Die Herren der Lüfte

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Die Herren der Lüfte Es gibt keinen Berg und keine Wand in Südtirol, wo der passionierte Bergretter Raffael Kostner noch nie im Einsatz war. Dasselbe dürfte für seine beiden Brüder Marcus und Gabriel gelten, zwei erfahrene Piloten, die gemeinsam mit Raffael für den „Aiut Alpin Dolomites“ im Dienst stehen. Aber nicht nur.

E Es ist alles andere als einfach, die drei Herren zu einem gemeinsamen Fototermin zu sammeln. Sie haben es zu eilig für solchen Firlefanz. Für die drei Brüder Raffael, Marcus und Gabriel Kostner gibt es Wichtigeres zu tun. Und als hätten sie es geahnt, kommt über Funk schon der nächste Einsatzruf: Ein älterer Feriengast ist auf dem Santnerpass-Klettersteig in Bergnot geraten. Er war auf dem nassen Felsen ausgerutscht und einige Meter abgestürzt. Raffael und Marcus schwingen sich in den glutroten Hubschrauber, um gemeinsam mit den Männern der Bergrettung Tiers den Einsatz durchzuführen. Auch Paolo, ein Anästhesist aus Mailand und einer der 28 Flugrettungsärzte des „Aiut Alpin Dolomites“, schwingt sich unter den kreisenden Rotorblättern in den H135 T3. Text: Elisabeth Augustin Fotos: Helmuth Rier

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Am Stützpunkt des „Aiut Alpin Dolomites“ in Pontives am Eingang des Grödner Tales herrscht den

ganzen Tag über reges Treiben. Neben dem Rettungshubschrauber sind hier auch die Helikopter der Elikos GmbH stationiert. Und obwohl das eine mit dem anderen nicht wirklich zu tun hat, besteht eine enge Verbindung, nicht nur logistischer Natur. Marcus und Gabriel Kostner sind Hubschrauberpiloten und fliegen als solche regelmäßig Rettungseinsätze für den „Aiut Alpin Dolomites“. Zugleich haben sie 1998 den Hubschrauberservice Elikos GmbH gegründet, mit dem sie, nunmehr gemeinsam mit ihren beiden Neffen Manuel und Daniel, von der Belieferung von Schutzhütten mit Lebensmitteln und den Rundflug über die Dolomiten bis hin zur Flugaufnahme für Werbefilme eine breite Nachfrage abdecken. Das Fliegen steckt in der DNA der drei KostnerBrüder. Ihr Großvater, der legendäre Leo Demetz, war nicht nur Ingenieur und Seilbahnbauer, son- »


Es geht um Leben und Tod: Bergretter im Einsatz.

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Startklar für den nächsten Einsatz

dern erntete auch als der erste Pilot von ganz Gröden Respekt und Anerkennung. Dessen Sohn, ein Onkel der Kostners, war Pilot im Zweiten Weltkrieg. Und nun sind es einige Cousins der dritten und vierten Generation, die sich als Piloten in die Lüfte wagen. Da scheint Raffael, der älteste der Kost­ner-Brüder (insgesamt gab es acht Geschwis­ ter am Stlejuc-Hof in St. Ulrich) fast die Ausnahme zu sein. Ihn hat der Pilotenführerschein nie interessiert. Im Hubschrauber ist der erfahrene Bergretter der Mann an der Winde. Über den „Aiut Alpin Dolomites“ ließen sich Bücher schreiben. Fakt ist, dass Raffael Kostner die treibende Kraft war und ist. Als leidenschaftlicher Bergrettungsmann hat er früh erkannt, dass eine Rettung aus Bergnot in vielen Fällen nur aus der Luft effizient erfolgen könne. Im Rückblick auf die ersten Einsätze des Rettungshubschraubers in den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts sagt Raffael: „Es war ein halbes Weltwunder!“ Damit habe man die dritte Phase in der Bergung von Verletzten oder Toten am Berg eingeläutet. Seit Beginn des Alpinismus im Sinne einer Breitenbewegung im 19. Jahrhundert bewältigten die Bergretter ihre Einsätze zu Fuß, bis dann irgendwann auch Militärhubschrauber zum Einsatz kamen. Raffael Kostner, Chef des Bergrettungsdienstes Gröden, der bekannten „Catores“, war viel unterwegs und zutiefst überzeugt davon, dass auch Südtirol eine professionelle Flugrettung brauche. So suchte er in den Siebzigerjahren die Zusammenarbeit mit den Streitkräften, um Verunfallte per Hubschrauber vom Berg zu holen. „1985 haben wir am Langkofeleck erstmals einen Toten mit einem zivilen Hubschrauber aus der Luft geborgen“, erinnert er sich. Nun begann Raffael, Überzeugungsarbeit zu leisten, vor allem auch bei den politischen Entscheidungsträgern in Bozen. 1986 kam für den Landesrettungsdienst Weißes Kreuz der erste Hubschrauber zum Einsatz. Der Südtiroler Bergrettungsdienst (BRD) und die Nationale Berg- und Höhlenrettung (CNSAS) im italienischen Alpenverein (Club Alpino Italiano) waren aber überzeugt, dass es für die Rettung in den Bergen besonders agile Hubschrauber und speziell ausgebildete Bergretter brauche. Die Erfahrungen zeigten, dass nur mit einem erweiterten Einsatzgebiet und mit zusätzlicher Einbindung der Rettungsmannschaften der Nebentäler eine spezialisierte und wirkungsvolle Bergrettung mittels Hubschrauber realisiert werden konnte. Um sich zwischen den

Die Leidenschaft fürs Fliegen ist am Sitz von „Elikos“ in jeder Ecke zu spüren.

Felstürmen und Wänden der Dolomiten sicher zu bewegen, war auch die Wahl des am besten geeigneten Fluggerätes ausschlaggebend. Nach mehreren Beratungen unter den Verantwortlichen der Bergrettungen der ladinischen Täler wurde 1990 der Gründungsakt der „Union Aiut Alpin Dolomites“ unterzeichnet. Als technischer Leiter wurde Raffael Kostner ernannt. Jeder Einsatz ist Teamwork. Raffael Kostner, der in der Sommer- und in der Wintersaison auf seiner Sanon-Hütte auf der Seiser Alm, die er gemeinsam mit seiner Familie bewirtschaftet, den Notruf installiert hatte, hatte bereits im Jahr 1987 eine Hubschrauberbasis eingerichtet. Diese Position war besonders vorteilhaft für die Rettungseinsätze in den Dolomiten. Raffael stattete die Basis bestmöglich aus und stellte mit Hilfe von Dr. Michele Nardin ein medizinisches Depot, ein Lokal für die Rettungsgeräte sowie eine Anlage für die Treibstoffversorgung zur Verfügung. Die Mannschaft wurde in Raffaels Gasthütte, die oft auch als Unterkunft diente, verpflegt. Durch besagte Gründung der „alpinen Rettung der Dolomiten“ 1990 bekam Kostners Tätigkeit einen offiziellen Charakter und wurde vor allem durch den Auftrag von damals neun Bergrettungsmannschaften legitimiert. Heute sind es 17 Mannschaften, starke Sponsoren und rund 3.000 unterstützende Mitglieder, die hinter dem „Aiut Alpin Dolomites“ stehen. Die Alarmierung erfolgt über die Südtiroler Landesnotrufzentrale, welche die Einsätze der Landesflugrettung mit ihren Hubschraubern Pelikan 1 und Pelikan 2 sowie des „Aiut Alpin Dolomites“ koordiniert. »

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Rettungshubschrauber und Bergretter rücken mehrmals am Tag aus, um am Berg in Not geratenen Mensch zu helfen.

Beim „Aiut Alpin Dolomites“, der während der Bergsaisonen insgesamt rund neun Monate im Jahr im Dienst ist, sind immer ein Pilot, ein Windenmann, ein Arzt, ein Bergflugretter, der von den Mannschaften gestellt wird, und im Winter oft auch ein Lawinenhundeführer an Bord. „Jeder muss in seinem Moment gut sein“, erklärt Raffael. „Ein Einsatz ist Teamwork. Und es gilt immer, ganz schnell die richtige Entscheidung zu treffen.“ Da ist „Crew member management“ gefragt, kann Moritz Peristi, der von Beginn an Raffael zur Seite stand, nur bestätigen. Zwölf Prozent der Einsätze würden über die Winde oder das Fixtau abgewickelt, weil der Hubschrauber nicht landen kann. Dann sind alle besonders gefordert. Auch fliegt und ar-

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beitet immer ein gewisses Risiko mit. Die Bergrettung muss bei jedem Wetter und auch bei Wind in die Luft. „Mein Antrieb war stets die Liebe zur Bergrettung“, sagt Raffael, „sowie die Notwendigkeit, den Dienst zu verbessern.“ Es sei eine große Genugtuung, bei Unfällen Hilfe am Berg zu leisten und jemanden aus seiner Not zu retten. „Das Traurigste ist, verunfallte Bergsteigerkollegen tot zu bergen oder Eltern sagen zu müssen, dass ihr Sohn oder ihre Tochter nicht mehr nach Hause kommen werden.“ „Wir arbeiten alle ehrenamtlich für den „Aiut Alpin Dolomites“, betont Raffael. Er ist seit 30 Jahren je-


den Sonntag im Dienst, während seine Frau Magdalena und mittlerweile auch die Kinder die vielen Gäste in der Sanon-Hütte allein bewirten. Früher konnte Raffael zwischen dem einen oder anderen Einsatz noch mithelfen, aber seit die Hubschrauberbasis für den „Aiut Alpin Dolomites“ 2003 von der Sanon-Alm nach Pontives bei St. Ulrich im Grödner Tal in eine zeitgemäße Unterbringung übersiedelt wurde, ist Raffael seltener in seiner Hütte auf der Seiser Alm anzutreffen. Beim Erzählen schwingt etwas Wehmut mit, aber Raffael ist ein Vollprofi, der hohe Ansprüche an sich selbst und an seine Mitarbeiter stellt. Der neue Stützpunkt mit Einsatzzentrale, Hangar, Büro- und Mannschaftsräumen, Wohnungen für Arzt und Pilot sowie der Dachlandeplattform für Nachteinsätze entspricht den Erfordernissen der Zeit und den Vorgaben der Behörden. Nächstes Ziel Raffaels ist es, die Flugstunden im Winter auszudehnen. „Im Vergleich zur Schweiz liegen wir 20 Jahre zurück“, sagt er. Geht es nach Raffael, sollen ab Weihnachten 2016 mit Nachtsichtgeräten auch Abendeinsätze möglich sein. Die Basis in Pontives mit ihrer Dachplattform ist jedenfalls

darauf vorbereitet. Auch möchte Raffael verstärkt in die Ausbildung investieren und junge Freiwillige für die künftige Arbeit aufbauen. In der Bergrettung ist die Erfahrung des Piloten entscheidend. So war es in den Anfängen des „Aiut Alpin“ nicht so einfach, geeignetes Einsatzpersonal zu finden. Raffaels Brüder, Marcus und Gabriel, waren zwei begeisterte Drachenflieger und ließen sich sehr schnell vom neuen Hubschraubervirus ihres älteren Bruders anstecken. Marcus, den eigentlich alle Marco nennen, hat seinen Beruf als Mechaniker an den Nagel gehängt, sich zum Piloten ausbilden lassen und in der Folge in Sardinien und Kampanien drei Jahre lang Brandschutzeinsätze geflogen. Auch bei Transportflügen im Aosta-Tal konnte er wichtige Erfahrungen sammeln, bevor er 1992 beim „Aiut Alpin Dolomites“ seinen Traumjob fand. Gabriel, gelernter Bildhauer, machte über ein spezielles EU-Projekt seinen Flugschein. Seit 1988 bzw. 1989 haben Marcus und Gabriel je rund 9.000 Flugstunden absolviert. Während der Bergretter und Windenmann Raffael sagt: „Fliegen ist ... die große Hilfe für die Bergret- »

Drei Brüder - ein Team: Gabriel, Raffael und Marcus (v.l.n.r.) Kostner

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tung“, sagt Marcus: „Fliegen ist ... mein Traumjob.“ Gabriel erklärt, „Fliegen ist ... total schön. Aber über die Dolomiten fliegen, ist das Schönste.“ Und dazu bietet sich den Brüdern reichlich Gelegenheit. Mit ihrem Hubschrauberservice „Elikos“ haben sie aus der Luft wichtige Aufgaben zu stemmen: Sie sind häufig für den Südtiroler Zivilschutz im Einsatz und

Schumacher, Prinz Albert von Monaco, Bernie Ecclestone und viele andere mehr. Davon zeugt die überdimensionale Fotogalerie im Hangar. Selbst zum Stuntman für Terence Hill in der beliebten italienischen Fernsehserie „Un passo dal cielo“ hat es Marcus gebracht, „wenn auch eher zufällig“, grinst er.

werden mit Brandschutzeinsätzen ebenso betraut wie mit dem Sprengen von Lawinen oder dem Bau von Stromleitungen. Wichtige Aufgaben sind auch die Instandhaltung von Steigen, Präzisionsmontagen sowie die Transporte bei der Sanierung oder dem Wiederaufbau von Hütten. Marcus und Gabriel sind durch die viele Lastenfliegerei gewohnt, mit langem Seil zu arbeiten. Das kommt ihnen sehr zugute, wenn es gilt, einen Verunglückten zwischen den Felsen punktgenau anzupeilen.

Als Raffael Kostner im Oktober 2015 im Quirinalspalast in Rom von Staatspräsident Sergio Mattarella für seine Verdienste um die ehrenamtliche Bergrettung zum „Ufficiale dell’Ordine al Merito della Repubblica Italiana“ ausgezeichnet wurde, war das ein großer, ein sehr großer Moment für ihn. In der Begründung stand, dass Raffael auf internationaler Ebene eine der bekanntesten und meist geschätzten Personen in der Bergrettung sei („È una delle figure più note e stimate del soccorso alpino a livello internazionale.“) ... Die Hingabe und die Selbstlosigkeit Kostners beim Retten von Menschen am Berg seien allen italienischen und ausländischen Alpinisten bekannt. („La dedizione e l’altruismo di Kostner nel soccorrere persone in montagna sono note a tutti gli alpinisti italiani e stranieri.“) Raffael nahm die große Ehre gerne an, stellvertretend für all jene, die jeden Tag am Berg im Einsatz sind, für seine Familie, die ihn immer machen ließ, und für seine Brüder Marcus und Gabriel. „Jeder Einsatz ist Teamwork.“ «

Schnell und professionell: der „Aiut Alpin Dolomites“

Wenn „Elikos“ für Werbespots zum Einsatz kommt, dann wirbelt der Hubschrauberrotor etwas mondänere Luft auf. Für atemberaubende Flugaufnahmen in den Dolomiten sind Marcus und Gabriel sowie ihre beiden mitarbeitenden Piloten und Neffen Manuel und Daniel immer zu haben. Die großen Automarken finden sich auf ihrer Referenzliste ebenso wie Schokolade- oder Technikproduzenten. Auch haben die Herren der Lüfte schon so manchen prominenten Gast geflogen: Michael

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