreitenden Klimaveränderungen ja auch nicht die Zeit dazu ... Genau. Die Philosophie war : Wir machen vorwärts, während wir die For­ derung nach Unterstützung aufrecht­ erhalten. Das eigene Geld wurde im

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Climate Change Trust Fund gesammelt. Hinzu kamen später bilaterale Beiträge von Geberländern wie Dänemark, Grossbritannien, den USA, Australien oder der EU im Climate Change Resilience Fund. So kamen bis heute rund 700 Millionen US-Dollar im eigenen plus etwa 300 Millionen US-Dollar im Geber-Fund zusammen. Beide Fonds finanzierten aber dieselben Massnahmen des Aktionsplans. Jetzt endlich ist auch der Green Climate Fund ( GCF ) bereit, und Bang­ ladeschs relevante zwei Institutionen sind akkreditiert; wir haben einen ersten Antrag eingereicht. Bangladesch hat in Bonn den Bangla Desh Climate Finance Transparency Mechanism lanciert, der Staats- und Geber-Ressourcen kombiniert. Wieso ? Neu ist die Zivilgesellschaft involviert im Monitoring der Aktivitäten. Damit sorgen wir für mehr Transparenz und einen besseren Nutzen der eingesetzten Klimafinanzierungsgelder. Die Idee ist aber nicht eine erhöhte Rechenschaft gegenüber den Geberländern, sondern gegenüber der eigenen Bevölkerung – wir nennen das Downward Accountability. Lässt sich dieses Modell auf andere L­ änder übertragen ? Das hoffe ich, ja ! Alle 48 im Climate ­Vulnerable Forum zusammengeschlos­ senen Länder ( Bangladesch ist einer der Gründer ) haben beschlossen, auf 100 Prozent Erneuerbare umzusteigen – und zwar ohne Wenn und Aber; also nicht «falls ihr uns Geld oder Technologie gebt». Das ist unser Versprechen, unsere Aspiration ! Und wir wollen, dass die anderen uns folgen. Die verwundbarsten Länder übernehmen hier moralische Leadership, ma-

chen ernst mit der Transition. Wir wollen diesen Weg gehen, weil es der einzige Weg in die Zukunft ist !

Wie sehen Sie den Zusammenhang ­zwischen Entwicklung und K ­ limaschutz ? Die Entwicklungsländer haben über ­Jahre gekämpft für neue, zusätzliche ­Finanzmittel für Klimaschutz- und Anpassungsmassnahmen über die versprochenen öffentlichen Entwicklungsgelder ( APD ) hinaus. Nach meiner Einschätzung haben wir diesen Kampf verloren. Jedes Geberland hat seine eigene Interpretation von Klimafinanzierung und vermischt die Gelder. Das heisst, Sie unterscheiden nicht mehr zwischen Entwicklungsund Klimafinanzierung ? Ich habe hier eine vielleicht etwas radikalere Position als andere : Man hat zwar 0,7 Prozent ( des Nationaleinkommens Lichtinstallation von Greenpeace-Aktivisten zum Auftakt der COP 23 am mit ­Braunkohle betriebenen RWE-Kraftwerk in Grevenbroich, Deutschland.


js.  Die

Schweiz und Bangladesch wären sich

im Grundsatz einig : Bei der Umsetzung

des Pariser Klima­übereinkommens fehlt es an Ambition und Verantwortungs­

der reichen Länder als Entwicklungs­ gelder ) versprochen, aber niemand hält sich daran. Auch wählt ihr Geber die Länder, die Schwerpunkte, wie es euch gefällt. Aber das ist o.k. Solange es um freiwillige Beiträge geht, ist das legitim; wir können dafür niemanden zur Rechenschaft ziehen. Klimafinanzierung hingegen ist Teil eines internationalen Vertrags: der Klima-Rahmenkonvention und des Pariser Klimaübereinkommens. Es geht um eine Zahlung nach dem Verursacherprinzip, nicht um Charity. APD ist Wohltätigkeit, Klimafinanzierung dagegen ist eine vertragliche Verpflichtung. Wenn also die Deza nach Bangladesch kommt, dann ist die Schweiz eine Wohltäterin. Wenn die Schweiz aber an den Klimaverhandlungen teilnimmt, dann ziehen wir sie als Vertragspart­ nerin zur Rechenschaft, weil sie einen Schaden mitverursacht hat.

bewusstsein. Doch schuld daran sind ­immer die anderen.

Foto : © S ascha Steinbach /  E PA /  Keystone

Foto : © z Vg

Alle haben die ­Ver­zögerungstaktik satt

Saleem Huq ist Direktor des Interna­ tional Centre for Climate Change and Development ( ICCCAD ) in Dhaka, Bangladesch, sowie Senior Fellow am International Institute for En­viron­ ment and Development ( iied ) in ­London. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Klimawandel und nachhaltige Entwicklung aus der Perspektive der ärmsten   Länder in Afrika und Südasien.

Bundespräsidentin Doris Leuthard nahm in ihrer Rede an die versammelte Weltgemeinschaft kein Blatt vor den Mund : Wir bräuchten «weltweite Verbindlichkeit und Transparenz». Die «Zeit der Diskussionen» sei vorüber, und es müssten jetzt endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden. Schon im Vorfeld der von Fidschi präsidierten 23. Klimakonferenz in Bonn hatte die Schweizer Delegation diese als «technische COP» bezeichnet. Es gehe schlicht darum, das ­Regelwerk zum Pariser Klimaübereinkommen vorzubereiten. Entsprechend rational und nüchtern waren die Erwartungen, gerade so, als wären die Staaten klimapolitisch seit Paris auf derselben Wellenlänge. Signale von Staaten, die zunehmend von Klimaveränderungen betroffen sind, wurden ignoriert. Die Schweiz und andere westliche Länder reagierten denn auch gereizt, als bereits am ersten Tag der Konferenz poli­ tische Forderungen auf dem Tisch lagen. Diese verlangten, nicht nur die Emissionsminderung nach 2020, sondern auch die schleppende Unterstützung der Entwicklungsländer im Kampf gegen die Klimaveränderung zu thematisieren. Die ­Inselstaaten wollten Fragen von loss and damage gleichbe­ rechtigt in der Verhandlungsagenda festschreiben; also die finan­zielle Unterstützung bei Klimaschäden und drohenden terri­torialen Verlusten. Industrieländer, darunter die Schweiz, bezichtigten gewisse Entwicklungsländer gar der «Sabotage» der Verhandlungen und warfen diesen vor, dass sie das Pariser Klimaübereinkommen «uminterpretieren» wollten. Dabei seien die Entwicklungsländer nicht bereit, sich selber ambitionierte Klimaziele zu stecken. Sie wollten immer mehr Geld und Zugeständnisse, obschon Adaptationspläne fehlten und die Länder bereits vorhandene Klimafinanzierung nicht einzusetzen wüssten. Dass das so nicht stimmt und wie ein unmittelbar vom Klimawandel betroffenes Land wie Bangladesch die Lage sieht, zeigt das nebenstehende Interview. Auch die 47 anderen Entwicklungsländer des Climate Vulnerable Forum ( CVF ) warten noch immer auf die ihnen vertraglich zustehende Unterstützung durch die Hauptverantwortlichen des Klimawandels. In gewisser Weise können darum die CVF-Mitglieder der Analyse der Bundespräsidentin zustimmen : Trotz historischem Durchbruch in Paris behindern noch immer Eigeninteressen und Taktik die Klimadebatte. Und immer noch fehlt es an Ambition und Verantwortungsbewusstsein. Nur dass die Menschen im globalen Süden dies im Gegensatz zu uns zunehmend an Leib und Leben zu spüren bekommen.

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Umsetzung der Agenda 2030 in der und durch die Schweiz

Zeit für Nägel mit Köpfen ! Eva Schmassmann

Mitte 2018 wird die

Schweiz der Uno in New York berichten, wie weit sie mit der Umsetzung der Agenda 2030 ist. Zwar soll es eine ­Gesamtschau geben, doch die dringend ­notwendige politische Debatte dazu steht noch aus. Die Schweiz legte der Uno bereits 2016 einen ersten Bericht zur Umsetzung der Agenda 2030 vor; sechs Monate nach Inkrafttreten der neuen Agenda enthielt er verständlicherweise noch keine konkreten Resultate. Lobenswert darum, dass der Bundesrat im Sommer 2018 am jährlich stattfindenden, neuntägigen Hochrangigen Politischen Forum ( H LPF ) für nachhaltige Entwicklung im Rahmen der Uno-Generalversammlung einen Fortschrittsbericht präsentieren will. 44 Länder, darunter die Schweiz, haben sich freiwillig dafür gemeldet; mehr Staaten könnten aus Zeitgründen gar nicht berücksichtigt werden. Der Bundesrat will in seinem Bericht auch die Sicht der schweizerischen Zivilgesellschaft einfliessen lassen. Über die vergangenen Sommermonate konnten verschiedene Akteure aus den Bereichen Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt ihre Einschätzungen und Beiträge online übermitteln. Insbesondere Nichtregierungsorganisationen machten rege Gebrauch davon. Auch Alliance Sud beteiligte sich an der Konsultation. Als Sensibilisierungskampagne lohnte sich der Aufwand zweifellos, auch wenn der Begriff Konsultation in diesem Zusammenhang eher irreführend war. Immerhin : Alliance Sud konnte darlegen, ob die von der Verwaltung in einzelnen Politikfeldern gesteckten Ziele zu weit, genau richtig oder zu wenig weit gehen. Kohärenzfragen sowie die grössten Herausforderungen wurden ebenso abgefragt wie der eigene Beitrag an die 169 Unterziele der Ziele für nachhaltige Entwicklung ( engl. Sustainable Development Goals SDG ). Vor allem aber zwang dieses Vorgehen die verschiedenen Bundesämter, sich mit der

Die Alliance-Sud-Position Die Dreh- und Angelpunkte für die Umsetzung der Agenda 2030 in der Schweiz und durch die Schweiz sind : die Verbesserung der Politikkohärenz für nachhaltige Entwicklung und Respekt gegenüber dem politischen Spielraum ( policy space ) aller anderen Länder bei deren eigener Umsetzung der Agenda 2030.

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Agenda 2030 und ihren Zielen auseinanderzusetzen und bestehende Prozesse und Ziele in das globale Rahmenwerk einzuordnen. Eine politische Auseinandersetzung zur Frage, was eine konsequente Umsetzung der Agenda 2030 für die Schweiz bedeutet, wurde jedoch noch nicht geführt. Der Blick über die Grenzen darf sich nicht länger auf die Exportchancen der Wirtschaft beschränken. In den Bereichen Konsum, Produktion, aber auch bei den Menschenrechten hat unser Handeln auch Auswirkungen jenseits der Grenze. Dem gilt es mit einer breiten Diskussion und geeigneten Massnahmen Rechnung zu tragen. Verbesserte entwicklungspolitische Kohärenz Die im SDG-Unterziel 17.14 geforderte Politikkohärenz ist seit Jahren ein zentrales Anliegen von Alliance Sud. Darunter ist zu verstehen, dass Entwicklungszusammenarbeit nicht das alleinige Instrument zum Ermöglichen von Entwicklung sein kann. Vielmehr gilt es, auch andere Politikbereiche wie Handels-, Steuer-, Klima-, Landwirtschafts-, Migrations- oder Sicherheitspolitik in die Pflicht zu nehmen, um nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen. Denn die Ausgestaltung dieser Politikbereiche hat einen massgeblichen Einfluss auf die Entwicklungsmöglichkeiten der Länder des globalen Südens. Der Bundesrat begnügte sich bislang damit, die Kohärenz seiner Politik insgesamt zu verbessern – und übersah dabei, dass an entwicklungspolitischer Kohärenz kein Weg vorbei führt. Denn die Kohärenz muss in allen Bereichen im Sinne ­einer nachhaltigen globalen Entwicklung verbessert werden. Nur so werden neue Möglichkeiten zur Entwicklung geschaffen und Hindernisse zur Selbstbestimmung abgebaut. Spielräume der Länder respektieren Das zweite zentrale Ziel der Agenda 2030 ist der Schutz des sogenannten policy space der Entwicklungsländer. Deren eigener Handlungsspielraum wird heute immer noch durch Handelsund Investitionsschutzabkommen eingeengt. Entwicklungsländer müssen die Möglichkeit behalten, beispielsweise im Sinne von Umwelt- oder Gesundheitsschutz und Menschenrechten Gesetze zu erlassen, ohne das Risiko einer Milliardenklage vor einem internationalen Schiedsgericht einzugehen. Parallel dazu muss sich die Zivilgesellschaft in den jeweiligen Ländern frei entfalten können. Nur so ist sichergestellt, dass auch tatsächlich im Interesse einer Mehrheit der Bevölkerung regiert wird. Entsprechend müssen partizipative, transparente und demokratische Mitbestimmung gefördert werden. Rolle des Privatsektors klären Aus entwicklungspolitischer Sicht ist die Frage zentral, welchen Beitrag der Privatsektor zur Agenda 2030 leistet. Zwar wird von allen Seiten bekräftigt, dass sich die Agenda 2030 ohne die Privatwirtschaft nicht umsetzen lasse, darüber, wie deren Rolle und Beitrag konkret ausfallen muss, schweigt sich die Agenda 2030 praktisch aus.


Foto : © N yani Quarmyne /  Panos

Als Minimum gilt dabei die Einhaltung des « Do no harm»Prinzips. Es besagt, dass auch ein positiver Beitrag zu einem bestimmten Nachhaltigkeitsziel daraufhin überprüft werden muss, ob er nicht einen negativen Effekt auf andere Ziele hat. So kann beispielsweise die Produktion von Nahrungsmitteln ein Beitrag sein zu SDG 2 «den Hunger beenden». Wird für die landwirtschaftliche Nutzung jedoch Land enteignet und werden Monokulturen angelegt, so ist der Gesamtbeitrag negativ : Menschen haben keinen Zugang mehr zu Land, und die Biodiversität leidet. Finanzierung Bei der Finanzierung der Agenda 2030 steht die Schweiz dreifach in der Pflicht : Sie muss erstens beherzt Massnahmen gegen unlautere Finanzflüsse beschliessen. Zweitens wurde das Versprechen bekräftigt, 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung für die Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen. Und drittens bekräftigt das Rahmenwerk auch das Versprechen der Industrienationen, ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar für die internationale Klimafinanzierung zur Verfügung zu stellen. Diese Mittel sollten nicht aus den bestehenden Entwicklungsmitteln abgezweigt, sondern zusätzlich verfügbar gemacht werden. In allen Punkten ziert sich die Schweiz, die notwendigen Massnahmen zu ergreifen. Und dies, obwohl ­alternative Finanzierungsmodelle bereits erarbeitet worden sind und obwohl der Bundeshaushalt Jahr für Jahr mit Millionenüberschüssen schliesst.

Hochwertige Bildung ( SDG 4 ) soll zur Gleichstellung der ­Geschlechter beitragen und Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung ­befähigen ( SDG 5 ).  Bild : Aputiri Primary School in Tororo, Uganda.

Ein Feedback Loop : nationaler Strategieprozess und inter­ nationale Berichterstattung Auf der nationalen Ebene setzt der Bundesrat auf die sogenannte Strategie Nachhaltige Entwicklung ( SNE ), die jeweils für die vier Jahre einer Legislatur ( 2015– 2019 ) definiert wird. Alliance Sud hat die SNE bereits wiederholt als ungenügende Strategie zur Umsetzung der Agenda 2030 kritisiert, da sie stark national geprägt ist und Auswirkungen nationaler Politiken im Ausland nur ungenügend berücksichtigt. Auf internationaler Ebene sieht der Bundesrat vor, alle vier Jahre am High Level Political Forum der Uno einen neuen Bericht zur Agenda 2030 vorzulegen. Dieser Bericht soll jeweils in die Mitte einer laufenden Strategie Nachhaltige Entwicklung fallen. Die Erstellung des Berichts zuhanden des HLPF soll somit als Feedback für die Erarbeitung der folgenden SNE dienen können.

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Karussell — Peter Merz, bisher Leiter des Auslandbereichs beim Heks, ist dessen neuer Geschäftsleiter. Das Heks verlassen haben Heinz Werner Kreutzer, der als Delegierter Humanitäre Hilfe in Indien bzw. Kambodscha gearbeitet hat, sowie Ursula Borloz von den Human Resources. — Céline Kohlprath leitet neu die Abteilung Entwicklungspolitik und ­Medien bei Swissaid, sie ist auch Mitglied der Geschäftsleitung. Neu im Dossier ökologische Landwirtschaft arbeiten Judith Reusser und Christine Badertscher. Zora Schaad ist neu verantwortlich für Medienarbeit und Campaigning, Melanie Roth neu in der Online-Redaktion. Monika Sommer Dürst ersetzt Frank Haupt, der pensioniert wurde, als Programmbeauftragte Tansania. Im Büro Lausanne ist neu Anaelle Vallat für Website und Events zuständig. — Die neue Fundraiserin Institutionen und Grossspenden bei Brot für alle wird Yvonne Kremser, sie ersetzt Sylvia Garatti. — Hanspeter Bundi, Reporter und Texter bei Helvetas, geht in P ­ ension. Er wird ersetzt durch Rebecca Vermot, die zuletzt bei der SDA und für das entwicklungspolitische Magazin Welt-Sichten tätig war. Swan Fauveaud verlässt ihre Stelle als Landesdirektorin in Haiti. Ihre Stelle übernimmt Entela Sula, die zuvor für andere NGOs auf Hispa­ niola gearbeitet hat. — Neu in der Abteilung Katastrophenhilfe der Caritas arbeiten Richard Asbeck als Programmverantwortlicher Syrienkrise sowie als Programme Manager Markus Koth und Fred Wiesenbach. Der neue ­Landesdirektor Bolivien ist Richard Haep, neu in der Fachberatung B ­ ildung arbeitet Rob Van Hout. — Lea Breitner, früher Caritas, wird bei Terre des Hommes Schweiz Programmkoordinatorin für Tansania/Mosambik. Im Public Fundraising kommt Susanne Buri vom cfd für Dany Demuth. — Samuel Ledermann vom Biovision-Projektteam wechselt als Uni-Professor in die USA. Sein Nachfolger ist Stefan Diener, ETH-Biologe, der im Bereich Siedlungshygiene in Entwicklungsländern gearbeitet hat. Krankheitsbedingt kürzertreten muss Kommunikationsleiter ­David Fritz, neu ist für ihn Martin Grossenbacher an Bord, er leitete bisher die Kommunikations- und Marketingabteilung des SRK. — Drei Mitarbeitende der int. Zusammenarbeit haben das SRK verlassen : Martin Fuhrer ( Senior Projektleiter ), Dominique Hausammann ( Senior Assistenz ) sowie Jorge Pascual ( Finance Officer ). — Pierre Kistler, bisher bei der Deza Programmverantwortlicher in der Abteilung Institutionelle Partnerschaften, ist neu beim Globalprogramm Wasser tätig. Frank Bertelsbeck ist der neue interimistische Chef des Kobüs in Juba, Südsudan. Er löst Philippe Besson ab, der seit diesem Herbst Chef der Abteilung Multilaterales der Humanitären Hilfe in Bern ist. Bettina Etter, bisher für das Globalprogramm Migration und Entwicklung tätig, wechselt neu in die Schweizer Mission bei der Uno in New York. Ihre Stelle im Globalprogramm übernimmt Anne Savary, bisher in der Abteilung Südasien. Régis Nyffeler ersetzt Christina Stucky als Verantwortlicher für Kommunikationsmanagement im Direktionsstab der Deza. Kai Schaefer heisst der neue stv. Leiter des Stabs der Süd­zusammenarbeit. Er löst dort Nicole Merkt ab, die ins Seco gewechselt hat. Alain Dondainaz, bisher bei der strategischen Finanzplanung der Deza tätig, ersetzt Hans-Peter Wüthrich als Finanzverantwortlichen der Südzusammenarbeit.

Monbijoustrasse 29/31, 3011 Bern Öffnungszeiten : 13.30 – 17.30 h ( Mo – Fr ) dokumentation@alliancesud.ch, www.alliancesud.ch/dokumentation

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Lesezeichen

Wachstumsmarkt   fairer Handel Simone Decorvet  Fair

produzierte und gehandel-

te Produkte sind längst keine Nischen­

produkte mehr. Was einst mit Bananen und Kaffee begann, erstreckt sich heute auf

eine breite Produktpalette vor allem in den B ­ ereichen Nahrung und Bekleidung.

Doch auch die Kritik am Label Fairtrade nimmt zu.

Fairarscht – Wie Wirtschaft und Handel die Kunden für dumm verkaufen Die deutsche Unternehmerin Sina Trinkwalder beschreibt in «Fairarscht – Wie Wirtschaft und Handel die Kunden für dumm verkaufen», welche Herausforderungen der sogenannt faire Handel für bewusste Kon­ sumentInnen bedeutet. Sie tut das mit persönlichen Erfahrungen und schildert dabei einschlägige Abläufe und Prozesse. Für Trinkwalder ist klar : Bewusst zu ­konsumieren, ist für aufgeklärte VerbraucherInnen nicht einfacher geworden. Die Auswahl an Fairtrade-Produkten ist fast unerschöpflich, ebenso die Vielfalt an Zertifikaten und Gütesiegeln. Doch steckt überall faire Ware drin, wo faire Ware drauf steht ? Wer profitiert wirklich in diesem Business und wo steckt der Wurm drin ? Trinkwalder versucht mit ihrem Leitfaden, den KonsumentInnen nicht nur die Instrumente in die Hand zu geben, kritischer hinter Herkunft, Entstehung und Qualität von Produkten zu schauen – ihr liegt auch an der Aufdeckung der unfairen Aspekte des Fairtrade-Geschäftes. Denn Zertifizierungen für ökologischen Anbau, faire Produktions- und Handelsbedingungen geben dem Konsumenten ein gutes Gefühl, täuschen aber oft über die Realität hinweg.


Als Fallbeispiel dient die forcierte Überproduktion, die es den ProduzentInnen verunmöglicht, die Ware zu wirklich fairen Preisen zu verkaufen. Nicht selten landet ­Bioware sogar beim Discounter, ohne als solche gekennzeichnet zu sein. Thematisiert wird auch der in der fairen Produktion weit verbreitete Raubbau an Ressourcen, der mit der suggerierten Existenzsicherung einhergeht. Zurückzuführen sind diese Missstände auf den Wachstumszwang und das fehlgeleitete Kaufverhalten der Kundinnen und Kunden. Auch Lösungsansätze führt Trinkwalder an, diese fallen aber zuweilen etwas gar polemisch aus. «Fairarscht» wurde nach Erscheinen des Buchs dementsprechend kontrovers diskutiert und von Fairtrade Deutschland mit einer Stellungnahme kommentiert ( siehe unten ). Wer sich für Fairtrade interessiert und sich über unterschiedliche Perspektiven und Diskurse informieren möchte, kommt mit diesem Buch jedenfalls auf die Rechnung. Fairarscht : Wie Wirtschaft und Handel die ­Kunden für dumm verkaufen / Sina Trinkwalder. München : Knaur Verlag, 2016. 199 S. Ausleihbar bei Alliance Sud InfoDoc unter der Signatur : Ha/72

geholfen wird, ihre Produkte auf dem Fairtrade-Markt zu verkaufen. Aus Indien stellt er ein Pilotprojekt für komplett fair produzierte Textilien vor, das im gesamten süd­ asiatischen Raum beispielhaft wirken soll. In diesen Skizzen werden die Zusammenhänge zwischen Weltwirtschaft und globaler Politik aufgezeigt. Dohmen betrachtet Fairtrade jedoch nicht einseitig positiv, auch Widersprüche des ­Fairtrade-Systems werden sichtbar gemacht. Was in alternativen Läden und Verkaufskanälen begann, findet sich längst auch im konventionellen Supermarkt. Und der früher stark auf die kleinbäuerliche Landwirtschaft fokussierte faire Handel wagt den Sprung in industrielle Dimensionen. Der Autor erklärt, was fairen Handel konkret vom herkömmlichen Handel unterscheidet und zeigt seine Wirkung bei den Menschen vor Ort auf. Damit richtet sich «Das Prinzip Fairtrade» an ein Publikum, das sich sowohl für die Geschichte als auch die Zukunft des fairen Handels als Teil der globalen Ökonomie interessiert. Mit ausführlicher Literaturliste im Anhang. Das Prinzip Fairtrade : Vom Weltladen in den ­Supermarkt / Caspar Dohmen. Berlin : ­orange-press, 2017. 256 S. Ausleihbar bei Alliance Sud InfoDoc unter der Signatur : Ha/74

tergrundinformationen zur Schuhproduktion und zur Kampagne «Change your Shoes». Das Heft kostet EUR 4.50 ( zzgl. Versandspesen ). Bestellung via www.suedwind-magazin.at

«Fairer Handel –   Erfolgsmodell mit Schwächen» Die Zeitschrift «südlink – das Nord-Süd-­ Magazin von Inkota» – beleuchtet in seiner Ausgabe vom Dezember 2016 die Schwächen von Fairtrade. Das Erfolgsmodell eines fai­ren Handels hat sich in den letzten Jahren ver­ändert und steht vermehrt in der Kritik. Im Dossier werden unter anderem Themen wie Arbeitsbedingungen, Einkommen, Wachstum des fairen Handels und die Zusammenarbeit mit Discountern aufgegriffen. Nach der Lektüre stellt sich die Frage, was heute wirklich noch als fair bezeichnet werden kann. Das Heft kostet EUR 3.80 ( zzgl. Versandspesen ). Bestellung via www.inkota.de

Das Prinzip Fairtrade – Vom Weltladen   in den Supermarkt Fairtrade hat Erfolg. Warum dies so ist, beschreibt der Journalist Caspar Dohmen ( unter anderem Süddeutsche Zeitung ) in seinem Buch «Das Prinzip Fairtrade». Neben den aktuellen Herausforderungen und möglichen Entwicklungen wird auch die Geschichte des fairen Handels in der Schweiz seit Ende der 1960er-Jahre skizziert. Geschickt stellt Dohmen anhand von Beispielen und Einzelschicksalen die verschiedenen Bereiche des fairen Handels dar. So berichtet er von Mittelamerika, wo der faire Handel im Kaffeeanbau mit Kleinbauern begann, oder er schreibt über Kenia, wo BlumenarbeiterInnen auf Plantagen heute

Weiterführende Links

«Faires Schuhwerk :   Wer auf dem Weg leidet.» Um faires Schuhwerk geht es im Dossier des «Südwind-Magazins» vom Mai 2016. Schuhe werden meist in Niedriglohnländern mit tiefen sozialen und ökologischen Standards hergestellt. Neben Artikeln zur nachhaltigen Produktion von Schuhen und zu giftigen Gerbereien in Bangladesch haben die Autorinnen und Autoren bei Schuhproduzenten nachgefragt, was sie unter fairer Schuhproduktion verstehen. Darüber hinaus umfasst das Dossier Hin-

Statement von Fairtrade Deutschland zu Sina Trinkwalders Veröffentlichung «Fairarscht» ( April 2016 ) . Die Fair-Trade-Lüge ? ! – ­Informatives ­Kurz­video zur Fairtrade-Kritik. Labelinfo – Für den Durchblick im LabelDschungel : www.labelinfo.ch Fairtrade-Rezepte – Leckere ­Rezepte zum ­Nachkochen via www.maxhavelaar.ch Der Youtube-Kanal von Fairtrade ­Switzerland mit vielen informativen ­Kurzvideos. Weitere, laufend aktualisierte ­Informationen zu fairem ­ Handel gibt es auf der Website von Alliance Sud InfoDoc.

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Foto : © Tomas Wüthrich

Von Alliance Sud ins Bild gesetzt. Bild aus dem Alltag der letzten teilnomadischen Jäger und Sammler vom Stamm der Penan aus dem Dorf Long Tevenga im noch intakten Regenwald der Region Limbang auf der Insel Borneo im Bundesstaat Sarawak in Malaysia. Affen – wie diese zahmen Makaken – werden als beliebte Haustiere gehalten, welche die Reste der Mahlzeiten verzehren, aber auch vor Schlangen und fremden Besuchern warnen. Oft sind es Jungtiere erbeuteter Affen, die grossgezogen werden.

Zahlen und Fakten zur Digitalisierung Quellen: UNCTAD, The Economist

Tomas Wüthrich absolvierte den Lehrgang für Presse­fotografie am Medienaus­ bildungszentrum MAZ Luzern, war Pressefotograf bei der Berner Zeitung und arbeitet seit 2007 als selbstständiger Fotograf im Bereich Porträt und Reportagen. Die Dokumentation des Lebens der Penan ist ein Langzeitprojekt, an dem Wüthrich seit vier Jahren arbeitet. Er hat unter anderem in GEO, Das Magazin, NZZ am Sonntag, Die Zeit, Beobachter und Schweizer Familie veröffentlicht. www.tomaswuethrich.ch

25 000 000 000 000

60 Prozent

4 von 10

oder 25 Billionen US-­Dollar ­beträgt der weltweite Umsatz mit ­elektronischem Handel ( 2015 ).

der Weltbe­ völkerung haben ­keinen Zugang zum Internet.

Erwachsenen in Ostafrika bezahlen ihre Rechnungen für öffentliche Dienst­ leistungen per Mobiltelefon.

GLOBAL +   Postfach  |   3001 Bern  |   Telefon + 41 31 390 93 30 E-Mail : globalplus@alliancesud.ch  |   www.facebook.com/alliancesud

www.alliancesud.ch


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