Leben am Berg

Page 1

Leben am Berg

Michel und Romina legen hoch oben auf der Santnerpass-Hütte Herz und Leidenschaft in ihre neue Aufgabe.

Was verschlägt ein junges Paar auf knapp 3.000 Meter Höhe? Romina Huber und Michel Perathoner lockte das Leben im Herzen des Dolomiten UNESCO-Welterbes. Das Bewirten einer Schutzhütte bereitet zwar Freude, ist aber kein Honigschlecken.

D Die Santnerpass-Hütte liegt auf 2.734 Metern über dem Meeresspiegel inmitten der Rosengarten­ gruppe im sogenannten „Gartl“, dem weithin gut sichtbaren Schuttkar unterhalb der Rosengarten­ spitze. Das Schutzhaus wurde 1956 vom Bergfüh­ rer Giulio Gabrielli aus dem Fassatal errichtet und war über fünfzig Jahre lang im Besitz der Familie des Bergführers.

Text: Katja Sanin Fotos: Helmuth Rier

24 ALPE | Sommer

Als die Hütte im Sommer 2013 zum ersten Mal nicht bewirtet wurde, gab es sofort Kaufinteres­ senten, darunter die Familie Perathoner aus Seis.

„Mein Vater fragte mich und meine beiden Brüder, ob einer von uns Interesse hätte, die SantnerpassHütte zu übernehmen und ich war sofort begeis­ tert von der Vorstellung“, erzählt Michel Peratho­ ner. Als ältester der drei Söhne hatte er bereits die Ausbildung in der Hotelfachschule abgeschlossen und Politikwissenschaft studiert. Das Leben als Hüttenwirt kannte Michel zur Genüge, da er auf dem 1963 vom Großvater eröffneten Tierser Alpl praktisch groß geworden war. Michel konnte sich durchaus vorstellen, die Schutzhütte zu betreiben, doch die Familie Gabrielli aus dem Fassatal war sich »

Sommer | ALPE 25


Tobias die Ware um und befördert sie dann mit ei­ ner weiteren Materialseilbahn bis zur SantnerpassHütte. „Es benötigt immer drei Personen für die Warenlieferung und in der Hauptsaison brauchen wir aufgrund des geringen Stauraums auch zwei­ mal pro Woche Nachschub“, erklärt Michel, der den kleinen Lagerbestand stets im Blick hat. „Wenn es einmal doch vorkam, dass wir zum Beispiel ohne Zwiebel oder Mehl waren, konnten wir auf die wert­ volle Nachbarschaftshilfe von Valeria und Stefan von der Gartl-Hütte zählen, die uns bei einem Eng­ pass gerne aushalfen“, berichtet Romina nach der ersten Hüttensaison.

Am Berg zählt das Elementare. Auf 3.000 Metern braucht es keinen Schnickschnack.

über die Zukunft der Santnerpass-Hütte uneinig. So vergingen ein paar Jahre, in denen die Hütte ge­ schlossen blieb. Michel absolvierte in der Zwischenzeit in Bozen sei­ nen Master in Wirtschaft. Der Gedanke, die San­ tnerpass-Hütte zu betreiben, war schon längst in den Hintergrund gerückt als er im Frühjahr 2018 überraschend einen Anruf seines Vaters erhielt, der ihm mitteilte, dass die Hütte nun doch ver­ kauft werde, und ihn fragte, ob er sie übernehmen wolle. „Sofort habe ich zum Telefon gegriffen und meine Freundin Romina in Mailand angerufen“, er­ zählt Michel. Als Romina sagte, dass sie dabei sei, stand fest, dass die beiden im Sommer 2019 – für die Saison 2018 war das Angebot zu kurzfristig – die Santerpass-Hütte übernehmen würden, erzäh­ len die beiden Neo-Wirtsleute. ALPE erreicht das junge Paar per Whatsapp-Anruf in Argentinien, wo es sich nach seiner ersten Sommersaison in den Bergen Südtirols auf einer Südamerika-Rundreise befindet.

Im Juni 2018 betraten Michel und Romina zum ersten Mal gemeinsam ihre Hütte. „Die Fenster­ läden zu öffnen und unser neues Zuhause für die Sommermonate mit Licht und frischer Luft durch­ strömen zu lassen, war ein sehr schönes Gefühl,“ erzählt Romina. Die Quereinsteigerin hat sich auf dreitausend Metern Höhe bereits gut eingelebt. Romina studierte in Mailand Modedesign und hat dort neun Jahre lange gelebt und in der Branche gearbeitet ehe sie gemeinsam mit Michel zur Hüt­ tenwirtin wurde. Das Leben auf einer Schutzhütte

26 ALPE | Sommer

und jenes in einer Großstadt wie Mailand könnte unterschiedlicher nicht sein. „Es hat beides sei­ nen Reiz, aber ich möchte nicht mehr zurück in die Großstadt“, sagt Romina. Das Leben in den Bergen sei intensiver, man fühle sich geerdet und schätze plötzlich ganz elementare Dinge wie zum Beispiel fließend Wasser. In der Hütte gibt es keine Grund­ wasserversorgung, sondern nur Schmelz- und Re­ genwasser. Das sei anfangs eine echte Herausfor­ derung gewesen, mit dem Wasser zu haushalten. Zum Kochen kann das Wasser zwar verwendet wer­ den, doch frischen Salat gibt es auf der Hütte zum Beispiel keinen, da es kein Leitungswasser zum Wa­ schen des Salats gibt. Kaffee gekocht wird mit Mi­ neralwasser und abends, wenn die Temperaturen unter null Grad sinken, füllen die beiden das Was­ ser in Kanister und Karaffen ehe es friert, um in der Nacht und am nächsten Morgen Wasser zu haben. Die Aufgaben haben sich Hüttenwirt und Hütten­ wirtin wie folgt aufgeteilt: Michel ist in der Küche, Romina macht den Service, kümmert sich um die Büroarbeit sowie die Reinigung. Ihr Mitarbeiter To­ bias sorgte in der ersten Saison dafür, dass rund um die Hütte alles klappte. Die Santnerpass-Hütte ist nicht groß und bietet in zwei neu mit Fichtenholz möblierten Sechs-Bett-Zimmern Platz für zwölf Bergsteiger. Falls Hochbetrieb herrscht, finden zur Not fünf weitere in der Stube Platz. Auch der Stau­ raum für die Lebensmittel ist sehr knapp dort oben und so wird die Hütte einmal wöchentlich mit Ware beliefert. Der Vater von Michel bringt die bestellte Ware zur Vajolethütte, von wo sie mit der Materi­ alseilbahn zur Gartl-Hütte gebracht wird. Dort lädt

Saisonal und regional ist das Credo der beiden in der Küche. Sie wollten sich kulinarisch etwas ab­ heben und nicht die typischen Hütten-Klassiker anbieten, erklärt Michel. So gibt es auf der Sant­ nerpass-Hütte Zwiebel- statt Nudelsuppe, Knö­ del in allen nur erdenklichen Variationen anstelle der üblichen Hirtenmaccheroni und als Fleischge­ richt ersetzt Chili con carne das klassische Gulasch. Bei den Süßspeisen allerdings darf der Klassiker schlechthin nicht fehlen: Es gibt täglich Apfelstru­ del und wenn es die Zeit erlaubt, wird den Gästen auch Kaiserschmarrn serviert. „Der absolute Renner in der ersten Saison waren unsere Rohnenknödel mit Gorganzolasauce. Und an den Wochenenden gab es selbstgemachte Fa­

schingskrapfen mit hausgemachter Aprikosenmar­ melade“, erzählen die beiden, die im Gespräch mit ALPE bei einer Tasse Kaffee in Argentinien mit Be­ geisterung auf ihre erste Saison als Hüttenwirte zu­ rückblicken. Das Schwierigste sei gewesen, nicht abschätzen zu können, wie viele Tagesgäste kom­ men würden. In ihrer ersten Saison auf der Hütte fehlten Michel und Romina die Erfahrungswerte, und die Anzahl der Gäste variierte von Tag zu Tag: An Spitzentagen wurden in der Hauptsaison auch schon mal 80 Essen serviert. Die Gäste waren in­ ternational und bunt gemischt – neben den vie­ len Einheimischen, den Italienern, Deutschen und Europäern stiegen auch Gäste aus Ländern wie Ja­ pan, Australien, Indien, dem Iran, Mexiko und Ka­ nada zur Hütte hoch. „Ein Gast war sogar aus Süd­ afrika angereist. Der hatte keinerlei Bergerfahrung und war auch demensprechend schwach ausgerü­ stet. Aber er hatte Glück, denn an jenem Tag war es heiß und auch am Abend noch eher warm, so­ dass er nicht auf warme Bergbekleidung angewie­ sen war“, erzählt Michel. Der Südafrikaner war auf einer Hochzeit in Venedig und hat dann einen Ab­ stecher in die Dolomiten gemacht, um auf der San­ tnerpass-Hütte zu übernachten und am nächsten Tag wieder zurück nach Südafrika zu fliegen.

Der Sommer 2019 war wettermäßig eher durch­ wachsen. Regentage wurden von dem kleinen Team auf der Hütte genutzt, um Vorbereitungen für die »

„Über allen Gipfeln ist Ruh‘“, schrieb schon Johann Wolfgang von Goethe.

Sommer | ALPE 27


Foto: IDM/Andreas Mierswa

nächsten Tage zu treffen. Der Sommer war nicht schlecht, aber auch nicht stabil. Im Juni war es sehr heiß und nachmittags gab es häufig kurze Regen­ schauer, weshalb die Wanderer ihre Ausflüge gut planen mussten. In besonderer Erinnerung geblie­ ben ist Romina, Michel und Tobias der 25. Juli 2019: In Europa purzelten die Hitzerekorde und in Süd­ tirol wurde eine Blitz-Rekord-Nacht verzeichnet. „Wir dachten zu wissen, was ein Gewitter in den Bergen bedeutet, aber jener Abend war beängsti­ gend und zugleich beeindruckend schön“, erzäh­ len die beiden. „Die Übernachtungsgäste waren zum Glück schon alle da, als es am späten Nach­ mittag zu stürmen begann. Wir waren gerade mit dem Abendessen fertig, als es ohrenbetäubend laut krachte und wir plötzlich im Dunkeln saßen. Wir be­ fanden uns direkt in einer Gewitterwolke und der Donner war extrem laut. Um uns herum war der Himmel stockdunkel und hellte dann immer wie­ der durch die Blitze grau auf und wurde gelb be­ leuchtet. Bei jedem Donner hat die ganze Hütte un­ ter unseren Füßen vibriert. Es war unheimlich, aber als sich die Gewitterwolken dann endlich verzogen, war es eindrucksvoll und schön, rundherum einen Blitz nach dem anderen zu sehen“, berichten die beiden von diesem atemberaubenden und unver­ gesslichen Naturschauspiel. In jener Rekordnacht Ende Juli wurden in Südtirol über 14.000 Blitze re­ gistriert.

Natur und Genuss gehen Hand in Hand.

„Ich kann mich noch gut an die Gewitter als Kind auf dem Tierser Alpl erinnern, und wie laut es war, als der Hagelschlag auf das Metalldach knallte. Aber dieses Gewitter am 25. Juli war extrem und es war erstaunlich, wie alle trotz Weltuntergangstimmung ruhig geblieben sind“, erzählt Michel. Das war wohl das beeindruckendste Erlebnis der beiden in ihrer ersten Saison, auf die sie mit Zufriedenheit zurück­ blicken. Nun freuen sie sich auf viele weitere Som­ mersaisonen auf knapp 3.000 Metern Höhe. Das junge Paar kann sich durchaus vorstellen, in Zu­ kunft auch einmal Familie zu haben und den Som­ mer mit seinen Kindern auf der Schutzhütte im Ro­ sengartenmassiv zu verbringen. „Wir selbst sind zwar keine Kletterer, aber sollten wir einmal Kin­ der haben, werden wir sie wie so mancher Vorgän­ ger von uns hier oben, mit Klettergurt und Seil vor dem abschüssigen Gelände schützen“, erzählen die beiden vergnügt. «

Die faszinierende Bergwelt der Dolomiten.

Mythos Dolomiten Seit 2009 UNESCO Welterbe, laut Südtirols Extrembergsteiger Reinhold Messner „die schönsten Berge der Welt“ und für viele die Winterrregion schlechthin: Die Dolomiten bestechen durch ihre einzigartige Schönheit. Versteinerte Korallenriffe, die sich in den Himmel türmen, sind Zeugnisse der einmaligen Bergwelt der Dolomiten. Dank ihrer einzigartigen monumentalen Schönheit und ihrer geologischen und geomorphologischen Bedeutung zählen die „Bleichen Berge“ seit 2009 zum UNESCO Welterbe. Insgesamt neun Teilgebiete, darunter auch der Naturpark Schlern-Rosengarten,

ger als eines der Wahrzeichen Südtirols. Das Rosengartenmassiv mit seinen unzähligen Türmen ist ebenfalls weit über die Landesgrenzen bekannt. Einer dieser zahlreichen markanten Erhebungen des Massivs, der Kesselkogel, erreicht sogar eine Höhe von 3.002 Metern. Zum Naturpark gehören auch die Bergwälder um Seis, Völs und Tiers sowie das Tschamintal. «

gehören offiziell zu den schönsten Landschaften der Welt. Naturpark Schlern-Rosengarten. Südtirols ältester Naturpark wurde im Jahr 1974 gegründet. Das 7.291 Hektar große Schutzgebiet befindet sich in den westlichen Südtiroler Dolomiten. Der Schlern ist ein beeindruckender Gebirgsstock und gilt mit den Türmen Santner und Eurin-

Bruneck Brunico

Südtirol Brixen Bressanone

Meran Merano

Lienz Toblach Dobbiaco

St. Vigil S. Vigilio

5 St. Ulrich

Kastelruth Ortisei Castelrotto Seis am Schlern Seiser Alm Siusi allo Sciliar Alpe di Siusi Völs am Schlern

Dolomiten UNESCO Welterbe 1

Pelmo, Croda da Lago

2 Marmolada 3 Pale di San Martino, San Lucano Dolomiti Bellunesi, Vette Feltrine 4 Dolomiti Friulane e d’Oltre Piave

Fiè allo Sciliar Tiers Tires

Bozen Bolzano

7

6

Auronzo Corvara

Canazei

2

8

Cortina d’Ampezzo

Alleghe

Pieve di Cadore

1

4

Zoldo

Cavalese

Agordo

3

Longarone

Cimolais

Pordenone

Madonna di Campiglio Fiera di Primiero

9 Trento

Belluno

Udine

Belluno Feltre

Trentino

Ampezzo

Pordenone

5 Nördliche Dolomiten 6 Puez-Geisler 7 Schlern-Rosengarten, Latemar 8 Bletterbach

28 ALPE | Sommer

9 Dolomiti di Brenta

Sommer | ALPE 29


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.