Postkartenidylle im winterlichen Tierser Tal.
St. Zyprian Kirchlein im Hintertal Das St. Zyprian Kirchlein ist eines der beliebtesten Fotomotive im Tierser Tal. Nach mündlicher Überlieferung soll es sich um die alte Pfarrkirche handeln, als noch die meisten Häuser im hintersten Teil des Dorfes standen.
I Im Ortsteil St. Zyprian – von den Einheimischen „Hintertal“ genannt – öffnet sich das sonst eher enge Tierser Tal mit Wiesen und Wäldern. Im Hintertal standen in alten Zeiten einmal viel mehr Häuser als jetzt. Doch haben Erdrutsche und später im 17. Jahrhundert die Pest, Teile des Tals entvölkert. Der Schwarze Tod soll in Tiers am Rosengarten ordentlich gewütet haben. So wurde zur Pestzeit 1635 in Tiers auf einer Weide oberhalb des heutigen Dorfzentrums ein weiteres Kirchlein erbaut und den Pestheiligen St. Sebastian und St. Rochus geweiht. Laut einer Sage soll ein Bauer mit seinem Ochsenkarren die Pesttoten dorthin gebracht und begraben haben. Sooft er eine Fuhre aufgeladen hatte, soll er gesagt haben: “Hü, es Roatn, mit die Toatn!“. Auch die Tierser Pfarrkirche, die St.-Georgs-Kirche, war ursprünglich viel kleiner als heute und wurde im 13. Jahrhundert im romanischen Rundbogenstil mit einer halbrunden Apsis wie das St.-Zyprian-Kirchlein erbaut. Der barocke Umbau der Tierser Pfarrkirche erfolgte im Jahr 1767. Heute ist nur noch der untere Teil des Kirchturms mit den romanischen Rundbogenfenstern erhalten.
Text: Katja Sanin Fotos: Helmuth Rier
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Das St.-Zyprian-Kirchlein im Hintertal hingegen hat seinen romanischen Stil bewahrt und steht heute im Zentrum des Hintertals mit dem Rosengarten im Hintergrund. Das Hintertal war und ist das Tor zu den Wäldern und Almen und vor allem zum Nigerpass mit dem Übergang ins Fassatal. Bis zur Hochwasserkatastrophe im Jahr 1882 existier-
ten entlang des Breibachs ab St. Zyprian bis zu seiner Mündung in den Eisack in Blumau an die 46 Betriebe - Mühlen, Sägewerke und Schmieden, die das Wasser des Breibachs nutzten. Als Erinnerung an diese Zeit und an die alten Handwerksberufe befindet sich am Dorfeingang in Tiers eine alte restaurierte und voll funktionsfähige Wassermühle. Eine alte, wieder funktionsfähig gemachte Venezianer Säge hingegen kann im Naturparkhaus im Hintertal besichtigt werden. Venezianer Sägen sind aus Holz gebaute Brettersägen mit einem einzelnen senkrecht schneidenden Sägeblatt. Leonardo da Vinci erfand sie im 16. Jahrhundert gemeinsam mit venezianischen Holzhändlern. Vorher mussten die Menschen ihre Holzbretter mit Muskelkraft schneiden. Wetterläuten mit dem Zyprusstier. Nur auf Anfrage bei der Messnerin hingegen kann das 1964 bei einem dreisten Einbruch leer geplünderte Kirchlein St. Zyprian von innen besichtigt werden. Es wird von den Tiersern gerne für Tauffeiern genutzt. Messfeiern abgehalten werden im Kirchlein nur beim Bittgang nach St. Zyprian und beim Hintertaler Kirchtag zu Ehren der Heiligen Zyprian und Justina, deren Fest am 26. September begangen wird. Die unmittelbar in der Nähe des Kirchleins wohnhafte Familie hat den Messnerdienst bereits in der dritten Generation inne. Die große Turmglocke des Kirchleins wird auch „Zyprusstier“ genannt und soll hinter dem Tscha- »
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Das im romanischen Stil erbaute Kirchlein besticht durch Einfachheit.
minsteg aus dem Erdschutt ausgegraben worden sein. Denn die St.-Zyprian-Kirche soll in alten Zeiten hinter dem Tschaminbach mitten im damaligen Dorfkern gestanden haben, ehe ein Teil des Dorfs und die Kirche auf der anderen Seite des Bachs durch Verschüttung zerstört wurden. Im Spätmittelalter wurde die Kirche am heutigen Standort erbaut und auf der anderen Seite des Tschaminbachs sollen immer noch so viele Häuser gestanden haben, dass bei der Fronleichnamsprozession 24 Paare Kranzljungfern über den Tschaminsteg nach St. Zyprian schritten. Die Kirche wurde in spätromanischem Stil des 13. Jahrhunderts mit Tonnengewölbe, überwölbter Apsis und niedrigem Glockenturm erbaut. Im Jahr 1583 wurde sie durch die Freiherrn von Völs-Colonna erneuert. Dabei wurde die Holzdecke durch ein Gewölbe ersetzt und die Fenster vergrößert. Außerdem entstand der Altaraufbau. Dieser ist kunsthistorisch wertvoll und zeigt im Mittelstück die beiden Schutzheiligen der kleinen Kirche. Bemerkenswert ist auch das Sakramentshäuschen mit einer Darstellung des blutenden Jesus. An der Süd-Außenwand befindet sich ein Fresko aus dem 17. Jahrhundert, das die wunderbare Rettung der Platzlinerwiese zeigt. Auf der Wandmalerei zu sehen sind die beiden Heiligen Zyprian und Justina, wie sie schützend ihre Mäntel über die Almwiese mit der weidenden Herde ausbreiten, als der Gottvater aus schwarzem Gewölk Blitzpfeile ins Tal schleudert. Seit Generationen überliefert wird auch in Tiers der Glaube, dass man ein Gewitter abwenden kann, wenn man den Zyprusstier bei herannahendem Wetter rechtzeitig läute. Dieser Glaube ergab sich aus der Ansicht, dass die Glocken einer Kirche geweiht seien und aus diesem Grunde das Unwetter durch Läuten vertrieben werden konnte. Sobald eine Gewitterfront oder Gewitterwolke sich näherte, musste der Messner die Kirchturmglocken läuten. Einige Menschen im Dorf - Jung und Alt - glauben auch heute noch daran, und so wurde die Messnerin auch diesen Winter geschickt, den Zyprusstier zu läuten, als Mitte Juli die Berglertafel 2016, das einmalige Abendessen unter freiem Himmel auf der „Proa“ mit Blick auf den Rosengarten, ins Wasser zu fallen drohte. Die Veranstalter und Gäste hatten Glück, denn bis auf ein paar Regentropfen zu Beginn des Abends blieben die Gäste trocken und das Gewitter zog ab.“ «
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