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Alpines Erbe

Alltäglicher Begleiter des Lebens in den Bergsteigerdörfern.

von Marion Hetzenauer & Jan Salcher

Bei der Jahrestagung der Bergsteigerdörfer im slowenischen Luče stand das alpine Erbe im Fokus. Kulturelle Einflüsse sorgen dafür, dass die Bergsteigerdörfer in ihrer Architektur, Kulinarik, in den Überlieferungen oder Wirtschaftsweisen ihren speziellen Charakter geformt haben. Der achtsame Umgang damit ist ein Grund, warum diese Dörfer das Prädikat Bergsteigerdorf tragen.

Das kulturelle Erbe kann als Bindeglied zwischen den Generationen verstanden werden, wobei die Ausgewogenheit zwischen Bewahren und Innovation entscheidend ist.

Es hilft Regionen, eine Eigenständigkeit zu erhalten, die sie unverwechselbar macht.

Dieses Erbe darf sich im Lauf der Zeit verändern – wird das nicht berücksichtigt, entstehen „lebendige Museen“ oder anders gesagt: Kitsch. Jede Generation macht eine eigene Auswahl dessen, was weitergeführt wird und identitätsstiftend ist. Die Vielfalt, die daraus entsteht, zeugt von der Kreativität der Menschen und Reisende schätzen heute die regionalen Besonderheiten. Luče eignet sich ideal, um einige Aspekte des kulturellen Erbes genauer zu betrachten.

Volksgesang, Architektur, Kulinarik

Der Volksgesang ist im slowenischen Register für immaterielles Kulturerbe eingetragen und in Luče seit mindestens einem Jahrhundert erhalten. Die vier- bzw. sechsstimmigen von Männerchören vorgetragenen Lieder sind meist langsam und getragen und zeichnen sich durch eine besondere Harmonie zwischen den Stimmen aus. Bemerkenswert ist, dass der lokale Chor in seiner Altersstruktur gut durchmischt ist und sich auch junge Sänger für diese Musik begeistern.

Architektur ist wohl der augenscheinlichste Teil des kulturellen Erbes. In Luče begegnet man einigen guten Beispielen: Hiša Raduha im Ortskern von Luče folgt nicht nur einer Küchenphilosophie, die mit Martina Breznik in dritter Generation weit über die Grenzen Sloweniens bekannt ist, auch in der Renovierung des Gasthauses wurde darauf Wert gelegt, mit der Natur und den kulturell prägenden Elementen zu arbeiten. Ein Heustadel und ein Stall wurden hochwertig restauriert und zu Unterkünften umgebaut. Am Hof Domačija Koklej restauriert Jože Kaker seit den 1980er-Jahren alte Wirtschaftsgebäude, die am Hofgelände eine neue Heimat finden. Heute dienen vier Getreidespeicher und ein Auszugshaus als rustikale Ferienwohnungen, dazu gesellen sich eine Kapelle und eine Säge. Detailgetreu restauriert ist das Herrenhaus Juvanova Hiša.

Für die restaurierten Getreidespeicher spaltet Joze Kaker Holzschindeln.
Foto: Jan Salcher

Der Ethnologe Janez Bogataj, der die Vortragsreihe während der Bergsteigerdörfer-Jahrestagung eröffnete, engagiert sich seit Jahrzehnten für mehr Anerkennung der slowenischen Esskultur. Gesellschaftliche Trends wie kurze Lieferketten und saisonale und regionale Ausgangsprodukte tragen dazu ebenso bei wie die Sichtbarmachung. So identifiziert die kulinarische Landkarte Sloweniens 24 Regionen, 365 typische regionale Gerichte und Getränke sowie drei Weinregionen. Repräsentative Produktgruppen für Slowenien sind zum Beispiel Milchprodukte, Getreide – wobei man Buchweizen und Mais als Sterz zubereitet – oder Teigwaren, die zu gefüllten Nudeln bzw. Krapfen verarbeitet werden. In der gastronomischen Region Oberes Savinjatal ist neben dem reichhaltigen „Obrnjenk“, früher Grundnahrungsmittel von Hirten und Waldarbeitern, der Obersanntaler Magen eine nennenswerte Spezialität. Diese Wurstspezialität wurde auf Erlass des jugoslawischen Königs sogar nach Frankreich exportiert.

Žlikrofi – die slowenische Interpretation der gefüllten Teigtaschen.
Fotos: Thomas Sattler

Solidarität

Der Zusammenhalt bei Naturereignissen dürfte Teil des kulturellen Erbes der Alpen sein. Dass sich dieser nicht nur in einer Region äußert, sondern auch über Grenzen hinweg, war ein ermutigendes Zeichen nach den Überschwemmungen im Sommer 2023. Anfang August waren fast zwei Drittel Sloweniens von Starkregen, Muren und Überschwemmungen betroffen, das Savinjatal mit dem Bergsteigerdorf Luče zählte zu den am stärksten betroffenen Gebieten. Mehrere Häuser und ganze Straßenabschnitte fielen der reißenden Savinja zum Opfer, die kommunale Wasserversorgung wurde ebenso zerstört wie die Energie- und Kommunikationsinfrastruktur. Die geschätzte Schadenssumme beläuft sich allein für Luče auf 92 Mio. Euro. Der Zusammenhalt vor Ort und die gegenseitige Hilfe waren während des Schlechtwetters und in den ersten Tagen danach die einzige Unterstützung, auf welche die Bewohner*innen zugreifen konnten. Familien, die ihr Haus verloren hatten, wurden in freistehende Ferienwohnungen einquartiert. Ein kleiner Strohhalm war der Kontakt nach Österreich, berichtet Ana Kaker vom Partnerbetrieb Koklej: „Es war eine sehr schwierige Zeit für alle. Wir wussten nicht, was das für das Dorf bedeutet. Der Kontakt zu den Bergsteigerdörfern hat Mut gemacht, da wir das Gefühl hatten, es ist jemand da, der uns helfen wird. Es sind auch viele freiwillige Helfer gekommen, vielleicht auch, weil wir ein Bergsteigerdorf sind.“

Noch während des Hochwassers wurde versucht, über die Kärntner Landesregierung Hilfe zu organisieren. In enger Abstimmung mit dem Slowenischen Alpenverein wurden Informationen zur Lage im Savinjatal veröffentlicht und an die Gremien des Österreichischen Alpenvereins und die Bergsteigerdörfer weitergegeben. Die Hilfe, die sich in den Bergsteigerdörfern binnen weniger Tage und Wochen zeigte, war beeindruckend. So lud das Bergsteigerdorf Dovje-Mojstrana die Kinder der Volksschule Luče ein, ihre Ferien bei ihnen zu verbringen. Andere Bergsteigerdörfer riefen zu Spenden auf und sammelten Geld bei Veranstaltungen. Auch der Österreichische Alpenverein gewährte finanzielle Hilfe für die Gemeinde. Eine wahre Freude war die 16. Jahrestagung der Bergsteigerdörfer in Luče, nur zehn Monate nach diesen dramatischen Ereignissen. „Wegen dem Hochwasser wussten wir nicht, ob wir die Jahrestagung organisieren können. Dass sie dann doch stattgefunden hat, hat mich und das ganze Dorf sehr froh gemacht!“, sagt Ana Kaker.

Die Savinja am Anfang der Unwetter im August 2023.
Fotos: Thomas Sattler

Autoren:

Marion Hetzenauer ist in der Abteilung Raumplanung und Naturschutz des Österreichischen Alpenvereins für das Projekt Bergsteigerdörfer tätig.

Jan Salcher ist Bergwanderführer und Bergretter im Lesachtal und Projektmitarbeiter bei den Bergsteigerdörfern.

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