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Kräuter- und Blumenvielfalt - das Heu kommt heute von den ungedüngten Magerwiesen um die Murmeltierhütte auf der Seiser Alm.
„ Humor und neue Daseinsfreude“ ... dies, so beobachtete ein aufmerksamer Chronist bereits vor 100 Jahren, seien immer die „ersten auffälligen Folgen“ eines Heubads. In seinen Anfängen war dieses Liegen im Heu eine wahrlich rustikale Angelegenheit und entsprach kaum der heutigen Ästhetik von Wellness als einer sanften, meditativen Wohltat. Aber schon vor mehr als 200 Jahren war man felsenfest überzeugt von der Wirksamkeit dieser besonderen Kurbehandlung.
V Viele Orte im Alpenraum beanspruchen für sich, das Heubaden „erfunden“ zu haben. Dabei handelt es sich jedoch meistens um Bäder in Heublumensud oder ähnliche Modifikationen der überaus naturnahen Urform, die das vollständige Eingepacktwerden in frisch geschnittenes Heu vorsah. Nur sehr wenige Ortschaften, alle im Dolomitenraum gelegen, können glaubwürdig belegen, diese Kur über Jahrzehnte und Jahrhunderte angewendet und angeboten zu haben. Und von diesen Ur-Badebetrieben der ersten Stunde ist nur einer übrig geblieben: das Hotel Heubad in Völs am Schlern, wo man gleichzeitig auch stolz darauf verweisen darf, das archaisch anmutende Spektakel in die touristische und therapeutische Neuzeit gerettet zu haben. Das Verfahren wurde hier mehrfach überarbeitet, an verfeinerte hygienische Ansprüche angepasst und außerdem ganzjährig anwendbar gemacht.
Zurück zu den Wurzeln: Bereits im fernen Jahr 1826 wurde in literarisch-dokumentarischen Reiseberichten die Praktik des „Eingrabens in Heu“ geschildert, die als eine Besonderheit der Dolomiten galt. Ihren Ursprung soll diese Form der Thermaltherapie in der schlichten Notwendigkeit gehabt haben, dass die Bauern während der mehrtägigen Heuernte auf den Hochalmen in den frischen Heu-
stöcken übernachten mussten. Am nächsten Morgen, so erzählen es die blumig anmutenden Überlieferungen aus jener Zeit, waren sie wunderbar erfrischt und alle Müdigkeit war wie durch Zauberei aus ihren geschundenen Knochen gewichen. Die wundersame Heilwirkung des Liegens im Heu sprach sich herum und die ersten Wein- und Talbauern aus der Region begannen sich zur Zeit der Mahd der Kur wegen auf den Schlern zu begeben. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich ein regelrechter Heubadtourismus zum Südtiroler Symbolberg. Ganze Familien machten sich von Bozen auf, um eine vergnügliche Sommerfrische mit den Wohltaten des Heuliegens zu verbinden. Mit wachsender Popularität dieser frühen Wellnesskultur lag es nahe, die Verabreichung der Heubäder in geordnetere Bahnen zu lenken, nicht zuletzt, da so manch wirklich Krankem der Fußweg auf den Schlern erspart werden und der wirtschaftliche Nutzen der Heubäder besser erschlossen werden sollte. Das frisch geschnittene Schlernheu wurde also zu Tal gefahren - nach Zerstörung des Weges durch die Schlernschlucht in den 1880er Jahren auf wahrhaft abenteuerliche Weise in Säcken, die an Drahtseilen zweimal über die Schlucht und bis nach Peterfrag herabgelassen wurden. Erst von hier wurde das Heu in Fudern nach Völs gebracht. Zunächst wurden die Bäder dort in einem »
Text: Sabine Funk Fotos: Helmuth Rier
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Der hohe Cumaringehalt verleiht dem Heu seinen charkateristischen Duft und seine Heilkraft.
An die Zeiten des Heubades als Gruppenanwendung erinnern die Bilder des Malers Hubert Mumelter.
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rotierenden Verfahren verabreicht: In jedem Jahr erhielt ein anderer der bereits damals ansässigen Gastwirte das Heu und damit die Konzession für den Bäderbetrieb in der jeweiligen Saison, mal der Kreuzwirt, mal der Wenzer, und so fort. Das damalige Verfahren mutet archaisch an: In hoch mit Heu befüllten steinernen Kammern wurden Löcher ausgehoben, in denen der willige Badegast bis zum Hals eingegraben wurde. Nach der etwa 30minütigen Verweildauer im Heu wurde er wieder ausgegraben und zum Nachschwitzen und Ruhen in einen Raum mit mehreren Betten gebracht. An die armen Seelen im Fegefeuer erinnere der Anblick dieser aus dem Heu herausschauenden, schweißüberströmten Gesichter, schildert ein Chronist. Ebenso, dass das Baden vom „Genuss gewaltiger Mengen von Wein“ begleitet gewesen sei. „7 Heubäder und 9 Weinbäder“ habe er genommen, so wird ein Badegast aus der Zeit um 1900 zitiert. Bereits während des Heuliegens lief der „Badreiber“ von einem Gast zum nächsten, um ihm vom guten Saft der Reben einzuflößen. Jener schlagenden, schweißtreibenden Kombination entsprangen sie wohl, der „Humor und die neue Daseinsfreude...“.
Die Erklärungen für die Wirksamkeit dieser besonderen Heukur gehen je nach medizinischer Ausrichtung unterschiedlich weit. Allgemeiner Konsens besteht darüber, dass man es hier mit einer Wärmepackung zu tun habe. Durch im Gras enthaltende Spaltpilze und Mikroorganismen beginnt das Heu bei Kontakt mit Sauerstoff zu fermentieren und sich stark zu erwärmen - das sogenannte Brennen, ein bekannter, schwer zu kontrollierender Vorgang, der manchen Stadlbrand gekostet hat. Beim frisch geschnittenen, eher feuchten Heu werden relativ schnell Temperaturen von 40 bis gar 60 Grad erreicht. Es ist diese feuchte, sehr gleichmäßige Wärme, der aus medizinischer Sicht die hauptsächliche Wirksamkeit geschuldet ist. Doch auch die besondere Zusammensetzung des Heus von hochgelegenen Magerwiesen und Almen und der Artenreichtum auf den kalkigen Böden der Dolomiten spielen eine wichtige Rolle. Bitterer Enzian, Edelraute, Rapunzel, Brunelle, Edelweiß, Bergscharfgarbe, Bergkamille, Schlernhexe und Ehrenpreis, sie alle sollen zur geradezu mysteriösen Heilkraft der Heubäder beitragen. Da man sich hier bereits im Bereich der Naturheilverfahren bewegt, sind gesicherte Aus-
sagen unter Vorbehalt zu treffen. Naheliegend scheint, dass die enthaltenen ätherischen Öle und insbesondere der hohe Cumaringehalt der exklusiven Kräutermischung eine zusätzliche, wohltuende Wirkung entfalten. Dem Cumarin verdankt das Heu seinen charakteristischen Duft. Schon Sebastian Kneipp glaubte an die Heilkraft der Heubäder. Der erste Arzt, der sich in Südtirol auf medizinisch-wissenschaftlichem Niveau mit der Wirkung der Heubäder beschäftigte, war der in seiner Zeit hochangesehene Dr. Josef Clara. Er erprobte die Wirksamkeit an den Gebrechen seines kranken Bruders und war schnell überzeugt, dass hier ein großes therapeutisches Potential verborgen läge, zu dessen voller Entfaltung es jedoch dringend die hygienischen Missstände rund um die primitiven Badeanstalten zu beseitigen gälte. Es bedarf nicht allzu viel Phantasie, um die eher unappetitliche Seite der Urform der Heubäder zu erahnen, wo in Folge schwitzende, kranke Menschen in das gleiche Heu gegraben wurden. Anfang der 1920er Jahre überzeugte Dr. Clara den Bauern vom Merlhof vom Bau einer modernen Badeanstalt mit zwei Etagen, separaten Schwitz-, Ruhe- und Baderäumen für Frauen und Männer, wo gleichzeitig Massagen und physiotherapeutische Behandlungen verabreicht wurden, und die Badegäste während der Verweildauer im Heu immerhin schon einmal bis zum Hals in ein sauberes Leintuch gehüllt waren. Gleichzeitig versah der Arzt den Merlbauern mit dem notwendigen Kredit zur Finanzierung von Badeanstalt und Gasthof - das Hotel Völser Heubad war geboren und ist seither die erste Anlaufstelle für das Heubaden im Schlerngebiet.
Vieles hat sich geändert seit jenen Pioniertagen des Heubadtourismus. Der Zulauf war auch in der Nachkriegszeit ungebrochen, die Infrastruktur um Gasthof und Badeanstalt wurde wie überall in der Branche modernisiert und laufend erweitert, doch war auch die „modernere“ Form des Heubades mit hygienischen und praktischen Mängeln behaftet, nicht zuletzt, da die Anwendung immer nur in den Monaten Juni bis September möglich war. Die damalige Chefin Maria Kompatscher begann unter Berücksichtigung des langjährigen Erfahrungsschatzes mit neuen Methoden zu experimentieren und ersann schließlich in den 1990er Jahren ein innovatives Verfahren, nachdem bis heute »
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Bis zu 4 kg Heu werden für eine Ganzkörperanwendung im Hotel Heubad verwendet.
die Behandlung ganzjährig im Hotel Heubad verabreicht wird. Für ein modernes Heubad werden drei bis vier Kilogramm getrocknetes Almheu eine Stunde lang eingeweicht und anschließend auf eine mit einer Folie abgedeckte Wannenvorrichtung gelegt. Darauf wird nun der Badende gebettet, am ganzen Körper mit dem Heu bedeckt, der Kopf bleibt natürlich frei, und auf ein beheiztes Wasserkissen abgesenkt. So bleibt die Temperatur konstant bei 42 Grad. Die Behandlung dauert 20 Minuten, danach wird traditionsgemäß nachgeruht. An das Heubad als Gruppenanwendung erinnern heute nur noch die im Spa-Bereich des Hotels ausgestellten Bilder des Malers Hubert Mumelter, der selber ein großer Freund der Anwendung war und seine Besuche im Völser Heubad in humorvollen Bildern bezahlte.
Unverändert ist jedoch die fast schon magische Zusammensetzung des Heus. Das Hotel bezieht den kostbaren Grundstoff seines Kurbetriebs heute nicht mehr vom Schlern, sondern von den Almwiesen um die Murmeltierhütte auf der Seiser Alm, die auf einer ähnlichen Meereshöhe wie die Weidegründe auf dem Schlern liegen. Hier wächst die Kräutervielfalt noch auf ungedüngten, mageren Kalkböden, wie sie nicht mehr oft zu finden sind, denn auch auf der Seiser Alm werden solche Wiesen immer seltener. Das eingebrachte Heu lagert in einem eigenen Heustadl am Hotel, wo es direkt für die Anwendungen entnommen wird. Während die Kur früher nur in den Sommermonaten von Ende Juni bis Ende September angeboten wurden, lassen sich Heubäder nach dem neuen Verfahren ganzjährig verabreichen, da das getrocknete Heu durch das Wässern erst unmittelbar vor der Anwendung „aktiviert“ wird. Die Zahl der Gebrechen, die sich auf diese Art behandeln lässt, ist vielfältig. Vor allem sind es Gelenkschmerzen sowie arthritische und rheumatische Beschwerden, bei denen Heubäder eine ausgezeichnete Wirkung gezeigt haben. Da Staub und Pollen in der Feuchtigkeit gebunden werden, ist die Anwendung auch für Heuschnupfenallergiker geeignet und darf bedenkenlos genossen werden. «
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