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"Wetter: trüb, regendrohend"
from Bergauf #5.2024
„Wetter: trüb, regendrohend“
Ein Tourenbuch als historisches Dokument. Aus der Sammlung des Alpenverein-Museums, Teil 58
von Anton Holzer
"Wetter: trüb, regendrohend.“ Mit knappen Worten umschrieb der Wiener Alpinist Rudolf Reif (1891–1958) in seinem Tourentagebuch am 30. Oktober 1928 die widrigen atmosphärischen Bedingungen während einer Wandertour auf die Rax. Stichwortartig und überaus akkurat in den Details lässt er den Bergausflug Revue passieren. Mit kräftiger, schwungvoller Handschrift notiert er, dass die Gruppe am Vortag um 13.35 Uhr von Wien nach Payerbach gereist sei. Von hier aus ging die Fahrt durch das Höllental im Automobil weiter.
Sogar die Kosten dieser Fahrt notierte er: 27 Schilling. Genächtigt wurde, auch das erfahren wir aus den Aufzeichnungen, im Gasthaus Wallner in Hinternaßwald. Von hier aus stieg die Gruppe der Bergbegeisterten auf das Rax-Plateau zum Karl-Ludwig-Haus auf, wo sie die Mittagsrast verbrachte. Lange hielten sich die Wanderer nicht in der Höhe auf, sie stiegen noch am Nachmittag über den Gretchensteig zum Preiner Gscheid ab.
Seit 2018 im Archiv des Alpenvereins
Auf dem Foto, das Reif anlässlich dieser Wanderung auf die untere Seitenhälfte seines Tourenbuches geklebt hat, ist er selbst (vorne in der Mitte, mit Brille und flacher Mütze) im Kreis seiner Wanderfreunde zu sehen. Er trägt feste, genagelte Schuhe, dicke Stutzen, Kniebundhose, Jackett und ein kariertes Hemd. Und, das fällt auf, sogar eine Krawatte.
Der geöffnete Rucksack liegt neben ihm im Gras. Reif ist gerade dabei, mit dem Messer eine Scheibe Brot abzuschneiden. „Rast beim Abstieg, vor dem Preiner Gscheid“ notierte er unter dem Bild. Anschließend sind die Namen seiner Berggefährten zu lesen. Dieses Tourenbuch, das zusammen mit einem weiteren Tourenbuch sowie anderen schriftlichen Unterlagen aus seinem Nachlass 2018 in das Archiv des Österreichischen Alpenvereins gelangt ist, ist ein wunderbares historisches Beispiel, das zeigt, wie Bergerlebnisse, autobiografische Aufzeichnungen und fotografische Dokumentation in der verschriftlichten Erinnerung ineinanderfließen.
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Die hier gezeigte Doppelseite stammt aus dem ersten der beiden überlieferten Bücher, dieses umspannt die Jahre von 1924 bis 1929. Anfangs waren die handschriftlichen Einträge noch kurz und bündig, bald aber wurden sie ausführlicher und detailreicher, in den 1930er-Jahren dann wieder kürzer und zusammenfassender. Der Rhythmus der Bergfahrten (vor allem in die Wiener Hausberge, ins Gesäuse, die Dolomiten, die Beskiden, die Hohe Tatra und die Tiroler Berge) ist von Anfang an sehr dicht, oft führten die Unternehmungen den leidenschaftlichen Alpinisten und seine Freunde mehrmals in der Woche ins Gebirge, winters wie sommers.
Dokumente aus einer turbulenten Zeit
Bald begann Reif seine Aufzeichnungen mit (eigenen und fremden) Fotos anzureichern. Später kamen Zeichnungen von (durchstiegenen) Felswänden und skizzierte Kletter- und Routenpläne hinzu. Diese Tagebücher und Unterlagen dienten nicht nur der persönlichen Erinnerung des Autors, sondern sie flossen später auch in Publikationen Reifs ein. Seine Tourenbücher sind aber noch aus einem anderen Grund bedeutsam.
Reif war nämlich auch ein wichtiger Vereinsfunktionär, zuerst ab 1915 bei den „Naturfreunden“, später ab Anfang der 1920er-Jahre, in der 1921 gegründeten Alpenvereinssektion „Donauland“, die nach heftigen antisemitischen Angriffen Ende 1924 aus dem Alpenverein ausgeschlossen wurde (siehe dazu den Beitrag von Hanno Loewy in diesem Heft). Da bisher nur relativ wenige Quellen über einzelne Mitglieder dieses Vereins überliefert sind, bilden die Tourenbücher Reifs auch wertvolle persönliche Dokumente aus einer politisch turbulenten Zeit.
„Wetter erträglich, kalt.“
Doch zurück zur Doppelseite aus dem besagten Tourenbuch. Am 4. November 1928, wenige Tage nach der Rax-Tour, war Reif erneut mit seinen Bergfreunden in den Wiener Hausbergen unterwegs. Das Ziel diesmal: der Mittagstein bei Hirschwang an der Rax. Lapidar notierte Reif in sein Buch: „Ab Wien 6.20 früh. Regen.“ Abschrecken ließ sich die Gruppe vom schlechten Wetter keineswegs. Wie wir dem Tagebuch entnehmen können, wurde folgende Route gewählt: Fuchsloch – Knofeleben – Wassersteig.
„Tagsüber konnte uns der Regen nicht viel anhaben“, vertraute Reif seinem Tagebuch an. „Während des Abstiegs wurden wir jedoch nass.“ Und wie um dem Wetter auch in Bildern zu trotzen, klebte Reif nebeneinander zwei Aufnahmen ans untere Ende der Seite. Das eine Bild zeigt ihn selbst in nebeliger Witterung „bei einer Abseilübung“ in senkrechter Wand, das andere mit seinem Bergfreund bei einer Rast. Ob die beiden Fotos tatsächlich auf dieser Tour entstanden sind, lässt sich nicht sagen. Als der Alpinist Tage später wiederum für eine Wanderung von Wien nach Payerbach fuhr, notierte er in sein Tagebuch kurz und bündig: „Wetter erträglich, kalt.“
Über den Autor: Dr. Anton Holzer ist Fotohistoriker, Ausstellungskurator und Herausgeber der Zeitschrift „Fotogeschichte“, er lebt in Wien. www.anton-holzer.at