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Merci, Paris!
from Bergauf #5.2024
Schweiß, Krämpfe, Blut. Jakob Schubert und Jessica Pilz haben im Sommer in Paris alles für den Traum einer Olympiamedaille gegeben –mit Erfolg.
von Matthias Nemetz, Kletterverband Österreich
Schon vor den Olympischen Spielen 2024 galt Jakob Schubert als größter Wettkampfkletterer der letzten Jahre, für viele sogar aller Zeiten. Nach der Bronzemedaille in Tokio vor drei Jahren wollte er seine Karriere mit einer weiteren Olympiamedaille krönen. „Am liebsten in einer anderen Farbe, weil Bronze habe ich schon zu Hause“, so der Innsbrucker im Vorfeld. Seine mutige Ansage: „Ich fahre nach Paris, um Gold zu holen.“
Der Traum von der Goldmedaille platzte im Finale des Boulder-&-Lead-Bewerbs am dritten Finalboulder. „Der wird mich noch einige Zeit verfolgen, weil es eigentlich ein Boulder ist, der mir liegen sollte. Ich war knapp dran, es sollte aber einfach nicht sein.“ Damit war der Rückstand vor seiner Paradedisziplin Vorstieg zu groß, sogar eine Medaille wackelte plötzlich. Wie schon in Tokio zeigte Schubert in jener Disziplin, die er seit Jahren dominiert, eine Galavorstellung, erneut gelang der Sprung auf das Podest. Der Tiroler kletterte souverän, arbeitete sich Griff für Griff nach oben und überholte mit 96 von 100 möglichen Punkten im letzten Moment den US-Amerikaner Colin Duffy. Mit 139,4 Punkten war zu dem Zeitpunkt zumindest Bronze schon fix – der große Jubel blieb aus.
Nichts zu verlieren
„Im ersten Moment war ich natürlich enttäuscht. Ich hatte das Gefühl, dass mehr drinnen gewesen wäre. In der Boulderrunde habe ich einige Punkte liegenlassen und war speziell beim zweiten Boulder knapp am Top dran. Besonders der physische Boulder, der normalerweise meine Stärke ist, ärgert mich. Ich habe mir da von der Schulterpower schwergetan. Da habe ich wohl eine andere Medaille liegengelassen“, verrät Schubert.
Der Brite Toby Roberts jubelte am Ende mit 155,2 Punkten über Olympiagold. Topfavorit Sorato Anraku (JPN), der nach der Boulderrunde noch auf Goldkurs gelegen war, konnte sich mit 145,4 Punkten über Silber freuen.
„Der Vorteil nach einer schlechten Boulderrunde ist, dass man mit einem feinen Mindset in die Leadroute gehen kann. Ich hatte nichts mehr zu verlieren und es war meine einzige Chance, voll abzuliefern. Ich bin gut in die Route eingestiegen, war schnell in einem super Flow. Die Route war nicht die größte Herausforderung. Ich bin froh, dass es für mich dann so gut gelaufen ist und ich noch eine Medaille gewinnen konnte“, so der nun zweifache Olympia-Bronzemedaillengewinner.
Gleich im Anschluss an den Bewerb wurde dieser – in typischer Schubert-Manier – aufgearbeitet. Familie, Freunde und Coaches feierten ihren „Joggl“. Nach und nach dämmerte dem 33-Jährigen, was ihm gelungen war. „Als ich gehört habe, dass ich der erste Kletterer war, der zwei Olympiamedaillen gewonnen hat, ist mir bewusst geworden, wie besonders diese Medaille eigentlich ist“, erinnert er sich. „Scheinbar gibt es generell nicht so viele Österreicher, die bei zwei aufeinanderfolgenden Spielen Medaillen gewinnen konnten. Ich habe trotzdem wieder einmal am Tag X abgeliefert, das macht mich schon stolz. Diese Bronzemedaille wird mit der Zeit immer mehr an Wert gewinnen.“
KVÖ-Nationaltrainerin Katharina Saurwein ergänzt:
Es war brutal spannend. Wir haben voll mitgefiebert und mitgerechnet. Es war unglaublich knapp. Jakob ist souverän und routiniert geklettert. Er hat nach einer mittelmäßigen Boulderrunde noch das Optimum herausgeholt. Das spricht für ihn. Er hat sich diese Medaille wirklich verdient.
Tränen vor Freude statt Ärger
Während Schubert bereits in Tokio Bronze gewinnen konnte, vergoss Jessica Pilz vor drei Jahren bittere Tränen. Nur zwei Griffe im Vorstieg fehlten damals auf eine Medaille. Im Vorfeld von Paris wurde sie als Medaillenanwärterin gehandelt, die großen Favoritinnen waren andere. Bereits in der Qualifikation zeigte die in Innsbruck lebende Niederösterreicherin, dass mit ihr zu rechnen ist: Platz zwei. „Eigentlich war mir das gar nicht so recht, weil ich im Finale lieber mit einer früheren Startnummer geklettert wäre. Aber am Ende hat es gepasst“, so Pilz. Und wie es gepasst hat. Mit Platz sechs und 59,3 von 100 möglichen Punkten legte sie im Boulderbewerb den wichtigen Grundstein im Kampf um Edelmetall.
Die 26-Jährige erwischte im Le Bourget Sport Climbing Venue einen Auftakt nach Maß und holte an den ersten beiden Bouldern jeweils das Top. Mit einem Rückstand von 0,4 Punkten auf Bronze ging es in den Vorstieg.
Dort zeigte sie, dass sie in ihrer Paradedisziplin zu den besten Athletinnen der Welt gehört. Im Finale erreichte Pilz im Lead hinter der Japanerin Ai Mori die zweitgrößte Griffanzahl, mehr als Olympiasiegerin Janja Garnbret. Am Ende jubelte Pilz, die als vorletzte Athletin in die Route eingestiegen war, mit 147,4 Punkten über Olympiabronze. Die Slowenin Garnbret kletterte mit 168,5 Punkten nach Tokio zu ihrem zweiten Olympiagold, die US-Amerikanerin Brooke Raboutou sicherte sich mit 156,0 Punkten Silber. Als Pilz im Vorstieg von der Wand ging, richtete sich ihr Blick umgehend zu den Coaches und der Anzeigetafel. Da nach ihr nur noch Janja Garnbret an die Wand ging und Platz zwei aufschien, war die Medaille fix. Prompt flossen die Freudentränen, nach dem Entknoten des Seils stürmte sie – gegen das Olympiaprotokoll – von der Bühne zum österreichischen Team. Dort wurde sie von den Coaches Katharina Saurwein und Kilian Fischhuber, von KVÖ-Sportdirektor Heiko Wilhelm und Physiotherapeut Georg Meyer in die Arme genommen – Bilder, die durch Österreichs Medien und in die Herzen der Menschen gingen.
Der große Traum
„Ich wollte in diesem Moment einfach bekannte Gesichter sehen und sie umarmen. Es war eine surreale Situation, es läuft alles wie im Film ab. Man denkt nicht an Vorschriften, ich habe gesehen, wie sie jubeln, und bin zu ihnen hin“, schildert Pilz. „Die Erleichterung war sehr groß. Die letzten Wochen vor Paris waren sehr stressig, man hatte einfach immer den olympischen Wettkampf im Hinterkopf. Ich habe versucht, mich bestmöglich vorzubereiten, auch wenn nicht immer alles glatt gelaufen ist. Ich bin überglücklich, es ist ein großer Traum in Erfüllung gegangen. Die Entscheidung, mich auf meine Paradedisziplin zu konzentrieren, damit ich hier viele Punkte hole, war definitiv richtig.“
KVÖ-Sportdirektor Heiko Wilhelm zeigte sich begeistert: „Es ist unglaublich, ein absoluter Wahnsinn. Jessy hat so hart gearbeitet und war nach Platz 7 im Olympiabewerb in Tokio so enttäuscht. Dieser Moment war sicherlich eine große Genugtuung, ich gönne ihr diese Medaille von ganzem Herzen. Sie schafft es immer wieder, auf den Punkt fokussiert zu sein und voll abzuliefern. Für den heimischen Klettersport sind die Erfolge von Jessy und Jakob unbezahlbar.“
Während das Team in Paris jubelte, wurde auch in Innsbruck gefeiert. Im Kletterzentrum Innsbruck erreichte die Stimmung bei den Medaillenentscheidungen den Höhepunkt, zahlreiche Teammitglieder und Kletterfans feierten Schubert und Pilz. Bei einer Liveschaltung nach Paris gratulierten die Anwesenden Pilz Minuten nach dem Bewerb zur Bronzemedaille.
Gefeiert wurden die Medaillen in Paris standesgemäß im Austria House, wo am Abend des Damenfinales passenderweise eine Kletterparty stattfand. „Besser hätte man es nicht planen können“, musste Schubert schmunzeln. „Nach der harten Arbeit haben wir uns jetzt ein Bier verdient.“