Zwischen den Wänden 25 Tonnen Stahl, fünf Brücken mit Längen zwischen 15 und mehr als hundert Metern, die durch eine enge Schlucht führen... spektakulär windet sich der Prügelweg mit seinen imposanten, kunstvoll angelegten viaduktähnlichen Brücken und Trassen über und neben dem rauschenden Schlernbach durch eine schmale Schlucht Richtung Sesselschwaige.
D Text: Sabine Funk Fotos: Helmuth Rier
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Der aufwändige Weg von Völs auf den Schlern begeistert nicht nur die Techniker unter den Bergwanderern. Dabei sind die menschlichen Fußgänger nicht die vorrangige Zielgruppe dieses beeindruckenden Zustiegs auf den Südtiroler Symbolberg, auch wenn sie den Prügelweg meistens für sich allein haben. Eigentlich gilt der nicht un-
erhebliche Aufwand, den Bau und Instandhaltung des Weges erfordern, einem erlesenen Kreis von gut 300 vierbeinigen Sommerfrischlern, die zweimal im Jahr die Schlucht des Schlernbachs durchwandern, wenn das Vieh von Völs, Völser Aicha und Ums auf die angestammten Hochweiden auf dem Schlern getrieben wird. Denn der pittoreske
Prügelweg, seltener als Knüppelweg und unter Einheimischen schlicht als „die Pruggn“ bekannt, ist ein für die Völser Viehbauern unentbehrliches Stück landwirtschaftlicher Infrastruktur. Ohne die aufwendig gesicherten Wegabschnitte zwischen Peter Frag und Sesselschwaige wä-
ren die nahrhaften Sommerweiden für das Vieh schlicht unerreichbar. Während zwar für Menschen der bequeme Touristensteig als der einfachste Zustieg auf den markanten Tafelberg gilt, wäre dieser Zugang durch den Umweg über die Seiser Alm für das Vieh kaum praktikabel. Der felsige Schäufelesteig, der von Völs ausgehend den »
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direktesten alten Pfad auf den Schlern darstellt, wäre für das Vieh zu steil. Untrennbar ist der Prügelweg also mit der langen Geschichte der Weidewirtschaft auf dem Schlern und der hier entstandenen Tradition der Völser Heubäder verbunden - als das therapeutische Heuliegen noch zur Zeit der Mahd auf den Hochweiden selbst stattfand sowie später, als das Schlernheu auf einfachen Gespannen auf diesem Wege zu Tal gezogen wurde, um die dort entstandenen Badeanstalten mit dem wertvollen Rohstoff ihrer Kuranwendungen zu versorgen. Und auch die Bewirtschaftung der Schlernhäuser war bis zur Inbetriebnahme der Materialseilbahn im Jahr 1969 in hohem Maße davon abhängig mit Maultieren über den Prügelweg versorgt zu werden. Nachdem sich das Vieh im späten Frühjahr auf der Tuff Alm und je nach Weiler auf weiteren Niederweiden zusammenfindet, geht es Anfang Juli schließlich hinauf auf den Schlern. Dabei führt der Auftrieb stets durch die etwa einen Kilometer lange, nur wenige Meter breite Klamm, die der Schlernbach auf seinem Weg ins Tal in den Fels geschnitten hatte. Abhängig von dem von Jahr zu Jahr etwas unterschiedlichen Nahrungsangebot auf den Hoch- und Niederweiden, wird das Vieh meist Anfang bis Mitte September wieder abgetrieben.
Eine aufwändige Konstruktion. Für die Huftiere wurde die Schlucht von alters her durch zahllose, quer über den Bach gelegte Holzbohlen - denen der Prügel- oder Knüppelweg seinen Namen verdankt - begehbar gemacht. Früher lagen diese Bohlen direkt am Boden der Schlucht auf dem Bachbett auf, wo sie je nach Wasserführung von unten dem reißenden Bach und von oben dem gerade im Frühjahr erheblichen Mengen von Schnee und Geröll ausgesetzt waren. Eine laufende Instandhaltung war unumgänglich, der Weg wurde über Jahrhunderte von den Bauern gepflegt und erneuert, denn jeder Bauer hatte pro Stück aufgetriebenes Vieh einen bestimmten Arbeitseinsatz zu erbringen. In guten Jahren waren die Schäden gering und die Arbeiten hielten sich in einem überschaubaren Rahmen. Doch von den alten Völsern wissen viele noch von Wintern in den 1950er und 1970er Jahren zu berichten, in denen der Weg praktisch vollkommen zerstört war. Damals waren es übrigens noch über 500 Nutztiere, die den Sommer auf dem Schlern verbrachten. »
Gegenverkehr: Beim Almabtrieb im September ist es klüger, dem zu Tal eilenden Vieh auszuweichen.
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Ohne den Pr체gelweg w채ren die angestammten Hochweiden auf dem Schlern f체r das Vieh kaum erreichbar.
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Das moderne Tragwerk aus Stahl trotzt der allgegenw채rtigen Feuchtigkeit in der Schlucht. Die kantige Form der Balken hingegen hat eine lange Tradition.
1994 waren die Schäden durch ein Unwetter schließlich so gewaltig, dass eine umfassende Sanierung des Weges durch das Landesamt für Wildbach- und Lawinenverbauung in Angriff genommen wurde. Ein Jahr lang war der Weg gänzlich gesperrt, der Aufwand kolossal: Zwei Schreitbagger wurden für die Arbeiten eingesetzt, fast zehn Arbeiter lebten den ganzen Sommer in Containern unterhalb der Sesselschwaige. 1995, im Baujahr dieses ersten erhöhten Prügelweges, war die Schlucht tatsächlich über die gesamte Bauzeit unpassierbar – der Almauf- und Abtrieb musste in diesem Jahr auf den rechts oberhalb der Schlucht verlaufenden Zirmwaldsteig umgeleitet werden: ein riskantes Unterfangen, für das dieser Steig kaum geeignet war. Die wesentliche Veränderung bei dieser ersten Sanierung bestand darin, den Weg vom Grund der Schlucht in einer Höhe von zwei bis drei Metern zu verlegen. Einige Elemente bei dieser Konstruktion waren dabei neu, andere entsprachen kaum verändert der traditionellen Gestalt des Weges. Für die Erhöhung war die Schaffung einer tragenden Struktur und einer aufliegenden für Mensch und Tier begehbaren Fläche erforderlich. Die charakteristische Form der geklobenen Lärchenholzstämme entspricht dabei jener, die auch den auf dem Bachbett aufgelegten Stämmen in früherer Zeit verliehen wurde. Zum einen, weil die Baumstämme auch mit einfachen technischen Mitteln schon immer vor Ort in der Schlucht längs gespalten, also “gekloben” wurden, wie es im süddeutschen Sprachraum und auch in Südtirol heißen würde. Zum anderen, weil nur die relativ scharfkantige Form der geklobenen Stämme dem Belag des Weges ein rutschfestes Profil zu verleihen vermag. Auch wenn dieses mitunter recht eckige Profil beim Abstieg von so manchem Wanderer als nicht besonders „kniefreundlich” empfunden wird: Würden die Brücken mit runden oder glatten Balken gedeckt, entstünde durch die hohe Feuchtigkeit in der Schlucht eine regelrechte Rutschbahn und der Weg wäre kaum gefahrlos begehbar. Nur 15 Jahre nach der aufwendigen, bereits damals umgerechnet über 300.000 Euro teuren Wegsanierung, zeigten sich jedoch erste Mängel an Brücken und Trassen des schönen neuen Prügelweges: Die allgegenwärtige Nässe in der Schlucht begünstigte einen rapiden Fäulnisprozess und die äußere Schicht der tragenden Quer- und Längsbalken war
morsch geworden, der Weg bereits akut einsturzgefährdet. So wurde in den Sommern der Jahre 2011 und 2012 erneut Hand angelegt und der Weg einer noch radikaleren, zweiten Sanierung durch das Amt für Wildbachverbauung unterzogen. Im Mittelpunkt standen dabei die fünf Brücken, von denen vier erneut einen Holzaufbau erhielten, die jedoch diesmal auf einer tragenden Konstruktion aus Stahl aufliegen sollten. In fast 8.000 Arbeitsstunden setzten die spezialisierten Arbeiter von der Wildbachverbauung den Prügelweg auf ein neues, solides Fundament aus verzinktem Stahl und Lärchenholz. Sämtliche Baumaterialien samt eines Schreitbaggers, ohne den ein Bauvorhaben in derartigem Gelände kaum denkbar wäre, mussten mit einem Hubschrauber eingeflogen werden. Die Logistik der Baustellenorganisation war ein kleines Kunststück. Der Weg war für Wanderer erneut einen ganzen Sommer gesperrt, für den Viehauf und -abtrieb wurde die Schlucht jedoch anders als in den 1990er Jahren provisorisch freigegeben, um die neuerliche Umleitung durch das gefährliche Gelände des Zirmwaldsteigs zu vermeiden.
In seiner heutigen Form zeigt sich der Prügelweg als massives, fast schon unverwüstlich anmutendes Bauwerk. Großer Wert wurde bei der Konstruktion nämlich auch darauf gelegt, dass einzelne Elemente in der tragenden Struktur ausgetauscht und bei Bedarf erneuert werden können. Unter Traditionalisten gab es noch vereinzelten Widerstand gegen den Einsatz ortsfremder Baustoffe wie des eingesetzten Stahls, der offenliegend und sichtbar das romantisch anmutende Tragwerk aus Holz unter dem Viadukt abgelöst hat. Doch schließlich ist der Prügelweg trotz seines hohen ästhetischen Wertes und seiner Einzigartigkeit vor allem eine landwirtschaftliche Infrastruktur, der man ihren praktischen Nutzen durchaus ansehen darf. Dem Genuss, an einem heißen Sommertag beim Aufstieg auf den Schlern durch die kühle, schattige Schlucht zu wandern, tut dies keinen Abbruch. Doch sollte man sich an Samstagen Ende Mai und Ende September vorher versichern, ob nicht gerade der Tag des Almauf- oder Abtriebs ist. Wem einmal auf den „Pruggn” eine zu Tal eilende Hundertschaft des schmucken Tiroler Grauviehs oder auch des nicht minder schmucken Fleckviehs entgegeneilte, der zieht es unter Umständen vor, den Sommerfrischlern ihren Weg zu diesem Anlass zu überlassen - und selbst den Prügelweg lieber an einem Tag ohne gehörnten Gegenverkehr zu beschreiten. «
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