Hirtenritt und Himmelsruh

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Wo die Freiheit grenzenlos ist: Rosl und Luis Zöggeler sind von Juni bis September am Schlern voll im Einsatz.

Hirtenritt und Himmelsruh Auf den sattgrünen Weiden am Schlern verbringt das Völser Rindvieh den Sommer. Für das Wohl der Tiere sorgen Schlernhirte Luis Zöggeler, Mutter Rosl und Hirtenjunge Tobias. So wird jeder Sommer auf der Hochfläche für alle Beteiligten zum spannenden Abenteuer.

A Text: Elisabeth Augustin Fotos: Helmuth Rier

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m schönsten ist es am Moarboden im Herbst, wenn über den Tälern schon die Nebel hängen. Die Sonne taucht die Weiden des Schlern und die sie krönenden Dolomitengipfel in warmes Licht. Rosl gerät ins Schwärmen. Draußen am Weg schnaufen gegen Abend die letzten Wanderer bergaufwärts in Richtung Schlernhaus, um dort ihr Nachtlager aufzuschlagen. In der Moarbodenhütte haben sich ein paar Jäger versammelt. Sie wollen sich möglichst früh am Morgen mit Büchse, Munition und Hund von hier aus auf den Weg machen. Während die Männer am Tisch beim Kartenspiel „Watt’n“ lautstark um Punkte kämpfen, steht Rosl am Herd,

um weitere Knödel zu drehen und ihre Gäste satt zu bekommen. Luis und Tobias sind noch unterwegs, um nach einem abtrünnigen Kalb zu suchen, doch bald wird man den Abend gemeinsam in geselliger Runde ausklingen lassen, um dann müde und glücklich ins Bett zu fallen. Am Moarboden steht seit Menschengedenken die Hütte des Schlernhirten. 2012 neu aufgebaut, beherbergt die Moarbodenhütte heute den Schlernhirten Luis Zöggeler, Mutter Rosl Kompatscher Zöggeler sowie deren Enkel Tobias, der im Sommer als „Hüterbub“ wertvolle Hilfe leistet. Luis und Rosl sind vom Almkomitee, einem Zusammen- »


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Ein idyllischer Arbeitsplatz: Am Moarboden hat seit Menschengedenken der Schlernhirte seinen Standort.

schluss der Bauern der Gemeinde Völs am Schlern, mit dem Hirtendienst beauftragt und verbringen seit 2006 jeden Sommer am Schlern. „Vorher waren wir sommers 20 Jahre lang im Durontal und haben dort das ganze Tal, das die Seiser Alm mit dem Fassatal verbindet, gehütet“, erzählt Rosl. Ihr Sohn Luis war von klein auf mit dabei. Der heute 33-Jährige ist Hirte von Fleisch und Blut.

Das Reich des Schlernhirten Luis umfasst 560 Hektar Weiden. In seiner Obhut stehen 350 Rindviecher - Kälber, trächtige Kalbinnen, trockengestellte Kühe, Ochsen – sowie 20 Pferde. Auf seinem Haflinger-Pferd Moni reitet Luis jeden Tag die endlosen Weiden ab. Luis selbst sagt, er „fährt“. Hauptsache mobil. Seine Vorgänger waren seit jeher zu Fuß unterwegs, weshalb der temperamentvolle und lebenslustige Luis als erster berittener Schlernhirte anfangs von den Bauern etwas beargwöhnt wurde. Die Befürchtung, die Tiere würden erschrecken, trat nicht ein, so dass nun jeder froh ist, dass die Tiere vom Hirten bestens betreut sind. Luis kennt jedes einzelne ihm anvertraute Tier, und jedes Tier kennt den Luis. Der Schlernhirte zählt seine weit verstreute Herde jeden Tag ab, und wenn ein Tier fehlt, wird solange gesucht, bis es gefunden ist. Die Tiere werden meist Mitte Juni durch die Schlern­ schlucht über den Prügelweg auf den Schlern aufgetrieben, nachdem sie nach Winterende den Stall verlassen und einen Monat lang auf den Niederweiden in Völs, Ums, Prösels und Völser Aicha gegrast haben. Auf den weiten Weiden am Schlern

verteilen sich die Tiere, bleiben aber meist im Rudel - beispielsweise am Burgstall, der auf 2.500 Metern gelegenen Kuppe, die zur Santnerspitze führt, und in vorgeschichtlicher Zeit ein Kultplatz war. „Irgendwie finden alle ihren Lieblingsplatz“, erklärt Luis. Wenn es im Sommer schneit, und das ist am Schlern keine Ausnahme, kommen nicht nur die Tiere, sondern auch ihr Hirte in Bedrängnis. Dann eilen die Bauern aus Völs den Schlern hoch, um beim Zusammentreiben des Viehs behilflich zu sein, damit es nicht erfriert, abstürzt oder verhungert. Sollte es – vor allem bei Schnee oder Gewitter – vorkommen, dass ein Tier über eine Schlernwand oder die Burgstallkante abstürzt, setzt der Schlernhirte alles daran, es zu finden. Wenn möglich, steigt Luis dann zu dem Tier ab, um es zu bergen und ihm die Ohrenmarke abzunehmen. „Diese gebe ich dann dem Bauern zurück, damit dieser von der Viehversicherung den Schaden zurückerstattet bekommt“, so Luis. Pro Sommer seien es durchschnittlich vier bis fünf Tiere, die nicht überleben würden, außer bei heftigem Blitzschlag, da könne es schon mal größere Verluste geben.

Der Arbeitstag am Moarboden beginnt kurz nach sechs Uhr. Mit Luis, Rosl und Tobias verbringen neben den beiden Pferden Moni und Bessy, Hund Bubi, Hennen und Hasen auch drei Kühe den Sommer am Moarboden. Nach dem Melken der Kühe wird die Milch entrahmt, um daraus Butter zu machen. Nach dem Frühstück reiten Luis und Tobias hoch zum Schlernhaus. Dort nehmen sie das auf »

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Auf den weiten grünen Weiden am Schlern ist das Rindvieh selbst im Hochsommer vor Schneefall nicht sicher.

der Materialseilbahn aus dem Tal hochtransportierte Salz mit, um es für das Vieh auf die Salztröge aufzuteilen. Zugleich kontrollieren Hirte und Hirtenbub auf ihrer Rundfahrt auch die Wassertröge, damit die Tiere nicht Durst leiden. Wenn es sich zwischendurch ausgeht, legen Luis und Tobias auf den grünen Weiden mit ihren Haflingern ein kurzes Training ein, um sich und die Tiere für Galopprennen, Reitveranstaltungen wie den Oswald von Wolkenstein-Ritt und das Skijöring im Winter vorzubereiten und fit zu halten. Die Zöggelers sind in Haflingerkreisen weitum bekannt. Währenddessen hält Mutter Rosl in der Moarbodenhütte die Stellung. In der Hirtenhütte darf aufgeschenkt und aufgetischt werden, wenn jemand einkehrt: Bauern, die nach ihrem Vieh schauen, oder Wanderer, die in der halben Stunde Gehzeit vom Schlernhaus entfernten Hütte noch eine kurze Rast einlegen möchten. Rosl schenkt Saft, Wein oder Bier auf, für Hungrige gibt es ein Schlernbrettl mit Speck, Wurst und Käse oder leckeren Kaiserschmarrn, rund um den Schlernkirchtag im August zudem Schöpsernes (Lammeintopf) und dann auch in geringen Mengen selbstgebrannte Schnäpse. Am Wochenende, wenn auch viele Einheimische den Weg zum Schlernhaus nehmen, lockt Rosl mit frischen süßen Völser Krapfen. Nach getaner Arbeit auf den Weiden gehen ihr bei der Bewirtung der Gäste Luis und Tobias zur Hand. So richtig gemütlich wird es dann am Abend. Die letzten Wanderer sind vorbeigezogen und am Moarboden herrscht eine Himmelsruhe: „Wenn wir vor der Hütte sitzen, vor uns der Rosengarten leuchtet und wir Murmeltiere, Rehe und Gämsen beobachten, ist das ein unbeschreibliches Gefühl von Freiheit“, sagt Rosl, „einfach nur schön“. Hier oben am Berg gehe einem rein gar nichts ab. Mitte September, je nach Witterung, zieht die ganze Karawane wieder ins Tal. Beim Almabtrieb kommt noch einmal festliche Stimmung auf: Hirte und Bauern sind froh, dass ihr Vieh den Sommer gut verbracht und heil überstanden hat. Der Luis und die Rosl kehren wieder zurück nach St. Kathrein auf den Kompatscher-Hof, wo sie im Winter dem Jungbauern Peter zur Hand gehen. 30 Haflinger, 70 Kühe, 20 Ziegen und 20 Schafe sind auf dem großen Erbhof aus dem 16. Jahrhundert täglich zu versorgen. In der alten Stube und im Flur zeugen unzählige Trophäen und Glocken von der erfolgreichen Teilnahme an Grauviehausstellungen, Pferdezuchtveranstaltungen und Reitbewerben. Somit wird dem Luis und der Rosl auch im Winter mit Sicherheit nicht langweilig. Und der nächste Sommer am Schlern kommt bald wieder. n

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