Sensomotorisches Training

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Instinkt der Sieger In Gefahrensituationen haben Sie nichts mehr zu melden. Aus Selbstschutz schaltet Ihr Körper dann auf Autopilot, Reflexe und Instinkte gewinnen die Oberhand. Dieses System ist lernfähig – und birgt ein Potenzial, das Sie nutzen sollten. ጫጫHolger Lüning

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ronman Germany 2011: Das hatte sich Hans M. anders vorgestellt. Seine Langdistanz-Premiere sollte doch eigentlich bei bestem Sommerwetter stattfinden! Stattdessen ist es an diesem Sonntagmorgen kühl und regnerisch. Für das Schwimmen nicht unbedingt ein Nachteil, nur auf der Radstrecke könnte das schwierig werden, denkt er sich noch. Die 3,8 Kilometer im Wasser und der Wechsel laufen planmäßig, doch auf dem Rad spritzt Hans M. das Wasser von der nassen Fahrbahn ins Gesicht. Zügig fährt er in die erste ­Kurve. 1  triathlon

Und dann das: Das Vorderrad rutscht nur wenige Zentimeter aus der Ideallinie, Hans M. verdreht den Lenker, das Hinterrad setzt sich quer – ein Sturz scheint vorprogrammiert, das Rennen gelaufen. Aus der Traum vom Ironman-Finish, und das schon nach wenigen Metern! Doch in Sekundenbruchteilen korrigiert Hans M. seine Körperposition, intuitiv lenkt er gegen das ausbrechende Hinterrad, klickt gleichzeitig den rechten Schuh aus der Pedale und verhindert so mit einer akrobatischen Leistung den schon sicher

befürchteten Sturz. Vollgepumpt mit Adrenalin setzt Hans M. seine Fahrt fort. Erst beim Zieldurchlauf auf dem Römer erinnerte er sich wieder an diesen Zwischenfall. Fast wäre sein größter Traum geplatzt. Wie hatte er diesen Sturz nur so geistesgegenwärtig abwenden können? Erklären konnte er sich das nicht.

Rettungsprogramm aus dem Kopf

Tatsächlich finden diese und ähnliche Reaktionen nur unterbewusst statt. In Bruchteilen einer Sekunde werden nämlich im


Gehirn derart viele Informationen verarbeitet, dass man diesen Prozess gar nicht mehr wahrnehmen, geschweige denn steuern kann – und das ist auch gut so, denn bevor auch nur ein klarer Gedanke gefasst wäre, läge Hans M. längst auf dem Boden. Noch bevor er realisiert, wie ihm geschieht, schlägt sein Gleichgewichtsorgan im Ohr Alarm und meldet die plötzliche ungewollte Änderung der Körperlage blitzschnell an das Zentralnervensystem. Das Auge, das die visuelle Kontrolle hat, bestätigt die Information, Muskeln und Gelenke fügen ihrerseits Signale hinzu. Das Gehirn wird in diesen Millisekunden nur so befeuert mit Rückmeldungen aus den verschiedenen Körpersystemen. Ebenso schnell analysiert und bewertet es die Gesamtsituation, vergleicht den Istmit dem Sollzustand. Ohne dass auch nur ein Entscheidungsprozess in das Bewusstsein gelangt – dafür ist nun wirklich keine Zeit, wenn Hans M. vor einem Sturz in dieser rutschigen Kurve bewahrt werden soll– , wird im Gehirn ein „Rettungsprogramm“ entworfen, an die entscheidenden Stellen gesendet und von den verantwortlichen Muskeln ausgeführt. Solche „Dialoge“ zwischen den für die Motorik verantwortlichen Arealen im Gehirn und den Muskeln, sind lebensnotwendig. Denken Sie nur an die blitzschnellen Schutzreflexe, etwa das Wegziehen der Hand von einer heißen Herdplatte oder das Herumreißen des Lenkrads, um im Straßenverkehr einem anderen Fahrzeug auszuweichen! Ohne neuromuskuläre Prozesse, diese intelligente Vernetzung der körpereigenen

So geht’s Theoretisch lässt sich jede Triathlon-­ Trainingseinheit mit Übungen aufpeppen, die Sie aus dem gewohnten Trott bringen und das sensomotorische SysFotos: BMC, dreamstime.com/Aleksandr Markin

tems verbessern. Folgendes sollten Sie jedoch dabei beachten: Übungsanzahl: 8–12 Wiederholungen Belastungsdauer: 20–40 Sekunden Pause: 20–60 Sekunden Umfang pro Einheit: 2–5 Übungen Trainingshäufigkeit pro Woche: 2–3 x Abstand dazwischen: 24–48 Stunden

94/September 2011  www.tri-mag.de

Bringen Sie sich ins Rollen: Beim Inlineskating werden auch Ihre Laufmuskeln gefordert – aber auf eine ganze neue Art und Weise

Systeme, wären die Verletzungen nach solchen Situationen viel größer.

500 Wiederholungen

Was Ihnen im Extremfall das Leben retten kann, können Sie sich aber auch bewusst zunutze machen – etwa bei der Ausübung Ihres Sports. Denn die verschiedenen neuromuskulären Prozesse lassen sich trainieren und verbessern. Denken Sie zum Beispiel an das Erlernen neuer Bewegungsmuster. Im Schwimmen braucht man ungefähr 20 bis 50 Trainingsstunden, um ein neues Bewegungsmuster einzuspeichern und zu automatisieren. Wissenschaftler sprechen auch von rund 500 Wiederholungen, die nötig sind, um eine neue Bewegung zu verinnerlichen. Kein Wunder: Möchten Sie Ihre Lauftechnik vom Fersen- auf den Mittelfußaufsatz umstellen, betreffen die nötigen Veränderungen die gesamte Koordination – vom Fuß mit seinen zahlreichen Muskeln bis hin zur Kopfhaltung. Das sensorische System erhält seine Informationen aus den Rezeptoren der einzelnen Körpersysteme. Sie befinden sich beispielsweise in der Haut, in Organen, Gelenken oder Muskeln und senden permanent Informationen über ihren Zustand an das zentrale Nervensystem. Die ­Sensibilität dieser Rezeptoren aber auch die Qualität der Antwort in Form eines passenden Bewegungsmusters können Sie trainieren. Welches Potenzial in Ihnen schlummert, zeigt ein einfacher Versuch: Schreiben Sie einige Sätze mit der „falschen“ Hand auf einen Zettel. Sie werden merken, dass Ihre

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training Sensomotorisches Training für Triathleten Schwimmen Ü Schwimmen mit Paddles oder Flossen (Variante: Benutzen Sie nur ein Paddle bzw. eine Flosse, danach die Seite wechseln!) Ü Freiwasserschwimmen Ü Übungen „Hundepaddeln“ und „Sculling“ Ü Schwimmen mit Faust oder weit gespreizten Fingern Ü Schwimmen gegen erhöhten ­W iderstand (durch Widerstandshose oder ein weites Shirt)

­ chriftqualität schon nach wenigen VersuS chen besser wird – die Rückmeldungen der Rezeptoren an Ihr Gehirn werden mit der Zeit effektiver. Und was beim Schreiben funktioniert, klappt auch im Sport! Dafür müssen Sie natürlich nicht ständig rückwärts schwimmen oder laufen. Vielmehr geht es darum, die Bewegungsausführung in der ­jeweiligen Disziplin durch spezielles Training der sensomotorischen Systeme zu optimieren. Der deutsche Wissenschaftler Peter Stehle konnte nachweisen, dass der Einsatz sensomotorischer Trainingsmethoden die Laufökonomie deutlich verbessert. Im Schwimmen zielen solche Trainingsmaßnahmen vor allem auf die Verbesserung des Wassergefühls und der Wasserlage ab, beim Radfahren stehen die Körperposition und die Fahrtechnik sowie ein effektiver Tritt im Vordergrund.

Energie für das Wesentliche

Wenn ein Ausdauersportler erfolgreich ist, liegt das meist daran, dass er sich besonders ökonomisch fortbewegt und dabei möglichst viel Vortrieb zu erzielt. Dazu muss das zentrale Nervensystem die mehr als 600 Muskeln des Körpers koordinativ so aufeinander abstimmen, dass nur die wirklich wichtigen an einer Bewegung beteiligt werden, und nicht etwa solche Muskeln, die eher stabilisierende Aufgaben haben. Je besser Sie eine Bewegung beherrschen, desto feiner wird Ihr Bewegungsempfinden. Und wenn Sie Ihrem Körper dadurch überflüssige Muskelarbeit ersparen, bleibt Ihnen mehr Energie für das eigentliche Ziel, den Vortrieb. Die hochkomplexe Abstimmung der Muskeln wird als intermuskuläre Koordination bezeichnet. Wird sie ökonomoscher, 3  triathlon

zeigt sich das schnell in ersten Leistungsverbesserungen, ganz gleich in welcher Sportart. Eine gute Koordination ist also wichtig für die Gesamtleistung. Positiver Nebeneffekt: Das Verletzungsrisiko sinkt deutlich. In einer deutschen Studie an Fußballern konnte die Anzahl der Kreuzbandverletzungen von zwölf in der Vorsaison auf null reduziert werden, nachdem sensomotorische Übungen in das Training eingebaut wurden.

Bleiben Sie wachsam!

Integrieren Sie in Ihr Training deshalb ruhig immer wieder ein paar Übungen, die Ihr Feingefühl verbessern. Die Anschaffung teurer Geräte ist dafür gar nicht notwendig; allein beim Schwimmen können Sie die üblichen Hilfsmittel wie Brett und Paddles einsetzen oder die Bewegungsausführung bewusst ändern, um die Koordination zu schulen (siehe Tabelle). Beim Laufen können Sie Übungen aus dem LaufAbc in Ihr Aufwärmpogramm integrieren. Oder wie wäre es mit einem Abstecher in den Wald, wo Sie einfach mal querfeldein laufen, über Baumwurzeln springen, sich schnell unter Ästen ducken müssen? Gerade wachsames Laufen im unebenen Gelände bringt Abwechslung ins Training und verbessert ganz nebenbei Ihre Koordination. Das gleich gilt für spontane Richtungswechsel: Laufen Sie am Ende jeder Einheit immer wieder einige Meter rückwärts. Auch auf dem Rad gibt haben Sie viele Möglichkeiten, das Training durch koordinative Anteile aufzulockern, ohne dabei die Wirkung einer Einheit zu schmälern. Einbeiniges Pedalieren sensibilisiert Sie zum Beispiel in der Aufwärmphase für die verschiedenen Anteile der Tretbewegung und deren Beitrag am Vortrieb. Auch gelegent-

Radfahren Ü Training mit dem Mountainbike oder dem Crossrad im Gelände Ü Fahren auf einem Geschicklichkeitsparcours (mit dem Rennrad) Ü einbeiniges Treten, Kurven bewusst mit verschiedenen Radien fahren Ü hochfrequentes Treten (> 100 Umdrehungen/Minute) Ü explosives Drücken auf die Pedale in der Druckphase Laufen Ü Übungen aus dem Lauf-Abc Ü Rückwärts- und Barfußlaufen Ü Laufen im Gelände Ü Sprint- und Sprungübungen ­(beidbeinig oder einbeinig) Ü verwandte Bewegungen und Sportarten (Inlineskating, Skilanglauf) zusätzliches/alternatives Training Ü Ballspiele Ü Stabilisationsgymnastik Ü Gleichgewichtsübungen Ü Wurf- und Balanceübungen auf instabilem Untergrund (Matte, Kippelbrett) Ü koordinativ anspruchsvolle Ausgleichsportarten (z. B. Tanzen, ­Aerobic)

liches Fahren mit sehr hoher Trittfrequenz fördert das Zusammenspiel der Muskeln und verbessert Ihre Fähigkeit, die arbeitenden Muskeln schnell anzuspannen und wieder zu lösen – das ist eine Fähigkeit, die Ihre Zeitfahrqualitäten enorm verbessert! Sensomotorisches Training holt Sie im doppelten Sinne aus Ihrem Trott heraus: Wer neue Bewegungserfahrungen macht und ab und zu die ausgetretenen Pfade verlässt, steigert nicht nur seine körperliche Leistungsfähigkeit, sondern sorgt auch für geistige Abwechslung.

Foto: Pearl Izumi

Pfadfinder: Mountainbiken ist dem Rennradfahren zwar sehr ähnlich, verlangt je nach Gelände aber viel größere koordinative Fähigkeiten


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