Der Porzer ist Kult

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Der Porzer ist Kult Bernhard Marmsoler, bekannt als „Porzer“, betreibt in Seis am Schlern einen besonders originellen Zeitungsund Souvenirladen. Portrait eines Einzelkämpfers.

Eine Institution bringt nichts aus der Ruhe.

E Ein weißes T-Shirt hängt im Geschäft vom Ober­ boden. Darauf das Konterfei des Kaufmannes und gut sichtbar die Aufschrift „The last perfect man“. Ein Geschenk von Freunden. Bernhard hat die Aus­ zeichnung mit Humor genommen. Der fast Siebzig­ jährige trägt immer weißes Hemd und Sakko, dazu den ortsüblichen blauen Schurz. Seine Lebenserfahrung lässt Bernhard gerne in die Gespräche mit seinen Kunden einfließen. Im „By Porzer“, wie er seinen Laden nach einem Englisch­ kurs umbenannt hat, findet sich neben den aktu­ ellen Zeitungen und Fachzeitschriften so alles, was man für einen Urlaub im Gebirge brauchen könnte oder als Mitbringsel nach Hause nehmen möchte: vom piepsenden Murmeltier am Eingang bis zu al­

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ler Art von Stroh- bis Bergsteigerhüten, warmen Plüschmützen und Hüttensocken, Postkarten und Wanderführern.

Großes Warenangebot. So weit so gut. Nur der Raum, den Bernhard im Pfarrhaus gemietet hat, scheint das Warenangebot, das er im Laufe der vielen Jahre seiner Kaufmannstätigkeit angesam­ melt hat, kaum zu fassen. „Ich muss ja alles allein machen“, rechtfertigt er das Sammelsurium. Seine drei Schaufenster hat er wohl vor Jahren das letzte Mal bestückt, zwar sehr liebevoll, mit wunderschö­ nen Kerzen, venezianischen Wunderkugeln, Minia­ turhäuschen im Alpenstil, Porzellanraritäten, „aber da fragt niemand danach“, wundert er sich. Und er scheint sie wohl auch vergessen zu haben, die hüb­ »

Text: Rosa Maria Erlacher Fotos: Helmuth Rier

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schen Souvenirs, und die Aussicht, sie hinter den vorgelagerten Schachteln und alten Kalendern her­ vorkramen zu müssen, scheint ihn auch nicht zu begeistern. Im Keller bunkert der Kaufmann noch eine Menge von Waren, die heute nicht mehr ge­ fragt sind: Zinnteller, Zinnkrüge und bunte Bier­ krüge. Der Alltag des Porzer ist beschwerlich. Bereits früh­ morgens kommt er ins Geschäft, um die neuen Zei­ tungen in Empfang zu nehmen, auch am Sonntag­ vormittag. Dann stellt er erst einmal die Ständer mit den Postkarten, den Wanderkarten, den vie­ len Hüten und Plüschmützen, daran die Gehstö­ cke hängend, auch die Tücher, Hüttensocken und Schürzen im Tirolerdesign rund um den Eingang. Dazu mehrere prall gefüllte Kartons unbekannten Inhalts und immer – ob Winter oder Sommer – eine Kleiderstange mit verblichenen Jacken jeder Coleur.

Langer Arbeitstag. Bereits um sieben Uhr holen die ersten Kunden ihre Zeitungen. Irgendwann am Vormittag schließt der Porzer kurzfristig sein Ge­ schäft, um in einer nahestehenden Bar sein Früh­ stück zu genießen, denn sein Geschäftstag ist lang, und diese Pause sei ihm wohlvergönnt. Seine Stammkunden wissen das und erledigen inzwi­ schen eben etwas anderes, um dann wieder zurück­ zukommen. Wenn Bernhard nicht gerade einen schlechten Tag hat, kann er mit seinen schnodd­ rigen Sprüchen die Leute unterhalten. Er hat ein weites Herz, hält mit seiner persönlichen Meinung nicht hinter dem Berg und versteht es gut, die Men­ schen aufzumuntern. Der Mann hat Humor. Als die örtliche Bank einen Vorzeigemann für eine Plakataktion benötigte, stellte er sein Portrait zur Verfügung. Wer, wenn nicht er, war (nach dem Pfarrer) der bekannteste Mann im Dorf? Dabei hat der Porzer wirklich kein leichtes Leben gehabt. Nach Ausbildungs- und Ar­ beitsjahren in einem Lebensmittelgeschäft über­ nahm er mit seinem Bruder, der Florist war, das Ge­ schäft im Pfarrhaus. Der Bruder verkaufte Blumen und Grabkränze, Bernhard Zeitungen, Bücher und Souvenirs. Das Geschäft ging gut und der junge Bernhard beschloss, jungvermählt, mit seiner Frau den Laden, jetzt ohne Blumen, weiterzuführen.

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Sie starb nach nur einem Jahr an einer tödlichen Krankheit. Bernhard heiratete ein zweites Mal, das Paar bekam ein Kind, und wieder nach einigen Jah­ ren ging die Frau und das Kind blieb bei ihm. Eine Wohnung abzuzahlen, als alleinerziehender Vater ein Kind großzuziehen und ein Geschäft zu führen, brachte ihn manchmal an die Grenzen der Belast­ barkeit, erzählt er. Früher half ihm zeitweise eine Bekannte im Geschäft aus, aber seit der Junge er­ wachsen ist und einen guten Job hat, macht der Por­ zer wieder alles allein. Das Einzige, worüber er sich beklagt, ist die Hausarbeit, die er „so nebenbei“ vor allem am Sonntagnachmittag erledigen muss.

Ein geselliger Mann. Für die Mittagspause räumt Bernhard jeden Tag die ganzen Gestelle und Kar­ tons wieder ins Geschäft, danach wieder heraus und abends wieder hinein. Wieviel Mühe! Und dann kommt noch die Arbeit im Hinterraum dazu: Totocalcio, die italienische Variante von Fußball­ wetten, Enalotto, das italienische Pendant zur Staatslotterie, und noch dazu der Servicedienst für alle Zahlungsarten, die heutzutage über Computer ablaufen wie das Aufladen von Handykarten, die Bezahlung öffentlicher Gebühren usw. Deswegen trifft man den Porzer selten hinter dem Tresen an und muss dann eben im Hinterraum nach ihm su­ chen. Aber wenn das Wetter schön ist, dann setzt er sich auch mal auf einen Stuhl am Eingang in die Sonne oder auf eine Dorfbank mit Sicht auf den Eingang und plaudert mit den vorbeikommenden Leuten.

Im Geschäft von Bernhard Marmsoler gibt es unheimlich viel zu entdecken: Wertvolles, Nützliches, Schrulliges und jede Menge Raritäten.

Der Porzer hält sich durchaus auf dem Laufenden. Mit ihm kann man sich fabelhaft über alle mög­ lichen Themen unterhalten. Allerdings ist bei soviel Betriebsamkeit sein Hobby unter die Räder gera­ ten. Einst war Bernhard begeisterter Imker, er füt­ terte und pflegte seine geliebten Bienen, aber dann kam die Bienenpest und tötete seine Bienenvölker. Jetzt ist Sportfernsehen seine große Leidenschaft. Vor allem kann er sich für Fußball begeistern. Bei ihm treffen die dörflichen Fußballfans auf den wah­ ren Kenner, mit dem sie sich ausgiebig austauschen können. Auch wenn es um Wintersportarten wie al­ pine Skirennen und Biathlon geht, kennt Bernhard sich aus wie kaum ein anderer. Der Porzer in Seis am Schlern ist Kult, eine Institution, die man sich gar nicht wegdenken mag. «

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