Romantik an der Leistungsgrenze

Page 1

Beim Nacht-Rennen leuchten Vollmond und Stirnlampen den Langläufern den Weg.

Romantik an der Leistungsgrenze Seit 15 Jahren ist die Seiser Alm um die Monatswende zwischen Januar und Februar Schauplatz des Südtirol Moonlight Classic Seiser Alm - eines Langlaufrennens über 15 bzw. 30 Kilometern Streckenlänge, das sich durch zwei namensgebende Besonderheiten auszeichnet: Es wird ausschließlich im klassischen Stil gelaufen. Und im Schein des Mondes, zahlreicher Stirnlampen und nicht weniger als 1.000 Fackeln.

D

Text: Sabine Funk Fotos: Helmuth Rier

16 ALPE | Winter

Die mondbeschienene, tief verschneite Alm, mit den sich fast schon abstrakt gegen den dunkel­ blauen Himmel abzeichnenden Umrissen von Lang- und Plattkofel bietet stets ein besonderes, beeindruckendes Bild. Roman Polanski hat es nicht umsonst als Hintergrund für die Außenszenen sei­ nes berühmten „Tanz der Vampire“ gewählt. An diesem Abend Anfang Februar würde der Anblick sogar noch mehr an den berühmten Filmklassiker erinnern, denn fast das gesamte Loipennetz ist gesäumt vom unwirklichen Licht Hunderter tan­ zender Fackeln. Doch von Gruselstimmung kann nicht die Rede sein. Im Startbereich des Moonlight Classic in Compatsch, wo jedes Jahr eigens ein ge­ räumiges Fest- und Versorgungszelt errichtet wird, herrscht lebhaftes Treiben. Aus Lautsprechern er­ tönen Stimmungsmusik und der aufgekratzte Live­

kommentar einer Moderatorin. Drahtige Athleten sind mit ihren schmalen Brettern zwischen Renn­ büro, Zelt und dem Serviceraum in der Feuerwehr­ halle unterwegs, wo ihre Skier den letzten Schliff in Form des perfekt den Bedingungen entspre­ chenden Wachses erhalten. Im Rennbüro liegt ein Gewirr von Sprachen in der Luft. Von überall her, aus Skandinavien, aus Tschechien, aus Deutschland und aus vielen italie­ nischen Provinzen sind ehrgeizige Amateure, aber auch zahlreiche Profisportler angereist, um sich den vielfachen Herausforderungen dieses unge­ wöhnlichen Rennens zu stellen, das in den 15 Jah­ ren seines Bestehens einen regelrechten Kultsta­ tus in der internationalen Langlaufszene errungen hat. Den Impuls setzte damals Robert Santer, ein »

Winter | ALPE 17


Bis zu 500 Langläufer gehen beim Südtirol Moonlight Classic auf der Seiser Alm an den Start.

lokaler Langlauffanatiker, der auch heute noch mit Begeisterung die Organisation der Veranstaltung verantwortet. In seinen über 50 Jahren als aktiver Langläufer, legte Robert selbst so manchen Kilo­ meter auf dem nächtlichen Loipennetz der Alm zu­ rück - aus einem einfachen Grund: Als Koch gestat­ teten seine Arbeitszeiten ihm eher selten, seiner Leidenschaft bei Tageslicht nachzugehen. Doch wie kam Robert Santer auf die Idee, auf der Seiser Alm jenes Langlauffest ins Leben zu rufen, das das Moonlight Classic heute ist und um des­ sen packende Atmosphäre er, wie er selber sagt, von den Veranstaltern vieler Volksläufe benei­ det wird? „Mit dem Bau der Seiser Alm Bahn er­ lebte der Langlauf zunächst einen Einbruch“, er­ zählt Santer. „Da fehlte – und fehlt immer noch – die Infrastruktur. Ein sportlicher Langläufer will die Loipe mit dem Auto erreichen oder sich dort umziehen können, nicht in seiner relativ dünnen

18 ALPE | Winter

Bekleidung eine Viertelstunde in der Umlaufbahn frieren. Und in jener Zeit war der Langlauf auch noch nicht so in Mode gekommen, wie er es jetzt wieder ist, das war eine ganz andere Klientel. Man hat diese Langläufer mit ihrer uralten Ausrüstung fast ein bisschen belächelt und als Skifahrer zwei­ ter Klasse betrachtet. Die hatten den Ruf, sich kei­ nen richtigen Skiurlaub leisten zu können. Manche Hotels haben an Langläufer tatsächlich nicht oder nur ungern vermietet.“ Es war aus Santers Sicht unerlässlich, dem Langlauf auf der Seiser Alm ei­ nen neuen Impuls zu geben, und so entstand 2007 die Idee, das Moonlight Classic zu veranstalten. An dessen Start gingen in der ersten Auflage gerade einmal 100 Läufer.

Viel hat sich getan seit diesem ersten Rennen. Bereits 2014 traten 350 Athleten an, heute liegt das Teilnehmerfeld bei 400 bis 500 Läufern, von de­ nen etwa eine Hälfte die komplette 30-Kilometer- »

Winter | ALPE 19


Runde absolviert, die andere die verkürzte Strecke von 15 Kilometern. Auch das Leistungsniveau ist ge­ stiegen – einfach nur Mitlaufen ist keine Option: Der erste Streckenabschnitt der großen Runde muss in einer festgelegten Mindestzeit absolviert werden, sonst werden die Läufer aus dem Rennen genommen. Doch auch die von den Hoteliers auf der Alm gemeinschaftlich gestifteten Preisgelder, die für einen Volkslauf eher hoch ausfallen, locken Profis aus dem internationalen Wettkampflei­ stungsport an.

Besonders hoch ist der Bekanntheitsgrad

Übung macht den Meister. Die Hindernisse verlangen Respekt.

des Moonlight Classic an der Wiege des Lang­ laufsports, in den Ländern des hohen Nordens. Im­ mer wieder sind skandinavisch anmutende Sprach­ fetzen zu hören und die Anzüge schwedischer oder finnischer Freizeitmannschaften unter den Starten zu erblicken, wie etwa jene von Katarina und Wil­ liam Nisser, die mit einer Gruppe von Freunden aus dem schwedischen Uppsala angereist sind. Wie sie auf das Rennen gekommen sind? „Mein Cousin, Ja­ kob Hård, ist Sportjournalist und in Schweden ei­ ner der bekanntesten Livekommentatoren. Von ihm haben wir den Tipp. Er hat sich nämlich ein­ mal unter Spitzensportlern umgehört, in welchen Langlaufgebieten sie persönlich am liebsten trai­ nieren. Von neun Befragten haben sieben gesagt: „Auf der Seiser Alm!“ Schon vor Monaten haben sie sich für das Rennen angemeldet. Der Umstand, dass Katarina sich noch vor 5 Wochen den Arm ge­ brochen hatte, konnte sie nicht von der Reise und der Teilnahme abhalten. Man spürt ihre Begeiste­ rung darüber, hier vor dieser besonderen Kulisse mitlaufen zu können, bevor es weiter nach Seefeld geht. „Aber die Höhe, die spüren wir, das sind wir von Zuhause nicht gewöhnt und das macht es tat­ sächlich noch einmal herausfordernder“, bekennt William gut gelaunt. Von der Volksfeststimmung dieses besonderen Langlaufrennens unter dem Nachthimmel in den Bann gezogen werden jedoch nicht nur Gäste aus der Ferne. Auch unter den Einheimischen erfreut sich das Moonlight Classic großer Beliebtheit. Das ist einerseits an den scheinbar zahllosen freiwilli­ gen Helfern aus der direkten Umgebung zu erken­ »

20 ALPE | Winter

Eingefleischte Moonlight Classic-Teilnehmer reisen aus Schweden, Finnland und anderen nordischen Ländern an, um sich auf der Seiser Alm zu messen.

Winter | ALPE 21


Eine Erinnerungsmedaille für jeden Finisher: Sowohl Profis als auch Hobbylangläufer zeigen viel Einsatz, um im Spitzenfeld mitzulaufen.

Kurz vor Drucklegung erreichte die Redaktion eine bedauerliche Nachricht: Aus Gründen der Sicherheit und zum Schutz von Teilnehmern, Gästen, Zuschauern und Helfern muss die 15. Ausgabe des Südtirol Moonlight Classic Seiser Alm auf das Jahr 2022 verschoben werden. Das Datum wird rechtzeitig auf www.moonlightclassic. info bekanntgegeben.

nen, ohne deren unermüdlichen Einsatz die Orga­ nisation kaum zu stemmen wäre. Doch auch unter den Zuschauern und Teilnehmern fehlen die Ein­ heimischen nicht, zum Beispiel die langlaufbe­ geisterten Schwestern Agnes und Evi Kritzinger aus Völs am Schlern. Im Jahr zuvor waren sie noch unter den Zuschauern und ließen sich von der At­ mosphäre verzaubern. „Da haben wir uns vorge­ nommen: Im nächsten Jahr stehen wir hier auch am Start“, erzählt Agnes.

seit Jahren und weiß schon vor dem Startschuss, dass sie sich der Polin Justyna Kowalczyk, einer wei­ teren Veteranin aus dem Weltcup, vermutlich wird geschlagen geben müssen. Gegen die Italienerin Antonella Confortola rechnet sich Siegel mögli­ cherweise Chancen aus – zu Recht, sie kann sich zu ihrer großen Freude knapp durchsetzen und als zweite ins Ziel einlaufen, wo die Bestplatzierten mit einem kleinen Feuerwerk und einer Blumenze­ remonie empfangen werden.

Für die Profisportler unter den Teilnehmern ist die Situation spürbar eine andere. „Man darf dieses Rennen nicht unterschätzen“, stellt Robert San­ ter klar. „Das wirkt hier auf den ersten Blick immer fast ein bisschen romantisch, aber mit Romantik hat das für die Läufer nicht viel zu tun. Die Stre­ cke ist extrem anspruchsvoll. Es muss ein beträcht­ licher Höhenunterschied bewältigt werden und es gibt einige entsprechend schnelle Abfahrten. Da wird insgesamt ein harter Rhythmus gelaufen.“ So mancher Läufer würde das Moonlight Classic als die größere Herausforderung empfinden als die Marcialonga, jenem besonders harten Skimara­ thon von 70 Kilometern Länge. „Die Sportler, die im Weltcup laufen oder bis vor kurzem noch ge­ laufen sind, wollen dann hier natürlich eine gute Figur machen und bestenfalls gute Platzierungen und Preisgelder erringen. Da werde ich dann vorher von den Läufern oder ihren Trainern sehr genau be­ fragt, wer sich noch angemeldet hat, damit sie ihre eigenen Erfolgsaussichten abschätzen können. Ich versuche dann natürlich möglichst unverbindlich zu bleiben“, schmunzelt Santer.

Sichern Veranstaltungen wie das Moonlight

Leistungssportlichen Ernst vermittelt auch Mo­ nique Siegel aus dem erzgebirgischen AnnabergBuchholz, die schon mehrfach beim Moonlight Classic dabei war und das Rennen auf der 30-Ki­ lometer-Distanz einmal gewinnen und einmal mit dem dritten Platz abschließen konnte. Anders ist für sie an diesem Abend, dass sie im Vorjahr ihre Profikarriere beendet hat und das erste Mal als „Amateurin“ an den Start geht. Ihre beiden Kon­ kurrentinnen um die Spitzenplätze kennt sie schon

22 ALPE | Winter

Classic die Popularität des Langlaufs? Robert Santer sieht der Zukunft seines Sportes nicht ohne Sorge entgegen. Dafür seien verschiedene Faktoren aus­ schlaggebend. „Einerseits ist es zwar absolut posi­ tiv, dass die Langläufer, die heute auf die Seiser Alm kommen, im Schnitt eine ganze Woche hier verbrin­ gen. Das sind Menschen, die sich bewusst für die­ sen wunderbaren Sport entscheiden und nicht zum Langlaufen gehen, weil sie nicht Geld für den Ski­ pass ausgeben wollen, im Gegenteil“, erklärt Robert. Ein Riesenproblem sei aber natürlich der Klimawan­ del. Weil etwa in den Mittelgebirgen der Schnee ausbleibe, werde es in Zukunft weniger Langläufer geben. Da hätten es die Vereine dann auch entspre­ chend schwer, Nachwuchs zu motivieren. Selbst auf der hochgelegenen Alm sei die Situation in man­ chen Jahren heikel. Darum sieht Santer Handlungs­ bedarf: Eine eigene Beschneiungsanlage würde es brauchen, mit der man etwa sieben bis acht Kilome­ ter Loipe schneefallunabhängig garantieren könnte. Diese Sicherheit sei auch für die Weltcupteams wichtig, die sehr gerne zu oder für Höhentrainings­ einheiten auf die Seiser Alm mit ihrer idealen Lage um 1.800 bis 2.000 Meter kommen würden, aber natürlich zuverlässige Bedingungen brauchten. Der Werbeeffekt dieser Profiteams sei für das Langlauf­ gebiet Seiser Alm von unschätzbarem Wert. Viele prominente Langläufer bekennen sich offen zu ih­ rer Liebe zu den sonnigen Höhen und weiten Bli­ cken der Alm und lassen sich auch im Mondlicht bereitwillig von dieser Landschaft verzaubern. Dem Moonlight Classic sind viele weitere gute Jahre hof­ fentlich gewiss! «

Winter | ALPE 23


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.