Alnatura Jubiläumsmagazin

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JAHRE

30 DANACH EIN SINNHEFT ZUM ALNATURA JUBILÄUM

GLORIA NATALIE HILLIG ist im Jubiläumsjahr 2014 Lehrling im Alnatura Super Natur Markt in Regensburg


LIEBE LESERINNEN UND LESER, 26 Sinndimensionen haben die Sinnforscher der Universität

soziale Aspekte gleichermaßen berücksichtigt. Bei Alnatura

Innsbruck in einer breit angelegten Interviewstudie identifi-

kommt noch eine vierte Dimension dazu: die geistig-kultu-

ziert. Es sind Begriffe wie Liebe, Spaß, Naturverbundenheit

relle. Denn der Mensch als handelndes Wesen kann aus

oder Individualität, welche die Befragten als bedeutsam für ihr

Erkenntnis sein Handeln so verändern, dass es sinnvoll wird

Leben nannten. Für jedes Individuum hat jeder dieser Begriffe

für Mensch und Erde.

eine andere Wertigkeit – die Sinndefinition ist individuell. Für die einen stehen Familie und Freunde weit vorne in der

Dieses Magazin wirft einen Blick darauf, was in den letzten

Bedeutsamkeit ihres Lebens. Für andere ist es Gesundheit.

30 Jahren Sinnstiftendes erreicht worden ist: in den Bereichen

Oder Liebe.

Ökologie, Ökonomie, Kultur und Soziales. Der Blick geht aber auch nach vorne. Was müssen wir tun, um die kommenden

Eine Lebensdeutung nennen die Forscher „Generativität“ und

Jahrzehnte sinnvoll zu gestalten: im Bio-Landbau (Ökologie),

meinen damit das Tun oder Schaffen von Dingen mit bleiben-

beim nachhaltigen Wirtschaften (Ökonomie), beim Gestalten

dem Wert – also etwas, das nachfolgenden Generationen

unseres Miteinanders (Soziales) und bei allem, was wir in

erhalten bleibt. Und das ist etwas, was laut der Wissenschaftler

unserem Leben durch kreatives Tun bewegen können (Kultur)?

als extrem sinnstiftend erlebt wird. Wir freuen uns, wenn wir über diese Anregungen mit Ihnen Man könnte dies Nachhaltigkeit nennen. Dies meint üblicher-

in den Dialog kommen!

weise ein Handeln, das wirtschaftliche, ökologische und

Ihre Redaktion.

IMPRESSUM HERAUSGEBER Alnatura Produktions- und Handels GmbH Darmstädter Straße 63, 64404 Bickenbach Tel. 062 57-93 22-0 www.alnatura.de GRÜNDER UND GESCHÄFTSFÜHRENDER ALLEINGESELLSCHAFTER (V.I.S.D.P.) Prof. Dr. Götz E. Rehn KONZEPTION raabengrün – nachhaltig kommunizieren REDAKTION Holger Meerwarth, Sylvia Raabe (Redaktionsleitung), Johannes Böhm, Melanie Eben, Stefanie Grauer,

Dr. Manon Haccius, Katja Hellmuth, Uli Hesse, Andrea Knura, Volker Laengenfelder, Bettina Laux, Götz Rehn, Ralf Roesberger, Kristina Rudy, Tina Schneyer, Anna Seidel, Kirsten Zesewitz GRAFIK UND GESTALTUNG AWAWII Kreativagentur FOTOS Alnatura, Christoph Assmann, Dieter Bachert, BUND, Johann Cohrs, Marc Doradzillo, Ole Ekhoff, Thomas Fedra, Flores Farm, Johannes Green, Alexander Heimann, Wendy A. Hern, Andrea Knura, Volker Laengenfelder, Rob Lewis, Holger Meerwarth, Norman A. Müller, Thomas Niedermüller, Ökodorf Brodowin, People Wear Organic GmbH,

Sylvia Raabe, Bernd Ritter, Verein für Heimatkunde e.V. Alfeld, Viscom Fotografie, Steffi Zepp DRUCK alpha print medien AG Kleyerstraße 3, 64295 Darmstadt Nachdruck, Aufnahme in Onlinedienste, Internet und Vervielfältigung auf Datenträger nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung durch Alnatura.

30 JAHRE ZUVOR – 30 JAHRE DANACH ist eine einmalige Sonderausgabe von Alnatura.


DANKE! Im Alter von 21 Jahren fasste ich den Entschluss, „Wirtschaft“

die Kraft, uns für sie einzusetzen. Man könnte sagen, die

zu studieren. Mein Lebensmotiv stand fest; ich wollte „Wirt-

Zukunftssicherheit für Alnatura liegt in den Herzen unserer

schaftsarzt“ werden. Mir ging und geht es darum zu zeigen,

Kunden. Ihr Interesse, ihre Liebe, ihre Taten ermöglichen unser

dass wirtschaftliches Handeln nicht gegen die Natur und den

Unternehmen.

Menschen gerichtet sein muss. Ich wollte und will gemeinsam mit allen Kolleginnen und Kollegen von Alnatura zeigen,

Es ist beeindruckend, was in 30 Jahren Alnatura durch die

dass wir aus Vernunft Produkte und Leistungen entwickeln

Kunden „geschaffen“ wurde. Es ist eine große Freude zu

können, die die Natur fördern. Alles soll dem Menschen

sehen, wie dies gemeinsam mit unseren Partnern in Handel,

dienen. Wir wollen nicht manipulieren, sondern informieren;

Herstellung, Bio-Landbau und vielen anderen möglich wurde.

nicht überreden, sondern überzeugen; nicht binden, sondern

Es gibt mir Zuversicht, dass heute täglich mehr als 2 200 Mit-

Partnerschaften anbieten. Es geht um Dialog und Zusammen-

arbeiterinnen und Mitarbeiter Alnatura mit ihren Ideen und

arbeit auf Augenhöhe.

Taten gestalten. Vor allem erfüllt es mich mit großer Dankbarkeit. Mein Dank gilt allen, die bis heute die Entwicklung von

Das Wichtigste für jedes Unternehmen sind seine Kunden.

Alnatura gestaltet haben. Ich hoffe, dass sich das Mitdenken

Kennt man die Kunden, weiß man viel über ein Unternehmen.

und Mitmachen der Kunden, Partner und Mitarbeitenden

Die Kunden fragen Produkte und Leistungen nach. Je mehr sie

in Zukunft noch weiter intensiviert. Es gibt noch viel zu tun;

fragen, umso größer wird der so erzeugte Sog. Er beginnt in

lassen Sie es uns denken, und dann lassen Sie es uns tun!

den Filialen und endet schließlich bei den Bio-Bauern. Wenn

Die Erde erfreut es – und die Menschen auch.

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kel kaufen, müssen die Bio-Bauern mehr Bio-Dinkel anbauen, sonst können wir dem „Kunden-Sog“ nicht entsprechen. Die Alnatura Kunden verstehen sich auch als Mitgestalter des

MIT HERZLICHEN GRÜSSEN

Unternehmens. Sie sagen uns, was sie wollen, wie sie es wollen, warum sie es wollen. Sie beteiligen sich bei Mitmachaktionen. Sie fördern den Bio-Landbau und unterstützen die Bienen. Sie haben Interesse an Kunstprojekten und schätzen den Dialog. Für uns sind unsere Kunden das Ziel und der eigentliche Grund unseres Handelns. Zugleich geben sie uns

ALNATURA PRODUKTE ERHALTEN SIE BEI:

GÖTZ REHN, Alnatura Gründer und Geschäftsführer

WEITERE INFOS

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EDITORIAL

die Kunden zum Beispiel mehr Alnatura Produkte aus Bio-Din-


INHALT EIN SINNHEFT ZUM ALNATURA JUBILÄUM

ÖKONOMIE

BAUER SUCHT

LAND

WOLLEN WIR MEHR BIO-BAUERN, MÜSSEN WIR IN DER BESITZFRAGE UMDENKEN

06 WIRTSCHAFT NEU DENKEN WIE ARBEIT ZU LEBENSSINN WERDEN KANN

INHALT

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06 20

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KULTUR

BIOGRAFIE: 1984 „BEQUEMES ESSEN BRACHTE DER EISMANN!“

20 ALNATURA UND ICH BEOBACHTUNGEN, ERINNERUNGEN, BLICKE IN DIE ZUKUNFT: ACHT ALNATURA MITARBEITER UND IHRE GEDANKEN ZUM ALNATURA JUBILÄUM

24 BIOGRAFIE: 2014 „MEINE ALNATURA LEHRE IST FÜR MICH MEHR ALS EINE ARBEIT.“

26 SINNVOLL FÜR MENSCH UND ERDE GEDANKEN VON ALNATURA GRÜNDER GÖTZ REHN

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SOZIALES

WURSTSACK

TRIFFT

GRASLUTSCHER ... UND MINZGRÜN IST AUCH DABEI – EIN GESPRÄCH ÜBER DEN SINN DES „RICHTIGEN“ ESSENS

38 „FÜR FRAUEN IST DIE SELBSTSTÄNDIGKEIT GROSSARTIG“ WIE FRAUEN UND MÄNNER DIE BIO-BRANCHE BEWEGEN

16 WENN ERDKRÖTEN SPRECHEN KÖNNTEN

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ÖKOLOGIE

BERTA

SCHARRT NEUE WEGE FÜR MEHR TIERWOHL.

18 AUF DEM BODEN BLEIBEN OHNE GRUNDLAGE WÄCHST NICHTS

11 BIO GLOBAL BIO-PRODUKTE AUS DEM AUSLAND – SINN ODER UNSINN?

14 MIT GEDULD UND HINGABE NEUE PFLANZENSORTEN FÜR DEN BIO-LANDBAU

30 DER ZEIGEFINGER-EFFEKT KANN DIE BIO-BRANCHE IHRE KUNDEN ZU MEHR ÖKO-BEWUSSTSEIN ERZIEHEN?

42

38 18

INHALT

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101 MAL NATURSCHUTZ DURCH ALNATURA KUNDEN


BAUER SUCHT

LAND

WOLLEN WIR MEHR BIO-BAUERN, MÜSSEN WIR AUCH IN DER BESITZFRAGE UMDENKEN

ÖKONOMIE

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Wer Kartoffeln anbauen will, braucht Land zum Bewirtschaften. Doch wie wird man Bauer ohne Landbesitz? Die meisten Landwirte in Deutschland übernehmen den Hof von ihren Eltern. Wer nicht erbt, kann kaum das Kapital für Landbesitz aufbringen. Wollen wir mehr Bio-Bauernhöfe, brauchen wir auch ein Umdenken in der Landfrage. Wie das gehen kann, zeigt die Hofgemeinschaft Heggelbach am Bodensee.

Thomas Schmid zögert. Nein, sein Land sei das nicht. „Wir

Thomas Schmid ist Bauer im Vollerwerb – obwohl er kein

hatten von Anfang an zu wenig Kapital. Alles hier ist mit

Land geerbt hat. Denn seine Eltern waren keine Bauern:

Fremdkapital gebaut und erworben worden. Unsere Hofge-

„Aber mein Traum war halt nun mal die Landwirtschaft. Also

meinschaft ist nur der Pächter.“ Von der Scheune hat Schmid

habe ich die Landwirtschaftsschule besucht.“ Und dort lernte

freien Blick über die hügelige Landschaft des Linzgaus am

er nicht nur seine heutige Frau Ulrike kennen, sondern auch

westlichen Bodensee. Er deutet auf die Felder rund um den

den heutigen Käser der Hofgemeinschaft, Rolf Raneburger.

Hof des Weilers Heggelbach: „Da drüben bauen wir unser

Alle hatten denselben Wunsch: einen eigenen Hof. Den

Gemüse an: Rote Bete, Zwiebeln, Kartoffeln, Pastinaken.

wollten sie anders bewirtschaften als sie es auf der Landwirt-

Wir haben auch Grünland für die Milchkühe – 180 Hektar

schaftsschule gelernt hatten: ohne Kunstdünger, ohne Spritz-

insgesamt.“

mittel, ohne Wachstumsförderer in der Tierzucht. Damals in den 1980er-Jahren, so Schmid, sei die Landwirtschaft in einem

Die Felder des Demeter-Betriebes liegen nicht alle direkt um

kritischen Fokus gestanden: wegen Pestizid-Einsatz, Butter-

den Hof. Das wäre früher so gewesen und sorgte für kurze

bergen und Massentierhaltung. „Auch das Höfesterben war

Wege. Aber heute müssen viele Bauern Land zupachten –

ein riesiges Thema“, erzählt Schmid. „Wir haben damals

und da grenzen frei werdende Flächen selten direkt an das

nach anderen Möglichkeiten des Daseins gesucht.“

eigene Land an. In Teilen Süd- und Westdeutschlands hat auch das Erbrecht zu einer Zerstückelung der Flächen geführt:

Suchende gibt es auch heute viele, aber sie finden kein

Denn dort erbte den Hof nicht – wie in Nord- und Ostdeutsch-

bezahlbares Land. Andererseits ist bei 70 Prozent aller Höfe

land nach Anerbenrecht üblich – ein Nachkomme als Ganzes;

die Nachfolge ungeklärt. Vielfach wollen die Kinder die müh-

stattdessen wurden die Flächen gleichmäßig zwischen allen

same Arbeit ihrer Eltern auf dem Hof nicht fortführen. In

Erbberechtigten aufgeteilt (Realteilung). Einige Betriebe wur-

Baden-Württemberg, so ergab 2013 eine parlamentarische

den dadurch so klein, dass sich ihre Besitzer von der Landwirt-

Anfrage im Landtag, sind nur sieben Prozent der Bäuerinnen

schaft alleine nicht mehr ernähren konnten. Sie sahen sich

und Bauern jünger als 35 Jahre. Doch den Hof in fremde Hände

nach besser bezahlter Arbeit in der Industrie um und betrieben

außerhalb der Familie übergeben, das bringen die wenigsten

die Landwirtschaft fortan nur noch im Nebenerwerb.

Bauern übers Herz. Auch aus steuerlichen Gründen: >>

Autor HOLGER MEERWARTH


THOMAS SCHMID Mitbegründer und Gesellschafter der Hofgemeinschaft

ÖKONOMIE

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ÖKONOMIE

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2 000

qm2

AUF DIESER FLÄCHE KANN MAN DAS LANDWIRTSCHAFTLICH ERZEUGEN, WAS EIN EINZELNER ZUM LEBEN BRAUCHT.

THORSTEN KRUG Gesellschafter der Hofgemeinschaft Heggelbach


JONA KREIS Gesellschafter der Hofgemeinschaft Heggelbach

1993 kam es dann in Heggelbach zur Zerreißprobe. Familie

Beim Verkauf an Fremde können dagegen bis zu 60 Prozent

Reyer, die den Großteil des Kapitals zum Erwerb des Hofes

des Wertes an Steuern fällig werden. Dann lieber den Hof still-

beigesteuert hatte, wollte aus der Hofgemeinschaft ausstei-

legen und das Land verpachten. Dafür gibt es derzeit genug

gen und brauchte zumindest einen Teil des eingebrachten

Interessenten. Denn durch den staatlich subventionierten

Geldes zum Aufbau einer neuen Existenz. Doch die beiden

„Energiemais“ für Biogasanlagen ist der Landhunger groß.

anderen Gründer hatten kein Eigenkapital, um die Anteilseig-

Das treibt die Land- und Pachtpreise in die Höhe. 25.000 Euro

ner auszubezahlen. „Unser herkömmliches Wirtschaftsmodell

kostete beispielsweise 2013 ein Hektar Agrarland in Schleswig-

stellt Eigentum in den Fokus“, so Thomas Schmid. „Wir haben

Holstein. Für 50 Hektar kommen so 1,25 Millionen zusammen –

dann nach einer Form gesucht, in der die Bewirtschaftung der

Wohnhaus, Stall, Maschinen, Tiere und sonstige Produktions-

Flächen – also das eigentliche Erzeugen von Nahrungsmitteln

mittel noch gar nicht mitgerechnet. Wer da als Quereinsteiger

– eine höhere Priorität bekommt.“ Die Lösung fand sich in der

und ohne einen Hof zu erben Landwirt werden will, hat im

Trennung von Nutzung und Eigentum mit Hilfe des anthropo-

Grunde keine Chance.

sophischen Mercurialis-Vereins. Dieser kaufte die 40 Hektar Kernflächen des Hofes, und so bekamen die scheidenden

Ähnlich hoch waren schon vor 30 Jahren die Landpreise in

Gesellschafter ihr Geld; die restliche GbR dagegen zahlt seit-

Baden-Württemberg, als Thomas Schmid und seine Mitstreiter

dem Pacht für die Flächen und hält nur die Wohnhäuser und

ihr Land kauften. „Ohne Familie Reyer hätten wir das hier

Wirtschaftsgebäude in ihrem Besitz mit einem lebenslangen

gar nicht anfangen können“, sagt Schmid. Die Reyers hatten

Nutzungsrecht. Bei Ausscheiden oder Tod kann dieser Besitz

schon einen Hof in der Nähe von Stuttgart. Aber sie hatten

nicht vererbt werden, sondern fällt zurück an die Gemein-

Lust auf einen Neuanfang – vor allem einen ökologischen.

schaft, von der sie die nächsten Nutzer übernehmen können.

Auf der Suche nach Land fanden die drei Familien 1986 jene Flächen, auf denen heute die Hofgemeinschaft Heggelbach

Als die Hofgemeinschaft Heggelbach Nachfolger für die aus-

lebt. Von Anfang an war klar, dass dieser Neuanfang ein

scheidenden Gesellschafter suchte, gab es noch kein für alle

anderes Wirtschaften beinhalten sollte: „Niemand von uns

zugängliches Internet. Heute bringt – neben einigen Bera-

hatte Lust auf eine Sieben-Tage-Woche ohne Urlaub und ar-

tungsstellen – eine Internetseite Angebot und Nachfrage zu-

beiten bis zum Umfallen.“ Deshalb die Gemeinschaft in Form

sammen: Auf hofgruender.de können sich sowohl Hofsuchende

einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Jeder brachte

als auch Verkaufswillige eintragen. Die Initiative wird von der

das an Kapital ein, was möglich war; und alle arbeiteten an

Zukunftsstiftung Landwirtschaft gefördert. „Wir brauchen

einem Ziel: dem Aufbau eines biologisch-dynamischen Hofes.

Existenzgründungen in der Landwirtschaft, denn pro Jahr

Brauchte mal einer Urlaub oder einen freien Tag, übernahmen

machen bis zu 10 000 Höfe dicht“, so Christian Vieth, Geschäfts-

die anderen die Arbeit. Während der ersten Jahre lebte die

führer von hofgruender.de. „Bei einer Hofübergabe geht es

Hofgemeinschaft vor allem von der Milchviehhaltung und der

nicht einfach um eine Immobilie, sondern um Menschen,

Käserei. Nebenbei musste für die drei Familien ein neues Haus

die miteinander klarkommen sollen. Die will ich zusammen-

gebaut werden, außerdem der Stall für die Milchkühe.

bringen – und das ist die größte Herausforderung.“ >>

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ÖKONOMIE

Eine Übergabe innerhalb der Familie ist nahezu steuerfrei.


Alnatura hilft! e.V. DER MITARBEITERVEREIN „ALNATURA HILFT!“ UNTERSTÜTZTE MIT SPENDEN AN DIE ZUKUNFTSSTIFTUNG LANDWIRTSCHAFT INITIATIVEN WIE WWW.HOFGRUENDER.DE AUCH IHRE SPENDE HILFT: Alnatura hilft! e.V., Sparkasse Darmstadt, IBAN DE71 5085 0150 0025 0058 56, BIC HELADEF1DAS WEITERE INFOS ONLINE UNTER:

www.alnatura-bio7.com www.kulturland-eg.de www.hofgruender.de www.zukunftsstiftung-landwirtschaft.de

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Ziel von hofgruender.de ist, pro Jahr 1 000 Betriebe durch eine

schmackhaft: Seit Jahren werden Fördermittel zurückgefah-

erfolgreiche Nachfolgevermittlung zu erhalten.

ren. Und die bestehenden Betriebe können kaum wachsen, weil die Landpreise für Kauf und Pacht durch den subventio-

Nur sechs bis acht Prozent der Höfe werden heute außerhalb

nierten Biogas-Mais stark gestiegen sind.

ÖKONOMIE

der Familie übergeben oder neu gegründet. Neben den Landpreisen sind Produktionsmittel wie Gebäude und Maschinen

Auch die Hofgemeinschaft Heggelbach muss sich mit dieser

der größte Hemmschuh für junge Gründer. Das Dilemma der

Situation auseinandersetzen. Die Gesellschafter arbeiten seit

Bio-Branche: Die Nachfrage nach ökologischen Lebensmitteln

langem daran, dass nicht mehr das Eigentum, sondern die

steigt beständig – im Jahr 2013 um 7,2 Prozent. Im gleichen

Nutzung die höchste Priorität hat. Die neueste Idee: eine

Zeitraum wuchs die biologisch bewirtschaftete Fläche in

Selbsthilfeeinrichtung, die mit dem Geld von Bürgern genos-

Deutschland aber nur um ein Prozent. Kein Wunder, dass

senschaftlich Land kauft und dieses an Bio-Bauern verpachtet.

der Anteil importierter Bio-Lebensmittel aus aller Welt stetig

„Unsere Mission lautet: Jedem Bürger seine 2 000 Quadrat-

wächst. Vor allem Ost-Europa befindet sich derzeit in einem

meter“, so Thomas Schmid. „Auf dieser Fläche kann man das

wahren Bio-Boom – nicht beim Konsum von Bio-Lebensmit-

landwirtschaftlich erzeugen, was ein Einzelner zum Leben

teln, sondern bei der Erzeugung der Rohstoffe. Zwar ist die

braucht. Für 500 bis 10.000 Euro Einlage kann sich künftig

biologische Wirtschaftsweise allemal besser als die konventio-

jeder an diesen Flächenkosten beteiligen.“ Die Genossen-

nelle; doch das schnelle Wachstum im Osten oder in Schwel-

schaft Kulturland eG sammelt als Selbsthilfe-Initiative dieses

lenländern ruft Investoren auf den Plan, denen es vor allem

Geld ein und stellt es Bio-Bauern deutscher Anbauverbände

um Rendite geht – soziale und kulturelle Aspekte sind da

zur Verfügung, die ohne Hilfe in eine Schieflage kämen.

nebensächlich. Außerdem muss jeder Import energieauf-

Denn der Kauf einer landwirtschaftlichen Fläche wird für

wändig nach Deutschland transportiert werden.

einen Bauern laut Thomas Schmid nie rentabel sein: „Ich kann mit meinem Land nur 1,5 Prozent Rendite erwirtschaften.

Sinnvoller wäre es also, wenn mehr Landwirte im eigenen

Das reicht derzeit nicht einmal, um die Zinsen zu bedienen –

Land biologisch wirtschaften würden – und gut davon leben

und schon gar nicht zur Tilgung des Kredites.“ Die Genossen-

könnten. Doch 2013 haben Bio-Landwirte erstmals seit vielen

schaftsanteile sind also eine Art zinsloses Darlehen, mit

Jahren weniger erlöst als ihre Kollegen – im Schnitt um sechs

der die Genossenschaft Land kaufen und an den Landwirt

Prozent. „Unsere Kosten sind gestiegen, aber für unsere

langfristig zu fairen Konditionen verpachten kann. Wer

Produkte können wir am Markt derzeit keine Preissteigerun-

Genossenschaftsanteile erwirbt, kann seine Einlage nach

gen durchsetzen“, so Bio-Landwirt Thomas Schmid. Und so

frühestens fünf Jahren wieder zurückbekommen. „Der Ertrag

kehrten im Jahr 2013 rund 600 Bauern der Bio-Landwirtschaft

für den Einzelnen besteht darin, dass er die Öko-Landwirt-

wieder den Rücken. Gleichzeitig macht die EU-Förderpolitik

schaft fördert, indem die Betriebe Land nutzen und bewirt-

umstellungswilligen Bauern den Öko-Landbau alles andere als

schaften können“, so Schmid.


OHNE GRUNDLAGE WÄCHST NICHTS

Geerdet sein, die Bodenhaftung nicht verlieren, verwurzelt leben – nicht umsonst geben Redensarten dem Boden eine so grundlegende Bedeutung. Boden gehört – neben Licht, Luft und Wasser – zu den Grundlagen unseres Lebens. Nur auf einem guten Boden kann etwas wachsen; ist er kaputt, stirbt jegliches Leben. Und deshalb macht es Sinn, auf dem Boden zu bleiben – auch wenn es um Erträge, Renditen und (wirtschaftliches) Wachstum geht. Der Spaten sticht zwanzig Zentimeter tief in den Boden. Am

Denn der Großteil der Böden wird konventionell bewirtschaftet,

Metall schaben kleine Steine. Bauer Hans Reichl bückt sich

also unter Einsatz von Mineraldünger und chemischem Pflan-

und greift in die dunkelbraune Erde: „Regenwürmer, Käfer …

zenschutz. Zudem sorgen Monokulturen und der personal-

und da: ein Tausendfüßer! Alles Zeichen für einen fruchtba-

sparende Einsatz schwerer Maschinen kurzfristig für Maximal-

ren, gesunden Boden“, freut sich Reichl und lässt die Krume

erträge. Durch diese industrielle Landwirtschaft hat sich die

durch seine Hände rieseln. „Die Tiere sorgen zusammen mit

weltweite Agrarproduktion seit 1950 verdreifacht. Doch der

Bakterien und anderen Mikroorganismen für ein stabiles

ökologische Preis dafür ist hoch: viermal so viele Pestizide auf

Krümelgefüge. Dadurch verschlämmt der Boden weniger, wird

den Feldern, achtmal so viel Mineraldünger, dreimal so viel

also nach Starkregen nicht betonhart; er ist leichter zu bear-

bewässerte Flächen. 70 Prozent des weltweiten Süßwasserver-

beiten und kann Nährstoffe und Wasser besser halten.“ Doch

brauchs fließen in die Landwirtschaft. Das alles geht auf Kosten

Böden wie auf dem Schafdorner Hof, einem Naturland-Betrieb

der Böden: nachlassende Fruchtbarkeit, zunehmende Erosion,

in Oberbayern, sind längst keine Selbstverständlichkeit mehr.

weniger Biodiversität und eine Zunahme der Bodenversalzung. >>

Autorin KATJA HELLMUTH

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ÖKOLOGIE

AUF DEM BODEN BLEIBEN


BIO-BAUER HANS REICHL nimmt eine Boden-Probe.

ÖKOLOGIE

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Für Hans Reichl sind dies auch Folgen einer verfehlten Agrarpolitik: „Ich erziele heute die Hälfte meines Einkommens über staatliche Zuschüsse: Betriebsprämie, Flächenprämie, Tierprämie, Milchprämie … All das sagt aber noch nichts darüber aus, ob ich meinen Boden gut bewirtschafte.“ Die Europäische Union handelt noch heute nach einer Vorgabe, die bereits in den Römischen Verträgen von 1957 formuliert wurde: Steigern der Produktivität durch technischen Fortschritt. Wachsen oder Weichen lautet die Devise für die Bauern seit etlichen Jahrzehnten; sonst ist wirtschaftlich kaum ein Überleben möglich. Dadurch ist in einem halben Jahrhundert die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland von zwei Millionen auf unter 290 000 geschrumpft. Der ökologische Preis der industriellen Landwirtschaft: Artensterben, nitratbe-

Leguminosen-Wurzel mit Bodenbakterien

lastetes Grundwasser, Bodenverlust und Klimagasemissionen. Betroffen ist auch der Boden, der Krankheitssymptome wie Erosion, Verdichtung, Humusverlust und biologische Verarmung

für den Humusaufbau zeitlich vor oder nach den eigentlichen

zeigt. Zu schaffen machen dem Boden vor allem die Mineral-

Hauptkulturen angepflanzt. Pflanzen der Familie der Legumi-

dünger. Sie bewirken zwar einen Nährstoffschub und putschen

nosen, wie Klee und Wicken, binden Stickstoff aus der Luft

das Bodenleben und die Pflanzen kurzfristig zu Höchstleistun-

und machen ihn im Boden als Pflanzennährstoff verfügbar.

gen auf; langfristig jedoch zerstören sie die Fruchtbarkeit des

Gründüngung ist Teil einer vielseitigen Fruchtfolge, mit der

Bodens.

der Bio-Bauer zugleich Unkraut, Schädlingen und Krankheiten

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vorbeugt. stoffdünger aus; dafür fährt er – je nach angebauter Frucht –

Die Umweltbilanz fällt eindeutig positiv für den ökologischen

im Schnitt nur halb so viel Ernte ein wie seine konventionell

Landbau aus: Dort singen mehr Vögel, schwirren mehr

wirtschaftenden Nachbarn. Wichtiger als Maximalerträge sind

Insekten und blühen mehr Wildkräuter als auf konventionell

dem Bio-Landwirt langfristig stabile Ernten auf gesunden,

bewirtschafteten Flächen. Bio-Bauern verbrauchen weniger

fruchtbaren Böden. „Beim letzten Starkregen haben meine

Ressourcen und bis zu 60 Prozent weniger Energie. Vor allem

konventionellen Nachbarn einen Großteil ihres Getreides

jedoch sind ihre Böden fruchtbarer und robuster gegenüber

verloren. Mein Bio-Getreide steht weniger dicht; es wächst

Erosion und Witterungsextremen; zudem leisten sie einen

auf einem lebendigen Boden und bildet stärkere Halme aus.

Beitrag zum Hochwasserschutz und speichern mehr Kohlen-

Deshalb habe ich langfristig stabilere Erträge – egal ob es

dioxid, eines der sogenannten Klimagase. „Unsere Böden

starke Regen- oder Trockenperioden gibt“, erklärt Reichl.

sind der Ausweg aus der Klimakatastrophe, weil sie jede

Das Rückgrat eines fruchtbaren Bodens ist seine organische

Menge CO2 binden können – das ist meine tiefste Über-

Substanz, insbesondere der Humus: „Hier werden Nährstoffe

zeugung“, so Bio-Landwirt Hans Reichl.

und Wasser für die Pflanzen gespeichert und leben unzählige Mikroorganismen und Bodentiere wie Regenwürmer, Bakte-

Noch wird darüber diskutiert, ob eine ökologisch ausge-

rien und Pilze“, so Tobias Bandel, Geschäftsführer von Soil &

richtete Landwirtschaft die Welt ernähren kann. Entwick-

More, einem Beratungsunternehmen für Bodenfruchtbarkeit.

lungsorganisationen sehen hier großen Intensivierungs- und

Diesen so wichtigen Lebens- und Nährraum bauen syntheti-

Optimierungsbedarf hinsichtlich klimatischer und regionaler

sche Dünger mit der Zeit ab. Organische Dünger hingegen

Bedingungen. Fest steht jedoch: Nur gesunde Böden werden

wirkten aufbauend, sagt Bandel. Denn indem der Bio-Land-

die Nahrungsmittelversorgung von neun Milliarden Menschen

wirt Ernterückstände, Mist- oder Pflanzenkompost auf den

in Zukunft decken können. Eine Landwirtschaft, die ihre Böden

Boden gibt, aktiviert er komplexe biologische Prozesse.

erschöpft und immer mehr Regenwald für den Futtermittelbedarf in der Tiermast opfert, kann keine Lösung sein. „Die

Die Bodenbewohner nehmen den Dünger als Nahrung auf,

dünne Schicht der Erdoberfläche, die wir Landwirte als Boden

machen ihn für die Pflanzen indirekt als Nährstoffe verfügbar

bearbeiten, hat sich über Jahrmillionen aufgebaut“, sagt Hans

oder wandeln ihn in Humus um. Mit Gründüngungen erreicht

Reichl. „Wenn wir beim Boden etwas falsch machen, ist die

der Bio-Bauer einen ähnlichen Effekt. Dabei werden Pflanzen

Grundlage unseres Lebens in kürzester Zeit kaputt.“

ÖKOLOGIE

Die Böden von Hans Reichl kommen ohne mineralischen Stick-


GEKAUFT IM FEBRUAR

BIO-FRÜHERDBEERE AUS SPANIEN

ALLES ÖKO – ODER WAS?

www.umweltinstitut.org Ich habe in Großbritannien Ökologie und Naturschutz studiert. Danach war ich mehrere Jahre in Südamerika in den Bereichen Ökologie und Ressourcenschutz aktiv. Heute arbeite ich als Bildungsreferentin zu Themen wie nachhaltiger Konsum und bin Referentin für Öko-Landbau und Verbraucherschutz beim Umweltinstitut München e.V.

www.alnatura.de

Als Alnatura Filialleiter bin ich sozusagen der Mittler zwischen dem Angebot unserer Lieferanten und der Nachfrage unserer Kunden. Manchmal sind dabei Kompromisse nötig. Unsere Kunden wünschen sich Vielfalt bei Obst und Gemüse, auch jenseits der Saison. Flugware bieten wir aber nur an, wenn wir dadurch soziale Projekte fördern.

Regionales und saisonales Obst und Gemüse sollte aus meiner Sicht immer Vorrang haben: kurze Transportwege erhalten Geschmack und Frische und schonen das Klima. Wenn wir unsere Umwelt wirklich schützen wollen, müssen wir uns von dem Gedanken, dass alles jederzeit verfügbar ist, verabschieden. Also lieber auf die Erdbeersaison bei uns warten und dann guten Gewissens richtig genießen. Ein Saisonkalender gibt Übersicht, wann was bei uns reif ist.

UMWELTINSTITUT MÜNCHEN

FILIALLEITER ALNATURA STUTTGART-DEGERLOCH

Aus Spanien für uns ein „no-go“, denn der Anbau verbraucht viel Wasser, und Spanien ist wasserarm. Wer nicht bis Mai auf deutsche Erdbeeren warten will, sollte italienische Früherdbeeren kaufen. Ich allerdings warte auf heimische Ware bis Frühsommer. Auch unsere Kunden haben wir durch langjährige Beziehungen zu regionalen Lieferanten auf die heimische Ernte „eingeschworen“ – regional, frisch und optimal reif.

MELANIE EBEN

JOHANNES BÖHM

Bei mir ist der Gedanke, nur selbst erzeugte oder zumindest in der Region gewachsene Nahrungsmittel zu essen, sehr tief verankert. Mir käme es niemals in den Sinn, importierte Erdbeeren außerhalb der Saison zu kaufen. In unserem großen Garten wachsen Erdbeeren in Hülle und Fülle. Ich warte gerne auf eigene Erdbeeren. Das Warten gehört für mich ebenso dazu, wie der Genuss selbst. Weihnachten ist schließlich auch nur einmal im Jahr.

Zugegeben, mein Lebensstil ist nicht repräsentativ. Ich bin Hausmann mit zwei Kindern. Unsere Familie bewirtschaftet einen großen Selbstversorgergarten: Wir halten Hühner, Enten, Gänse, Kaninchen und Bienen. Ein sehr großer Teil unserer Ernährung stammt aus eigener Produktion. Was wir nicht selbst produzieren können, kaufen wir nach Möglichkeit aus der Region.

www.neulichimgarten.de

SELBSTVERSORGER UND BLOGGER

RALF ROESBERGER

Gut die Hälfte der in Deutschland verkauften Bio-Produkte stammt aus dem Ausland – anders lässt sich die Nachfrage bei uns angesichts von nur 6,2 Prozent Öko-Landbaufläche in Deutschland nicht decken. Ist der Import von Bio-Produkten sinnvoll – auch um Bio in anderen Ländern zu fördern? Wir haben drei Experten um ihre Meinung zum Kauf sechs verschiedener Bio-Produkte zu einer bestimmten Jahreszeit aus verschiedenen Regionen der Erde gebeten.

BIO-PRODUKTE AUS DEM AUSLAND – SINN ODER UNSINN?

BIO GLOBAL

ÖKOLOGIE

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Heimische Lagerware geht irgendwann aus – je nach Erntemenge und Nachfrage. Meist wechseln wir im Früh­ jahr auf Überseeware. Das ist durchaus nachhaltig: Laut verschiedener Studien verbessert sich die Öko-Bilanz zugunsten der Überseeware, je weiter das Jahr voranschreitet. Denn heimische Äpfel müssen beim Lagern energieaufwändig gekühlt und mit dem Reifeverzögerer CO2 behandelt werden.

Heimische Lagerware gibt es das ganze Jahr über. Doch gerade Frühkartoffeln sind sehr beliebt. Bei uns kommen sie von der SEKEM-Farm in Ägypten. Dieser DemeterBetrieb wirtschaftet sehr nachhaltig, etwa mittels sparsamer Tröpfchenbewässerung. Ein gutes Beispiel für ein sinnvolles Zusammenspiel von verantwortungsbewusster Nachfrage und nachhaltigem Anbau.

Honig wird gerne regional gekauft. Das Problem: Es gibt viel zu wenig „Bio-Imker von nebenan“, welche die von unseren Kunden gewünschten Bio-Sorten in gleichbleibender Qualität und ausreichender Menge liefern können. Deutschland kann nicht einmal ein Fünftel des hier nachgefragten Honigs selbst erzeugen. Deswegen beziehen wir auch Ware aus wenig industrialisierten Regionen in Osteuropa und Südamerika.

Wir haben uns an ausländische Weine gewöhnt und wollen sie haben. Natürlich gibt es bei uns im Sortiment deutsche Bio-Weine, aber die schmecken anders als ein Shiraz aus Südafrika, den wir auch führen. Dazu kommt die Kunst der Winzer, aus den Rohstoffen ein tolles Produkt zu machen. Gerade ökologischer Weinbau ist anspruchsvoll! Und aus Südafrika kommen tolle Rotweine.

BIO-APFEL AUS ARGENTINIEN

BIO-FRÜHKARTOFFEL AUS ÄGYPTEN

BIO-HONIG AUS SÜDAMERIKA

BIO-WEIN AUS SÜDAFRIKA

GEKAUFT IM JULI

GEKAUFT IM NOVEMBER

GEKAUFT IM FEBRUAR

GEKAUFT IM MAI

GEKAUFT IM APRIL

Die Ananas zählt zu den Exoten, die Kunden in einer gut sortierten Obstabteilung erwarten dürfen. Wir verkaufen davon aber nur geringe Mengen, für unsere Kunden sind Ananas also etwas Besonderes, das sie sich nur gele­ gentlich gönnen. Wir versuchen, ein gleichbleibendes Angebot mit attraktivem Preis-Leistungsverhältnis über das ganze Jahr hinweg zu bieten und achten darauf, dass die Ananas per Schiff zu uns kommt.

BIO-ANANAS AUS COSTA RICA

12 500 Kilometer Luftlinie, um meinem Gaumen zu schmeicheln? Darauf kann ich gut verzichten. Äpfel wachsen auch in Deutschland. Es gibt absolut keinen Grund, einen Apfel um die halbe Welt zu schaffen. Fordern sie Ihren Händler immer wieder auf, Bio-Produkte aus Deutschland anzubieten. Ihre Nachfrage erzeugt das Angebot. Sie haben es in der Hand, ein Umdenken zu erwirken. Müssen es in einem Kartoffelland wie Deutschland Frühkartoffeln aus Ägypten sein? Wer Bio kauft, der sollte auch über den Tellerrand blicken. Bio ist für mich mehr, als nur der Verzicht auf Chemie und Gentechnik oder die eigene Gesundheit. Der Bio-Gedanke umfasst auch ein Zurück zu Altbewährtem, zu regionalen und vor allem saisonalen Nahrungsmitteln ohne weite Transportwege und ohne großen Verpackungsmüll.

Mein Tipp: Hören Sie sich um. Es gibt bestimmt auch in Ihrer Umgebung einen Hobbyimker, der mit viel Engagement, Zeit und Arbeitsaufwand Bienen hält und Bio-Honig verkauft. Pflanzen Sie eine Linde in Ihrem Gar­­­ten oder säen Sie einen Streifen Wildblumen aus. Damit helfen Sie den heimischen Bienen und unterstützen den Bio-Gedanken weit mehr als mit einem Glas Bio-Honig aus Südamerika. Ich bin kein Weinkenner, kann mir aber vorstellen, dass Wein unter Fachleuten eine Philosophie ist. Ein wirklicher Weinkenner wird den Unterschied zwischen einem Wein aus Südafrika und einem Moselwein erkennen. Ich nicht. Wenn schon einen guten Tropfen, dann lieber aus südafrikanischem Bio-Anbau, als aus konventionellem heimischem Anbau.

Ökologisch nachhaltig einzukaufen, heißt für mich, auf regionales Obst der Saison zurückzugreifen. Da die Lagerung unter ungünstigen Bedingungen wie zum Beispiel in Kühlhäusern sehr energieaufwändig ist und genauso schädlich wie der lange Transport sein kann, ist die ökologisch sinnvollste Lösung, auf die Erntezeit im Spätsommer und Herbst zu warten und Äpfel nur zu dieser Zeit zu essen. Der Anbau von Kartoffeln in Ländern wie Ägypten ist nur mit intensiver Bewässerung möglich, wodurch gra­ vierende Folgen für die Umwelt entstehen. Aus meiner Sicht werden bei uns nur dann mehr Bauern auf Bio umstellen, wenn regionale Bio-Produkte statt Importware nachgefragt werden. Wer sich beim Einkauf für regionale und saisonale Lebensmittel entscheidet, kauft frische Produkte, die Gesundheit und Natur gut tun.

Honig aus Südamerika legt sehr lange Transportwege zurück. Ich bevorzuge regional produzierten Honig, denn dies erhält sowohl die lokale Imkerei als auch die heimische Kulturlandschaft. Außerdem gibt es bei uns ein umfangreiches Angebot an Honigsorten. Die Gentechnikfreiheit ist bei deutschen Produkten am sichersten gewährleistet, weil es bei uns keinen Anbau von Genpflanzen gibt. Bio-Wein aus deutschen Landen kann qualitativ und geschmacklich sehr gut mit ausländischen Weinen mithalten, sodass man auch hier auf deutsche Produkte oder Produkte aus den unmittelbaren Nachbarländern zurückgreifen kann. Auf dem afrikanischen Kontinent sollte nach meiner Meinung die Produktion in der Land­ wirtschaft auf die Ernährung der Bevölkerung statt auf den Export ausgerichtet sein.

ÖKOLOGIE

Ich bin sicher, meine Großeltern haben in ihrem ganzen Leben keine Ananas gegessen. Sie haben sie auch nicht vermisst! Denn es gibt so viel köstliches Obst, das auch in unserer Region wächst: Himbeeren, Johannisbeeren oder japanische Weinbeeren. Es gibt für mich nur einen Grund, eine Ananas zu kaufen: unsere Kinder; damit sie kennenlernen, was es in anderen Ländern gibt. Wer aber unbedingt eine Ananas essen möchte, dem sei sie gegönnt.

Da Ananas nur unter tropischen Bedingungen wachsen, sind lange Transportwege unvermeidbar, wenn man solche Früchte verspeisen möchte. Wer aber seinen ökologischen Fußabdruck verbessern möchte, sollte darauf achten, tropisches Obst nur in Ausnahmefällen zu kaufen, denn sowohl der Transport per Schiff als auch per Flugzeug hat erhebliche ökologische Nachteile.

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„FÜR UNS FRAUEN IST DIE SELBSTSTÄNDIGKEIT

GROSSARTIG“ WIE FRAUEN UND MÄNNER DIE BIO-BRANCHE BEWEGEN

Zwar sind Bio-Kunden mehrheitlich Frauen, die Bio-Unternehmen führen aber vor allem Männer. Ergibt das Sinn? Ein Gespräch mit Sabine Beer, Gründerin und Geschäftsführerin von Santaverde.

SOZIALES

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Warum sind die meisten Bio-Pioniere und -Unternehmer Männer, Frau Beer?

Frauen machen also vieles anders als Männer. Wie ist das bei Ihnen persönlich?

Männer sind in allen Bereichen der Wirtschaft häufiger Unter-

Ich führe das Unternehmen gemeinsam mit meinem Mann.

nehmer als Frauen – das ist in der Bio-Branche nicht anders

Ich stelle fest, dass die klassischen männlichen Ziele mehr

als in anderen Branchen. Frauen trauen sich meist weniger zu,

durch ihn repräsentiert werden, die weiblichen durch mich.

stufen ihre Fähigkeiten zu gering ein und stellen sich schneller

Was ich in der Mischung gut finde, weil wir so aus einem

in Frage als Männer. Das ist von Nachteil, wenn es darum

größeren Talentpool schöpfen können.

geht, Führung zu übernehmen. Zudem machen wir Frauen uns mehr Gedanken über die Folgen unserer Handlungen. Das

Worauf gründet Ihr Erfolg als Bio-Unternehmerin?

kann bremsen, aber ich sehe das eigentlich als Stärke, die sehr

Ich halte die Herangehensweise, sich ein Thema aus Leiden-

gut in die nachhaltigen Branchen passt. Und die anthropo-

schaft anzueignen, für einen hervorragenden Weg, nicht in

logischen Unterschiede spielen sicher auch eine Rolle. Allein

die gleichen Fußstapfen der schon bestehenden Industrie

dadurch, dass Frauen in der Lage sind, Leben zu schenken und

zu treten. Wir haben Dinge neu gedacht und anders um-

damit zumindest in der ersten Zeit für das Kind lebenswichti-

gesetzt als es bis dahin üblich war. Bestes Beispiel ist das

ger sind als der Mann, wandert ein Teil der Lebensenergie von

Rezepturprinzip unserer Kosmetik: Wir verwenden anstelle

Frauen in den Bereich Kinder und Familie.

des üblichen Hauptbestandteils Wasser in unseren Cremes und Emulsionen reine Pflanzensäfte. Damit erzielen wir eine

Die Bio-Kunden sind überwiegend Frauen. Wäre es da nicht gut, wenn es auch mehr Frauen in Führungspositionen gäbe?

grundlegend intensivere Wirkung auf der Haut, die unsere

Eine Bio-Unternehmensführung kann von einem Mann wie

gut und außergewöhnlich ist.

Kunden lieben. Wir haben gesättigte Märkte. Man sollte dieser Welt nur noch etwas hinzufügen, wenn es wirklich

von einer Frau ebenso gut gemacht werden, auch in der Wertebereit ist, sich auch dahingehend zu öffnen, dass quantitatives

Eigentlich war eine andere berufliche Laufbahn für Sie vorgesehen.

Wachstum nicht alles ist. Das ist eine Sichtweise, die ich eher

Ich bin die älteste von drei Töchtern und war auserkoren, von

dem Weiblichen zuordne. Zum Beispiel: Umsatz ist für mich

meinen Vater mal das Familienunternehmen (Anm. d. Red.:

kein Ziel, sondern eher das Ergebnis einer inhaltlichen Arbeit.

Branche Elektrotechnik) zu übernehmen. Der Betrieb ging

Wir Frauen sehen Arbeitszufriedenheit, Lebens- und beruf-

während des Schreibens meiner Abschlussarbeit in Konkurs.

lichen Erfolg eher gleichberechtigt.

Das war eine starke Erfahrung für mich, und es war gut für

welt, in der wir in der Bio-Branche leben. Wenn der Mann

Interview SYLVIA RAABE


meine Entwicklung. Ich war zu einem Perspektivenwechsel gezwungen. Ich habe gelernt, wieder aufzustehen. Mit Niederlagen umzugehen und sich davon nicht mutlos machen zu lassen – das ist auch etwas sehr Weibliches.

Wenn Kinder kommen, ist für viele Frauen Schluss mit dem beruflichen Aufstieg. Muss das so sein? Das muss überhaupt nicht so sein, aber die Strukturen unserer Wirtschaft sind auf Männer und ständige Verfügbarkeit abgestimmt. Die Modelle, in denen sich Frauen einen Führungsjob teilen, sind noch sehr ungewöhnlich. Dennoch ist das genauso möglich, wie ich mit meinem Mann die Führungsaufgaben teile.

Für DAX-Unternehmen wird eine Frauenquote diskutiert. Halten Sie das für sinnvoll? Ich bin klar gegen eine Quotenregelung. Man sollte nicht wegen seines Geschlechts, sondern wegen seiner Qualifikation dort sein, wo man ist.

Was empfehlen Sie jungen Frauen, die am Anfang ihres Berufsweges stehen?

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Gerade für uns Frauen ist die Selbstständigkeit eine großartige Form zu leben und Geld zu verdienen. Sie ist perfekt, um SOZIALES

Lebensverwirklichung nicht in die Rentenzeit zu verlegen und sich Themen zu widmen, die einem persönlich liegen. Aber ob selbstständig oder als Mitarbeiterin, die wichtigste Voraussetzung ist: wissen, was einem liegt und was mich auch dann hält, wenn es schwierig wird. Und: für etwas zu arbeiten, das größer ist als das eigene Leben, wie die Unverletztheit der

SABINE BEER Gründerin und Geschäftsführerin Santaverde

Natur und mehr soziale Gerechtigkeit. Das motiviert zutiefst und macht einfach glücklich.

Santaverde mit Hauptsitz in Hamburg ist ein wichtiger Alnatura Partner für Kosmetik. Neben Aloe-vera-Produkten von Pflanzen aus eigenem Anbau in Spanien produziert Santaverde mit seinen 40 Mitarbeitern auch Naturpflege aus der Cashewfrucht, die das Unternehmen in Brasilien kultiviert. Angefangen hat alles vor 28 Jahren, als die studierte Ökonomin Sabine Beer mit ihrem Mann eine Finca im Andalusien kaufte. Die heute 59-Jährige litt damals unter Hautproblemen und erhielt von ihrem Nachbarn zur Linderung ein Aloe-vera-Blatt. Überzeugt von der Wirkung der Pflanze und mit dem Bestreben, ökologische Verantwortung im Wirtschaftsleben zu übernehmen, baute Beer 1986 die ersten Aloevera-Pflanzen zur Herstellung eigener Naturkosmetik an – und gründete die Santaverde Gesellschaft für Naturprodukte mbH. Die Eheleute Beer sind gleichberechtigte Geschäftsführer: Sie kümmert sich außerdem um die Produktentwicklung und Öffentlichkeitsarbeit, er betreut die firmeneigenen Anbaugebiete in Spanien und Brasilien. Ein Großteil des Santaverde-Teams sind Frauen, mehr als die Hälfte Mütter.


BERTA SCHARRT NEUE WEGE FÜR MEHR TIERWOHL

Mehr Tierwohl geht nur mit mehr Aufwand – und der kostet. Vieles ist dank der Bio-Landwirtschaft schon auf einem guten Weg – einiges lässt sich auch in der Bio-Branche noch verbessern. Wir waren auf Sinnsuche in Hühner- und anderen Ställen.

ÖKOLOGIE

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Berta ist gerade umgezogen. Das braune Huhn pickt fröhlich

Landwirtschaft, in der artgerechte Tierhaltung eine wesent-

im frischen Gras. Berta muss alle zwei bis drei Wochen

liche Maßgabe ist, arbeitet deshalb an eigenen Lösungen,

umziehen – besser gesagt: darf! Das Bio-Huhn lebt nämlich

zum Beispiel durch die Züchtung neuer, für die Bio-Haltung

in einem Hühnermobil im Ökodorf Brodowin nahe Berlin.

geeigneter Rassen. Doch bis eine neue Rasse gezüchtet wird,

Und wenn Berta und ihre 450 Artgenossinnen die Wiese vor

vergehen meist etliche Jahre. Und ob diese Züchtungen dann

dem Stall auf Rädern durchgescharrt haben, zieht die ganze

die gewünschten Anforderungen erfüllen und vom Markt

Hühnerschar samt Behausung einige Meter weiter ins frische

angenommen werden, stellt sich auch erst lange nach Beginn

Grün. Heute hatte Berta noch keine Lust, ein Ei zu legen. Muss

der Arbeit heraus.

sie auch nicht – im Gegensatz zu Hochleistungshühnern, die Grund genug für Alnatura und das Ökodorf Brodowin, einem

es locker auf 310 Eier im Jahr bringen.

der größten biodynamischen Betriebe Europas, auch nach Vor 200 Jahren legten Hühner höchstens 50 Eier pro Jahr.

kurzfristigen wirksamen Alternativen zu suchen. Auf dem

Doch die auf Effizienz ausgerichteten Geflügelzüchterfirmen

idyllisch gelegenen Anwesen werden seit 2014 sogenannte

haben die Tiere durch Züchtung „optimiert“: Heute gibt es

Zweinutzungshühner gehalten. Die Hennen legen genügend

fast nur noch Rassen, die entweder viele Eier legen oder viel

Eier und die Hähne setzen ausreichend Fleisch an.

Fleisch ansetzen. Das Problem: Hähne legen bekanntlich keine

Allerdings ist der Ertrag bei diesem Alleskönner-Huhn im Ver-

Eier – und da die männlichen Tiere bei den Legerassen zu

gleich zu den üblichen Hochleistungsrassen geringer. „Wir

wenig Fleisch ansetzen, sind sie wirtschaftlich uninteressant.

wissen noch nicht ganz genau, wie viel Fleisch unsere Hähn-

Deshalb werden sie als Eintagsküken gleich nach dem

chen bringen oder wie viele Eier die neue Rasse tatsächlich

Schlüpfen getötet.

legt“, sagt Peter Krentz, einer der beiden Geschäftsführer vom

Das gilt auch für die Bio-Branche. Obwohl alle Bio-Akteure

Ökodorf Brodowin. Rein rechnerisch müssen die Eier von Berta

diese Praxis ablehnen, müssen sie diese Entwicklung (fast

und ihren Schwestern drei Cent mehr pro Stück kosten, um

immer) akzeptieren. Der Grund: Es fehlen die geeigneten

ihre Brüder mit zu ernähren, die nicht mehr direkt nach dem

Rassen, denn nahezu alle Küken kommen von drei großen

Schlüpfen getötet werden, sondern als Masthähnchen groß

Zuchtbetrieben. Und diese arbeiten primär für den konventio-

gezogen werden. Im Laden sind das dann rund 50 Cent pro Ei

nellen Markt. Die Hochleistungstiere aus den Zuchtbetrieben

– damit kosten sie doppelt so viel wie Bio-Eier beim Discounter.

sind mit der eigentlich artgerechten Haltung im Freien oft überfordert: Sie fürchten sich vor Wind und Wetter, vor grel-

Hähnchen von Zweinutzungsrassen setzen gut 30 Prozent

lem Licht und vor ungewohnten Geräuschen. Die ökologische

weniger Fleisch an als die Turborassen. Deshalb dauert die

Autorin STEFANIE GRAUER


Die Hühnerflüsterin Aufzucht länger. Ein Zweinutzungshuhn frisst auf seine Lebenszeit gerechnet fast doppelt so viel wie ein herkömmliches Huhn – und das kostet. Auch diesen Aufschlag müssen wir Verbraucher bereit sein zu zahlen, wollen wir das Töten

www.alnatura.de/eier

der Küken künftig verhindern. „Uns geht es im Moment nicht ums Geldverdienen, sondern um einen Neuanfang in der Hühnerhaltung“, so Brodowin-Geschäftsführer Krentz.

DR. CHRISTIANE KEPPLER Biologin Universität Kassel

Ein Neuanfang, wie er auch in anderen Bereichen der Tierder Putenmast und in der Milchviehhaltung meistens auf Rassen zurückgreifen, die eigentlich für die intensiv betriebene konventionelle Landwirtschaft gedacht und deshalb überzüchtet sind. Deshalb setzt sich die Zukunftsstiftung Landwirtschaft mit Unterstützung von Alnatura für eine ökologische Tierzucht ein.

NOCH SIND ZWEINUTZUNGSHÜHNER DIE AUSNAHME. BIS ES DAVON MEHR GIBT, VERFOLGT ALNATURA FÜR ALLE ANDEREN BIO-EIERHÖFE EIN EIGENS ENTWICKELTES PROGRAMM FÜR MEHR TIERWOHL IN HÜHNERSTÄLLEN. ERARBEITET WURDE DIESER ANSATZ GEMEINSAM MIT DER HÜHNEREXPERTIN DR. CHRISTIANE KEPPLER. SIE UND IHR TEAM ÜBERPRÜFEN AUF DEN ALNATURA PARTNERHÖFEN DAS WOHL DER LEGEHENNEN.

Im Ökodorf Brodowin dürfen sich Bertas Brüder auf 21 Wochen sattes Grün freuen – knapp drei Monate länger als

Was genau machen Sie als „Hühnerflüsterin“?

ihre Verwandten in konventionellen Mastbetrieben. Diese

Vor allem schaue ich darauf, ob es dem Huhn gut geht. Hierfür haben wir klare Kriterien. 1. Ist das Tier gestresst oder schreckhaft, stillt es Hunger und Durst? 2. Verhält es sich wie es seiner Natur entspricht? 3. Wie ist der Tierzustand? Für eine Übersichtsbeurteilung nehmen wir je Herde bis zu 25 Tiere in die Hand und untersuchen sie auf mögliche Verletzungen und andere Beeinträchtigungen. Stellen wir Abweichungen fest, muss der Bauer nachbessern. Wir besprechen mit dem Bauern, durch welche Maßnahmen wieder ein guter Zustand der Tiere erreicht werden kann.

leben nur 31 Tage und nehmen jeden Tag zehn Prozent ihres Körpergewichtes zu. Berta und ihre Brüder haben hingegen Zeit. Die Gackerliesen wachsen vier Wochen schonend zur Legehenne heran bis sie Eier legen, die groß und stabil genug für den Handel sind. Ein Viererkarton mit dem Alnatura Origin Ei aus Brodowin ist dann für 1,99 Euro in den Berliner Alnatura Filialen erhältlich. Von der Nachfrage der Verbraucher wird es abhängen, ob das Pilotprojekt auf andere Standorte erweitert werden kann. Dann könnten viele weitere Hühner, so wie Berta, auf rollenden Ställen immer wieder zu frischem Grün

Und wie lassen sich Schwachstellen optimieren?

gezogen werden.

Das kommt auf den Einzelfall an. Man kann versuchen, die Fütterung zu ändern und für eine optimale Aufzucht der Junghennen sorgen, zum Beispiel den Übergang von der Aufzucht in die Legeperiode der Hennen besser gestalten oder den Tieren mehr Platz und vor allem Beschäftigung geben. Federpicken beispielsweise ist eine Verhaltensstörung, die zeigt, dass das Huhn nicht genügend Beschäftigungsanreize erhält.

WEITERE INFOS ZUR ÖKOLOGISCHEN TIERZUCHT: www.tierzuchtfonds.de

Was wünscht sich denn ein glückliches Huhn? (Lacht.) Hühner bewegen sich zwei Drittel des Tages draußen und suchen Futter – wenn sie die Möglichkeit dazu haben. Wir haben herausgefunden, dass Hühner bis zu fünfzehntausend Mal am Tag picken, und dieses Futtersuch- und Fressverhalten muss „abgearbeitet“ werden, sonst kommt es zu Federpicken in der Hühnerherde. Ganz wichtig sind Sandbäder zur Gefiederpflege. Und Hühner brauchen Sitzstangen zum ungestörten Putzen, Ruhen und Schlafen sowie geschützte Bereiche zur Eiablage.

19

ÖKOLOGIE

haltung nötig wäre. Denn Bio-Landwirte müssen auch bei


KULTUR

20


BIOGRAFIE:

1984

„BEQUEMES ESSEN BRACHTE DER EISMANN!“

Wir waren die typische bürgerliche Durchschnittsfamilie:

DIE JUGEND: AB IN DIE MIKROWELLE!

Vater, Mutter, drei Kinder. Ich bin der Jüngste. Bis Sommer

Convenience – das Wort kannte ich 1984 noch nicht. Meine

1984 besuchte ich die 10. Klasse des Gymnasiums. Mein

Mutter auch nicht – aber sie kannte die Telefonnummer vom

Leben bestand aus wöchentlich 40 x 45 Minuten Unterricht:

Eismann. Die über die Dörfer fahrenden Tiefkühllaster mit Fer-

zweimal in der Woche auch nachmittags, alle zwei Wochen

tiggerichten, Tiefkühlgemüsen und Eis an Bord fand sie toll.

gab es sogar am Samstag zwei Doppelstunden. Schule, Haus-

Wenn ich mittags von der Schule nach Hause kam, konnte sie

aufgaben, Sportvereine – der Rest der Freizeit ging für die

flugs das Rahmgulasch mit Fertigspätzle und Gemüsebeilage

Schülerzeitung drauf und die Arbeit bei der „echten“ Zeitung.

in die Mikrowelle schieben. Geschmack? War reichlich drin, dank der Zusatzstoffe und zig Emulgatoren, von denen heute

SO LEBTEN WIR

sicher einige verboten sind. Sinnvoll für die Ernährung? Eher

Einen Computer hatten wir damals noch nicht, das erste „trag-

weniger. Aber praktisch, aus Muttersicht. Ich hätte mir ja auch

bare“, fünf Kilogramm schwere Mobiltelefon namens „Porty“,

selber was kochen können …

war eben erst auf den Markt gekommen und kostete rund 7.000 Mark, die monatliche Grundgebühr 300 Mark. Unser

DIE KINDHEIT: SAMSTAG WAR SPAGHETTI-TAG

Fernsehprogramm bestand 1984, dem Gründungsjahr von

Zehn Jahre zuvor war unser Speisezettel überschaubar: 1974,

RTL, aus drei Programmen: ARD, ZDF und „das Dritte“ – in

zur Zeit der Fußball-WM in Deutschland, gab es bei uns min-

unserem Falle vom Südwestfunk Baden-Baden. Als wir unse-

destens einmal in der Woche Spaghetti. Pasta sagte damals

ren ersten Fernseher bekamen, war ich schon acht. Wichtiger

kein Mensch – außer die Italiener. Die Nudeln servierte meine

waren ohnehin Freunde: Wenn ich die treffen wollte ging ich

Mutter meistens am Samstag: mit einer pampigen roten Soße

einfach bei ihnen vorbei. Entweder hatten Jürgen, Andreas

aus Tomatenmark und einer Mehlschwitze. Dazu gab es geho-

oder Stefan Lust, mit mir Zeit zu verbringen – oder eben nicht.

belte weiße Späne aus der Tüte mit der Aufschrift Parmesan

Die Telefongebühren waren damals noch so horrend, dass

– ich liebte das! Wie frisch aus einem Käselaib geschnittener

unser Papa mit Argusaugen über die Telefonnutzung wachte.

Parmesan schmeckt, erfuhr ich erst, als ich schon 30 war. Dafür

Bei uns zu Hause typisch: Auto, Kleidung, Möbel oder Technik

lernte ich Anfang der 1980er-Jahre bereits mit Wasser angerührte

durften durchaus etwas kosten; an Verbrauchsgütern für den

Spagetti-Fertigsoßen aus der Tüte kennen – die verweigerte

täglichen Bedarf wie das tägliche Essen oder an allem, was

sogar ich. Unser sonstiger Speiseplan: Unter der Woche gab es

kurzzeitigen Genuss versprach, wurde gespart.

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Autor HOLGER MEERWARTH

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KULTUR

1984 – IM GRÜNDUNGSJAHR VON ALNATURA – feierte unser Autor seinen 17. Geburtstag. Der Begriff „Bio“ war in seinem Heimatdorf im Schwarzwald zwar schon angekommen, galt aber eher als Schimpfwort für schrumpeliges Obst und Gemüse. Im Trend waren dagegen Mikrowelle und Convenience-Gerichte. Internet und E-Mail waren noch nicht erfunden, Computer für den Hausgebrauch kosteten ein Vermögen. Aber immerhin gab es elektrische Schreibmaschinen, auf denen unser Autor damals seine ersten Artikel für die Zeitung tippte. Eine Erinnerung an DosenRavioli, Eichenholzfurnier und den langen Weg zu einer halbwegs nachhaltigen Lebensweise.


„Convenience – das Wort kannte ich 1984 noch nicht. Meine Mutter auch nicht – aber sie kannte die Telefonnummer vom Eismann.“

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ließ und satt machte. Der Freitag war für Fischstäbchen oder

Honig-Melonen – das führten die Marktbauern in der Provinz

Süßspeisen reserviert. Und Sonntag war der einzige Fleischtag

damals nicht. Dafür aber Kresse. Nicht diese kleinen Schälchen

der Woche: Gulasch, Braten, Hähnchen – all das galt als Sonn-

für die Salatdeko, die es heute überall gibt, sondern Kresse

tagsbraten. Jeden Tag Fleisch? Undenkbar, vor allem unbe-

eimerweise. Bei uns gab es das als Salat in einer riesigen

zahlbar. Wenn meine Eltern mal unterwegs waren, „kochte“

Schüssel – als Abwechslung zu Kopfsalat, Feldsalat und

ich auch für mich alleine: Ravioli-Dose mit dem Büchsenöffner

Endiviensalat. Nach dieser Kresse in solchen Mengen halte ich

aufstemmen, rein in den Topf, drei Minuten warmmachen.

heute noch vergeblich Ausschau. Finde ich aber nirgends –

Runterschlingen. Einmal schaffte ich es sogar, diese Dosen-

stattdessen Batavia, Salatherzen, Lolorosso, Eichblattsalat …

Ravioli anbrennen zu lassen …

Die Essens-Vielfalt von heute gab es bei uns damals nicht. Da-

KULTUR

für verbreitete sich das Wörtchen „Bio“. Wir im Dorf sagten

ARBEITS- UND LEBENSRÄUME

eher: ungespritzt! Das kannte ich schon vom Bauernhof; dort

Unser Wohnzimmer: Schrankwand Eiche rustikal, dazu eine

half ich gerne beim Tierefüttern und der Heuernte. „Unser“

unbequeme Polstergarnitur in Weinrot, ein 4:3 Fernseher

Bauer aß nur die Äpfel von seinen Bäumen rund ums Bau-

mit Nussbaumfurnier. Im Esszimmer ein grünes Telefon mit

ernhaus. Die waren ungespritzt, die durften auch wir Kinder

Wählscheibe, dasselbe gab‘s nochmal im Büro. Dort stand

essen. Von den Äpfeln seiner Plantagen vor dem Dorf verjagte

auch ein Fax. Das war schon eine technische Revolution, weil

uns der Bauer dagegen regelmäßig – die gingen in den Ver-

man damit nicht nur Dokumente übermitteln, sondern auch

kauf der Genossenschaft und waren eben: gespritzt.

kopieren konnte; allerdings verblasste die Kopie auf Thermopapier innerhalb weniger Monate, sodass man nichts mehr

WIE BIO IN DIE GRAFIE KAM

lesen konnte. Computer? Gab es damals nur in großen Fir-

Meine Mutter kaufte gelegentlich im Reformhaus ein: irgend-

men; mein Vater (ein selbstständiger Handelsvertreter) fluchte

welche Körnersachen und sündhaft teure Kosmetikartikel.

darüber, weil nach seiner Meinung die Computer alles nur

Das Schrumpel-Obst-und -Gemüse dort ließ sie liegen. Zu

komplizierter und fehleranfälliger machten. Bei uns im Büro

meiner Kindheit hatten übrigens fast alle Äpfel sogenannten

stand dagegen noch eine Kugelkopfschreibmaschine; das war

„Schorf“: eine Art dünner Grind wie ein Leberfleck an der

schon revolutionär für damalige Verhältnisse, denn sie hatte

Schale. Heute sehe ich diesen Apfelschorf kaum noch. Bei

ein Korrekturband, mit dem man Tippfehler schnell ausbes-

„gespritzten“ konventionellen Äpfeln leuchtet mir das ein; bei

sern konnte. Für mich genial, denn ich schrieb damals meine

Bio-Äpfeln wunderte es mich. Bis ich bei meinem ersten Messe-

ersten Zeitungsartikel als freier Journalist.

Besuch der Biofach in Nürnberg von einem Bauern erfuhr, warum selbst Bio-Obst heute makellos aussieht: Kupfer und

VON MÄRKTEN UND GÄRTEN

Schwefel. Gut für die Optik und Haltbarkeit von Obst, weniger

Obwohl wir immer einen Garten mit eigenem Gemüse hatten,

gut für die Böden. Dass Bio-Landwirtschaft dennoch Sinn

ging ich mit meinen Eltern in den 1970er-Jahren noch regel-

macht, steht für mich außer Frage. Auch weil ich weiß, wie

mäßig auf den Wochenmarkt in der zehn Kilometer ent-

viele Bio-Landwirte und Forscher fleißig weiter nach Lösungen

fernten Kreisstadt. In der 80er-Jahren schossen dann überall

suchen, um den Umgang mit Tier, Pflanze und Boden jeden

Supermärkte wie Pilze aus dem Boden: einkaufen von 9 bis 18

Tag ein bisschen nachhaltiger zu gestalten. Aber vielleicht

Uhr – wozu da noch auf Wochenmarkt-Tage Rücksicht nehmen.

müssten langsam mal wir Verbraucher etwas von unserem

Im Supermarkt gab es ja alles – und noch mehr: Kiwi, Ananas,

Anspruch auf „bequemen Essen“ zurücknehmen … – oder?


23

KULTUR

Alnatura Gründer Götz Rehn setzte von Anfang an auf Bio – ein echter Pionier im Jahr 1984.


ALNATURA UND ICH

BEOBACHTUNGEN, ERINNERUNGEN, BLICKE IN DIE ZUKUNFT: ACHT ALNATURA MITARBEITER UND IHRE GEDANKEN ZUM JUBILÄUM

KULTUR

24

1984 legte Götz Rehn den Grundstein für Alnatura, zwei Jahre später standen die ersten Alnatura Produkte bei den Handelspartnern in den Verkaufsregalen. 1987 eröffnete die erste Alnatura Filiale in Mannheim. Heute, 30 Jahre später, gibt es 89 Alnatura Super Natur Märkte in 41 deutschen Städten und drei Alnatura Bio-Märkte in der Schweiz. Über 2 200 Mitarbeiter setzen tagtäglich ihre Zeit, Arbeitskraft, Ideen und ihr Engagement für die Arbeitsgemeinschaft ein. NATASCHA BÖCKER PÄDAGOGIN UND BILDENDE KÜNSTLERIN, SEIT 2008 AUSBILDUNGSBERATERIN BEI ALNATURA.

Die Eröffnung der ersten Heidelberger Filiale stand bevor. Um darauf aufmerksam zu machen, lief ich durch die Stadt und verteilte Zettel – als Möhre verkleidet. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, wie viele Japaner sich mit mir haben fotografieren lassen. Und das war nicht mein einziges mulmiges Gefühl: Am Vorabend hatte ich einen sympathischen Typen kennen gelernt und war in Sorge, dass wir uns beim „Stadtbummel“ wiedertreffen würden. Ich weiß gar nicht, ob er mich erkannt hätte … Ist auf alle Fälle nicht passiert. Heute sind wir verheiratet und haben drei Kinder.

Kunst als „Lernraum zur Selbstverantwortung“: Das erproben unsere Lernenden seit Jahren im Theaterworkshop „Abenteuer Kultur“. 2012 haben wir mit unseren Bonner Lehrlingen zum ersten Mal Kunst in der Filiale gemacht: Bei „FilialART“ geht es darum, das Alltägliche mit anderen Augen zu betrachten. Wir haben Alnatura Produkte plastiziert und nachmodelliert – und in der Filiale ausgestellt. Durch Pantomime im Schaufenster haben wir Kunden in die Aktion einbezogen. In diesem Jahr gibt es „FilialART“ zum zweiten Mal – für Mitarbeiter quer durch alle Positionen.

ANJA WALDMANN SEIT 1998 BEI ALNATURA, SCHULT UNSERE FILIALMITARBEITER IN SACHEN ERNÄHRUNG UND SCHREIBT TEXTE FÜR DIE ALNATURA MEDIEN.

Protokoll KRISTINA RUDY


DIETER WEISS SEIT 2004 BEI ALNATURA, LEITET DIE FILIALE IN DER KARLSRUHER KÄPPELESTRASSE.

Die Eröffnung des ersten Schweizer Alnatura Bio-Markts, den wir gemeinsam mit der Migros 2012 in Zürich-Höngg eröffnet haben, ist mir in besonderer Erinnerung geblieben. Es war spannend zu beobachten, wie neugierig die Schweizer Kunden auf Alnatura waren – und ich habe sogar einige Freiburger Kunden wiedergetroffen, die extra zur Neueröffnung in die Schweiz gefahren waren.

VALENTIN FUCHS BEGANN 2006 SEINE AUSBILDUNG BEI ALNATURA IN FREIBURG. HEUTE IST ER GEBIETSVERANTWORTLICHER FÜR DIE FILIALEN IN BREMEN, GÖTTINGEN UND HANNOVER.

Anfang 2011 hatten wir die Vision, ein Hochregallager komplett aus Holz bauen zu lassen. Von diesem Gedanken, den in dieser Dimension kein Unternehmen vor uns weiterverfolgt hatte, wollten wir Götz Rehn begeistern. Nach vielen kreativen Stunden in unserem Logistik-Team saß ich mit einer perfekt ausgearbeiteten Präsentation am Schreibtisch unseres Unternehmensgründers. Noch bevor mein Laptop richtig hochgefahren war, verabschiedete mich ein begeisterter Herr Rehn. Im Juli 2013 feierten wir das Richtfest für das weltweit größte Hochregallager aus Holz, im Mai dieses Jahres haben wir es eröffnet.

Regelmäßig bieten wir für die Filial-Mitarbeiter unserer Handelspartner Seminare an. Wir bereiten Gerichte zu, besuchen einen Bauernhof und erfahren so den (Mehr-)Wert von Naturkost aus biologischem Landbau. Nach einem Seminar kam eine Teilnehmerin auf mich zu, nahm mich in den Arm und sagte: „Sie haben mich aus einem Dornröschenschlaf geweckt.“ Darüber habe ich mich sehr gefreut und in meiner Arbeit bestätigt gesehen.

BARBARA UNGERER BEGANN 1989 ALS PRODUKTMANAGERIN BEI ALNATURA.

WULF BAUER IST SEIT 2013 GESCHÄFTSFÜHRER NEBEN GÖTZ REHN. ZUVOR LEITETE ER DEN BEREICH LOGISTIK.

Vor genau zehn Jahren begann mein Weg mit und bei Alnatura – pünktlich zum 20. Geburtstag. Damals war ich in Darmstadt Minijobber, um mein Studium als Grundschullehrerin zu finanzieren. Heute bin ich schon seit achteinhalb Jahren Filialleiterin in Hamburg. 2004 gab es gerade mal 17 Filialen in Deutschland, 2014 gibt es schon 89, und sogar Alnatura Bio-Märkte in der Schweiz. Wer weiß, vielleicht mach‘ ich ja in zehn Jahren den ersten Super Natur Markt in London auf ;-)!

Mutter Theresa sagte: “I alone cannot change the world. But I can cast a stone across the waters to create many rippels.” In diesem Sinne schlagen der Stein, den Götz Rehn vor 30 Jahren mit seiner Idee, Alnatura zu gründen, ins Wasser geworfen hat und die vielen Steine, die ihm folgten, erfolgreich kräftig Wellen. Und auf einer Welle sitzt rudernd die kleine Birgit Hartnagel. Vielleicht ist dieser Erkenntnismoment mein Alnatura Moment?

BIRGIT HARTNAGEL SEIT 2007 BEI ALNATURA, LEITET DAS TEAM „ALLGEMEINER SERVICE“.

NICOLE HERMANN IST FILIALLEITERIN IN HAMBURG-OTTENSEN.

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KULTUR

Ich finde es faszinierend, wie sich das Alnatura Konzept am Markt durchsetzt, und dass wir immer neue Bio-Kunden dazugewinnen. Ich glaube, wir sind der Zeit oft einen Schritt voraus. Wie wir heute wachsen, das wäre in den 70er- und 80er-Jahren nicht möglich gewesen. Alleine 26 Neueröffnungen habe ich neben meiner Tätigkeit als Filialleiter begleitet. Teilweise war ich bis zu zehn Wochen vor Ort. Ich habe viele neue Menschen und Aufgaben kennen gelernt und Freundschaften geschlossen, die bis heute gehalten haben.


BIOGRAFIE:

2014

„MEINE ALNATURA LEHRE IST FÜR MICH MEHR ALS EINE ARBEIT.“

Als 1984 Alnatura gegründet wurde, war Gloria Natalie Hillig noch gar nicht geboren. Heute ist die 19-Jährige im ersten Jahr ihrer Ausbildung im Alnatura Super Natur Markt in Regensburg. Geboren und aufgewachsen in Dresden, zog sie vor fünf Jahren mit ihrer Familie – Vater, Mutter, Bruder – nach Bayern. Sie ist Flexitarierin, boykottiert die typischen Fast-FoodKetten, liebt Sport und hat einen klaren Lebensplan. Hier erzählt sie, warum ihre Entscheidung für die Bio-Branche nicht einfach eine Job-Entscheidung war.

KULTUR

26

Bayern wir kommen. Wir, das sind mein Vater, meine Mutter,

stark dafür gemacht hat. So richtig geht das aber erst, seit

mein um fünf Jahre älterer Bruder und ich. Das war vor vier

wir in Regensburg leben – dort haben wir dank Alnatura eine

Jahren. Wir zogen also von Dresden nach Regensburg und

riesige Auswahl.

damit in ein neues Leben. In Dresden besuchte ich die Sportgrundschule, dann das Gymnasium, machte Eiskunstlauf als

In der 10. Klasse hatte ich keine Lust mehr auf Schule. Ich

Leistungssport und spielte gerne Volleyball. Durch den vielen

wollte eine Ausbildung machen, schrieb an Alnatura, hatte ein

Sport war Ernährung für mich schon immer ein Thema. Viel

Vorstellungsgespräch und konnte im April 2013 zu arbeiten

Obst und Gemüse, kein Fast Food. Für den Hunger zwischen-

beginnen, auf 400 Euro Basis. Das war schon aufregend, aber

durch hatte ich eine Banane in meiner Tasche. Das war in

ich wusste genau, dass es das ist, was ich wirklich möchte.

Sachsen allerdings keine Bio-Banane, obwohl wir Bio-Produkte

Ich habe mich deshalb auch nur bei Alnatura beworben. Eine

eingekauft haben – so gut es eben ging in Dresden in unse-

andere Stelle kam für mich gar nicht in Frage. Im September

rem kleinen Bio-Laden mit kleiner Auswahl. Bio wo immer es

2013 startete meine Ausbildung, die bis 2016 geht. Und

möglich ist, war die Devise in unserer Familie – wahrscheinlich

dann, nach meinem Abschluss, wäre es super, wenn ich bei

auch, weil sich mein Vater als Ernährungsberater besonders

Alnatura bleiben könnte, mich weiterbilden kann und >>

Protokoll ANDREA KNURA


KULTUR

27


irgendwann mal, noch bevor ich 30 bin, wünsche ich mir meine eigene Familie. Zurzeit wohne ich ja noch zu Hause bei den Eltern und Mama kocht. Wir sind Flexitarier: Auf unserem Speiseplan steht immer viel mit Gemüse, aber auch mal Fleisch, das wir dann direkt beim Bauern kaufen. Mein Lieblingsgericht? Lasagne oder was mit Hirse! Bei unseren Kunden im Alnatura Super Natur Markt fällt mir immer wieder auf, dass für sie die Herkunft der Lebensmittel wichtig ist. Oft werde ich gefragt, wo denn zum Beispiel die Hirse oder Frischeprodukte wie Milch, Käse, Wurst und Gemüse herkommen. Ich kann das gut verstehen und gebe gerne Auskunft. Nahrungsmittelunverträglichkeiten sind auch ein spannendes Thema. Da muss man sich schon gut auskennen, um richtig beraten zu können. Ich interessiere mich für die Produkte, und deshalb kenne ich mich aus und berate gerne. Auch wenn ich erst im ersten Lehrjahr bin, kann ich das schon ziemlich gut. In Workshops lernen wir nämlich auch, wie man offen auf die Kunden zugeht. Toll an der Bio-Branche ist, dass es nicht nur um die Produkte 28

und den Verkauf geht, sondern auch um die Menschen, also um die Produzenten und die Konsumenten. Und dann wird auch darauf geachtet, dass es den Tieren gut geht. „Bio kann

KULTUR

man sich ja nicht leisten“, dieses Argument bekomme ich immer wieder mal zu hören. Das stimmt aber gar nicht. Speziell bei Alnatura gibt es ein Preis-Einstiegssortiment in fast allen Warengruppen. Wenn man ein bisschen schaut und darauf achtet, was man einkauft, ist Bio nicht teurer als die konventionellen Produkte. Mit meinen Freunden diskutieren wir viel darüber, welche Auswirkungen die Verwendung von Hybridsaatgut in der konventionellen Landwirtschaft für die Bauern hat. Und darüber, dass es im Bio-Landbau anders ist und es da auch ganz tolle Projekte gibt wie zum Beispiel die Sekem-Farm in Ägypten, für die sich Alnatura besonders engagiert. Das ist übrigens auch mein Lieblingsprojekt, und irgendwann muss ich da mal hin. Seit ich mehr drüber weiß, achte ich beim Kauf meiner Kleidung auf das Öko-Zeichen, was mir oft aber nur bei meinen T-Shirts gelingt. Meine Freundin Constanze ist Alnatura Azubine in Viernheim und genauso begeistert wie ich. Stundenlange Telefonate über die Herausforderungen der Bio-Branche oder über Artikel, die wir im Internet gefunden haben, sind bei uns keine Seltenheit. Kennengelernt haben wir uns im zu unserer Ausbildung gehörenden Theater-Workshop „Abenteuer Kultur“. Bei Alnatura habe ich nicht nur eine Aufgabe, eine Herausforderung und eine Arbeit gefunden, sondern auch neue Freunde.

Mein Lieblingsprojekt: die Sekem-Initiative Die Sekem-Farm ist ein biologisch-dynamischer LandwirtschaftsBetrieb in Ägypten. Auf 2 000 Hektar werden dort Futterpflanzen, Gemüse, Getreide, Obst, Gewürze, Heilpflanzen und Baumwolle angebaut. Gegründet hat die Sekem-Initiative der Chemiker Dr. Ibrahim Abouleish. Er erwarb 1977 Land in der Wüste nördlich von Kairo, um dort einen Raum für die nachhaltige, soziale und kulturelle Entwicklung der ägyptischen Bevölkerung zu schaffen. Nach erfolgreichen biologisch-dynamischen Anbauversuchen setzte er bei der ägyptischen Regierung den Verzicht auf die chemische Schädlingsbekämpfung per Flugzeug durch. Über 300 Bauern aus dem ganzen Land kultivieren unter ständiger Beratung und Kontrolle durch Mitarbeiter der Sekem-Farm Bio-Baumwolle. Neben der Erzeugung von Bio-Textilien ist es Ziel dieser Initiative, den Menschen eine sozial verträgliche Arbeitswelt sowie die Chance auf Bildung und Erziehung zu bieten. In Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen und einer Universität bekommen die Menschen eine Chance für die Zukunft. Dafür wurde Dr. Ibrahim Abouleish 2003 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Alnatura ist bereits seit 1993 Partner der Sekem-Initiative.


WENN

ERDKRÖTEN SPRECHEN KÖNNTEN 101 MAL NATURSCHUTZ DURCH ALNATURA KUNDEN

SOZIALES

29

NATURSCHUTZ MACHT SINN – das haben Alnatura Kunden im Juni mit über 113 000 abgegebenen OnlineStimmen für die beliebtesten Naturschutzprojekte eindrucksvoll unterstrichen. Alnatura hatte 101 Projekte des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) zum Schutz von Pflanzen, Tieren oder auch ganzer Landstriche vorgestellt. Jetzt stehen die Lieblingsprojekte der Kunden fest. Und wer aktiv Naturschutz betreiben möchte, kann ab Herbst 2014 bei ausgewählten Projekten selbst mitmachen.

für den Steinkauz oder für so exotische Projekte wie die Rettung der vom Aussterben bedrohten Flussperlmuschel. Mit ihrem Votum haben die Kunden entschieden, wohin insgesamt 135.000 Euro an Spendengeldern fließen. 54 Projekte aus 9 Bundesländern erhalten jeweils 2.500 Euro, zusätzlich bekommen die übrigen Projekte jeweils 500 Euro als Unterstützung. Ermöglicht haben diese Spende die Alnatura Kunden. Denn von jedem verkauften Produkt der „Alnatura JubiläumsEdition“ gehen 30 Cent in die BUND-Projekte. Auch die Verpackungsgestaltung dieser sechs Produkte kommen von Alnatura Kunden. Sie konnten Anfang des Jahres ihre Ge-

Erdkröten stellen keine Fragen, schon gar nicht nach dem

staltungsideen einreichen, die beliebtesten Entwürfe wurden

Sinn. Sie sind einfach da. Damit das auch im Schwanheimer

ebenfalls über eine Online-Abstimmung ermittelt. Vom Aufruf

Wald so bleibt, hatte sich der BUND Frankfurt Süd-West mit

zum kreativen Designen über den Verkauf der Jubiläums-

einem Projekt zum Schutz von Erdkröten und anderen Amphi-

produkte bis hin zur Spende an Naturschutzprojekte: Die Sinn-

bien bei „Naturschutz vor Ort“ – so das Motto der Alnatura

frage stand bei dieser Jubiläumsaktion stets im Vordergrund.

Aktion anlässlich des 30-jährigen Jubiläums – beworben. Das

Wer Bio-Produkte kauft, unterstützt den ökologischen Land-

Abstimmungsergebnis bestätigt das Engagement der BUND

bau, und im aktuellen Fall auch den Naturschutz. Wer darüber

Ortsgruppe: Der Erdkrötenschutz zählt zu den beliebtesten

hinaus auch erleben möchte, wie sich Naturschutz konkret

Naturschutzprojekten, genauso wie ein Programm zur Rück-

anfühlt, konnte sich für einige Projekte zum Mitmachen an-

kehr der Wildkatzen oder der Lehrteich für Kinder auf einer

melden oder sich direkt an den BUND wenden. Dann heißt

Streuobstwiese. Doch die Herzen der Alnatura Kunden schla-

es Gummistiefel und Arbeitshandschuhe anziehen, Erdkröten

gen auch für den Erhalt von Wildkräuterwiesen, für Nisthilfen

entdecken – und vielleicht auch Sinn.

Autor VOLKER LAENGENFELDER


ÖKOLOGIE

30

MIT GEDULD UND HINGABE NEUE PFLANZENSORTEN FÜR DEN BIO-LANDBAU Bio-Landbau bedeutet Sortenvielfalt. Dabei geht es um den Erhalt von genetischer Vielfalt, aber auch um das Züchten neuer, für die Bio-Landwirtschaft besser geeigneter Sorten. Und zwar ohne Gentechnik. Doch noch immer stammen gut zwei Drittel des Bio-Saatgutes aus konventioneller Züchtung. Und genau hier muss sich etwas ändern. Die Geschichte eines langen Weges.

eine reiche Ernte werden. Aber zu viele Äpfel sind auch nicht gut, sie sollen ja bis zur Reife eine gewisse Größe erreichen; deshalb muss Inde Sattler ausdünnen. „Das tun wir hingebungsvoll“, lacht sie. „Hacken, lichten, Bäume festbinden, es gibt immer was tun.“ Die Obstbäuerin streicht mit dem Handrücken eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht, der Wind weht heftig durch die Obstbaumreihen, trotz der wilden Apfelhecken drumherum.

Rot blitzt die Schere zwischen den grünen Blättern – und wie-

Gemeinsam mit Bernd Hagge-Nissen bewirtschaftet Inde

der landet ein Apfel in Inde Sattlers Plastikeimer. Walnussgroß

Sattler einen Bio-Obstbaubetrieb im schleswig-holsteinischen

ist der und noch gar nicht reif. Die Äste über Inde Sattlers

Hollingstedt. 2003 pflanzten die beiden ihre ersten Bäume,

Kopf sind prall gefüllt mit kleinen roten Äpfeln – es könnte

heute bauen sie Birnen, Zwetschgen und vor allem Äpfel

Autor KIRSTEN ZESEWITZ


FERNANDO KROKISIUS, Teamverantwortlicher „Obst & Gemüse“ bei Alnatura (links) und MICHAEL PICKEL von der Gärtnerei Piluweri

auf vier Hektar Fläche an: 16 Sorten sind bei ihnen zu haben.

fältigen Nachkommen der Hybridsorte selektiert, angepflanzt,

Die beiden sind auch Züchter und haben den Verein Saat:gut

ausgesät und wieder selektiert werden – bis die Tica reif zur

mitgegründet, eine Initiative, die sich um den Erhalt alter und

Anmeldung war. Sie ist eine der wenigen samenfesten Toma-

die Zucht neuer Sorten kümmert. „Es gab ja lange keine eige-

tensorten für den Erwerbsanbau – der Markt wird zu mehr

ne Zucht für den Bio-Landbau“, sagt Inde Sattler. „Da haben

als 90 Prozent von Hybriden dominiert.

wir das selbst die Hand genommen, hier auf dem Hof.“

Derzeit hofft Richard Specht auf die Zulassung einer samenfesten Aubergine: Sie ist im zweiten Jahr ihrer Anmeldung beim Bundessortenamt, kann also schon als „Saatgut für den

stärkt auf eigene Sorten. Denn mit Beginn der 1980er-Jahre

Versuchsanbau“ bei der Bingenheimer Saatgut AG erworben

hat so genanntes Hybrid-Saatgut der konventionellen Züchter

werden.

alte samenfeste Sorten verdrängt. Hybride werden aus

Jede samenfeste Sorte ist eine kleine Revolution auf dem Saat-

Inzuchtlinien mit extremen Ausprägungen einzelner Eigen-

gut- und Gemüsemarkt: Auch die stachelige Schlangengurke

schaften gekreuzt. In der ersten Generation bringen sie eine

Arola, die Richard Specht im Auftrag von Kultursaat vermehrt,

reiche Ernte, doch ihre Nachkommen lassen sich nicht mehr

steht noch ziemlich alleine da im biologischen Erwerbsanbau.

sinnvoll vermehren. Der Landwirt kann also nicht, wie bei

Der überwiegende Teil der Bio-Gurken im Handel stammt aus

samenfesten Sorten üblich, einen Teil seiner Ernte zurückbe-

konventioneller Hybridzucht.

halten, um daraus Saatgut für das nächste Jahr zu gewinnen.

Wie beim Gemüse gilt auch für Obst: Bio-Bauern brauchen

Stattdessen muss er das Saatgut jedes Jahr neu kaufen – von

eigene schmackhafte und robuste Sorten, die für den Anbau

multinationalen Firmen, die den Markt beherrschen. Denn in

ohne synthetische Dünger und Pestizide geeignet sind. Doch

den vergangenen 30 Jahren hat bei den Saatgutunternehmen

die genetische Basis ist schmal geworden. Besonders deutlich

ein enormer Konzentrationsprozess stattgefunden. Heute

wird dies am Beispiel der modernen Apfelsorten. Diese lassen

kontrollieren zehn internationale Unternehmen 75 Prozent

sich auf nur fünf Ahnen zurückführen: Golden und Red De-

des Saatgutmarktes weltweit. Das hat zu einem Verschwinden

licious, Cox Orange, Jonathan und McIntosh. Und diese sind

vieler samenfester Sorten geführt, weshalb auch Bio-Land-

vor allem auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten der konven-

wirte hauptsächlich auf Hybrid-Sorten zurückgreifen müssen.

tionellen Landwirtschaft zugeschnitten, die mit chemischem Pflanzenschutz und Mineraldünger arbeitet.

Um das zu ändern, gründeten 1985 einige Bio-Gärtner den Verein Kultursaat. Der konnte bis heute über 50

Apfelzüchterin Inde Sattler setzt daher auf alte Sorten: „Die

samenfeste, biologisch gezüchtete Gemüsesorten anmelden,

sind ein großer Schatz mit Merkmalen, von denen wir noch

deren Vertrieb die Bingenheimer Saatgut AG übernimmt.

gar nicht wissen, ob wir sie einmal brauchen werden.“ Sie

Der Kultursaat-Initiative gehört auch die Demeter-Gärtnerei

zeigt auf einen zwei Meter hohen Baum. „Das ist eine Kreu-

Piluweri im badischen Hügelheim an, welche die Alnatura

zung aus Gelbem Münsterländer Borsdorfer und der moder-

Filialen in Freiburg mit Tomaten, Auberginen, Möhren und

nen Sorte Collina.“ Dichtes Blattwerk bedeckt die Zweige,

Gurken beliefert. Die samenfeste Tomate Tica beispielsweise

Früchte sind nicht zu sehen. Inde Sattler setzt die Jungpflan-

erfüllt alle Anforderungen an Festigkeit, Haltbarkeit, Ertrag

zen bewusst der Witterung aus, mit der Folge, dass sie erst

und Geschmack – sie wurde von einer Hybridtomate quasi

nach fünf bis sechs Jahren Früchte tragen: „Die Bäume sollen

„rückgezüchtet“. „Ein langer Weg“, sagt Gärtner Richard

ihre juvenile Phase ausleben, so werden sie robust und passen

Specht. Über mehr als zehn Generationen mussten die viel-

sich dem Standort an.“ >>

31

ÖKOLOGIE

Auch beim Gemüse setzt der Bio-Landbau inzwischen ver-


Die Kunst des Züchters liegt darin, die vitalsten Pflanzen zu

Saatgut-Initiativen

selektieren. Und diese wachsen jetzt – vier Jahre nach Beginn der Arbeit – als 2,20 Meter große Bäume in Inde Sattlers Plantage. Sie könnten die Basis für eine neue Sorte sein; aber bis dahin werden noch gut 15 Jahre vergehen. Inde Sattler greift ins Blattwerk: „Der trägt nächstes Jahr Früchte. Dann wird es spannend: die Äpfel begutachten, schauen, wie sie Krankheiten vertragen – und vor allem: verkosten!“

Ein Ziel des Bio-Landbaus ist es, wieder mehr samenfeste Sorten verfügbar zu machen. Deshalb unterstützt Alnatura den Saatgutfonds der Zukunftsstiftung Landwirtschaft. Damit sollen künftig mehr samenfeste Bio-Sorten in den Handel kommen, wie dies bei Pastinaken, Rote Bete und Möhren heute schon gut gelingt. WEITERE INFORMATIONEN:

Zusätzlich zum Geschmack muss auch der Ertrag stimmen,

www.bingenheimersaatgut.de

und die Bäume sollen widerstandsfähig gegen Krankheiten

www.kultursaat.org

sein. Das ist gerade beim gefürchteten Apfel-Schorf wichtig,

www.zs-l.de

ein Pilz, der braun-schwarze Flecken auf der Schale hinterlässt. Dieses Jahr setzt er den Bäumen arg zu. Bernd Hagge-Nissen muss deshalb Kupfermittel anwenden. Diese werden seit über 100 Jahren im Pflanzenschutz eingesetzt. In geringen Mengen sind sie auch im Öko-Landbau erlaubt: laut EU-Öko-Verordnung maximal drei Kilogramm Kupfer pro Hektar. Hagge-Nissen versucht mit nur der halben Menge auszukommen. Da die Kupfermittel vor der Fruchtausbildung angewendet werden, 32

gelangen sie nicht auf den Apfel und hinterlassen dort keine Rückstände. Doch Kupfer steht im Verdacht, Gewässerorganismen zu schädigen und das Bodenleben zu beeinträchtigen.

ÖKOLOGIE

Die EU will Kupfermittel deshalb verbieten. „Dann können wir den Öko-Apfelanbau vergessen“, glaubt Hagge-Nissen. „Wir haben es ein Jahr ohne Kupfermittel versucht – und hatten keinen Ertrag.“ Ersatzstoffe werden zwar erforscht, wie aktuell im Julius Kühn-Institut ein Süßholzwurzelextrakt. Bislang jedoch, so Professor Stefan Kühne, reiche keines der getesteten Mittel an die Wirksamkeit von Kupfer heran. „Kupfer ist und bleibt vorerst alternativlos“, resümiert er.

Der Reinerlös aus dem Verkauf des Alnatura Saatgutes geht teilweise an die Zukunftsstiftung Landwirtschaft.

Die Hoffnung liegt deshalb auf Sorten, die gegen Schorf resistent sind. Das erfordert langwierige Zuchtarbeit über mindestens ein Jahrzehnt – und Geld. Doch während die großen Agro-Konzerne Milliarden in die Entwicklung neuer Sorten stecken, sind Bio-Initiativen wie der Saatgutfonds auf Spenden angewiesen. Deshalb haben Inde Sattler und Bernd Hagge-Nissen mit anderen Züchtern das Projekt Apfel:gut gegründet. Dieses wird auch von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft gefördert. „Das Ziel ist, in zehn Jahren ohne Kupfer auszukommen“, sagt Oliver Willing von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft. Inde Sattlers Eimer mit den ausgedünnten Äpfelchen ist voll. Wenn das Wetter mitspielt, werden die Bäume rund eine Tonne Ernte bringen. Und wenn ihre Züchtungsarbeit ebenso erfolgreich ist, können Inde Sattler und Bernd Hagge-Nissen in zehn Jahren eine neue Sorte anmelden: einen Apfel, der geschmackvoll und robust ist.

Spenden helfen Saatgut-Initiativen Während die Saatgutindustrie Milliarden in die Entwicklung neuer Sorten steckt und staatliche Forschungsgelder in die konventionelle Pflanzenzucht gehen, sind biologische SaatgutInitiativen auf Spenden angewiesen: Saatgutfonds: GLS Bank, IBAN DE77 430609670030005412, BIC GENODEM1GLS Saat:gut e.V.: GLS Bank, IBAN DE77 430609672025926300, BIC GENODEM1GLS Kultursaat e.V.: Sparkasse Oberhessen IBAN DE17 518500790086001420, BIC HELADEF1FRI


WIRTSCHAFT

NEU DENKEN WIE ARBEIT ZU LEBENSSINN WERDEN KANN

Die Zeit der Bio-Pioniere der ersten Stunde ist lange vorbei. Alnatura kam 1984 mit dem Konzept von ganzheitlich gestalteten Bio-Produkten, eigener Marke und einem kontinuierlichen Aufbau der Alnatura Filialen genau mit der richtigen Idee zur richtigen Zeit. Heute stehen Bio-Start-ups vor zwei Problemen: Sie treffen auf einen extrem diversifizierten, gesättigten Markt. Und sie werden kritisch beäugt: sowohl von den etablierten Unternehmen als auch von gut informierten, kritischen Kunden. Hat es da noch Sinn, neue BioProdukte auf den Markt zu bringen? Am Anfang standen die Namen: Charity und Aid – also Wohlfahrt und Hilfe. Der damals 27-jährige Entwicklungshelfer Paul Bethke war es leid, dass so viele Spendengelder in undurchsichtigen Kanälen versickerten und wollte daran etwas ändern. „Es hätte auch der Verkauf von T-Shirts sein können“, sagt Paul Bethke. Hauptsache, es steht ein Sinn dahinter. Aber dann wurde es Bio-Limonade: hausgemacht und aus Fairtrade-Zutaten, deren Verkauf einzelne Entwicklungshilfe-Projekte direkt unterstützt. Das war die Geburtsstunde der Limonade LemonAid und des Eistees ChariTea – und des Slogans: Trinken hilft! Mit seiner Idee rannte Paul Bethke bei seinen Freunden offene Türen ein: Jakob Berndt arbeitete seit mehreren Jahren in einer großen Hamburger Werbeagentur und hielt den Spagat zwischen Überzeugung und Job kaum >>

Autor ULI HESSE

ÖKONOMIE

33


FELIX LANGGUTH, JAKOB BERNDT UND PAUL BETHKE (V.L.) Geschäftsführer von LemonAid

FOTO: STEFFI ZEPP

ÖKONOMIE

34


„Wir sind einfach mit unserer selbstgepressten Limonade losgelaufen und haben die ersten Vertriebsgespräche geführt.“ JAKOB BERNDT Gründer von LemonAid

mehr aus: „Es ist absurd, wenn man mit Anti-Atomkraft-

stammt der Rohrzucker, dort hilft das LemonAid-Geld zum

Demos aufgewachsen ist und privat Öko-Strom bezieht, aber

Beispiel beim Aufbau von Schulen; in Südafrika, dem Her-

im Job 70 Stunden pro Woche damit verbringt, Atomstrom

kunftsland des Rooibos-Tees, bauen sie mit ChariTea-Geld

zu vermarkten.” Also musste ein neues Lebensmodell her:

Solarsysteme; und in Sri Lanka konnte inmitten der Tee-

ein Konsumprodukt, das sich verkaufen lässt, aber auch Sinn

plantagen ein Bildungszentrum gefördert werden.

macht. Das Verbinden von sinnhaftem Handeln mit der Lust am Geld Am Küchentisch seiner Hamburger WG experimentierte

verdienen ist typisch für die Generation Y. Der Buchstabe wird

Bethke mit Berndt Ende 2008 so lange mit Rezepten, bis sie

ausgesprochen wie das englische „why“ – steht also für die

mit dem Geschmack zufrieden waren. „Wir hatten keine

Sinnfrage: Warum machen wir das? Darum geht es auch den

Ahnung von Verpackung, Logistik oder industrieller Produk-

Studierenden im Fachbereich Wirtschaft der Alanus Hoch-

tion. Wir sind einfach mit unserer selbstgepressten Limonade

schule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn. Von

losgelaufen und haben die ersten Vertriebsgespräche ge-

den angehenden Betriebswirtschaftlern werden dort kreative

führt“, erinnert sich Jakob Berndt. Das Produkt kam an, aber

Lösungsansätze gefordert, zum Beispiel im Kunstmodul:

Geld verdienten sie damit noch nicht. Deshalb holten sie bald

Obwohl sie keine erfahrenen Bildhauer sind, sollen die BWLer

Felix Langguth, der vorher in einer Unternehmensberatung

eine Skulptur meißeln – und dabei bricht der Stein meist, geht

das Optimieren von Arbeitsprozessen gelernt hatte, als dritten

also kaputt.

Geschäftsführer an Bord. „Unser sozialer Beitrag hängt davon ab, dass wir sauber wirtschaften“, so Paul Bethke. „Wenn

Statt von vorne anzufangen, motivieren die Lehrkräfte die

wir jedes Jahr in die Miesen segeln, haben unsere sozialen

jungen Studierenden, aus dem abgebrochenen Stück etwas

Projekte auch nichts davon.”

Neues zu schaffen. „Diesen Prozess übertragen wir dann ins

2010 war die Firma stabil genug, um auch den sozialen

Wirtschaftsleben, zum Beispiel auf Organisationsformen, die

Gedanken zu verwirklichen. Seitdem gibt es den Verein

nicht mehr funktionieren”, erklärt Steffen Koolmann, Professor

LemonAid & ChariTea e.V.. An ihn gehen von jeder verkauften

für Ökologie und Gesellschaft. „Wir setzen den Studenten

Flasche LemonAid oder ChariTea fünf Cent als Spende. Der

keine Ideologien vor, sondern wollen ihnen Lust machen,

Verein wiederum fördert damit gemeinnützige Projekte, aus

Wirtschaft selbst zu gestalten und so dem eigenen Tun einen

denen die Rohstoffe für die Getränke kommen: Aus Paraguay

tieferen Sinn über die monetäre Bilanz hinaus zu geben. >>

ÖKONOMIE

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GÖTZ REHN Alnatura Gründer und Geschäftsführe

ÖKONOMIE

36

Jenseits der monetären Bilanz ALNATURA ZÄHLT MIT AKTUELL 89 FILIALEN ZU DEN FÜHRENDEN ANBIETERN VON BIO-PRODUKTEN IN DEUTSCHLAND. GEGRÜNDET HAT DAS UNTERNEHMEN GÖTZ REHN (64). Herr Rehn, hat sich im Laufe Ihres Lebens der Fokus Ihres unternehmerischen Handelns verändert?

für Nachhaltigkeit zeigten. Ich war und bin davon überzeugt, dass es immer mehr Menschen gibt, die eine Unternehmensinitiative wie Alnatura wollen. Uns verbindet die Überzeugung, es geht nicht nur effizient, sondern zugleich und vor allem sinnvoll, sozial und ökologisch.

Was empfehlen Sie heutigen Start-ups?

In der Pionierphase, das heißt in den ersten Jahren eines Unternehmens, ist man allein. Also muss man auch alles allein denken und tun. Mit dem wachsenden Unternehmensorganismus entsteht eine Arbeitsgemeinschaft. Jetzt geht es um Mitarbeiterführung, Prozessgestaltung und Organisation. Je differenzierter das Unternehmen wird, umso wichtiger wird die Bewusstseinsentwicklung des Einzelnen, damit er eigenständig sinnvoll im Sinne des Ganzen zu denken und zu handeln lernt. Dies ist ein lebenslanger Lernprozess.

In einer arbeitsteilig organisierten Wirtschaft sind wir in einem globalen Netz alle miteinander verbunden. Jeder hängt von den Leistungen eines anderen, für ihn Tätigen ab. Daraus folgt: Wirtschaften ist dann sinnvoll, wenn es sich konsequent am Kunden orientiert. Das ist der Mensch. Eine radikale „Kundenorientierung“ ist für jedes Start-up wesentlich.

Eine Firmengründung ist ja immer auch mit Risiko verbunden. Was hat Sie bewogen, in der Bio-Branche etwas „zu unternehmen“?

Alnatura will sich in Zukunft in der ganzen Wertschöpfungskette noch stärker engagieren. Im Rahmen der Bio 7 Initiative werden wir die Umstellung auf den biologischen Landbau fördern. Alnatura wird mit seinen Hersteller- und Handelspartnern noch enger zusammenarbeiten, um für die Kunden die Alnatura Produkte und Leistungen in noch sinnvollerer Weise zu gestalten.

Als Unternehmer schaut man nicht auf die Risiken, sondern ist von seiner Gründungsidee so überzeugt, dass man Probleme ausblendet. Für Alnatura boten sich Bio-Produkte an, weil Menschen ein Interesse

Was sind ihre Visionen für die kommenden Jahrzehnte?


Auf Sinnsuche waren auch Jochen Wolf und Martin Steckdaub, als sie 2005 im Flugzeug auf dem Weg zur indonesischen Insel Flores saßen. Jochen Wolf war es nach 15 Jahren als geschäftsführender Gesellschafter leid, nur für die Gewinnmaximierung von Unternehmen zu arbeiten. Martin Steckdaub – ein Freund und erfahrener Entwicklungshelfer – hatte ihn überredet, sich auf der paradiesischen, aber abgelegenen Insel ein Projekt anzusehen, das kurz vor dem Aus stand. 600 Kleinbauern bauten auf Flores Cashewnüsse biologisch an und knackten sie kalt, so dass mehr Nährstoffe erhalten werden als beim traditionellen Verfahren. Einzigartig – doch es fehlte ihnen an Absatzmöglichkeiten und Geld, so dass sie gezwungen waren, die Nüsse zu Dumpingpreisen auf dem konventionellen Markt zu verkaufen. Jochen Wolf war fasziniert von dem Projekt und den Menschen. Tagelang fuhr er mit Martin Steckdaub im Jeep über Feldwege zu abgelegenen Parzellen ohne Wasser und Strom,

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um sich die Felder und Arbeitsweisen anzuschauen. In der

„Ich werde Cashew-Produzent in Indonesien!“ Kurzentschlossen kaufte er mit Martin Steckdaub 60 Tonnen Nüsse, um sie in Deutschland zu vertreiben und so das Projekt am Leben zu erhalten. Zwei Monate später gründeten die beiden die Firma Flores Farm. Zwar hatte Jochen Wolf Erfahrung in der Unternehmensführung, aber keine Ahnung vom Lebensmittelvertrieb. Die Banken wollten das Projekt nicht finanzieren: zu risikoreich. Daher investierten die Unternehmer ihr komplettes Privatvermögen und lebten drei Jahre lang von ihren Ersparnissen. „Wir haben den Bauern einen fairen Handel angeboten, aber uns selbst ausgebeutet und viel Lehrgeld gezahlt“, sagt Jochen Wolf heute selbstkritisch. Durchgehalten hat er dennoch, und seit fünf Jahren trägt sich das Unternehmen. Er schreibt es seiner positiven Einstellung zu und der Vorarbeit von Bio-Unternehmern wie Götz Rehn. „Das sind wirkliche Pioniere, auf deren Konzept wir aufbauen und es weiterentwickeln konnten.”

ÖKONOMIE

letzten Nacht schickte Jochen Wolf seiner Frau eine SMS:


SOZIALES

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HENDRIK HAASE

AILEEN KAPITZA

JAN HEGENBERG

www.wurstsack.de

www.minzgruen.com

www.graslutscher.de

Autor HOLGER MEERWARTH


WURSTSACK TRIFFT

GRASLUTSCHER ... ... UND MINZGRÜN IST AUCH DABEI – EIN GESPRÄCH ÜBER DEN SINN DES „RICHTIGEN“ ESSENS

AILEEN: Ich habe schon als Kind nicht gerne Fleisch gegessen. Das kam – wenn überhaupt – mal sonntags auf den Tisch.

HENDRIK: Hattest Du eigentlich gesundheitliche Probleme,

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wenn Du Fleisch gegessen hast?

AILEEN: Ich hatte Probleme mit Milchprodukten. Ich finde ja Kuhmilch schon nicht gesund. Da sind ja viele Hormone drin …

JAN: Du meinst die Wachstumshormone für das Kälbchen? AILEEN: Ja. Ich befasse mich beim Essen mehr mit der Gesundheit. Für mich ist egal, ob die Kuh auf der Weide steht oder im Stall auf engstem Raum. Mir geht es darum, was das tierische Eiweiß in deinem Körper anstellt. Und wenn dann die Industrie sagt, du musst Milch trinken, das ist gesund und gibt Kalzium für die Knochen, das finde ich echt schlimm …

Also um Moral und Ethik geht es euch gar nicht bei der Ernährung?

Wie ist das für euch beide, wenn nebenan jemand solche Fleischberge isst?

JAN: Mir schon! Gesundheit ist weniger mein Thema.

JAN: Das ist ja normal. Wenn du mit anderen zusammen sitzt,

ich, dass es gesundheitlich nicht so viel Unterschiede gibt

sind Vegetarier oder Veganer die Ausnahme. Wenn ich da

zwischen einem Vegetarier oder einem Fleischesser. Aber

jedes Mal einen Aufstand machen würde, könnte ich ja nie

wenn ich unterwegs in einer Kantine oder im Zug Fleisch

was mit Bekannten machen.

esse, dann ist das wahrscheinlich voll von Antibiotika und

Wenn man wie früher einmal die Woche Fleisch isst, glaube

AILEEN: Ich kann den Fleischkonsum um mich herum

Wachstumshormonen …

ausblenden bis zu einem gewissen Grad.

HENDRIK: Da gebe ich Dir recht. Mich stört, dass Fleisch

JAN: Was Hendrik auf der Platte hat, sieht mir zu sehr nach

so ein Nebenbei-Produkt wird, das man am Grillstand mal

Tier aus. Als ich noch Fleisch gegessen hatte, musste das

eben schnell billig kaufen kann. In einer Kantine funktioniert

möglichst anonym aussehen, am besten paniert: Schnitzel

ein Veggie-Day deshalb nicht, weil das Gemüse so widerlich

halt oder Chicken-Nuggets. Ein halbes Hähnchen mit Knochen

zubereitet ist; da ist das Schnitzel, was mal schnell frittiert

hat mich schon zu sehr an Tier erinnert …

wird, noch das Essbarste. >>

SOZIALES

Berlin-Kreuzberg, Markthalle Neun. In dem historischen Gebäude versuchen die Betreiber seit vier Jahren zu zeigen, dass „Anders-Essen“ und „Anders-Einkaufen“ in der Großstadt möglich sind: mit der Herstellung und dem Verkauf von Lebensmitteln, die möglichst regional, fair und ökologisch sind. Hierher haben wir drei FoodBlogger zum Lunch eingeladen. Hendrik Haase lebt in Berlin und ist Fleischliebhaber; in seinem Blog www.WURSTSACK.de tritt er für nachhaltigen Genuss ein. Jan Hegenberg aus Wiesbaden macht sich bei www.GRASLUTSCHER.de für vegane Ernährung stark. Aileen Kapitza ist Vegetarierin und studiert in Leipzig; sie betreibt den Veggie-Blog www.MINZGRUEN.com. Zum Lunch sitzt Hendrik vor einer Fleischplatte mit Rind aus bayerischer Freilandhaltung sowie Gemüse aus dem Berliner Umland, Jan und Aileen haben sich für einen veganen Burger entschieden.


40

Wir reden beim Fleisch immer über Verzicht. Aber niemand von euch sagt: Ich esse Gemüse aus Genuss …

Hof haben wir 80 bis 90 verschiedene Gemüse: zehn Sorten

JAN: Es gibt tatsächlich Sachen wie Peperoni-Wurst auf der

ich mich immer frage, warum aus der Ecke Vegetarier oder

Pizza, die hat noch keiner geschafft so nachzumachen, dass

Veganer nicht mehr zum Thema Gemüse kommt? Denn, was

ich als Veganer sage, dass schmeckt genau so lecker wie eine

ich wirklich ablehne, sind diese veganen Produkte mit Zusatz-

echte Wurst. Aber das ist vielleicht auch ungerecht: Fleisch-

stoffen wie Glutamat und Aromastoffen, bei denen Gen-

Kartoffeln, fünf Sorten Möhren, zehn Sorten Salat … Was

produkte haben eine viel längere Tradition als vegane.

technik im Spiel ist.

AILEEN: Wenn ich in der Stadt an so einem Grillstand vorbei

JAN: Von diesem Fertigzeug esse ich nicht viel. Da gibt es ja

gehe, erinnert mich das an den Earthlings-Film, diese Doku-

inzwischen absurde Sachen: Tintenfischringe …

mentation über Fleischkonsum und Tierhaltung. Deswegen finde ich Fleischgeruch mittlerweile eher abstoßend.

AILEEN: … und Tofu-Truthähne … JAN: Ja, ganze Truthähne, sogar mit Anus. Aber wenn das

HENDRIK: Den Film habe ich auch gesehen. Der besteht

jemandem hilft, von seinen 80 Kilogramm Billigfleisch-Kon-

aus Horrorszenen, in denen Tiere nur noch ein Produkt sind,

sum runter zu kommen, dann ist das was Gutes. Aber es ist

die man in diese Maschine, die Schlachthof heißt, reinstop-

doch blöd, wenn wir statt fertig verpackte Wurstscheiben

fen muss. Ich kenne aber auch eine andere Welt, denn ich

jetzt fertig verpackte Sojascheiben essen, für die jede

habe selbst schon beim Metzger mitgeholfen. Da wurde das

Menge Plastikmüll produziert wird. Seit ich mich vegan

Schwein ohne Stress überraschend betäubt, und zwar von

ernähre, esse ich viel indisch, weil Inder mit Gemüse

einem Metzger, der das Schwein kennt.

coolere Sachen anstellen als Europäer.

JAN: Wenn jemand sagt, es ist ihm wichtig, dass das Tier

HENDRIK: Dieses Thema „Beilage“ ist wirklich ein Nach-

ordentlich betäubt wurde, dann ist das schon mal ein guter

kriegsding: Da gab es endlich wieder Fleisch, und dann gab

Schritt. Ich lehne es trotzdem ab, dass ein Tier getötet wird,

es halt noch eine Beilage. Ur-Oma wäre nie auf die Idee

aber zu dieser Einsicht kann man auch ohne solche Horror-

gekommen, von Beilagen zu reden.

filme wie den Earthlings-Film kommen.

JAN: Bei der gab’s halt einen Kohleintopf. Das war ein

SOZIALES

Wintergemüse und hat dann für drei Tage gereicht. Heutzutage isst man im Winter gerne Eisbergsalat und Brokkoli,

So isst Deutschland

die sonst woher kommen.

HENDRIK: Ich erwarte von veganen Blogs immer, dass etwas kommt wie „Hey, ich habe hier gerade eine neue Spargelsorte entdeckt, die wächst so und so und schmeckt ganz abgefahren“. Stattdessen lese ich häufig Begründungen, warum es

92,5 6 1,5 %*

FLEISCHESSER

%*

VEGETARIER

%*

VEGANER

*QUELLE: YOUGOV MÄRZ 2014

auch ohne Fleisch geht. Das habt ihr doch gar nicht nötig!

AILEEN: Als ich meine Nahrung umgestellt habe, bin ich häufig auf Food-Blogs gelandet, da gab es ein veganes Rezept mit schlechten Handyfotos und drunter ein Video von einer Schlachtung. Ich wollte das in meinem Blog anders machen. Wenn sich jemand gesund ernähren will, muss er nicht dieses Schlachtvideo sehen.

JAN: Das ist natürlich auch daraus entstanden, weil man sich

Wie hat euch eigentlich der Lunch geschmeckt?

rechtfertigen muss. Geht man mit anderen Burger essen,

HENDRIK: Die Fleischplatte war toll. Den Burger fand ich

heißt es: Du kannst ja gar nichts essen!

weniger gut: Da hat einfach jemand Tofu als Bratling in das Brötchen geklemmt und aus meiner Sicht nicht nachgedacht …

Aileen, Du bist ja vor allem deshalb Vegetariern, weil du dich schwertust, dich überall vegan zu ernähren …

JAN: Ja, das könnte man noch besser machen. Tofu halte ich

AILEEN: Genau. Wenn man nicht gerade in einer Großstadt

als Belag für ungünstig, weil das keinen Biss hat. Das hat so

wohnt, sieht es für Veganer schlecht aus. In einem Restaurant

was von Gemüsematte …

bleibt da oft nur der Salat übrig – und dafür muss ich nicht in

AILEEN: Ich fand’s ok. Klar, so einen Burger kann man immer

ein Restaurant gehen.

besser machen.

JAN: Und wenn du dann sagst, machen sie mir doch einfach

HENDRIK: Ich bin Teilhaber bei SpeiseGut, die arbeiten nach

einen Gemüseteller, dann kommt der oft ganz schön ein-

dem Prinzip der solidarischen Landwirtschaft. Auf dem Bio-

fallslos daher: ungewürzt, matschig …


HENDRIK: Das ist ja die Schande! Wenn Du als Koch nur

gebissen, als der die Tofu-Palette rausgefahren hat.

Fleisch hinkriegst, ist das so, als ob Du in einer Band spielst,

HENDRIK: Bei unserem Bio-Bauern gab es eine Diskussion

kannst aber nur solo spielen.

auf Facebook, ob er ein Mörder ist, weil er Bienenvölker zum Bestäuben seiner Zucchini, Gurken oder Tomaten hält. Und

Es gibt ja Veganer, die achten beim Autokauf darauf, dass kein Leder verarbeitet wurde und fordern eine tierfreie Landwirtschaft.

das ist bedenklich, weil da Leute weit weg sind von einer

JAN: 100 Prozent vegan geht nicht. Ich bin mit dem ICE

Realität, wie hier Gemüse angebaut wird. Mich stören diese harten Linien. Ihr kauft, hoffe ich, auch Bio-Gemüse, oder?

Lokscheibe kleben.

JAN: Ja klar. AILEEN: Ja, und regional. JAN: Stimmt, das ist mir sogar noch wichtiger als Bio. Wenn

HENDRIK: Ich habe mal auf einem Bio-Bauernhof geholfen,

ich die Wahl habe zwischen einem Bio-Apfel aus Chile und ei-

und da gingen wir am Abend Schnecken sammeln. Bei den

nem konventionellen um die Ecke, dann nehm‘ ich lieber den

Schnecken mit Häuschen hat der Bauer gesagt: Wirf die ein-

konventionellen, obwohl ich weiß, da sind Pestizide drauf,

hergefahren, was meinst Du, wie viele Mücken da an der

fach an den Rand, die fressen die Gelege der Nacktschnecken.

dafür wurde er nicht um die halbe Welt gekarrt.

Indirekt hat er also zum Schneckenmord aufgerufen. Die

HENDRIK: Mein Standpunt ist: Bio funktioniert nicht ohne

Nacktschnecken haben wir gesammelt und an die Schweine

Tiere! Sonst gibt es keine Kreislaufwirtschaft. Denn wenn

verfüttert. Da habe ich mich gefragt: Ist denn jetzt der Salat

wir das mal vegan durchspielen, bist du bei der Tomate,

noch vegan?

die auf Steinwolle wächst; statt Bienen müsste die Pflanzen

JAN: Weil ihr Schnecken getötet habt, damit der Salat wach-

jemand mit einem Pinsel von Hand bestäuben, und für die

sen kann? Das ist nicht meine Welt, denn wo ziehe ich da die

Düngung müssten wir unsere eigenen Exkremente nehmen …

Grenze?

JAN: Wir machen ja viele Sachen so, weil wir sie vorgelebt

HENDRIK: Da bist du jetzt aber auf ganz dünnem Eis … JAN: Ich weiß, das gibt bestimmt einen Shitstorm in meinem

HENDRIK: Aber müssten wir dann nicht zusammen kämp-

Blog! Ich kann halt schlecht sagen, ich will nur noch das

fen? Ihr müsst das Gemüse pushen und aus der Beilage die

essen, wofür kein Tier gestorben ist. Denn auch für ein Brot

Hauptlage machen. Und ich esse weiter Fleisch, kümmere

fährt eine Erntemaschine über ein Weizenfeld, und da geraten

mich aber darum, dass von der Schwanzspitze bis zur Nasen-

natürlich auch Kleintiere unter die Räder. Und im Produktions-

spitze das Tier gut gehalten, geschlachtet und verarbeitet

prozess hat vielleicht der Gabelstaplerfahrer in ein Wurstbrot

wird.

bekommen haben.

SOZIALES

41


DER

ZEIGEFINGEREFFEKT KANN DIE BIO-BRANCHE IHRE KUNDEN ZU MEHR ÖKO-BEWUSSTSEIN ERZIEHEN?

ÖKOLOGIE

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Katalysator, Rauchgas-Entschwefelung, FCKW-Verbot in Kühlsystemen, Umweltschutz als Staatsziel, Atomausstieg – verglichen mit den letzten 30 Jahren, scheint der Weltuntergang heute gar nicht mehr so nah. Was hat in einigen Bereichen zum Umdenken geführt? Und was können wir tun, um unser Leben für Mensch und Erde sinnvoller zu gestalten? Gedanken über erhobene Zeigefinger, schlichte Erkenntnis und die Lust, das eigene Leben sinnvoll zu gestalten. So schlecht kann es uns gar nicht gehen! Wir haben (bis-

Nicht ganz. Denn auch beim Sicherheitsgurt spielten viele

lang) überlebt: das atomare Wettrüsten, das Ozonloch, den

Faktoren eine Rolle: die technische Entwicklung über Jahr-

BSE-Wahnsinn. Außerdem diverse Gammelfleisch-Skandale

zehnte; die öffentliche Diskussion samt Aufklärung über die

und nicht wenige Unwetter. Grund zur Freude? Bedingt. Denn

Medien; Vorbilder – ein schwedischer Autobauer baute Gurte

es verwundert doch immer wieder, wie lange unsere Spezies

serienmäßig ein; und äußere Faktoren – 1970 gab es über

für einsichtige Erkenntnis gepaart mit Verhaltensänderung

19 000 Verkehrstote. Zum Vergleich: 2013 waren es 3 290.

benötigt.

Bewusstseinswandel braucht Zeit. Denn manchmal Bereits 1972 hob der Club of Rome – ein Zusammenschluss aus Wissenschaftlern, Intellektuellen und Industriellen – mahnend den Zeigefinger. Unter dem Titel

sind Menschen einfach noch nicht reif oder bereit für einen

„Die Grenzen des Wachstums“ malt die Studie das Bild einer

nur fordert: Mut, Energie, Kapital, visionäre Kraft. Es gäbe

zerstörten Umwelt mit ausgebeuteten Ressourcen und einer

heute keinen Bio-Landbau ohne die Pioniere. Vordenker wie

in Verteilungskämpfen zerrissenen Welt. Geändert hat der

Rudolf Steiner. Überzeugte Visionäre, die in den 1980er-

Bericht über Jahrzehnte: nichts!

Jahren dank ihrer unternehmerischen Strahlkraft und Aus-

Wandel. Was hilft, sind Vorbilder. Menschen, die vorangehen, Beispiel geben – auch wenn das im ersten Moment erst mal

dauer dafür sorgten, dass Bio-Produkte heute in aller Munde

Gedankensprung. Es gab mal eine Zeit, da hatten Autos

sind. Joseph Wilhelm und Jennifer Vermeulen von Rapunzel

keine Sicherheitsgurte. Auch als sie ab 1974 bei Neuwagen

(1979). Volker Krause von der Bohlsener Mühle (1979). Sina

serienmäßig eingebaut sein mussten, legte sie kaum ein

Nagel und Neil Reen von Barnhouse (1979). Ulrich Walter von

Autofahrer an. Selbst zig Studien, welche die höhere Über-

Lebensbaum (1979). Götz Rehn mit Alnatura (1984). Stefan

lebensrate von Angeschnallten belegten, führten zu keinem

Voelkel, der die bereits 1936 gegründete Naturkostsafterei in

Umdenken. Das änderte sich erst, als 1984 das Strafgeld für

3. Generation zur Weltmarke machte. Und viele andere. Sie

Gurtmuffel kam. – So leicht ist es also: Hier ein Gesetz, dort

alle haben etwas angefangen, weil sie etwas anders machen

die positive Veränderung?

wollten. >>

Autor HOLGER MEERWARTH


ÖKOLOGIE

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Was die Bio-Branche nicht kann: Alleine die Welt retten. Aus globalen Warenströmen lokale Selbstversorgungssysteme erschaffen. Bio-Kunden vorschreiben, wie lange die Kühlschranktür offen stehen darf und wie groß das Auto für den Einkauf sein sollte.

„Die Preise müssen die Wahrheit sprechen.“

Ein Veggie-Day auf Ansage? Schwierig! Aber das Bewusstsein gerade vieler junger Konsumenten wandelt sich ja ohnehin. Denn es gibt mehr denn je für alle zugängliche Informationen und Vorbilder, die als Orientierung dienen: Veganer beschreiben in Blogs ihre Erfahrungen, Journalisten berichten mehr und mehr über die Folgen von (Massen-)Tierhaltung. DR. FELIX PRINZ ZU LÖWENSTEIN

Das sind demokratische Faktoren für einen Bewusstseins-

Vorsitzender BÖLW

wandel – Information statt Zeigefinger. Entscheiden muss jeder individuell.

Die Bio-Branche kann auch vorangehen. Wenn beispielsweise Alnatura als erster Einzelhändler für mehr EnergieEffizienz Türen vor Kühlregale montiert, dann ist dies ein kleiner Beitrag, der auch andere motivieren kann. Wenn Taifun mit 44

seinem Sojaanbau in Deutschland, Frankreich und Österreich zeigt, dass die eiweißreiche Bohne auch in Mitteleuropa gedeiht, dann müssen wir immerhin einige hundert Tonnen Soja weniger aus Übersee importieren – und vielleicht macht das

ÖKOLOGIE

2011 HABEN SICH PER PETITION AN DEN DEUTSCHEN BUNDESTAG MEHR ALS 100 000 MENSCHEN FÜR EINEN ZULASSUNGSSTOPP VON GENTECH-PFLANZEN EINGESETZT. INITIIERT WURDE DIE PETITION DURCH VIELFALTERLEBEN; PETENT WAR DR. FELIX PRINZ ZU LÖWENSTEIN, VORSITZENDER VOM BUND ÖKOLOGISCHE LEBENSMITTELWIRTSCHAFT.

Projekt ja Schule.

Zu menschlichem Leben gehört der Ressourcenverbrauch: Land, Nahrung, Luft, Wasser, Rohstoffe. Im Gegensatz zu den meisten anderen Arten ist der Mensch keinem anderen Lebewesen nützlich – mal abgesehen von Haus- und Nutztieren. Mit diesem Axiom menschlichen Lebens werden

Herr Prinz zu Löwenstein, wie können wir Menschen ansprechen, damit sie sich nachhaltiger verhalten? In unzähligen Initiativen werden die erforderlichen Alternativen zu unserem derzeitigen Lebensstil entwickelt. Das ist eine nötige Voraussetzung. Den Durchbruch werden wir nur erzielen, wenn wir die Marktmechanismen funktionsfähig machen. Und das bedeutet vor allem: Die Preise müssen die Wahrheit sprechen. Erst wenn für die Produkte, die wir kaufen, alles mitbezahlt werden muss, was bei ihrer Produktion und auf dem Weg ins Regal an sozialen und ökologischen Kosten anfällt, haben wir es geschafft.

wir zurechtkommen müssen. Mit sinnloser Ausbeutung der Natur und Geringachtung der Kreatur dagegen nicht. Denn das Beste und damit Sinnvollste aus unserem Dasein zu machen, das geht sehr wohl. Und dafür lohnt es, gelegentlich den mahnenden Zeigefinger zu erheben.

Warum war die Petition des BÖLW gegen grüne Gentechnik solch ein Erfolg? Das Beispiel zeigt ebenso wie die komplette Bewegung gegen Agro-Gentechnik, wie viel Bürger erreichen können, wenn sie aktiv werden. Sie brauchen nur Instrumente, mit denen sie ihre Bereitschaft zum Handeln umsetzen können. Die Petition hat ein solches Instrument bereitgestellt.

Wie, glauben Sie, können wir die Welt zum Besseren verändern? Angesichts der ökologischen und der sozialen Herausforderungen reicht eine Kurskorrektur nicht aus. Wir brauchen eine gesellschaftliche Transformation. Sie kann nur durch ausreichenden Druck aus der Bevölkerung in Gang gesetzt werden - und das erfordert einen Bewusstseinswandel bei einer kritischen Masse von Menschen. www.boelw.de www.vielfalterleben.info


SINNVOLL

FÜR MENSCH UND ERDE GEDANKEN VON ALNATURA GRÜNDER GÖTZ REHN

Je mehr Freiheiten und damit Möglichkeiten wir haben, desto mehr stellt sich für viele die Frage nach der Sinnhaftigkeit ihres Tuns, ja gar nach der Sinnhaftigkeit ihres Seins. Wie leben wir sinnvoll? Und wie wird daraus sinnhaftes Handeln?

Gibt es etwas Schöneres, als in unseren Zeiten leben zu dür-

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fen? Wann je in der Geschichte waren wir so frei im Denken und Handeln und zugleich so allein? Wir sind jeder auf uns selbst gestellt und haben die Chance, jenseits von Konventi-

KULTUR

on und Routine selbstverantwortlich unser Leben zu führen, unsere Biografie zu schreiben. Niemals zuvor waren wir zugleich auch so gefährdet. Die von uns entwickelten Systeme und Maschinen sind übermächtig.

etwas denke ist wesentlich, sondern was ich von dem

Wir schaffen neben der realen eine virtuelle Welt. Von jedem

„Wesen des Anderen“ erkennen kann, weist mir den Weg,

Menschen gibt es demnächst ein „digitales Ich“, einen aus

dem anderen „gerecht“ zu werden, ihm zu entsprechen.

unseren Daten und Verhaltensmustern der Vergangenheit

Damit entdecke ich den „Sinn“ des anderen Wesens und

zusammengesetzten Datenzwilling. Er ist das Abbild unserer

kann sinnstiftend tätig werden.

Taten, das droht, die Übermacht über unsere freie Persönlichkeit zu gewinnen. Er wird zur Orientierung für die Gestaltung

Allerdings gelingt dieser Weg nur, wenn jeder Mensch für sich

der Zukunft als Vorbild gewählt: ein Schatten unserer Vergan-

den Entschluss fasst und sich selbst auf eine „geistige Wande-

genheit. Dabei verlieren wir das Ideal des schöpferischen, sich

rung“ begibt. Das verlangt Disziplin. Den Sinn kann sich jeder

entwickelnden Menschen; der Individualität, die aus Idealen

Mensch nur im eigenen Erkenntnisbemühen selbst erschließen.

Sinnvolles gestaltet und sich im Gestaltungsprozess selbst als

Sinn können wir nicht konsumieren, nur schöpfen, das heißt

Mensch entwickelt. Wir stehen also an einer entscheidenden

in unserem Bewusstsein durch unser Denken erzeugen. Der

Kreuzung: Wollen wir dem Weg der Förderung des Ideals der

Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er Schöpfer ist, wo er

freien Menschen folgen oder uns zu Opfern unserer eigenen

Sinnvolles individuell gestaltet.

Systeme machen und in Richtung Verhaltenskonditionierung Das ist auch die Aufgabe der Mitarbeiter der Arbeitsgemein-

durch Reizstimuli zu Produkten der Wirtschaft werden?

schaft Alnatura. Wir wollen durch unsere Handlungen dazu Für mich besteht der Sinn des Lebens darin, gemäß meiner

beitragen, dass mehr Schöpferisches in der Welt entstehen

mir gegebenen individuellen Möglichkeiten möglichst viel

kann. Je mehr uns das gelingt, umso stärker werden wir uns

dazu beizutragen, dass andere Menschen, andere Wesen und

selbst im Spiegel unserer Taten erleben. Die Folgen der Sinn-

die Erde sich besser entwickeln können. Dies setzt ein ständi-

Taten sind der Handlungsrahmen der Erde und damit für uns

ges, selbstloses Erkenntnisstreben voraus. Nicht was ich „über“

Menschen unsere Zukunft. >>

Autor GÖTZ REHN


Was unser Tun prägt Sinnvoll für Mensch und Erde – mit dieser am Ideal orientierten Unternehmensführung haben wir bei Alnatura schon früh eine eigene Idee von Bio geprägt. Wir haben uns nicht daran orientiert, was die Gesetze gerade noch zuließen, sondern seit der „Geburt“ von Alnatura konsequent auf 100 Prozent Zutaten aus biologischem Landbau bei den Alnatura Produkten gesetzt. Im Gegensatz dazu erlaubt die „EU-Bio-Verordnung“, dass bis zu 5 Prozent der landwirtschaftlichen Zutaten in einem Produkt nicht Bio sind. Auch die Zusammenarbeit mit den Bio-Anbauorganisationen Bioland, Demeter und Naturland kennzeichnet die Alnatura Qualitätsphilosophie: „Beste Qualität in ästhetischer Anmutung zum günstigsten Preis“. Für uns steht das ständige Verbessern der Qualität ganz vorne. Dies begleitet seit der Unternehmensgründung ein unabhängiges Expertenteam. Ist die Qualität für ein Produkt gefunden, arbeiten wir daran, die Prozesse so schlank wie möglich zu gestalten, damit Alnatura Produkte von immer

KULTUR

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mehr Menschen gekauft werden können. Beim Gestalten unserer Leistungen geht es uns auch um die Schönheit. Wir bemühen uns immer neu, unsere Produkte ästhetisch zu gestalten, unsere Alnatura Filialen schön und einladend zu konzipieren – und unsere Logistikgebäude aus Holz zeigen, dass auch „Funktionsbauten“ schön und umweltfreundlich sein können. In 30 Jahren hat sich Alnatura zu einem Unternehmen entwickelt, das von seinen Kunden geschätzt und gewollt ist. Auszeichnungen, zum Beispiel 2011 als nachhaltigstes Unternehmen Deutschlands, begleiten unsere Entwicklung. Unser Motto „Sinnvoll für Mensch und Erde“ ist ein Ideal, das wie ein Leitstern unseren Entwicklungsweg beleuchtet. Unablässiges Streben nach sinnvoller Verbesserung der Werkwelt prägt unser Tun. Oft sind es kleine Verbesserungen, die uns Schritt für Schritt zu einem Unternehmen machen, das Nachhaltigkeit im umfassenden Sinn lebt. >> Autor GÖTZ REHN


Sinn ist individuell ERKENNTNISSE DER SINNFORSCHUNG ÜBER UNSER SINNERLEBEN

TATJANA SCHNELL Sinnforscherin an der Universität Innsbruck

Fragt man Menschen nach ihrem Lebenssinn, nennen sie häufig Familie, Freunde und Beruf. Das sage aber noch nichts darüber aus, ob diese Faktoren einem Menschen auch tatsächlich Sinnerfüllung geben, so Tatjana Schnell: „Wenn man schaut, was am meisten Sinn gibt, dann steht die Generativität an erster Stelle. Wenn also jemand etwas tut, das in erster Linie der Gemeinschaft und späteren Generationen zu Gute kommt, dann ist diese Person mit großer Wahrscheinlichkeit sehr sinnerfüllt.“ Auch Religiosität und Spiritualität können starke Sinngeber sein, sind aber in Deutschland nach Erkenntnissen der Sinnforscherin nicht mehr sonderlich stark ausgeprägt. In der 2008 von ihr publizierten Studie „Deutsche in der Sinnkrise?“ nannten die Befragten eher Faktoren wie Moral, Harmonie, Fürsorge, Entwicklung und Gemeinschaft, die sie in ihrem Alltag als wichtig bewerten. „Mir scheint, dass die Sehnsucht nach Sinnerfüllung in den letzten 30 Jahren noch größer geworden ist“, sagt Tatjana Schnell. „Einige groß angelegte Studien haben gezeigt, dass über die Hälfte der Angestellten in Asien, Amerika oder Europa bereit wären, entweder weniger Gehalt zu bekommen oder ihre Machtposition zu verringern, wenn sie dafür etwas Sinnvolles tun könnten. Und in einer Studie über Führungskräfte sagten zwei Drittel, dass sie Sinn in ihrer Arbeit vermissen.“ Damit wir unser Sein als sinnvoll empfinden, sollten laut der Wissenschaftlerin vor allem vier Faktoren vorhanden sein.

beispielweise jemand meine Arbeit wahr und wie ich sie tue? Bedeutsamkeit wird über Wertschätzung vermittelt – und zwar nicht nur durch Kollegen und Chefs; es ist auch wichtig, was mein Tun für die Gesellschaft bedeutet.

3. Orientierung: Entwickelt sich das, was ich tue, in eine Richtung, hinter der ich auch mit meinen Werten stehen kann? Diese Werte kann man gut mit den 26 Sinndimensionen beschreiben. Zum Beispiel wäre es für einen Menschen, dem viel an Gemeinschaft liegt, schwierig, in einem Umfeld zu arbeiten, in dem nur Machtfragen im Vordergrund stehen.

4. Kohärenz: Stimmt das, was ich tue mit meinen Überzeugungen überein? Oder muss ich in meiner Arbeit etwas tun, was meinen Werten widerspricht – also mich anders verhalten, als ich privat bin? „Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der es schwierig ist, Sinn zu erleben, weil alles Mögliche dem entgegenspricht, die vier Sinnkriterien zu erfüllen“, glaubt Schnell. Früher sei vieles selbstverständlich gewesen, auch mangels wählbarer Alternativen: „Meine Urgroßeltern hatten einen Bauernhof. Hätte ich die nach Sinn gefragt, hätten sie mich komisch angeschaut, weil sie die Frage gar nicht verstanden hätten.“ Tatjana Schnell verdeutlicht die vier Sinnfaktoren am Beispiel ihrer Urgroßeltern: „ 1. Sie gehörten der Dorfgemeinschaft an – fühlten sich also zugehörig. 2. Was sie taten, war bedeutsam, weil ganz klar war, was wann zu tun war, damit etwas wächst auf dem Feld. 3. Die Orientierung war da, denn alle waren damals Christen. Und das war 4. auch kohärent, weil es keine anderen Weltentwürfe gab, die dieses Leben in Frage gestellt hätten.“

gehöre ich zu einer Gruppe? Zugehörigkeit meint das Gegenteil von isoliert und entfremdet sein.

Damals wie heute sind Menschen auf der Sinnsuche. Auch das Thema Nachhaltigkeit könne sinnstiftender Motor unserer Gesellschaft sein, so die Wissenschaftlerin Schnell: „Ich kann mir vorstellen, dass die Bio-Pioniere vor 30 Jahren dasselbe angetrieben hat, was Menschen auch heute noch treibt: Die bisherige Tätigkeit hinzuwerfen und etwas zu tun, was sinnvoll erscheint; auch wenn es nicht unbedingt eine Karriereaussicht bietet.“

2. Bedeutsamkeit: Das, was ich tue, hat Konsequenzen. Nimmt

WEITERE INFOS: www.sinnforschung.org

1. Zugehörigkeit: Spiele ich eine wichtige Rolle in einem Team,

Autor HOLGER MEERWARTH

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KULTUR

TATJANA SCHNELL IST ASSOZIIERTE PROFESSORIN AN DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK MIT DEM SCHWERPUNKT EMPIRISCHE SINNFORSCHUNG. SEIT 14 JAHREN FORSCHT SIE ÜBER DAS, WAS MENSCHEN ALS SINNERFÜLLUNG BEGREIFEN. GRUNDLAGE DAFÜR SIND FRAGEN ZU 26 SINNDIMENSIONEN WIE ZUM BEISPIEL GESUNDHEIT, SOZIALES ENGAGEMENT, MACHTSTREBEN, LIEBE ODER SPASS.


JAHRE

30 ZUVOR EIN SINNHEFT ZUM ALNATURA JUBILÄUM

MARIA REITMEIER arbeitete schon im Alnatura Gründungsjahr 1984 als Marktfrau auf dem Münchner Großmarkt


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